Signifikante Stimme. Ella Fitzgerald ist das gesangliche Vorbild von Anna B. Savage. „Sexualität ist Konversation“ Anna B. Savage wuchs mit Mozart-Arien auf und singt über Masturbation. ImNovember kommt sie nach Wien, 2021 erscheint ihr erstes Album. Interview: Samir H. Köck Fotos: Ebru Yildiz 58 <strong>Kulturmagazin</strong>
Die britische Musikerin Anna B. Savage kam nach Jahren des Herumirrens auf dem deutschen Label City Slang unter. Im Jänner 2021 erscheint ihr erstes Album „A Common Turn“. Mit dunkler Stimme geistert sie zwischen Melancholie und Aufbruch herum. Im November gastiert sie, die auf ihrem neuen Song „Chelsea Hotel #3“ das Tabuthema weibliche Masturbation behandelt, beim Wiener „Blue Bird Festival“ im Porgy &Bess. Ist Ihr Künstlername Anna B. Savage (zu Deutsch: Anna sei wild) auchgleichkünstlerisches Programm? Ich denke schon. Nur eine Kleinigkeit noch: Es ist tatsächlich mein Name. Nichts Ausgedachtes. Wenn man schon soeinen Namen trägt, dann sollteman ihm auch gerecht werden. Wie haben Sie die Musik als Möglichkeit eigenen Ausdrucks erkannt? Meine Eltern sind beide Opernsänger. Musik war immer bei uns präsent. Wahrscheinlich ist meine früheste musikalische Erinnerung die Arie der Königin der Nacht aus Mozarts „Zauberflöte“. Damals schlief ich noch im Gitterbett. Gabesaußer klassischerMusik nochandereFormen, die Sie als Kind kennenlernten? Der allergrößte Teil der Musik, der ich als Kind ausgesetzt war, war Klassik. Mozart-Opern waren meine größte Freude. Besonders hatte esmir „Figaros Hochzeit“ angetan. Daneben gab es noch Jazz und die Beatles. Im Familienkreis lief auch Ella Fitzgerald und Nat King Cole. Meine Geschwister sind um einiges älter als ich. Sie entwickelten ihren eigenen Musikgeschmack,der auch auf mich abfärbte. Bei meinem Bruder hörte ich Radiohead und Nick Drake, bei meiner Schwester Stevie Wonder und India Arie. Sie haben eine sehr signifikante Stimme. Hatten Sie jemals ein gesangliches Vorbild? Das war sicher Ella Fitzgerald. Ich habe sehr viele Stunden zu den Schallplatten gesungen und wohl auch versucht, sie zu kopieren. Ihr Timing ist unerreicht. Und da war soeine Leichtigkeit und Würde inihrem Gesang. Aber ihre Kunst war entschieden fröhlicher als das, was Sie machen. Wiegehtdas zusammen? Ich weiß es auch nicht genau. Vielleicht kommt meine Vorliebe für das Düsterevon derOper. In welchemTeilvon London wuchsen Sie eigentlichauf? In Crouch End, also Nord-London. Es istbeinah idyllisch. Aber der Jazz spielt sich inLondon, sieht man von Soho ab, in Ost-London ab. Sie haben vor ein paar Jahren ein Livealbum im berühmten Cafe Oto aufgenommen. Wiekam das? Ich durfte das Vorprogramm eines Konzerts der norwegischen Sängerin Jenny Hval bestreiten. Der Toningenieur des Clubs stellte sich als Freund meines Tourmanagers heraus. Und sofragte er mich, ob er aufnehmen solle. Im Zweifel warenwir dafür.AmEnde fanden wir die Aufnahmen gut und veröffentlichten sie als EP auf Vinyl. Es war interesssant für mich, die Stücke soabgespeckt zu hören. NurGitarreund meine Stimme. Was hat Sie zu dem darauf enthaltenen Song „Also Human“ inspiriert? Das Lied handelt von einer meiner besten Freundinnen, die den Hang zur Einzelgängerin hat. Es ist ein Song über Unsicherheit. Schwächen gehören für mich zum Menschsein. Es ist eine Art Liebeslied an sie. Sie bereiten gerade Ihr leicht verspätetesDebütalbum vor. Welche Schritte ziehen Sie in Erwägung? Das ist derzeit eine Art Millionen-Dollar-Frage. Die Pandemie macht längerfristigePlanung fast unmög- Tipp Blue BirdFestival. Vom 19.bis 21. November <strong>2020</strong> im Porgy&Bess. Mit Anna B. Savage,Garish, Alicia Edelweiss, Konni Kass, ThisIsthe Kit. lich. Die Veröffentlichung wurde jetzt einmal verschoben. Mein ästhetisches Ziel war auf jeden Fall, ein Album zu machen, das mit jedem Hördurchgang wächst. So richtig radiotauglich ist meine Musik nicht. Dafällt dann schon viel weg, was Marketingstrategien anbelangt. WiehabenSie denCovid-19-Lockdown verbracht? Ich war in Bristol, wo meine Geschwister leben. Ich fand es ziemlich schwierig, die ganze Zeit so unabgelenkt von mir selbst zu sein. Und soversuchte ich ein bisschen etwas zulernen, schaute mir ein paar YouTube-Masterclasses an. Viel gelesen habe ich. Und natürlich Songs geschrieben. Ich war nicht krank und habe das Beste daraus gemacht. Wird das Lied „Dead Pursuits“ Teil Ihres Albums sein? Und worumgehtesda? Es ist mein Lamento auf die Musikindustrie. Was ich nicht alles probiert habe, ohne dass etwas passiert ist. Das Komponieren ist nur die eine Seite. Wesentlich schwieriger ist es, Leute inder Industrie dazu zu bringen, deine Songs anzuhören. Umso besser fühlt es sich jetzt an, dass ich endlich ein Label gefunden habe. Sie litten eine Zeit lang auch unter einer Schreibhemmung. Wie habenSie diese überwunden? Das ging einige Jahre so. Als Hauptgrund entpuppte sich schließlich eine ziemlich toxische Beziehung. Sobald ich da raus war, ging es bergauf. Ich hangelte mich entlang von Coverversionen wieder zurück zur eigenen Kreativität. Die Lieder anderer öffneten mich wieder. Zusätzlich las ich viele Romane und Gedichtbände. Das lockerte mich. Favorisieren Sie eine bestimmte Dekade in der Popmusikhistorie? Es ist nicht leicht. Ich bin ein Kind der 1990er-Jahre. Wahrscheinlich sind es ohnehin die Neunziger mit Radiohead und Jeff Buckley. Grungeund Emo sind die Strömungen, die mich wohl am meisten geprägt haben. Wasist IhreDefinition eines gutenSongs? Diesbezüglich bin ich gespalten. Als Tochter eines Opernsängerpaars will ich, dass ein Lied interessant ist. Der andere Teil von mir will schlicht beim Hören etwas fühlen. In meiner Musik will ich diese beiden Teile meines Ichs zusammenführen. Ist einegewisse Perfektion wichtig? Keinesfalls. Für mich wenigstens nicht.ImGegenteil. Ichhabe mich lange Zeit damit herumgeschlagen zu glauben, dass ich nicht gut genug sei. Der Feind alles Kreativen ist für mich der Glaube an Perfektion. Einer Ihrer neuen Songs, „Chelsea Hotel #3“, steht in gewisser Beziehung zuLeonard Cohens „Chelsea Hotel #2“. Wie kommt das? Angeregt von dem Roman „I Love Dick“ von Chris Kraus wollte ich einen Song über weibliche Selbstbefriedigung schreiben, als ich dieses Cohen-Lied zu Gehör bekam. Mir gefiel die saloppe Art, wie Cohen über seine sexuelle Begegnung mit Janis Joplin berichtet. Inmeinem Song geht es darum, das einzementierte Verhältnis von Muse und Künstler umzukehren. Es ödet mich an, dass Musen immer Frauen sein müssen. Es kann doch genauso gut andersrum sein. Sehen Sie Verbesserungen im Verhältnis von Frauen und Männern in denletzten Jahren? Ja, auf jeden Fall. Die Menschen sind mittlerweile viel eher bereit, nicht nur mit ihrem Partner über alles zusprechen. Basis einer guten Beziehung ist exzellente Konversation. Sexualität ist jaauch eine Form von Konversation. Das verstehen mittlerweile viel mehr Menschen. Wie ich hoffe, auch außerhalb meiner digitalen Echokammer... e <strong>Kulturmagazin</strong> 59