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das argument 175 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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212 Petra Frerichs/Margareta Steinrücke<br />

In den von uns untersuchten Industrieverwaltungen monieren die Frauen, daß<br />

die Büros zu eng, zu staubig, zu stickig oder zu zugig seien. Büros scheinen hier<br />

häufig als zweitrangiges Anhängsel der eigentlich im Mittelpunkt stehenden Produktion<br />

behandelt zu werden. Die Arbeiten der Angestellten sind hier »faux<br />

frais« (Marx), falsche Kosten. Da sind in einem Falle Büro»räume« einfach als<br />

Teil einer alten Fabrikhalle abgetrennt worden, es zieht durch Decke und Fenster,<br />

es herrschen Enge und Bedrängnis, so daß sich die weiblichen Angestellten<br />

vorkommen »wie im Kaninchenstalk In einem anderen Fall beklagten sich<br />

Sachbearbeiterinnen darüber, daß es in ihrem Büro »wie in einer Rumpelkammer«<br />

aussehe, da dort altes, häßliches, dysfunktionales, zum Teil gefahrliches<br />

Mobiliar, »alte Bestände« aus anderen Abteilungen, abgestellt seien; »jahrelange<br />

Bemühungen« habe es gekostet, zumindest einen »ordentlichen Stuhl« zu bekommen.<br />

Ihre Veränderungswünsche richten sich auf eine »vernünftige, moderne Arbeitsplatzausstattung«,<br />

statt sozusagen im Sperrmüll arbeiten zu müssen, mit<br />

dem sie sich auch selbst als wertlos eingestuft fühlen. Die beschriebenen Zustände<br />

werden von den weiblichen Angestellten nicht einfach hingenommen. Beschwerden,<br />

Vorstöße und Versuche, <strong>für</strong> Abhilfe zu sorgen, indem sie sich an Abteilungsleiter,<br />

Sicherheitsbeauftragte und auch an den Betriebsrat wandten, blieben<br />

aber in der Regel erfolglos. Von Vorgesetzten kam meist <strong>das</strong> Kosten<strong>argument</strong>,<br />

»daß nicht genug Geld im Budget« sei. Gerade Angestellte in Industrieverwaltungen<br />

verfügen aber häufig über ein recht genaues Wissen darüber, mit welchen<br />

Summen <strong>das</strong> Unternehmen hantiert, wo und in welcher Höhe investiert<br />

wird (etwa in neue Produktionsanlagen). Zum Teil haben sie sogar Einblick in<br />

Umsatz- und Gewinnzahlen. Indem sie so tagtäglich erleben, daß sie dem Unternehmen<br />

nicht einmal die relativ geringe Investition wert sind, die eine menschenwürdige<br />

Umgestaltung ihrer Arbeitsräume erforderte, erfahren sie - mehr<br />

oder weniger bewußt -, daß es auf Profit und nicht auf Menschen ankommt. Auf<br />

anderer Ebene liegen zum Teil frustrierende Erfahrungen weiblicher Angestellter,<br />

wenn sie sich mit ihren Anliegen bezüglich Raumausstattung an den Betriebsrat<br />

wenden und wenn dieser sich <strong>für</strong> solche, »nur« im Bereich des Ästhetischen,<br />

des individuellen Komforts liegende Fragen, <strong>für</strong> nicht zuständig erklärt.<br />

Stein des Anstoßes war in dem von uns untersuchten Versicherungsunternehmen<br />

insbesondere die Klimaanlage mit ihren gesundheitsschädigenden Auswirkungen.<br />

Die trockene und zugige Luft bewirkt Verspannungen im Schulter- und<br />

Nackenbereich und führt zu Augenbrennen und häufigen Erkältungskrankheiten.<br />

Auch hier erfahren weibliche Angestellte, wenn sie ihre Beschwerden vortragen,<br />

um <strong>für</strong> Abhilfe zu sorgen, daß Klimaanlagen in erster Linie wegen der<br />

neuen Bürotechnologien (diese bedürfen einer Temperatur, die <strong>für</strong> Menschen etwas<br />

zu niedrig liegt) und nicht wegen der in den Büros arbeitenden Menschen installiert<br />

werden.<br />

Die Mehrzahl der von uns befragten weiblichen Angestellten sieht ihre gesundheitlichen<br />

Beeinträchtigungen und Leiden in deutlichem Zusammenhang mit ihrer<br />

Arbeit. Ausgehend vom Verursacherprinzip setzen sie dem so etwas wie ein<br />

Menschenrecht auf Gesundheit entgegen und entwickeln zum Teil unorthodoxe<br />

Vorschläge, wie ihre gesundheitlichen Beschwerden auf Kosten des Unternehmens<br />

zumindest gelindert werden könnten:<br />

DAS ARGUMENT 17411989 ©

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