das argument 175 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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192 Frigga Haug<br />
Das Mindesteinkommen wurde in der Presse kaum diskutiert, in gewerkschaftlichen<br />
Stellungnahmen eher abgewiesen. Wir hatten erwartet, daß es von unseren<br />
Gesprächsgruppen begrüßt würde als eine Lösung <strong>für</strong> soziale Not und eine Entbürokratisierung<br />
<strong>für</strong> die bisher vorgesehenen Formen wie Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe<br />
etc. - In der Hausjrauengruppe herrscht zunächst ungläubige Verwirrung:<br />
»Also ich kann dann immer in die Kneipe gehen oder bei Demonstrationen mitmachen, Friedensinitiative<br />
... also <strong>das</strong> kann man sein Leben lang machen? Und <strong>das</strong> hat Lafontaine auch be<strong>für</strong>wortet?«<br />
Sie betrachten die andere Seite des Vorschlags: »Arbeitsämter fallen dann auch weg?«<br />
Nach dem Unglauben folgt die Entscheidung <strong>für</strong> ein Mindesteinkommen, <strong>das</strong> sie<br />
gleichwohl <strong>für</strong> unmöglich halten, weil »der Mensch da<strong>für</strong> nicht gut genug sei«.<br />
Nicht sie selbst, aber die anderen würden sich »zu 40 Prozent mindestens« auf die<br />
faule Haut legen. Probeweise versuchen sie, »gerechten Steuern« (etwa <strong>für</strong> Schule)<br />
ungerechte (etwa <strong>für</strong> Rüstung) entgegenzuhalten und fangen in dieser Weise an,<br />
aus der bloß betrachtenden Haltung in eine von Macherinnen zu kommen.<br />
Als säßen sie jetzt tatsächlich an der Regierung, aber als hätte dieser Umstand<br />
dennoch alles beim Alten gelassen, so <strong>argument</strong>iert die Gruppe, die wir Alternative<br />
genannt haben. Sie machen sich in erster Linie Sorgen um die Finanzierbarkeit<br />
des Mindesteinkommens :<br />
»Und es stellt sich nun mal auch die Finanzierungsfrage ... umfassende Änderungen im Steuerrecht,<br />
d.h. also ganz erhebliche Heraufsetzung der Steuern«, sagt eine ganz zu Anfang.<br />
Einer beginnt zu rechnen, denkt (die Zweidrittel-Gesellschaft im Ohr), daß ein<br />
Drittel aller Erwerbstätigen <strong>das</strong> Mindesteinkommen beanspruchen würde, und<br />
kommt auf einen Bedarf von 100 Milliarden DM, den er umstandslos den anderen<br />
zwei Drittel als Rechnung in die Schuhe schiebt. Andere Finanzierungsquellen<br />
werden auch erwogen: die Maschinensteuer tritt wieder auf, dann die Unternehmergewinne.<br />
Nach diesen Zweifeln über die Geldfrage erwärmen sie sich <strong>für</strong><br />
die Idee eines Mindesteinkommens, diagnostizieren dadurch vermehrten Konsum,<br />
eine neue wirtschaftliche Konjunktur und gelangen schließlich zu neuerlichem<br />
Zweifel, ob die Sache den Gewerkschaften den Rücken stärke oder nicht.<br />
Ihr Ergebnis: es wird sich einiges im Kopf der Leute tun. Sie haben mehr Zeit<br />
<strong>für</strong> <strong>das</strong> Politische, andere Themen werden wichtiger, sie werden offensiver, verlieren<br />
Existenzangst. Sie bekommen ein anderes Verhältnis zu Arbeit und Ausbildung.<br />
Viele werden sich weiterbilden. An Arbeit wird der Anspruch gestellt<br />
werden, daß sie sinnvoll sei. Und wie Thomas Morus zu Beginn des 16. Jahrhunderts<br />
stellt sich ihnen schließlich <strong>das</strong> Problem, wer zu welchem Preis die<br />
schlechten Arbeiten (etwa die Müllabfuhr) in der Gesellschaft machen würde.<br />
Finanzierungsprobleme, gepaart mit einer verächtlichen Einschätzung der<br />
nachwachsenden Generation, äußert auch einer der Häherverdienenden:<br />
»Der, der nichts tut und 19/20 Jahre alt ist und nie gearbeitet hat, kriegt 1500 DM von Vater<br />
Staat? Und woher soll <strong>das</strong> kommen, <strong>das</strong> Geld? Das ist ja überhaupt undiskutabel. Das geht ja<br />
in die Milliarden.«<br />
Im weiteren Gespräch halten sie allein schon den Gedanken eines Mindesteinkommens<br />
<strong>für</strong> »eine Bankrotterklärung von unserem Marktsystem«, von dem sie<br />
annehmen, es funktioniere nach dem Prinzip: jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem<br />
nach seinen Leistungen. In diesem Zusammenhang verschwimmt <strong>das</strong> Mindesteinkommen<br />
zum Durchschnittslohn als Regelungsprinzip <strong>für</strong> alle Arbeits-<br />
DAS ARGUMENT 174/1989 ©