07.12.2020 Aufrufe

FOCUSMONEY_51:2020_Vorschau

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

MONEY: Das 1,8 Billionen Euro starke Hilfspaket der EU<br />

wird ja ebenfalls blockiert – von Ungarn und Polen . . .<br />

Schlumberger: Das ist richtig, aber nicht weiter schlimm.<br />

Durch den Lockdown ist es ohnehin nicht möglich, das<br />

Geld auszugeben. Von einem Rechtsstaat und der Demokratie<br />

hält einer wie der ungarische Premierminister Viktor<br />

Orban nicht allzu viel. Die polnische Regierung auch<br />

nicht. Doch im Corona-Hilfstopf befinden sich auch 23<br />

Milliarden Euro für Polen und sechs Milliarden Euro für<br />

Ungarn. Auf die wollen die beiden sicher nicht verzichten.<br />

Deshalb werden sie nach ein paar virtuellen Nachtsitzungen<br />

und Zugeständnissen durch die Bundeskanzlerin<br />

am Ende sicherlich einlenken.<br />

MONEY: Ökonomen haben ausgerechnet, dass sich die<br />

Wirtschaft Ende 2021 wieder auf dem Stand von Ende<br />

2019 befinden könnte – ist das gut oder schlecht?<br />

Schlumberger: Letztlich ist es Kaffeesatzleserei, ob es<br />

schon Ende 2021 der Fall sein wird oder später. Entscheidend<br />

ist: Sobald die meisten Menschen geimpft sind,<br />

WARTE EINEN BOOM<br />

Manfred Schlumberger, Leiter des Portfolio-Managements bei Starcapital, über die Hoffnung auf<br />

ein baldiges Ende der Corona-Krise und einen Wirtschaftsboom ab der Mitte kommenden Jahres<br />

FOCUS-MONEY: Wir stecken in der tiefsten Rezession der<br />

Nachkriegszeit, die halbe Welt steht still und die Börsen<br />

haussieren. Wie passt das zusammen?<br />

Manfred Schlumberger: Für die Börsen sind zwei Faktoren<br />

entscheidend: die Gewinnentwicklungen der Unternehmen.<br />

Das ist die konjunkturelle Seite. Da sieht es verheerend aus.<br />

Doch bei der monetären und fiskalpolitischen Seite sieht es<br />

gut aus, also bei der ultralockeren Geldpolitik, die die Zinskurve<br />

nach unten manipuliert, und einem Fiskalprogramm,<br />

das wir in diesem Ausmaß noch nicht gesehen haben. Einige<br />

Amerikaner sind arbeitslos, haben jetzt aber mehr Geld, als<br />

sie zuvor verdient haben. Die Sparquote in den USA hat sich<br />

verdoppelt. Das Geld wartet darauf, ausgegeben zu werden.<br />

MONEY: Oberflächlich gesehen, könnte man sagen: Klingt<br />

gut, der aufgeschobene Konsum kurbelt die Wirtschaft an . . .<br />

Schlumberger: So muss man es sehen. Die Märkte blicken<br />

voraus. Die Umsatzeinbrüche durch die Corona-Pandemie<br />

hat die Börse mit dem Einbruch von März verarbeitet.<br />

Noch fährt die Wirtschaft zwar unterausgelastet in Europa<br />

um zehn bis 15 Prozent, in den USA zwischen acht<br />

und zehn Prozent und in China noch um die fünf Prozent.<br />

Doch das ist abgehakt. Die Impfstoffe sind nun der Katalysator.<br />

Nach Biontech und Moderna warten wir jetzt auf<br />

AstraZeneca und Johnson & Johnson. Gelingt es, haben<br />

wir gute Chancen, dass ein Drittel bis zur Hälfte der impfwilligen<br />

Bevölkerung in Europa zum Sommer geimpft ist.<br />

Dann wird das Geld ausgegeben, nicht für den Garten,<br />

sondern fürs Reisen. Wir werden einen gewaltigen Wirtschaftsboom<br />

bekommen. Der wird zwar nicht ewig dauern,<br />

aber durchaus über sechs bis neun Monate.<br />

MONEY: Ist die Vorfreude so groß, dass Anleger schon mit<br />

einer Jahresendrally rechnen können?<br />

Schlumberger: Da bin ich mir nicht so sicher. Der Markt<br />

ist weitestgehend gelaufen. Die Institutionellen haben<br />

sich zurückgezogen. Die sind mit ihrer Jahresbilanz beschäftigt.<br />

Und wir haben in den letzten vier Wochen gut<br />

1800 Punkte im Dax zugelegt. Doch bei den niedrigen<br />

Umsätzen können die großen Investmentanbieter die Kurse<br />

durchaus dahin bringen, wo sie sie haben wollen.<br />

MONEY: Wie sind die Anleger positioniert?<br />

Schlumberger: Die Put-Call-Ratio befindet sich auf einem<br />

Tiefststand. Doch wir haben noch zwei Katalysatoren, die<br />

den Markt nach oben treiben könnten, die EZB und die<br />

Fed. Die europäische Zentralbank wird am 10. Dezember<br />

liefern, indem sie noch mehr Anleihenaufkäufe zusagt.<br />

Auch die US-Notenbank wird nachlegen, nachdem das<br />

US-Konjunkturpaket von Donald Trump vor der US-Präsidentschaftswahl<br />

aufgeschoben wurde.<br />

nimmt die Wirtschaft wieder Fahrt auf. Spätestens im dritten<br />

Quartal werden wir Normalität haben. Man darf nicht<br />

vergessen, dass die Industrie momentan nicht mehr so leidet,<br />

weil unser Exportpartner China wieder durchstartet.<br />

MONEY: Gut für den deutschen Aktienmarkt?<br />

Schlumberger: Absolut. Die deutschen Industrieaktien heben<br />

ja bereits ab. Der Dax hat sich gegenüber dem S&P-<br />

500 in den vergangenen Wochen besser geschlagen. Das<br />

gilt auch für Japan und die Emerging Markets. Die Zahlen<br />

der deutschen Automobilwerte fielen besser aus als<br />

erwartet. Auch Chemie läuft gut. Nachkaufen lohnt sich,<br />

denn sie sind immer noch günstiger als vor der Pandemie.<br />

MONEY: Seit Jahren hinken Value-Werte den Wachstumswerten<br />

hinterher. Kommt es jetzt zu einem Comeback?<br />

Schlumberger: Sagen wir es einmal so: Die konjunktursensitiven<br />

zyklischen Werte holen auf. Ich glaube nicht,<br />

dass wir nach zwölf Jahren Outperformance durch Wachstumsaktien<br />

vor einer Value-Dekade stehen. Die bereits<br />

vor der Krise hoch bewerteten Technologie- und Gesundheitsunternehmen<br />

hatten das Glück, dass sie die Pandemiegewinner<br />

waren. Die sind noch teurer geworden. Doch<br />

momentan spricht in der Tat einiges dafür, dass diese in<br />

einem sich bessernden wirtschaftlichen Umfeld schlechter<br />

abschneiden als zyklisch konjunktursensitive Werte.<br />

MONEY: Ein Grund, sich von FAANG-Aktien zu trennen?<br />

Schlumberger: Gewinne bei den FAANGs, den „fantastischen<br />

Fünf“, mitzunehmen, wäre jetzt keine schlechte<br />

Idee. Doch im Gegensatz zur Technologieblase im Jahr<br />

2000 verdienen diese heute ja richtig viel Geld.<br />

FOCUS-MONEY <strong>51</strong>/<strong>2020</strong><br />

9

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!