Deutsches Literaturarchiv Marbach Programmheft 1/2020
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aufgeklärter, klüger, gerechter als all<br />
jene, in deren Kindheit Kolonien noch<br />
eine Selbstverständlichkeit zu sein<br />
schienen?<br />
Vera Hildenbrandt: In Berge Meere<br />
und Giganten scheint es Alfred Döblin<br />
nicht immer zu gelingen, kritische<br />
Distanz zu seinen Quellen zu halten.<br />
Partiell begegnen zeittypische Sichtund<br />
Denkweisen mit rassistischen<br />
und chauvinistischen Anklängen in<br />
seinem Text, und nicht immer wird<br />
deutlich, ob es sich um unbedachte<br />
Reproduktion oder einen Versuch der<br />
Dekonstruktion handelt.<br />
Stefanie Hundehege: Wo finden wir<br />
Spuren der deutschen Kolonialgeschichte<br />
in Afrika in der Literatur?<br />
Und wie wird Afrika darin erzählt?<br />
Welchen kulturellen und sprachlichen<br />
Austausch – in beide Richtungen<br />
– gab es tatsächlich zwischen den<br />
europäischen Kolonialisten und der<br />
afrikanischen Bevölkerung? Und:<br />
Wer darf ‚Afrika‘ erzählen? Kann und<br />
darf ein deutscher Autor, selbst wenn<br />
er viele Jahre in Afrika gelebt hat,<br />
überhaupt über die Erfahrungen eines<br />
Afrikaners – noch dazu zur Kolonialzeit<br />
– schreiben?<br />
Heike Gfrereis: Wie wird Ausstellen<br />
gerade nicht ein Verfügbarmachen<br />
von Dingen, sondern Öffnen unserer<br />
Sichtweisen darauf? Wie kann<br />
ausgerechnet das schwierige, weil<br />
von vielen Faktoren abhängige und<br />
organisatorisch komplexe Format<br />
‚Ausstellung‘ kooperativ genutzt<br />
werden? Wie kann man notwendige<br />
Vorgaben so formulieren und tatsächlich<br />
dann auch formatieren, dass<br />
sie keine Vorschriften sind, sondern<br />
Angebot und Möglichkeit? Wie sagt<br />
man ‚Ich‘ in einer Ausstellung und<br />
unter welchen Bedingungen traut<br />
man es sich? Wie übernimmt jeder für<br />
sich selbst Verantwortung? Und: Lese<br />
ich anders, verstehe ich mehr oder<br />
werde ich nur anders blind, wenn ich<br />
Afrika in Texten fokussiere? Und noch<br />
eine Frage, die Bruno Arich-Gerz bei<br />
unserem Workshop provoziert hat:<br />
Wie sieht Afrika aus, wenn wir keine<br />
Literatur im Hinterkopf hätten? Wann<br />
und wo wird von einem Afrika erzählt,<br />
das nicht mehr ein Afrika nur der Literatur<br />
ist? Gibt es eine Literatur (und<br />
Literaturtheorie) ohne europäische<br />
Literaturtradition?<br />
Jan Bürger: Wie können wir uns selbst<br />
über Afrika austauschen, ohne dass<br />
es auf spätere Generationen genauso<br />
lächerlich wirkt wie jene Klischees,<br />
die z.B. Gottfried Benn in seinem<br />
Gedicht Ostafrika Gedicht aneinanderreiht?<br />
Sind wir wirklich so viel