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2021/03 - FRIZZ Magazin

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STADT<br />

GESCHICHTEN<br />

EIN ENGEL<br />

AM TATORT<br />

Marcell Engel (47) sieht, was anderen verborgen bleibt. Er ist Tatortreiniger.<br />

<strong>FRIZZ</strong> erzählt er von seinem ersten Einsatz und einem aktuellen Fall.<br />

Der Tatortreiniger legt eine Schutzmaske an die auch bei Ebola zum Einsatz kommt. | Foto: Caspar Arnhold<br />

Frankfurt am Main, 1994. Der 21-jährige<br />

Kfz-Mechaniker und Karosseriebauer<br />

Marcell Engel erhält ein unglaubliches<br />

Angebot, das er nicht ablehnen will. Vor<br />

allem die außergewöhnlichen Fahrzeuge<br />

haben es ihm angetan. Engel, der als Unternehmer<br />

gerne anpackt, unterhält nebenbei<br />

auch einen Abschleppdienst, der<br />

hin und wieder von den öffentlichen Behörden<br />

gerufen wird.<br />

Der erste Fall bleibt unvergessen<br />

Eines Tages wird Engel von der Versicherung<br />

damit beauftragt, einen BMW abzuholen<br />

und erst einmal auf seinem Gelände<br />

zu verwahren. Das Auto, nagelneu. So<br />

schön wie unbezahlbar. Verkehrswert:<br />

120.000 Deutsche Mark. Was daran außergewöhnlich<br />

ist: Das Fahrzeug ist<br />

ein Tatort. Der Innenraum und das feine<br />

Leder – Zeugen eines Suizids. Engel<br />

wird noch am gleichen Tag von der Versicherung<br />

vor eine Wahl gestellt, die er<br />

zu Gunsten des Fahrzeuges entscheidet<br />

und die ihn zu seiner Profession führen<br />

soll. Für 50.000 DM bietet ihm die Versicherung<br />

das Fahrzeug an, sollte er dazu<br />

imstande sein, das Auto eigenständig zu<br />

reinigen. Ein Schauderspiel. Der Selbstmörder<br />

hatte sich mit einer Pistole in den<br />

Kopf geschossen. Die Bestatter nahmen<br />

sich danach lediglich der Leiche an. Alle<br />

sterblichen Überreste klebten nach wie<br />

vor im Innenraum des BMW. Die feinen<br />

silbernen Armaturen von zäher Gehirnmasse<br />

übersät. Allen Warnungen seines<br />

Vaters zum Trotz geht Engel tapfer ans<br />

Werk und macht sich daran, das Fahrzeug<br />

wieder „verkehrsschick“ zu machen.<br />

Als er die letzten Schlieren aus der<br />

Mittelkonsole poliert, wird er nachdenklich.<br />

Er weiß nun, dass er dazu in der<br />

Lage ist, die sterblichen Überreste eines<br />

Menschen zu entfernen. Allerdings auch,<br />

dass ihn das Leben des Verstorbenen<br />

beschäftigt. Was er da gerade entfernt<br />

hat, war ein Mensch in einer vermutlich<br />

ausweglosen Situation. Engel erkennt:<br />

Aus dieser Perspektive wird den Verstorbenen<br />

niemals jemand anders als er sehen<br />

können. Nicht die Angehörigen, die<br />

den Menschen als lebendiges Individuum<br />

kannten. Auch ist es nicht die Sicht,<br />

die der Bestatter auf den Anblick des Verstorbenen<br />

hatte. Nein, er, Marcell Engel,<br />

sieht den Verstorbenen als letzter, mit aller<br />

daraus resultierenden, ehrlichen Konsequenz.<br />

Im selben Augenblick beginnt<br />

Engel mit seiner ersten Ermittlung, um<br />

dem Toten ein letztes Gedenken zu offenbaren.<br />

Der Tatortreiniger ist geboren.<br />

Engel gründet wenig später mit „Akut<br />

SOS Clean“ ein Unternehmen, das sich<br />

mit der Reinigung von Tatorten, aber<br />

auch mit der fachgerechten Desinfektion<br />

und Dekontamination bei Pandemien<br />

und Epidemien auskennt und hochgiftige<br />

Substanzen wie etwa Zyankali entfernt.<br />

Bundes- und weltweit werden seine<br />

Dienstleistungen inzwischen von Behörden<br />

wie dem Militär, Unternehmen aus<br />

Industrie und Gewerbe und von Privatpersonen<br />

in Anspruch genommen. Eine<br />

Filiale von Akut SOS Clean befindet sich<br />

auch in Baden-Württemberg.<br />

Der Tatortreiniger kommt<br />

4. Januar <strong>2021</strong>, in der Nähe von Ulm. Ein<br />

Anruf geht im Akut SOS Clean-Headquarter<br />

in Frankfurt ein. Ein Fall für Engel.<br />

Der Mitarbeiter im Süden Deutsch-<br />

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