Deutsches Literaturarchiv Marbach Programmheft 1/2020
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Der Internationale Museumsrat ICOM<br />
diskutiert zur Zeit über eine neue Definition<br />
des Begriffs ‚Museum‘.<br />
Stephan Schwan Sammeln ist gesamtgesellschaftlich<br />
wie auch individuell<br />
zu einem Phänomen geworden,<br />
das nicht mehr nur auf Museen, Archive,<br />
Bibliotheken, Behörden und eine<br />
überschaubare Zahl von Privatleuten<br />
beschränkt ist. Wir leben in einer Epoche<br />
der fast unbegrenzten Speichermöglichkeiten.<br />
Die Debatte um das<br />
Recht auf Vergessen zeigt auch, dass<br />
Sammeln und Bewahren keine Werte<br />
an sich mehr sind, sondern zunehmend<br />
kritisch hinterfragt werden. Bei<br />
alledem stellt sich die grundsätzliche<br />
Frage, inwieweit Sammeln und Bewahren<br />
überhaupt noch ein distinktes<br />
Merkmal von Museen, Archiven und<br />
Bibliotheken darstellt. Ähnliches gilt<br />
für die museale Forschung an den<br />
Sammlungen. Museen und Archive<br />
werden zunehmend in interdisziplinäre<br />
Forschungsnetzwerke eingebunden<br />
und die Grenzen zwischen<br />
Forschung innerhalb und außerhalb<br />
der Institutionen werden zunehmend<br />
durchlässiger. Und natürlich hat sich<br />
auch die Praxis des Ausstellens und<br />
Vermittelns in den letzten Jahren<br />
stark verändert. Auch hier ‚entgrenzen‘<br />
sich viele der traditioneller Weise<br />
geschlossenen Institutionen. Fragte<br />
noch vor 20 Jahren Zahava Doering<br />
von der Smithsonian Institution in<br />
einem Aufsatz, ob Besucherinnen<br />
und Besucher „Strangers, Guests, or<br />
Clients?“ seien, besteht heute weitgehend<br />
Konsens über die Notwendigkeit<br />
einer Publikumsorientierung. Die<br />
kulturelle Vielfalt der Besuchenden<br />
wird ernst genommen, es werden<br />
barrierefreie Präsentationsmodi<br />
entwickelt, es wird mit partizipativen<br />
Ausstellungsformaten experimentiert<br />
und neben der Geschichte auch die<br />
Gegenwart und Zukunft erforscht. Lernen<br />
und Wissenserwerb gehören zu<br />
den zentralen Besuchsanlässen, aber<br />
auch das Leichte und Genusshafte:<br />
Museen sind ein entschleunigender<br />
Kontrapunkt zum reizüberfluteten Alltagsleben<br />
außerhalb ihrer Mauern; der<br />
Besuch einer Ausstellung ist (hoffentlich)<br />
immer auch mit ästhetischem<br />
Genuss, Staunen und Spielfreude<br />
verbunden.<br />
Holzmodell<br />
von<br />
Hans Magnus<br />
Enzensbergers<br />
Poesieautomat.