Keine Übersetzung ins Heute nötig Mozart hat Hochkonjunktur: Alfred Dorfer inszeniert den „Figaro“, ander Staatsoper gibt man die „Entführung aus dem Serail“, das Burgtheater dekonstruiert die „Zauberflöte“. Text: Barbara Petsch Porträts: Christine Ebenthal Erster Zuschauer. So sieht sich Kabarettist Alfred Dorfer als Opernregisseur in „dienernder Funktion“. Illustration: Fredrik Floen 70 <strong>Kulturmagazin</strong>
Mozart wird immer wieder neu entdeckt, verjazzt, vertanzt, verfremdet. Nun gibt es wieder ungewöhnliche Annäherungen: Kabarettist Alfred Dorfer inszeniertimTheater an der Wien „Figaros Hochzeit“. Das Burgtheater will der „Zauberflöte“ das Märchen austreiben. Und „Die Entführung aus dem Serail“ inder Regie von Provokateur Hans Neuenfels ist inder Staatsoper zu erleben. Das „<strong>Kulturmagazin</strong>“ sprach mit Dorfer und dem Staatsopern-„Bassa Selim“Christian Nickel über die Faszination Mozart. Zunächst zum Praktischen, wie kommt ein Opernintendant wie Roland Geyer, Intendant im Theater ander Wien, überhaupt auf einen Kabarettisten als Regisseur? „Ich war schon überrascht“, erzählt Dorfer, „Ich selbst wäre nie auf die Idee gekommen oder hätte den Mut gehabt, zufragen, ob ich eine Oper inszenieren darf, obwohl ich ja seit 50 Jahren in die Oper gehe. Als Kind musste ich Klavier lernen –und somit bin ich wehrlos in die Klassik gerutscht. Ich bin in einem absolut klassikaffinen Haushalt aufgewachsen. In den Vorgenerationen meiner Familie mütterlicherseits gibt es eine Reihe von Geigern. Der ,Figaro‘ war die Musik meiner Kindheit. Es ist eine seltsame Koinzidenz, dass ich jetzt mit fast sechzig Jahren gerade diese Oper herausbringe.“ Zunächst wusste Dorfer gar nicht, was ein Regisseur überhaupt tun soll im komplexen Operngebilde: „Ich habe gedacht,ich bin dafür verantwortlich, dass die Sängerrichtig singen. Das warein Irrglaube.“ Hat ergleich ja gesagt bei Geyers Angebot? Dorfer: „Ich kann zwar Partituren lesen, aber ich habe sehr lang gezögert, mich auf dieses Engagement einzulassen, bis mir bewusst wurde, welcher Glücksfall das für mich ist, ob auch für die anderen, das wirdman sehen.“ Was ist für Dorfer wichtig an diesem Werk? „Der ,Figaro‘ ist eines jener Stücke, die keine Übersetzung ins Heute brauchen“, erläutert Dorfer: „In ihren zwischenmenschlichen Beziehungen verhalten sich die Menschen von damals genauso wie jetzt. Diese Oper hat einen Anstrich von Commedia dell’Arte. Die ewigen Verwechslungen sind witzig, aber auch wieder nicht zu lustig, insofern ist der ,Figaro‘ eine Komödie im besten Sinne. Und erwar auch ein Revolutionsstück, was heute gern betont wird.“ Für bildstarke Performancesmit Musik, auch Pop,ist das Hamburger Kommando Himmelfahrtbekannt. TiereinMenschengestalt. Entwürfefür die „Zauberflöte“, eine Extravaganza nach Mozart mit Apparaten und Projektionen, die im Burgtheater uraufgeführt wird. Kostüme: Frederik Floen. ihn? „Vermutlich war erein bisschen wie Galileo Galilei, er hat den Konflikt gesucht“, meint Dorfer: „Es hat ihm Spaß gemacht,mit Lorenzo Da PonteProvokantes auszuhecken. Kaiser Josef II. war dabei durchaus ein Partner für ihn. Mozart wollte Adelige ärgern, nach dem Motto: Schauen wir einmal, wie weit man gehen kann.“ Ist es möglich, dass ein Mann, der eine Frau küsst, tatsächlich nicht erkennt, dass sie seine eigene Gattin ist? Dorfer grinst: „Realistisch und trocken gesagt ist es schwer vorstellbar, außer der Mann hat bewusstseinsverändernde Substanzen zu sich genommen oder er sieht schlecht. Ich glaube, Mozart wollte den Grafen noch ein bisschen mehr desavouieren, und dass der Graf seine Frau küsst, die er für Susanna hält,war dasspielerische Mittel dafür. Es geht hier um amouröse Versessenheit, die kann einen schon zu allerhand verleiten. Der Graf hat jaauch eine Schwäche für ganz jungeFrauen, etwa für Barbarina.“ Ist das nicht bei allen Männern so?Dorfer:„Beimir nicht, und ich bin sehr froh darüber.“ Ist er aufgeregt? „Es fühlt sich vermutlich an wie für einen Fußballtrainer. Ab einem gewissen Zeitpunkt kann man nicht mehr eingreifen“, sagt Dorfer. Wird eretwas ganz anders machen als andere Opernregisseure? „Ich möchte die Darsteller absolut in den Mittelpunkt rücken und nicht das Konzept“, betont Dorfer:„Außerdem will ich nah am Libretto bleiben, denn es gibt für mein Dafürhalten etwaszuviele dumme Ideen im Musiktheater.“ Er selbst sehe sich als „ersten Zuschauer“: „Der Regisseur im Musiktheater hat eine dienende, sogar servile Funktion“, ist Dorfer überzeugt. Die Vorbereitung dieses „Figaro“ war wegen Corona nicht einfach, es mussten drei verschiedene Versionen, auch gekürzte, erarbeitet werden. Hat eresje bereut, sich auf das Projekt eingelassen zu haben? „Oh nein!“, strahlt Dorfer: „Ich inszeniere ,Figaros Hochzeit‘, eine der schönsten Opern, in einem der wunderbarsten Theater! Das ist wie ein Traum!“ Wer wäre er selbst gern im „Figaro“. Dorfer: „Zu meiner komischen Seite würde der Basilio passen, dieses Geknechtete, Geschraubte, Verhärmte, Intrigante ist sehr wienerisch. Ich bin ja selbst Wiener, also ist eskein Rassismus, wenn ich das sage.“ Bassas Bauchproblem. Schauplatzwechsel in die Staatsoper, woHans Neuenfels seine Inszenierung der Provokateur Mozart. Der Graf bedient sich alter feudalistischer Praktiken, er will das Ius Primae Noctis wieder einführen, das Recht auf die erste Nacht: Der Feudalherr darf Frauen vor der „Entführung aus dem Serail“ zeigt, die seinerzeit in Stuttgart einen Skandal hervorrief. Christian Nickel spielt den Bassa Selim, wie kam die Wahl auf ihn als europäischer „Sir“ für Hochzeitsnacht entjungfern, sprich einen Geschäftsmann in der Türkei? vergewaltigen, das erscheint barbarisch. Dorfer: „Ja. Aber: Das war zu Nickel: „Der Bassa ist hier nicht über das Klischee besetzt. Man sagt mir Mozarts Zeiten schon ironisch allerdings, er muss einen Bauch gemeint. Der Graf ist einfach in die Zofe Susanna verliebt und hofft auf das Recht auf die erste Nacht. Doch Mozart benützt diesen Kniff, umden Affront des Stücks gegen den Adel zu verstärken. Darum sind die Leute in haben. Den habe ich –seit Corona. Die Biografie des Bassa Selim ist ein wenig schleierhaft. Erist vom Christentum zum Islam konvertiert, ein Grenzgänger zwischen den Kulturen. Inzwischen ist er im moslemischen der Wiener Premiere reihenweise aus Glauben verwurzelt. Mozart greift dem Theatergegangen.“ Wie war Mozart? Wie sieht Dorfer gängige Bilder über die Türkei auf, die ja zu dieser Zeit aus hiesiger Sicht » <strong>Kulturmagazin</strong> 71