ST:A:R_10
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<strong>ST</strong>/A/R<br />
Buch IV – Kunst<br />
Nr. <strong>10</strong>/2006 31<br />
Les grands spectacles II Kunst auf der Bühne<br />
Sommerausstellung im Museum der Moderne Salzburg<br />
Die aktuelle Sommerausstellung - zweiter Teil der Ausstellungstrilogie Les<br />
Grands Spectacles - im Museum der Moderne Salzburg ist eine theater- und<br />
kunstgeschichtlich gut strukturierte Schau zur Entwicklung des Spannungsfeldes<br />
Bühne und Bildende Kunst seit der Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts.<br />
Exemplarisch werden wichtige Entwicklungsschritte vom Ende des 19.<br />
Jahrhunderts bis heute gezeigt. Die Auswahl der präsentierten Arbeiten basiert<br />
auf zwei Konstanten: der veränderten Wahrnehmung von Raum und der<br />
veränderten Wahrnehmung von Bewegung; unter anderem sind Arbeiten zu<br />
diesem Thema von Oskar Schlemmer, Fernand Leger. El Lissitzky, Jean Dubuffet<br />
und Friedrich Kiesler sind zu sehen. Die Neudefinierung des Bühnenraums und<br />
die Neuentdeckung des Körpers im Spannungsfeld zwischen Befreiung und<br />
Mechanisierung werden thematisiert. Bühnengestaltungen von zeitgenössischen<br />
Künstlern wie Fritz Wotruba, Jean Tinguely bis Jörg Immendorff, Robert Longo<br />
und Karel Appel, realisiert bei den Salzburger Festspielen, vermitteln die enge<br />
Verbindung von Bildender Kunst und Bühne. Die Aktionisten sind natürlich auch<br />
vertreten mit Günter Brus und Hermann Nitsch - wie üblich mit einem seiner<br />
Orgien-Mysterien-Theater (Videodokumentation).<br />
Campingsarg versus Schlingensiefs Hodenpark im Kampf um die letzte<br />
Bühne als möglicher Attraktor. Der in Salzburg lebende Künstler und Literat<br />
Max Bläulich hat einen zusammenklappbaren Campingsarg installiert, laut<br />
beigelegtem Prospekt in Bauhäusern zu kaufen, der die Frage nach dem „letzten<br />
Raum“ aufwirft. Dem gegenüber ist Schlingensief mit seiner Installation chicken<br />
balls - der Hodenpark vertreten als eingeübte standardisierte Provokation.<br />
Spekulativ eingesetzt drängt sich die Frage auf, ob diese Ausstellung es<br />
notwendig hat, Schlingensiefs Zitatemix als Medienereignis einzusetzen.<br />
Während der Eröffnungsrede baute Schlingensief an seiner Installation<br />
– ein Störungsakt mit Hammer & Bohrmaschine.<br />
Charles Kaltenbacher kommentiert: Schlingensief in den 90er Jahren als<br />
imposanter, eloquenter Surfer auf der angesagten Welle des sozialen<br />
Engagement (5 Millionen Arbeitslose - ich kümmere mich darum) aufgetreten,<br />
zeigt sich hier als Parsifal mit Hoden, den das Volk gefälligst zu beachten hat.<br />
Das Thema der Hoden wurde übrigens von Matthew Barney in seiner Cremaster-<br />
Serie in den 90er Jahren thematisiert.<br />
Welch Leichtigkeit im Spannungsfeld<br />
zwischen Objekt, Akteur und Bühne möglich<br />
ist, zeigt eine frühe Videoarbeit von Franz<br />
West - Passstücke in Gebrauch, Titel De<br />
Cohen Kabo West, 1983/84 -, welche die<br />
Schwere aktionistischer Opferhaltung mit<br />
Leichtigkeit überwunden hat und spielerisch<br />
den „galanten Wiener Charme“ Wests zeigt,<br />
mit dem er international reüssierte.<br />
Salzburg allgemein:<br />
Die Ausstelung läuft bis 8.<strong>10</strong>.2006<br />
Ein umfangreicher Katalog ist<br />
erschienen.<br />
Nach dem Ausstellungsbesuch sitzt man im hirschgeweihbestückten, von Matteo<br />
Thun gestalteten Museums-Cafe-Restaurant und wartet eine 1/2 Stunde auf das<br />
mehrmals georderte Bitter Lemon während draußen die Salzburger Schützen mit<br />
Böllerschüssen die Festspiele mit Donnerlärm eröffnen und daran erinnern, dass<br />
in den nächsten Wochen Salzburg ein Laufsteg von Reich, Schön, Einflussreich und<br />
kulturbeflissen ist. Auf die Stadt blickend ertappt man sich dabei, Erleichterung<br />
zu verspüren bei dem Gedanken, den Ort zu verlassen, an dem Dirndlkleid und<br />
Strapse eine äußerst lukrative Symbiose eingehen.<br />
Thomas Redl<br />
Franz West Filmstills aus „De Cohen Kabo West” , 1983/84<br />
Max Bläulich Campingsarg Installation<br />
Christoph Schlingensief in Aktion<br />
Günther Brus Kostüme zu „Das schlaue Füchslein”<br />
Sächsische Staatsoper Dresden, 1994<br />
Adolf Luther<br />
Bühnenbild zu Tristan und Isolde, Frankfurter Oper<br />
1977, © Adolf Luther, Adolf Luther-Stiftung, Krefeld<br />
Jean Dubuffet<br />
Aufführung von „Coucou Bazar“ in Turin, 1978<br />
Fotografi e, Collection Fondation Dubuffet, Paris © VBK Wien, 2006