Forschungswerkstatt. Celan liest Hölderlin
Paul Celan besaß rund 6.000 Bücher. Davon sind heute 4.697 (inklusive Zeitschriftenheften
und Sonderdrucken) im Deutschen Literaturarchiv Marbach als geschlossene Sammlung aufgestellt und in einem Online-Katalog erschlossen, darunter
auch unterschiedliche Ausgaben mit Hölderlins Texten und verschiedene Interpretationen. In vielen dieser Bände gibt es An- und Unterstreichungen, Randnotizen, Lesezeichen, Orts- und Datums- angaben, so dass sich Celans Leseprozesse und die Zusammenhänge mit seiner eigenen Arbeit als Schriftsteller und Übersetzer rekonstruieren lassen.
Kommentierung: Michael Woll mit Unterstützung von Katja Buchholz und freundlicher Genehmigung von Bertrand Badiou. Gestaltung Andreas Jung und Diethard Keppler im Rahmen von "Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie" (23.5.2020 bis 1.8.2021 im Literaturmuseum der Moderne, Deutsches Literaturarchiv Marbach).
1
Friedrich Hölderlins Werke,
Tempel-Klassiker,
hg. von Karl Justus Obenauer,
Berlin/Leipzig 1928.
Neben den Hölderlin-Ausgaben von Beißner
Klassiker-Ausgabe. Ihr Herausgeber Karl
2
eingetragen. Dort steht die Passage aus
Hyperion
3
Friedensfeier
-
Paris.
4
Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke.
Historisch-kritische Ausgabe, begonnen
durch Norbert v. Hellingrath, fortgeführt
durch Friedrich Seebass und Ludwig von
5
Hyperion
6
Menschenbeifall.
Der eindimensionale Mensch
7
Friedensfeier
Versöhnender, der du nimmergeglaubt...
8/1
Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke.
Kleine Stuttgarter Ausgabe,
hg. von Friedrich Beißner,
Neben der Großen Stuttgarter Ausgabe
Kleine Stuttgarter Ausgabe
8/2
9
Der Rhein.
Engführung
Rhein
10
In Hölderlins Anmerkungen zum Oedipus
11
-
12
von Frida Arnold, hg. von Karl Viëtor,
Leipzig 1921.
Hölderlin idealisierte seine Geliebte
Hyperion
Briefe
der Diotima
13
Friedrich Hölderlin, Empedokles, hg. mit
einer Einführung von Friedrich Seebaß,
Der Tod des Empedokles
Denk Dir
Muschelhaufen
14
Fête de la paix, übersetzt von
Jean Bollack, 1955/56.
Hölderlins Friedensfeier
Le Périgord. Darin kehren
Andenken
15
Friedrich Hölderlin, Friedensfeier,
Friedensfeier auf einer
Das Friedensfeier
16
Friedrich Hölderlin, Remarques sur Œdipe /
Remarques sur Antogone, Übersetzung und Anmerkungen
von François Fédier, mit einem
Vorwort von Jean Beaufret, Paris 1965.
und
arbeitet als Brief über den „Humanismus“
17
Revue de
Poésie
18
Theodor W. Adorno, Ohne Leitbild:
parva aesthetica, Frankfurt a.M. 1967.
-
Ohne Leitbild
Einst hab
ich die Muse gefragt...
Gespräch im Gebirg
19
Beda Allemann, Hölderlin und Heidegger,
Mit Widmung von Allemann an Paul und
Gisèle Celan vom 2.7.1959, mit
Anstreichungen, einer Notiz von Celan
sowie einer bei S. 98/99 eingelegten
gestempelten Briefmarke.
Celan lernte den Literaturwissenschaftler
Allemann in Paris kennen, wo dieser zur
selben Zeit wie Celan 1957/58 Lektor
an der École Normale Supérieure war. Celan
diskutierte mit ihm intensiv textphilologische
Fragen und bestimmte ihn 1967 zum
editorischen Betreuer seines literarischen
Nachlasses.
20
Adolf Beck und Paul Raabe (Hgg.),
Hölderlin. Eine Chronik in Text und Bild,
– ohne Markierungen –
Der Band, der zu Hölderlins 200. Geburtstag
im Jahr 1970 erschien, versammelt
neben Bilddokumenten und einer chronologischen
Darstellung von Hölderlins Leben
auch Rezeptionszeugnisse, darunter Celans
Tübingen, Jänner.
21
Bernhard Böschenstein, Hölderlins
Mit Widmung von Böschenstein an Celan,
28.11.1959.
Die Hymne Der Rhein gehört zu den Gedichten
von Hölderlin, mit denen sich Celan am
intensivsten beschäftigte – auch im Dialog
mit Bernhard Böschenstein, der mit
dieser Studie bei dem Schweizer Germanisten
Emil Staiger promoviert wurde.
22
Bernhard Böschenstein, Konkordanz zu
des zweiten Bandes der Großen Stuttgarter
Mit Widmung von Böschenstein an Celan,
30.6.1964.
Bernhard Böschenstein widmet Celan ein Exemplar
seiner Zusammenstellung von Wörtern
und ihrem Vorkommen in Hölderlins Dichtung:
„Für Paul Celan, dem es gehört.“ Damit
Exemplar dieser Konkordanz gemeint, sondern
im übertragenen Sinn auch Hölderlins Werk
selbst. Im Juni 1964 ist Böschenstein
Hochschulassistent in Göttingen und kommt
gerade von einem Lehrauftrag in Harvard
zurück. Im gleichen Jahr geht er nach Genf,
wo er bis zum Ende seiner akademischen
Laufbahn bleiben wird. Böschenstein ist
licher Lesung einladen wird: Am 21. März
1970 liest Celan zur Feier von Hölderlins
200. Geburtstag in Stuttgart.
23
– Böschenstein, Bernhard: Hölderlins
späteste Gedichte, mit hs. Widmung
Böschensteins an Paul und Gisèle Celan
– Böschenstein, Bernhard: Rezension von
Hölderlin-Studien Pellegrinis und
Jaccottets.
– Hamburger, Michael: Die Aufnahme
Hölderlins in England, mit hs. Widmung
Hamburgers für Celan.
Sonderdrucke in Celans Besitz mit
Widmungen von Bernhard Böschenstein und
Michael Hamburger.
Jahrbuch selbst, sondern einzelne Aufsätze:
Bernhard Böschenstein schickt ihm seinen
Aufsatz über Hölderlins späteste Gedichte
sowie seine Rezension zu zwei neuen Hölderlin-Studien
und der deutsch-britische Dichter
und Übersetzer Michael Hamburger seinen
Beitrag Die Aufnahme Hölderlins in England.
Die Beschäftigung mit der aktuellen Forschung
ist ein wesentlicher Bestandteil von
Celans Auseinandersetzung mit Hölderlin.
24
Heidegger, Martin: Erläuterungen zu
Hölderlins Dichtung, mit hs. Widmung
von Klaus und Nani Demus an Celan,
Mit Widmung von Klaus und
Nani Demus an Celan.
Neben einzelnen Bänden der Hölderlin-Gesamtausgabe
von Friedrich Beißner gehört auch
Sekundärliteratur zu den Buchgeschenken, die
Celan von dem Ehepaar Demus erhält. Bei
dieser Widmung zu Celans Geburtstag 1953 hat
Klaus Demus für seine Frau Nani mit unterzeichnet.
In dem Band sind keine Markierungen
von Celan vorhanden – dasselbe gilt für
die französische Übersetzung von Heideggers
Buch, die 1962 unter dem Titel Approche de
Hölderlin erscheint und ebenfalls in Celans
Bibliothek vorhanden ist.
25
Heidegger, Martin: Einführung in die
Mit Namenszug, Datumsvermerk 7.10.1954,
Anstreichungen und Randnotizen von Celan.
Heideggers Einführung in die Metaphysik
wird von Celan intensiv gelesen und an-
Vermerk „-i-“, mit dem Celan wichtige
Gedanken und Einfälle markiert. Das Lesedatum
auf der letzten Seite steht unter
einem Hölderlin-Zitat. Die Ortsangabe
„La Ciotat“ verweist auf einen Ort am Mittelmeer
östlich von Marseille, wo Celan
wenige Wochen zuvor sein Hölderlin-Gedicht
Andenken geschrieben hatte.
26
Jaspers, Karl: Strindberg et van Gogh:
Swedenborg, Hoelderlin, 1953.
Mit Anstreichungen sowie Orts- und
Datumsvermerk Paris 12.6.1962 von Celan,
sowie zwei bei S. 138/139 eingelegten
ungestempelten Briefmarken teilweise nicht
aufgeschnitten.
In dem Band des Philosophen Karl Jaspers
las Celan ausschließlich den Beitrag von
Maurice Blanchot „La folie par excellence“
zwischen den Sprachen vor: im Sinne der
In Blanchots Aufsatz streicht er unter
Poesie und Krankheit bei Hölderlin an.
27
Alfred Kelletat, Das Hölderlinhaus
Mit Gruß von Kelletat an Celan.
Bei seinem ersten Besuch in Tübingen
1955 lernt Celan den Geschäftsführer der
Hölderlin-Gesellschaft Alfred Kelletat
kennen. Der Turm, in dem Hölderlin die
zweite Hälfte seines Lebens verbrachte,
beschäftigt Paul Celan von Beginn an.
Er taucht nicht nur im Gedicht Tübingen,
Jänner
schwimmende Hölderlintürme“. In einem
Brief an den französischen Dichter
und Übersetzer René Char wird der Turm
zum Symbol einer positiven Seite von
Deutschland: „...cette tour qui, elle
28
Werner Kirchner, Hölderlin.
Aufsätze zu seiner Homburger Zeit, hg.
Mit Widmung des Herausgebers Kelletat
an Celan, 6.12.1967.
Der Sammelband des Gymnasiallehrers und
Hölderlinforschers Werner Kirchner wird
nach dessen Tod von Alfred Kelletat, dem
Geschäftsführer der Hölderlin-Gesellschaft,
herausgegeben. Kelletat sendet den Band
an Celan, „gedenkend und grüßend“. Ein
Jahr zuvor hatte sich Kelletat auch wissenschaftlich
mit Celan beschäftigt: In
der Fachzeitschrift Der Deutschunterricht
erschien 1966 Kelletats Accessus zu Paul
Celans „Sprachgitter“.
29
Wilhelm Michel, Das Leben Friedrich
Mit Anstreichungen und Randnotizen
von Celan.
Als Celan sich im April 1970 das Leben
nimmt, liegt die erstmals 1940 erschienene
Hölderlin-Biographie von Wilhelm Michel
auf seinem Schreibtisch, aufgeschlagen bei
einem von Celan unterstrichenen Brentano-
Zitat, das mit den Worten beginnt: „Manchmal
wird dieser Genius dunkel und versinkt
in den bitteren Brunnen seines Herzens“.
Auch die Worte eines Zeitgenossen, die er
in seinem Gedicht Ich trink Wein
lin,
der immer halbverrückt ist, zackert
auch am Pindar.“
Michels Hölderlin-Biographie ist in dieser
Ausstellung auch im Original zu sehen.
30
Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße
Betrachtungen, mit einem Nachwort von
Mit Anstreichungen und Randnotizen
von Celan.
Friedrich Nietzsches Unzeitgemäße Betrachtungen
liest Celan sehr intensiv, vor allem
im zweiten Teil Vom Nutzen und Nachteil
der Historie für das Lebenreiche
Anstreichungen. Eine davon bezieht
sich auf Hölderlin. Nietzsche gehört zu
den Autoren, die Hölderlin schon lange vor
tion Norbert von Hellingraths lasen: Schon
in einem Schulaufsatz im Jahr 1861 wählt
er ihn zu seinem Lieblingsdichter.
31
Peter Szondi: Hölderlin-Studien.
Mit einem Traktat über philologische
Mit einer Anstreichung.
Der Literaturwissenschaftler Peter
Szondi entwickelt seine literarische
Hermeneutik in Auseinandersetzung
mit Hölderlins und Celans Texten.
Auf Szondis Hölderlin-Studien folgen
noch die Celan-Studien – sie erscheinen
erst nach Celans und auch nach Szondis
Tod, herausgegeben von dem gemeinsamen
Freund Jean Bollack.
32
Der kranke Hölderlin. Urkunden und Dichtungen
aus der Zeit seiner Umnachtung,
zum Buche vereinigt durch Erich Trummler,
Mit Widmung von Klaus Reichert und
Anstreichungen.
Der Literaturwissenschaftler, Übersetzer
und Lyriker Klaus Reichert ist Celans
Lektor beim Suhrkamp Verlag. In seiner
Widmung des Bandes Der kranke Hölderlin
vom 15.10.1967 bezieht er sich auf Celans
Gedicht Tübingen, Jänner, in dem das
Hölderlin-Zitat „Pallaksch, Pallaksch“
vorkommt. In dem Band sind unter anderem
Stellen aus dem Bericht Wilhelm Waiblingers
über Hölderlin im Turm angestrichen.
Celan zitiert daraus später in einem in
dieser Ausstellung im Original ausgestellten
Brief an Gisela Dischner.