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das argument 175 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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170<br />

Helga Königsdorf<br />

Kirchgang*<br />

Niemand, nicht einmal ich selbst, hätte so etwas von mir erwartet, da ich als ruhig<br />

und zuverlässig galt und mich auch da<strong>für</strong> hielt. Mein Leben verlief in geordneten<br />

Bahnen. Zwar kam ich allmählich in die Jahre, in denen man sich darauf<br />

einstellen mußte, daß einem etwas Menschliches zustoßen konnte. Aber ich<br />

dachte nicht viel darüber nach. Und wenn mich solche Gedanken flüchtig streiften,<br />

waren diese Vorstellungen immer mit anständigen Krankheiten verbunden.<br />

Hätte mir jemand prophezeit, mein Verstand könnte - auch nur <strong>für</strong> einen Moment<br />

- aussetzen, wäre ich empört gewesen. Sorgfältig vermied ich alles, was<br />

einem untadeligen Lebenswandel entgegenstand. Das blieb nicht ohne Folgen.<br />

Mußte eine Funktion besetzt werden, verfiel man mit Sicherheit zuerst auf mich.<br />

Mitunter fand ich <strong>das</strong> lästig und versäumte nicht, mich in geziemender Weise zu<br />

beklagen. In Wirklichkeit erfüllte es mich aber auch mit Stolz.<br />

Ich habe kein Erklärung <strong>für</strong> jenen Anfall im Dezember. Rätselhaft ist mir, wieso<br />

die Erinnerung keinerlei Reue in mir erweckt. Ich empfinde sogar Vergnügen,<br />

ja eine sonderbare Befriedigung, wenn ich daran denke. Natürlich bin ich später<br />

von allen Seiten nach dem Motiv <strong>für</strong> meine Handlungsweise befragt worden. Ich<br />

begriff sofort, daß ich einen plausiblen Grund liefern mußte, wollte ich tiefergehendes<br />

Mißtrauen gegen mich abwenden. Zu meinem Erstaunen wurde meine<br />

Behauptung, der Streit um den Abwasch sei <strong>das</strong> auslösende Moment gewesen,<br />

bereitwillig akzeptiert. Dabei gehörten solche Auseinandersetzungen zu unserem<br />

normalen Familienalltag. Nein, <strong>das</strong> kann es nicht gewesen sein. Es mußte<br />

noch etwas anderes dahinterstecken. Der kurze Wortwechsel reicht jedenfalls <strong>für</strong><br />

eine Begründung nicht aus.<br />

Plötzlich hatte ich den schweren Hammer aus dem Werkzeugkasten in der<br />

Hand, stürmte schnurstracks zum Bad und begann die Toilette zu bearbeiten. Dabei<br />

setzte ich meine vollen Kräfte ein, und der Effekt war nicht unerheblich. Zuerst<br />

zersplitterte der Kunststoffdeckel. Eindrucksvoller gestaltete sich die Zertrümmerung<br />

des Porzellans. Scherben und Wassertropfen sprühten um mich.<br />

Ehe ich mich dem Waschbecken zuwenden konnte, packte mich mein Mann mit<br />

festem Griff von hinten, und der Hammer entglitt meinen Händen.<br />

Als mein Mann und mein Sohn sich einigermaßen gefußt hatten, bestanden sie<br />

darauf, mich in eine Nervenklinik zu bringen. Obwohl ich mich wieder vollkommen<br />

in Ordnung fühlte, wehrte ich mich nicht, denn ich stellte mir <strong>das</strong> Leben in<br />

einer Wohnung ohne Toilette kompliziert vor.<br />

Die Ärzte konnten nicht viel mit mir anfangen. Lediglich mein Drang, recht<br />

bald wieder meiner Arbeit nachzugehen, reizte ihren Widerspruchsgeist. Sie<br />

verordneten mir autogenes Training und einige Wochen häuslicher Ruhe. Das<br />

war <strong>das</strong> letzte, was ich vertragen konnte. Ich hatte regelrecht Angst davor. Ich<br />

ignorierte die Krankschreibung, ging wie immer in meinen Betrieb und besuchte<br />

auch eine Tagung, die <strong>für</strong> mein Fachgebiet wichtig war. Als jedoch Krank-<br />

* Aus: Helga Königsdorf, Die geschlossenen Türen am Abend. Erzählungen.<br />

Luchterhand Literaturverlag, Frankfurt/M. 1989<br />

DAS ARGUMENT 174/1989 ©

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