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2021/03 - FRIZZ Magazin

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STADT<br />

GESCHICHTEN<br />

Frau ringt nach Luft, erzählt dann ihre<br />

Geschichte. „Wir waren beide in einer<br />

Therapiegruppe gewesen.“ Vor Beginn<br />

der Pandemie reiste sie schließlich nach<br />

Indien, um ihre guten Vorsätze zu bestärken.<br />

Und um ihre eigene Mitte wiederzufinden.<br />

Dann der erste Lockdown.<br />

„Ich konnte wegen der Pandemie nicht<br />

nach Hause zurückkehren ...“<br />

Die Psychologie dahinter<br />

Was ist es, das uns antreibt? Warum ist<br />

manchen Menschen ein besseres Leben<br />

beschieden als anderen, bei ähnlicher Motivation<br />

und Bemühung?<br />

<strong>FRIZZ</strong> fragt bei der Ulmer Gesprächstherapeutin<br />

Baha Meier-Arian von „mental<br />

health management“ nach. „Das äußere<br />

Chaos ist oft ein Spiegel der inneren<br />

Gefühlswelt. Das Anhäufen von Gegenständen<br />

und Lebensmitteln und die mangelnde<br />

Fähigkeit, deren Wert und Nutzen<br />

zu beurteilen, führen oftmals dazu, dass<br />

Betroffene kaum mehr Platz in der eigenen<br />

Wohnung finden. Das Chaos steht<br />

dabei als charakteristisches Merkmal<br />

der eigenen Hilflosigkeit. Frühkindliche,<br />

traumatische Verlusterlebnisse, Bindungsstörungen<br />

und lebensbedrohliche<br />

Ereignisse können das emotionale Erleben<br />

einschränken. Wenn also jemand<br />

im Chaos versinkt gibt es dafür einen<br />

tieferen Sinn, nachdem es sich zu suchen<br />

lohnt. Außenstehende interpretieren die<br />

„Das Ansammeln von<br />

Gegenständen und<br />

Lebensmitteln ist letztendlich<br />

der Versuch,<br />

eine Sicherheit im Leben<br />

zu haben …“<br />

Baha Meier-Arian<br />

dungsverhalten, bei dem aus Angst,<br />

etwas falsch zu machen, lieber keine<br />

Entscheidung getroffen wird.“ Meistens<br />

sind starke emotionale Faktoren wie Einsamkeit<br />

und Depressionen im Spiel. „Das<br />

Ansammeln von Gegenständen und Lebensmitteln<br />

ist letztendlich der Versuch,<br />

eine Sicherheit im Leben zu haben, empfundenen<br />

Stress zu kompensieren oder<br />

mangelnde Liebe zu ersetzen,“ verdeutlicht<br />

Meier-Arian. „Das Streben nach<br />

innerer Balance ist ein Bedürfnis aller<br />

Menschen. Manches Mal mündet dieser<br />

innere Drang in einem Zwang. Das Anhäufen<br />

von unnützen Gegenständen ruft<br />

Situation oftmals falsch, erkennen darin<br />

eine mangelnde Aufräumstrategie oder<br />

Faulheit. Die Trennung von Objekten<br />

wird von Betroffenen jedoch als Verlust<br />

der eigenen Identität erlebt!“<br />

Einen weiteren Grund erkennt die Therapeutin<br />

in einem „extremen Vermeidann<br />

positive Emotionen hervor.<br />

Wenn eine Gesellschaft strukturell und<br />

emotional gut funktioniert, gebe es keine<br />

„Messies“, sagt Meier-Arian. Einigen<br />

Völkern der Welt sei dieses Phänomen<br />

gar vollkommen fremd. „In der modernen<br />

Welt werden soziale Verhaltensregeln<br />

und Empathie zwar umfänglich diskutiert<br />

und das Verständnis für andere<br />

wird eingefordert. Viele Menschen erleben<br />

im Alltag jedoch keine Nächstenliebe<br />

und treffen auf wenig Verständnis. Die<br />

Fürsorge fehlt.“ Empathie sieht die Gesprächstherapeutin<br />

darin, Betroffenen<br />

zuzuhören: „Das bedarf manchmal einer<br />

gewissen Anstrengung“, die Expertin<br />

sieht darin allerdings ein „Muss“. „Ansonsten<br />

laufen wir innerhalb unserer<br />

Gesellschaft Gefahr, immer mehr Individualität<br />

zu fördern, dabei allerdings das<br />

Wesentliche im Leben zu verlernen: Was<br />

es bedeutet, zu lieben.“<br />

200 Kubikmeter und ein Rätsel<br />

Marcell Engel und seine Tatortreiniger<br />

haben in zwei Tagen insgesamt 200 Kubikmeter<br />

Müll aus dem Einfamilienhaus<br />

entfernt. Engel hat der Hinterbliebenen<br />

die persönlichen Gegenstände an eine<br />

Adresse in Deutschland geschickt. Wer<br />

das Schlafzimmer vor den Tatortreinigern<br />

verschlossen halten wollte? „Das<br />

bleibt wohl für immer ein Rätsel.“<br />

Text: Julia Haaga<br />

4 FRAGEN AN DEN TATORTREINIGER<br />

<strong>FRIZZ</strong>: Wie kannst du nach einem<br />

Großeinsatz abschalten?<br />

Marcell Engel: Für alles gibt es einen<br />

Ausgleich. Wenn dich etwas so richtig<br />

überfordert, dann gibt es verschiedene<br />

Bausteine, die du in die Waagschale<br />

wirfst, um wieder Herr über die Lage<br />

zu werden. Ich mache zum Beispiel<br />

viel Sport. Ich rate meinen Angestellten<br />

außerdem, über das Erlebte zu sprechen.<br />

Wir haben einen Psychologen, der Tag und<br />

Nacht erreichbar ist.<br />

Was muss ein Tatortreiniger an Eigenschaften<br />

mitbringen?<br />

Empathie ist unerlässlich, um nicht abzustumpfen.<br />

Ausdauer, aber auch eine starke<br />

Psyche zeichnen einen Tatortreiniger aus.<br />

Fünf Prozent der Mitarbeiter sind für die<br />

Tatortreinigung nach einem Kriminalfall<br />

speziell weitergebildet worden.<br />

Was war das Schlimmste, das du je wegräumen<br />

musstest?<br />

Es ist immer schlimm, wenn es schwache,<br />

unschuldige Menschen trifft. Das geht mir<br />

dann sehr nahe. Wenn du einmal ein Spurenleser<br />

geworden bist, dann springt am<br />

Tatort sofort das Kopfkino an. Man emp-<br />

findet mit allen Sinnen, sieht manchmal<br />

noch die Biomasse oder Schädelknochen.<br />

Wenn man davor noch die<br />

Leiche gesehen hat, kann das zu einem<br />

Problem werden. Wir teilen uns daher<br />

immer in zwei Gruppen ein. Team eins<br />

übernimmt die Säuberung des Tatorts,<br />

Team zwei die Räumung.<br />

Du sagst, das Leben ist ein Tatort.<br />

Wie ist das gemeint?<br />

Ständig denken wir, jeder Tag sei<br />

selbstverständlich. Ich sage: Jeder Tag<br />

ist ein Geschenk. Darüber sollte man<br />

sich klarwerden, um im Leben selbst<br />

zur Tat zu schreiten. Sei es, um anderen<br />

Menschen zu helfen oder sich<br />

selbst mit seinen Zielen und Träumen<br />

zu verwirklichen. Wir sind und werden,<br />

was wir denken!<br />

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