Flower-Power. In ihren performativ angelegten Werken arbeitet die Künstlerin Elisabeth von Samsonow auch mit Mythen und Ritualen. Fotos: Schreibtisch der Anthropologin, <strong>2020</strong> Astrid Bartl; eSeL.at/Lorenz Seidler;; 30 <strong>Kulturmagazin</strong>
Geheimnisse von Kunst und Alltag Unter dem Motto „Living Rituals“ erschließt die Vienna Art Week einmal mehr neue Wege der Kunstvermittlung und -präsentation. Text: Johanna Hofleitner Die bevorstehende Vienna Art Week hat diesmal „Living Rituals“ als Motto auf ihre Fahnen geschrieben. Dabei ist die Kunstwoche, die <strong>2020</strong> zum <strong>16</strong>. Mal stattfindet, inerster Linie selbst ein Ritual. Mit ihrem geballten Programm aus Talks, Screenings, Touren, Panels, Performances und dergleichen ist sie ebenso ein fixer Teil des Kunstjahres, wie Ostern oder Weihnachten zum bürgerlichen Kalender gehören –einzig, dass es in diesem Jahr mit der Selbstverständlichkeit nicht ganz so weit her ist. „Im März haben wir uns schon kurz gefragt, ob wir das Ganze überhaupt durchführen können“, sagtVienna-Art- Week-Chef Robert Punkenhofer. Der umtriebige Kulturmanager, Networker, Kunst- und Ideensammler, Entrepreneur, Designliebhaber und bis2017Wirtschaftsdelegierte in Barcelona hatte die Kunstwoche 2004 ins Leben gerufen und seitdem als Mastermind von einer anfänglich sehr elitären Veranstaltung in Richtung eines offenen Formats entwickelt. „Uns war schnell klar: Wir wollen das auch in diesem Jahr machen.“ Kein Mangel an Ideen. Das durch den Lockdown notwendig gewordene Umdenken in Richtung Digitalisierung auf allen Ebenen (was in vielen Bereichen als Sprung ins kalteWasser erlebt wurde) hatte die Vienna Art Week bereits vorbereitet durch eine digitale Plattform, auf der seit Herbst 2019 laufend Content geliefertwurde. Auch an Leitmotiven und Slogans bestand kein Mangel. Was inVor-Corona-Zeiten als „Vienna ArtWeekYearAround“programmiertworden war, wurdeimKrisenjahr <strong>2020</strong> zur Durchhalteparole umgepolt: „Vienna Art Week in Times ofCrisis“. So konntevon Anfang an digital geplant werden –bis hin zur Möglichkeit der digitalen Durchführung von Veranstaltungen –eine Option, die angesichts beschränkter Teilnehmerzahlen wohl oder übel zumindest mitgedacht werden muss. Vor diesem Hintergrund war es auch mehr als logisch, für diese Ausgabe insbesondere Künstlerinnen und Künstler, Akteurinnen und Akteure Studio-Flair. Während der Open Studio Daysgewähren rund <strong>10</strong>0 Künstlerinnen und Künstler Einblicke hinter die Kulissen ihres Schaffens. „Der ritualisierte Körper isteine prunkvolle Bühne, in die sich Geheimnisse und Gottheiten einschreiben.“ Byung-Chul Han in den Blick zu nehmen, die in Wien leben und arbeiten – ein Appell, der auch an die Programmpartner weitergegeben wurde. Think global, act local sozusagen, neu gedacht. Lebendige Rituale. „Living Rituals“ also. Das Leitthema impliziert gleichermaßen ein Plädoyer dafür, Rituale zu leben, wie auch die Intention, den Fokus auf lebendige Rituale zu legen. Pate stand dafür der koreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han mit seinem Essay „Vom Verschwinden der Rituale“, in dem er sich für eine Rehabilitierung des Begriffs nicht zuletzt auch in einem lebensästhetischen Sinn einsetzt: „Der ritualisierte Körper ist eine prunkvolle Bühne, in die sich Geheimnisse und Gottheiten einschreiben“, schreibt er. Die Art Week denkt nundas Ritual gewissermaßen fort –ineinem vorrangig zeitgenössischen, allgemeinen und philosophischen Sinn: als nicht nur, aber auch strukturgebender Bestandteil desLebens, vomAlltag biszur Kunst: vonder Morgentoilette über die Zigarette danach bis zuBegrüßungsritualen, neumodische wie der Wuhan-Shake oder der Thai-Gruß miteingeschlossen; vom Mund-Nasen- Schutzgar nicht zu reden. Um zur Kunst zurückzukehren: Auch Künstler haben Rituale. Allein der Gang ins Atelier selbst leitet ein Ritual ein: Sich tagaus, tagein der Kunst hinzugeben. Der Zeichner Klaus Mosettig treibt es weiter, indem er, kaum dass er sein Atelier betritt,allmorgendlich unzähligeBleistifte spitzt.Oft wohnen auch der Kunst selbst rituelle Formen inne –imFall desMalersRobertSchaberl zum Beispiel der Kreisel, an dem er sich in konzentrisch-abstrakten Bildern seit Jahrzehnten in immer neuen Formatenund Farbvariationen abarbeitet. Die Künstlerphilosophin Elisabeth von Samsonow wiederum bringt das Thema in all seiner Schönheit und Selbstbezüglichkeit aufs Tapet,wenn sie sich selbst als Subjekt ins Zentrum des „Schreibtischs der Anthropologin“ setzt. Für Hermann Nitsch schließlich stehen Rituale per se im Zentrum seines Lebenswerks „Orgien-Mysterien-Theater“. Solchen und noch viel mehr Zugängen spürt die Vienna Art Week nach. Acht Tage lang legt sie Fährten, knüpft Netze, stellt Kontexte her – und gibt dem Ritual so eine Bühne. Eine solche hat sich in letzter Minute buchstäblich mit der Zwischennutzung eines abbruchreifen Einfamilienhauses aus den Sechzigern in einem verwunschenen Garten ander Simmeringer Hauptstraße aufgetan. Auf zwei Etagen werden rund ein Dutzend Künstlerinnen und Künstler mit Videos, Installationen und anderen ortsspezifischen Arbeiten den Ritualen des Alltags auf den Zahn fühlen, denen ein solches Haus gleichsam als Stellvertreter für alle Häuser Raum gibt: Vom Keller bis zum Dach, Wohnzimmer bis zum Schlafzimmer, Kinderzimmer bis zum Bad geben sie eine durch und durch künstlerische Replik auf Byung-Chul Hans prunkvolle Bühne und deren Geheimnisse. e <strong>Kulturmagazin</strong> 31