Wirtschaft in Sachsen Herbst 2020
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WIRTSCHAFT IN SACHSEN | ENTSCHEIDER &KARRIERE<br />
12<br />
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E<strong>in</strong> Ideen-Hafen für die Lausitz<br />
Rolf Kuhn war Chef der IBA, die der Region Impulse geben sollte. Nicht alle wirkten.<br />
Von Irmela Hennig<br />
Dubrauchst ke<strong>in</strong>e Angst zu haben.<br />
Die nehmen mich bestimmt<br />
nicht“, hatte Rolf Kuhn<br />
am Abend noch zu se<strong>in</strong>er Frau Tamara<br />
gesagt. Doch amnächsten Morgen um 8<br />
Uhr kl<strong>in</strong>gelte das Telefon. Und der promovierte<br />
Fachmann für Gebietsplanung<br />
und Städtebau mit Professorenrang bekam<br />
die Information: „Wir haben uns<br />
e<strong>in</strong>deutig für Sie entschieden.“ Für den<br />
damals 51-Jährigen war das e<strong>in</strong>e große<br />
Überraschung. Wollte er doch alles anders<br />
haben, als es die Stellenausschreibung<br />
für den leitenden Vorbereiter e<strong>in</strong>er<br />
Internationalen Bauausstellung (IBA) <strong>in</strong><br />
der Lausitz hergegeben hatte. Ermochte<br />
„gleich von Beg<strong>in</strong>n an mit Projekten<br />
überzeugen“.Und er wünschte sich nicht<br />
nur e<strong>in</strong>e auf zwei Jahre befristete Stelle<br />
für dieVorarbeit. Sondernwenn,dannalles<br />
–vor allem die Geschäftsführung e<strong>in</strong>er<br />
noch zu gründenden IBA GmbH über<br />
vollezehnJahre,plus Nachbereitung.<br />
Immerh<strong>in</strong> hatte dergebürtige Thür<strong>in</strong>ger<br />
etwas zu riskieren: den sicheren Job<br />
als Direktor der „Stiftung Bauhaus Dessau“.<br />
„Ich hätte das wahrsche<strong>in</strong>lich bis<br />
zum Ruhestand machen können“, erzählt<br />
Rolf Kuhn, <strong>in</strong>zwischen 73Jahre alt<br />
und nun tatsächlich im(Un-)Ruhestand.<br />
Aber dem dreifachen Familienvater war<br />
auch klar: Erstens –e<strong>in</strong>e Arbeit wie des<br />
Bauhaus-Chefs macht man zehn Jahre<br />
und nicht viel länger, weil „sonst die<br />
Werkzeuge stumpf werden und der Kaffeesatz<br />
sich absetzt“, zitiert er se<strong>in</strong>en<br />
Freund, den früheren IBA-Emscher-Park-<br />
Chef Karl Ganser. Und diese zehn Jahre<br />
waren um. Dazu zweitens: „Wenn ich<br />
noch etwas Neues beg<strong>in</strong>nen möchte,<br />
dann jetzt“, so Rolf Kuhn. Das war auch<br />
se<strong>in</strong>er Frau, e<strong>in</strong>er Dolmetscher<strong>in</strong>, be-<br />
Der damalige Chef der Internationalen Bauausstellung (IBA), Prof. Rolf Kuhn. Die IBA „Fürst-PücklerLand“ lief von<br />
2000 bis 2010. Sie sollte für die Bergbauregion <strong>in</strong>Südbrandenburg Zukunftsideen liefern. Foto: RonaldBonss<br />
wusst. Sie unterstützte ihren Gatten eher<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vorhaben, als dass sie die erwähnte<br />
„Angst“ gehabt hätte. Mehr als 50<br />
Bewerber habe esfür den IBA-Posten Ende<br />
der 1990er Jahre gegeben. Da ihn das<br />
zuständige Vorbereitungskuratorium<br />
samt der Regionalen Planungsgeme<strong>in</strong>schaft,<br />
die Kuhn zunächst e<strong>in</strong>stellte, zu<br />
se<strong>in</strong>en Bed<strong>in</strong>gungen haben wollte, daer<br />
nur e<strong>in</strong>e Woche Bedenkzeit hatte und da<br />
man klarmachte: Entweder Sie sagen<br />
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jetztja, oder die Möglichkeit ist dauerhaft<br />
weg, e<strong>in</strong> Später gibt es nicht,sagte er zu.<br />
IBA–„e<strong>in</strong> <strong>in</strong> Deutschlande<strong>in</strong>gesetztes<br />
Instrument der Stadtplanung und des<br />
Städtebaus, um mit neuen Ideen undProjekten<br />
imsozialen, kulturellen und ökologischen<br />
Bereich Impulse zu setzen“, so<br />
def<strong>in</strong>iert e<strong>in</strong> Lexikon den Term<strong>in</strong>us. Auf<br />
e<strong>in</strong>er Zugfahrt hatte Rolf Kuhn die Ausschreibung<br />
für die Stelle <strong>in</strong> Brandenburg<br />
gelesen. „Ich kannte die Lausitz bis dah<strong>in</strong><br />
HÄNDLER<br />
AUFGEPASST!<br />
nur von Konferenzen <strong>in</strong> Cottbus und<br />
zwei Paddeltouren im Spreewald“, erzählt<br />
der Mann mit den dunklen Haaren<br />
und dem mittlerweile grauen Vollbart.<br />
Von Großräschen hatte er noch nie gehört.<br />
Doch hier sollte der e<strong>in</strong>stige Absolvent<br />
der Hochschule für Architektur und<br />
Bauwesen Weimar e<strong>in</strong>e Wohnung beziehen.<br />
In e<strong>in</strong>er Region, der viele nach dem<br />
wirtschaftlichen Zusammenbruch<strong>in</strong>folge<br />
der Wendeden Rücken kehrten.<br />
Die Lausitz sei e<strong>in</strong>e Region gewesen,<br />
für die die Menschen ke<strong>in</strong>e Hoffnung<br />
mehr hatten. Vorallem nicht mit Blick<br />
auf die Zukunft ihre K<strong>in</strong>der und Enkel.<br />
Rolf Kuhn <strong>in</strong>des hat se<strong>in</strong>e zwei Söhne<br />
und die Tochter –damals zwischen 16<br />
und25Jahrealt –genauhierhergebracht.<br />
Geblieben s<strong>in</strong>d sie aber nicht. Sie leben<br />
heute unter anderem imAllgäu und <strong>in</strong><br />
Glashütte bei Berl<strong>in</strong>. Samt den <strong>in</strong>zwischen<br />
drei Enkelk<strong>in</strong>dern. Rolf und Tamara<br />
Kuhn müssen fahren, wenn sie die Familie<br />
besuchen wollen. Denn sie selbst<br />
s<strong>in</strong>d nach dem Ende der IBA „Fürst-Pückler-Land“<br />
2010 nicht weggezogen. Nur<br />
e<strong>in</strong> paar Fußweg-M<strong>in</strong>uten vom IBA-Studierhaus,<br />
dem e<strong>in</strong>stigen IBA-Geschäftssitz,<br />
entfernt haben sie e<strong>in</strong>e ehemalige<br />
Apotheke ausgebaut. E<strong>in</strong>e Ru<strong>in</strong>e sei das<br />
gewesen. Für den jüngsten Sohn sei das<br />
e<strong>in</strong> Abenteuer gewesen. „Er wollte immer<br />
e<strong>in</strong> Haus mit mir bauen“, soRolf<br />
Kuhn. Heute ist der helle Kl<strong>in</strong>kerbau e<strong>in</strong><br />
efeu-beranktes Schmuckstück. So wie jedesder<br />
altenGebäudeimStraßenzug,die<br />
eigentlich dem Tagebau hätten weichen<br />
sollen. Aber wohl auch auf Drängen des<br />
Denkmalschutzes, wie Medien berichten,<br />
war hier Ende der 1990er plötzlich<br />
Schluss mit der Kohleförderung. Seitdem<br />
nimmt e<strong>in</strong> See samt Umfeld Gestalt an.<br />
Am „Wie“ hatte die IBA großen Anteil.<br />
Während e<strong>in</strong> fürden sächsischen Teil der<br />
Kohle-Lausitz angedachtes „Karl-May-<br />
Land“ nie umgesetzt wurde, s<strong>in</strong>d viele<br />
der 30Projekte aus der Internationalen<br />
Bauausstellung „Fürst-Pückler-Land“ Realität.Die<br />
F60, e<strong>in</strong>eehemalige Abraumförderbücke,<br />
der weltweit größte Koloss se<strong>in</strong>er<br />
Art, zieht als Erlebniszentrum <strong>in</strong><br />
Lichterfeld jährlich 70.000 Besucher an.<br />
Die Region Muskauer Faltenbogen ist<br />
Unesco-Geopark; der Muskauer Park ist<br />
als deutsch-polnisches Gartenkunstwerk<br />
zu erleben. Esgibt e<strong>in</strong>en Stadthafen <strong>in</strong><br />
Senftenberg. Doch nicht alle Vorhaben<br />
wurden realisiert. E<strong>in</strong> Lagunendorf am<br />
Sedlitzer See scheiterte am Ne<strong>in</strong> des<br />
Stadtrates. E<strong>in</strong> Landschaftskunstwerk<br />
und e<strong>in</strong> Steg für das Tagebaurestloch bei<br />
Altdöbern an e<strong>in</strong>er Rutschung. Über den<br />
fehlenden Mut <strong>in</strong> Sedlitz ärgert sich<br />
Kuhn bis heute. Für Altdöbern hat er<br />
noch Hoffnung.<br />
Wettbewerb zurkulturellenHeimat<br />
Wenn der Planer und Gestalter auf der<br />
Terrasse des IBA-Studierhauses <strong>in</strong> Großräschen<br />
steht, hat er das Werden im<br />
Blick. Er konnte <strong>in</strong>den letzten Jahren <strong>in</strong><br />
Echtzeit verfolgen, wie sich der ehemalige<br />
Tagebau Meuro nach und nach mit<br />
Wasser füllte.Wie am Rand der e<strong>in</strong>stigen<br />
Braunkohlegrube e<strong>in</strong> Ufer geformt und<br />
Schiffsanlegeplätze geschaffen wurden.<br />
Und wie mit quaderförmigen Gebäuden,<br />
Treppen und Schaukel-Bänken die IBA-<br />
Terrassen entstanden. Jene Promenade<br />
am Seeufer mit Bistro, Shop, Veranstaltungsangeboten,<br />
Raumvermietung. Künftig<br />
sollen dieTerrassen Teil e<strong>in</strong>es Campus<br />
werden, mit Co-Work<strong>in</strong>g-Space –geteilten<br />
Arbeitsmöglichkeiten –und Lernorten<br />
für junge Menschen. Sowünscht es<br />
sichGroßräschens Bürgermeister.<br />
Vielleicht wird das Studierhaus Teil<br />
dieses Campus. Organisiert als Vere<strong>in</strong><br />
und quasi als kle<strong>in</strong>er IBA-Nachfolger, bietet<br />
esStudierenden im ehemaligen Beamtenwohnhaus<br />
der „Ilse-Bergbau-Aktiengesellschaft“<br />
die Möglichkeit, sich mit<br />
Strukturwandel und anderen verwandten<br />
Themen zu beschäftigen. F<strong>in</strong>anziert<br />
wird das über die Beiträge der Vere<strong>in</strong>smitglieder,<br />
aber vor allem über Projektmittel,<br />
die Rolf Kuhn als Vorsitzender<br />
sucht und f<strong>in</strong>det. Gerade s<strong>in</strong>d es wieder<br />
100.000 Euro überzweiJahre.Dafür organisiertder<br />
Vere<strong>in</strong>e<strong>in</strong>en Wettbewerb zum<br />
Thema „Kulturelle Heimat Lausitz“. Rolf<br />
Kuhn selbst wird sich nicht langweilen.<br />
Hat anspruchsvolle Krim<strong>in</strong>alromane für<br />
sich entdeckt, umdie Spannung der IBA-<br />
Jahre nachwirken zu lassen. Er sei viel<br />
mit dem Fahrrad unterwegs und laufe<br />
gern, mache mehr im Garten. Vater der<br />
IBAwirdRolf Kuhnoft genannt.Doch das<br />
sei falsch. Denn die Grundidee zur Bauausstellung<br />
hatten andere. Der Macher<br />
der IBA –das ist Kuhn aber def<strong>in</strong>itiv. Seit<br />
2006 isterauchdeswegen Träger desVerdienstordensdes<br />
Landes Brandenburg.<br />
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Ideen für den Strukturwandel<strong>in</strong>der Lausitz<br />
DieInternationaleBauausstellung<br />
(IBA) Fürst-Pückler-Land 2000-2010<br />
ware<strong>in</strong> breit angelegtesZukunftsprogrammfür<br />
die im Wandel bef<strong>in</strong>dliche<br />
Bergbauregion <strong>in</strong> derLausitz.<br />
Mit30IBA-Projekten und weiterenEU-<br />
Projekten hat die IBAImpulse fürden<br />
Strukturwandelder Region gegeben.<br />
Dasehemalige Beamtenwohnhaus der<br />
„Ilse-Bergbau-Aktiengesellschaft“etwa<br />
warder Geschäftssitzder IBAund<br />
wurde später alsStudierhaus umgebaut.<br />
E<strong>in</strong>eBibliothek,e<strong>in</strong> Foto-und Filmarchiv,e<strong>in</strong><br />
großzügiger Arbeits- und Vortragsraumsowie<br />
e<strong>in</strong>fache Unterkünfte<br />
stehen heute dortzur Verfügung.<br />
www.iba-see2010.de<br />
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