das argument 175 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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188 Frigga Haug<br />
bleibt. Und <strong>das</strong> war schon ziemlich lange so. Sozialhilfesatz 418 DM sage ich da nur. Das ist<br />
echt nix, neo Und 5000 DM, <strong>das</strong> sind utopische Summen gleich, da müßte ich 10 Monate warten<br />
bis ich 5000 DM zusammen habe und dürfte keinen Pfennig davon ausgeben, neo Und dann<br />
habe ich nicht mal 5000.«<br />
Dazwischen versuchen die einzelnen, ihre Vorstellungen von einer gerechten<br />
Gesellschaft darzutun: Lohn soll streng nach Leistung bestimmt werden und<br />
außerordentlich differenziert ausfallen. Zunächst wollen sie Lohnkürzungen.<br />
Das Problem der Durchsetzung solcher Pläne wirft sie zurück in den Zorn über<br />
»die da oben«. Das Arbeitslosigkeitsproblem wird als eines der Verteilung von<br />
Geld zur Existenzsicherung gesehen. Lafontaine wird erfahren als Schwätzer,<br />
der leichtfertig Hoffnungen weckt. Da sie seine Thesen nicht kennen und unsere<br />
Vorgaben nur ungenügend zur Kenntnis nehmen, glauben sie zudem, er wolle die<br />
Gewinne der Unternehmer umverteilen. Am Ende begreift einer:<br />
»Halt. Ich bin erst jetzt während der Diskussion hinter dieses Thema gestiegen, und ich denke,<br />
es ist eine große Schweinerei, wenn der Arbeiter den anderen Arbeiter unterstützen soll, wenn<br />
der erste auf Lohnverzicht eingeht und seinem zweiten Kollegen, der arbeitslos ist, mit der<br />
Hälfte seines Gehalts 'ne Arbeitsstelle freimacht. ( ... ) Aber andererseits sind 5000 DM auch<br />
wieder viel zu viel. Oh, Mann, <strong>das</strong> ist echt unmöglich.«<br />
Es dämmert ihnen, daß es der Maßstab der Gerechtigkeit ist, der sie in Widersprüche<br />
bringt, ungerecht ist beides, der Lohn über 5000 DM und die Umverteilung<br />
der Lasten unter den Arbeitenden.<br />
Die Arbeitslosen aus einer Arbeitsloseninitiative - drei Männer zwischen 24<br />
und 45 Jahren, ein Lehrer, ein Kaufmann, ein Jungfilmer - äußern Gefühle der<br />
Ohnmacht.<br />
»Das ist ja die richtige Solidarität, aber <strong>das</strong> gibt es nicht. Diese eingesparten Beträge gehen<br />
dem Unternehmer im Gewinn zu und nicht den Arbeitslosen, bin ich fest der Meinung. Denn<br />
die Macht der Unternehmer ist so gewaltig, daß sie sich die Menschen, die Ware Mensch, heute<br />
aussuchen können zu welchem Preis auch immer.«<br />
Ein Lohnverzicht erniedrige den Arbeitnehmer; die Arbeitszeitverkürzung bringe<br />
<strong>für</strong> die Arbeitslosen nichts; die Firmen gingen ins Ausland, heuerten dort billige<br />
Arbeitskräfte an. Das Wenige, <strong>das</strong> den Höherverdienenden abgenommen<br />
werde, verschwinde, soweit es nicht direkt den Gewinnen zugeschrieben werde,<br />
in den Armen der Bürokratie. Zudem trüge eine solche Lösung zwischen den Arbeitnehmern<br />
zum Haß untereinander bei und nütze nochmals den Unternehmern.<br />
Die Positionen ändern sich während des Gesprächs nicht, <strong>das</strong> fast die<br />
Form von Verlautbarungen hat. Nur der Jungfilmer findet von Anfang an Gefallen<br />
am Vorschlag, hält ihn <strong>für</strong> einen Beitrag zur Solidarität, zur Hebung eines<br />
Gemeinschaftsbewußtseins, <strong>für</strong>chtet aber ebenso die Macht der Unternehmer.<br />
In der Hausjrauengruppe diskutieren drei ehemalige Kauffrauen zwischen 30<br />
und 40 Jahren. Zusammen haben sie 7 kleine Kinder. Zwei »arbeiten« nebenher<br />
noch 10 bis 15 Stunden in der Woche als Kellnerin, als Schneiderin. Zwei besuchen<br />
einen Hauswirtschaftskurs. Zunächst sind sie mißtrauisch gegen unsere<br />
Zahlen über <strong>das</strong> Verhältnis von Lohnzuwachs und Unternehmergewinn: »Also<br />
ich weiß jetzt nicht, in welchem Unternehmen <strong>das</strong> ist, <strong>das</strong> sind jetzt nur Zahlen<br />
hier«, sagt eine. Nach der Auskunft, daß es sich um Durchschnittswerte handele,<br />
äußert eine andere: »Das ist natürlich sehr ungerecht.« Unternehmer scheinen<br />
DAS ARGUMENT 174/1989 ©