Milieuporträtismus. „Schwitzkasten“ von John Cook zeigt ein Arbeiterleben. Die Wiege des Austroautorenfilms Die Anfänge des österreichischen Autorenkinos waren kein Zuckerschlecken. Bei der diesjährigen Viennale kann man die Früchte des Zorns seiner Vorreiter sichten. Text: Andrey Arnold Fotos: Viennale 80 <strong>Kulturmagazin</strong>
Österreich ist stolz auf sein Autorenkino. Auf das Wichtig-Wuchtige, das bei A-Festivals Preise abräumt. Und auf das Termitenhafte, das heimlich im Unterholz wurlt: Die eigenwilligen Dokus und schillernden Avantgardepreziosen, die hierzulande sprießen wie die Eierschwammerl. Ob diese bemerkenswert „lebendige Filmkultur“, mit der sich die Politik gerne brüstet, wirklich ausreichend unterstützt wird? Das steht auf einem anderen Blatt. Aber stolz? Stolz istman allemal. Das war nicht immer so. Während die offizielle Anerkennung und Förderung des Films als künstlerische Ausdrucksform jenseits rein kommerzieller (oder staatstragender) Interessen in Ländern wie Italien, Frankreich und Deutschland schon in den 1960ern einsetzte, dauerte es in hiesigen Gefilden etwas länger. Erst einmal musste der Hut brennen. Und das war spätestens 1970 der Fall. „Der kommerzielle österreichische Film lag am Boden“, notiert Florian Widegger, Kurator der Filmarchiv-Retrospektive „AustrianAuteurs“, die bei der diesjährigen Viennale ein Schlaglicht aufeine vergessene Ära heimischen Kunstfilmschaffens wirft. „Heimatfilme, mit denen man in der Nachkriegszeit viel Geld verdienen konnte, zogen nicht mehr –auch aufgrund des Konkurrenzmediums Fernsehen, das sich unter dem ORF-Intendanten Gerd Bacher erstaunliche Freiheiten erlaubte.“ Frischzellenkur. Freiheiten, die der Lichtspielproduktion in der Regel versagt blieben. Und die auf angehende Filmschaffende immer verlockender wirkten: Bilderstürmerische „Neue Wellen“ waren geradedabei,die Leinwände europäischer Programmkinos durchzuwalken. Auch wagemutige Miniaturen werdender Austrokunstkinolegenden wie Peter Kubelka und Valie Export erregten erstes internationales Aufsehen. Die Vorstellung, dass eine enthemmende Frischzellenkur auch der darbenden Ösifilmindustrie gut tun könnte, schien plötzlich nicht mehr so abwegig.Auch aus diesem Grund setzte esseitens der SPÖ-Alleinregierung erste Impulse in Richtung einer ernst zu nehmenden Filmförderung. Doch schon bevor diese Bestrebungen 1980 in Form eines Filmfördergesetzes provisorische Früchte trugen, hatte sich eine Handvoll inspirierter Außenseiter an unkonventionellen Laufbildarbeitenversucht,deren persönliche Handschrift und Welthaltigkeit bis heute berückt. Und die ohne große Übertreibung als opferbereite Vorreiter der heimischen Autorenfilmidee bezeichnet werden können. Viele von ihnen waren als Filmemacher unbeleckt, kamen aus anderen künstlerischen Zusammenhängen. Und hatten, wie man heute sagen Heimatfilme, mit denen man in der Nachkriegszeit viel Geld verdienen konnte, zogennicht mehr. würde, Migrationshintergrund. Der Autodidakt John Cook war Fotograf: Aus Kanada verschlug es ihn via Frankreich nach Österreich. Der gebürtigeAserbaidschaner Mansur Madavibegann seine Laufbahn an der Akademie der bildenden Künste. DergriechischstämmigeAntonisLepeniotis kam vomTheater. Vielleicht waresgerade diese doppelte Außenperspektive, die dem Filmschaffen dieser Quereinsteiger eine visionäre Note verlieh. Jedenfalls fasste esdas „Österreichische“ oft eindringlicher als manch ein Erzeugnis autochthoner Kollegen. Nicht zuletzt, weil es bereit war, wunde Punkte inden Blick zu nehmen –und ästhetische Akzentezusetzen. Ungschamige Lockerheit. Mansur Madavis„Die glücklichen Minuten des Georg Hauser“ (1974) wirkt aus heutiger Sicht etwa wie eine Blaupause jener präzis abgezirkelten Sittengemälde mit sozialkritischem Einschlag, die mittlerweile zum nahezu abgenudelten Markenzeichen des heimischen Festivalkinos geworden sind. Da kann man einem braven Durchschnittsbürger dabei zusehen, wie er von seinem monotonen (Arbeits-)Alltag in Wahnsinn und Zerstörungswut getrieben wird. Gesprochen wird wenig, umso ausdrucksstärker ist die unterkühlte Bildsprache. „Schwitzkasten“ von John Cook (1978) besticht indes mit einer ungschamigen Lockerheit, die ihresgleichen sucht. Die rohe Bummelantenpoesie von Cooks Spielfilmdebüt „Langsamer Sommer“ (1974) weicht hier zwar einem bekömmlicheren Milieuporträtismus, doch die Erzählung hat immer noch keine richtige Zielsetzung, folgt schlicht den Versuchen der Hauptfigur Hermann, ein lebenswertes Auskommen als Arbeiter in Wien zu finden. Sie skizziert seine familiären Probleme und brüchigen Liebschaften, ohne die Perspektiven und Lebensbedingungen der zahlreichen Nebenfiguren auszublenden. Tonfall und Gebaren wirkendabei durchweg authentisch, weil zwanglos und unverblümt – gleichwohl sich Cook über die parasitären Praktiken „engagierter Künstler“ lustig macht, die ihre Produkte mit proletarischem Kolorit aufwerten. Neben „Georg Hauser“ mutet „Schwitzkasten“ mit seinem Humor und den oft luftig-lauen Stadtkulissen zwar wie ein regelrechtes Freudenfest an; hinsichtlich Güte und Gerechtigkeit heimischer Verhältnisse macht er sich aber keine Illusionen. Auch das Werk Antonis Lepeniotis’ hält mit kritischen Ansichten nicht hinterm Berg. Ein Grund, warum die genannten Filme weder beim Publikum noch bei potenziellen Geldgebern übermäßigen Anklang fanden. Dafür unterstützen sich ihre Urheber gegenseitig: „Viele der Filmemacher, deren Arbeiten wir zeigen, kannten sich untereinander“, so Widegger. „Achtet man auf die <strong>Kulturmagazin</strong> 81 »