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Marbacher Magazin 160: Im Schattenreich der wilden Zwanziger (Leseprobe)

Das 2017 erschienene Marbacher Magazin mit Fotos aus dem Nachlass von Ruth Landshoff und Texten von Jan Bürger, Chris Korner und Thomas Blubacher ist leider vergriffen. Wer nichts verpassen möchte, der kann die Reihe abonnieren: https://www.dla-marbach.de/fileadmin/shop/Abo-Formular_2019.pdf

Das 2017 erschienene Marbacher Magazin mit Fotos aus dem Nachlass von Ruth Landshoff und Texten von Jan Bürger, Chris Korner und Thomas Blubacher ist leider vergriffen. Wer nichts verpassen möchte, der kann die Reihe abonnieren: https://www.dla-marbach.de/fileadmin/shop/Abo-Formular_2019.pdf

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Ein paar Briefe? Hat Padgett absichtlich untertrieben?<br />

Ich weiß es nicht. De facto handelte es sich um einen umfangreichen<br />

Bestand, darunter neben Notizbüchern, Taschenkalen<strong>der</strong>n,<br />

Bankauszügen und Belegexemplaren etwa 1.000 Briefe, aufschlussreiche<br />

Korrespondenz mit <strong>der</strong> Familie und mit Karl Gustav Vollmoeller,<br />

aber auch mit Leuten wie Klaus Mann und Francesco von<br />

Mendelssohn, Thornton Wil<strong>der</strong>, Truman Capote und Carson Mc-<br />

Cullers. Dazu faszinierende Fotografien – die für mich aber nebensächlich<br />

waren. Ich bin dankbar, dass ich etliche Tage von morgens<br />

bis abends in Elmslies Haus in Greenwich Village verbringen durfte,<br />

überwacht von Ruth Landshoff – über dem Schreibtisch hing Oskar<br />

Kokoschkas berühmte Lithografie Ruth II aus dem Jahr 1922.<br />

Elmslies Pfleger wussten: Morgens um neun kommt <strong>der</strong> Mann aus<br />

Deutschland, arbeitet selbstständig, braucht eigentlich nichts, außer<br />

vielleicht mal einen Kaffee, und geht abends wie<strong>der</strong>. Natürlich habe<br />

ich zwischendurch mehrmals mit Elmslie gesprochen. Es war nicht<br />

unergiebig, aber tatsächlich so, dass er sich von Tag zu Tag nicht<br />

erinnern konnte, dass wir uns bereits kennengelernt hatten. Dass<br />

ich in Ruhe die Dokumente sichten und auswerten durfte, war für<br />

mich ein großes Geschenk. Als Ron mich am letzten Tag fragte, was<br />

meiner Meinung nach mit ihnen geschehen solle, riet ich ihm, sie<br />

nach Marbach zu geben.<br />

Ein Jahr später vermittelte Padgett diesen Bestand für Elmslie<br />

dann tatsächlich nach Marbach. Eine beson<strong>der</strong>e Pointe war dabei,<br />

dass wir aufgrund <strong>der</strong> Memorabilien unseres früheren Direktors<br />

Bernhard Zeller festgestellt haben, dass Elmslie Ruth Landshoff<br />

1959 auf die Schillerhöhe begleitet hat.<br />

Ruth Landshoff wollte damals etwas für Vollmoeller bewegen,<br />

z. B. in Marbach. So entstand 1960 die kleine Ausgabe von Vollmoellers<br />

nachgelassenen Gedichten. Als seine literarische Nachlassverwalterin<br />

suchte sie Rat beim Stuttgarter Urheberrechtsexperten<br />

Ferdinand Sieger, <strong>der</strong> mit Vollmoellers Nichte Christine Purrmann<br />

verheiratet war, und entschied dann auch, dass Vollmoellers Nachlass<br />

nach Marbach gehen sollte.<br />

Das mag auch damit zusammenhängen, dass Zellers Vorgänger<br />

Erwin Ackerknecht bereits unmittelbar nach Vollmoellers Tod 1948<br />

den Kontakt zur Familie suchte. Ackerknecht kannte Vollmoeller<br />

schon vom Stuttgarter Karls-Gymnasium, hatte dort aber erst zwei<br />

Jahre nach ihm Abitur gemacht.<br />

Ruth Landshoff hat sich auf verschiedensten Kanälen für Vollmoellers<br />

Werk eingesetzt, bis hin zum Plan einer Mirakel-Tournee<br />

mit Ingrid Bergman, Hildegard Knef und Roberto Rossellini. Das<br />

ließ sich natürlich nie realisieren, trotz ihrer guten Beziehungen.<br />

Einerseits klingt das hochtrabend, an<strong>der</strong>erseits gehörte sie nicht<br />

zu denjenigen, die mit ihren prominenten Freunden angeben.<br />

Sie kannte ja wirklich alle, und viele sehr gut.<br />

Ruth Landshoffs Aufzeichnungen sind einerseits sehr verlässlich,<br />

an<strong>der</strong>erseits mitunter auch ein bisschen frisiert – mit Sinn für<br />

dramatische Wirkungen und gute Pointen. Wenn man ihr wirklich<br />

glauben darf, hat sie Vollmoeller und Francesco von Mendelssohn an<br />

ein und demselben Abend des Jahres 1921 kennengelernt. Just diese<br />

beiden haben ihr dann mit ihren Kontakten die große Welt eröffnet<br />

und so Landshoffs Leben ganz wesentlich geprägt.<br />

Mit dem entscheidenden Unterschied, dass Mendelssohn homosexuell<br />

war und Vollmoeller wesentlich älter. Was war das aus<br />

Ihrer Sicht für eine Beziehung mit Vollmoeller?<br />

Ruth Landshoff beschreibt sie eigentlich sehr ungeniert. Mit 17<br />

Jahren wurde sie seine Geliebte, da war Vollmoeller 42. Das ging<br />

ungefähr zwei Jahre, dann war sie ihm zu alt. Nun fiel ihr die Aufgabe<br />

zu, junge Mädchen herbeizuschaffen, für die er sich interessieren<br />

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