ST:A:R_10
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<strong>ST</strong>/A/R Nr. <strong>10</strong>/2006<br />
Buch IV – Kunst<br />
25<br />
Normalität ist der Ausgangspunkt<br />
Art / Brut Center in Gugging eröffnet<br />
Normalität<br />
Interview mit Johannes Feilacher,<br />
dem Leiter des Museums Gugging<br />
<strong>ST</strong>/A/R: Seit den 70er Jahren hat sich<br />
unter der Leitung von Dr. Navratil<br />
hier in Gugging ein Künstlerzentrum<br />
entwickelt, das Sie übernommen und<br />
weitergeführt haben. Wie war die<br />
Entwicklung seit dem Beginn und auch<br />
während der letzten fünfzehn Jahre?<br />
Johannes Feilacher: Navratil hat in<br />
den 60er Jahren über Testzeichnungen<br />
zufällig Talente entdeckt, die er Jean<br />
Dubuffet vorgestellt hat, der die<br />
Werke zur Art Brut gezählt und damit<br />
gleichzeitig anerkannt hat. Navratil hat<br />
dann in Richtung Kunst weitergearbeitet,<br />
wobei er stets Psychiatrie und Kunst<br />
verbunden hat. 1965 hat er ein erstes<br />
Buch herausgegeben, das vorwiegend<br />
auf zeitgenössische Künstler gewirkt<br />
hat (Arnulf Rainer, Franz Ringel,<br />
Peter Pongratz, ...), nicht jedoch auf<br />
die Psychiater. 1970 fand die erste<br />
Ausstellung in Wien statt. Danach gab<br />
es einzelne, verstreute Ausstellungen<br />
und ab dem Jahr 1979 auch Tourneen.<br />
Es folgte die erste Präsentation im<br />
Museum des 20. Jahrhunderts.<br />
Schließlich kam es 1971 zur Gründung<br />
des damals so genannten Zentrums<br />
für Kunstpsychotherapie. Navratil<br />
hatte einen alten, kleinen Pavillon<br />
umwidmen können und hat dort jene<br />
Leute angesiedelt, die sich schon vorher<br />
als Talente bewiesen haben und noch<br />
einige andere dazu. Dieser kleine<br />
Pavillon wurde im Jahre 1981 eröffnet.<br />
1983 hat mich Navratil hierher geholt,<br />
weil er einen Nachfolger gesucht hat.<br />
Drei Jahre später ist er in Pension<br />
gegangen. Das erste, was ich getan habe,<br />
war, das Zentrum umzubenennen, in<br />
Haus der Künstler. Mich interessierte<br />
immer das Talent des Einzelnen<br />
und nicht seine private oder sonstige<br />
Krankengeschichte. Wenn jemand eine<br />
Behinderung oder Erkrankung hat,<br />
ist das etwas Privates und hat in der<br />
Öffentlichkeit nichts zu suchen. Das<br />
Haus der Künstler ist eine Institution,<br />
die einzelne Künstler fördert, die<br />
das selber nicht können, einzelne<br />
Talente, die aufgrund irgendwelcher<br />
Schwierigkeiten nicht fähig sind, ihre<br />
eigene Arbeit zu vermarkten oder sie<br />
herzuzeigen. Ich bin im Prinzip<br />
immer ein Helfer der Künstler<br />
gewesen und habe im Laufe der<br />
Zeit verschiedene Institutionen<br />
gegründet. Eine der wesentlichen<br />
war ein Förderverein, um auch<br />
Leute anstellen zu können. Das<br />
zweite war, dass ich einen privaten<br />
Vertrag ausgearbeitet habe, in dem<br />
die Künstler zu Besitzern einer<br />
Kommanditerwerbsgesellschaft werden<br />
konnten. Ich wollte eine Galerie gründen<br />
im Sinne einer Produzentengalerie, wo<br />
die Künstler selber die Besitzer sind.<br />
Das war damals einmalig und ist es<br />
auch heute noch, dass eine Gesellschaft<br />
im Besitz von voll besachwalteten<br />
Personen ist, die alle nur durch ihre<br />
Rechtsanwälte vertreten sind. Das allein<br />
hat drei Jahre gedauert, bis alles hiebund<br />
stichfest war. Der nächste Schritt<br />
war die Befreiung aus der Psychiatrie,<br />
das Haus war ja noch ein Pavillon der<br />
Klinik. Im Jahre 2000 wurde es völlig<br />
unabhängig.<br />
<strong>ST</strong>/A/R: Mit der Eröffnung des<br />
Museums ist ein bestimmter Höhepunkt<br />
erreicht, und ein einmaliges<br />
europäisches Zentrum für Art Brut<br />
entstanden.<br />
J. F.: Europäisch ist richtig. Es gibt zwar<br />
eine klassische museale Sammlung, die<br />
Collection de l’art brut in Lausanne/<br />
Ch, die kleine Ausstellungen zeigt,<br />
nicht sehr viel Platz hat und sehr<br />
monoklonal arbeitet, das heißt, primär<br />
klare klassische Art Brut zeigt und<br />
sonst nichts. Dann gibt es einige<br />
Museen zeitgenössischer Art, die auch<br />
kleine Departments dabei haben, wie<br />
in Dublin oder in Lille, dann gibt es ein<br />
Visionary Art Museum in Baltimore,<br />
das war’s. Aber dieses Museum wird das<br />
erste für Art Brut sein, das aber nicht<br />
nur für Art Brut da sein soll, sondern<br />
es soll den Weg, den wir seit 20 Jahren<br />
verfolgen, nämlich die Art Brut mit<br />
Mainstream Art zu mischen und zu<br />
zeigen, dass Art Brut eine Richtung<br />
der Kunst ist, wie viele andere auch,<br />
dass sie weder besser noch schlechter<br />
ist, aber mindestens gleich gut. Das<br />
können wir hier in diesem Haus<br />
zeigen. Natürlich ist der Schwerpunkt<br />
Gugging, eine Hälfte von 1300 - 1400<br />
Am 28. Juni wurde das Museum Gugging als weltweit<br />
einzigartiges Art / Brut Center eröffnet. Das Museum ist als Ort<br />
konzipiert, an dem sich die Art Brut mit anderen Kunstrichtungen<br />
treffen, ergänzen und auch messen wird können, ein Treffpunkt<br />
für Diskussion und Diskurs. Schwerpunkt bleibt dabei die<br />
Präsentation der Werke der Gugginger Künstler. Dem Museum<br />
steht eine Ausstellungsfläche von rund 1.300 m2 zur Verfügung.<br />
Darüber hinaus gibt es eine Bibliothek, ein Bildarchiv, Lager- und<br />
Arbeitsräume für Kuratoren sowie einen Multimediaraum.<br />
Dem Museum wird noch ein Museumsshop angeschlossen sein,<br />
ein Café-Restaurant soll 2007 in Betrieb gehen. Das Museum<br />
ist in das Art / Brut Center Gugging integriert, zu dem noch die<br />
Galerie der Künstler aus Gugging, das Offene Atelier Gugging,<br />
Arbeitsräume sowie eine Veranstaltungshalle, die „Villa“, für<br />
Symposien, Konzerte und Ähnliches zählen.<br />
Die Eröffnungsausstellung<br />
„Blug - vier Jahrzehnte Kunst aus Gugging“<br />
präsentiert rund 650 Arbeiten, Zeichnungen, Malereien, Objekte<br />
und auch Radierungen der international bekannten Art Brut<br />
Künstler August Walla, Oswald Tschirtner und Johann Hauser,<br />
sowie auch jener gegenwärtig im Haus der Künstler lebenden, zu<br />
nennen sind da: Johann Fischer, Johann Garber, Franz Kernbeis,<br />
Johann Korec, Heinrich Reisenbauer, Arnold Schmidt, Günther<br />
Schützenhofer und Karl Vondal. Sowie jene aus den 70er Jahren,<br />
wie Josef Bachler, Josef Blahaut, Anton Dobay, Franz Gableck,<br />
Rudolf Horacek, Franz Kamlander, Fritz Koller, Rudolf Limberger,<br />
Otto Prinz, Philipp Schöpke und Erich Zittra.<br />
„Blug“, der Titel dieser ersten Ausstellung, ist einer Arbeit von<br />
Franz Kernbeis entnommen und bedeutet „Pflug“ - Der Acker<br />
ist bestellt!<br />
Die Ausstellung dauert vom 30. Juni - 14. Jänner 2007.<br />
Anschließend soll sie auf Welttournee gehen.<br />
Zur Schau ist das Buch „Blug. Gugging - ein Ort der Kunst“ im<br />
Brandstätter-Verlag erschienen.<br />
Informationen<br />
Museum Gugging - Art / Brut Center, 3400 Maria Gugging /<br />
Klosterneuburg, Hauptstraße 2,<br />
Ausstellung „Blug“: 30. Juni - 14. Jänner 2007.<br />
Das Museum ist Dienstag bis Sonntag von <strong>10</strong>.00 bis 18.00 Uhr (im<br />
Winter bis 17.00 Uhr) geöffnet, die Galerie Dienstag bis Samstag.<br />
Tel.: +43 (0) 664 8490695<br />
Web: http://www.gugging.org