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Marbacher Magazin 160: Im Schattenreich der wilden Zwanziger (Leseprobe)

Das 2017 erschienene Marbacher Magazin mit Fotos aus dem Nachlass von Ruth Landshoff und Texten von Jan Bürger, Chris Korner und Thomas Blubacher ist leider vergriffen. Wer nichts verpassen möchte, der kann die Reihe abonnieren: https://www.dla-marbach.de/fileadmin/shop/Abo-Formular_2019.pdf

Das 2017 erschienene Marbacher Magazin mit Fotos aus dem Nachlass von Ruth Landshoff und Texten von Jan Bürger, Chris Korner und Thomas Blubacher ist leider vergriffen. Wer nichts verpassen möchte, der kann die Reihe abonnieren: https://www.dla-marbach.de/fileadmin/shop/Abo-Formular_2019.pdf

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hoff aufgrund ihres jüdischen Familienhintergrundes emigrieren<br />

musste. Über Frankreich, England und die Schweiz führte ihr Weg<br />

nach New York. Dort traf sie viele ihrer Freunde und Bekannten<br />

wie<strong>der</strong>. Dennoch fiel es ihr zunächst schwer, in den USA Fuß zu<br />

fassen. Obwohl sie bald auf Englisch publizierte, war ihr Alltag<br />

geprägt von finanziellen Engpässen. Dies än<strong>der</strong>te sich erst durch<br />

neue wohlhabende Freunde, allen voran durch den Librettisten John<br />

Latouche (1914–1956) und den Lyriker Kenward Elmslie (geb. 1929),<br />

die sie fortan in Krisenzeiten unterstützten.<br />

Kenward Elmslie begleitete Ruth Landshoff 1959 auch nach<br />

Marbach auf die Schillerhöhe. Dort fuhren die beiden in einem exklusiven<br />

Mercedes-Cabriolet vor, das <strong>der</strong> Pulitzer-Enkel Elmslie einige<br />

Monate zuvor erstanden hatte. Auf den Direktor Bernhard Zeller<br />

muss Ruth Landshoff wie eine Wie<strong>der</strong>gängerin aus den turbulenten<br />

Jahren <strong>der</strong> Berliner Boheme gewirkt haben, wie eine Botschafterin<br />

jener Ära, die schon bald einer <strong>der</strong> wichtigen Sammlungsschwerpunkte<br />

des noch jungen Deutschen Literaturarchivs werden sollte.<br />

Unter dem 11. Mai 1959 notierte Ruth Landshoff in ihrem Taschenkalen<strong>der</strong>,<br />

dass sie dem Schiller-Nationalmuseum »KV-Sachen« übergeben<br />

habe. ›KV‹ stand für den in Stuttgart geborenen Vollmoeller,<br />

dessen Familie einen großen Teil seines literarischen Nachlasses in<br />

Beilstein aufbewahrt hatte, bis ihn Ruth Landshoff dem <strong>Marbacher</strong><br />

Archiv anvertraute. »Lei<strong>der</strong> war das Gespräch viel zu kurz, um den<br />

weiten Umkreis des Lebens von Ruth Landshoff-York auch nur vage<br />

zu ermessen«, bedauert Zeller in seinen <strong>Marbacher</strong> Memorabilien.7<br />

Eine Spur dieser Tage findet sich auch in Ruth Landshoffs veröffentlichten<br />

Erinnerungen. »Ich habe gerade einige Wochen auf dem<br />

Land gelebt, in Beilstein«, heißt es dort. »Das Haus war hübsch, die<br />

Landschaft mit ihren sanft abfallenden alten Hügeln bezaubernd,<br />

die alten Dächer <strong>der</strong> dörflichen Häuser schön und lieblich, und die<br />

Ordnung <strong>der</strong> schlafenden Weinhügel und Gärten beruhigend. […]<br />

Auf dem Schloß Beilstein ist <strong>der</strong> Dichter Karl Vollmöller geboren,<br />

und dort hat er einen großen Teil seiner Jugend verbracht. Nach<br />

seinem Tode bewahrte man dort seine Schriften auf, was noch übriggeblieben<br />

ist nach Feuer und Bomben und an<strong>der</strong>n Verlusten.«8<br />

Vollmoellers Erbe war ihr alles an<strong>der</strong>e als gleichgültig. Mit Bernhard<br />

Zeller vereinbarte sie nicht nur die Übergabe seiner Papiere<br />

an das Archiv. Sie verhandelte auch über eine Auswahl seiner nachgelassenen<br />

Gedichte, die 1960 in <strong>der</strong> Turmhahn-Bücherei für die<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Deutschen Schillergesellschaft erschien. Das kurze<br />

Nachwort dazu steuerte <strong>der</strong> Hofmannsthal-Herausgeber Herbert<br />

Steiner bei, <strong>der</strong> mit Vollmoeller in den USA in Verbindung stand.<br />

»Vollmoeller war Schwabe«, schrieb Steiner nicht ohne Blick auf sein<br />

Publikum: die Vereinsmitglie<strong>der</strong>. »Seine Liebe galt dem Alten Reich,<br />

nicht dem von 1871, dem alten deutschen und württembergischen<br />

Wesen. Und er war Kosmopolit […] – er hatte in vielen Län<strong>der</strong>n<br />

gelebt, in Griechenland, Paris, Italien, Berlin, Kalifornien. Vielfältig<br />

und reich begabt, hatte er sich nicht nur im Wort ausgesprochen, er<br />

hatte sich früh und leidenschaftlich mit den neuen Möglichkeiten<br />

<strong>der</strong> Zeit befaßt, mit dem Bau von Rennwagen und Flugzeugen, als<br />

einer <strong>der</strong> ersten, und ebenso leidenschaftlich mit dem Theater«.9<br />

Steiner rief die berühmtesten Freunde und Bekannten von Vollmoeller<br />

in Erinnerung: Stefan George, Hugo von Hofmannsthal<br />

und Richard Strauss ebenso wie Gabriele D’Annunzio. Über das ausschweifende<br />

Leben am Pariser Platz und im altehrwürdigen Palazzo<br />

Vendramin am Canale Grande, den <strong>der</strong> reiche »Schwabe« bis 1938<br />

zu seinem Hauptwohnsitz gemacht hatte, verlor er selbstverständlich<br />

kein Wort.<br />

Der Nachlass <strong>der</strong> am 19. Januar 1966 an den Folgen eines Herzinfarkts<br />

gestorbenen Ruth Landshoff dokumentiert diese an<strong>der</strong>e<br />

Seite von Vollmoellers Existenz beson<strong>der</strong>s reichhaltig – den Dandy<br />

und Bohemien, aber auch den Antifaschisten, <strong>der</strong> im Frühjahr 1939<br />

in die USA emigrierte. Dort wurde er Silvester 1941 vom FBI festgenommen<br />

und als ›Internee of War‹ zu Unrecht verdächtigt, mit<br />

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