geologiederschweiz
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10. Auflage
Christian Gnägi / Toni P.Labhart
Geologie
der Schweiz
Inhaltsverzeichnis
Vorwort7
1 Grundwissen kompakt – Geologie der Schweiz im Überblick
Zum Gebrauch dieses Buches 10
1.1 Die Schweiz im geologischen Gesamtbild Europas 11
1.2 Die Grosslandschaften – Mittelland, Jura und Alpen 14
1.3 Die geologische Erforschung der Schweiz 17
1.4 Der aktuelle Kenntnisstand 20
1.5 Der Kreislauf der Gesteine 23
1.6 Entstehung des Landschaftsreliefs 28
2 Mittelland
2.1 Grundgebirge bis Mesozoikum – der unsichtbare Untergrund 43
2.2 Molassebecken – was von den Alpen übrig geblieben ist 43
2.3 Deformation: Falten, Brüche und Schuppenbildung 49
2.4 Das Quartär – der letzte Schliff 51
3 Jura
3.1 Kristallines Grundgebirge und Oberrhein-Graben –
der geheimnisvolle Untergrund 56
3.2 Der Ablagerungsraum vom Karbon bis zum Quartär –
Saurier, Krokodile und Eiskappen 58
3.3 Deformation: Falten, Brüche und Überschiebungen 61
4 Alpen
4.1 Der Aufbau der Alpen 69
4.2 Helvetikum – Höhlensysteme mit Anschluss ans Mittelmeer 73
4.3 Zentralmassive – so unverrückbar sind sie nicht 86
4.4 Penninikum – der Farbtupfer der Alpengesteine 93
4.5 Ostalpin – ein Gruss vom Südufer des Ozeans 112
4.6 Südalpin – Saurier, tiefe Seen und rote Pflastersteine 117
5 Geologische Entwicklung der Schweiz –
eine chronologische Zusammenfassung
5.1 Vom kristallinen Grundgebirge bis zum Perm130
5.2 Trias bis Mittlere Kreide: Zerbruch Pangäas und Öffnung von Ozeanen 131
5.3 Kreide bis Neogen: Vom Ozean zum Hochgebirge 134
5.4 Quartär bis heute: Kalt- und Warmzeiten 137
5.5 Altersbestimmung 138
6 Vertiefung
6.1 Plattentektonik 142
6.2 Eiszeiten – die Vergletscherung der Schweiz im Quartär148
6.3 Und sie bewegt sich immer noch – Neotektonik, Bergstürze
und Erdbeben 158
6.4 Karst und Höhlen 164
6.5 Metamorphose und metamorphe Gesteine 171
6.6 Strahler, Kristalle, Bodenschätze und Meteoriten 174
7 Anhang
Weiterführende Literatur 186
Glossar – einige wichtige Fachausdrücke 188
Stichwortverzeichnis 196
Vorwort
Abb. 1.1
Calcit
Kleinode am Wegrand – Calcitkristalle begegnen
uns in einer grossen Vielfalt an Formen. Sie erreichen
nur selten die Grösse der bekannten Bergkristalle
(Quarz), sind aber viel häufiger zu finden und auch
schön.
Wie sind die Riesenbergkristalle vom Planggenstock
entstanden? Warum findet man
auf der Scesaplana auf 3000 m ü.M. versteinerte
Meerestiere? Woher kommen die farbenprächtigen
Kiesel in der Emme? Sicher
haben Sie auch schon unterwegs über skurrile
Felsen, verbogene Gesteinsschichten
oder auffällige Steine gestaunt. Da möchte
man doch wissen, wie diese Felsform entstanden
ist, wie jene Versteinerung heisst,
wie alt die Berge sind – und vieles mehr. Bei
solch alltäglichen Beobachtungen setzt dieses
Buch an: Hintergründe erleuchten, Verständnis
vermitteln und «Gwunder» wecken
nach mehr. Es möchte helfen, die in
der Landschaft verborgenen Geschichten
über ihr Werden und Vergehen zu entdecken
– und dabei die Sprache der Geologie
nahebringen. Naturbegeisterten und Lernenden,
die sich mit der Materie befassen
(müssen), wird hiermit ein knapp gehaltenes
und gut illustriertes Werk zum Einstieg
angeboten. Wir haben uns auf die Darstellung
der grossen, wesentlichen Zusammenhänge
beschränkt. Angaben zu weiterführender
Literatur finden sich im Anhang.
de Ermutigung bei dem nicht einfachen
Unterfangen, ein kurzes, leicht verständliches
und zeitgemässes Buch über die Geologie
der Schweiz zu verfassen.
Der Kontakt mit den Lesenden ist uns wichtig.
Schreiben Sie uns, wenn Sie Bemerkungen
oder Änderungsvorschläge haben. Kontaktadresse:
Christian Gnägi, Länggasse 7
CH-3360 Herzogenbuchsee
E-Mail: christian.gnaegi@gmx.ch
Mit der 9. Auflage erhielt das Buch eine
ganz neue Struktur und aktualisierte Inhalte.
Gleichzeitig übergab Toni Labhart nach
bald dreissig Jahren Aufbauarbeit den Stab
an Christian Gnägi. In der vorliegenden 10.
Auflage wurden lediglich einige kleine Fehler
ausgemerzt.
Vielen Kolleginnen und Kollegen sind wir
zu grossem Dank verpflichtet: für Anregungen,
das Überlassen von Illustrationen und
Fotos oder auch einfach für die wohlwollen-
1
Grundwissen kompakt –
Geologie der Schweiz im Überblick
Geologie der Schweiz
Zum Gebrauch dieses Buches
10
Dieses Buch ist nicht chronologisch nach
der Entstehung der geologischen Baueinheiten
gegliedert, denn das Alter sieht man
einem Berg oder Tal nicht an. Wir orientieren
uns im Folgenden an dem, was alle sehen
können, wenn sie mit offenen Augen
durch die Landschaft streifen, an den Phänomenen
und den Besonderheiten, die unser
Interesse wecken. Schroffe Felsen, Karrenfelder,
Höhlen, farbige Gesteine,
Versteinerungen und Kristalle fallen auf,
wollen erklärt und verstanden werden. Die
Struktur dieses Buches geht deshalb zuerst
einmal von den drei auffälligen Grosslandschaften
der Schweiz aus: Das flache bis
hügelige Mittelland liegt zwischen den zwei
Gebirgen des Juras und der Alpen ( Kap.
2–4). Vorausgehend wird in Kapitel 1 geologisches
Fachwissen zusammengefasst, das
zum Grundverständnis nötig ist. Die Entstehungsgeschichte
wird in Kapitel 5 als Gesamtschau
präsentiert. In Kapitel 6 folgen
dann vertiefende und erweiternde Abschnitte
zu übergreifenden Themen, für
diejenigen, die noch mehr wissen wollen.
Auch wenn die Struktur dieses Buches also
vom Räumlichen und seinen geologischen
Besonderheiten ausgeht, wird doch immer
wieder von bestimmten Zeitabschnitten
(z. B. Perm oder Mesozoikum) und ihrem Alter
die Rede sein. Als Hilfe hierzu dient die
Übersichtstabelle im hinteren Einband.
Zeitliche Begriffe sind zur besseren Erkennung
kursiv gesetzt. Etwas gewöhnungsbedürftig
ist dabei, dass in der Geologie oft
Zeiteinheiten und die während dieser Zeit
entstandenen Gesteinseinheiten den gleichen
Namen tragen. «Kreide» meint also
einerseits einen Zeitabschnitt im Späten
Mesozoikum, andererseits Ablagerungen
dieser Zeit, oder «Jura» den mittleren Abschnitt
des Mesozoikums, aber gleichzeitig
auch das Juragebirge.
Wir haben uns um eine möglichst verständliche
Sprache bemüht. Allerdings gehören
zum Eintauchen in ein Fachgebiet gewisse
Fachausdrücke dazu, nicht zuletzt, um
auch den Bezug zur übrigen Literatur herzustellen.
Diese Fachbegriffe sind meist
beim erstmaligen Gebrauch im Text erklärt
oder Erklärungen in Klammern angefügt.
Die in Kapitel 1 eingeführten Fachbegriffe
werden später vorausgesetzt. Viele Begriffe
werden zudem im Glossar am Schluss des
Buches erklärt. Die Karte im vorderen Einband
enthält die wichtigsten Namen der
geologischen Einheiten der Schweiz. Sie
werden im Glossar nicht nochmals aufgeführt.
Im hinteren Einband sind drei Querprofile
durch die Schweiz abgebildet. Diese
beiden Karten sollen helfen, eine dreidimensionale
Vorstellung der Schweiz aufzubauen.
Im Laufe der Zeit wurden durch die vielen
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen
Namen für Gesteinseinheiten geprägt, die
zwar heute noch gebräuchlich, aber veraltet
oder nicht offiziell akzeptiert sind, weil sie
nicht den aktuellen Nomenklatur-Regeln
entsprechen. Da sie aber in der älteren Literatur
vorkommen, ist es hilfreich, wenn
man sie kennt (z. B. «Würm» für die letzte
Kaltzeit). Wir weisen teilweise in Klammern
auf solche Namen hin, oder setzen sie
in doppelte Anführungszeichen. Auch in
der neueren geologischen Fachliteratur
sind solche Begriffe in Anführungszeichen
gesetzt. Ebenfalls in Anführungszeichen
sind übertragene Begriffe.
1 Grundwissen kompakt – Geologie der Schweiz im Überblick
Abb. 1.2
Die schweizerischen Grosslandschaften als Teil Mitteleuropas
Der Alpenbogen (3) erstreckt sich über 1000 km und acht Staaten. Der schweizerische Anteil besteht aus den
Zentralalpen (im Unterschied zu den West- und Ostalpen). Der grössere Teil des Juras (1) und seine höchste
Erhebung liegen in Frankreich. Das Mittelland (2) reicht von Frankreich bis weit nach Süddeutschland und
Österreich. Die rote Linie zeigt die ungefähre Plattengrenze zwischen der Europäischen und der Adriatischen
Platte. In den Alpen heisst diese Grenze Periadriatisches Lineament und der schweizerische Abschnitt
Insubrische Linie. In der Vergrösserung des Satellitenbilds (die blaue Linie markiert die Schweizer Landesgrenze
im Südtessin) wird deutlich, dass diese unterirdische Plattengrenze die Entstehung ganzer Talfolgen
bestimmte ( Kap. 4.6).
© http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Alpenrelief_01.jpg
1.1
Die Schweiz im geologischen
Gesamtbild Europas
Die Staatsgrenzen der Schweiz beruhen
nicht auf geologischen, sondern auf geschichtlichen
Gegebenheiten. Geologisch
gesehen, ist die Schweiz ein Ausschnitt aus
viel grösseren Einheiten. Für viele ist es
Teil des schweizerischen Identitätsbewusstseins,
dass Jura, Alpen und Mittelland «uns»
gehören. Doch sie erstrecken sich weit über
die Schweizer Grenzen hinaus und sind
Teilgebiete Mitteleuropas ( Abb. 1.2). Es ist
daher für das Verständnis der Geologie der
Schweiz wichtig, aus einem grösseren
Blickwinkel auf die Schweizer Besonderheiten
zu zoomen.
11
Geologie der Schweiz
Abb. 1.3
Die Bauelemente Europas
geändert nach O. Adrian Pfiffner (2009): Geologie der Alpen. Haupt, Bern
Der euroasiatische Kontinent, auf dem die
Schweiz liegt, hat schon eine lange Geschichte.
In den Gesteinen der Schweizer
Alpen wurden Mineralkörner gefunden,
deren Alter auf über 3 Mrd. Jahre datiert
wurde. Der heutige Zeitpunkt zeigt nur eine
Momentaufnahme. Der Kontinent besteht
aus einem Mosaik verschieden alter Erdteile
(= Platten), die aneinanderstiessen und
so «zusammengeschweisst» wurden ( Kap
1.5 und 6.1). Dadurch änderten sich Form
und Grösse unseres Kontinents immer wieder.
Mindestens zweimal war er Teil eines
«Superkontinents», in dem alle Landblöcke
zusammengeschlossen waren, der aber
wieder auseinanderbrach. Der Baltische
Schild ist das älteste Teilstück Europas
( Abb. 1.3). Er enthält bis zu 3,5 Mrd. Jahre
alte Gesteine.
12
1 Grundwissen kompakt – Geologie der Schweiz im Überblick
Riesige Areale davon liegen aber nicht an
der Oberfläche, sondern unter jüngeren Ablagerungen.
Wenn wir zu den Alpen aufschauen,
so erscheinen sie wie für die Ewigkeit
geschaffen. Es ist schwer vorstellbar,
dass da vorher schon mehrere andere Gebirge
standen, die alle wieder abgetragen
(eingeebnet) wurden. In seiner «jüngeren»
Vergangenheit ist Europa etwa alle 100 bis
200 Mio. Jahre wieder mit einer anderen
Platte zusammengestossen und erlebte dadurch
eine neue Gebirgsbildung (vereinfacht
kann man sich dies vorstellen wie die
Knautschzone, wenn zwei Autos frontal zusammenstossen).
Die drei jüngsten Gebirgsbildungen sind:
• Die kaledonische (Ordovizium bis Silur):
Sie prägte die Gebirge Nordwesteuropas
(Norwegen, Schottland, Irland), erfasste
aber auch andere Regionen und kann
ebenfalls im Grundgebirgssockel der
Schweiz nachgewiesen werden.
• Die variszische (Karbon und Frühes
Perm): Es entstanden u. a. Ural, Ardennen,
Rheinisches Schiefergebirge, Harz,
Erzgebirge, Fichtelgebirge, Odenwald,
Spessart, Vogesen, Schwarzwald, Böhmische
Masse, Massif central sowie Teile
Spaniens und Portugals, Sardiniens und
Korsikas. An vielen Orten stieg Magma
(= flüssiges Gestein aus dem Erdinnern)
auf, das zu ausgedehnten Gesteinskörpern
aus Granit erstarrte oder in Vulkanen
ausbrach. Diese Granite bilden den
Kern der Zentralmassive in den Schweizer
Alpen ( Kap. 4.3) und sind auch in
den penninischen Decken ( Kap. 4.4)
vorhanden. Fast alle Granite der
Schweiz entstanden in dieser Phase. Im
Südalpin und Penninikum liegen grössere
vulkanische Gesteinseinheiten aus
dieser Zeit (Perm).
• Die alpine (Ende Kreide bis heute): Sie
umfasste nicht nur die Alpen, wie man
denken könnte, sondern auch die
Karpaten, den Apennin, die Dinariden,
die Pyrenäen und den Atlas. Als noch
wenig abgetragene Ketten entsprechen
sie in Form und Höhenlage am besten
unserer Vorstellung von Gebirgen.
Teilweise umschliessen sie Beckenlandschaften,
die mit Abtragungsschutt
gefüllt sind, oder werden durch solche
begrenzt (z. B. das nordalpine Mittelland
und die Poebene).
Grundlegend für den geologischen Aufbau
der Schweiz – und damit für das Verständnis
der Geologie der Schweiz – ist, dass nach
der variszischen Gebirgsbildung bis zur
Trias der grosse Superkontinent Pangäa bestand,
in dem die heutigen Kontinente alle
vereinigt waren. Seine Gesteine waren aus
Resten früherer Gebirgsbildungen, sogenanntem
Altkristallin, aufgebaut. Denn bei
jeder neuen Gebirgsbildung wurden Reste
älterer Gebirge und ihr Abtragungsschutt
wieder eingefaltet. Altkristallin ist somit
keine einheitliche Bildung, sondern für die
Alpen ein Sammelbegriff, der alle metamorphen
Gesteine (zur Metamorphose siehe
Kap. 6.5) mit einem Altersspektrum bis
und mit der variszischen Gebirgsbildung
umfasst. Die Entzifferung ihrer Geschichte
ist spannend wie ein Krimi. Während der
variszischen Gebirgsbildung stieg an vielen
Orten Magma ins Altkristallin auf, das zum
Teil in Vulkanen ausbrach. Damals war hier
Festland, und die Gebirge unterlagen starker
Abtragung. Die daraus entstandenen
Sedimente des Karbons und Perms bestehen
denn auch aus erodiertem Altkristallin
und Vulkaniten (sowie untergeordnet
Kohlelagen, daher der Name «Karbon»).
Wenn sich die Erdkruste durch Bewegun- 13
Geologie der Schweiz
gen im Erdinneren dehnt, sinkt der ausgedünnte
Teil ein. Es entsteht ein Graben, wie
z. B. der Oberrhein-Graben zwischen
Schwarzwald und Vogesen ( Kap. 3.1). In solchen
eingesenkten Mulden (Permokarbon-Tröge,
Kap. 5.1) sind die Sedimente des
Perms und Karbons erhalten geblieben. Dieser
alte kontinentale Sockel ist als Grundgebirge
unter der ganzen Schweiz zu finden.
Zugleich bildet er den kristallinen Anteil
vieler Decken in den Alpen. Das Grundgebirge
beinhaltet also drei Elemente:
• Altkristallin: metamorphes Kristallin
von abgetragenen Gebirgen,
• Erstarrungsgesteine (= Magmatite) aus
der variszischen Gebirgsbildung,
• Sedimente des Perms und Karbons.
Als Pangäa im Mesozoikum auseinanderbrach,
wurden in den zwischen den Kontinenten
entstandenen Meeren erneut Sedimente
abgelagert. Der Unterbau des
Gebiets, aus dem während der alpinen Gebirgsbildung
dann die Schweiz zusammengeschweisst
wurde, war also ein alter, abgetragener
Grundgebirgssockel mit einer
jüngeren Sedimentbedeckung. Diese Zweiteilung
in Grundgebirge und mesozoische
Sedimentbedeckung findet man überall im
Aufbau der Schweiz wieder, vom Jura bis
ins Tessin.
1.2
Die Grosslandschaften –
Mittelland, Jura und Alpen
14
Der Gastern-Granit –
Gruss aus dem Perm
Einen Hinweis auf die permische Verwitterung
erhalten wir im Gasterntal.
Im Schutt fallen unter hellen bis grünlichen
auch rotgesprenkelte Granitgerölle
auf ( Abb. 4.24, S. 90). Der
Gastern-Granit ist einer der variszischen
Granitkörper im Aar-Massiv. Er
war bereits beim ersten Mal der Verwitterung
ausgesetzt, weil das ihn einhüllende
Altkristallin abgetragen worden
war. Das heisse und trockene
Klima dieser Zeit führte zur Verwitterung
und damit Rotfärbung von Feldspäten.
Im Mesozoikum sank der
Gastern-Granit durch die Dehnungsbewegungen
in Pangäa wieder unter
den Meeresspiegel und wurde erneut
von Sedimenten überdeckt. Das helle
Band der Trias unterhalb des Kanderfirns
markiert die Grenze Sediment/
Kristallin deutlich.
Unsere umgangssprachliche Einteilung in
die drei Grosslandschaften beruht auf den
Landschaftsformen. Während Mittelland
die anschauliche Bezeichnung für das flache
und hügelige Gebiet zwischen Jura und
Alpen ist, gelten die steilen Kalkwände der
Voralpen als nördlicher Alpenrand ( Abb.
1.4). Geologisch betrachtet, sieht dies etwas
anders aus. Die Entstehung aller drei Landschaften
ist mit der Faltung und Abtragung
der Alpen verknüpft – überprägt durch die
Eisvorstösse der letzten 2,5 Mio. Jahre. Ob
etwas markant in Erscheinung tritt, hat vor
allem mit der Härte und damit der Erosionsresistenz
der Gesteine zu tun. Landschaftskörper
aus weicheren Gesteinen
neigen zu runderen Formen und flacheren
Hangwinkeln.
Das Mittelland
Das Mittelland ( Abb. 1.5, S. 16) ist die fruchtbarste
und am dichtesten besiedelte Landschaft
der Schweiz. Es weist ein engmaschiges
Strassen- und Eisenbahnnetz sowie viel
Platz für Industrie und Landwirtschaft auf.
Zum Mittelland gehören nicht nur die Fluss-
1 Grundwissen kompakt – Geologie der Schweiz im Überblick
Abb. 1.4
Hohgant-Nordwand – der morphologische Alpenrand
Die Nordwand des Hohgant im hintersten Emmental tritt prominent in Erscheinung, weil sie vor allem durch
harte, erosionsresistente Kalke aufgebaut wird (z. B. Schrattenkalk vom damaligen europäischen Kontinentalrand
= Helvetikum). Die Niederhorn-Hohgant-Kette wird deshalb oft als «Helvetische Randkette» der Alpen
bezeichnet. Die darunterliegenden Schichten des Flyschs und der Subalpinen Molasse sind weicher und
deshalb nicht als Fels sichtbar, wurden aber durch die Alpenfaltung ebenfalls abgeschert und aufs Vorland
überschoben. Die Lage des Alpenrands hängt somit von der Definition ab, was als Alpen bezeichnet wird.
ebenen, sondern auch das vor alpine Hügelgebiet
vom Appenzellerland bis zum Genfersee.
Es beginnt im SW nördlich von
Chambéry in Frankreich, dort, wo sich Jura
und Alpen auftrennen. Die Breite nimmt
nach NE bis ins süddeutsche und österreichische
Alpenvorland auf 140 km zu
( Karte im vorderen Einband). Das Mittelland
war ursprünglich ein Becken längs der Alpen,
das auch das Gebiet des heutigen Juras
umfasste (der damals noch nicht aufgefaltet
war). Darin lagerten die Alpenflüsse seit
dem Paläogen die Molasse ab (Abtragungsschutt
der Alpen). Es wurde gleichzeitig
laufend umgestaltet und sogar in die Alpenfaltung
einbezogen (Subalpine Molasse).
Ein später Schub aus SE formte aus dem
Nordrand des Beckens den Jura. Die Gletschervorstösse
im Quartär schürften in der
Molasse tiefe Täler und Becken aus. In diesen
Übertiefungen liegen die Alpenrandseen,
oder sie wurden mit glazialen Sedimenten
aufgefüllt und enthalten grosse
Grundwasservorkommen.
15
Geologie der Schweiz
Abb. 1.5
Das westliche Mittelland
Gewitterstimmung über dem blinkenden Seeland. Im Vordergrund die spätglaziale Schwemmebene zwischen
Biel und Solothurn mit der Aare, im Hintergrund die drei Jurarandseen: Murtensee (links), Neuenburgersee
(rechts hinten) und davor der Bielersee mit der St. Petersinsel (Blickrichtung von der ersten Jurakette nach
SW). Schwach erkennbar sind auch die talparallelen, längsgeschliffenen, bewaldeten Hügelzüge, die die
Gletscherflussrichtung anzeigen.
Der Jura
Der Jura ist neben den Alpen das zweite
Gebirge der Schweiz und macht etwa 10
Prozent der Landesfläche aus ( Abb. 1.6). Er
beginnt in Frankreich südlich des Genfersees
und verläuft dann über 300 km in einem
lang gezogenen Bogen beidseits der
französisch- schweizerischen Grenze bis
über Schaffhausen hinaus nach Deutschland.
In Frankreich liegen Alpen- und Jurakette
zuerst noch nebeneinander. Dann löst
sich der Jura gegen NE ab und wird ein eigenes
Gebirge. Der höchste Punkt liegt
westlich des Genfersees (Crêt de la Neige,
1718 m ü. M.). Bedeutende Gipfel in der
Schweiz sind La Dôle (1677 m ü. M.), Mont
Tendre (1679 m ü. M.) und der Chasseral
(1607 m ü. M.). Nach dem Juragebirge wurde
die mittlere Periode des Mesozoikums
benannt (Trias – Jura – Kreide). Die Hauptfaltung
des Juras fand vor 10 bis 3 Mio. Jahren
statt. Im W wurden die mesozoischen
Sedimente durch den Druck aus SE abgeschert
und mit dem Mittelland auf der
schiefen Ebene der Europäischen Platte
gegen NW geschoben. Dies führte zur Entstehung
eines Faltengürtels (Faltenjura).
Der nördliche Teil des betroffenen Gebiets
zerbrach in Blöcke. Durch den Druck aus S
wurden einige davon im Vergleich zu den
andern etwas herausgepresst (Tafeljura).
Die Alpen
Die Alpen ( Abb. 1.7, S. 18) erstrecken sich
über nahezu 1000 km von Nizza bis Wien.
Der schweizerische Teil wird als Zentralalpen
bezeichnet. Die Schweizer Alpen bilden
von den Hauptkämmen her stark vereinfacht
ein lang gestrecktes «X» mit dem
Kreuzungspunkt im Gotthardgebiet. Dadurch
gibt es eine Alpennordseite, eine Alpensüdseite
und einige inneralpine Längstäler
(Rhonetal, Rheintal, Engadin). Die
Alpen weisen ein ausgesprochenes Hochgebirgsrelief
auf, mit tief eingeschnittenen
Tälern, markanten Bergketten und Gipfeln.
Dies unterscheidet sie deutlich von den
16
1 Grundwissen kompakt – Geologie der Schweiz im Überblick
Abb. 1.6
Juralandschaft
Schroffe Kalkfelsen, weiche Hügelzüge und Fichtenwälder mit Weiden: Ausblick auf den typischen Faltenjura
(vom Chasseron Richtung N nach Frankreich).
älteren europäischen Gebirgen, die bereits
zu hügeligen Mittelgebirgen abgetragen
wurden ( Abb. 1.3, S. 12). Wegen der grossen
Höhendifferenzen ist die Abtragung in den
Alpen intensiv. Sie wird aber durch die
noch andauernde Hebung des Gebirgskörpers
nahezu ausgeglichen ( Abb. 6.19, S. 164).
Die Vergletscherung ist trotz erwärmungsbedingtem
Gletscherschwund immer noch
beträchtlich – doch dies ist nur eine klimatische
Momentaufnahme. Die lang andauernden
Gletschervorstösse im Quartär trugen
durch ihren Geländeabtrag entscheidend
zum heutigen Landschaftsrelief bei.
Die Zentralalpen entstanden durch die Kollision
von Europa mit dem Kleinkontinent
Adria-Apulia. Dabei wurden Krustenteile
beider Kontinente abgeschert und als Decken
übereinandergeschoben. Die Südgrenze
der Schweiz liegt noch ganz in den Alpen.
Erst in Italien schliesst das Pobecken
an ( Abb. 1.2, S. 11). Der nördliche Alpenrand
ist nur der heutige Erosionsrand von
alpinen Decken aus etwas härteren Gesteinen
( Abb. 1.4, S. 15).
1.3
Die geologische Erforschung der
Schweiz
Die geologische Forschung geht von dem
aus, was heute beobachtbar ist, und schliesst
daraus auf die Vergangenheit. Das nennt
man Aktualismus. Ob die geologischen Prozesse
in der Vergangenheit wirklich gleich
abliefen wie heute, wissen wir kaum. Geologische
Erkenntnisse sind also stets mit
einer gewissen Unsicherheit behaftet. Auch
wenn wir dies hier nicht mit jeder Formu-
17
Geologie der Schweiz
Abb. 1.7
Die Alpen: berühmte Gipfel, Gletscher und Bergseen
Der Lac de Fully, ein blauer Edelstein unterhalb der Dent de Morcles in den Walliser Alpen, im Hintergrund der
vergletscherte Grand Combin (4314 m ü. M.), dazwischen unsichtbar das Rhonetal.
lierung andeuten, sondern den aktuellen
Wissensstand als heute gültige Fakten präsentieren,
sollte dies im Hinterkopf bewahrt
werden. Es ist sogar so, dass sich die
Wissenschaft über verschiedene Fragen
nicht einig ist. Der Mensch hat ein Bedürfnis
nach absoluten Wahrheiten, nach Beweisen.
Doch der geologische Erkenntnisprozess
ist im Fluss, und der Stand des
Wissens wird immer wieder durch Entdeckungen
überholt. Dies macht Geologie erst
so richtig spannend. Es kann noch Neues
aufgespürt werden – vielleicht durch Ihre
Beobachtungen?
Der heutige Wissensstand scheint so selbstverständlich.
Wissen ist jederzeit im Internet
abrufbar, in Zeitschriften publizierte
neueste Forschungsergebnisse sind online
einzusehen. Die Forschung profitiert durch
die weltweite Vernetzung. Es ist uns kaum
bewusst, dass das heutige Wissen das Resultat
von über zweihundert Jahren Forschung
ist. Es ist das Gemeinschaftswerk vieler
Hunderter von Geologinnen und Geologen,
die in mühsamer Kleinarbeit unter oft viel
schwierigeren Bedingungen als heute die
Bausteine der aktuell gültigen Theorien zusammentrugen.
Um diese Entwicklung
transparent zu machen, folgt hier ein kurzer
wissenschaftsgeschichtlicher Abriss davon
– zur Würdigung der Pioniere, auf deren
Erkenntnissen wir aufbauen.
Die Pioniere
Es waren Gelehrte, die aus Wissensdurst
ihre Angst vor dem Gebirge überwanden.
Sie entdeckten Mineralien, Gesteine und
Versteinerungen, machten viele oft richtige
und wichtige Beobachtungen, waren aber
begreiflicherweise ausserstande, sie in einen
grösseren Zusammenhang zu stellen.
18
1 Grundwissen kompakt – Geologie der Schweiz im Überblick
Die imposanten Alpen beeindruckten sie
am meisten.
Alpen: Felix Hemmerli beschrieb 1452 erstmals
Falten in den Alpen; Conrad Gessner
(1516–1565) veröffentlichte Tafeln von Versteinerungen.
Er wunderte sich, weshalb
die Berge nicht unter ihrem eigenen Gewicht
versinken. Hans Conrad Escher von
der Linth gab 1796 erstmals eine geologische
Übersicht der Schweizer Alpen, ebenfalls
der deutsche Arzt Johann Gottfried
Ebel in seinem Werk «Über den Bau der
Erde in dem Alpengebirge». Beide beschrieben
die auffällige Gliederung der Alpen in
eine kristalline Zentralzone und in die anschliessenden
Randzonen aus Ablagerungsgesteinen.
Der Genfer Horace Bénédict de
Saussure (1740–1799), ein unerschrockener
Bergsteiger, der als einer der Ersten den
Mont-Blanc erstieg, legte eine Fülle von Beobachtungen
in seinem achtbändigen Werk
«Voyages dans les Alpes» nieder. Aber auch
ihm gelang keine Synthese, und er schrieb
am Schluss resigniert: «Es gibt in den Alpen
nichts Beständiges ausser die Mannigfaltigkeit.»
Jura und Mittelland: Johann Jakob Scheuchzer
(1672–1733) war überzeugt, dass die von
ihm gefundenen Versteinerungen Reste
einstiger, in der Sintflut ertrunkener Lebewesen
seien. Gottlieb Sigmund Gruner
schloss 1774 aus Versteinerungen, dass das
Mittelland einst von einer «allgemeinen
helvetischen, gesalzenen See» erfüllt war.
Jules Thurmann (1804–1855) und Amanz
Gressly (1814–1865) untersuchten die
Schichtfolge und den Bau des Juras. Basierend
auf Beobachtungen von Bauern und
Jägern, entwickelten Ignaz Venetz, Jean de
Charpentier und Louis Agassiz die Eiszeittheorie.
Schweiz als Ganzes: Die beiden dominierenden
Geologen des 19. Jahrhundert waren
Bernhard Studer in Bern und Arnold Escher
von der Linth in Zürich. Beide sammelten
auf ausgedehnten Reisen sehr viel Beobachtungsmaterial.
Studer veröffentlichte eine
erste, zweibändige «Geologie der Schweiz»
(1851–1853). Escher hingegen legte seine
der Zeit oft vorgreifenden Ergebnisse in
zwölf Tagebüchern nieder, die erst viel später
gedruckt wurden. Escher und Studer
publizierten 1853 gemeinsam die erste geologische
Karte der Schweiz. 1872 übernahm
Albert Heim (1849–1937) die Nachfolge
Eschers an der Zürcher Hochschule. Die
«Geologie der Schweiz» von Albert Heim
brachte 1921 auf fast 1700 Seiten eine in ihrer
Geschlossenheit bis heute unerreichte
Übersicht.
Die Deckentheorie als neue Erklärung
des Alpenbaus
Die Arbeiten der letzten Jahrzehnte des 19.
Jahrhunderts erbrachten immer genauere
Kenntnisse der Gesteine und Schichtreihen
der Alpen. Damit rückte der Zeitpunkt für
eine Erklärung des Alpenbaus näher. 1894
deutete der Franzose Marcel Bertrand den
Glarner Verrucano als eine einzige, weit
von Süden her überschobene Masse, eben
als «Decke». Der Durchbruch dieser kühnen
Idee erfolgte zuerst in der Westschweiz:
1890/1893 deutete Hans Schardt die Préalpes
als wurzellose Klippe, und 1894 zeichnete
er das erste, ganz auf der Deckentheorie
beruhende Alpenprofil. Maurice Lugeon
beschrieb 1903 im Wildhorngebiet vier
mächtige übereinanderliegende Decken
(nappes de recouvrement). Die ostalpinen
Anteile der Bündner Alpen wurden 1904
vom Franzosen Pierre Termier erkannt.
Nachdem Gerlach bereits 1869 die Antigorio-Deckfalte
entdeckt hatte, leiteten
Schardt, Schmidt und Preiswerk aus den
Befunden des Simplontunnels (1898–1906)
den Bau der penninischen Decken des Simplongebiets
ab. Basierend auf seinen Untersuchungen
im südlichen Wallis, veröffentlichte
Émile Argand 1911 und 1916 eine
tektonische Karte der Westalpen und eine 19
Geologie der Schweiz
20
geniale, weit über seine Zeit hinausreichende
Synthese des Alpenbaus.
Die neue Zeit
Das 20. Jahrhundert war durch einen enormen
Wissenszuwachs gekennzeichnet. Die
Hochschulen lieferten vorwiegend wissenschaftliche
Resultate, und die Praxis (die
angewandte Geologie) steuerte viele Daten
aus der Planung und Ausführung von Bauwerken
bei. Besondere Bedeutung hatten
dabei die gegen 1000 km Tunnel für Bahn,
Strassen und Wasserkraftwerke sowie die
für vielerlei Zwecke abgeteuften Bohrungen.
Die Deckentheorie wurde zur heutigen
Vorstellung vom Bau und der Entstehung
der Alpen weiterentwickelt. Sie
basiert auf der Theorie der Plattentektonik,
der bedeutendsten Erkenntnis des 20. Jahrhunderts
auf dem Gebiet der Erdwissenschaften
( Kap. 6.1). Auslöser für die neue
Theorie waren Erkenntnisse aus Forschungsprogrammen,
vor allem über
Ozean böden. Erstmals gelang es damit, so
unterschiedliche geologische Phänomene
wie Gebirgsbildung, Erdbeben, Vulkanismus,
Kontinentalverschiebung, Ozeanbecken
und Tiefseegräben in Zusammenhang
zu bringen. Das Verständnis für den Ablauf
der Alpenfaltung lieferte auch Erklärungen
für die Entstehung des Mittellands und des
Juras.
Die geologische Forschung in der Schweiz
wird mit unterschiedlichen Schwerpunkten
vor allem von den erdwissenschaftlichen
Instituten der Universitäten und der ETH,
der Landesgeologie und der NAGRA getragen.
Aber auch viele heute in der Privatwirtschaft
tätige Geologinnen und Geologen
tragen dazu bei. Ihre Tätigkeitsgebiete
und Arbeitsweise verändern sich ständig.
Fand noch vor fünfzig Jahren der Grossteil
der Untersuchungen im Gelände «mithilfe
von Hammer und Geist» (mente et malleo)
statt, steht heute eine Grosszahl moderner
Methoden und Apparaturen zur Verfügung.
Die Feldarbeit rückt damit oft gegenüber
Labor und Computer in den Hintergrund.
In den letzten Jahren haben sich neue, fast
durchweg interdisziplinäre Schwerpunkte
herausgebildet: Entsorgung (Abwasser,
Siedlungsabfälle, Sonder- und Atommüll),
Sanierung von Altlasten und Deponien
(Verunreinigung von Boden und Wasser
durch Chemikalien), Rohstoffrecycling und
Naturgefahren (Hochwasser, Murgänge,
Rutschungen, Felsstürze, Erdbeben). Viele
dieser Aufgabenbereiche und Phänomene
betreffen oberflächennahe Lockergesteine,
daher die zunehmende Bedeutung der
Quartär-Geologie (Geologie der Eiszeiten).
Erfreulich ist die steigende Akzeptanz der
Notwendigkeit von Öffentlichkeitsarbeit
(«Erlebnisgeologie») und Geotopschutz
(Schutz geologischer Phänomene). Die Erforschung
der Schweiz wird auch im neuen
Jahrtausend weitergehen. Die Geologie ändert
sich zwar nicht, wohl aber Untersuchungsmethoden,
Theorien, Anforderungen
und Fragestellungen von Wissenschaft
und Praxis.
1.4
Der aktuelle Kenntnisstand
Bücher und Zeitschriften
Früher liess sich alles Fachwissen in Büchern
nachschlagen. In Zeitschriftenartikeln
publizierte Forschungsergebnisse fanden
mit der Zeit Eingang in Standardwerke.
Dies ist heute nur noch bedingt so. Die Produktion
von Büchern, besonders solchen
mit kleiner Auflage, ist teuer und nicht immer
wirtschaftlich. Der Forschungsfortschritt
geht zudem so schnell, dass Bücher
innert kürzester Zeit überholt sein können.
Zudem wird heute an Universitäten über
die ganze Welt verteilt an verwandten Fragestellungen
geforscht. Dies setzt eine Universalsprache
und eine Austauschplattform
1 Grundwissen kompakt – Geologie der Schweiz im Überblick
voraus, die von überall her zugänglich ist.
Deshalb hat sich die Publikation von Forschungsresultaten
in eine grosse Zahl von
spezialisierten Zeitschriften verlagert, die
zum grössten Teil in Englisch erscheinen.
Ein Teil davon ist über Universitätsbibliotheken
online gratis einsehbar. Die traditionellen
«Eclogae Geologicae Helvetiae» z. B.,
die seit 1888 erscheinende Zeitschrift der
Geologischen Gesellschaft der Schweiz,
heisst nun «Swiss Journal of Geosciences».
Sie wurde mit den «Schweizerischen Mineralogischen
und petrografischen Mitteilungen»
zusammengelegt und wird durch den
Medienkonzern Springer vermarktet ( www.
springer.com). Artikel können online recherchiert
und heruntergeladen werden.
Geologische Karten
Eine topografische Karte (z. B. die «Schweizerische
Landeskarte») zeigt Form und Beschaffenheit
der Erdoberfläche sowie die
Lage von Bauwerken usw. Auf geologischen
Karten sind zusätzlich die Oberflächengesteine
mit Farben gekennzeichnet. Dazu
sind auch Steinbrüche, Bergwerke, Quellaustritte
und Fossilfundstellen vermerkt
( Abb. 1.8, S. 22). Die Karte hilft, die Geologie
eines Gebietes so richtig zu begreifen.
Mit den dazugehörigen Erläuterungen repräsentiert
sie in kompakter Form den aktuellen
Wissensstand im Erscheinungsjahr.
Es gibt Karten, die nur in wissenschaftlichen
Publikationen über ein Gebiet erscheinen,
und solche, die von staatlicher
Seite hergestellt und verkauft werden. Dafür
ist in der Schweiz die Geologische Landesaufnahme
im Bundesamt für Landestopografie
zuständig ( www.swisstopo.ch). Sie
führt die Tradition der Schweizerischen
Geologischen Kommission weiter, welche
von 1860 bis 1986 auf privater Basis die Landeskartierung
trug. Die Karten wurden zum
grossen Teil ehrenamtlich erstellt. Geologische
Karten können auch im Internet konsultiert
werden, unter:
• http://map.gisgeol.admin.ch
• http://map.geo.admin.ch
Die wichtigsten Karten sind:
a) 1 : 500 000 und 1 : 200 000 (Überblickskarten)
• Tektonische Karte der Schweiz: Sie zeigt
die Gesteinskörper wie Massive, Decken,
Zonen und ihre Brüche, Falten
und Verschiebungen.
• Geologische Karte der Schweiz: Sie zeigt
die Gesteine nach Art und Alter.
• Hydrogeologische Karte der Schweiz mit
den Grundwasservorkommen.
• Die Schweiz während des letzteiszeitlichen
Maximums.
• Geotechnische Karte der Schweiz: vier
Blätter mit Erläuterungsheften zu
Rohstoffvorkommen und Gesteinen.
b) 1 : 25 000 (Detailkarten)
Der Geologische Atlas der Schweiz im Massstab
1 : 25 000 ist das geologische Standardkartenwerk
der Schweiz. Neuere Blätter
weisen die gleiche Blattbezeichnung auf
wie die Landeskarten 1 : 25 000. Zu jedem
Kartenblatt gehört ein Erläuterungsheft,
das die geologische Darstellung detailliert
beschreibt – allerdings sind einige Blätter
noch in Redaktion. Gegenwärtig sind rund
145 der ca. 210 vorgesehenen Blätter erschienen.
Einige sind allerdings schon wieder
vergriffen. Eine rasche Fertigstellung
dieses auch für die Praxis wichtigen Schlüssel-Kartenwerks
wird seit Jahren durch
Budgetrestriktionen verzögert.
Einen illustrativen Überblick über die geologischen
Produkte von Swisstopo vermittelt
ihre Schrift «Geologie Schweiz – das
Wissen aus dem Untergrund» (2013).
Das Stratigrafische Lexikon
Stratigrafie ist die Lehre von den Gesteinsschichten
und ihrer zeitlichen Abfolge.
Doch es ist wirklich verwirrend. Wer weiss 21
Geologie der Schweiz
Abb. 1.8
Topografische und geologische Karte im Vergleich
Beide Karten zeigen die Klus von Choindez im Faltenjura (zwischen Delémont und Moutier). Der Vergleich
verdeutlicht den Zusammenhang von Landschaftsform, Gestein und Gebirgsbau. Die Erosion hat die harten
Malmkalke, die das Aussengerüst der Falte bilden, als Felsrippen und -stufen herauspräpariert (blaugrau
mit roten Punkten). Die weichen, leicht erodierbaren und zu Rutschungen neigenden Tone und Mergel im
aufgebrochenen Innern sind meist von Hangschutt verdeckt (hellgelb und weiss mit blauen Punkten;
Halbmonde = Rutschungen). Im Kern der Falte bildet der Kalk des Doggers (braun) wieder Felsrippen,
besonders deutlich an der Birs bei Choindez.
Ausschnitt aus dem Geologischen Atlas und aus der Topografischen Karte 1 : 25 000 BL. 1106 Moutier,
Erscheinungsjahr 1996 © reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BA14020)
22
1 Grundwissen kompakt – Geologie der Schweiz im Überblick
schon, dass es «Günz, Mindel, Riss und
Würm» (frühere Namen der Eiszeiten) in
der Schweiz nicht mehr gibt bzw. wie sie
denn heute heissen. Nur wer sich intensiv
mit dem Gebiet befasst, kann sich einen
Durchblick schaffen. Dazu gab es umfangreiche
Werke, die etwas Licht ins Dunkel
brachten, wie das «Stratigrafische Lexikon».
Weiter gibt es die Stratigrafische Kommission
der Schweiz, deren Aufgabe die Vereinheitlichung
der Namen ist. Heute können
die alten Namen und die aktuell gültige
Nomenklatur, soweit bearbeitet, im Internet
abgefragt werden: www.stratigraphie.ch.
Wichtig zu wissen ist, dass die Grundeinheit
zur Erfassung einer Gesteinsschicht Formation
heisst. Eine Formation kann aus mehreren
Membern (Untereinheiten) bestehen.
Das heisst, dass Gesteine, die in einem
bestimmten Gebiet in einer bestimmten
Zeit entstanden, einen Namen bekommen.
So ist z. B. die Schrattenkalk-Formation eine
Gesteinseinheit, die auf dem Europäischen
Schelf des Kreidemeers vor ca. 125 Mio.
Jahren abgelagert wurde und vorwiegend
aus Flachwasserkalk mit Mergeleinschaltungen
besteht ( Abb. 1.4, S. 15).
Die Schweizer Geologie im Internet
Abb. 1.9
Der Kreislauf der Gesteine
Fachgebieten gegliederte Plattformen. Die
Platform Geosciences ist die Schnittstelle
zwischen den verschiedenen geowissenschaftlichen
Fachgebieten sowie zwischen
Forschung, Praxis, Verwaltung, Politik und
Öffentlichkeit. Die Webseite enthält z. B.
Angaben zu:
• Geotopen, Geoparks, geologischen
Wanderwegen, Geoführern, Schauhöhlen
und Schaubergwerken (Rubrik
Erlebniswelten);
• Namen und Adressen vieler Geologen,
geologischen Institutionen und Arbeitsgruppen
der Schweiz (Rubrik Geoszene).
1.5
Der Kreislauf der Gesteine
«Wie ein Fels in der Brandung» – Fels, ein
Symbol für Widerstandsfähigkeit und Beständigkeit.
Doch unmerklich frisst die
Brandung an der Klippe, wie das an Küsten
gut beobachtet werden kann. Gesteine werden
und vergehen in zwei grossen Kreisläufen,
die miteinander verknüpft sein können
( Abb. 1.9):
Gute Ausgangsseiten sind:
• Das Geologie-Portal der Schweiz:
www.geologieportal.ch
• Die Geodatenportale der Kantone:
www.kkgeo.ch/geodatenangebot/kantonale-geoportale.html
• Platform Geosciences:
www.geosciences.scnat.ch
• Die Webseiten der Geologischen Institute
der Universitäten mit ihren Forschungsgruppen
Die Schweizerische Akademie der Naturwissenschaften
(SCNAT) ist ein Zusammenschluss
von naturwissenschaftlichen Fachorganisationen.
Sie betreibt sechs nach
23
Geologie der Schweiz
Abb. 1.10
Erdaufbau und Platten
Man unterscheidet beim Aufbau der Erde entweder
nach der Zusammensetzung (chemische Elemente,
Gesteine) in Kruste, Mantel und Kern oder danach,
ob eine Schicht fest (Lithosphäre) oder weich
(As thenosphäre) ist. Während die Kruste nur aus
Fest- gestein besteht, hat der Mantel einen oberen
Teil aus Festgestein (Gabbro, Peridotit) und einen
unteren, plastischen Teil. Dargestellt ist der
Zusammenstoss einer ozeanischen mit einer
kontinentalen Platte. Die ozeanische taucht ab
(Subduktion), und dazwischen bildet sich ein
Akkretionskeil (rot) aus abgescherter ozeanischer
Kruste. Die Moho ist die Grenze zwischen Kruste und
Mantel.
Abb. 1.11
Plutonite (Tiefengesteine)
Habkern-Granit von Habkern (rechts) und Hornblende-Olivin-Gabbro
aus dem Walliser Penninikum
(links). Gabbro und Granit sind im Erdinnern aus
Magma auskristallisiert. Granit besteht hauptsächlich
aus den Mineralien Quarz (grau, transparent), Feldspat
(rot, weiss) und Glimmer (schwarz). Die Farbe
der einzelnen Mineralarten kann aber variieren, je
nach Granitart. Gabbro kann neben Feldspat (weiss)
noch Olivin, Pyroxen und Hornblende (schwarz)
enthalten. Typisch ist bei beiden Gesteinen, dass
aufgrund des Kristallisationsprozesses die einzelnen
Mineralkörner von blossem Auge sichtbar sind.
Gabbro kommt in der Schweiz am häufigsten in
ehemaliger ozeanischer Kruste vor und Granit im
Grundgebirge und im Bergell.
• Flüssiges Gestein (Magma) – Erstarrung
– Aufschmelzung;
• Festgestein – Verwitterung – Abtragung
– Ablagerung – Verfestigung/Gesteinsbildung.
Magma – Erstarrung – Aufschmelzung
Die Lithosphäre ist die äusserste Schicht
der Erde. Sie besteht aus Festgestein und ist
in etwa ein Dutzend grosse starre Platten
(und viele kleine) zerbrochen, die auf der
plastischen Asthenosphäre, der nächstunteren
Schicht, schwimmen ( Abb. 1.10 und
Abb. 6.1, S. 143). Die heutigen Kontinente
sind nur eine Momentaufnahme im Prozess
der Plattenverschiebungen, der seit Milliarden
von Jahren abläuft ( Kap. 6.1). Diese
Platten bewegen sich gegeneinander, aneinander
vorbei oder übereinander ( Abb. 6.2,
S. 144). Davon ist auch die Schweiz direkt
betroffen, denn unter den südlichen
Schweizer Alpen verläuft die Grenze zwischen
der Adriatischen und der Europäischen
Platte, die Insubrische Linie ( Abb.
1.2, S. 11; Kap. 4.6).
In der Asthenosphäre liegt das Gestein als
Magma vor. Dieses steigt unter gewissen
Bedingungen in die Lithosphäreplatten auf.
Dort sammelt es sich in Magmenkammern.
Entweder steigt es weiter auf, oder es kühlt
sich ab, und die Mineralien (=chemische
Verbindungen aus den gelösten Grundelementen)
kristallisieren aus. Dabei entstehen
die Tiefengesteine (Plutonite) wie Peridotit,
Gabbro und Granit. Peridotit kommt
vor allem im Oberen Mantel vor und ist
daher in der Schweiz ganz selten anstehend
(«anstehen» bedeutet, dass ein bestimmtes
Gestein an der Oberfläche sichtbar ist),
24
1 Grundwissen kompakt – Geologie der Schweiz im Überblick
Abb. 1.12
Vulkanite (Ergussgesteine)
Viele der vulkanischen Gesteine der Schweiz entstanden
während der variszischen Gebirgsbildung.
Beim Rhyolith (links) sind die grossen grauen
Quarzkörner charakteristisch, die in einer feinkörnigen
Grundmasse aus verschiedenen Mineralien
eingebettet sind. Basalt (rechts) ist oft dunkel ge -
färbt, da er neben Feldspat auch dunkle Mineralien
wie Pyroxene, Amphibole und Olivin enthält. Der hier
abgebildete wurde vom Rhone-Gletscher glattpoliert.
Seine grünliche Farbe kommt daher, dass bereits
eine leichte Metamorphose stattfand. Charakteristisch
für vulkanische Gesteine ist, dass sie hauptsächlich
aus einer dichten Grundmasse bestehen,
deren Mineralkörner von Auge nicht unterscheidbar
sind.
Abb. 1.13
Gletscherschliff
Schrammen im Kalkfels durch Gletscherschliff am
Rand des Glacier de Tsanfleuron im Diableretsgebiet.
Das herausgekratzte Steinmehl wird als Suspension
im Schmelzwasser abtransportiert und gibt ihm die
charakteristische Färbung (Gletschermilch).
Gabbro und vor allem Granit sind häufiger
( Abb. 1.11). Beispiele sind die grossen Granitkörper
der Zentralmassive ( Kap. 4.3).
Manchmal dringt das Magma bis an die Erdoberfläche
durch und bricht als Vulkan (z. T.
auch unter dem Meer) aus. Dann spricht
man von Lava. Vulkanische Gesteine (Vulkanite)
sind z. B. Basalt und Rhyolith ( Abb.
1.12). Die Schweiz hat weder aktive noch
erloschene Vulkane, doch das war nicht immer
so. In den Alpen sind vulkanische Gesteinsserien
aus früheren Zeiten eingefaltet
( Kap. 4).
Aufgrund der verschiedenen mineralischen
Zusammensetzung unterscheiden sich Gesteine
in ihrer Dichte. Stossen nun Platten
mit unterschiedlicher Dichte zusammen, so
taucht die «schwerere» Platte unter die andere
ab ( Abb. 1.10). Dabei wird sie wieder aufgeschmolzen.
Der Kreislauf ist geschlossen.
Festgestein – Verwitterung – Abtragung/
Ablagerung – Gesteinsbildung
Kommt ein Gestein in die Nähe der Erdoberfläche,
beginnt seine Verwitterung,
sein Zerfall. Dies beinhaltet zwei Vorgänge,
die ineinandergreifen:
• den Zerfall in immer kleinere Bruchstücke;
• die chemische Umwandlung und Lösung
von Mineralien durch Wasser und
Luft.
Durch die chemische Verwitterung lockern
sich die Verbindungen der Mineralkörner,
die letztlich ein Gestein zusammenhalten.
Besonders grosse Bedeutung hat in unseren
Breiten die Löslichkeit von Kalk (Calciumkarbonat
CaCO 3) durch saures Wasser. Dabei
genügt bereits die Kohlensäure, die im
Regen durch die Verbindung von CO 2 und
25
Geologie der Schweiz
Tab. 1
Die drei grossen Gesteinsgruppen
Aufgrund ihrer Entstehung werden drei grosse Gruppen von Gesteinen unterschieden: Ablagerungsgesteine,
Erstarrungsgesteine und Umwandlungsgesteine. Erstarrungsgesteine (Magmatite) kristallisieren aus
Mineralien, die in einer Gesteinsschmelze (Magma) gelöst sind – entweder im Erdinnern aus aufsteigendem
Magma (Plutonite) oder an der Erdoberfläche aus Lava (Vulkanite). Umwandlungsgesteine (Metamorphite)
entstehen während Plattenbewegungen oder Gebirgsbildungen durch Wärme und Druck aus anderen
Gesteinen ( Kap. 6.5). Erstarrungsgesteine und Umwandlungsgesteine werden als «Kristallin» zusammengefasst.
Ablagerungsgesteine entstehen aus Bruchstücken anderer Gesteine oder durch die Absetzung von
im Wasser gelösten Substanzen. Sie werden nach der Hauptkorngrösse geordnet. Lockergesteine sind noch
nicht zu Fels verfestigte Ablagerungen.
Wasser entsteht. Durch Kalklösung entstehen
Karstlandschaften mit teils riesigen
Höhlensystemen ( Kap. 6.4). Bei Ablagerungsgesteinen
wie Sandstein wird der
Kalkzement herausgelöst, und er beginnt
abzusanden. Dies wirkt sich auch bei
Sandsteinbauten aus. Historisch wichtige
Gebäude, wie das Berner Münster und das
Bundeshaus (aus Molassesandstein), werden
dadurch zur permanenten Baustelle.
Durch Spalten in den Fels einsickerndes
Wasser kann bis in grosse Tiefen gelangen,
wo es immer stärker erwärmt wird. Wasserlösliche
Komponenten werden dabei abtransportiert
und bei verändertem Lösungsgleichgewicht
wieder ausgeschieden (Kalk,
z. B. als Tropfsteine, Sinter oder als Kesselstein
in Pfannen und Boilern). Ein Teil dieses
Wassers wird als Thermal- und Mineralwasser
genutzt (z. B. in der Therme von Vals
in Graubünden).
Durch Frostwechsel (Wechsel von Frost
und Hitze) entstehen Spannungen und mit
der Zeit Spalten im Stein. Ganze Felspartien
können so abplatzen. Einsickerndes Wasser,
das gefriert, lockert das Gestein zusätzlich
(Frostsprengung). Bergstürze und
Steinschlag sowie die Schleifarbeit von
Gletschern ( Abb. 1.13, S. 25), Wasser ( Abb.
1.14) und Wind zerkleinern die Felskomponenten
weiter. Verschiedene Kräfte arbeiten,
angetrieben von der Schwerkraft, am
Abtransport (Erosion) des gelockerten Un-
Erstarrungsgesteine (Magmatite)
Umwandlungsgesteine (Metamorphite)
Plutonite (aus Magma)
z. B. Granit, Gabbro,
Peridotit
Vulkanite (aus Lava)
z. B. Rhyolith, Dazit,
Andesit, Basalt
z. B. Gneis, Schiefer, Amphibolit, Marmor, Eklogit
Ablagerungsgesteine (Sedimentgesteine)
Lockergesteine
Meeresgesteine
z. B. Kalk, Gips,
Steinsalz, Dolomit,
Mergel, Radiolarit
Konglomerat 1
Brekzie 2
aus Gesteinsbruchstücken (Korngrösse in mm)
Sandstein 0,063–2 Sand
Blöcke (> 200), Steine
(60–200), Kies (2–60)
Siltstein 0,002–0,063 Silt
26
1
Komponenten gerundet, 2 Komponenten kantig
Tonstein < 0,002 Ton
1 Grundwissen kompakt – Geologie der Schweiz im Überblick
Abb. 1.14
Wassererosion
Der «Sand im Getriebe» der Bäche zersägt den
härtesten Fels. Romantische Felsformationen in der
Schlucht Pouetta Raisse im Waadtländer Jura.
© Urs Aebersold, Burgdorf
Abb. 1.15
Umschlagplatz Gebirgstäler
Wildbäche, Steinschlag und Lawinen lassen an den
Talflanken grosse Schuttkegel anwachsen. Dazu
kommt der Gletscherschutt (Moräne vom letzten
Hochstand des Kanderfirns im Hintergrund rechts).
Bei Unwettern kann das Ganze grossflächig in
Bewegung kommen – die Landschaft wird umgebaut
(oberhalb Heimritz im Gasterntal nach einem
verheerenden Unwetter).
tergrunds. Massenbewegungen wie Bergstürze,
Rutschungen und Murgänge können
grosse Schuttmengen aufs Mal ein Stück
weiter hangabwärts befördern ( Abb. 1.15;
Kap. 6.3). Gletscher und Bäche übernehmen
die Fracht und lagern sie bei nachlassender
Transportkraft wieder ab ( Abb. 1.16,
S. 28). Abtragung und Ablagerung gesche-
hen ungleichmässig, aber oft Hand in Hand.
Kiesbänke werden in Flüssen während des
gleichen Ereignisses talabwärts umgelagert.
Gletscher schleifen den Fels ab und
lagern gleichzeitig an andern Stellen Moränen
ab ( Abb. 1.17, S. 29). Durch die Bergflüsse
gelangen gewaltige Massen in die Seen
am Alpenrand ( Abb. 1.18, S. 30). So spült
beispielsweise der Rhein jährlich rund
4 Mio. Tonnen Geröll und Feinmaterial in
den Bodensee. Gleichmässig auf sein Einzugsgebiet
verteilt, entspricht dies einer
Gesteinsschicht von ca. 0,5 mm Dicke. Messungen
an anderen Alpenflüssen ergaben
ähnliche Werte. Ausser den Schwebstoffen
verbleibt alles in den Seen, bis sie aufgefüllt
sind. So hat sich im Brienzersee in den letzten
15 000 Jahren (seit dem Rückzug der
Gletscher) ein rund 50 m mächtiger (Mächtigkeit
bedeutet in der Geologie die Schichtdicke)
Stapel von Lockergestein gebildet.
27
Geologie der Schweiz
Durch den Bau von Stauseen bleibt allerdings
heute in den betreffenden Tälern das
grobe Material im Alpenraum.
Mit zunehmender Mächtigkeit der Ablagerungen
steigt der Druck auf die tieferen
Schichten. Mit der Zeit werden sie zu neuem
Fels verfestigt, zu Ablagerungsgesteinen
(Sedimente). Diesen Prozess der Verfestigung
nennt man Diagenese. Die
Mo lasse des Alpenvorlands besteht aus älteren
Fluss ablagerungen des Alpenraums,
die bereits verfestigt sind ( Abb. 2.3, S. 42).
Die Diagenese wird durch die Zementation
mit aus dem Sickerwasser ausgeschiedenen
Mineralien, z. B. Kalk, beschleunigt. Da im
untiefen Meer oft viel mehr gelöster Kalk
vorhanden ist als im Sickerwasser, ist mariner
Sandstein viel stärker zementiert und
weist damit eine höhere Erosionsresistenz
auf als Flusssandstein. Deshalb wurde im
Mittelland, wo immer möglich, Sandstein
der Meeresmolasse verbaut und nicht solcher
der Süsswassermolasse, der unter Witterungseinfluss
viel schneller zerbröckelt.
Durch Druck und Hitze (ab ca. 300 °C) kann
sich der Mineralbestand von Gesteinen verändern,
dann spricht man von Umwandlungsgesteinen
(= metamorphe Gesteine).
Den Prozess nennt man Metamorphose
( Kap. 6.5).
Abb. 1.16
Abtrag und Ablagerung
Erodiertes Material wird oft wenig später wieder
abgelagert. Wildbachtrichter und Schuttkegel bei
Casaccia am Lukmanier.
formen werden aber ebenso stark durch die
langsamen Prozesse der Gebirgsbildung,
Verwitterung und Vergletscherung geprägt.
Aufbauen und einebnen
Wo stehen die höchsten Berge? Oder anders
gefragt, was bestimmt, wie hoch ein Berg
ist? Grundsätzlich gibt es Kräfte, die einen
Aufbau der Landschaftsformen, und solche,
die ihren Abtrag, ihre Einebnung bewirken.
Zum Aufbau führen Gebirgsbildung, Vulkanismus
und Ablagerungen (Akkumulation).
Verwitterung, chemische Lösung und
Erosion bewirken den Abbau. Entsprechend
gibt es erosive Landschaftsformen
1.6
Entstehung des Landschaftsreliefs
28
Die Entstehung der Grundeinheiten Mittelland,
Jura und Alpen wird in den Kapiteln
2 bis 4 ausführlich vorgestellt. Doch wie
wurde daraus unsere vertraute Landschaft
mit Bergen, Pässen, Tälern, Flüssen und
Seen? Das heutige Landschaftsbild zeigt,
geologisch gesehen, nur eine Momentaufnahme.
Dies lässt sich erahnen, wenn
durch Hochwasser und Massenbewegungen
grosse Materialmengen verschoben
werden ( Abb. 1.15, S. 27). Die Landschafts-
1 Grundwissen kompakt – Geologie der Schweiz im Überblick
Abb. 1.17
Zungenbeckensee und Endmoräne
Das Moor mit den verlandenden Schwendiseen ist das einstige Zungenbecken eines Lokalgletschers. Es liegt
am Nordfuss der Churfirsten bei Wildhaus. Umrahmt bzw. gestaut werden die Seen von einer überwachsenen
Stirnmoräne. Der Gletscher erodierte (Zungenbecken) und akkumulierte (Stirnmoräne) gleichzeitig. Vorstossen
konnte er erst, als sich der Rhein-Gletscher, der über den Sattel von Wildhaus ins Toggenburg übergeflossen
war, zurückzog.
Gletschertäler seien breit und U-förmig,
Flusstäler schmal und V-förmig – steht in
den Schulbüchern. Dies ist jedoch nur die
halbe Wahrheit. Unsere Täler zeugen vom
Zusammenwirken von Eis- und Wassererosion.
Seit dem Beginn des Quartärs waren
die Gletscher und ihre Schmelzwasser die
dominant prägende Kraft der Talbildung,
die auch für die starke Eintiefung verantund
durch Akkumulation entstandene, je
nachdem, welcher Prozess prägender war.
Beispiele für akkumulative Formen sind
Flussdeltas ( Abb. 1.18, S. 30), Schuttkegel
( Abb. 1.16) und Moränen ( Abb. 1.17). Dagegen
sind Täler, Schluchten ( Abb. 1.14, S. 27)
und Karst durch Erosion entstanden. Unsere
Landschaft ist vor allem durch die Alpenfaltung
aufgebaut und durch Flüsse und
Gletscher überprägt worden ( Abb. 1.19,
S. 31). Am höchsten sind die Berge also
dort, wo die Hebung anhaltend und stärker
war als der Abtrag. Wie stark der Abtrag ist,
hängt unter anderem von der Widerstandsfähigkeit
des Gesteins ab (=Erosionsresistenz).
Es verwundert also nicht, dass viele
der hohen Berge der Schweiz aus harten
Gesteinen wie z. B. Granit bestehen. Trotzdem
war der Abtrag gigantisch, sonst wären
die Alpen gebietsweise bis 20 km höher als
heute.
Gletscher- und Flusstäler
29
Geologie der Schweiz
Abb. 1.18
Maggiadelta
Das Maggiadelta wächst immer weiter in den See hinaus, am Seeboden hat es bereits den Gegenhang
erreicht.
© VBS – Schweizer Luftwaffe
wortlich ist. So wurde z. B. das Aaretal bei
Thun in der letzten Million Jahre um ca.
1 km eingetieft oder das Unterwallis bei
Martigny um 1,5 km, während die Bergketten
viel weniger stark erniedrigt wurden.
Einige der alpinen Schluchten, wie die
Aareschlucht zwischen Innertkirchen und
Meiringen oder die Via Mala in Graubünden,
sind massgeblich durch subglaziales
Schmelzwasser (Wasser, das durch die Gletscherspalten
an den Grund des Gletschers
fliesst und von dort bis zum Gletschertor)
eingesägt worden. Der scheinbar U-förmige
Talquerschnitt einiger Gletschertäler entstand
oft durch spätere Lockergesteinsschüttungen
sowie weitere Faktoren wie
Gesteinshärte und parallelen Verlauf der
Klüftung (Spalten) in den Talflanken.
Es gibt aber einen Unterschied zwischen
Gletscher- und Flusstälern. Flüsse fliessen
nur abwärts, Eis und subglaziales Schmelzwasser
auch aufwärts. Flusstäler weisen
deshalb überall ein Gefälle auf. Dagegen
können Gletscher auch Übertiefungen aushobeln.
Dies sind Talabschnitte mit einer
Gegensteigung, z. B. Becken. Dies kann
schon ganz oben am Gletscher mit der Karmulde
ansetzen, dann vor und nach Talstufen,
beim Zusammenfluss von Gletscherarmen
oder beim klassischen Zungenbecken
( Abb. 1.17, S. 29). Ein eindrückliches Beispiel
ist der Konkordiaplatz im Jungfraugebiet,
wo mehrere Gletscher zusammenfliessen.
Das Felsbett unter dem
Aletsch-Gletscher ist dort um mindestens
500 m übertieft. Übertiefungen wurden
30
1 Grundwissen kompakt – Geologie der Schweiz im Überblick
Abb. 1.19
Formende Kraft der Gletscher
Vom Gletschereis geschliffener Fels im Vorfeld des Glacier de Tsanfleuron am Sanetschpass.
nach dem Eisrückzug zu Toteislöchern, was
sie vor einem unmittelbaren Auffüllen
durch Schmelzwassersedimente bewahrte.
Dann entstanden daraus Seen, die aber
natürlicherweise alle mit der Zeit durch
Flusssedimente aufgefüllt werden. Mit Kies
aufgefüllte Becken sind die heutigen Grund -
wasserreservoire. Die meisten unserer natürlichen
Seen sind durch die Gletscher
entstanden, ganz speziell die grossen Alpenrandseen
( Abb. 4.5, S. 74; Abb. 4.41,
S. 106). Die Insubrischen Seen der Alpensüdseite
liegen nicht in übertieften Becken,
sondern in durch die Gletscher gestauten,
voreiszeitlichen Tälern. Auf der Alpennordseite
liegt der Felsboden bei den alpenferneren
Seen – Thuner-, Zuger-, Zürich- und
Bodensee – etwa auf Meeresniveau, bei den
alpennahen – Genfer-, Brienzer-, Vierwaldstätter-
und Walensee – wenige Hundert
Meter unter dem Meeresspiegel. Könnte
man die Landschaft bis auf den Fels ausräumen,
würde sie komplett anders aussehen
( Abb. 1.20, S. 32). Entlang des Jurasüdfusses
würde über ca. 130 km ein Grand Canyon
von westlich von Yverdon bis nach Härkingen
führen, der stellenweise bis auf Meeresniveau
hinunterreichte – das Mittelland ist
also nicht flach! Da Übertiefungen früher
nicht bekannt waren, kam es beim Bau des
ersten Lötschbergtunnels zu einem Schlammeinbruch
(siehe Kastentext, S. 33) mit Toten.
Die erosive Tiefenwirkung von Gletschern
ist auch eine wichtige Komponente
bei der Planung der Endlager nuklearer
Abfälle. Sie müssen mindestens eine Million
Jahre sicher gelagert werden können,
und das ist länger, als es nach bisherigen
Schätzungen bis zum nächsten Gletschervorstoss
ins Mittelland dauern könnte.
Eine weitere Besonderheit von Gletschertälern
sind hängende Nebentäler. Der Hauptgletscher,
der ein Tal ausfüllte, erhöhte für
die Seitentäler die Erosionsbasis auf die
Höhe seiner Eisoberfläche. Damit blieb der
Talverlauf vieler kleinerer Seitentäler auf
dem Höhenniveau, wie es vor der Vergletscherung
bestand. Der Talgletscher andererseits
arbeitete sich in die Tiefe. Nach
31
Geologie der Schweiz
Abb. 1.20
Glaziale Talübertiefungen auf der Alpennordseite
Die Karte zeigt das Felsrelief der nördlichen Hälfte der Schweiz, so, wie es aussehen würde, wenn man alle
Lockergesteine wegräumen würde. Die Terrainoberfläche des Mittellands liegt heute höher als 300 m ü. M.
Die hellgrünen bis hellblauen Bereiche zeigen somit, wo der Fels wesentlich tiefer liegt als die Oberfläche.
Die Gletschertäler wurden bis auf über 600 m unter den Meeresspiegel eingetieft (das Maximum liegt bei
Martigny). Dies entspricht im Unterwallis fast 1000 m unter Terrain.
© Mirjam Dürst Stucki, Bern
dem Gletscherrückzug mündeten die Seitentäler
mit einer Höhenstufe ins Haupttal,
die früher durch einen Wasserfall überbrückt
wurde – später hat sich dort oft eine
Schlucht gebildet.
Warum verlaufen Täler da, wo sie sind?
Täler werden bevorzugt dort eingetieft, wo
der Untergrund der Erosion weniger Widerstand
leistet. Dies hängt neben der
Gesteinshärte von Schwächezonen des Gebirges
wie Decken- und Gesteins-/Schichtgrenzen
( Abb. 1.21, S. 34), Klüftung, Verschiebungs-
und Überschiebungszonen ab.
Schichtgrenzen sind Übergänge zwischen
zwei aufeinanderliegenden Gesteinsarten.
Die Schubkraft, die zur Gebirgsbildung
führt, faltet weiche Gesteinsschichten und
zerbricht harte. Die daraus resultierenden
parallelen Spalten nennt man Klüftung (siehe
nächster Abschnitt). Verschiebungszonen
sind Nahtstellen, an denen Gesteinspakete
aneinander vorbeigeschoben wurden.
Sie werden auch Brüche oder Störungen
genannt. Der «Knick» im Längsverlauf des
Thunersees ist ein Beispiel für eine Verschiebungszone.
Westlich des unteren Thunersees
stehen die penninischen Préalpes
32
1 Grundwissen kompakt – Geologie der Schweiz im Überblick
an und östlich die helvetische Niederhorn-Hohgant-Kette.
Die Grenze verläuft
im See. Überschiebungszonen bestehen
dort, wo Gebirgsteile (grössere nennt man
«Decken») über andere hinübergeschoben
wurden. Der Talabschnitt des Brienzersees
verläuft entlang der Grenze zwischen Drusberg-
und Axen-Decke. Die Talanlage folgt
also primär vorgegebenen Strukturen. Harte
Gesteinsschichten bleiben länger stehen.
Sie bilden im Talverlauf Felsriegel und Gefällsstufen
mit Wasserfällen ( Abb. 1.22,
S. 35).
Täler in der Längsrichtung der Alpen verlaufen
parallel zu Grossstrukturen wie Deckengrenzen,
Längsbrüchen, Verschiebungszonen,
Schichtung und Falten (z. B.
die Achsen Rhonetal–Urserental–Vorderrheintal
und Bergell–Engadin). Quertäler
(senkrecht zur Längsrichtung der Alpen)
verlaufen parallel zu Querverschiebungen
und Kluftsystemen, quer zu Schichtung
und Faltenachsen. Beispiele sind das Rhonetal
unterhalb von Martigny, das Rheintal
zwischen Chur und Sargans, das Aaretal
zwischen Grimsel und Brienz sowie die
Achse Reusstal–Urnersee zwischen Andermatt
und Schwyz. Die Täler der Schweiz
lassen sich vereinfacht als Netz von Längsund
Quertälern erklären, genauso wie auch
die scheinbar komplizierte Seeform des
Vierwaldstättersees ( Abb. 1.23, S. 35).
Im Verlauf der Alpenfaltung hat sich das
Talnetz fortlaufend den Änderungen angepasst.
Anfänglich, d. h. im Oligozän, bestand
nur ein Alpenhauptkamm. Die Schweizer
Alpen wurden durch radial vom Hauptkamm
nach aussen verlaufende Quertäler
entwässert ( Abb. 2.6, S. 45). Diese Hauptwasserscheide
lag wesentlich südlicher als
die heutige der südlichen Walliser Alpen.
Das Einzugsgebiet der Flüsse der Schweizer
Alpennordseite lag damit im heutigen
Ober italien. Dies weiss man durch die
Gerölle, die in den grossen Nagelfluhfächern
vorkommen, die von Flüssen in jener
Zeit abgelagert wurden. So sind z. B. Goldflitter,
die von Goldwäschern in der Napf-Nagelfluh
gefunden werden, identisch mit
dem Gold, das einst in den Minen von Gon-
Die Katastrophe am Lötschberg
Früher wurden glazigene Übertiefungen negiert, da davon ausgegangen wurde, dass das
weiche Gletschereis den harten Fels nicht stark erodieren könne – ein folgenschwerer
Irrtum. Deshalb wurde für die Linienführung des ersten Lötschbergtunnels bedenkenlos
eine Unterquerung des Gasterntals im Abstand von nur 180 m zur Terrainoberfläche
gewählt. Die Katastrophe liess nicht auf sich warten. Durch einen gigantischen Wasserund
Schlammeinbruch verloren im Jahr 1908 25 Arbeiter das Leben. Was war geschehen?
Im Bereich des Gasternbodens hatte der Gletscher ein Becken mit einer Tiefe von
mehr als 250 m ausgeschürft, das mit Moräne, Grundwasser führenden Schottern und
Seesedimenten aufgefüllt worden war. Der Tunnel schnitt diesen Grundwasserspeicher
an, worauf er sich mit vollem Druck zu entleeren begann, sodass bis an die Oberfläche
in der Kander Wasserwirbel entstanden. Dass sich beim Bau des ersten Gotthardtunnels
nicht bereits zuvor eine ähnliche Katastrophe ereignet hatte, war reiner Zufall. Auch bei
Andermatt deckt die harmlose Schotterebene ein 270 m tiefes Becken zu. Unbeabsichtigt
unterquert der Tunnel den Beckenboden mit einem Abstand von nur 40 m.
33
Geologie der Schweiz
Abb. 1.21
Talverlauf entlang von Schichtgrenzen
Das hintere Lauterbrunnental ist entlang von Gesteinsgrenzen entstanden. Der Talweg folgt der Grenze
zwischen dem erosionsresistenteren Kristallin links (Innertkircher-Lauterbrunner Kristallin) und den darüberliegenden
leichter erodierbaren helvetischen Sedimenten rechts. Dort, wo der Bach das Kristallin quert
(Härtling), entstand eine Talstufe mit Wasserfall, die durch Rückwärtserosion immer mehr zur Schlucht wird.
34
1 Grundwissen kompakt – Geologie der Schweiz im Überblick
Abb. 1.22
Wasserfälle überwinden Härtlinge
Der Helvetische Kieselkalk der Kreide ist ein speziell
erosionsresistenter Kalk, da er viel Quarz (Kiesel)
enthält. Seit der letzten Vergletscherung konnte sich
der Staubbach erst wenig eintiefen (Oeschinental
bei Kandersteg).
Abb. 1.23
Haupttalachsen der Schweiz
Das vereinfachte Schema der Haupttalachsen der
Schweiz zeigt eine Häufung bei 75° und 155° (von
der N-Richtung abweichend). Dies entspricht grob
der Längsrichtung der Schweizer Alpen und, darauf
senkrecht stehend, der Schubrichtung der letzten
Phase der Alpenfaltung.
do (südlich des Simplons) abgebaut wurde.
Diese Ur-Aare entsprang also in Italien. Erst
mit der Zeit entstanden der zweite, nördlichere
Alpenkamm und damit auch die
Längstäler des Rhone- und Vorderrheintals
dazwischen ( Kap. 4). Die Oberläufe der alten
Flüsse wurden zu Nebenflüssen der
Längstäler. Die Hauptursache für diese Verlagerungen
ist die starke und ungleichmässige
Heraushebung des Alpenkörpers. Die
Veränderung des Talnetzes setzte sich jedoch
im kleineren Massstab auch während
der Eiszeiten fort. Nicht zuletzt, weil die
grossen Eismassen seitlich über die Talgrenzen
hinüberflossen (=Transfluenz) und
dadurch neue Talläufe schufen bzw. durch
die Moränen alte Läufe blockiert wurden
und sich die Schmelzwasser neue Wege
suchten (z. B. im Gebiet des Luganersees,
Kap. 4.6).
Brüche, Falten, Schieferung –
Spuren der Gesteinsdeformation
Das «Tapfere Schneiderlein» konnte nur
scheinbar einen Stein ausdrücken – Steine
sind härter als wir, vor allem, wenn wir
beim Stolpern daran aufschlagen. Trotzdem
kann Gestein nicht nur zerbrochen, sondern
auch mehr oder weniger plastisch verformt,
also gefaltet werden ( Abb. 4.1, S. 68).
Es ist nur eine Frage von Druck und Temperatur
(je höher die Gesteinstemperatur,
desto plastischer erfolgt die Verformung).
Spuren von Gesteinsdeformationen begegnen
uns im Fels auf Schritt und Tritt, vom
Handstück bis zur Felswand ( Abb. 1.24,
S. 36). Neben ganz grossen Gebirgsfalten
(z. B. den Falten im Jura) wurden Gesteine
teilweise in bis zu wenige Zentimeter klei-
35
Geologie der Schweiz
Abb. 1.24
Deformationsmöglichkeiten von Gesteinspaketen
Die dargestellten Deformationsarten sind nur eine
Auswahl aus der grossen Palette, die in der Natur
vorkommt.
ne Falten verformt. Bei solch kleinen Falten
spricht man von der Fältelung eines Gesteins.
Brüche sind Spalten im Gestein in allen Dimensionen,
ob sie nun ganze Erdplatten
trennen oder nur Gesteinsblöcke (mittelgrosse
nennt man Störungen, kleine sind
Klüfte). Dabei ist es egal, ob es sich um geschlossene,
offen klaffende oder mit anderem
Material gefüllte Spalten handelt. Oft
sind in einem Gesteinskörper viele Klüfte
parallel angeordnet (=Klüftung). Brüche
können durch Zug oder Druck entstehen,
und haben dann auch entsprechende Spezialnamen.
Mineralien richten sich in einem
Gestein nach dem Druck aus. So entsteht
aus Granit Gneis, der durch die parallelen
gelängten Mineralien auffällt ( Abb. 1.25).
Bei noch stärkerem Druck entstehen ganz
feine Gesteinslamellen, ein Schiefer ( Abb.
1.26). Die Form von Berggipfeln wird neben
der Gesteinsart vor allem vom Verlauf von
Schichtung, Schieferung und Brüchen bestimmt
( Abb. 1.27).
Abb. 1.25 (oben)
Gneis
Gneis besteht hauptsächlich aus den Mineralien
Quarz, Feldspat und Glimmer. Er entsteht durch
Umwandlung aus Granit (= Orthogneis) oder
Sedimentgestein (= Paragneis). Charakteristisch
sind die durch den Druck parallel ausgerichteten und
gelängten Mineralkörner. Gneis kommt in der
Schweiz im kristallinen Grundgebirge und den
daraus entstandenen Becken vor. Das Bild zeigt
einen Tessiner Gneis aus der Leventina.
Abb. 1.26 (unten)
Glimmerschiefer
Glimmerschiefer kann durch Umwandlung unter
Druck und Hitze (Metamorphose) aus verschiedenen
Ausgangsgesteinen entstehen. Charakteristisch ist
die feinplattige Auswalzung der Mineralkörner und
das Glitzern der Glimmerplättchen.
36
1 Grundwissen kompakt – Geologie der Schweiz im Überblick
Abb. 1.27
Gipfelformen durch Klüftung und Schichtung
Senkrecht stehende Klüftung und waagrechte Schichtung – hier im Kieselkalk am Monte Generoso –
führen zu Türmchen.
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