Die Mila Käsefibel
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WENN DIE MILCHGEISTER INS KRAUT SCHIEßEN<br />
HERSTELLUNG<br />
Milch stehlen, Milch verderben, Milch<br />
in Blut verwandeln. Was hat man<br />
den „Hexen“ nicht alles vorgeworfen<br />
in den vergangenen Jahrhunderten.<br />
Der Sarner Bäuerin Barbara Pachler,<br />
genannt „Pachler-Zottl“, zum Beispiel<br />
wird 1540 der Prozess gemacht, weil<br />
sie angeblich von ihrer Mutter gelernt<br />
hat, Milch von den Nachbarn in die<br />
eigenen Kühe zu zaubern. Sie wird<br />
am lebendigen Leib verbrannt. In Völs<br />
„gesteht“ Anna Jobstin neben vielen<br />
wahnwitzigen Vergehen, sie habe<br />
Milch von fremden Kühen gestohlen,<br />
indem sie diese von einem Stock abgemolken<br />
habe. Dafür habe sie fünf<br />
Kräuter zu einem Strauß gebunden<br />
und dem Teufel übergeben. Sie wird<br />
1506 hingerichtet. 1<br />
Erst im 18. Jahrhundert kommen die<br />
Richter zur Vernunft. Bis dahin ist vieles,<br />
was unerklärbar schiefgeht, Teufelswerk.<br />
<strong>Die</strong> Milchschäden<br />
sind in der bäuerlichen<br />
Welt Kapitalverbrechen,<br />
sie können nicht ungesühnt bleiben.<br />
Man schaut sich um: Den Frauen<br />
oblag früher das Melken und Käsen,<br />
auf ihren Höfen lebten sie am Rande<br />
der Gesellschaft, ebenso wie die Unkräuter,<br />
mit denen sie experimentierten,<br />
und die dunklen Mächte, mit denen sie<br />
naturgemäß paktelten. Na bitte, da<br />
haben wir die Schuldigen.<br />
Schon bald fummeln andere am Gegenzauber,<br />
hängen Thymian und<br />
Rosmarin über die Stalltür, schütten<br />
Salz ins Butterfass, streichen mit<br />
einem Wacholderzweig über den<br />
Milchkübel. Alles, um böse Geister<br />
abzuwehren. Vereinzelt bis weit ins<br />
20. Jahrhundert hinein. 2<br />
Moment, was heißt das für die Kräuterhexe?<br />
Wird der Käse durch den<br />
Kräutermantel von oder vor den überirdischen<br />
Geistern beschützt? Als Erstes<br />
schmeckt man Liebstöckel. Im Mittelalter<br />
war es ein beliebtes Heilmittel,<br />
das die Verdauung fördern und Menstruationsbeschwerden<br />
lindern soll. Zur<br />
gleichen Zeit war man überzeugt, dass<br />
allein der Blick einer blutenden Frau<br />
die Milch gerinnen lässt. Wussten wir<br />
es doch.<br />
<strong>Die</strong> Kräuterhexe spielt mit einem<br />
Kindheitsgeschmack. 17 alpine Kräuter,<br />
darunter Thymian, Schabziegerklee,<br />
Bärlauch und Bohnenkraut,<br />
haben Entwickler Ludwig Tschurtschenthaler<br />
und sein Team zu einem<br />
komplexen Gewürz gemischt. Ein<br />
Kraut sticht heraus: Liebstöckel, das<br />
bekannte Maggikraut. „Bei allen<br />
Verkostungen hat dieser Geschmack<br />
überzeugt“, sagt Ludwig, „alle verbinden<br />
mit ihm eine Erinnerung.“<br />
Alle Kräuter und Blüten sind getrocknet<br />
und thermisch behandelt. Sie werden<br />
kurz vor der Abfüllung im Käsefertiger<br />
in den Käseteig eingearbeitet. <strong>Die</strong><br />
Kuhmilch, aus der die Kräuterhexe gefertigt<br />
ist, ist ebenso wie das zugefügte<br />
Kälberlab frei von Gentechnik.<br />
Nach dem Salzbad reift der Käse bei<br />
tiefen Temperaturen im Reiferaum der<br />
Käserei in Bruneck im Pustertal. Hier<br />
werden die Laibe alle zwei Tage gewendet<br />
und mit Salzwasser gebürstet.<br />
Mitten im Raum steht ein Tisch. Von<br />
Hand werden die gereiften Laibe dort<br />
mit Kräutern und Blüten von Ringelund<br />
Kornblume dekoriert. So ist keine<br />
Kräuterhexe wie die andere.<br />
1<br />
(Perkmann, <strong>Die</strong> Völser Hexenprozesse 1506 und 1510)<br />
2<br />
(Hager/ Schönweger / Hönigschmid, Südtiroler Kräuterfrauen)