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MIGRALTO - Integration

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Berner Fachhochschule<br />

Soziale Arbeit<br />

<strong>MIGRALTO</strong> – Ein partizipatives Modell für<br />

die aktive Bürgerschaft der älteren Migrationsbevölkerung<br />

in Schweizer Gemeinden<br />

Masterarbeit von<br />

Hildegard Hungerbühler und Viviana Abati<br />

Eingereicht im Rahmen des Studienganges<br />

Master of Advanced Studies in Gerontologie: Altern – Lebensgestaltung 50+ am<br />

Kompetenzzentrum Gerontologie der Berner Fachhochschule<br />

Referentin: Prof. Dr. Ruth Meyer Schweizer<br />

Datum des Einreichens 15. Juli 2011


Inhaltsverzeichnis<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

1<br />

Seite<br />

Widmung 4<br />

Dank 5<br />

Abstract (V. Abati) 6<br />

1. Einleitung (H. Hungerbühler & V. Abati) 8<br />

1.1 Anliegen und Ziele der Forschungsarbeit 8<br />

1.2 Persönlicher Bezug zum Thema 9<br />

1.3 Interessierte Organisationen und Netzwerke 10<br />

2. Theoretischer Hintergrund 12<br />

2.1 Lebensraum – Sozialraum (V. Abati) 12<br />

2.2 Sozialisation (V. Abati) 15<br />

2.3 MigrantInnen als Teil der Altersbevölkerung (H. Hungerbühler) 16<br />

2.3.1 Definition ältere MigrantInnen 16<br />

2.3.2 Statistische Angaben und Fakten zur älteren Migrationsbevölkerung in<br />

der Schweiz mit Fokus auf die ItalienerInnen 17<br />

2.3.3 Forschungsstand zu älteren MigrantInnen 21<br />

2.4 Migration / Arbeitsmigration (H. Hungerbühler) 23<br />

2.5 <strong>Integration</strong> (H. Hungerbühler) 25<br />

2.6 Partizipation und Aktive Bürgerschaft (H. Hungerbühler und V. Abati) 29<br />

2.6.1 Partizipation (H. Hungerbühler) 30<br />

2.6.2 Partizipation älterer MigrantInnen (H. Hungerbühler) 32<br />

2.6.3 Aktive Bürgerschaft / Citizenship von älteren MigrantInnen (V. Abati) 40<br />

2.6.4 Das Beispiel der italienischen Selbstorganisation der ersten<br />

Einwanderungsgeneration in der Stadt Bern (H. Hungerbühler) 41<br />

3. Fragestellung 45<br />

3.1 Wahl und Begründung der Fragestellung (H. Hungerbühler) 45<br />

3.2 Abgrenzung der Fragestellung (H. Hungerbühler und V. Abati) 47<br />

4. Methodisches Vorgehen und Durchführung der Untersuchung 48<br />

4.1 Ausgangslage zur Methodenwahl (V. Abati) 48<br />

4.2 Methodenwahl und Instrumente (V. Abati und H. Hungerbühler) 50<br />

4.2.1 Die Instrumente der Datenerhebung (V. Abati) 51<br />

4.3 Untersuchungsplan (V. Abati) 53<br />

4.4 Durchführung der Datenerhebung (V. Abati) 54<br />

4.4.1 Durchführung der schriftlichen Befragung der Altersbeauftragten<br />

und <strong>Integration</strong>sdelegierten (H. Hungerbühler) 55


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

4.4.2 Durchführung der Fokusgruppe mit VertreterInnen von Altersinstitutionen<br />

2<br />

Seite<br />

und –organisationen von Stadt und Kanton Bern (H. Hungerbühler) 58<br />

4.4.3 Durchführung der Einzelinterviews mit italienischen MigrantInnen (V. Abati) 61<br />

4.4.4 Durchführung der Fokusgruppe mit VertreterInnen von<br />

italienischen Migrantenorganisationen (V. Abati) 63<br />

5. Auswertung und Ergebnisse 65<br />

5.1 Einleitung 65<br />

5.2 Ergebnisse aus der Befragung der GemeindevertreterInnen (H. Hungerbühler) 65<br />

5.2.1 Ergebnisse der elektronischen Befragung 65<br />

5.2.2 Ergebnisse der telefonischen Nachbefragung 83<br />

5.2.3 Ergebnisse aus der Fokusgruppe 87<br />

5.3 Auswertung der Daten aus den Interviews mit MigrantInnen und aus der Fokusgruppe<br />

mit VertreterInnen von Migrantenorganisationen und Ergebnisse (V. Abati) 103<br />

5.3.1 Auswertung und Ergebnisse Einzelinterviews mit MigrantInnen 103<br />

5.3.1.1 Auswertung und Ergebnisse der quantitativen Interviewdaten 103<br />

5.3.1.2 Auswertung und Ergebnisse der qualitativen Interviewdaten 111<br />

5.3.1.3 Interpretation und Erkenntnisse aus den Einzelinterviews 118<br />

5.3.2 Ergebnisse aus der Fokusgruppe 121<br />

5.3.2.1 Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen aus dem<br />

transkribierten Protokoll der Fokusgruppe 121<br />

5.3.2.2 Ideensammlung und Massnahmenvorschläge aus der Fokusgruppe 130<br />

5.3.2.3 Interpretation und Erkenntnisse aus der Fokusgruppe 134<br />

5.4 Gegenüberstellung und Vergleich der Ergebnisse der Perspektive<br />

der Gemeindevertreter und der Migrantenperspektive (H. Hungerbühler und V. Abati) 137<br />

6. Diskussion 151<br />

6.1 Einleitung 151<br />

6.2 Schlussfolgerungen (H. Hungerbühler und V. Abati) 151<br />

6.3 Definition von Massnahmen für das Modell <strong>MIGRALTO</strong> – Handlungsanleitung (V. Abati) 164<br />

6.3.1 Grundbedingungen – Handlungsanleitung Teil 1 164<br />

6.3.2 Die Massnahmen innerhalb der Modell-Komponenten –<br />

Handlungsanleitung Teil 2 167<br />

6.4 Das Modell <strong>MIGRALTO</strong> – Einsatz in der Praxis und Weiterentwicklung (V. Abati) 175<br />

6.5 Reflexion zum Arbeitsprozess (Kritik) (H. Hungerbühler und V. Abati) 177<br />

7. Literaturverzeichnis 181<br />

Selbständigkeitserklärung 186<br />

Zeitungsartikel (H. Hungerbühler) 187


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

3<br />

Seite<br />

ANHÄNGE 190<br />

A) Ausschreibungstext EKM: Citoyenneté – aktive Bürgerschaft<br />

B) Einverständniserklärung VertreterInnen Schweizer Institutionen<br />

C) Präsentation Diskussionsvorlage Fokusgruppe Schweizer Institutionen<br />

D) Dichiarazione di approvazione VertreterInnen italienischer Migrationsorganisationen<br />

E) Präsentation Diskussionsvorlage Fokusgruppe italienischer Migrationsorganisationen<br />

F) Fragen und Auswertungstabelle Befragung Altersbeauftragte und <strong>Integration</strong>sdelegierte<br />

G) Interviewleitfaden Einzelinterviews MigrantInnen<br />

H) Rohdaten der quantitativen Resultate aus den Einzelinterviews<br />

I) Schritt 2 – Auswertung der qualitativen Daten der Einzelinterviews (Teil 1)<br />

J) Schritt 3 – Auswertung der qualitativen Daten der Einzelinterviews (Teil 2)<br />

K) Schritt 4 – Kategorisierung der qualitativen Daten<br />

L) Liste der Kategorien und Unterkategorien aus der qualitativen Auswertung


Widmung<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Die Autorinnen widmen ihre Arbeit Carlo Alagia und allen italienischen Migrantinnen und Migranten<br />

dieser Einwanderungsgeneration als symbolisches Zeichen der Anerkennung ihrer Leistungen in der<br />

Schweiz und des Respekts vor ihren Kompetenzen, mit denen sie ihr Leben mit all seinen<br />

Herausforderungen im Migrationskontext bis ins Alter aktiv gestalten. Und dies, trotz eines<br />

gesellschaftlichen Umfelds, für das sie während Jahrzehnten nur Arbeitskräfte, nicht jedoch<br />

Mitbürgerinnen und Mitbürger waren.<br />

Sie wünschen sich von der Schweiz, was einer der in dieser Arbeit interviewten Migranten auf den<br />

Punkt gebracht hat:<br />

„Partizipation heisst Partnerschaft“ – „partecipazione significa essere partner“<br />

Das mit der vorliegenden Arbeit entwickelte Modell MIGARLTO will dazu einen kleinen Beitrag leisten.<br />

Dedica<br />

Le autrici dedicano il loro lavoro a Carlo Alagia e a tutti i migranti e le migranti italiani di quella<br />

generazione come segno simbolico di riconoscimento delle loro prestazioni a favore della Svizzera e<br />

del rispetto per le loro competenze, con le quali hanno saputo costruire attivamente la loro vita, nel<br />

contesto dell‟immigrazione, con tutte le relative sfide, fino al raggiungimento della terza età. Tutto<br />

questo nonostante un contesto sociale nel quale sono stati considerati per decenni solo forza lavoro e<br />

non cittadine e cittadini.<br />

Le autrici si augurano inoltre ciò che uno dei migranti intervistati nel quadro di questo lavoro ha<br />

chiaramente puntualizzato:<br />

“Partecipazione significa essere partner” – “Partizipation heisst Partnerschaft”<br />

Il modello “<strong>MIGRALTO</strong>” sviluppato in questo lavoro intende portare un piccolo contributo in questa<br />

direzione.<br />

4


Dank<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

An dieser Stelle danken wir all denjenigen Personen herzlich, die in irgendeiner Form ihren Beitrag zur<br />

Unterstützung unserer Masterarbeit geleistet haben. Es ist dies in erster Linie Frau Prof. Dr. Ruth<br />

Meyer Schweizer, die uns engagiert und kompetent beraten hat. Im Weiteren Lorenzo Calabria,<br />

Sozialarbeiter bei der Fachstelle für Sozialarbeit der römisch-katholischen Kirche Bern FASA, der als<br />

Kontaktvermittler zur italienischen Migrationscommunity gewirkt hat, sowie die 22 italienischen<br />

MigrantInnen, die uns ihr Vertrauen entgegen brachten und bereit waren, aus ihrem Leben zu<br />

erzählen. Im Weiteren Evelyn Hunziker des Alters- und Versicherungsamtes der Stadt Bern und allen<br />

Altersbeauftragten und <strong>Integration</strong>sdelegierten (inkl. Fachstellen <strong>Integration</strong>), die an der schriftlichen<br />

und/oder telefonischen Befragung teilgenommen haben, den Mitgliedern der beiden Fokusgruppen<br />

(VertreterInnen von Institutionen und Organisationen aus dem Altersbereich von Stadt und Kanton<br />

Bern sowie von italienischen MigrantInnenorganisationen: unten namentlich aufgeführt), die engagiert<br />

und intensiv diskutiert und uns ihre Erfahrungen weiter gegeben haben. Den beiden Studentinnen der<br />

Berner Fachhochschule, Bettina Loosli und Linda Altobelli, die uns bei der Durchführung und<br />

Nachbereitung (Transkription) der Fokusgruppen unterstützt haben sowie Noah Savary, der<br />

technischen Support beim SPSS-Statistikprogramm leistete. Ein besonderer Dank gilt zudem<br />

Valentina Piffaretti für die Unterstützung bei der Durchführung sowie Transkription der italienisch<br />

sprachigen Interviews. Und nicht zuletzt danke ich (H. Hungerbühler) meinem Arbeitsteam im SRK<br />

(Corinna Bisegger, Corinne Stammbach, Carole Berthoud und Tanya Kasper) ganz herzlich für das<br />

wertvolle Geburtstagsgeschenk im Zusammenhang mit unserer Masterarbeit.<br />

Teilnehmende der Fokusgruppen:<br />

VertreterInnen Schweizer Institutionen VertreterInnen Migrantenorganisationen<br />

Evelyn Hunziker Leonardo La Nave<br />

Barbara Gurtner Lorenzo Calabria<br />

Helen Lamontagne Mauro Floreani<br />

Gerlind Martin Giuseppe Marchetta<br />

Regula Roth Carlo Alagia<br />

Simone Rijken Mariano Franzin<br />

Sina Florin Diana Tonti<br />

Samuel Mettler Angela Vescio<br />

Mauro Floreani<br />

5


Abstract (V. Abati)<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

<strong>MIGRALTO</strong> – Ein partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren<br />

MigrantInnen in Schweizer Gemeinden<br />

Forschungsidee<br />

Mit dieser Forschungsanalyse sollte in Erfahrung gebracht werden, ob und wie ältere MigrantInnen in ihrem<br />

Lebensraum, d.h. im lokalen Kontext ihrer Wohngemeinde partizipieren und ob ihnen die Gemeinde eine<br />

Partizipation nach dem Prinzip der Territorialbetroffenheit zugesteht.<br />

Ausgangslage war dabei die Definition der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen zur „Aktiven<br />

Bürgerschaft“, die von folgendem Partizipationsverständnis ausgeht: Mitreden – mitentscheiden – mitgestalten im<br />

eigenen Lebensumfeld und aufgrund einer persönlichen Betroffenheit als MitbewohnerInnen einer Gemeinde<br />

oder eines Quartiers.<br />

Die Forschung sollte Antworten liefern auf verschiedene Fragen:<br />

a) Welches Erfahrungswissen zum Thema <strong>Integration</strong>, welche Ressourcen und welches Potenzial zur<br />

Selbstorganisation haben ältere MigrantInnen, die sich für die Altersarbeit und -politik in der Schweiz nutzen<br />

lassen?<br />

b) Wie sehen die Frage- und Problemstellungen aus der Perspektive der Altersarbeit und -politik aus, die den<br />

Auftrag hat, für eine nach Herkunft immer heterogener werdende Altersbevölkerung bedarfsgerechte<br />

Dienstleistungen zu erbringen sowie Vertretungen aller Gruppierungen zu beteiligen?<br />

c) Welche Rahmenbedingungen benötigt es, damit ältere MigrantInnen als AkteurInnen an der Entwicklung und<br />

Umsetzung einer Altersarbeit und -politik im Sinne der politischen Vorgaben partizipieren können und wollen?<br />

Was für ein Modell ermöglicht das Einbringen der Angebote und der Forderungen nach Partizipation auf der<br />

kommunalpolitischen Seite sowie das Einbringen des eigenen Potenzials und der aktiven Beteiligung auf<br />

Seite der MigrantInnen?<br />

Untersuchung<br />

Da Partizipation in dieser Forschung als bidirektionaler und wechselseitiger Aushandlungsprozess definiert ist,<br />

wurde eine mehrteilige und mehrperspektivische Untersuchungsanlage gewählt. So wurden auf der einen Seite<br />

die Altersbeauftragten und die <strong>Integration</strong>sdelegierten von Schweizer Gemeinden schriftlich befragt und es<br />

wurden 22 Einzelinterviews mit italienischen MigrantInnen 65+ in ihrer Muttersprache durchgeführt. Ein weiterer<br />

Schritt in der Untersuchung stellte die Durchführung zweier Fokusgruppen dar. Auch hier wurde einmal eine<br />

Gruppe VertreterInnen von Schweizer Gemeinden oder Institutionen eingeladen, um aufgrund der Resultate aus<br />

den vorherigen Analyseschritten weitere Erkenntnisse zu erhalten und erste Lösungsansätze für das Modell<br />

<strong>MIGRALTO</strong> zu entwickeln. Dasselbe Vorgehen wurde bei der Fokusgruppe mit VertreterInnen von italienischen<br />

Migrantenorganisationen gewählt. Die erhobenen Daten erlaubten auf der einen Seite eine quantitative und auf<br />

der anderen Seite eine qualitative Auswertung.<br />

Ergebnisse<br />

Für und aus beiden in der Erhebung untersuchten Perspektiven konnten zahlreiche Erkenntnisse gewonnen<br />

werden. Die wichtigsten sind:<br />

- Noch sind ältere MigrantInnen nicht als explizite Zielgruppe in der Alters- und <strong>Integration</strong>spolitik im Fokus von<br />

EntscheidungsträgerInnen und Fachpersonen.<br />

- Die demografische Entwicklung und die Tatsache, dass ältere MigrantInnen auch nach der Pensionierung in<br />

der Schweiz verbleiben – anders als ursprünglich von ihnen selbst und auch von der Schweiz angenommen –<br />

6


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

verlangt zukünftig eine aktive Auseinandersetzung mit dieser Bevölkerungsgruppe als gleichwertiger Teil einer<br />

Zivilgesellschaft.<br />

- Die ausgeprägte Selbstorganisation der italienischen MigrantInnen ist vor allem Resultat der Annahme, dass<br />

sie die Schweiz irgendwann wieder verlassen und gleichzeitig der Haltung der Schweizer Bevölkerung den<br />

MigrantInnen dieser Einwanderungsgeneration gegenüber.<br />

- Die Konsequenz daraus ist, dass die älteren MigrantInnen zu einer marginalisierten und „vergessenen“<br />

Gruppe zu werden drohen mit dem Risiko eines nochmals verstärkten Ausschlusses aus der Gesellschaft.<br />

Dies wiederum kann die Gefahr der Vereinsamung, der sozialen Isolation und einer finanziellen Unterversorgung<br />

steigern.<br />

- Trotz Jahrzehnte langen gesellschaftlichen Ausschlusses sind ältere MigrantInnen bereit, sich in<br />

Partizipationsprozessen im lokalen Kontext einzubringen. Dabei erwarten sie die Initiative der VertreterInnen<br />

von Schweizer Gemeinden und deren Institutionen sowie auch den „Beweis“, dass die „Schweizer“ diese<br />

Einladung zur Partizipation ernst meinen. Ungeachtet der vorhandenen Bereitschaft zur Partizipation ist die<br />

Haltung der älteren italienischen MigrantInnen klar: Würde ihnen das lokale Stimmrecht zugestanden, wären<br />

Bestrebungen wie diejenige für „aktive Bürgerschaft“ obsolet.<br />

- Für Partizipationsprozesse von älteren MigrantInnen müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein. Auf der<br />

Seite der Schweizer VertreterInnen müssen bspw. auf politischer Ebene Entscheidungen getroffen und<br />

notwendige Strukturen geschaffen werden. Es bedarf eines strukturierten Vorgehens mit Berücksichtigung<br />

wichtiger Aspekte wie sprachlicher Zugang zur Zielgruppe, Beziehungsaufbau über Schlüsselpersonen der<br />

jeweiligen Zielgruppe, Einhalten zentraler Punkte für ein erfolgreiches Gelingen von Partizipationsvorhaben<br />

sowie weitere Prinzipien.<br />

- Ethnizität ist in viel geringerem Masse prägend für Partizipationsprozesse als allgemeinhin vertreten wird.<br />

Partizipation muss vielmehr dem Anspruch einer diversitätsgerechten Alters- und <strong>Integration</strong>spolitik gerecht<br />

werden, welche über den Einbezug der lebensgeschichtlichen Prägung im Sinne einer lebenslangen<br />

Sozialisation realisiert werden muss.<br />

- Partizipationsvorhaben mit älteren MigrantInnen können einem pragmatischen Praxisansatz folgen und<br />

danach umgesetzt werden, wie zum Beispiel das Modell <strong>MIGRALTO</strong> es vorsieht.<br />

Modell – Handlungsanweisungen und Praxis<br />

Das in diesem Forschungsvorhaben entwickelte Modell <strong>MIGRALTO</strong> als partizipatives Modell für die aktive<br />

Bürgerschaft von älteren Migrantinnen und Migranten wird dem Anspruch einer diversitätsgerechten Alters- und<br />

<strong>Integration</strong>spolitik mit seinem praxisorientierten und multiplizierbaren Charakter gerecht.<br />

Mit seinen konkreten Handlungsanleitungen ermöglicht es GemeindevertreterInnen und deren Institutionen,<br />

Partizipationsvorhaben mit älteren MigrantInnen strukturiert anzugehen und das Prinzip der Partizipation im Sinne<br />

der aktiven Bürgerschaft konsequent umzusetzen.<br />

Ausblick<br />

Die Entwicklung des Modells <strong>MIGRALTO</strong>, das die Erkenntnisse aus dieser Forschungsarbeit berücksichtigt und in<br />

praxisrelevante Handlungsanleitungen übersetzt hat, soll für zukünftige Partizipationsvorhaben von<br />

schweizerischen GemeindevertreterInnen und deren Institutionen eine praktische Hilfe sein und aktive<br />

Bürgerschaft von älteren MigrantInnen soll sukzessive zu einer gleichwertigen Beteiligung dieser<br />

Bevölkerungsgruppe einen Beitrag leisten. Im Weiteren ist die Anwendung und Umsetzung von <strong>MIGRALTO</strong> ein<br />

Beitrag zur Wertschätzung der Menschen, die als ArbeiterInnen in dieses Land gekommen sind, und eine<br />

Anerkennung ihrer Leistungen für diese Gesellschaft.<br />

7


1. Einleitung (H. Hungerbühler und V. Abati)<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

1.1 Anliegen und Ziele der Masterarbeit<br />

Auf der Suche nach einem interessanten Thema für die vorliegende Masterarbeit haben sich die<br />

Autorinnen für ein Gebiet entschieden, das bisher in der Gerontologie erst marginale Aufmerksamkeit<br />

geniesst: Die älteren MigrantInnen als Teil der Altersbevölkerung in der Schweiz und ihre Teilhabe an<br />

Partizipationsprozessen auf kommunaler Ebene.<br />

Übergeordnete Ziele der Masterarbeit<br />

- Die Ermöglichung von aktiver Bürgerschaft der älteren Migrationsbevölkerung in der Schweiz im<br />

Sinne einer gleichwertigen Partizipation, wie sie der Zielsetzung einer zukunftsweisenden<br />

<strong>Integration</strong>spolitik entsprechen würde.<br />

- Die Schaffung von Grundlagen für die Entwicklung des Modells <strong>MIGRALTO</strong> für eine Alterspolitik<br />

und -arbeit, die der wachsenden Heterogenität der Altersbevölkerung Rechnung trägt und diese<br />

repräsentiert.<br />

Hauptziel der Masterarbeit<br />

- Erarbeitung eines partizipativen Modells für die aktive Bürgerschaft der älteren Migrations-<br />

bevölkerung am Beispiel der Gruppe italienischer MigrantInnen im kommunalen Kontext der Stadt<br />

Bern, das schweizweit auch auf andere Kontexte sowie andere MigrantInnengruppen übertragbar<br />

sein soll.<br />

Um dieses Ziel zu erreichen, werden eine mehrteilige quantitative und qualitative Bedarfserhebung<br />

und deren Analyse durchgeführt, um daraus Schlussfolgerungen für die Entwicklung eines<br />

partizipativen Modells der aktiven Bürgerschaft älterer MigrantInnen zu ziehen. Zielgruppen sind<br />

sowohl MigrantInnen und ihre Organisationen als auch Institutionen und Fachpersonen im Alters- und<br />

<strong>Integration</strong>sbereich. Das Modell <strong>MIGRALTO</strong> soll politische und strategische Massnahmenvorschläge<br />

bieten sowie im Sinne eines Umsetzungsinstruments konkrete Handlungsempfehlungen (vgl. Kapitel<br />

6). Die Forschungsidee haben die Autorinnen auf der Grundlage einer Ausschreibung der<br />

Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen EKM für ein Modellvorhaben unter dem Stichwort<br />

„Citoyenneté – aktive Bürgerschaft“ entwickelt (vgl. Anhang A). Die EKM unterstützt im Rahmen der<br />

<strong>Integration</strong>sförderung von MigrantInnen Vorhaben, welche sich die <strong>Integration</strong> dieser Zielgruppe im<br />

Sinne der Förderung ihrer gesellschaftlichen Teilhabe zum Ziel setzen. Solche Modellvorhaben sollen<br />

zum einen vor Ort direkte Wirkung erzeugen, zum andern aber auch von überregionalem oder<br />

gesamtschweizerischem Interesse sein (vgl. dazu das Schwerpunkteprogramm zur<br />

<strong>Integration</strong>sförderung 2008-2011 des Bundesamts für Migration BFM auf:<br />

http://www.bfm.admin.ch/bfm/de/home/themen/integration/integrationsmassnahmen/schwerpunktepro<br />

gramm.html sowie http://www.ekm.admin.ch/de/projekte/modellvorhaben.php).<br />

8


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Die Autorinnen interessiert nun, ob und wie das Konzept der „aktiven Bürgerschaft“ geeignet ist, um<br />

die Partizipation älterer MigrantInnen zu fördern.<br />

Aus zwei Gründen sehen sie sich veranlasst, das gemäss ihres Konzepts (Abati & Hungerbühler,<br />

2010, S. 6) geplante Vorhaben für die Masterarbeit einzuschränken. Einerseits legt der vorgegebene<br />

und begrenzte Umfang der Masterarbeit eine deutliche Zielreduktion nahe. Anderseits haben sich die<br />

inhaltlichen Ziele der Masterarbeit auch dadurch verringert, dass die Eidgenössische Kommission für<br />

Migrationsfragen EKM zwar an der Entwicklung des vorgesehenen Modellvorhabens interessiert ist,<br />

die Prüfung ihrer finanziellen Unterstützung jedoch erst auf der Grundlage der fertig erstellten<br />

Masterarbeit, des bereits entwickelten Modells sowie der definitiv zugesagten Umsetzungsbereitschaft<br />

einer Gemeinde vornehmen wird. Somit entschieden sich die Autorinnen, ihr Vorhaben im Sinne eines<br />

Vorprojekts zu konzipieren und folgende Ziele des Projekts <strong>MIGRALTO</strong> nicht bereits im Rahmen<br />

dieser Masterarbeit anzugehen:<br />

- Umsetzung und Einführung des Modells im kommunalen Kontext mit der Stadt Bern als Partnerin<br />

und damit Sicherstellung einer praxiserprobten, wissenschaftlich begleiteten Durchführung.<br />

- Entwicklung und Testen von Wirksamkeits- und Qualitätsindikatoren, die es ermöglichen, die<br />

Nachhaltigkeit des eingeführten Modells und der umgesetzten Massnahmen nach Kriterien des<br />

Qualitätsmanagements zu überprüfen.<br />

Eine Änderung im Vergleich zum Konzept erfuhr folgendes Ziel:<br />

- Nicht wie geplant als praxisorientiertes Handbuch, sondern in einfacherer Form eine in die<br />

Masterarbeit integrierte Handlungsanleitung (vgl. Kapitel 6), welche die Umsetzung des Modells<br />

<strong>MIGRALTO</strong> in weiteren Gemeinden ermöglicht.<br />

Folgende Ziele behalten grundsätzlich ihre Gültigkeit. Geplant wäre jedoch, diese erst nach Abschluss<br />

der Masterarbeit anzugehen:<br />

- Öffentlichkeitsarbeit durch die Publikation einer Broschüre zum Projektmodell sowie Vorstellung<br />

des Projektes an verschiedenen Veranstaltungen mit Akteuren aus den Bereichen Alter und<br />

Migration. Bei erfolgreich durchgeführtem Projekt: Durchführung einer nationalen Veranstaltung mit<br />

den massgeblichen Akteuren im Alters- und Migrationsbereich.<br />

- Entwicklung eines Schulungsmoduls für Altersbeauftragte in Gemeinden für die systematische und<br />

bedarfsgerechte Umsetzung des Modells <strong>MIGRALTO</strong> in der eigenen Gemeinde<br />

(Multiplikatorenmodell).<br />

1.2 Persönlicher Bezug zum Thema<br />

Hildegard Hungerbühler: Seit mehreren Jahren ist die Situation älterer Migrantinnen und Migranten in<br />

der Schweiz einer der inhaltlichen Schwerpunkte meiner Tätigkeit als Ethnologin und Leiterin der<br />

Abteilung Grundlagen und Entwicklung bei der Geschäftsstelle des Schweizerischen Roten Kreuzes.<br />

9


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Ich vertrete das SRK zudem im Vizepräsidium des Nationalen Forums Alter und Migration (vgl. Kapitel<br />

1.3), das sich mit seiner Arbeit seit 2003 ebenfalls auf die Zielgruppe „Ältere MigrantInnen“<br />

konzentriert. Mein persönliches Interesse am Thema wächst, je länger und intensiver ich mich damit<br />

auseinandersetze. Dabei fasziniert mich vor allem der Reichtum an Lebenserfahrung, der bei älteren<br />

Menschen mit Migrationshintergrund zusammenkommt. Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass eine<br />

erfolgreich in die eigene Biografie integrierte Migrationsgeschichte eine wichtige Ressource für die<br />

Lebensgestaltung im Alter sein kann. Dies lernte ich nicht nur aufgrund meiner wissenschaftlichen<br />

Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern auch durch persönliche Begegnungen, die mich<br />

berührten.<br />

Viviana Abati: Als Tochter eines italienischen Vaters und einer deutschen Mutter, die beide als<br />

Arbeitsmigranten vor über 45 Jahren in die Schweiz eingewandert sind, bin ich als sogenannte<br />

Seconda direkt von der Thematik der Situation der älteren Migrationsbevölkerung in der Schweiz<br />

betroffen. Dadurch war es naheliegend, dass ich die Interviews mit den italienischen MigrantInnen<br />

geführt und die Organisation und Leitung der Fokusgruppe mit den VertreterInnen der italienischen<br />

Migrantenoriganisationen übernommen habe. Von allen italienisch sprechenden Beteiligten wurde es<br />

sehr geschätzt, dass sie sich in ihrer Muttersprache ausdrücken konnten. Neben der eigenen<br />

Betroffenheit ist mein Interesse an der Thematik auch damit zu begründen, dass ich seit Anfang 2011<br />

Beauftragte für die Umsetzung der Alterspolitik der Stadt Biel bin. In dieser Funktion obliegt es mir,<br />

einen Massnahmenplan umzusetzen, welcher unter anderem ein Konzept zur besseren <strong>Integration</strong><br />

der älteren Migrationsbevölkerung in Biel vorsieht. Die Möglichkeit, das in dieser Arbeit entwickelte<br />

Modell <strong>MIGRALTO</strong> selbst in einem kommunalen Kontext anwenden und erproben zu können, hat<br />

meine Motivation für den gesamten Entwicklungsprozess verständlicherweise noch zusätzlich<br />

gesteigert.<br />

1.3 Interessierte Organisationen und Netzwerke<br />

Folgende Organisationen/Netzwerke, welche die Autorinnen bereits in der Planungsphase dieser<br />

Arbeit einbezogen und informiert haben, interessieren sich für die Ergebnisse der empirischen<br />

Datenerhebung und unterstützen das gewählte Thema und seine Ziele ideell.<br />

Nationales Forum Alter und Migration (www.alter-migration.ch): Das Forum ist ein Zusammenschluss<br />

der wichtigsten Organisationen der Alters- und Migrationsarbeit auf nationaler Ebene und setzt sich für<br />

die Achtung der Würde und Rechte der älteren Migrationsbevölkerung in der Schweiz ein sowie für die<br />

Verbesserung ihrer ökonomischen, sozialen und gesundheitlichen Situation. Es leistet Studien- und<br />

Öffentlichkeitsarbeit und sensibilisiert für die Belange älterer MigrantInnen.<br />

Netzwerk der Altersbeauftragten der Schweizerischen Gesellschaft für Gerontologie, SGG<br />

(http://www.sgg-ssg.ch/cms/pages/de/arbeitsgruppen/altersbeauftrage.php):<br />

Das von der Schweizerischen Gesellschaft für Gerontologie koordinierten und geleitete Netzwerk der<br />

kommunalen Altersbeauftragten ermöglichte es den Autorinnen, an einem seiner Treffen im November<br />

10


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

2010 das Ziel der Masterarbeit sowie insbesondere die dazu geplante Situationsanalyse und<br />

Bedarfserhebung bei den Altersbeauftragten vorzustellen und eine erste Rückmeldung einzuholen.<br />

Die Autorinnen erhielten an diesem Treffen erste Signale der Bereitschaft, an der Erhebung<br />

teilzunehmen.<br />

Das Comitato Cittadino d'Intesa di Berna e Regione: Die Autorinnen erhielten ebenfalls bereits in der<br />

Planungsphase der Masterarbeit von dieser Vereinigung italienischer MigrantInnenorganisationen in<br />

Bern die Gelegenheit, ihr Vorhaben anlässlich einer Versammlung vorzustellen und dazu<br />

Einschätzungen einzuholen. Auch das Comitato zeigte sich interessiert an den Ergebnissen der<br />

Masterarbeit für seine eigenen künftigen Aktivitäten.<br />

Konferenz der kantonalen und kommunalen <strong>Integration</strong>sdelegierten der Schweiz (KID): Die KID ist mit<br />

einem <strong>Integration</strong>sdelegierten im Nationale Forum Alter und Migration vertreten und teilt somit über<br />

dessen Mitgliedschaft das Erkenntnisinteresse an dieser Arbeit.<br />

Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen, EKM (http://www.ekm.admin.ch/): Mit der EKM<br />

wurde eingehend abgeklärt, ob sie Interesse an der Eingabe und finanziellen Unterstützung eines<br />

Modellvorhabens „Aktive Bürgerschaft für ältere MigrantInnen“ im Sinne ihres Konzepts der<br />

„Citoyenneté“ hätte. Sie signalisierte ihr grundsätzliches Interesse, auf der Grundlage der fertig<br />

erstellten Masterarbeit eine entsprechende Projekteingabe zur Umsetzung und Evaluation mit einem<br />

kommunalen Partner zu prüfen.<br />

Alters- und Versicherungsamt der Stadt Bern, AVA vgl.:<br />

http://www.bern.ch/stadtverwaltung/bss/av/alterspolitik/agalterundmigration/<br />

Das AVA wurde als in Migrationsfragen engagiertes Amt gleich zu Beginn der geplanten Masterarbeit<br />

von den Autorinnen kontaktiert. Es erklärte seine Unterstützung der Arbeit sowie sein grundsätzliches<br />

Interesse hinsichtlich einer allfälligen späteren Umsetzung des Modells <strong>MIGRALTO</strong> durch die Stadt<br />

Bern.<br />

11


2. Theoretischer Hintergrund<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

In diesem Kapitel werden am Beispiel ausgewählter Ansätze der theoretische Hintergrund zu den<br />

Themen Lebensraum – Sozialraum (Kapitel 2.1), Sozialisation (Kapitel 2.2), MigrantInnen als Teil der<br />

Altersbevölkerung (Kapitel 2.3), Definition ältere MigrantInnen (Kapitel 2.3.1), Statistische Angaben<br />

und Fakten zur älteren Migrationsbevölkerung in der Schweiz mit Fokus auf die ItalienerInnen (Kapitel<br />

2.3.2), Forschungsstand zu älteren MigrantInnen (Kapitel 2.3.3), Migration/Arbeitsmigration (Kapitel<br />

2.4), <strong>Integration</strong> (Kapitel 2.5), Partizipation und Aktive Bürgerschaft (Kapitel 2.6), Partizipation (Kapitel<br />

2.6.1), Partizipation älterer MigrantInnen (Kapitel 2.6.2), Aktive Bürgerschaft/Citizenship von<br />

MigrantInnen (Kapitel 2.6.3), Das Beispiel der italienischen Selbstorganisation der ersten<br />

Einwanderungsgeneration in der Stadt Bern (Kapitel 2.6.4) aufgezeigt sowie der Forschungsstand<br />

dazu skizziert und kommentiert. Das Kapitel gibt Auskunft darüber, wie die Autorinnen ihre<br />

Untersuchung im Rahmen ihrer Masterarbeit theoretisch einbetten und abstützen.<br />

2.1 Lebensraum – Sozialraum (V. Abati)<br />

Lebensraum<br />

Der von Kurt Lewin (1963) geprägte Begriff des Lebensraumes (im feldtheoretischen Verständnis)<br />

bildet implizit die sozial-theoretische Basis dieser Forschungsarbeit. Die Feldtheorie mit ihrem Konzept<br />

zum psychologischen Lebensraum wird als einer der wesentlichen Beiträge Kurt Lewins zur<br />

psychologischen und sozialwissenschaftlichen Forschung angesehen (Lück, 2001). In seinem Buch<br />

‚Feldtheorie in der Sozialwissenschaft„ (1963) beschreibt Lewin sechs Merkmale seiner Theorie (aus<br />

Lück, 2001):<br />

1. Die konstruktive Methode: Übergang von einer klassifizierenden zu einer konstruierenden<br />

Methode.<br />

2. Der dynamische Ansatz: Entwicklung von Konstrukten und Methoden, die sich mit den dem<br />

Verhalten zugrunde liegenden Kräften befassen.<br />

3. Der psychologische Ansatz: Das Feld nicht als objektiver, physikalischer Begriff, sondern als<br />

Raum, in welchem das Individuum subjektiv in einem bestimmten Zeitraum existiert.<br />

4. Ausgangsanalyse von der Gesamtsituation: Nach der Charakterisierung der Gesamtsituation folgt<br />

die Annäherung an verschiedene Aspekte und Teile der Situation.<br />

5. Das Verhalten als eine Funktion des gegenwärtigen Feldes: Das Feld besteht aus Erfahrungen<br />

der Vergangenheit und aus einer denkbaren Zukunft. Beide beeinflussen die Gegenwart als<br />

gegenwärtig existierendes Feld.<br />

6. Die mathematische Darstellung: Durch die Vektoren wird es möglich, psychologisches<br />

Geschehen in einer logischen und konstruktiven Art und Weise zu beschreiben und zu<br />

bestimmen.<br />

In Bezug auf diese Forschungsarbeit sind die Merkmale 2 bis 5 für das Verständnis des sozialen<br />

Lebensraumes von älteren MigrantInnen in der Schweiz hilfreich, resp. konstituierend. Folgende<br />

12


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Erläuterungen stellen eine vereinfachte „Übersetzung“ der Merkmale in den Kontext der älteren<br />

Migrationsbevölkerung dar:<br />

Der dynamische Ansatz zielt darauf ab, Konstrukte und Methoden zu entwickeln, die sich mit den<br />

dem Verhalten zugrunde liegenden Kräften befassen. Übertragen auf den Kontext der älteren<br />

MigrantInnen in der Schweiz besagt Lewin‟s Theorie auch, dass dem Partizipationsverhalten von<br />

MigrantInnen im Aufnahmeland verschiedene Faktoren, respektive verschiedene Kräfte innerhalb des<br />

Feldes „Aufnahmeland“ zugrunde liegen. Mögliche Faktoren werden einerseits in den nächsten<br />

Kapiteln zum theoretischen Hintergrund eingeführt und beleuchtet, andererseits soll die Untersuchung<br />

mögliche Antworten darauf liefern.<br />

Beim psychologischen Ansatz wird das Feld als Raum definiert, in welchem das Individuum<br />

subjektiv in einem bestimmten Zeitraum existiert. Das bedeutet, ältere MigrantInnen sind Subjekte und<br />

erleben ihren Lebensraum im Aufnahmeland und in Bezug auf das eigene Älterwerden als solche. Wie<br />

später aufgezeigt wird, ist in der aktuellen Diskussion zu <strong>Integration</strong> und Partizipation eine deutliche<br />

Veränderung der Wahrnehmung und Definition des/der (ältere/n) MigrantIn vom Objekt zum Subjekt<br />

erkennbar. Es wird zukünftig vermehrt darum gehen, dass sich diese Veränderung auch in der<br />

Umsetzung einer diversitätsgerechten Partizipationspolitik konkret niederschlägt.<br />

Analyse ausgehend von der Gesamtsituation bedeutet im vorliegenden Kontext, dass erst die<br />

Betrachtung des Lebensraumes der MigrantInnen (Kultur und Mentalität) aus dem Ursprungsland<br />

zusammen mit der Betrachtung des Lebensraumes in der Schweiz als Migrationsland mit der ihr<br />

eigenen Kultur und Mentalität zu einem Verständnis der Gesamtsituation führt. Daraus folgt, dass<br />

MigrantInnen allgemein – und spezifisch für diese Arbeit die älteren MigrantInnen insbesondere – ein<br />

Verhalten aufweisen, das durch ihre Erfahrungen im Ursprungsland, genauso aber auch von den<br />

Erfahrungen im Aufnahmeland beeinflusst ist. Weiter unten werden in diesem Zusammenhang Fragen<br />

betreffend Binnenintegration und möglicher Ausgrenzung eingeführt und diskutiert.<br />

Vertieft wird die oben beschriebene Betrachtung der Gesamtsituation durch das Verhalten als eine<br />

Funktion des gegenwärtigen Feldes, in welchem Vergangenheit und (gedachte oder erhoffte)<br />

Zukunft die Gegenwart beeinflussen. In Bezug auf die Gegenwart von älteren MigrantInnen müssen<br />

sich Partizipationsprozesse an deren Vergangenheit und an deren Zukunft orientieren.<br />

Kalbermatten (2010) betrachtet den Lebensraum aus einer angewandten Perspektive und beschreibt<br />

diesen als Umwelt, der eine soziale und eine ökologische Komponente enthält. Der Lebensraum ist<br />

dabei Konstrukt der Selektion und Perspektive und konstituiert das Handeln und die Wahrnehmung<br />

des Individuums. Ausserdem wird er durch Mitmenschen beeinflusst.<br />

In diesem Verständnis führt Lebensraum zu Handlungsspielraum, in welchem es möglich wird,<br />

Kompetenzen zu nutzen, Wahlmöglichkeiten aufzuzeigen und Informationen über Handlungsmöglich-<br />

keiten zu erhalten sowie Handlungsbarrieren abzubauen. Der Raum als solches lässt sich wiederum<br />

unterteilen in verschiedene Aspekte wie körperlich, privat, sozial, öffentlich, usw. Aus dieser<br />

Differenzierung des Begriffes Raum ergibt sich nach Kalbermatten ein Beteiligungs-Mix, in welchem<br />

der oben erwähnte Einfluss in Bezug auf den entsprechenden Lebensraum sichtbar wird:<br />

13


Privatheit Sozialer Raum<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Soziale Interaktion<br />

14<br />

Hilfeebene und<br />

Unterstützungsbedarf<br />

Selbstbestimmung Mitbestimmung Fremdbestimmung<br />

Handlungen<br />

Orte<br />

Handlungen<br />

Orte<br />

Handlungen<br />

Im vorliegenden Kontext wird vor allem der mittlere, der soziale Raum von Bedeutung sein. Handeln<br />

und Wahrnehmung des/der älteren MigrantIn im Lebensraum Schweiz sind sozusagen das Resultat<br />

desselben, genauso wie die wahrgenommenen Handlungsspielräume. Im Sinne dieser Betrachtungs-<br />

weise wird bei der Untersuchung eine multiperspektivische Analyse vorgenommen, da offensichtlich<br />

ist, dass erst eine gemeinsam geteilte Wahrnehmung von Sozialraum und Handlungsspielraum<br />

verschiedener AkteurInnen eines Lebensraumes eine gleichwertige Partizipation ermöglicht.<br />

Sozialraum<br />

Dem Konzept des Lebensraumes ähnlich, ist jenes des Sozialraumes. Hofinger (2007) weist<br />

daraufhin, dass der Ursprung des Begriffes Sozialraum nicht ganz eindeutig sei und sowohl in der<br />

Stadtsoziologie als auch in der Pädagogik genutzt werde. Nach ihm ermöglicht das Konzept, mittels<br />

Analyse die räumliche Umgebung in Verbindung zum sozialen Handeln zu bringen. Somit wird der<br />

„Sozialraum“ nicht nur als sozialgeografisch begrenzter Raum definiert wie beispielsweise ein Stadtteil<br />

oder eine Region. Sozialraum bezieht sich ebenfalls auf einen sozial konstituierten Raum und wird<br />

Orte<br />

damit zu einem Lebensraum und sozialen Mikrokosmos, in dem sich gesellschaftliche<br />

Entwicklungsprozesse ereignen und manifestieren.<br />

Hofinger (ebenda) verweist im Weiteren darauf, dass das Konzept des Sozialraumes (und die in<br />

diesem Zusammenhang meist mitgenannte Sozialraumanalyse) in unterschiedlichen Feldern<br />

Anwendung findet, zum Beispiel in der Planung oder in der Stadtentwicklung. Jedoch auch die<br />

Gemeinwesenarbeit – ein partizipativer und prozessorientierter Ansatz der sozialen Arbeit, der darauf<br />

ausgerichtet sei, die Lebenssituation der Menschen in einem sozialen Raum in materieller und<br />

immaterieller Hinsicht zu verbessern – orientiere sich stark am Konzept des Sozialraumes.<br />

Die Autorinnen teilen die hier vorgestellte Definition des Sozialraumes, wonach dieser direkt mit dem<br />

sozialen Handeln in Verbindung steht, und der als sozialer Mikrokosmos betrachtet werden kann,<br />

welcher gesellschaftliche Entwicklungsprozesse beinhaltet. Im Hinblick auf diese Forschungsarbeit<br />

streichen die Autorinnen speziell den Aspekt der Einflussnahme auf den Sozialraum heraus.<br />

Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichen sozialen Rollen (z.B. VertreterInnen schweizerischer<br />

Institutionen oder VertreterInnen der Migrationsbevölkerung) beeinflussen den eigenen Sozialraum<br />

(z.B. im Sinne der Binnenintegration) unterschiedlich. Gleichzeitig teilen sie einen gemeinsamen<br />

Raum, etwa das gemeinsam bewohnte Quartier, in welchem sie mehr oder weniger ausgeprägt<br />

miteinander interagieren. In der vorliegenden Arbeit liegt der Fokus zudem auf dem Aspekt der


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse, unter welche die hier diskutierte aktive Bürgerschaft als<br />

Partizipation älterer Migrantinnen subsummiert werden kann.<br />

2.2 Sozialisation (V. Abati)<br />

In Zusammenhang mit der Diskussion, ob unterschiedliche Ethnizität nach ethnien-spezifischen<br />

Angeboten oder partizipativen Prozessen verlangt, soll hier kurz die Sozialisation als Grundkonzept<br />

skizziert werden, um dadurch mögliche Hinweise auf die Frage zu finden, ob und wie stark Ethnizität<br />

den partizipativen Prozess prägt oder prägen könnte.<br />

„Sozialisation ist Persönlichkeitsentwicklung in Aufnahme von und in Auseinandersetzung mit der<br />

gesellschaftlichen, kulturellen und materiellen Umwelt, insbesondere in Interaktion mit Personen.“<br />

(Geulen, 1977)<br />

Die hier verwendete Definition basiert auf den Arbeiten von Hurrelmann und Geulen (2006)<br />

.Sozialisation gilt als die Anpassung eines Individuums an die gesellschaftlichen Denk- und<br />

Gefühlsmuster durch Verinnerlichung von den herrschenden sozialen Normen. Als wissenschaftlicher<br />

Begriff bezeichnet sie zum einen die Entwicklung der Persönlichkeit aufgrund ihrer Interaktion mit ihrer<br />

materiellen und sozialen Umwelt. Zum anderen meint sie die sozialen Bindungen zwischen<br />

verschiedenen Individuen. Dadurch entstehen im sozialen Zusammenleben Handlungsbezüge im<br />

Sinne von Vergemeinschaftung und Handlungsorientierungen als soziale Identität. Das bedeutet, dass<br />

ein Individuum sich tendenziell nach den jeweils geltenden Normen und Werten der Gesellschaft<br />

verhält, in der es sozialisiert wurde.<br />

Unter Sozialisation wird aber meist auch die Gesamtheit der Lernprozesse verstanden, die durch eine<br />

spezifische Gesellschaft vermittelt werden. Dadurch wird das Individuum sozial handlungsfähig und<br />

nimmt am sozialen Leben teil, wodurch es an der Entwicklung der Gesellschaft auch mitwirken kann.<br />

Sozialisation wird ausserdem als lebenslanger Prozess gesehen, der durch sogenannte Sozialis-<br />

ationsinstanzen die sozialen Lernprozesse des Indiviuums beeinflussen oder gar steuern kann.<br />

In diesem lebenslangen Sozialisationsprozess werden drei Stufen der Sozialisation unterschieden: die<br />

primäre, die sekundäre sowie die tertiäre. Nach Berger und Luckmann (1969) wird primäre<br />

Sozialisation als Prozess beschrieben, in welchem einem Menschen in den ersten Lebensjahren<br />

fundamentales Wissen vermittelt wird, um sich in seiner sozialen Umgebung zurechtzufinden und<br />

darin interagieren zu können. Der junge Mensch findet dadurch schrittweise zu seiner Identität und<br />

Rolle.<br />

Die durch die primäre Sozialisierung gelegten Fundamente für die Anpassung an und die Interaktion<br />

mit der Umwelt, führen fliessend zur sekundären Sozialisation des Individuums, die sich im<br />

Jugendlichen- und Erwachsenenalter fortsetzt. Während sich die sekundäre Sozialisation vor allem im<br />

ausserfamiliären Kontext fortsetzt, wird in der tertiären Phase in erster Linie das berufliche Umfeld als<br />

Kontext des Sozialisationsprozesses genannt.<br />

15


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Der zentrale Punkt für diese Forschung ist die Feststellung, dass die Lernerfahrungen der primären<br />

Sozialisationsphase als gefestigt und nicht mehr veränderbar gelten. Das Erlernte der sekundären<br />

(und tertiären) Phase hingegen bleibt veränderbar, der Mensch bleibe also in der Lage auch neue<br />

Rollen anzunehmen und wird vom sozialen Kontext weiterhin beeinflusst.<br />

An dieser Stelle wird auch auf das Konzept der sozial-kognitiven Lerntheorie nach Bandura (in: Abels<br />

und König, 2006) hingewiesen, wonach Lernen stets ein sozialer Vermittlungsprozess ist. Nach den<br />

Lerntheorien würde die Persönlichkeitsentwicklung im Grundsatz dem Aufbau von Lernerfahrungen<br />

gleichgesetzt. Unter dem Begriff Motivationsprozesse innerhalb der Lerntheorie Bandura‟s, hat bereits<br />

die blosse Erwartung von Konsequenzen eine verhaltenssteuernde Wirkung, was bedeutet, dass die<br />

gedankliche Vorwegnahme von Konsequenzen motivierend oder demotivierend wirken kann.<br />

Die Autorinnen gehen aufgrund der vorgestellten Sozialisationskonzepte davon aus, dass Ethnizität<br />

ein mitbestimmender Faktor ist für eine aktive Bürgerschaft im Alter, nicht aber der prägende. Da<br />

Sozialisation als lebenslanger Prozess gesehen wird, der als soziales Lernen interpretiert wird,<br />

bedeutet das, dass ältere MigrantInnen durch ihren jahre- oder jahrzehntelangen Aufenthalt im<br />

Aufnahmeland vielseitige Erfahrungen erworben haben im Sinne der Sekundär- und Tertiär-<br />

sozialisation, dass sie ohnehin nicht mehr einfach eine oder diese spezifische Ethnizität verkörpern.<br />

Im Weiteren ist das Modell <strong>MIGRALTO</strong> ein prospektives Projekt, das von einer Ausgangssituation<br />

ausgeht (Biografie der älteren MigrantInnen), das aber als Ziel vor allem auch Kompetenz-Erwerb<br />

anstrebt und somit Teil einer weiteren Sozialisierung im Sinne eines sozialen Lernens.<br />

In Zusammenhang mit den neueren gerontologischen Konzepten zur Lernfähigkeit im Alter<br />

(Stadelhofer, 1996) liesse sich – allerdings hier ungeprüft – sagen, dass sekundäre und tertiäre<br />

Sozialisation sowie sozial-kognitives Lernen altersunspezifische Konzepte sind. Welche Implikationen<br />

diese Feststellung für Partizipationsprozesse mit älteren MigrantInnen hat, wird aufgrund der<br />

Ergebnisse aus den Analysen und aus dem Erkenntnisgewinn (vergleiche Kapitel 6.2,<br />

Schlussfolgerungen) diskutiert.<br />

2.3 MigrantInnen als Teil der Altersbevölkerung(H. Hungerbühler)<br />

Dieses Kapitel liefert einen Überblick zur Definition „Ältere MigrantInnen“ (2.3.1), zu den statistischen<br />

Angaben und Fakten zur älteren Migrationsbevölkerung in der Schweiz mit Fokus auf den<br />

ItalienerInnen (2.3.2) sowie zum Forschungsstand (2.3.3).<br />

2.3.1 Definition ältere MigrantInnen<br />

In der vorliegenden Masterarbeit verstehen die Autorinnen unter der „älteren Migrationsbevölkerung“<br />

bzw. unter „älteren Migrantinnen und Migranten“ alle Menschen mit Migrationshintergrund, die im<br />

Rentenalter stehen (ab 62 bzw. 65 Jahren). Obwohl die Datenlage zeigt, dass MigrantInnen häufig<br />

aufgrund belastender Arbeitsbedingungen im Niedriglohnbereich gesundheitlich früher altern (Weiss,<br />

2003; Dietzel-Papakyriakou, 1993), nehmen wir das Pensionierungsalter als Indikator. Für<br />

16


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

MigrantInnen stellt sich spätestens dann die Frage, wo sie ihr „Alter“ verbringen wollen – im<br />

Herkunftsland oder in der Schweiz, wo sie meist deutlich mehr als die Hälfte ihres Lebens verbracht<br />

haben. Im Weiteren beschränken wir uns aufgrund des begrenzten Rahmens der Masterarbeit<br />

exemplarisch auf denjenigen Teil der älteren Migrationsbevölkerung, der in der Forschungsliteratur der<br />

Schweiz am besten dokumentiert ist. Es handelt sich um die erste Einwanderungsgeneration nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg, die sogenannten Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus Italien, später dann<br />

auch aus Spanien. Es sind diese Personen, die heute mehrheitlich pensioniert sind. Eine weitere<br />

Eingrenzung der Zielgruppe ergibt sich dadurch, dass wir uns schwergewichtig auf die italienische<br />

Migrationsgemeinschaft im lokalen Kontext der Stadt Bern beziehen.<br />

2.3.2 Statistische Angaben und Fakten zur älteren Migrationsbevölkerung in<br />

der Schweiz mit Fokus auf die ItalienerInnen<br />

Obwohl es sich bei den MitgrantInnen in der Schweiz mehrheitlich um eine demografisch junge<br />

Bevölkerung handelt, dürfte die Zahl der über 65-Jährigen gemäss statistischer Szenarien des Bundes<br />

in den nächsten Jahren deutlich wachsen (BFS, 2010, S. 7). Ende 2009 lebten innerhalb der<br />

„ständigen ausländischen Wohnbevölkerung“ in der Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen 250„618, in<br />

der Gruppe der 65- 79-Jährigen 110„610 und bei den über 80-jährigen 21„098 Personen in der<br />

Schweiz - Eingebürgerte nicht mitgezählt. Der mit Abstand grösste Teil der älteren<br />

Migrationsbevölkerung stammt aus Italien. Bei den 50 bis 64-Jährigen sind es 58„466, bei den 65 bis<br />

79-Jährigen 47„371 und bei den über 80-Jährigen noch 8„896 Personen. Die demografische Verteilung<br />

der italienischen Altersbevölkerung nach Geschlecht ist das Ergebnis einer männlich dominierten<br />

Einwanderung in den fünfziger und sechziger Jahren. Die Schweiz benötigte damals für ihren<br />

Arbeitsmarkt vorab junge männliche Arbeitskräfte. Das erklärt den trotz späterem Familiennachzug<br />

kleiner gebliebenen Anteil von Frauen in der Alterskategorie 65 – 79 Jahre. Wie bei der<br />

schweizerischen Bevölkerung auch verfügen jedoch Frauen über die höhere Lebenserwartung und<br />

überwiegt daher ihr Anteil in der Alterskategorie 80+ (vgl. folgende Tabelle).<br />

17


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Ständige ausländische Wohnbevölkerung nach Nationalität, Altersgruppe und Geschlecht<br />

Schweizerisches Rotes Kreuz / Departement Gesundheit und <strong>Integration</strong>, basierend auf der<br />

Quelle: Bundesamt für Statistik (Stand am 31.12.2009)<br />

Abbildung 1: Säulengraphik der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung nach Nationalität, Altersgruppe und Geschlecht<br />

18


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Ständige ausländische Wohnbevölkerung nach Nationalität, Altersgruppe und Geschlecht<br />

Schweizerisches Rotes Kreuz / Departement Gesundheit und <strong>Integration</strong>, basierend auf der<br />

Quelle: Bundesamt für Statistik (Stand am 31.12.2009)<br />

Tabelle 1: Zahlen zur ständigen ausländischen Wohnbevölkerung nach Nationalität, Altersgruppe und Geschlecht, 31.12.2009<br />

Deutschland/Österreich/Liechtenstein<br />

Frankreich<br />

Italien<br />

Spanien<br />

Portugal<br />

Türkei<br />

Länder ehemaliges Jugoslawien<br />

übriges Europa<br />

nicht europäische Länder<br />

Total<br />

19<br />

Alter<br />

40-49 50-64 65-79 80 +<br />

Frauen 27005 13773 11352 2590<br />

Männer 39309 22982 15432 1891<br />

Total 66314 36755 26784 4481<br />

Frauen 6841 5886 3218 1302<br />

Männer 8942 7844 3505 880<br />

Total 15783 13730 6723 2182<br />

Frauen 20508 24276 21137 5175<br />

Männer 33044 34190 26234 3721<br />

Total 53552 58466 47371 8896<br />

Frauen 5333 6275 2770 718<br />

Männer 6480 8702 2878 377<br />

Total 11813 14977 5648 1095<br />

Frauen 20676 9144 631 111<br />

Männer 25329 14426 531 45<br />

Total 46005 23570 1162 156<br />

Frauen 5620 4362 1157 160<br />

Männer 6533 5016 1301 83<br />

Total 12153 9378 2458 243<br />

Frauen 23904 22729 3685 446<br />

Männer 23199 27674 4013 192<br />

Total 47103 50403 7698 638<br />

Frauen 12771 9507 3999 1222<br />

Männer 13877 11862 4831 1040<br />

Total 26648 21369 8830 2262<br />

Frauen 22578 9816 1887 636<br />

Männer 20390 12154 2049 509<br />

Total 42968 21970 3936 1145<br />

Frauen 145236 105768 49836 12360<br />

Männer 177103 144850 60774 8738<br />

Total 322339 250618 110610 21098<br />

Allgemein wurde angenommen, dass die MigrantInnen, die nach dem zweiten Weltkrieg vorwiegend<br />

aus Europas Süden (Italien und später Spanien) in die Schweiz eingewandert sind, um hier zu<br />

arbeiten, und die heute im Rentenalter sind, nach ihrer Pensionierung wieder in ihre ehemalige Heimat<br />

zurückkehren würden. Studien belegen hingegen am Beispiel italienischer und spanischer


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

MigrantInnen in Genf und Basel, dass nur gerade ein Drittel zurückkehrt, ein Drittel pendelt und ein<br />

Drittel (Tendenz zunehmend) auch das Alter in der Schweiz verbringt (vgl. Bolzman, Fibbi und Vial,<br />

1999). Damit stellen sich nun der schweizerischen Alterspolitik und -arbeit neue Herausforderungen.<br />

Ältere MigrantInnen werden zunehmend zu KlientInnen/PatientInnen der Gesundheits- und<br />

Altersversorgung. Sie sind jedoch nicht nur EmpfängerInnen von Dienstleistungen. Vielmehr verfügen<br />

sie auch über bestimmte Ressourcen, wie etwa migrationsspezifische Kompetenzen und Erfahrungs-<br />

wissen sowie eine teilweise beispielhafte Selbstorganisation in tragenden sozialen Netzwerken. All<br />

diese Faktoren machen sie zu selbstbestimmten AkteurInnen ihrer Lebensgestaltung im Alter.<br />

Die jungen und mittleren Lebensjahre dieser heute älteren Migrationsbevölkerung spielten sich vor<br />

allem in der Arbeitswelt ab. Die dominante Arbeitssprache in denjenigen Sektoren des Arbeitsmarktes,<br />

in welchen die MigrantInnen aus Europas Süden angestellt waren, war Italienisch. Zur <strong>Integration</strong> in<br />

andere gesellschaftliche Bereiche blieb nebst der vieler Arbeit wenig bis keine Zeit. Zudem zeichneten<br />

sich diese Jahre durch eine fehlende staatliche <strong>Integration</strong>spolitik bzw. –förderung seitens der<br />

Schweiz aus. Die italienischen ArbeitsmigrantInnen waren somit gezwungen, sich innerhalb ihrer<br />

Community selber zu helfen, sich selber zu organisieren. Es entstand eine Reihe von Organisationen,<br />

die an Stelle des schweizerischen Staates wichtige <strong>Integration</strong>sarbeit und Unterstützung für ihre<br />

Landsleute leisteten (vgl. Kapitel 2.6.4). Somit kann die heute pensionierte italienische<br />

Migrationsbevölkerung der ersten Generation auch im Alter auf bewährte Netze der sozialen<br />

Unterstützung und Sicherung zurückgreifen.<br />

Auf der andern Seite zeigen sich bei dieser Generation aber auch die Folgen jahrzehntelanger Arbeit<br />

im Niedriglohnbereich und unter Bedingungen, die die Gesundheit stark belastet haben, sowie<br />

Auswirkungen von Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrung: Frühinvalidität und erhöhtes<br />

Krankheitsrisiko im Alter. Zudem führten die geringen Einkommen während des Erwerbslebens zu<br />

tiefen Altersrenten und damit auch zur Gefahr, in die Altersarmut abzugleiten. Und schliesslich wirkt<br />

sich im Alter auch die verpasste <strong>Integration</strong>sförderung durch die Schweiz aus. So bekunden viele,<br />

trotz jahrzehntelangem Leben in der Schweiz, nach wie vor Mühe bei der mündlichen und schriftlichen<br />

Verständigung in der deutschen Sprache. Sie kennen häufig ihre Rechtsansprüche im Rahmen der<br />

Altersversorgung (AHV, EL, Pensionskasse etc.) nicht oder nur lückenhaft und sind über das<br />

schweizerische Gesundheitswesen und im Speziellen die Altersversorgung mit ihren Dienstleistungen<br />

schlecht oder nur unzureichend informiert. Bezüglich der Zielgruppe ‚Ältere Migranten„ zeigt sich ein<br />

wachsender Bedarf an wirkungsvoller Zusammenarbeit zwischen Migrationsorganisationen und<br />

Institutionen des schweizerischen Sozial- und Gesundheitswesens, insbesondere der ambulanten und<br />

stationären Dienstleistungserbringer im Altersbereich (vgl. Kobi, 2008; Hungerbühler, 2010).<br />

Auch in Gremien der Alterspolitik sind ältere MigrantInnen gemäss Aussagen von VertreterInnen aus<br />

Altersorganisationen – wie beispielsweise dem Schweizerischen Seniorenrat – nicht oder nur marginal<br />

vertreten. Eine Altersarbeit, aber auch -politik, die dem Bedarf einer nach nationaler Herkunft immer<br />

heterogener werdenden Altersbevölkerung gerecht werden will, sollte sich jedoch für das Potenzial<br />

von MigrantInnen als partizipierende AkteurInnen interessieren.<br />

20


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

2.3.3 Forschungsstand zu älteren MigrantInnen<br />

Innerhalb der Forschungsliteratur zu Migration und <strong>Integration</strong> sind ältere Menschen und ihre<br />

Lebenssituationen bis anhin ein eher marginales Thema. In England - mit seinen auf die Kolonialzeit<br />

zurückgehenden grösseren ethnischen Minderheiten - wird Altern unter anderem auch in Verknüpfung<br />

mit „Ethnicity“ untersucht. So erstaunt es nicht, dass auch die Initiative für eine Länder vergleichende<br />

Studie in Europa mit dem Titel „Minority Elderly Care in Europe: Country Profiles“ (Patel, 2003) von<br />

England ausging. In zehn europäischen Ländern – darunter die Schweiz – wurde untersucht, welche<br />

sozialen und gesundheitlichen Bedürfnisse ältere Menschen mit einem Migrationshintergrund oder mit<br />

einer ethnischen Minderheitenzugehörigkeit haben und mit welchen Dienstleistungsmodellen diese am<br />

besten zu decken seien. In Deutschland hat sich vor allem Dietzel-Papakyriakou (1990, 1993, 2005)<br />

mit älteren Migrantinnen und Migranten befasst. Auch sie hat ihren Fokus auf die Rolle, welche die<br />

„Ethnizität“ für MigrantInnen im Alter spiele, gerichtet und in mehreren Artikeln die Frage diskutiert, ob<br />

sich Ethnizität als Ressource oder Belastung für die Lebensgestaltung im Alter erweise. Einerseits<br />

beobachtete sie die Tendenz zum Rückzug älterer MigrantInnen in ihre eigenen ethnischen Gruppen<br />

im Sinne eines – gerontologisch konzipierten – „disengagements“ (Cumming & Henry, 1961) von der<br />

Mehrheitsgesellschaft. Sie spricht in diesem Zusammenhang von der „ethnischen Insulation“. Genau<br />

diese verstärkte Binnenintegration (vgl. das Konzept von Elwert, 1982 in Kapitel 2.5) im Alter sei<br />

anderseits auch eine Ressource und könne zum Potenzial für die Lebensgestaltung im Alter werden.<br />

Dazu äussert sie sich wie folgt (2005, S. 397): „Geht man von der Annahme aus, dass das Alter in<br />

einem Lebenskontinuum zu sehen ist, dann prägt die Migration als zentrale Lebenserfahrung den<br />

Alternsprozess mit. Jede Kultur bildet in ihren religiösen Systemen und Weltauffassungen für das Alter<br />

Leitmotive und Bewältigungsstrategien aus. Ältere Migranten, die bis zum Erwachsenenalter im<br />

Herkunftsland sozialisiert worden sind, greifen auf diesen kulturellen Fundus von Altersbildern zurück.“<br />

Sie vertritt die Ansicht, dass ältere MigrantInnen vor diesem Hintergrund in Wechselwirkung mit ihrer<br />

aktuellen Umgebung spezifische Potenziale entwickeln. Sie kritisiert dabei die Mehrheitsgesellschaft,<br />

in ihrem Falle Deutschland: „Häufig behindern jedoch undifferenzierte, klischeehafte Darstellungen<br />

von Migranten die Wahrnehmung solcher Potenziale“ (ebenda).<br />

Dietzel-Papakyriakou weist wiederholt darauf hin, dass in der sozialgerontologischen Arbeit mit älteren<br />

MigrantInnen nebst den auch für die einheimische Altersbevölkerung gültigen Faktoren wie<br />

Berufsbiografie, Schichtzugehörigkeit, Gesundheitsstatus, materielle Situation, etc. das ethnische<br />

Orientierungssystem zu berücksichtigen sei: „So hat das chronologische Alter von 65 Jahren nicht für<br />

alle Populationen die gleiche Bedeutung. Bei den Arbeitsmigranten tritt z.B. das psychosoziale Alter<br />

viel früher als das chronologische ein. Denn sie orientieren sich in ihren Lebensphasen an eigenen<br />

ethnisch-kulturellen Alterspassagen, die früher eintreten; so etwa an der früheren Grosselternschaft<br />

oder an dem früheren Berentungsalter im Herkunftsland. Alter bedeutet eine intensive Identifikation<br />

mit der ethnischen Kultur“ (1993, S. 468).<br />

An diesem Ansatz dominanter Fokussierung von Ethnizität im Alter kritisieren wir, dass Ethnizität<br />

essentialistisch und als ein statisches, unveränderliches Konzept definiert wird, das sich bis ins Alter<br />

als solches aufrechterhält. In diesem Sinne bleibt auch im Alter als einzige Orientierungs- und<br />

21


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Handlungsoption nur der Rückgriff auf das durch die Sozialisierung ein für allemal erworbene<br />

Referenzsystem kultureller Bedeutung erhalten. Unberücksichtigt bleibt in dieser Konzeption die<br />

Tatsache, dass MigrantInnen in Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realität und<br />

Entwicklung der Aufnahmegesellschaft ihr Bedeutungssystem auch verändern und je nach Kontext<br />

spezifisch handhaben. Die Ethnizitätsforschung der letzten Jahre belegt, dass Ethnizität als<br />

dynamisches Konzept permanenter gegenseitiger und situationaler Abgrenzungsprozesse zu<br />

verstehen ist. Barth legte bereits 1969 die Grundlage für ein Ethnizitätsverständnis, das an<br />

Gruppenbildungs- und interethnische Interaktionsprozesse gebunden ist. Er mass den erst durch<br />

Selbst- und Fremdzuschreibung entstehenden ethnischen Grenzen für die Konstitution ethnischer<br />

Gruppen zentrale Bedeutung zu. Vor dem Hintergrund der Migrations- und Minderheitensituation<br />

liessen sich im Folgenden zwei Ansätze unterscheiden, welche ‚Ethnizität„ eine je unterschiedliche<br />

Funktion zumessen: erstens eine politisch-instrumentelle Funktion, in welcher Ethnizität als<br />

Organisationsressource dient und zur Bildung von Interessensgruppen eingesetzt werden kann und<br />

zweitens eine individuell-entlastende oder identitätsstiftende Funktion, welche zur Entstehung<br />

affektiver Bindung an eine sich als ethnisch formierende und definierende Gruppe beiträgt und<br />

identitätsstiftend wirkt, indem sie als subjektive Orientierungshilfe und stabilisierender Faktor in<br />

persönlichen Krisensituationen mobilisiert wird.<br />

In der vorliegenden Masterarbeit orientieren wir uns an der uns sinnvoll erscheinenden Verknüpfung<br />

dieser beiden Dimensionen von Ethnizität. Unsere Annahme besagt, dass für MigrantInnen – auch im<br />

Alter – Ethnizität eine doppelte Bedeutung hat: als politisches Instrument zum einen und als<br />

psychologischer Erklärungswert zum andern. Ethnizität dient einerseits als Mobilisierungsressource<br />

für die Selbstorganisation in Interessengruppen, anderseits wird sie als Orientierungshilfe herbeige-<br />

zogen, um das Bedürfnis nach identitärer Kontinuität in einem verunsichernden und fremden<br />

Gesellschaftskontext zu befriedigen (Stienen & Wolf, 1991).<br />

In der Schweiz arbeiteten bisher in erster Linie das Genfer Forschungsteam Bolzman, Fibbi und Vial<br />

(1998, 1999), Höpflinger (1999), Kobi (2008), Soom Ammann (2006) und Hungerbühler (2004, 2007,<br />

2010, 2011) zur Thematik der älteren Migrationsbevölkerung. Die Genfer SoziologInnen untersuchten<br />

zum einen die Entscheidpraxis älterer MigrantInnen bezüglich der Wahl ihres Alterswohnsitzes<br />

(Schweiz, Herkunftsland, Pendeln) am Beispiel italienischer und spanischer ArbeitsmigrantInnen der<br />

Städte Genf und Basel (1999) und analysierten Projekte und Dienstleistungen für ältere MigrantInnen<br />

in den Ländern Deutschland, Frankreich und Holland (1999). Höpflinger (1999) skizzierte<br />

demografische Entwicklungsszenarien der älteren Migrationsbevölkerung in der Schweiz, Kobi (2008)<br />

legte ihren Schwerpunkt auf die theoretische und empirische Untersuchung der<br />

Unterstützungsbeziehungen und -erwartungen älterer Menschen aus Italien und Serbien/Montenegro<br />

in Zürich. Sie entwickelte Folgerungen zum familiären Unterstützungspotenzial und Bedarf nach<br />

familienexternen Unterstützungsangeboten. Für den kommunalen Kontext der Stadt Bern liegen mit<br />

Stienen (2006) und Soom & Truffer (2000) Publikationen vor, welche sich den <strong>Integration</strong>sdynamiken<br />

in der Stadt Bern widmen, darunter im Speziellen auch der Geschichte der italienischen<br />

Arbeitsmigration. Soom Ammann (2006) geht dabei der Frage der Selbstorganisation italienischer<br />

22


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

ArbeitsmigrantInnen nach. Am Beispiel der drei Organisationstypen ‚Selbsthilfe„, ‚Interessenvertretung<br />

und politische Partizipation„ sowie ‚Bildung„ arbeitet sie deren Geschichte in der Stadt Bern auf (vgl.<br />

Kapitel 2.6.4). Sie zeigt, dass der Frage, ob die Selbstorganisation dieser ersten<br />

Einwanderungsgeneration zu ihrer gesellschaftlichen <strong>Integration</strong> im Sinne von Partizipation geführt<br />

habe oder vielmehr gegenteilig zu ihrem Selbstausschluss, vertieft nachgegangen werden müsste. Bei<br />

Hungerbühler (2004, 2007, 2011) findet sich zum einen ein genereller Überblick zum Thema ‚Alter und<br />

Migration in der Schweiz„ und zum andern wurden Bedürfnisse und Ressourcen älterer MigrantInnen<br />

mittels der Befragung von Fachpersonen aus der Altersarbeit mit eigenem Migrationshintergrund<br />

erhoben sowie Anforderungen an die gerontologische Arbeit skizziert (2010).<br />

2.4 Migration / Arbeitsmigration (H. Hungerbühler)<br />

Migration verstehen die Autorinnen in dieser Masterarbeit in Anlehnung an Wicker (1993) als jenes der<br />

Marktwirtschaft systemimmanentes Phänomen der Mobilität, welches Menschen dazu bewegt, das<br />

über Modernisierungsprozesse bewirkte und international vernetzte Gefälle von Land zu Stadt oder<br />

von Nation zu Nation mittels Wanderung, wenn auch nicht zu beheben, so doch wenigstens für die<br />

persönliche Lebensgestaltung zu überwinden. Diese Definition gilt nur für die sogenannte<br />

Arbeitsmigration – den Migrationstypus also, der für die in dieser Arbeit thematisierten MigrantInnen<br />

aus Italien relevant ist - nicht hingegen für den Kontext von Flucht aufgrund politischer Unruhen, Krieg,<br />

Menschenrechtsverletzungen, persönlicher oder kollektiver Verfolgung, etc. Fluchtmigration ist ein<br />

eigenes Thema, auf das in unserer Masterarbeit nicht eingegangen wird.<br />

Arbeitsmigration spielt sich zum einen innerhalb eines Landes als sogenannte Binnenmigration von<br />

ländlichen Regionen in städtische Zentren ab oder aber grenzüberschreitend von einem Land mit<br />

keinen oder wenig Perspektiven auf wirtschaftliche Beschäftigung (Push-Faktor) in ein Land, dessen<br />

Arbeitsmarkt über eine Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften verfügt (Pull-Faktor). Im Falle<br />

der hier behandelten Migration handelte es sich um eine klassische Arbeitsmigration als Konsequenz<br />

dieser Push und Pull Faktoren. Die Schweiz, welche für ihre Entwicklung während der damaligen<br />

wirtschaftlichen Hochkonjunktur dringend Arbeitskräfte benötigte, betrieb gezielt eine entsprechende<br />

Rekrutierungspolitik im von den Kriegsfolgen wirtschaftlich zerstörten Italien. Der erste<br />

Anwerbevertrag mit diesem Land datiert von 1948. Die einsetzende Arbeitsmigration war das<br />

Ergebnis der Schweizerischen Arbeitsmarktpolitik, welche sich am sogenannten Rotationsmodell<br />

orientierte. Arbeitskräfte wurden je nach Bedarfslage des Arbeitsmarktes ins Land geholt und wieder<br />

zurückgeschickt.<br />

Als Instrument dieser Politik wurde 1934 das sogenannte Saisonnierstatut geschaffen, um damit auf<br />

konjunkturelle Schwankungen und strukturelle Veränderungen des Arbeitsmarktes zu reagieren. Es<br />

ermöglichte, Menschen für eine maximal neunmonatige Saison gezielt für eine Arbeit einzustellen.<br />

Das Aufenthaltsrecht war unmittelbar an diese Arbeitserlaubnis geknüpft, ein Stellenwechsel war in<br />

der Regel nicht möglich, die ausländischen Arbeitnehmer waren vollumfänglich abhängig von ihren<br />

Arbeitgebern. Wenn sie sich gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen zu wehren wagten,<br />

23


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

gefährdeten sie zugleich ihre Aufenthaltserlaubnis und damit vielfach die ökonomische Existenz ihrer<br />

Familien im Herkunftsland. Das Saisonnierstatut verbot den Nachzug von Ehepartnern und Kindern,<br />

welche oft trotzdem heimlich in die Schweiz gebracht wurden und dort versteckt und ohne Möglichkeit<br />

auf Schulbesuch lebten. Die gesellschaftliche <strong>Integration</strong> dieser südeuropäischen Arbeitsmigranten<br />

war nicht vorgesehen und wurde daher seitens der Schweiz auch nicht gefördert. Es interessierte nur<br />

ihre Arbeitskraft. Das Sprichwort von Max Frisch (1965, S. 7), „Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es<br />

kamen Menschen“, beschreibt die damalige Situation treffend. Erst Mitte der sechziger Jahre sah sich<br />

die Schweiz gezwungen, erste Zugeständnisse für den Familiennachzug zu machen. Während der in<br />

den siebziger Jahren ausbrechenden Wirtschaftskrise und den damit einhergehenden<br />

Überfremdungsinitiativen wurden viele der damaligen ArbeitsmigrantInnen vorübergehend in ihre<br />

Heimat zurückgeschickt. Sie erhielten die Funktion eines Reservepotenzials für den schweizerischen<br />

Arbeitsmarkt 1 (vgl. Hungerbühler, 2010, S. 6-7).<br />

Das Push-Pull-Modell geht von einer „Einwegmigration“ aus, die in der Regel immer von Sende-<br />

Gegenden/-Regionen ausgeht, die gegenüber den Ziel-Orten bezüglich politischer Stabilität und<br />

ökonomischer sowie sozialer Sicherheit benachteiligt sind. Was hier nicht berücksichtigt wurde, ist die<br />

Tatsache, dass Migration heute vielfach ein zirkulärer Prozess ist, der auch Re-Migration umfasst.<br />

Gerade für die Arbeitsmigration der ItalienerInnen und später SpanierInnen in die Schweiz, die heute<br />

im Alter längst nicht alle hier bleiben, sondern auch wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren oder<br />

pendeln, trifft dies zu. Migration ist ein Akt der transnationalen Mobilität, der sowohl in den Herkunfts-<br />

als auch Zielländern/-regionen massgebliche Veränderungen bewirkt und diese miteinander vernetzt.<br />

Bereits 1962 postulierte Mayer die Untersuchung von Migration als einen ganzheitlichen Prozess, in<br />

dem Emigration, Immigration und Re-Migration nicht isolierte Aspekte, sondern untrennbare Teile<br />

eines übergeordneten sozialen Prozesses sind. Im Rahmen der modernen Mobilität beteiligen sich<br />

MigrantInnen alternierend an verschiedenen soziokulturellen Systemen. Migration ist somit ein<br />

Prozess, in dem Immigrations- und Emigrationsgesellschaften in einen einzigen Referenzrahmen<br />

eingebunden werden (Alund & Schierup, 1987). An diesem Forschungsansatz fällt erstens die<br />

dynamische Komponente im Verständnis von Kultur und Ethnizität als im Migrationskontext<br />

Transformationen bewirkende Prozesse auf und zweitens die aktive Rolle von MigrantInnen, die<br />

selber durch ihre Alltagspraxis sowohl an der soziokulturellen und ökonomischen Realität ihres<br />

Herkunfts- als auch des Immigrationslandes teilhaben und so gesellschaftlichen Wandel<br />

mitbestimmen. MigrantInnen werden in dieser Konzeption als innovativ handelnde und<br />

emanzipatorische Ziele verfolgende Subjekte wahrgenommen und beschrieben – ein Verständnis, das<br />

sich mit demjenigen der Autorinnen dieser Masterarbeit deckt.<br />

1 Zur Geschichte der schweizerischen Ausländer- bzw. Arbeitsmarktpolitik der Nachkriegsjahre<br />

besteht umfangreiche Fachliteratur. Hier sei exemplarisch nur auf folgende Quellen verwiesen:<br />

Mahnig & Piguet (2003); Stienen (2006); Soom & Truffer, 2000).<br />

24


2.5 <strong>Integration</strong> (H. Hungerbühler)<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Früheren Ausrichtungen der <strong>Integration</strong>sforschung gemeinsam ist meist die Perspektive der<br />

Aufnahmegesellschaft und deren Blick auf die Zugewanderten, die sich in ihr zu integrieren haben.<br />

Dass ‚<strong>Integration</strong>„ in der Regel aus einer Problem- bzw. Defizitperspektive sowie überwiegend<br />

einseitig aus Sicht der Aufnahmegesellschaften beforscht wurde/wird, kritisieren mehrere AutorInnen.<br />

Nach Stienen & Wolf (1991) beispielsweise lässt sich theoriengeschichtlich nachweisen, wie sich die<br />

Terminologie zwar etwas verändert habe, sich im Grundsatz jedoch die Konzeptionalisierung von<br />

<strong>Integration</strong> während Jahrzehnten gleich geblieben sei: „So richtet sich das Erkenntnisinteresse denn<br />

ohne Ausnahme darauf aus, die Fähigkeit zur Anpassung von Migranten auszuloten, um abschätzen<br />

zu können, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen ‚personal disorganization„,<br />

‚aggressivity„ oder ‚inadequate identification„ (Eisenstadt, 1954) zu erwarten sind: mit diesen<br />

Erkenntnissen sollen ‚disfunktionale Spannungen„ für das Aufnahmesystem verhindert oder<br />

abgeschwächt werden.“ (Stienen und Wolf, 1991, S. 193)<br />

In der vorliegenden Masterarbeit wird diese Kritik am einseitigen Blickwinkel auf die<br />

<strong>Integration</strong>sthematik geteilt. Es benötigt eine ergänzende Perspektive, die danach fragt, welche<br />

Ressourcen MigrantInnen aufgrund ihrer Migrationserfahrung entwickelt haben, und inwiefern diese<br />

innovatives Potenzial für die Aufnahmegesellschaft in sich bergen. Ein weiteres Erkenntnisinteresse<br />

liegt darin zu erfahren, inwiefern die Rahmenbedingungen der Aufnahmegesellschaft diese<br />

Ressourcen ungenutzt lassen oder aber zu fördern vermögen. Bei einem solchen Ansatz steht nicht<br />

die erfolgte oder nicht erfolgte Anpassungsleistung der MigrantInnen im Vordergrund, sondern die<br />

Frage, wie „das Zusammenspiel von Aufnahmegesellschaft und Erfahrungshintergrund der Migranten<br />

ein emanzipatives Handeln ermöglicht und fördert.“ (Stienen und Wolf, 1991, S. 193). Darunter<br />

verstehen die Autorinnen ein Handeln, das es Akteuren erlaubt, eine Identität als historische Subjekte<br />

zu erlangen, indem sie sich mit ihrem neuen Umgebungskontext aktiv sowie diesen verändernd<br />

auseinandersetzen.<br />

Dem <strong>Integration</strong>sbegriff immanent ist, dass er nicht frei von ideologischen Ansprüchen ist. Kriterien,<br />

mit denen <strong>Integration</strong> gemessen wird – so dies denn überhaupt möglich ist – sind nicht einfach<br />

vorgegeben, sondern werden immer wieder neu und abhängig vom jeweiligen gesellschaftspolitischen<br />

und wirtschaftlichen Interessenskontext definiert. So ist es wenig erstaunlich, dass je nach Perspektive<br />

<strong>Integration</strong> unterschiedlich bewertet und damit definiert wird. Bei Wicker (2003, S. 46) findet sich eine<br />

knappe Zusammenfassung möglicher Ansätze zum Verständnis von <strong>Integration</strong>:<br />

1. Gleichberechtigungsansatz: <strong>Integration</strong> bedeutet gleichberechtigte gesellschaftliche<br />

Partizipationschancen.<br />

2. Struktur-funktionalistischer Ansatz: MigrantInnen sind integriert, wenn ihre Verteilung<br />

innerhalb der Statushierarchie einer Gesellschaft mit derjenigen von Einheimischen<br />

korrespondiert.<br />

25


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

3. Holistischer Ansatz: <strong>Integration</strong> kommt der guten Beherrschung einer Landessprache der<br />

Aufnahmegesellschaft sowie der Internalisierung lokaler Werte und Normen gleich.<br />

4. Konflikttheoretischer Ansatz: <strong>Integration</strong> ist erreicht, wenn Konflikte bei der Konkurrenz um<br />

knappe Güter wie Arbeit, Wohnraum und staatliche Leistungen beigelegt sind.<br />

Die Autorinnen schliessen sich dem ersten Ansatz an. Im Folgenden wird die historische Entwicklung<br />

des <strong>Integration</strong>skonzepts von der sogenannten ‚Assimilation„, über den ‚Multikulturalismus bzw. das<br />

Recht auf kulturelle Differenz„ bis zu ‚<strong>Integration</strong> im Sinne gesellschaftlicher Teilhabe/Partizipation„ am<br />

Beispiel der Schweiz zusammengefasst (Wicker, 2003, S. 47 – 49; Wicker 2007, S. 49 - 66).<br />

In den sechziger und siebziger Jahren wurde in der Schweiz <strong>Integration</strong> als Assimilation an eine<br />

sogenannte schweizerische Eigenart verstanden. Damit war gewöhnlich die Anpassung der<br />

MigrantInnen an als schweizerisch geltende Normen und Werte gemeint und entsprechend die<br />

Distanzierung von ihrer bisherigen kulturellen Lebenspraxis. Assimilationsforderungen gehen von der<br />

Annahme aus, es existiere eine in sich geschlossene, homogene nationale Kultur. Mittlerweile hat sich<br />

weitgehend die Erkenntnis über den Mythos dieser Annahme durchgesetzt. <strong>Integration</strong> heisst nicht<br />

Identifikation mit nationalen Gütern eines Staatswesens und Anpassung an seine äusseren Symbole.<br />

Vielmehr macht der Grad der Partizipation an seinen gesellschaftlichen Institutionen und Bereichen<br />

wie Bildung, Arbeit, Gesundheit, Politik, etc. <strong>Integration</strong> aus.<br />

Als Verfechter dieses strukturorientierten Ansatzes beeinflusste der Soziologe Hoffmann-Nowotny mit<br />

seinem „Unterschichtungsmodell“ (1993) den Migrations- bzw. <strong>Integration</strong>sdiskurs im deutsch-<br />

sprachigen Raum. „Unterschichtung“ bedeutet der Prozess der Eingliederung von MigrantInnen in die<br />

untersten Positionen (berufliche Stellung, Einkommen und Wohnsituation umfassend) der Sozial-<br />

struktur der Aufnahmegesellschaft. Ursachen der Unterschichtung sieht Hoffmann-Nowotny einerseits<br />

in den Interessen des Einwanderungslandes, prestigearme Beschäftigungszweige im Niedriglohn-<br />

bereich mit unattraktiven Arbeitsbedingungen durch MigrantInnen abzudecken und anderseits im<br />

Entwicklungsgefälle (geringere Schulbildung, tiefere berufliche Qualifikation, mangelnde Sprach-<br />

kenntnisse, etc.) zwischen Ein- und Auswanderungsland. Die Schichtung der internationalen<br />

Gesellschaft reproduziere sich dabei im Einwanderungsland. Eine adäquate <strong>Integration</strong>spolitik habe<br />

demnach die strukturelle <strong>Integration</strong> von MigrantInnen zu fördern.<br />

Am strukturalistischen Ansatz Hoffmann-Nowotnys lässt sich kritisieren, dass MigrantInnen zu<br />

einseitig als strukturbedingter „Spielball gesellschaftlicher Verhältnisse“ wahrgenommen werden.<br />

Unseres Erachtens macht es Sinn, seine Perspektive mit einem Forschungsinteresse zu verknüpfen,<br />

das MigrantInnen als soziale AkteurInnen mit ihren eigenen Formen kultureller Lebenspraktiken -<br />

mitberücksichtigt.<br />

Die sogenannten Gastarbeiter oder Saisonniers aus Italien und später Spanien, die nur über eine<br />

temporäre und an ihre Arbeitsbewilligung gekoppelte Aufenthaltserlaubnis verfügten, galten nicht als<br />

zu Integrierende. Oder anders formuliert: „Als Verkäufer ihrer Arbeitskraft wurden sie zwar<br />

eingeschlossen, aber als Menschen mit eigenen Ansichten, Lebensformen und kulturellen Werten<br />

26


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

ausgeschlossen.“ (Maiolino, 2010, S. 184) Daher wurde die zwischen ihnen und den Einheimischen<br />

bestehende materielle und ideelle Distanz betont. Maiolino (2010, S. 180) spricht in diesem Zusam-<br />

menhang von einem „kulturprotektionistischen Setting, in welchem das Konstrukt der nationalen<br />

Eigenart wegweisend“ gewesen sei. Als sich dann zeigte, dass ArbeitsmigrantInnen der ersten<br />

Einwanderungsgeneration aufgrund des ab Mitte sechziger Jahre möglichen Familiennachzugs<br />

zunehmend in der Schweiz blieben, stellte sich die <strong>Integration</strong>sfrage doch noch. Basierend auf einem<br />

Defizit-Paradigma wurde versucht, all diejenigen Probleme von MigrantInnen zu lösen, die ihrer<br />

<strong>Integration</strong> hinderlich waren. Damit wurden jedoch nicht die Regelinstitutionen beauftragt. Vielmehr<br />

schuf man zahlreiche Sonderdienste, im Sozialbereich etwa Beratungsstellen für AusländerInnen, in<br />

den Schulen Stützunterricht und <strong>Integration</strong>sklassen für Fremdsprachige, etc.<br />

Die zweite Etappe in der Entwicklung des <strong>Integration</strong>skonzepts fiel in der Schweiz in die achtziger und<br />

frühen neunziger Jahre und war gekennzeichnet durch neue, nach nationaler Herkunft immer hete-<br />

rogenere Einwanderungsgruppen (aus Portugal, Südostasien, dem früheren Jugoslawien, der Türkei,<br />

Sri Lanka, etc.), die sich zunehmend nicht mehr nur aus ArbeitsmigrantInnen, sondern auch aus<br />

Flüchtlingen aus aussereuropäischen Herkunftsgesellschaften zusammensetzten. Dadurch erfuhr die<br />

Schweiz einen Prozess zunehmender kultureller und religiöser Pluralisierung und konnte sich einer<br />

Identität als Einwanderungsland nicht mehr länger verschliessen. Damit einhergehend wechselte auch<br />

das Paradigma im <strong>Integration</strong>sdiskurs. Was im angelsächsischen Raum bereits seit Jahren Standard<br />

war, hielt nun auch in der Schweiz Einzug: die Multikulturalismusdebatte, die das Recht auf kulturelle<br />

Differenz bzw. Toleranz gegenüber kultureller Vielfalt postulierte und für eine friedliche Koexistenz<br />

verschiedener kultureller Lebenspraktiken eintrat (Räthzel, 1992). In dieser Phase wurde somit ein<br />

<strong>Integration</strong>sbegriff geschaffen, der davon ausging, dass es zunächst die Festigung der Identität in der<br />

eigenen Migrationsgruppe benötige, damit sich Migrantinnen und Migranten – in ihren eigenen<br />

Ressourcen gestärkt – erfolgreich auf den sie umgebenden Kontext der Aufnahmegesellschaft<br />

einlassen können. Elwert zeigte bereits 1982 mit seinem Konzept der ‚Binnenintegration„ auf, wie<br />

unter gewissen Bedingungen ethnische Vergemeinschaftungsprozesse von MigrantInnen zu einem<br />

wichtigen Faktor für ihre gesellschaftliche <strong>Integration</strong> werden. Elwert interessierten die Bedingungen,<br />

unter welchen Binnenintegration einen Beitrag zur gesellschaftlichen <strong>Integration</strong> im Sinne einer<br />

emanzipatorischen Ermächtigung leiste. Dafür erachtete er folgende Faktoren als ausschlaggebend:<br />

Die Gewissheit, „zu einer bestimmten Gruppe zu gehören“ stärke das „Selbstbewusstsein“, das<br />

Voraussetzung für die Auseinandersetzung mit einer „fremden sozialen Umgebung“ sei (S. 721). Im<br />

Weiteren sei die Weitergabe „von Alltagswissen durch binnenintegrierte Strukturen ein Element von<br />

Selbsthilfe“ (ebenda, S. 722), und letztlich könne die ethnische Vergemeinschaftung zur Formierung<br />

so genannter „pressure-groups“ mit „politischer Wirksamkeit“ führen (Sancar, 1993).<br />

Auch im schweizerischen <strong>Integration</strong>sdiskurs wurde die „fremde Kultur“ nun zunehmend vom Defizit<br />

zur Ressource erhoben. Doch auch dieser Ansatz wurde nicht mittels der <strong>Integration</strong> in gesell-<br />

schaftliche Regelstrukturen umgesetzt. Vielmehr entstanden wiederum neue Parallelinstitutionen,<br />

sogenannte ethnozentrierte Dienstleistungsangebote, welche die gemeinsame Herkunft und Sprache<br />

27


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

ihrer NutzerInnen ins Zentrum stellten und deren ethnospezifischen Bedürfnissen gerecht werden<br />

sollten.<br />

Dieses <strong>Integration</strong>skonzept erwies sich in seiner Umsetzung zwar als eine Unterstützungsmöglichkeit<br />

für MigrantInnen, verhalf ihnen aber ebenfalls nicht zur <strong>Integration</strong> im Sinne einer chancengleichen<br />

gesellschaftlichen Teilhabe auf struktureller Ebene.<br />

In der dritten Etappe, seit den neunziger Jahren, begann sich weitgehend die Überzeugung<br />

durchzusetzen, dass in einer zunehmend globalisierten Welt transnationale Mobilität wirtschaftlich<br />

notwendig und staatspolitisch vermehrt als Chance und nicht nur als Risiko zu begreifen sei. Auch in<br />

der Schweiz etablierte sich nach der Jahrzehnte dauernden Phase einer fehlenden staatlichen<br />

<strong>Integration</strong>spolitik die Erkenntnis, dass die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage zur<br />

<strong>Integration</strong>sförderung der Migrationsbevölkerung sowie die Investition entsprechender Mittel für die<br />

Umsetzung von <strong>Integration</strong> als gesellschaftspolitischer Auftrag unabdingbar werden. <strong>Integration</strong> ist<br />

nun als gesellschaftliche Querschnittaufgabe definiert mit dem Ziel, die chancengleiche Teilhabe der<br />

schweizerischen Migrationsbevölkerung an den gesellschaftlichen Regelstrukturen und Teilbereichen<br />

wie Bildung, Arbeit, Wohnen, Gesundheit, etc. zu fördern (AuG, 2008 und BfM, 2008). Nicht mehr<br />

länger der Fokus auf die „kulturelle Andersartigkeit“ soll nun die Diskussion um <strong>Integration</strong> bestimmen,<br />

sondern die materiellen und immateriellen Ressourcen, über welche MigrantInnen verfügen.<br />

Die verschiedenen <strong>Integration</strong>skonzepte spiegeln immer den jeweiligen Entwicklungsstand des<br />

zeitgenössischen Gesellschaftsdiskurses über <strong>Integration</strong> wider. Seit einigen Jahren ist nun im<br />

<strong>Integration</strong>sdiskurs zumindest teilweise ein Perspektivenwechsel erkennbar. MigrantInnen werden<br />

weniger nur als defizitäre DienstleistungsempfängerInnen (KlientInnen) oder als Forschungsobjekte<br />

wahrgenommen. Vielmehr beginnen zunehmend auch ihre Ressourcen und Potenziale zu<br />

interessieren. Es wurde erkannt, dass sie als transnationale AkteurInnen an der Veränderung und<br />

Entwicklung der Aufnahmegesellschaften teilhaben und dass es ihres Mitwirkens bei der Definition<br />

und Umsetzung von <strong>Integration</strong> im Sinne gesellschaftlicher Partizipation bedarf.<br />

Unser <strong>Integration</strong>sverständnis deckt sich mit dem von Wicker (2007, S. 65) postulierten:<br />

Ein für moderne Gesellschaften gültiger <strong>Integration</strong>sbegriff orientiert sich nicht an kollektiven<br />

Identitäten oder so genannten ethnischen/kulturellen Differenzen. Moderne Gesellschaften sind<br />

pluralistisch. Eine gemeinsame (nationale) Identität existiert somit nur als Konstruktion. Im Zentrum<br />

des <strong>Integration</strong>sbegriffs stehen vielmehr der Zugang von Migrantinnen und Migranten zu<br />

gesellschaftlichen Regelinstitutionen, ihre Partizipation und Chancengleichheit. <strong>Integration</strong>sprozesse<br />

sind dann erfolgreich, wenn die Partizipation der Migrationsbevölkerung auf ökonomischer, sozialer<br />

und politischer Ebene stetig zunimmt und sich ihre Chancen denjenigen der schweizerischen<br />

Bevölkerung angleichen. Einschränkung von Partizipation und Diskriminierung verhindern hingegen<br />

<strong>Integration</strong>.<br />

28


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

2.6 Partizipation und Aktive Bürgerschaft (H. Hungerbühler und V. Abati)<br />

Zu Partizipation und aktiver Bürgerschaft gibt es zahlreiche, jedoch sehr unterschiedliche Literatur. Es<br />

scheint ein sehr komplexes, aber auch ein widersprüchliches Feld zu sein, in welchem keine<br />

eindeutigen Definitionen der Begrifflichkeiten auszumachen sind. Gerade bei Partizipation handelt es<br />

sich wohl um eine Konstruktion. Die fehlende Einheitlichkeit des Begriffes mag daran liegen, dass im<br />

Kontext der Partizipation von MigrantInnen ohne politische Rechte in der Forschung bisher kein<br />

Klärungsbedarf bestand. Im Folgenden werden kurz einige Konzepte erwähnt, die die Vielfalt der<br />

Beschreibung und des Verständnisses aufzeigen.<br />

Bei Naegele (2008) heisst es beispielsweise, dass Partizipation ein Engagement des einzelnen<br />

zivilgesellschaftlichen Bürgers ist. Kolland (2006) unterscheidet bspw. verschiedene Formen der<br />

Partizipation: kollektive soziale, produktive soziale und politische Partizipation, ohne dabei jedoch die<br />

Bevölkerungsgruppe der MigrantInnen einzubeziehen, zumindest nicht explizit. Das unter dem Begriff<br />

‚Aktives Altern‟ oder des ‚Active Ageing‟ bekannte Konzept der WHO (2002) gilt als das zur Zeit<br />

wichtigste zu sozialer und politischer Partizipation, das auf die Potenzialnutzung älterer Menschen<br />

zielt. Ein weiteres Konzept ist dasjenige von Amartya Sen (1993), welcher mehrere<br />

Schlüsseldimensionen sozialer Wohlfahrt definiert hat: Ressourcen, Funktion, Capability. Damit<br />

Verwirklichungschancen in der Gesellschaft festgelegt werden können, bedarf es partizipativer<br />

sozialer Entscheidungen. Nach Sen (ebenda) fordert reale Freiheit aktive BürgerInnen, die ihre<br />

Chancen durch Teilnahme wahrnehmen. Ausserdem weist er darauf hin, dass es ein Recht<br />

(Eigenverantwortung) und eine Pflicht (Mitverantwortung) zur Partizipation gibt. Auch Kolland (2006)<br />

spricht von der Pflicht älterer Menschen zur politischen und sozialen Teilhabe aufgrund ihrer<br />

Verantwortung in einer insgesamt alternden Gesellschaft.<br />

Weitere Begriffe, die in ähnlicher Weise oder zum Teil sogar synonym verwendet werden, sind die<br />

Engagementförderung, Freiwilligenarbeit oder bürgerschaftliches Engagement. Interessant ist hier der<br />

von Klie und Ross (2000) genannte vierte Megatrend, den sie als Versuch beschreiben, freiwilliges<br />

bürgerschaftliches Engagement strategisch und operativ als festen Bestandteil des Wohlfahrtsplura-<br />

lismus zu konzeptionieren. Eingebettet also in das Konzept des sogenannten Welfare Mixes (Klie<br />

2007).<br />

Dem Begriff Bürgerschaft, stehen zwei weitere Konstrukte nahe: das Konzept der Citoyennneté‟ sowie<br />

dasjenige des ‚Citizenship‟. Keller (2010) beschreibt die Citoyenneté als etwas, das mehr als nur den<br />

Status als StaatsbürgerIn meint. Es gehe insbesondere um eine aufmerksame, partizipative, aktive<br />

Teilhabe an den öffentlichen Angelegenheiten, die sich von der Meinungsfreiheit, der<br />

Versammlungsfreiheit und der persönlichen Freiheit ableite. Damit sei sie eine Haltung, eine Form der<br />

Partizipation, die nicht an einen besonderen legalen Status gebunden sein müsse. Damit gehe das<br />

Konzept der Citoyenneté weiter als der Begriff der Bürgerschaft. Die ‚aktive Bürgerschaft‟ wiederum<br />

habe sich in letzter Zeit als neuer Ansatz herausgebildet, der mit der Citoyenneté vergleichbar sei und<br />

als aktivierende Rolle von Bürgerschaft zu sehen sei. Diese beiden zuletzt genannten Begriffe<br />

wiederum, seien stark vom Begriff der ‚Cititzenship‟ beeinflusst, der im angelsächsischen Raum schon<br />

29


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

länger über den legalen Status hinaus auch auf die Partizipation in öffentlichen Angelegenheiten<br />

verweist. Abschliessend stellt Keller (ebenda) fest, dass sich die Schweizer Migrationspolitik nur in<br />

geringem Mass mit der politischen Partizipation ausserhalb des legalen Bürgerstatus beschäftige (vgl.<br />

Kapitel 2.6.2). Die Autorinnen sehen sich am besten repräsentiert durch die Beschreibung von Steiner<br />

(2010), die schreibt, dass der Citoyen den Bürger bezeichnet, der in der Tradition und im Geist der<br />

Aufklärung eigenverantwortlich am Gemeinwesen teilnimmt und dieses mitgestaltet. Weiter führt er<br />

aus, dass die Diskussion über Partizipation jedoch nicht auf die politischen Rechte reduziert werden<br />

dürften. Eine Vielzahl anderer Möglichkeiten erlaube es der gesamten Bevölkerung, auf öffentliche<br />

Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse einzuwirken.<br />

Dieser Begriffsvielfalt scheint zumindest eines gemeinsam zu sein: Ältere MigrantInnen als Teil der<br />

Bevölkerung werden von keinem der genannten AutorInnen explizit integriert oder auch nur genannt.<br />

Die Autorinnen der vorliegenden Forschungsarbeit haben deshalb beschlossen, als Grundlage dieser<br />

Analyse jene Begriffe genauer zu diskutieren, die aus ihrer Sicht für die Fragestellung in Zusammen-<br />

hang mit älteren MigrantInnen und für das Konzept des Modells <strong>MIGRALTO</strong> Voraussetzung sind.<br />

2.6.1 Partizipation (H. Hungerbühler)<br />

In diesem Kapitel sollen aus der vielfältigen Literatur zu Partizipation älterer Menschen nur wenige<br />

allgemeine, dafür unseres Erachtens grundlegende Gedanken ausgewählt werden, um dann in einem<br />

zweiten Schritt (Kapitel 2.6.2) auf die für unsere Masterarbeit relevante Eingrenzung auf die<br />

„Partizipation älterer Menschen im Migrationskontext“ zu fokussieren.<br />

Unter gesellschaftlicher Partizipation wird generell die Teilhabe oder -nahme am ökonomischen,<br />

politischen, sozialen und kulturellen Leben verstanden.<br />

Nach Eifert (2008, S. 13ff) erfordert Partizipation im gesellschaftlichen Rahmen „grundsätzlich zwei<br />

sich bedingende Teile: teilhabebereite BürgerInnen einerseits und teilhabeermöglichende<br />

Kommunen, Unternehmen, Organisationen, etc. anderseits.“ Aufgabe der Systeme – wie<br />

beispielsweise der Kommunen bzw. Gemeinden – sei es somit, Partizipation ermöglichende<br />

Rahmenbedingungen zu schaffen. Dazu gehöre auch, dass diese in ihrer Politik und Verwaltung<br />

„Partizipation als eine Haltung“ kommunizieren und kultivieren.<br />

Sie zeigt weiter auf, dass Partizipation zwar erwünscht sei, in der Praxis dann aber selten stattfinde.<br />

Damit weist sie auf eine häufig anzutreffende Diskrepanz zwischen politischer und strategischer<br />

Absichtserklärung (beispielsweise von Gemeinden in ihren Leitbildern festgehalten) einerseits und der<br />

inkonsequenten, mangelhaften oder gar fehlenden Umsetzung von Partizipation anderseits hin. Die<br />

Förderung der Partizipationsbereitschaft von SeniorInnen treffe häufig auf Umsetzungsprobleme. Im<br />

Speziellen sei hier das Problem der Machtasymmetrie zwischen OrganisatorInnen von Partizipation<br />

zum einen und Teilhabenden/-nehmenden zum andern erwähnt – ein Befund, der auch in den<br />

Datenerhebungen der vorliegenden Arbeit angetroffen wurde (z.B. das Machtgefälle zwischen<br />

30


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Institutionen und Organisationen der schweizerischen Altersarbeit und den Migrationsorganisationen<br />

bzw. den älteren MigrantInnen: vgl. Kapitel 5).<br />

Blaumeister und Wappelshammer (2004, S. 438) untersuchten das Thema Partizipation und<br />

Vertretung von SeniorInnen im Zusammenhang mit gesellschaftlicher Modernisierung. Dabei setzen<br />

sie in Anlehnung an Naegele & Tews (1993) auf einen Ansatz der Partizipation „von unten“, der von<br />

den „Lebenslagen älterer Menschen“ und somit von ihren „unmittelbaren Lebenswelten“ ausgeht. Es<br />

handelt sich dabei sozialräumlich gesehen für ältere Menschen in erster Linie um ihr Wohnumfeld, um<br />

das sich ihre weiteren Kontaktnetze gruppieren. Ein solches Verständnis deckt sich auch mit dem in<br />

dieser Arbeit verwendeten Begriff der aktiven Bürgerschaft bzw. Citoyenneté.<br />

Die Frage der Partizipation stellt sich bei älteren Menschen, die mit der Pensionierung zunehmend<br />

aus wichtigen Bereichen der Gesellschaft, wie beispielsweise aus dem Arbeitsmarkt bzw. dem<br />

Berufsleben ausscheiden, neu. Was heisst für sie Partizipation, wo wollen und können sie<br />

partizipieren und wo wünscht oder rechnet die Gesellschaft sogar weiterhin mit ihrer Partizipation bzw.<br />

ermöglicht sie ihnen überhaupt?<br />

Mit dem Konzept des „active ageing“ (WHO, 2002), das insbesondere auf Ebene der Europäischen<br />

Union, die das Jahr 2012 zum Jahr des „Aktiven Alterns und der intergenerationellen Solidarität“<br />

erklärt hat, stark verbreitet ist, wird älteren Menschen seit bald zehn Jahren weiterhin eine<br />

gesellschaftlich aktive Funktion zugewiesen, vorwiegend im Ehrenamt oder im bürgerschaftlichen<br />

Engagement. Positiv an dieser Entwicklung ist, dass ältere Menschen nicht länger in ein ihnen<br />

zugedachtes „Altersreservat“ verwiesen bzw. ausgegrenzt werden. Sie sollen künftig nicht nur in<br />

sogenannten „Altersbereichen“ eine Rolle spielen oder sich beispielsweise nur für „Alterspolitik“<br />

interessieren und engagieren. Vielmehr gelte es neu, Partizipation zu einem altersübergreifenden<br />

Lebensthema zu machen, das aber die Besonderheiten älterer Menschen - ihre altersspezifischen<br />

Ressourcen und Bedürfnisse - berücksichtigt. Mit diesem neuen Verständnis von älteren Menschen<br />

als wichtige gesellschaftliche Akteure eng verbunden sind auch die von Kruse (2010) sowie weiteren<br />

AlternsforscherInnen vertretenen Postulate der „Eigenverantwortung“ sowie vor allem der<br />

„Mitverantwortung“. Während sich die Eigenverantwortung auf die von älteren Menschen selber<br />

wahrzunehmende und aktiv auszuübende Verantwortung für das eigene Leben bezieht, zielt die<br />

Mitverantwortung auf eine Verantwortung der Gesellschaft sowie den nachfolgenden Generationen<br />

gegenüber ab. Gemäss VertreterInnen dieses Ansatzes haben ältere Menschen nicht nur das Recht,<br />

sondern geradezu die Pflicht zur Partizipation im Sinne der Übernahme von Aufgaben für das<br />

Gemeinwohl. Bei Walker (2006) findet sich eine nützliche Zusammenstellung der verschiedenen<br />

Dimensionen des „Active Ageing“-Konzepts. Dazu gehört unter anderem der Einbezug aller Gruppen<br />

älterer Menschen, auch der sozial Schwächeren oder von Menschen mit Migrationshintergrund, wie<br />

sie für die vorliegende Arbeit relevant sind. Nebst der intergenerationellen Solidarität beinhaltet das<br />

Konzept auch die Beachtung nationaler und kultureller Differenzen sowie die gleichberechtigte<br />

Betonung von Rechten und Pflichten. „Active Ageing“ zielt eher auf eine stärkere soziale Partizipation<br />

im Gemeinwesen, auf die Förderung von Solidarität zwischen allen Beteiligten und weniger auf die<br />

enge politische Mitwirkung, etwa in Parteien oder Gremien. In Anlehnung an das von Walker skizzierte<br />

31


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Konzept des „Aktiven Alterns“ versteht Naegele (2008) unter sozialer und politischer Partizipation im<br />

Alter in erster Linie das aktive zivilgesellschaftliche oder zivilbürgerschaftliche Engagement mit dem<br />

Ziel der Einflussnahme älterer Menschen auf den öffentlichen Raum und dessen Mitgestaltung, und<br />

zwar im Sinne von Mitwirkung bei der Lösung von lebensweltlichen Problemen und Anliegen aller<br />

Altersgruppen (inklusive derjenigen der älteren Menschen selbst).<br />

2.6.2 Partizipation älterer MigrantInnen (H. Hungerbühler)<br />

Während die Gerontologie sich also für dieses neue Alternsbild und für die Partizipation älterer<br />

Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen stark macht (Kruse, u.a., 2010; 2005), ist dieser<br />

Diskurs bisher mehrheitlich ohne Blick auf die alternde Migrationsbevölkerung geführt worden. Auf<br />

diese soll jedoch im Folgenden der Fokus gerichtet werden.<br />

Bachl (2004, S. 15) vertritt die Ansicht: „Würde man ältere Migranten in die Alterspolitik und<br />

Zukunftsgestaltung einbeziehen, würden sie vom „Problem“ und von einer „Belastung“ zu<br />

Mitwirkenden, die Lösungen finden und selbst realisieren.“ Diese Annahme unterstützen die<br />

Autorinnen und verstehen unter Partizipation die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen<br />

Leben und seiner Entwicklung in all seinen Phasen, so auch im Alter. Gamboa (2009, S. 176) kritisiert<br />

am aktuellen <strong>Integration</strong>sdiskurs in der Schweiz unter seinem neuen Paradigma des „Förderns und<br />

Forderns“, dass in Partizipationsprozessen zwischen schweizerischen Institutionen und Fachpersonen<br />

einerseits und MigrantInnen anderseits eine hierarchische „Arbeitsteilung“ zu beobachten sei:<br />

„Konzeptarbeit und Entscheidungen fallen in den Aufgabenbereich der von den Institutionen<br />

ernannten <strong>Integration</strong>sexpertinnen und -experten, deren Arbeit dementsprechend entlöhnt und<br />

anerkannt wird. Die konkrete Arbeit an der Basis wird meist den Migrantinnen und Migranten<br />

überlassen, denen in dieser Form von <strong>Integration</strong>sprogrammen und –projekten hauptsächlich Rollen<br />

als Schlüsselpersonen für ihre Communities bzw. als so genannte Kulturvermittlerinnen und -vermittler<br />

zugewiesen werden.“ In den Aufgabenbereich der Letzteren gehören dann in der Regel Arbeiten wie<br />

Übersetzen oder andere eher ausführende Tätigkeiten, die gekennzeichnet seien durch weitgehend<br />

fehlende oder nur wenig Entscheidbefugnis, keinen oder nur tiefen Lohn sowie ein geringeres<br />

Prestige. In Bezug auf die Zielgruppen von <strong>Integration</strong>smassnahmen lasse sich Ähnliches feststellen.<br />

So seien diese meist einseitig an die Adresse der Zugewanderten gerichtet. Im Diskurs, der den<br />

aktuellen Ansatz des „Förderns und Forderns“ begleitet, wie er sich nun immer mehr auch in<br />

kantonalen Gesetzgebungen niederschlägt, würde die Analyse struktureller <strong>Integration</strong>shindernisse<br />

und Diskriminierungsmechanismen ausgelassen. Dadurch werden für den Erfolg oder Misserfolg von<br />

<strong>Integration</strong> einseitig die Migrantinnen verantwortlich gemacht, welche somit einer defizitorientierten<br />

Wahrnehmung seitens der Gesellschaft ausgesetzt sind.<br />

Prodolliet (2009, S. 59) führt diese Kritik mit ihrer Forderung, dass Zielgruppen der <strong>Integration</strong>spolitik<br />

eigentlich neu zu denken seien, konsequent weiter. Sie vertritt die Ansicht, eine <strong>Integration</strong>spolitik, die<br />

– wie neu im Ausländergesetz AuG (2008) verankert – zum Ziel habe, „das friedliche Zusammenleben<br />

aller auf der Grundlage der Werte der Bundesverfassung und der gegenseitigen Achtung und<br />

Toleranz“ zu fördern, nicht einseitig nur auf eine Bevölkerungsgruppe auszurichten sei. Vielmehr<br />

32


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

sollten mit diesen Zielen alle Bevölkerungsteile in die Pflicht genommen werden. In diesem Sinne<br />

seien nicht nur MigrantInnen, sondern ebenso PolitikerInnen, Verantwortliche staatlicher und nicht-<br />

staatlicher Institutionen und Organisationen sowie generell SchweizerInnen anzusprechen. Eine<br />

erfolgreiche <strong>Integration</strong>skultur habe günstige Rahmenbedingungen zu schaffen, damit alle Gruppen<br />

echte Perspektiven für ihr gesellschaftliches Zusammenleben erhielten.<br />

Auch eine von der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen EKM in Auftrag gegebene<br />

Studie (Matthey und Steiner, 2009, S. 15) kommt zum Schluss, dass Position, Image und Mittel<br />

zwischen staatlichen <strong>Integration</strong>sstellen und Migrantenvereinen ungleich verteilt seien: „Obwohl sich<br />

die Vereinsmitglieder (gemeint sind Mitglieder von Migrantenvereinen: Anmerkung der Autorinnen)<br />

über die wachsende Vielfalt der Beziehungen zwischen staatlichen Institutionen und den Vereinen<br />

freuen – die Migrantinnen werden so in der öffentlichen Szene immer sichtbar – erheben sich auch<br />

Stimmen gegen die Art und Weise, wie diese Beziehungen gestaltet sind. Einige Migrantinnen und<br />

Migranten, die das partizipative Ideal in Frage stellen, bemängeln die ungleiche Verteilung der<br />

finanziellen und poltischen Ressourcen zwischen Staat und Vereinen.“<br />

Insbesondere ältere MigrantInnen, die seit Jahrzehnten aktiv sind, kritisieren, dass sie zu wenig<br />

Unterstützung erfahren in ihren eigenen Aktivitäten. Die „<strong>Integration</strong>sbotschaft“ der Behörden kommt<br />

bei ihnen teilweise widersprüchlich an. Einerseits werden sie von der Politik zur <strong>Integration</strong><br />

verpflichtet, anderseits werden ihre Projekte von den Behörden nicht unterstützt und für ihre<br />

Dienstleistungen als freiwillige SozialarbeiterInnen, soziokulturelle AnimatorInnen oder Informations-<br />

vermittlerInnen erhalten sie keine Gegenleistung. Im Weiteren werden Verantwortliche von<br />

Migrantenvereinen oder so genannte Schlüsselpersonen seitens schweizerischer Institutionen oder<br />

Politik vermehrt um Rat angegangen – in Sinne von Partizipation als Grundsatz der neuen<br />

<strong>Integration</strong>sgesetze – doch mangelt es auf der anderen Seite bei ihrem Einbezug in Entscheid-<br />

prozesse und in der Umsetzung von Projekten.<br />

In unserer Masterarbeit verstehen wir daher <strong>Integration</strong> im Sinne gesellschaftlicher Partizipation als<br />

einen Zweiwegprozess mit gegenseitiger Wechselwirkung und wählen daher auch ein methodisches<br />

Vorgehen (vgl. Kapitel 4), das diesem Konzept Rechnung trägt, indem wir beide Akteure, d.h. sowohl<br />

den Staat (vertreten durch Stadt und Kanton Bern und deren Altersbehörden, das schweizweite<br />

Netzwerk der Altersbeauftragten der Gemeinden sowie die kommunalen und kantonalen<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten und Fachstellen für <strong>Integration</strong>sfragen), als auch die ältere Migrations-<br />

bevölkerung (vertreten durch italienische Migrantenorganisationen sowie eine Stichprobe von<br />

Einzelpersonen aus diesem Bevölkerungssegment in der Stadt Bern) zu ihrem Bedarf befragen.<br />

Zudem versuchen wir, theoretische Erklärungsmodelle aus der Sozialgerontologie mit solchen aus der<br />

Migrations- und <strong>Integration</strong>sforschung zu verknüpfen. Die Literaturrecherche zeigt, dass sich einige<br />

Parallelen finden lassen. So kann sowohl in der sozialgerontologischen Forschung als auch in der<br />

Migrations- und <strong>Integration</strong>sforschung eine Entwicklung von defizit- zu ressourcenorientierten<br />

Theorien verfolgt werden. Entsprechend fand auch in der praktischen Alters- oder <strong>Integration</strong>sarbeit<br />

mit älteren Menschen und mit MigrantInnen ein Perspektivenwechsel statt. Nicht mehr länger die<br />

33


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Defizite der Zielgruppen, sondern vielmehr ihre Ressourcen und die Stärkungsmöglichkeiten ihres<br />

Handlungspotenzials standen fortan im Fokus des Interessens.<br />

Eine weitere Parallele besteht darin, dass die Themen ‚Alter„ und ‚Migration„ in ihrer Verknüpfung, der<br />

unser Forschungsinteresse gilt, weder in der Migrations- / <strong>Integration</strong>sforschung noch in der<br />

Sozialgerontologie ein etablierter Untersuchungsgegenstand sind. Vielmehr fristet das Thema<br />

‚Migration„ in der Sozialgerontologie und das Thema ‚Alter„ in der Migrations- und<br />

<strong>Integration</strong>sforschung ein stiefmütterliches Dasein. Das Konzept von Alter als Lebensgestaltung<br />

(Kalbermatten 1998), das ‚Alter„ nicht als einen letzten Lebensabschnitt definiert, der keine<br />

Entwicklungsmöglichkeiten mehr bietet, sondern vielmehr von Leben als einem Kontinuumsmodell<br />

ausgeht, das lebenslange Entwicklung (Erikson, 1966) bedeutet, lässt sich auch auf Migration<br />

übertragen. So teilen wir die These von Dietzel-Papakyriakou (1990), dass im Alter immer mehr ein<br />

Rückzug in die eigene ethnische Gruppe geschehe und im interethnischen Kontakt mit der<br />

Mehrheitsgesellschaft keine grossen Entwicklungschancen mehr liegen würden, nur bedingt. Vielmehr<br />

gehen wir davon aus, dass Migration auch eine Ressource für die Lebensgestaltung im Alter ist und<br />

das Alter von MigrantInnen nicht nur vergangenheitsbezogene, sondern in Interaktion mit der<br />

gesellschaftlichen Umgebung auch zukunftsweisende Perspektiven beinhaltet. Wichtig scheint uns im<br />

Weiteren zu überprüfen, ob die Annahme der doppelten Diskriminierung von ethnischen Minderheiten<br />

und Migrationspopulationen im Alter – einerseits aufgrund der Herkunft und anderseits aufgrund der<br />

materiell häufig kritischen Lage – auch für die Schweiz zutrifft. So vertrat u.a. Moore (1971), dass alte<br />

Menschen „zusätzlich zum Altersstigma auch noch Opfer von ethnischen Vorurteilen“ würden. Aber<br />

auch der sechste Berliner Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland<br />

(2010, S. 94ff) weist darauf hin, dass Alters- und Alternsprobleme von Menschen mit Migrationshinter-<br />

grund ethnogerontologisch häufig mit der „Double-Jeopardy-These“ gefasst werden. Diese besagt,<br />

dass diese Bevölkerungsgruppe von einem doppelten Gefährdungs- oder einem kumulativen<br />

Diskriminierungsrisiko betroffen sei: einerseits von einer ethnisch bedingten und anderseits von einer<br />

altersbezogenen gesellschaftlichen Ausgrenzung (vgl. auch Dowd & Bengtson, 1978).<br />

Solche Benachteiligungen können sich zu einer drei- oder vierfachen ausdehnen, wenn<br />

Altersunterschiede zwischen Männern und Frauen sowie die jeweiligen Schichtzugehörigkeiten<br />

mitgedacht werden. Somit könne geradezu von einem „grey triangle of structural ageism“ gesprochen<br />

werden. Am meisten benachteiligt in unserer Gesellschaft seien demnach Frauen mit nichtwestlichen<br />

Migrationshintergründen, die aus unteren sozialen Schichten stammen. Aber gerade für diese Gruppe<br />

würden die Orientierung an einem ethnischen Selbstverständnis sowie insbesondere religiöse<br />

Einstellungen und Organisationen einen wichtigen Halt und Schutz im Alter bieten. Die Ethno-<br />

Gerontologie versteht Ethnizität und Religiosität als Ressourcen, auf die gerade im Alter<br />

zurückgegriffen wird (vgl. Kondratowitz, 1999). Das Interesse an herkunftsbezogenen Erinnerungen<br />

nimmt zu, ebenso an der eigenen kulturellen und religiösen Identität, die allerdings nicht statisch ist,<br />

sondern immer wieder in Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Umgebungseinflüssen<br />

gedeutet und neu konstruiert wird. Ethnizität, Religiosität und soziokulturelle Herkunftsbezüge<br />

gewinnen somit im Alter zunehmend an Bedeutung. Sie seien aber niemals als gegebene oder gar<br />

34


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

statische Zustimmungen zu interpretieren. Es handle sich vielmehr um ständige Prozesse der<br />

Akzentuierung bestimmter Aspekte, um Neudefinitionen und Aushandlungen von alledem, was für die<br />

eigene Identität im Alter als nützlich und sinnstiftend erlebt wird. Ältere MigrantInnen konstruieren also<br />

ihr Altersselbstbild einerseits als Orientierung an Altersbildern ihres Herkunftslandes, in dem sie<br />

sozialisiert wurden, anderseits in Auseinandersetzung mit ihrem Lebensalltag und ihren Erfahrungen<br />

im Migrationsland. Die Vielfalt von Altersbildern, wie sie sich im globalen Ländervergleich zeigt, hat<br />

sich in der globalisierten Welt längst zu einer transkulturellen Vielfalt innerhalb jeder Gesellschaft<br />

entwickelt. Gemäss Kondratowitz (2007, in Kruse, u.a., 2010, S. 94) kann „vom Altersbild einer<br />

Gesellschaft deshalb auch aus einer Binnenperspektive nur mehr im sozusagen postmodernen Plural<br />

kultureller, lebensweltlicher, gruppenspezifischer Variabilität und Diversität gesprochen werden, (…).“<br />

Wenn wir nun davon ausgehen, dass Ethnizität im Alter reaktiviert wird und eine wichtige Komponente<br />

der Sinnkonstruktion ist, müssen sich die Versorger im Gesundheits- und Sozialwesen, darunter im<br />

speziellen in der Alterspflege und –arbeit die Frage stellen, wie sie mit ihren Dienstleistungen und<br />

Angeboten dieser Tatsache Rechnung tragen.<br />

In der Schweiz weckt zur Zeit die Frage, ob für MigrantInnen im Alter spezifische ethnozentriete<br />

Betreuungsmodelle – wie etwa mediterrane Abteilungen in Altersheimen – zu schaffen seien,<br />

zunehmend das mediale und öffentliche Interesse. Während im fachlichen Diskurs nach Kriterien von<br />

good practice-Ansätzen gesucht wird, warnen vereinzelt politische Stimmen bereits wieder vor einer<br />

„drohenden Gefahr von Parallelgesellschaften im Altersheim.“ (Cortesi, 2010). Brisant daran ist, dass<br />

es sich dabei um dieselbe Einwanderungsgeneration handelt, die in ihrer Jugend bereits für die<br />

schleichende Mediterranisierung der Schweiz verantwortlich gemacht wurde (Maiolino, 2010) und<br />

aufgrund der Überfremdungsinitiativen in den siebziger Jahren Diskriminierung erfuhr.<br />

Im Diskurs über ältere MigrantInnen - am Beispiel der italienischen ArbeitsmigrantInnen - trifft man<br />

häufig auf folgende dominante Annahmen:<br />

Das „Leben zwischen zwei Welten“ habe zu einer fehlenden gesellschaftlichen <strong>Integration</strong> geführt, da<br />

sich MigrantInnen nirgendwo richtig zugehörig oder „Zuhause“ gefühlt hätten. Der Aufenthalt in der<br />

Schweiz – auch wenn er Jahrzehnte gedauert habe – sei als Provisorium erfahren worden und die<br />

aufrecht erhaltene Rückkehrorientierung habe gesellschaftliche Partizipation am Lebensort verhindert.<br />

Dadurch würden sich für die Betroffenen nun auch bei ihrer Lebensgestaltung im Alter negative<br />

Folgen ergeben.<br />

Verstärkt worden sei dieser Prozess durch eine fehlende <strong>Integration</strong>spolitik und –förderung seitens der<br />

Schweiz, die die Arbeitsmigrantinnen und -migranten ihrerseits nur als vorübergehende „Gastarbeiter“<br />

definierte. Dies wiederum sowie die ausländerpolitischen Initiativen und die damit einhergehende<br />

fremdenfeindliche Bewegung der frühen siebziger Jahre hätten als Reaktion die Abkehr von der<br />

Mehrheitsgesellschaft bewirkt und die Tendenz zur Selbstethnisierung sowie zur Selbstorganisation<br />

der ItalienerInnen in eigenen Strukturen und Netzwerken gefördert.<br />

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«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Die mangelnde <strong>Integration</strong>, verstanden als fehlende und/oder unzureichende Partizipation an der<br />

schweizerischen Mehrheitsgesellschaft, habe zur Folge, dass ältere ItalienerInnen in der<br />

deutschsprachigen Schweiz auch nach jahrzehntelangem Aufenthalt noch über keine oder nur geringe<br />

Kenntnisse dieser Landessprache sowie allgemein über ein Informations- und Partizipationsdefizit in<br />

Bezug auf die schweizerische Gesellschaft verfügten.<br />

Mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben bzw. mit der Pensionierung würden sich die wenigen,<br />

ungefestigten Sprachkenntnisse weiter zurückbilden und setze ein zunehmender Rückzug in die<br />

eigene ethnische Gruppe - die sogenannte ethnische Insulation (Dietzel-Papakyriakou, 1990) bzw.<br />

damit einhergehend ein „disengagement“ (Cumming & Henry, 1961) von der Mehrheitsgesellschaft<br />

ein. Dieser Prozess wiederum wird tendenziell als ein Defizit interpretiert bzw. als ein Indikator für eine<br />

nicht erfolgreiche <strong>Integration</strong>/Partizipation in der Schweiz.<br />

In der vorliegenden Masterarbeit interessieren nun im Zusammenhang mit der Lebensgestaltung<br />

älterer MigrantInnen – am Beispiel der ItalienerInnen - die eigene Sicht der „Objekte„ des oben<br />

skizzierten Diskurses und somit folgende Fragen:<br />

Was heisst für sie Partizipation im Alter? Welche Bedeutung hat für sie die Vergemeinschaftung in<br />

eigenen ethnischen Strukturen? Welche Auswirkungen hat die oft zitierte gute Selbstorganisation der<br />

italienischen MigrantInnen für ihre Lebensgestaltung im Alter? Ist sie ein Mittel der gesellschaftlichen<br />

Partizipation oder wirkt sie eher als Selbstausschluss aus der Mehrheitsgesellschaft? Fördert sie die<br />

Auseinandersetzung über Mitsprache und Mitgestaltung zu gesellschaftlichen Fragen des Alter(n)s?<br />

Wirkt sie als Organisationsressource für die Teilhabe an politischen Prozessen zu diesen Fragen?<br />

(vgl. dazu die Ergebnisse der für diese Masterarbeit durchgeführten Befragungen in den Kapiteln 5.2.3<br />

und 5.3).<br />

In der Forschungsliteratur der Schweiz zum Thema ‚Partizipation der Migrationsbevölkerung„ geht u.a.<br />

Soom Amann (2006, S. 415 - 453) auf diese Fragen ein. Sie untersucht diese am Beispiel der<br />

italienischen Organisationen in Bern. In der vorliegenden Masterarbeit teilen wir ihr Interesse an der<br />

Frage, welche Partizipationsmöglichkeiten sich die in Bern wohnhaften ItalienerInnen durch ihre<br />

Vereinstätigkeit geschaffen haben. In der wissenschaftlichen Literatur sind MigrantInnenvereine und<br />

ihre Funktion in <strong>Integration</strong>sprozessen ein eher marginales Thema. Wo sie diskutiert werden, geht es<br />

meist um die Grundsatzfrage, ob die Selbstorganisation von MigrantInnen eine integrative Wirkung<br />

habe für ihre Partizipation an der Gesellschaft des Aufenthaltslandes oder aber zu ihrer Ausgrenzung<br />

führe. Ginge man davon aus, dass sich eine ethnisch definierende Gruppe selbst genüge und sich<br />

daher nicht mit der Aufnahmegesellschaft zu vernetzen brauche, dann könnte man die<br />

Selbstorganisation der ersten italienischen Einwanderungsgeneration nach dem zweiten Weltkrieg in<br />

Bern auch als gelungenen Widerstand gegen den Druck der Mehrheitsgesellschaft zur „kulturellen<br />

Assimilierung“ deuten. Die Frage, ob diese Selbstorganisation auch die Partizipation im Sinne<br />

struktureller Teilhabe an der Gesellschaft förderte, ist damit aber noch nicht beantwortet. Die These<br />

der Binnenintegration (vgl. Elwert, 1982 in Kapitel 2.5) postuliert den Prozess der Selbstorganisation<br />

von MigrantInnen als wichtige Grundlage für die zu erreichende gesamtgesellschaftliche <strong>Integration</strong><br />

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«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

bzw. Partizipation. MigrantInnenorganisationen würden eine unverzichtbare Vermittlerrolle zwischen<br />

ihren Mitgliedern und der sie umgebenden Gesellschaft wahrnehmen. Zum einen versorgen sie ihre<br />

Landsleute mit nützlichem Wissen und Informationen über die Gesamtgesellschaft, zum andern bieten<br />

sie ihnen eine soziale und emotionale Heimat sowie die Möglichkeit zu einer kollektiven Identifikation.<br />

Beides sind wichtige Ressourcen für die Auseinandersetzung mit einem zunächst fremden<br />

gesellschaftlichen Kontext. MigrantInnenorganisationen verfügen aber anderseits auch über das<br />

Potenzial, als sogenannte pressure groups zu wirken und die Interessen von MigrantInnen gegenüber<br />

der Mehrheitsgesellschaft zu vertreten. In der Konzeption des Multikulturalismus (Rex, 1996) sind<br />

MigrantInnenorganisationen wichtige Orte der kollektiven Identitätsbildung und bieten eine Plattform<br />

für die öffentliche Manifestation dieser ethnischen Identität. Vereine von MigrantInnen können so zu<br />

einer legitimen Interessensvertretung gegenüber Staat und Gesellschaft werden, wie andere<br />

gesellschaftliche Gruppen auch. Diese ist insbesondere dann wirkungsvoll, wenn Multikulturalismus<br />

institutionell verankert und die Einforderung von Minderheitenrechten sowie der Zugang zu<br />

Ressourcen politisch anerkannt sind.<br />

Ob sich MigrantInnen organisieren und in welcher Form sie das tun, hänge weniger von ihrer<br />

nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft ab, als vielmehr vom institutionellen Kontext der<br />

Mehrheitsgesellschaft, in der sie sich befinden und von den direkten und indirekten Möglichkeiten der<br />

Partizipation, die ihnen zustehen oder verwehrt sind. Folgende Kriterien spielen dafür eine Rolle: die<br />

Existenz oder sogar Notwendigkeit der Organisation für MigrantInnen, das Bestehen eines offenen<br />

Zugangs zu Organisationen/Institutionen des Aufnahm Systems, die rechtlichen Begebenheiten im<br />

Aufnahmesystem, welche die möglichen Formen der Selbstorganisation bestimmen, die Definition der<br />

Individuen und ihrer Beziehung zum Staat durch das Aufnahmesystem und davon abgeleitete Kriterien<br />

(ethnisch-nationale, religiöse, schichtspezifisch-soziale, politische, individuelle Neigungen, etc.) für die<br />

Festlegung von Organisationszugehörigkeiten. Ein weiterer wichtiger Faktor dafür, ob und wie sich<br />

MigrantInnen organisieren, ist ihr Erfahrungshintergrund. Der Herkunftskontext beeinflusst somit Form<br />

und Inhalt (Ziele, Aktivitäten) von Migrantenorganisationen. Ireland (1994) zeigt allerdings auf, dass<br />

sich die Organisationsstrukturen/Netzwerke von MigrantInnen verschiedener nationaler Herkunft im<br />

selben Aufnahmekontext ähnlicher sind als die Organisationsformen von MigrantInnen derselben<br />

nationalen Zugehörigkeit in verschiedenen Aufnahmeländern. Dies wiederum bestätigt, dass die<br />

Rahmenbedingungen in den Aufnahmeländern Möglichkeiten, Strukturen und Formen der<br />

Selbstorganisation der Migrationsbevölkerung massgeblich mitprägen. Liberale Systeme, wie<br />

beispielsweise die Schweiz, strukturieren ihre Eingliederungsmassnahmen tendenziell um Individuen<br />

und nicht um Kollektive. Entsprechend wenig direkte Verbindungen existieren zwischen dem Staat<br />

und den MigrantInnenorganisationen. Diese organisieren sich zerstreut und mehrheitlich auf lokaler<br />

Ebene, analog zu den föderalistischen Strukturen der Schweiz.<br />

Die zweite Perspektive zu Partizipation, die für diese Masterarbeit interessiert, ist diejenige des<br />

heutigen schweizerischen Staates, der seit 2008 einem gesetzlich verankerten <strong>Integration</strong>sauftrag<br />

verpflichtet ist, der sich auch auf die ältere Migrationsbevölkerung bezieht.<br />

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«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Wie beurteilen die mit der Umsetzung dieses Auftrags betrauten Behörden und Stellen im Alters- und<br />

<strong>Integration</strong>sbereich den Bedarf, aber auch die Potenziale sowie die Hürden der Partizipation der<br />

älteren Migrationsbevölkerung auf kantonaler/kommunaler Ebene der Alterspolitik und –arbeit?<br />

Subjektive Einschätzungen und Beurteilungen von Behörden sowie Fachstellen und –personen – so<br />

auch der für diese Masterarbeit befragten Altersbeauftragten und <strong>Integration</strong>sdelegierten/Fachstellen<br />

(vgl. Kapitel 5.2) sind im Kontext der aktuellen <strong>Integration</strong>sdiskurse in der Schweiz zu verorten. In der<br />

Schweiz liegt der Fokus des Diskurses eindeutig auf den MigrantInnen als Individuen und auf deren<br />

Bemühungen oder Widerstände bzw. Erfolge oder Misserfolge gesellschaftlicher <strong>Integration</strong> (vgl. dazu<br />

der bereits in Kapitel 2.5 angesprochene <strong>Integration</strong>sdiskurs zu „Fördern und Fordern“.) Erst in<br />

jüngerer Zeit unterstützt in der Schweiz der Staat vereinzelt auch Strukturen und Tätigkeiten von<br />

MigrantInnenorganisationen. Insbesondere Aktivitäten, welche die Herausbildung und Festigung<br />

kollektiver Identitäten und Strukturen stützen würden, wurden bisher aber nicht mit Fördermass-<br />

nahmen anerkannt. Die Nichtexistenz einer staatlichen Partizipationspolitik hatte vor allem zur Folge –<br />

und das lässt sich am Beispiel der italienischen Migrationsgeschichte in der Schweiz, so auch in Bern,<br />

gut aufzeigen – dass die Herkunftsländer der MigrantInnen in diese Lücke sprangen und sich um die<br />

Organisation ihrer StaatsbürgerInnen im Ausland kümmerten.<br />

Weiter oben haben wir gezeigt, dass dem institutionellen Aufnahmekontext entscheidende Bedeutung<br />

zukommt für die Entstehung von integrationswirksamer Organisation und Partizipation der<br />

Migrationsbevölkerung. Entsprechend ist es auch Aufgabe einer Aufnahmegesellschaft, Bedingungen<br />

zur Verfügung zu stellen, unter denen sich Organisations- und Partizipationstätigkeit von MigrantInnen<br />

entwickeln können. Erst in den neunziger Jahren wurde auch in der Schweiz die Notwendigkeit<br />

erkannt, eine <strong>Integration</strong>spolitik und entsprechende Strategien und Leitbilder zu erarbeiten. Allerdings<br />

ging diese Initiative von grösseren Städten wie Bern, Zürich und Basel, und nicht etwa von der<br />

nationalen Ebene aus. Das liegt darin begründet, dass sich die Folgen einer verpassten<br />

<strong>Integration</strong>spolitik vor allem im konkreten Alltagskontext auf kommunaler Ebene manifestierten. Noch<br />

vor der Revision des damaligen Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer<br />

(ANAG), das heute Bundesgesetz für die Ausländerinnen und Ausländer (AuG) heisst, trat im Jahr<br />

2000 die Verordnung über die <strong>Integration</strong> von Ausländerinnen und Ausländer in Kraft (VInta). Diese<br />

neuen gesetzlichen Grundlagen schufen für den Bund die Möglichkeit, auf kantonaler und<br />

kommunaler Ebene Finanzen zur <strong>Integration</strong>sförderung zur Verfügung zu stellen. In der Folge wurden<br />

auch auf Bundesebene Leitlinien zum <strong>Integration</strong>sverständnis sowie Handlungsschwerpunkte<br />

formuliert. Soom Ammann (2006, S. 421 f) kommt zum Schluss, dass MigrantInnenorganisationen den<br />

Staat im Zusammenhang mit dem <strong>Integration</strong>sauftrag in drei Funktionen interessieren: a) als<br />

Dienstleister für die Vermittlung von Bildungsangeboten zwecks Erwerb von Sprachkompetenzen, b)<br />

als Interessenvertretungen in Konsultativorganen, die zur Förderung der Partizipation eingerichtet<br />

werden und c) als Kontaktinstanzen oder AuftragsnehmerInnen der Behörden bezüglich institutioneller<br />

Vernetzung bestehender Angebote und Tätigkeiten (vgl. dazu auch die Ergebnisse der Befragung in<br />

dieser Masterarbeit in Kapitel 5.2). Vergleicht man die diversen <strong>Integration</strong>sleitbilder und –papiere,<br />

zeigt sich Konsens in Bezug auf die Anerkennung geleisteter <strong>Integration</strong>sarbeit von<br />

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«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

MigrantInnenorganisationen, die Notwendigkeit von Vernetzungsbemühungen zwischen den einzelnen<br />

Angeboten sowie die Nutzung von Potenzialen und Ressourcen dieser Organisationen (vgl. z.B. das<br />

<strong>Integration</strong>sleitbild der Stadt Bern, 2010). Generell lässt sich feststellen, dass MigrantInnenorga-<br />

nisationen gerne als VermittlerInnen zwischen Individuen und Behörden sowie zwischen MigrantInnen<br />

und Einheimischen eingesetzt werden. Wie steht es aber mit ihren reellen Partizipationschancen im<br />

Sinne von gleichwertiger Mitsprache, Mitgestaltung und Mitbestimmung? Leitbilder der Verwaltung<br />

halten in der Regel fest, dass es zur Förderung der Partizipation „in den gesellschaftlichen, politischen<br />

und kulturellen Lebenswelten (…) die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten von<br />

Ausländerinnen und Ausländern zu nutzen und zu erweitern“ gilt (Eidgenössisches Justiz- und<br />

Polizeidepartement EJPD, 2008, S. 8). Oder an anderer Stelle: für die <strong>Integration</strong> ist „das<br />

Mitredenkönnen und dürfen die wesentlichste Voraussetzung„ (Regierungsrat des Kantons Basel-<br />

Stadt, 1997, S. 72). Da MigrantInnen in den meisten Kantonen und Gemeinden nicht über Mittel der<br />

direkten demokratischen Mitbestimmung (Stimm- und Wahlrecht) verfügen, wurden in den letzten<br />

Jahren vielerorts – so auch in der Stadt Bern - Fachkommissionen, Gremien und Arbeitsgruppen<br />

eingeführt, welche einerseits die Anliegen und Interessen der MigrantInnen vertreten sollen und<br />

anderseits die Kantone und Gemeinden in Fragen der <strong>Integration</strong>spolitik beraten. 2 MigrantInnen-<br />

organisationen interessieren den Staat im Zusammenhang mit seinem <strong>Integration</strong>sauftrag in zweierlei<br />

Hinsicht: zum einen, wenn es darum geht, auf bestehende Angebote, Erfahrungen und Leistungen<br />

zuzugreifen und zum andern, wenn es darum geht, die Kommunikation zwischen den Behörden und<br />

der Migrationsbevölkerung zu optimieren. Ein wichtiges Ziel der <strong>Integration</strong>spolitik ist es immer auch,<br />

sogenannt schwer erreichbare Zielgruppen anzusprechen. Und hier zeigt sich nach Soom Ammann<br />

(2006, S. 423) eine der primären Schwierigkeiten bei der Beteiligung von MigrantInnenorganisationen<br />

in der öffentlichen <strong>Integration</strong>sförderung. Trotz des Wissens um die Existenz schwer erreichbarer<br />

Zielgruppen, wird die Migrationsbevölkerung seitens staatlicher Stellen in der Regel als homogene<br />

Gruppe wahrgenommen und wird daher davon ausgegangen, dass sich diese nach ethnisch-<br />

nationalen Kriterien organisiert. Dabei lässt man oft die berechtigte Frage ausser Acht, inwiefern<br />

MigrantInnenorganisationen für sich überhaupt in Anspruch nehmen können, auch schwer erreichbare<br />

Gruppen zu repräsentieren bzw. zu vertreten. Die Existenz von MigrantInnenorganisationen heisst<br />

nicht automatisch, dass damit auch eine umfassende Repräsentanz oder gar Partizipation der<br />

gesamten Migrationsbevölkerung gesichert ist. Am Beispiel der italienischen Organisationsaktivitäten<br />

in Bern lasse sich das gut aufzeigen. So sei die italienische Migrationscommunity weder eine<br />

homogene, nach ethnisch-nationalen Kriterien definierte Gemeinschaft, noch seien die verschiedenen<br />

italienischen Vereine und Organisationen fähig, die heterogene italienische Bevölkerung partizipativ zu<br />

integrieren und adäquat zu vertreten.<br />

Die öffentliche Legitimation und Förderung ethnisch-kollektiver Identitäten, wie sie das Konzept des<br />

Multikulturalismus vorsieht, ist nicht Ziel der schweizerischen <strong>Integration</strong>spolitik. Dennoch wird aber<br />

2 Für eine gesamtschweizerische systematische Zusammenstellung dazu: vgl. Emch-Fassnacht & Arn<br />

(2008). Bei Pineiro, Bopp & Kreis (2009) findet sich ein guter Überblick über die Gesetzesgrundlagen<br />

der schweizerischen <strong>Integration</strong>spolitik, kantonale und städtische Leitbilder und Strategien, rechtliche<br />

Instrumente sowie über die politischen Rechte von MigrantInnen in Kantonen und Gemeinden.<br />

39


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

die Selbstorganisation von MigrantInnen nach ethnischen Kriterien befürwortet. Es bleibt somit<br />

fraglich, ob dadurch nicht Widersprüche erzeugt werden. Vermag die italienische<br />

Organisationsgeschichte in Bern dazu mehr Erkenntnisse zu liefern? (vgl. Kapitel 2.6.4)<br />

2.6.3 Aktive Bürgerschaft / Citizenship von älteren MigrantInnen (V. Abati)<br />

Literatur und Forschung zu aktiver Bürgerschaft und Citizenship (oder Citoyenneté) von älteren<br />

MigrantInnen ist bis dato kaum zu finden. Ältere MigrantInnen als in Zukunft in grösseren Zahlen in<br />

Erscheinung tretende Gruppe, sind zur Zeit praktisch nur in Bezug auf ihren Versorgungsbedarf im<br />

Alter ein Thema.<br />

Zwei Autorinnen, die sich mit der Thematik der aktiven Bürgerschaft, resp. der Bürgerbeteiligung und<br />

Engagementförderung für ältere Menschen auseinandergesetzt haben, sind Wegner (2010) und Vogel<br />

(2008). Allerdings fehlt auch bei ihnen der Bezug zur älteren Migrationsbevölkerung. Bereits 2002<br />

hingegen fand im deutschen Lünen eine Fachtagung mit dem Titel „Auch Migranten werden alt!“ der<br />

Forschungsgesellschaft für Gerontologie statt. Eine Arbeitsgruppe befasste sich dabei mit der<br />

Partizipation und der interkulturellen Begegnung durch Selbstorganisation älterer MigrantInnen. Neben<br />

einigen interessanten Erkenntnissen fällt aber auch hier auf, dass der Diskussion keine klare, stringent<br />

formulierte Definition von Partizipation zugrunde lag. Das Thema der Partizipation älterer MigrantInnen<br />

wurde im Weiteren unter dem Titel „Mehr Mit – Weniger Für“ auch an einer länderübergreifenden<br />

Tagung in Konstanz und Kreuzlingen aufgegriffen (2011).<br />

Da in der vorliegenden Arbeit ‚Partizipation älterer MigrantInnen im lokalen Kontext’ das eigentliche<br />

Forschungsinteresse begründet, folgt unten eine Definition von Partizipation und Citoyenneté, welcher<br />

die Autorinnen in ihrer Untersuchung sowie in den Schlussfolgerungen und den Massnahmen für das<br />

Modell <strong>MIGRALTO</strong> konsequent verpflichtet bleiben.<br />

Partizipation – Citoyennté nach EKM<br />

Gemäss der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen EKM wird erfolgreiche <strong>Integration</strong><br />

durch die gesellschaftliche Teilhabe und Teilnahme ermöglicht. Ein <strong>Integration</strong>sverständnis, das sich<br />

nur an der Teilhabe im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich orientiere, sei zu eng gefasst.<br />

Poltische Partizipation sei ein ebenso wichtiger Aspekt der <strong>Integration</strong> wie die strukturelle. Daher<br />

müsse auch der aktiven Teilnahme und Teilhabe an politischen Prozessen ein wichtiger Stellenwert<br />

beigemessen werden, wenn die Chancengleichheit zwischen der schweizerischen und der<br />

ausländischen Bevölkerung gefördert werden soll. Aus diesem Grund will die EKM im Rahmen ihrer<br />

Ausschreibung „Citoyenneté – aktive Bürgerschaft“ Vorhaben unterstützen, die Migranten neue<br />

Partizipationsformen eröffnen.<br />

In der vorliegenden Masterarbeit stützen wir uns auf den Begriff der ‚aktiven Bürgerschaft„, wie er von<br />

der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen EKM definiert wird: „In dieser Konzeption sind<br />

Bürgerinnen und Bürger Personen, die unabhängig von ihrer jeweiligen nationalen Zugehörigkeit<br />

40


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

aufgrund ihres Wohnortes oder dem Bezug zu einer spezifischen Angelegenheit über Mitsprache- und<br />

Mitgestaltungsmöglichkeiten verfügen.“ (vgl. Anhang A: Ausschreibungstext Modellvorhaben der EKM,<br />

S. 6)<br />

Um mit dem im Projekt zu erarbeitenden Modell der aktiven Bürgerschaft auch ältere MigrantInnen<br />

ohne Bürgerrechte (also die nicht Eingebürgerten) zu erfassen, stützt sich das Vorhaben zudem auf<br />

den von der EKM definierten Begriff der „Betroffenendemokratie“:<br />

„Im Vordergrund dieses Modells steht der Aspekt der Betroffenheit. Alle, die von einer Frage betroffen<br />

sind, sollen mitentscheiden können. Dieser Ansatz kommt dem Demokratieideal wesentlich näher, als<br />

wenn nur Staatsangehörige entscheiden können. Aus dieser Perspektive haben Ausländerinnen und<br />

Ausländer aufgrund ihrer Betroffenheit ebenso das Recht mitzubestimmen wie Staatsangehörige.<br />

(…).“ (ebenda, S. 7).<br />

„Betroffenheit“ verstehen wir für unser Forschungsvorhaben folgendermassen: Die Betroffenheit<br />

besteht darin, dass die Frage der Lebensgestaltung im Alter alle Personen in der Schweiz,<br />

unabhängig von ihrer nationalen Herkunft, gleichermassen betrifft. Zudem tangiert sie diese Frage am<br />

Ort ihres unmittelbaren Lebensmittelpunktes am direktesten, d.h. in ihrer Wohngemeinde. Somit ist es<br />

hilfreich, den Begriff der „Betroffenheitsdemokratie“ mit der von der EKM definierten Bezeichnung der<br />

„Territorialdemokratie“ zu koppeln: „Die Territorialdemokratie ist eine mögliche Ausgestaltung der<br />

Betroffenendemokratie. „Betroffen“ ist, wer in einem bestimmten Staatsgebiet wohnt. Dies ist ein klar<br />

bestimmter geographischer Bereich und daher ausschlaggebend für das Stimm- und Wahlrecht der<br />

darin lebenden Personen. (…).“ (ebenda).<br />

2.6.4 Das Beispiel der italienischen Selbstorganisation der ersten<br />

Einwanderungsgeneration in der Stadt Bern (H. Hungerbühler)<br />

Nach Soom Ammann (2006, S. 425 ff) weist die organisationelle <strong>Integration</strong>sgeschichte der ersten<br />

Einwanderungsgeneration der ItalienerInnen in Bern „binnenintegrative Tendenzen“ auf, was die<br />

Entstehung einer besonderen italo-bernischen Struktur bedeutet. Diese könne vor allem als Reaktion<br />

auf die vom Aufnahmeland gesetzten Bedingungen verstanden werden. Da die italienische<br />

Einwanderung sowohl vom Schweizer Staat als auch den italienischen MigrantInnen selber lange als<br />

temporär verstanden wurde, versuchten letztere bei auftauchenden Schwierigkeiten, diese mit Hilfe<br />

des eigenen Herkunftsstaates und nicht der Schweiz zu überbrücken. Drei für die<br />

<strong>Integration</strong>sdiskussion bedeutungsvolle Themen, in welchen die italienische Migrationscommunity<br />

(selbst)organisiert war und teilweise immer noch ist, sind in diesem Zusammenhang für Bern<br />

besonders wichtig:<br />

a) Die Selbsthilfe: z.B. die Missione Cattolica Italiana di Berna, die Casa d„Italia di Berna<br />

b) Die Bestrebungen der italienischen Organisationen um Interessenvertretung und politische<br />

Partizipation: z.B. die Colonia Libera Italiana di Berna<br />

41


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

c) Der Bildungsbereich: z.B. die Scuola Italiana und CISAP/Formazione<br />

Die Missione Cattolica Italiana di Berna ist seit den späten zwanziger Jahren eine der zentralen<br />

Institutionen für ItalienerInnen in Bern. Ihre wichtigste Aufgabe war und ist die seelsorgerische<br />

Begleitung der in Bern und Umgebung wohnhaften italienischen MigrantInnen. Diese weitete sich bald<br />

zu sozialen Aufgaben aus. In den sechziger Jahren eröffnete die Missione zudem einen<br />

Mehrzwecksaal sowie ein Restaurant. Damit wurde ergänzend zu den religiösen Bedürfnissen der<br />

italienischen MigrantInnen jener Zeit vor allem der Bedarf nach einem sozialen Treffpunkt<br />

aufgenommen. Mit der Zunahme an Familiennachzug und –gründung wurde die Missione auch in der<br />

Kinderbetreuung und –ausbildung tätig. Die nach italienischem System geführte Schule blieb bei den<br />

Berner Behörden immer umstritten. Als Ergebnis der von der Stadt vorangetriebenen <strong>Integration</strong> der<br />

Kinder mit Migrationshintergrund in die öffentlichen Schulen wurde der schulische Betrieb der<br />

Missione in den frühen achtziger Jahren eingestellt. Die heutige Missione hat als Parallelprozess zu<br />

den Entwicklungen in der italienischen Migrationsgemeinde ihr Aufgabenfeld nebst der kirchlichen<br />

Arbeit ebenfalls verändert in Richtung SeniorInnenbetreuung, Beratung von Familien bei Problemen<br />

wie Drogenkonsum der Jugendlichen sowie Arbeitslosigkeit. Die Missione ist mit der römisch-<br />

katholischen Kirche in Bern, von der sie finanziell mitgetragen wird, vernetzt, sowie in sozialen Fragen<br />

mit dem Centro Familiare, einer ethnospezifischen Beratungsstelle für Familien- und Jugendprobleme,<br />

die sich auch mit intergenerationeller Verständigungsschwierigkeit befasst und in der SeniorInnen-<br />

betreuung mit der Pro Senectute Bern zusammenarbeitet. Die Missione wird, u.a. auch von einem Teil<br />

der ItalienerInnen selbst, für einen „gewissen kulturellen und sozialen Konservatismus“ (Soom<br />

Ammann, 2006, S. 427) kritisiert. So habe sie sich zwar um die Unterstützung der italienischen<br />

Migrationsgemeinschaft der ersten Einwanderungsgeneration bemüht und verdient gemacht, dabei<br />

jedoch die Förderung der <strong>Integration</strong> von MigrantInnen in die Gesamtgesellschaft der Schweiz<br />

vernachlässigt. Die Missione verstand sich eher als ein „Auffangbecken“, linderte Symptome der<br />

erlebten Ausgrenzung aus der Mehrheitsgesellschaft und stand dort zur Verfügung, wo seitens der<br />

Schweiz keine Hilfe zu erwarten war.<br />

Die zweite wichtige Institution der ItalienerInnen der ersten Einwanderungsgeneration (Vor- und<br />

Nachkriegseinwanderung) in Bern war (und ist) die Casa d‟Italia. 1937 mit Unterstützung des<br />

italienischen Konsulats gegründet, bietet sie einerseits vor allem einen stadtbekannten (auch bei<br />

SchweizerInnen beliebten) Restaurantbetrieb mit italienischer Küche an und zum andern Infrastruktur<br />

und Koordination für italienische Vereinstätigkeiten. Die Casa d‟ Italia ist ein beliebter Treffpunkt – vor<br />

allem für die ältere (schwergewichtig männliche) Generation - und nimmt für sich gemäss ihrer<br />

Statuten in Anspruch, das gesamte „italienische Kollektiv“ zu vertreten und das „Erbe der<br />

„italienischen Kultur“ zu pflegen (ebenda, S. 428). Die Casa positionierte sich offiziell immer als nicht<br />

politische Institution. Trotzdem wurde ihr zunächst – aufgrund ihrer Gründungszeit während des<br />

italienischen Faschismus – eine gewisse politische Nähe zu diesem nachgesagt, während sie in den<br />

sechziger und siebziger Jahren eher der kommunistisch-sozialistischen Politik zugeordnet wurde. Die<br />

Casa diente der italienischen Migrationscommunity als Ort der Diskussion und der sozialen<br />

Vernetzung sowie als Freizeitstätte. Während das Haus von den dreissiger bis in die sechziger Jahre<br />

42


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

hauptsächlich einer „geschlossenen italienischen Gesellschaft“ zur Verfügung stand, öffnete es sich<br />

vor allem mit seiner Gastronomie auch für SchweizerInnen. Für die ItalienerInnen der ersten<br />

Generation erlangte sie eine wertvolle Bedeutung als Raum der soziokulturellen Binnenintegration.<br />

Die Colonia Libera Italiana di Berna (CLI) war v.a. während der sechziger und siebziger Jahre eine<br />

weitere historisch wichtige Institution der italienischen MigrantInnen. Als Organisation des<br />

antifaschistischen Widerstands im Exil entwickelte sie sich im mehreren Schweizer Städten und<br />

formierte sich 1943 in einer Dachorganisation, der Federazione delle Colonie Libere Italiane in<br />

Svizzera (FCLIS). Auch nach dem Ende des Faschismus in Italien bleib diese Dachorganisation<br />

bestehen, repräsentierte jedoch fortan vor allem die kommunistisch-sozialistisch geprägte Linie. Die<br />

Colonia Libera unterhielt im Unterschied zu den meisten anderen italienischen MigrantInnenorgani-<br />

sationen auch zu schweizerischen Gewerkschaften und linken Parteien eine Beziehung. Die<br />

Organisation stellte Forderungen für die Verbesserung der arbeitsrechtlichen und gesellschaftlichen<br />

Situation italienischer MigrantInnen in der Schweiz, sowohl an die Adresse Italiens als auch der<br />

Schweiz und setzte sich für die politische Partizipation sowie erfolgreich für Verbesserungen bei der<br />

Krankenversicherung und der Pensionskasse ein. Die CLI war auch der Ort, an dem engagierte<br />

Diskussionen zur <strong>Integration</strong>spolitik geführt wurden. Zudem war sie massgeblich für die Gründung des<br />

Berufsbildungszentrums CISAP in Bern verantwortlich. Kontrovers debattierte die Organisation, ob die<br />

Berufsbildung für italienische MigrantInnen als eigene Struktur oder integriert in das Schweizer<br />

Ausbildungssystem zu konzipieren sei. Der heutige Verein Colonia Libera Italiana existiert nur noch<br />

formell, ist aber nicht mehr aktiv.<br />

Als Letztes seien die italienischen Binnenstrukturen im Bildungsbereich erwähnt. Diese hatten zwei<br />

Zielgruppen im Blick: zum einen die Erwachsenen (Deutschkurse und berufliche Weiterbildung) und<br />

zum andern die Kinder (Schul- und Berufsbildung). Die zwei wichtigsten Angebote waren die Scuola<br />

Italiana (Missione Cattolica di Berna) und das Berufsbildungszentrum CISAP, heute Formazione. In<br />

der Bildung der Kinder wurde nicht das Erlernen der deutschen Sprache fokussiert, sondern die<br />

Förderung der italienischen Sprachkompetenzen. Im Falle des CISAP lässt sich nach Soom Ammann<br />

(2006, S. 444-448) eine Entwicklung weg vom ethno- und hin zum migrationsspezifischen<br />

Lernangebot ausmachen. Auch die Einrichtung einer italienischen Berufsschule in Bern war umstritten<br />

wie die Scuola Italiana der Missione Cattolica. Selbst wenn begrüsst wurde, dass Italienischsprachige<br />

überhaupt ein Berufsbildungsangebot erhielten, blieb es problematisch, weil eine Berufsausbildung<br />

nach italienischem System nicht anerkannt wurde und diese für Jugendliche keine wirklichen<br />

Perspektiven brachte. Das Angebot des CISAP könne als für die italo-bernische Migrationsstruktur<br />

typisch bezeichnet werden: Die Aufgabendelegation des Staates an Private und die Selbsthilfe der<br />

MigrantInnen ermöglichten zwar Lösungen, jedoch vielfach nur provisorische, ohne wirklichen<br />

Anschluss an die Regelstrukturen (Bildung, Arbeitsmarkt) der Mehrheitsgesellschaft (ebenda).<br />

Welche Bilanz kann zum Schluss bezüglich des Potenzials der Selbstorganisation italienischer<br />

MigrantInnen in Bern gezogen werden? Verhalf sie zur gesellschaftlichen <strong>Integration</strong> oder wirkte sie<br />

eher als Selbstausschluss? Die Antwort fällt sowohl gemäss Soom Ammann (2006) als auch aufgrund<br />

der in dieser Masterarbeit durchgeführten Erhebungen (vgl. Kapitel 5) ambivalent aus.<br />

43


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Italienische Organisationsaktivität wird häufig als good practice-Beispiel für erfolgreiche<br />

Selbstorganisation von MigrantInnen zitiert. Soom Ammanns Analyse der Organisationsgeschichte der<br />

italienischen Migrationsbevölkerung in Bern hat jedoch gezeigt, dass ihre Vereinstätigkeit sowie die<br />

Arbeit der privaten italienischen Organisationen die Partizipationschancen in der Mehrheits-<br />

gesellschaft nur bedingt und punktuell gefördert haben. Vielmehr haben sie eher zur Etablierung einer<br />

spezifischen italienischen - jedoch heterogenen - Organisationsstruktur beigetragen. Anderseits könne<br />

aber die Tatsache, dass die von der ersten Generation aufgebauten Organisationsstrukturen sich<br />

allmählich auflösen, auch als Zeichen interpretiert werden, dass trotz starker Binnenintegration nun<br />

vor allem auch über die zweite Generation eine <strong>Integration</strong> in die Gesamtgesellschaft stattgefunden<br />

habe. Zwei Faktoren prägten die Partizipationsmöglichkeiten der italienischen MigrantInnen und ihrer<br />

Organisationen in der Stadt Bern hauptsächlich: ihre Ausgrenzung als „Gastarbeiter“ durch das<br />

gesellschaftliche Umfeld sowie das eigene Verständnis ihres Aufenthalts in der Schweiz als nur<br />

temporären und an die Arbeit gekoppelten Zustand. Beides schwächte die Auseinandersetzung mit<br />

der Mehrheitsgesellschaft und die Teilhabe an dieser. Die italienischen Organisationen fingen<br />

ihrerseits die Auswirkungen der geringen bis fehlenden gesellschaftlichen Zugehörigkeit auf und<br />

trugen zur Stärkung einer ethnisch definierten Identität bei. In diesem Sinne ist die gelungene<br />

Selbstorganisation der italienischen MigrantInnen auch als integrationsförderndes Potenzial zu werten.<br />

Soom Amman (2006, S. 451) ist aber der Ansicht, dass es falsch wäre, deswegen die Formierung von<br />

MigrantInnenvereinen von öffentlicher Seite zu fördern, da sich die Schweiz nicht als multikulturelle<br />

Gesellschaft definiere, in welcher der Staat Gruppeninteressen vertritt, sondern als Rechtsstaat, in<br />

welchem das Gleichheitsprinzip aller BürgerInnen gelte und das Gegenüber des Staates das<br />

Individuum sei und nicht Kollektive. Der wirkungsvollste Weg, um die Partizipation aller zu erreichen,<br />

sei daher ein garantierter und direkter Zugang der Einzelnen zur Gesellschaft und ihren Institutionen,<br />

insbesondere der Zugang zu den BürgerInnenrechten. Da dieser jedoch, mit Ausnahme weniger<br />

Kantone und Gemeinden vorab in der Romandie, nicht gegeben ist, greifen die Behörden nach wie<br />

vor gerne auf MigrantInnenorganisationen zurück, um sogenannt schwer erreichbaren Zielgruppen<br />

unter den MigrantInnen anzusprechen (vgl. dazu die Erhebungsergebnisse in Kapitel 5). Ob diese von<br />

den Organisationen überhaupt adäquat repräsentiert werden können, bleibe fraglich. Abschliessend<br />

muss nochmals betont werden, dass MigrantInnengemeinschaften keine homogenen Gruppen sind.<br />

Somit kann auch nicht unkritisch auf MigrantInnenorganisationen als Vermittlungsinstanzen zwischen<br />

individuellen MigrantInnen und der Aufnahmegesellschaft gesetzt werden.<br />

44


3. Fragestellung<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Abgeleitet von der Forschungsidee und der Zielsetzung (Kapitel 1) sowie dem recherchierten<br />

Forschungsstand (Kapitel 2) wird in diesem Kapitel die konkrete Fragestellung formuliert, auf die mit<br />

der Masterarbeit Antworten gefunden werden sollen. Im Weiteren zeigen die Autorinnen auf, weshalb<br />

sie die folgende Fragestellung wählen und welche Perspektiven sie dabei einnehmen.<br />

3.1 Wahl und Begründung der Fragestellung (H. Hungerbühler)<br />

Gemäss gerontologischer Zukunftsszenarien (Höpflinger, 2010; Perrig-Chiello u.a., 2008) werden sich<br />

Fragen des Alters künftig aufgrund der demografischen Entwicklungen akzentuieren und zu einer der<br />

wichtigsten gesellschaftlichen Herausforderungen werden. Wie die aktuelle gerontologische<br />

Forschung zeigt, führt die heutige Pluralisierung von Lebensläufen zu einer historisch noch nie da<br />

gewesenen Vielfalt an Lebensgestaltung im Alter (Höpflinger, 2010; Perrig-Chiello u.a., 2008). Somit<br />

sind auch verschiedene Ansprüche an gesellschaftliche Mitsprache und Mitgestaltung im Alter zu<br />

erwarten. Die Entwicklung neuer Modelle politischer und gesellschaftlicher Partizipation einer<br />

zunehmend vielfältigen Altersbevölkerung wird nötig werden. Einen wichtigen Anteil an dieser<br />

wachsenden Diversität machen Menschen mit Migrationshintergrund aus. Die Autorinnen erachten es<br />

als erstrebenswert, dass MigrantInnen sowohl zu AkteurInnen als auch zur Zielgruppe einer neuen<br />

Partizipationskultur im Alter werden. Sie tragen aufgrund ihrer Heterogenität nach Herkunft in den<br />

nächsten Jahren immer mehr zur Diversifizierung der Altersbevölkerung in der Schweiz bei.<br />

Seit der Bundesrat <strong>Integration</strong>sförderung zu einer gesellschaftlichen Querschnittaufgabe erklärt hat<br />

(BfM, 2008), ist auch das für die Altersversorgung verantwortliche Bundesamt für<br />

Sozialversicherungen (BSV) verpflichtet, über die Leistungsverträge mit Organisationen im<br />

Altersbereich die <strong>Integration</strong> bzw. Partizipation der älteren Migrationsbevölkerung zu unterstützen. Die<br />

Altersorganisationen haben seither den Auftrag, Massnahmen zur <strong>Integration</strong> bzw. Partizipation älterer<br />

MigrantInnen umzusetzen (BfM, 2008, S.53). Diverse Studien und Erhebungen (Kobi, 2008; Martin,<br />

2006; EKM, 2009; Moret, & Dahinden, 2009 u. Hungerbühler, 2010) wiederum zeigen, dass sich<br />

MigrantInnen sowie ihre Organisationen eine bessere Vernetzung und Zusammenarbeit mit<br />

Institutionen in der Schweiz wünschen. Sie belegen teilweise das Anliegen von<br />

Partizipationsmöglichkeiten bei der Definition und Konzipierung einer Politik, die ihre Anliegen und<br />

Bedürfnisse mitvertritt. MigrantInnen sollten dabei als AkteurInnen und nicht bloss als InformantInnen<br />

und/oder Forschungsobjekte auftreten können.<br />

In diesem Sinne wird die Erarbeitung eines Modells der aktiven Bürgerschaft für ältere MigrantInnen in<br />

der Schweiz je länger desto mehr eine Notwendigkeit, die sowohl im Interesse des Staates als auch<br />

der älteren Migrationsbevölkerung liegen dürfte. Gerade im Altersbereich benötigt es ein integratives<br />

Modell, welches Partizipation als einen gegenseitigen Prozess versteht, an dem sämtliche im<br />

Projektvorhaben vertretenen AkteurInnen gleichwertig beteiligt sind. Ein solches Modell muss auf<br />

einer Abklärung basieren, welche den Bedarf aller wichtigen AkteurInnen erhebt und analysiert.<br />

45


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Mit der vorliegenden Forschungsidee sollen folgende Fragen beantwortet werden können:<br />

d) Welches Erfahrungswissen zum Thema <strong>Integration</strong> (im Sinne gesellschaftlicher Teilhabe/<br />

Partizipation), welche Ressourcen und welches Potenzial zur Selbstorganisation haben ältere<br />

MigrantInnen, die sich für die Altersarbeit und -politik in der Schweiz nutzen lassen?<br />

e) Wie sehen die Frage- und Problemstellungen aus der Perspektive der Altersarbeit und<br />

-politik aus, die den Auftrag hat, für eine nach Herkunft immer heterogener werdende<br />

Altersbevölkerung bedarfsgerechte Dienstleistungen zu erbringen sowie Vertretungen aller<br />

Gruppierungen zu beteiligen?<br />

f) Welche Rahmenbedingungen benötigt es, damit ältere Migrantinnen als AkteurInnen an der<br />

Entwicklung und Umsetzung einer Altersarbeit und -politik im Sinne der politischen Vorgaben<br />

partizipieren können und wollen? Was für ein Modell ermöglicht das Einbringen der Angebote und<br />

der Forderungen nach Partizipation auf der kommunalpolitischen Seite sowie das Einbringen des<br />

eigenen Potenzials und der aktiven Beteiligung auf Seite der MigrantInnen?<br />

Zum Zeitpunkt der Erarbeitung des Konzepts für die vorliegende Masterarbeit bestimmten folgende<br />

Annahmen unser Erkenntnisinteresse und damit unsere Frageperspektive:<br />

Migration als biografische Ressource<br />

Migration ist eine Ressource für die Lebensgestaltung im Alter, wenn sie biografisch erfolgreich<br />

integriert werden kann.<br />

Ethnizität als Organisationspotenzial und Identitätsstiftung im Alter<br />

Ethnizität wird als Potenzial zur Selbstorganisation mobilisiert, um kollektive Interessen der eigenen<br />

Gruppe zu vertreten. Im Weiteren wirkt sie identitätsstiftend und dient als Orientierungshilfe im Alter.<br />

Ethnizität im Alter: Ressource oder Kumulierung der Benachteiligung<br />

Ethnizität im Alter kann sowohl Ressource sein als auch zu einer doppelten Diskriminierung aufgrund<br />

nationaler Herkunft und Alter führen. Ethnizität ist daher ein wichtiger Faktor, dem in der<br />

sozialgerontologischen Arbeit sowie bei der Entwicklung und Umsetzung von Partizipationsmodellen<br />

Rechnung getragen werden muss.<br />

Migrantinnen und Migranten als Subjekte im Forschungsprozess<br />

MigrantInnen beteiligen sich als Subjekte mit ihrem spezifischen Erfahrungswissen und ihren<br />

kulturellen Lebenspraxen am Aushandlungsprozess der Definition und Umsetzung von Partizipation.<br />

Partizipation als transkultureller Aushandlungsprozess<br />

Damit alle beteiligten Akteure gleichwertig von einem Partizipationsmodell profitieren können und ein<br />

solches auch bedarfsgerecht und nachhaltig entwickelt und implementiert wird, benötigt es zunächst<br />

die Erhebung der Definition/des Verständnisses und der Praxis von Partizipation sowohl seitens der<br />

älteren MigrantInnen und ihrer Organisationen als auch der Behörden und Stellen im Altersbereich.<br />

46


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Voraussetzung einer neuen Partizipationskultur ist ein transkultureller Aushandlungsprozess zum<br />

Partizipationsverständnis.<br />

Gendergerechte Partizipation<br />

Frauen und Männern werden unterschiedliche gesellschaftliche Geschlechterrollen zugeschrieben. Je<br />

nach sozialem Geschlecht kann somit Partizipation eine andere Bedeutung erhalten sowie<br />

unterschiedlich wahrgenommen und ausgeübt werden. Ein Modell für die aktive Bürgerschaft von<br />

älteren Migrantinnen und Migranten hat diese Aspekte zu berücksichtigen, um gendertauglich zu sein.<br />

Vom Defizit- zum Ressourcenorientierten Ansatz<br />

Sowohl in der sozialgerontologischen Forschung/Arbeit als auch in der Migrations-/<br />

<strong>Integration</strong>sforschung und -arbeit ist ein konsequenter und nachhaltiger Perspektivenwechsel vom<br />

defizit- zum ressourcenorientierten Ansatz angesagt.<br />

Diversität als Innovationspotenzial für die Alterspolitik und -arbeit<br />

Alter wird kulturell unterschiedlich konstruiert. Entsprechend existiert in einer Einwander-<br />

ungsgesellschaft – wie es die Schweiz ist – eine Vielfalt von Modellen, wie Alter gelebt und wie mit<br />

älteren Menschen umgegangen wird. Diese Diversität kann für die Alterspolitik und<br />

-arbeit zum Innovationspotenzial werden, wenn über die damit einhergehenden Herausforderungen<br />

eine konstruktive Auseinandersetzung geführt wird.<br />

An diesen Annahmen haben die Autorinnen auch im Verlaufe der Masterarbeit festgehalten und sie<br />

noch um folgende Annahme erweitert:<br />

Wirkungen von Partizipation<br />

Von Partizipation älterer Menschen - generell und in der vorliegenden Arbeit von älteren MigrantInnen<br />

im Speziellen – können folgende Wirkungen angenommen werden:<br />

Partizipation ist die wirksamste Form der <strong>Integration</strong>.<br />

Partizipation fördert die Wahrnehmung der Gesellschaft in Bezug auf ältere Menschen, baut<br />

Vorurteile ab und wirkt Altersdiskriminierungen entgegen.<br />

Ob und wie die Autorinnen diese Annahmen in ihrer Erhebung bestätigt fanden, wird in Kapitel 6.2<br />

erläutert.<br />

3.2 Abgrenzung der Fragestellung (H. Hungerbühler und V. Abati)<br />

Die Autorinnen grenzen ihre Fragestellung auf die Migrationsgruppe der italienischen Arbeitsmi-<br />

grantInnen der ersten Einwanderungsgeneration nach dem zweiten Weltkrieg ein. Zum einen handelt<br />

es sich dabei um die zahlenmässig grösste Gruppe innerhalb der älteren Migrationsbevölkerung,<br />

welche über die meiste Erfahrung in der für sämtliche Partizipationsmodelle wichtigen Selbstorgani-<br />

sation verfügt, zum andern ist ihre Migrationsgeschichte am besten dokumentiert. Es bleibt zu<br />

vermuten, dass gerade die gemeinsame Diskriminierungserfahrung als so genannte Saisonniers in<br />

47


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

den siebziger Jahren ihre Solidarisierung in der ethnischen Vergemeinschaftung gefördert und ihre<br />

Ressourcen gestärkt hat.<br />

Im Weiteren wird in der geplanten Forschung auf die Untersuchung der Alterssituation von<br />

Flüchtlingen sowie weiteren Gruppen nach nationaler Herkunft weitgehend verzichtet, da dies den<br />

vorgegebenen Rahmen der Masterarbeit sprengen würde. Deshalb beschränkt sich die Daten- und<br />

Bedarfsanalyse ausschliesslich auf die so genannten ArbeitsmigrantInnen. Den Autorinnen ist es<br />

jedoch ein Anliegen darauf hinzuweisen, dass zur Situation anderer Gruppen der älteren Migrations-<br />

bevölkerung Forschungsbedarf besteht, dem in einer eigenen Studie nachgegangen werden müsste.<br />

Auch eine territoriale Eingrenzung wurde definiert. Abgeleitet vom Untersuchungsplan gilt es, hier<br />

darauf hinzuweisen, dass sowohl qualitative als auch quantitative Daten erhoben werden. Bei den<br />

quantitativen Erhebungen (Fragebogen) werden gesamtnationale Gruppen befragt. Hierzu gehören<br />

bspw. die schweizerischen <strong>Integration</strong>sdelegierten sowie die schweizerischen Altersbeauftragten. Auf<br />

die geplante Dokumentenanalyse bei ausgewählten Gemeinden wurde aus Ressourcengründen –<br />

entgegen der im Konzept (Abati & Hungerbühler, 2010) der vorliegenden Arbeit geäusserten Absicht –<br />

verzichtet. Dafür wurde die schriftliche Befragung der Altersbeauftragten und <strong>Integration</strong>sdelegierten<br />

mit einer telefonischen Nachbefragung einer ausgewählten Stichprobe ergänzt.<br />

Bei den qualitativen Datenerhebungen grenzen die Autorinnen die zu befragenden Gruppen territorial<br />

auf den kommunalen Kontext der Stadt Bern ein. Dies gilt für die Fokusgruppen-Gespräche mit den<br />

VertreterInnen aus dem Altersbereich, mit den VertreterInnen der Migrationsorganisationen sowie für<br />

alle Einzelinterviews mit den älteren MigrantInnen.<br />

4. Methodisches Vorgehen und Durchführung der<br />

Untersuchung<br />

In diesem Kapitel werden die einzelnen Untersuchungsinstrumente für die Datenerhebung sowie der<br />

Untersuchungsplan erläutert.<br />

4.1 Ausgangslage zur Methodenwahl (V. Abati)<br />

Die für die Masterarbeit gewählte Methodenwahl richtet sich nach dem dafür definierten Modell,<br />

welches einerseits Basis für die Datenerhebung ist und andererseits den Rahmen für die zu<br />

erarbeitenden Massnahmen vorgibt. Ausgangslage für die inhaltlichen Aspekte der einzelnen<br />

Befragungsinstrumente sind die in Kapitel 3 gestellten Fragen sowie die Zielsetzung aus Kapitel 1.1.<br />

Zur besseren Übersicht werden hier nochmals die Fragen und die Zielsetzung aufgeführt.<br />

48


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

1) Welches Erfahrungswissen zum Thema <strong>Integration</strong> (im Sinne gesellschaftlicher<br />

Teilhabe/Partizipation), welche Ressourcen und welches Potenzial zur Selbstorganisation haben<br />

ältere MigrantInnen, die sich für die Altersarbeit und -politik in der Schweiz nutzen lassen?<br />

2) Wie sehen die Frage- und Problemstellungen aus der Perspektive der Altersarbeit und<br />

-politik aus, die den Auftrag hat, für eine nach Herkunft immer heterogener werdende<br />

Altersbevölkerung bedarfsgerechte Dienstleistungen zu erbringen sowie Vertretungen aller<br />

Gruppierungen zu beteiligen?<br />

3) Welche Rahmenbedingungen benötigt es, damit ältere Migrantinnen als AkteurInnen an der<br />

Entwicklung und Umsetzung einer Altersarbeit und -politik im Sinne der politischen Vorgaben<br />

partizipieren können und wollen? Was für ein Modell ermöglicht das Einbringen der Angebote und<br />

der Forderungen nach Partizipation auf der kommunalpolitischen Seite sowie das Einbringen des<br />

eigenen Potenzials und der aktiven Beteiligung auf Seite der MigrantInnen?<br />

Das Modell „<strong>MIGRALTO</strong>“<br />

Das Hauptziele der Forschungsarbeit ist die Entwicklung eines Modells, das auf verschiedenen<br />

Kriterien beruht, die bspw. von der EKM (Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen) für die<br />

Durchführung von Migrationsprojekten gefordert werden (vgl. Anhang A):<br />

- Innovation mit substantiellem Gewinn für die <strong>Integration</strong><br />

- Übertrag- und Kommunizierbarkeit<br />

- Langfristige Wirkung<br />

- Ergänzung, Öffnung von Regelstrukturen<br />

- Berücksichtigung der Zielgruppe MigrantInnen<br />

Das hier vorgestellte Modell orientiert sich an den<br />

oben genannten Kriterien. Aufgrund der<br />

Bedarfsanalyse wird sich möglicherweise<br />

Handlungsbedarf zeigen, aufgrund dessen das<br />

Modell angepasst oder erweitert werden muss.<br />

Die Hauptpfeiler im Modell sind:<br />

- Information<br />

- Kompetenzerweiterung<br />

- Partizipation<br />

Als sich gegenüber stehende Hauptakteure wurden<br />

staatliche Beteiligte (Gemeinde, Region, Staat, linke<br />

49<br />

Gemeinde / Region / Staat<br />

Gemeinde / Region / Staat<br />

Information / /<br />

Kommunikation<br />

Kompetenzerweiterung<br />

Partizipation<br />

Abbildung 2: Basismodell <strong>MIGRALTO</strong> -<br />

Partizipation der älteren MigrantInnen<br />

blaue Säule) sowie die entsprechende Ziel- resp. Bevölkerungsgruppe (konkret für die<br />

Forschungsarbeit die ältere italienische MigrantInnengruppe, rechte blaue Säule) definiert.<br />

Zielgruppe / Bevölkerung<br />

Zielgruppe / Bevölkerung


Tabelle 2: Felder im Modell <strong>MIGRALTO</strong><br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Information Soll Partizipation funktionieren, muss Information und Kommunikation<br />

zwingend als Zweiweg-Strategie angelegt sein. Das gegenseitige Wissen<br />

über Erwartungen, Bedürfnisse und Ziele ist Basis für bedarfsgerechte<br />

Massnahmen und Aktivitäten.<br />

Kompetenzerweiterung Als Kompetenzerweiterung ist hier gemeint: Vermitteln von Wissen und<br />

Fähigkeiten, Fördern von Fähigkeiten, Einbringen und Fördern von<br />

Ressourcen. Im Weiteren werden darunter auch der Austausch und die<br />

Diskussion zu gegenseitigen Vorstellungen und Erfahrungen im Bereich<br />

Menschen- und Grundrechte oder demokratische Prinzipien verstanden.<br />

Auch hier gilt die Maxime der Zweiweg-Strategie im Sinne von Reziprozität.<br />

Was können/müssen ältere MigrantInnen aus Sicht der Gemeinde lernen?<br />

Was können/sollten die Gemeinden von den älteren MigrantInnen lernen?<br />

Partizipation Partizipation umfasst die oben definierten Stufen: Information – Mitwirkung<br />

(i.S. von Mitsprache) – Mitentscheid – Selbstverwaltung. Das Modell baut<br />

auch in Bezug auf diese vier Stufen auf der Reziprozität auf. Notwendige<br />

Rahmenbedingungen für den angestrebten gegenseitigen<br />

Partizipationsprozess werden definiert und in der Umsetzung auf ihre<br />

Tauglichkeit hin überprüft. (Willener, 2007)<br />

Gemeinde / Region Die AkteurInnen aus Behörden und Institutionen sind im Modell als aktive<br />

Beteiligte integriert. Sie müssen Klarheit schaffen in Bezug auf:<br />

- Forderungen / Anforderungen an die älteren MigrantInnen<br />

- Erwartungen an diese<br />

- die eigene Rolle im Prozess und Projekt <strong>MIGRALTO</strong><br />

Zielgruppe / Bevölkerung Die älteren MigrantInnen müssen umgekehrt definieren:<br />

- welche Bedürfnisse sie haben<br />

- welche Erwartungen sie haben<br />

- welche Zielsetzungen in Bezug auf Partizipation sie haben<br />

- welche Bereitschaft und Ressourcen sie mit- resp. einbringen.<br />

4.2 Methodenwahl und Instrumente (V. Abati und H. Hungerbühler)<br />

In Kapitel 4.1 wird aufgezeigt, dass es in der Forschungsarbeit verschiedene AkteurInnen einzube-<br />

ziehen gilt, nämlich einerseits die staatlichen Institutionen und andererseits die exemplarische<br />

MigrantInnengruppe der älteren ItalienerInnen. Dazu werden folgende Erhebungsmethoden mit einem<br />

thematisch unterschiedlichen Fokus (siehe Fragen in Punkt 1 bis 3) genutzt:<br />

1. Schriftliche Befragung bei den Altersbeauftragten und den <strong>Integration</strong>sdelegierten: Wurde bereits<br />

etwas zum Thema Alter und Migration gemacht? Wenn ja, welche Aktivitäten? Was war<br />

erfolgreich? Was nicht? Zusätzlich zur schriftlichen Befragung sind stichprobenweise Telefonge-<br />

spräche geplant, um bestimmte Aspekte aus den quantitativen Ergebnissen qualitativ zu<br />

vertiefen.<br />

50


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

2. Fokusgruppen: Einmal mit VertreterInnen aus staatlichen Institutionen und einmal mit<br />

VertreterInnen aus italienischen Migrantenorganisationen: Wie gelingt aus der jeweiligen Sicht<br />

Partizipation von (älteren MigrantInnen)? Welche Strukturen und Gefässe gibt es, resp. benötigt<br />

es? Welche Erfahrungen haben sie mit Beispielen der Good Practice? Wie können Partizipations-<br />

prozesse gelingen? Welche Rahmenbedingungen sind notwendig? Welche, Forderungen und<br />

Erwartungen bestehen gegenseitig?<br />

3. Einzelinterviews mit italienischen MigrantInnen: Welche Bedürfnisse und Ressourcen haben sie<br />

für das Leben nach der Pensionierung, insbesondere welche Bedürfnisse nach Mitsprache und<br />

Mitgestaltung im Sinne einer aktiven Bürgerschaft und nach den Prinzipien einer Betroffenen-<br />

und Territorialdemokratie? Welche Formen/Varianten der Partizipation erachten sie als<br />

bedarfsgerecht?<br />

4.2.1 Die Instrumente der Datenerhebung (V. Abati)<br />

Nachfolgend werden die eingesetzten Instrumente kurz erläutert:<br />

� Schriftliche Befragung mittels Fragebogen (quantitative Erhebung)<br />

Bei verschiedenen staatlichen AkteurInnen kommen klassische schriftliche Fragebogen zur<br />

Anwendung, welche eine quantitative Auswertung spezifischer Inhalte ermöglichen (Diekmann,<br />

2008).<br />

� Halbstrukturierte Interviews (quantitative und qualitative Erhebung)<br />

Halbstrukturierte Interviews finden in dieser Forschungsarbeit bei den Akteuren auf Seite der<br />

MigrantInnen Anwendung. Es wird ein Fragebogen kreiert, welcher einerseits geschlossene<br />

Fragen beinhaltet, um von den Befragten standardisierte (Auswahl vorgegebener Ant-<br />

wortmöglichkeiten, quantitativer Ansatz, Diekmann, 2008) Antworten zu erhalten. Andererseits<br />

beinhaltet er halboffene Fragen, welche den Befragten den Freiraum eigener Antworten ermöglicht<br />

(qualitativer Ansatz, Mayring, 2002).<br />

� Fokusgruppe<br />

Eine Fokusgruppe ist eine moderierte Gruppendiskussion von 6-10 Personen, die ein im Voraus<br />

festgelegtes Thema zielgerichtet bearbeitet. Die Diskussion dauert in der Regel 1-2 Stunden. In der<br />

Gesundheitsförderung und Prävention werden Fokusgruppen realisiert, um Rückmeldungen zu<br />

allen Phasen der Planung und Durchführung eines Projekts von Personen aus der Zielgruppe zu<br />

erhalten (Dürrenberger und Behringer, 1999).<br />

Die Stärke der Fokusgruppe ist, dass sich ein Projekt in relativ kurzer Zeit über die Sicht der<br />

Zielgruppe auf ein Problem oder eine (geplante) Intervention informieren und dabei auch Einblicke<br />

in die Lebenswelt der Zielgruppe gewinnen kann. Die Fokusgruppe ist eine Methode aus der<br />

Marktforschung, die international auch im Gesundheits- und Sozialwesen breite Anwendung findet.<br />

51


Überblick über die Arbeitsschritte<br />

1. Festlegen eines Themas für die Diskussion<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

2. Entwicklung eines Leitfadens für die Diskussion<br />

3. Organisation eines Ortes<br />

4. Zusammensetzung der Gruppe festlegen<br />

5. Personen aus der Zielgruppe für die Teilnahme an der Fokusgruppe gewinnen<br />

6. Durchführung der Diskussion (Moderation und Festhalten der Ergebnisse)<br />

7. Auswertung der Ergebnisse<br />

52


4.3 Untersuchungsplan (V. Abati)<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Im Überblick sieht der Untersuchungsplan für die Datenerhebung wie folgt aus:<br />

Alle Instrumente werden in Anlehnung<br />

an das Arbeitsmodell erarbeitet. Die<br />

Datenerhebung orientiert sich dabei<br />

an den Pfeilern Information –<br />

Kommunikation – Kompetenz-<br />

erweiterung - Partizipation<br />

Gemeinde / Region / Staat<br />

Gemeinde / Region / Staat<br />

Information / /<br />

Kommunikation<br />

Kompetenzerweiterung<br />

Partizipation<br />

Zielgruppe / Bevölkerung<br />

Zielgruppe / Bevölkerung<br />

Tabelle 3: Untersuchungsplan<br />

Akteure Instrument Stichprobe<br />

Staatliche Akteure<br />

Altersbeauftragte schriftlicher Fragebogen alle dem Netzwerk der Altersbeauftragten der Gemeinden<br />

angehörenden Altersbeauftragten<br />

(64 Mitglieder)<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierte, inkl.<br />

Fachstellen<br />

ExpertInnengruppe „Alter<br />

und Migration“ Stadt u.<br />

Kanton Bern<br />

Akteure auf Migrantenseite<br />

Migrantinnen und Migranten<br />

(62/65 Jahre+)<br />

schriftlicher Fragebogen alle dem Netzwerk der <strong>Integration</strong>sdelegierten der<br />

Gemeinden u. Kantone angehörenden<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten<br />

(65 Mitglieder)<br />

Fokusgruppe Gruppenzusammensetzung aus Gemeinde- oder<br />

InstitutionsvertreterInnen (8 bis 12 TN)<br />

Einzel-Interviews anhand<br />

halbstrukturierter Interview-<br />

Fragebogen (kombinierter<br />

quantitativer und qualitativer<br />

Ansatz)<br />

53<br />

geplant sind 20 oder mehr Einzelinterviews mit<br />

MigrantInnen italienischer Herkunft<br />

MigrantInnen-Organisationen Fokusgruppe Gruppenzusammensetzung aus Mitgliedern folgender<br />

Bereiche (8 bis 12 TN):<br />

- Kirche / Religion<br />

- Bildungsinstitutionen<br />

- Vereine / Vereinigungen<br />

- Gewerkschaften<br />

- weitere


4.4 Durchführung der Datenerhebung (V. Abati)<br />

Vor der konkreten Erarbeitung und Planung der einzelnen Instrumente wurde von den Autorinnen<br />

entschieden, einige Hauptbegriffe für die Fragekomplexe zu definieren, um einerseits eine klare<br />

Beschränkung des Fragegegenstandes zu erreichen und um andererseits eine grössere<br />

Vergleichbarkeit der Daten zwischen den verschiedenen befragten Gruppen zu erzielen.<br />

Ausgehend von den Forschungsfragen in Kapitel 3.1 und ausgehend von den verschiedenen<br />

Perspektiven, welche für die Datenerhebung definiert wurden, wurden induktiv verschiedene<br />

Themenbereiche abgeleitet. In den folgenden Quadranten sind diese Bereiche ersichtlich und den<br />

verschiedenen Befragungsgruppen (Perspektiven) zugeordnet. In der Folge werden diese<br />

Themenbereiche ‚Hauptbegriffe„ genannt.<br />

Tabelle 4: Definition Hauptbegriffe<br />

VertreterInnen aus Migrantenorganisationen<br />

- <strong>Integration</strong>sleistung<br />

- Gefässe und Strukturen<br />

- Bedingungen<br />

- Erwartungen und Forderungen<br />

- Wie erleben sie die Behörden bez. Partizipation<br />

- Bedürfnisse / Bedarf<br />

- Was wünschen sie sich bez. <strong>Integration</strong> und<br />

Partizipation<br />

- Ressourcen (personelle und institutionelle)<br />

- Formen und Varianten, Mittel für Partizipation<br />

ExpertInnengruppe<br />

- <strong>Integration</strong>sbestrebungen<br />

- Gefässe und Strukturen<br />

- Erwartungen / Forderungen<br />

- Bedarf<br />

- Ressourcen<br />

- Bedingungen<br />

- Formen und Varianten, Mittel für Partizipation<br />

Perspektive der MigrantInnen<br />

54<br />

Einzelinterviews ältere MigrantInnen<br />

- bisherige Partizipation / Partizipationserfahrung<br />

- Verständnis von Partizipation<br />

- Erwartungen<br />

- Ressourcen (personelle)<br />

- Bedarf<br />

- Bedingungen für Parizipation<br />

- Gefässe und Strukturen<br />

Perspektive der staatlichen VertreterInnen<br />

<strong>Integration</strong>s- und Altersbeauftragte / Gemeinden<br />

- Was wurde bisher bez. Partizipation in der<br />

Gemeinde gemacht?<br />

- Was war erfolgreich, was nicht?<br />

- Strukturen / Gefässe<br />

- Ressourcen<br />

- Bedarf<br />

- Erwartungen / Forderungen<br />

- Bedingungen<br />

Aus diesem Raster ergeben sich folgende Hauptbegriffe, die auch für die Zuordnung der Antworten für<br />

die Datenauswertung Anwendung finden werden:<br />

- Bedürfnisse / Bedarf / Wünsche<br />

- Erwartungen / Forderungen<br />

- Ressourcen<br />

- Bedingungen<br />

- Strukturen / Gefässe (inkl. Formen und Varianten, Mittel)<br />

- Hindernisse und Hürden


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Basierend auf der Definition dieser Hauptbegriffe wurden nun die einzelnen Instrumente<br />

ausgearbeitet. Dies betrifft im Konkreten die Fragekomplexe für die Fragebogen zur Onlinebefragung<br />

der <strong>Integration</strong>s- und Altersbeauftragten, jene für den Interviewleitfaden für die Interviews mit den<br />

älteren MigrantInnen sowie jene für die Diskussion in den beiden Fokusgruppen (VertreterInnen des<br />

Altersbereichs von Stadt und Kanton Bern und VertreterInnen aus MigrantInnenorganisationen der<br />

Stadt Bern).<br />

Im Folgenden werden Organisation und Durchführung der einzelnen Erhebungsschritte skizziert.<br />

4.4.1 Durchführung der schriftlichen Befragung der Altersbeauftragten und<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten (H. Hungerbühler)<br />

Um eine umfassende Übersicht zu erhalten, ob und wie Gemeinden und Kantone mit der in dieser<br />

Arbeit interessierenden Zielgruppe „ältere MigrantInnen“ konfrontiert sind, wurden kommunale und<br />

kantonale Fachpersonen, die mit der Förderung der <strong>Integration</strong> bzw. Partizipation von älteren<br />

Menschen und MigrantInnen beauftragt sind, schriftlich befragt. Im November 2010 erhielt die Autorin<br />

dieses Kapitels seitens der Schweizerischen Gesellschaft für Gerontologie (SGG) die Gelegenheit, an<br />

einem Treffen des schweizweiten Netzwerks der Altersbeauftragen das Projekt der Masterarbeit sowie<br />

die geplante Datenerhebung vorzustellen. Parallel dazu präsentierten die Autorinnen das Vorhaben<br />

auch im Nationalen Forum Alter und Migration (www.alter-migration.ch), in dem nebst anderen<br />

nationalen Akteuren auch die Konferenz der <strong>Integration</strong>sdelegierten (KID) vertreten ist. Beide Gremien<br />

begrüssten die Themenwahl der vorliegenden Masterarbeit, die sie als politisch und praktisch relevant<br />

einstuften, und sagten ihre ideelle Unterstützung für das Vorhaben zu. Die Adressen der im nationalen<br />

„Netzwerk der Altersbeauftragten“ organisierten Personen erhielten wir von der Geschäftsstelle der<br />

Schweizerischen Gesellschaft für Gerontologie (SGG), diejenigen der <strong>Integration</strong>sdelegierten und<br />

Fachstellen <strong>Integration</strong> vom Sekretariat der Schweizerischen Konferenz der kantonalen und<br />

kommunalen <strong>Integration</strong>sdelegierten (KID). Mit einem umfangreichen, mehrheitlich quantitativ<br />

angelegten und somit strukturierten Fragebogen (vgl. im Anhang F integriert), der jedoch auch die<br />

Möglichkeit zu inhaltlichen Kommentaren enthält, wurden insgesamt 129 Personen, darunter 64<br />

Altersbeauftragte und 65 <strong>Integration</strong>sdelegierte, schriftlich befragt. Der Fragebogen wurde in die<br />

französische Sprache übersetzt, um auch die Beauftragten und Delegierten in der Romandie<br />

anzusprechen. Um die Befragung möglichst niederschwellig zu gestalten, wurde sie im online-<br />

Befragungsinstrument www.surveymonkey.com installiert. Dies erlaubte eine effiziente Erfassung der<br />

Daten, den Transfer ins SPSS-Statistikprogramm und eine entsprechend einfachere Auswertung der<br />

gewonnenen Antworten nach absoluten Häufigkeiten (Anzahl Antworten = N) und nach prozentualer<br />

Verteilung der Antworten (Diekmann, 2008).<br />

Übergeordnetes Ziel der elektronischen Befragung war die Erhebung der aktuellen Situation, der<br />

bisherigen Erfahrungen und Bemühungen sowie des geltend gemachten Bedarfs im Bereich der<br />

‚Partizipation älterer MigrantInnen auf kantonaler und kommunaler Ebene„. Da dieses Thema in der<br />

Schweiz noch kaum beforscht ist, wählten die Autorinnen ein exploratives Vorgehen.<br />

55


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Das hauptsächliche Ziel der Befragung ist somit die Erkundung des Themas und dessen<br />

Wahrnehmung seitens der befragten Fachpersonen.<br />

Die Erhebung richtete sich dabei an zwei Zielgruppen, die seitens des Staates (Kantone/Gemeinden)<br />

den politischen Auftrag haben, die <strong>Integration</strong>/Partizipation bestimmter Gruppen innerhalb der<br />

kantonalen/kommunalen Wohnbevölkerung zu fördern/stärken. Es sind dies:<br />

a. Die Altersbeauftragten der Gemeinden, deren Zielgruppe die älteren Menschen sind<br />

b. Die kantonalen und kommunalen <strong>Integration</strong>sdelegierten, deren Zielgruppe Migrantinnen und<br />

Migranten sind.<br />

Der Fragebogen (integriert im Anhang F) wurde gemäss Erkenntnisinteresse in vier thematische<br />

Blöcke aufgeteilt:<br />

I. Alterspolitik/-arbeit/<strong>Integration</strong>spolitik/-arbeit in der Gemeinde/im Kanton: Ältere MigrantInnen<br />

als Zielgruppe?<br />

II. Information/Kommunikation gegenüber der Zielgruppe ältere MigrantInnen?<br />

III. <strong>Integration</strong> im Sinne von Partizipation, d.h. ältere Migrantinnen „reden mit, entscheiden mit,<br />

gestalten mit“ (Erwartungen, Bedarf, Hürden, erfolgreiche Faktoren, Mittel,<br />

Rahmenbedingungen, Ressourcen, etc.)?<br />

IV. Diversitätsgerechte Alterspolitik/-arbeit u. altersgerechte <strong>Integration</strong>spolitik/-arbeit?<br />

Die beiden Gruppen „Altersbeauftragte der Gemeinden“ und „Kantonale/Kommunale<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierte“ wurden getrennt befragt, da sie in ihrer unterschiedlichen Funktion<br />

angesprochen werden sollten und daher der Wortlaut, nicht jedoch der Inhalt der Fragen, leicht<br />

angepasst werden musste (z.B. ‚Alterspolitik„ versus ‚<strong>Integration</strong>spolitik„, ‚Altersleitbilder„ versus<br />

‚<strong>Integration</strong>sleitbilder„ etc.: vgl. Anhang F). Um den Anhang F umfangmässig zu begrenzen, werden<br />

die beiden Fragebogen komprimiert in ein- und demselben Tabellenraster dargestellt und gleich mit<br />

den Antwortwerten ergänzt. Somit ist die Auswertung der Antworten beider Befragungsgruppen auch<br />

vergleichend möglich. Auch wenn ein Gruppenvergleich nicht unserem primären Erkenntnisinteresse<br />

entspricht, gehen wir davon aus, dass er Ergebnisse dazu liefern kann, wo das Thema „Partizipation<br />

der älteren Migrationsbevölkerung“ bei den beiden Befragungsgruppen als VertreterInnen ihrer<br />

Kantone und Gemeinden steht und wie es gehandhabt wird. Dadurch soll ein Einblick ermöglicht<br />

werden in die Erfahrungspraxis der Kantone und Gemeinden mit ihrer Alterspolitik/-arbeit bzw.<br />

<strong>Integration</strong>spolitik-/arbeit bezüglich der Zielgruppe „ältere Migrationsbevölkerung“ (= MigrantInnen ab<br />

Pensionierungsalter). Ebenfalls aus Gründen der Umfangbeschränkung des Anhangs wird darauf<br />

verzichtet, die in die französische Sprache übersetzten Fragebogen ebenfalls abzubilden. Sie können<br />

bei Bedarf separat eingesehen werden.<br />

56


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Wir haben uns dafür entschieden, mit vorgegebenen Antwortkategorien zu arbeiten. Diese wurden<br />

aufgrund einschlägiger Literatur (Soom Ammann & Salis Gross, 2011; Bisegger & Hungerbühler,<br />

2008) und Erfahrungen aus der Praxis (Hungerbühler, 2010) mit der genannten Zielgruppe gebildet.<br />

Ziel war es, ein Bild davon zu erhalten, wie die Befragten diese Kategorien in ihrem Aufgabenbereich<br />

und auf der Grundlage ihres Auftrags bewerten. Der Fragebogen (vgl. Anhang F) gibt zu jeder Frage<br />

mehrere Antwortkategorien vor, die mit Zustimmung „ja“, Ablehnung „nein“ oder im Falle der<br />

Unkenntnis mit „weiss nicht“ beantwortet werden müssen. Pro Antwortkategorie ist immer nur eine<br />

Antwort möglich. In der Regel ist bei jeder Frage auch eine unbestimmte Antwortkategorie „Andere“<br />

enthalten. Wenn diese angekreuzt wurde, gab es die Möglichkeit für einen Kommentar zur Frage<br />

„Wenn andere, welche?“. Im Weiteren konnten die Befragten ihre Bereitschaft zu einem zusätzlichen<br />

kurzen Telefoninterview erklären (vgl. Frage 42 im Erhebungsbogen im Anhang F sowie unter dem in<br />

diesem Kapitel folgenden Punkt „Methodik der telefonischen Nachfassung“).<br />

Am Ende des Fragebogens (vgl. Frage 48 im Anhang F) erhielten die Befragten schliesslich die<br />

Gelegenheit, einen inhaltlichen Kommentar anzufügen oder Erfahrungen zum Thema weiterzugeben.<br />

Der Fragebogen ist so aufgebaut, dass nicht für alle Fragen eine Antwort erzwungen wurde, sondern<br />

je nach Verneinung einer grundsätzlichen Frage die logischen Folgefragen übersprungen werden<br />

konnten.<br />

Ein Entwurf des Fragebogens wurde in einem Pretest mit drei Personen geprüft, davon mit zwei,<br />

welche zu den beiden Zielgruppen der Befragung, den Altersbeauftragten“ und den<br />

„<strong>Integration</strong>sdelegierten“, gehören. Die rückgemeldeten Kritikpunkte wurden in der Überarbeitung zur<br />

definitiven Version des Fragebogens berücksichtigt.<br />

Methodik der telefonischen Nachfassung<br />

Um die in der schriftlichen online-Befragung gewonnenen, hauptsächlich standardisierten Antworten<br />

mit der Generierung qualitativer Daten zu ergänzen und zu differenzieren, wurde im Erhebungsbogen<br />

(Frage 42, im Anhang F) die Bereitschaft der Antwortenden abgeklärt, sich bei Bedarf für ein<br />

zusätzliches Telefoninterview zur Verfügung zu stellen. Erfreulicherweise war rund die Hälfte (= Total<br />

42 Personen) zu einem Gespräch bereit. Um den Aufwand im vorgegebenen Rahmen dieser<br />

Masterarbeit in Grenzen zu halten, haben wir uns für ein quantitativ beschränktes, stichprobeartiges<br />

Vorgehen mit insgesamt 16 Telefoninterviews von durchschnittlich 15 Minuten entschieden.<br />

Die Auswahl der GesprächspartnerInnen wurde nach folgenden Kriterien getroffen:<br />

1. Paritätische Vertretung aus beiden Befragungsgruppen (Altersbeauftragte und<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierte)<br />

2. Sowohl kleine Landgemeinden als auch grosse Stadtgemeinden/-kantone<br />

3. Relativ viel Auseinandersetzung mit Thema / relativ wenig Auseinandersetzung mit Thema<br />

57


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

4. Im Fragebogen wurden spezifische Bemühungen/Projekte mit der Zielgruppe ältere<br />

MigrantInnen erwähnt (mögliche Hinweise für zu multiplizierende good practice)<br />

Den InterviewpartnerInnen stellten wir folgende drei offene und bewusst allgemein gehaltene Fragen.<br />

Wir wollten Ihnen viel Raum für eigene Ausführungen lassen, um qualitative Daten zu generieren.<br />

1. Was beobachten Sie zur Situation älterer MigrantInnen in Ihrer Gemeinde/Ihrem Kanton?<br />

2. Wie wird in Ihrer Gemeinde/Ihrem Kanton mit dieser Zielgruppe umgegangen?<br />

3. Was würden Sie wichtig finden bezüglich Partizipation der älteren MigrantInnen?<br />

Die Telefongespräche wurden nicht wortgetreu transkribiert, sondern während der Durchführung mit<br />

Notizen aufgezeichnet. Diese wurden gleich anschliessend nach den meist genannten Themen in<br />

groben Tendenzen zusammengefasst und dargestellt. Die so gewonnenen Daten dienen in der<br />

vorliegenden Arbeit als zusätzliche Informationen zu den Ergebnissen der schriftlichen Befragung (vgl.<br />

Kapitel 5.2.2).<br />

4.4.2 Durchführung der Fokusgruppe mit VertreterInnen von<br />

Altersinstitutionen und –organisationen von Stadt und Kanton Bern<br />

(H. Hungerbühler)<br />

Die der Durchführung der Fokusgruppen zugrunde liegende Methodik wurde bereits in Kapitel 4.2.1<br />

beschrieben und wird daher an dieser Stelle nicht mehr wiederholt. Die Fokusgruppendiskussionen<br />

mit den VertreterInnen von Altersinstitutionen und –organisationen von Stadt und Kanton Bern sowie<br />

mit den VertreterInnen der italienischen MigrantInnenorganisationen (vgl. Kapitel 4.4.4) wurden<br />

bezüglich Form und Ablauf gemeinsam besprochen und definiert.<br />

Wie bei der Fokusgruppe mit den italienischen MigrantInnenorganisationen war das Ziel der hier<br />

beschriebenen Fokusgruppe mit den Altersinstitutionen und –organisationen von Stadt und Kanton<br />

Bern, Themen der in Kapitel 4.4 definierten Hauptbegriffe zu konkretisieren und die Teilnehmenden<br />

mit den Ergebnisse aus der elektronischen Befragung der kommunalen Altersbeauftragten sowie der<br />

kantonalen und kommunalen <strong>Integration</strong>sdelegierten und –fachstellen einerseits sowie mit den<br />

Ergebnissen aus den 22 Interviews mit den älteren italienischen MigrantInnen und aus der<br />

Fokusgruppe mit den italienischen MigrantInnenorganisationen anderseits zu konfrontieren.<br />

Der Diskussionsleitfaden enthielt folgende fünf Fragebereiche (vgl. Anhang C):<br />

1. Was ist aus Sicht der ExpertInnen aus dem Altersbereich zu berücksichtigen, um ältere<br />

MigrantInnen erfolgreich zu erreichen und für die aktive Partizipation zu gewinnen? Mittel der<br />

Information/Kommunikation? (Gelingen diese? Was wäre aufgrund der bisherigen<br />

Erfahrungen zu optimieren?)<br />

58


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

2. Als ExpertInnen im Altersbereich haben Sie den Auftrag, die Partizipation der<br />

Altersbevölkerung, also auch der älteren Migrantinnen und Migranten zu fördern. Wo und wie<br />

(konkrete Beiträge) wünschen Sie sich die Partizipation von älteren MigrantInnen? Wo und<br />

wie ermöglicht Ihre Gemeinde/Institution/Organisation diese Partizipation<br />

(Rahmenbedingungen)?<br />

3. Was sind aus Sicht der ExpertInnen aus dem Altersbereich die Faktoren für eine erfolgreiche<br />

Partizipation der älteren MigrantInnen? Wie lassen sich diese in der Praxis umsetzen? Gibt es<br />

dazu good practice-Erfahrungen aus Bern? Worauf ist nicht gelingende Partizipation<br />

zurückzuführen? (Schranken/Hürden)<br />

4. Welche Faktoren gehören für Sie zu einer diversitätsgerechten Alterspolitik und –arbeit, die<br />

auch älteren MigrantInnen gerecht wird? (Strategie, Ziele, Strukturen, Mittel, etc.?) Können<br />

Sie aufgrund Ihrer Erfahrung good practice-Beispiele nennen?<br />

5. Wie denken Sie, kann konkret ein bidirektionales, wechselseitiges Partizipationsverständnis<br />

umgesetzt werden? Was muss hierzu seitens der Gemeinde und ihrer Institutionen und<br />

PartnerInnen (NGO, etc.) konkret geleistet werden und was ist seitens der<br />

Migrationsorganisationen, ihrer Kontaktpersonen sowie der älteren MigrantInnen im<br />

Allgemeinen beizutragen?<br />

Die Wahl des Veranstaltungsorts fiel auf einen geräumigen und zentral gelegenen Sitzungsraum der<br />

Bernischen Stadtbehörden.<br />

Die 11 zur Teilnahme an der Fokusgruppe eingeladenen Personen wurden nach den Kriterien<br />

„berufliche Funktion im Alters- und <strong>Integration</strong>sbereich bei einer Behörde von Stadt und Kanton Bern<br />

oder bei einer im Raum/Kanton Bern lokalisierten Altersinstitution/-organisation“ und „Vertretung<br />

beider Geschlechter“ ausgewählt. Sie rekrutierten sich hauptsächlich aus den Mitgliedern der die<br />

Stadt Bern beratende und vom Alters- und Versicherungsamt der Stadt Bern (AVA) geleiteten<br />

Arbeitsgruppe Alter und Migration. Ergänzend wurden noch weitere ExpertInnen aus dem Alters- und<br />

<strong>Integration</strong>sbereich eingeladen.<br />

2 Personen mussten sich wegen unvorhergesehener Terminkollision kurzfristig entschuldigen lassen.<br />

Die definitive Gruppenzusammensetzung von Total 9 Personen präsentierte sich wie folgt:<br />

- 7 Frauen, 2 Männer<br />

- Vertretene Institutionen/Organisationen: Rat für Seniorinnen und Senioren der Stadt Bern,<br />

Caritas Bern (Projekt Migration und Alter), Schweizerisches Rotes Kreuz des Kantons Bern<br />

(Projekt Gesundheitsförderung mit älteren MigrantInnen), Pro Senectute der Region Bern,<br />

Spitex Bern, Domicil Bern, Alters- und Versicherungsamt der Stadt Bern (AVA),<br />

Kompetenzzentrum <strong>Integration</strong> Stadt Bern, Fachstelle Sozialarbeit der Missione Cattolica<br />

Italiana Biel<br />

59


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Die Institutions- und OrganisationsvertreterInnen wurden in einem ersten Schritt telefonisch<br />

kontaktiert. Dabei wurde auf die Leiterin der städtischen Arbeitsgruppe Alter und Migration verwiesen,<br />

die uns die Adressen vermittelt hatte. Die angefragten ExpertInnen wurden kurz über Sinn und Zweck<br />

der geplanten Fokusgruppe informiert. Im Weiteren wurde ihnen das Ziel sowie der thematische und<br />

methodische Rahmen unserer Masterarbeit vorgestellt. Nach erfolgter Terminumfrage und<br />

-festlegung, wurden sämtliche Angefragte schriftlich eingeladen. Zudem erhielten sie eine kurze<br />

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse aus der elektronischen Befragung der kommunalen<br />

Altersbeauftragten/kommunalen und kantonalen <strong>Integration</strong>sdelegierten, damit sie sich bereits<br />

vorgängig zur Fokusgruppe damit vertraut machen konnten.<br />

Sämtliche Angefragten, die am 25. Mai 2011 verfügbar waren, sagten spontan und für unser<br />

Diskussionsthema motiviert ihre Teilnahme zu.<br />

Die Fokusgruppe wurde von der Autorin dieses Kapitels moderiert und nach dem zuvor definierten<br />

Ablauf durchgeführt. In einem ersten Schritt wurden die wichtigsten Aspekte der Masterarbeit<br />

vorgestellt, d.h. die Forschungsidee, die Zielsetzung, die Fragestellung sowie der methodische<br />

Untersuchungsplan. In einem zweiten Schritt wurde dann zu Ziel und Inhalt der Fokusgruppe<br />

übergeleitet, welche einen Teil des Untersuchungsplans bzw. der Datenerhebung bilden. Im dritten<br />

Schritt wurde mit der Diskussionsrunde gestartet. Den Teilnehmenden wurden die formalen Kriterien<br />

einer Fokusgruppe erklärt und sie wurden gebeten, sich an die damit verbundenen Regeln zu halten:<br />

- Unterzeichnung der Einverständniserklärung (vgl. Anhang B), dass die Diskussion auf<br />

Tonband aufgezeichnet und anschliessend transkribiert werden darf, unter Zusicherung der<br />

Autorinnen, dass die Daten anonymisiert und ausschliesslich für den Zweck der Masterarbeit<br />

verwendet werden (nach Abschluss der Studie: Löschen der Aufzeichnung).<br />

- Einigung auf die Definition von Partizipation, wie sie in der vorliegenden Arbeit verwendet wird<br />

(die Definition wurde allen Teilnehmenden schriftlich abgegeben und war während der ganzen<br />

Diskussionsdauer präsent).<br />

- Es spricht jeweils nur eine Person, um eine gute Qualität der Tonbandaufnahme für die<br />

Diskussionstranskription zu sichern.<br />

Mit den 9 Teilnehmenden wurden in der Folge fünf Fragebereiche, die aus den bereits durchgeführten<br />

Befragungen mit den GemeindevertreterInnen und den älteren MigrantInnen abgeleitet wurden,<br />

intensiv diskutiert. Zudem präsentierte die Moderatorin ihnen die Ergebnisse aus diesen Befragungen<br />

und bat sie um ihren Kommentar dazu (Anhang C).<br />

Zum Abschluss der Diskussionsrunde wurden die Teilnehmenden gebeten, im Sinne einer<br />

Zusammenfassung zu folgenden Bereichen ihre Massnahmenvorschläge auf Moderationskarten zu<br />

notieren: Partizipation(sprozess), Ressourcen/Potenziale/Kompetenzen, Erwartungen/Forderungen,<br />

Rahmenbedingungen/Strukturen.<br />

60


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Für die anschliessende Auswertung wurden die erhobenen Daten und Erkenntnisse aus der<br />

Diskussion folgendermassen erfasst:<br />

- Tonbandaufzeichnung der gesamten Diskussion, anschliessende wortgetreue Transkription<br />

- Verfassen eines Prozessprotokolls<br />

- Festhalten der Massnahmenvorschläge auf separaten Moderationskarten und anschliessende<br />

Transkription in ein zusammenfassendes Dokument<br />

- Bei der Textanalyse der transkribierten Fokusgruppendiskussion wurde ein induktives Vorgehen<br />

gewählt, das die Erarbeitung generalisierter Themenschwerpunkte ermöglicht, d.h. es wurde nach<br />

einer Häufung ähnlicher Aussagen gesucht, die einen übergeordneten Konsens ergeben.<br />

Die Ergebnisse der Fokusgruppe werden im Kapitel 5.2.3 dargestellt.<br />

4.4.3 Durchführung der Einzelinterviews mit italienischen MigrantInnen (V. Abati)<br />

In einem ersten Schritt wurde der Fragebogen (Interviewleitfaden) entwickelt, der neben sozio-<br />

demografischen Daten auch die Erfassung verschiedener qualitativer und quantitativer Aussagen<br />

erlaubt. Ein Exemplar dieses Interviewleitfadens findet sich im Anhang G.<br />

Ziel war es, mindestens 20 Einzelinterviews mit älteren MigrantInnen der italienischen Community in<br />

Bern und Agglomeration zu führen. Die Auswahl der InterviewpartnerInnen erfolgte über eine<br />

Namensliste, welche von der FASA (Fachstelle Soziale Arbeit) der Kirchgemeinde St. Antonius in<br />

Bern zur Verfügung gestellt wurde. Bei der Auswahl der Stichprobe wurde darauf geachtet, dass<br />

sowohl männliche wie weibliche InterviewpartnerInnen in ähnlicher Anzahl und dass alle<br />

Altersgruppen von 65 bis 85 vertreten waren.<br />

Die Personen wurden telefonisch kontaktiert und nach einer kurzen Erklärung über Ziel und Zweck der<br />

Interviews wurde ein Termin für ein persönliches Gespräch ausgemacht. Alle kontaktierten Personen<br />

wurden jeweils gefragt, ob sie weitere Personen kennen würden, die Interesse hätten, diese Arbeit mit<br />

einem Gespräch zu unterstützen. Dadurch wurde der Kreis der möglichen InterviewpartnerInnen<br />

deutlich erweitert und führte zu einer grösseren Zufälligkeit innerhalb der Stichprobe.<br />

Nur wenige der kontaktierten Personen lehnten ein Interview ab. Der Umstand, dass bei der<br />

Kontaktaufnahme auf eine bekannte Person verwiesen werden konnte (entweder Herausgeber der<br />

Namensliste oder die Empfehlung von Bekannten, die ebenfalls mitgemacht hatten), führte dazu, dass<br />

die Angefragten sehr offen waren für das Anliegen und rasch Bereitschaft zeigten, ebenfalls<br />

mitzumachen.<br />

Im Zeitraum vom 21. Februar bis 20. April 2011 wurden insgesamt 22 Interviews durchgeführt; die<br />

meisten zu Hause bei den älteren MigrantInnen, einige an einem öffentlichen Ort (z.B. Casa d‟Italia in<br />

Bern). Die ersten beiden Interviews wurden im Sinne eines Pre-Test durchgeführt, um zu prüfen, ob<br />

die Fragen verständlich und beantwortbar waren, und um zu prüfen, ob ein Interview innerhalb der<br />

61


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

vorgesehenen Zeit von 40 bis 60 Minuten durchgeführt werden konnte. Alle Interviews wurden auf ein<br />

Diktiergerät aufgenommen und von da in ein elektronisches Dokument transkribiert. Vor der<br />

Durchführung der Interviews wurden alle Personen gebeten, eine Einverständniserklärung zu<br />

unterzeichnen (vgl. Anhang D), die auch einen Hinweis darauf enthielt, dass alle Daten ausschliesslich<br />

in anonymisierter Form verwendet würden.<br />

Der halbstrukturierte Fragebogen enthielt einen separaten Block zu sozio-demografischen Angaben<br />

der Teilnehmenden. Der zweite Teil enthielt insgesamt 16 Fragen, davon waren mehrere Fragen<br />

quantitativ gestellt mit der zusätzlichen Möglichkeit, diese Fragen zu kommentieren. Die Auswertung<br />

erfolgt deshalb getrennt in zwei Schritten (siehe unten).<br />

Für die Auswertung wurde allen Interviews ein individueller Code zugewiesen. Dieser setzt sich wie<br />

folgt zusammen: I für Interview – 1 als fortlaufende Nummerierung / Anfangsbuchstabe des<br />

Nachnamens und Anfangsbuchstabe des Vornamens (Beispiel: I-1 / A.C.).<br />

Tabelle 5: Aufstellung der Interview-PartnerInnen<br />

Code Geb.Datum Alter Sex Datum Dauer Bemerkung<br />

Interview Min.<br />

I-1 08.10.1936 75 m 17.02.2011 48<br />

I-2 24.04.1931 80 m 17.02.2011 25 Grosse Mühe, inhaltlich zu folgen<br />

I-3 11.06.1938 73 m 21.02.2011 55<br />

I-4 27.01.1940 71 m 24.02.2011 45<br />

I-5 28.03.1944 67 m 25.02.2011 69<br />

I-6 17.09.1939 72 w 02.03.2011 45<br />

I-7 20.07.1938 73 w 03.03.2011 25<br />

I-8 03.01.1935 76 w 08.03.2011 31<br />

I-9 10.08.1924 87 w 08.03.2011 60<br />

I-10 11.07.1940 71 w 09.03.2011 42<br />

I-11 24.09.1945 66 m 09.03.2011 40<br />

I-12 30.03.1945 66 m 09.03.2011 44<br />

I-13 02.04.1940 71 m 11.03.2011 30<br />

I-14 29.03.1923 88 w 16.03.2011 61 Viele narrative Abweichungen<br />

I-15 25.12.1936 75 m 16.03.2011 32<br />

I-16 14.08.1932 69 m 16.03.2011 32<br />

I-17 16.03.1941 70 m 17.03.2011 35<br />

I-18 04.11.1940 71 m 17.03.2011 42<br />

I-19 20.03.1941 70 w 22.03.2011 27<br />

I-20 04.12.1930 81 m 24.03.2011 33<br />

I-21 14.09.1945 66 m 18.04.2011 35<br />

I-22 01.03.1942 69 w 26.04.2011 16 Pflegt behinderte Tochter, wenig aktiv<br />

Total 872 Durchschnitt pro Interview: 40 Minuten<br />

Aus zeitlichen und sprachlichen Gründen wurde die Transkription der Interviews einer italienisch-<br />

sprachigen Studentin übertragen. Sie wurde in diesen Arbeitsschritt eingeführt und übertrug die<br />

Interviews wortwörtlich vom Tonband in einen Dokumentenraster. So konnten die Daten original in der<br />

Auswertung weiterverarbeitet werden (siehe Kapitel 5.3.1).<br />

Alle handschriftlich ausgefüllten Fragenbogen (sozio-demografische und quantitative Fragen sowie<br />

Bemerkungen der Interviewerin) liegen vollständig vor, werden aber in dieser Arbeit nicht integriert.<br />

Alle Daten sind in aufgearbeiteter Form entweder im Kapitel 5 – Auswertung und Ergebniss oder im<br />

Anhang enthalten.<br />

62


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

4.4.4 Durchführung der Fokusgruppe mit VertreterInnen von italienischen<br />

Migrantenorganisationen (V. Abati)<br />

Wie in Kapitel 4.4.2 beschrieben, wurden die beiden Fokusgruppen (Schweizer VertreterInnen sowie<br />

VertreterInnen italienischer Migrantenorganisationen) in Form und Ablauf gemeinsam und gleich<br />

definiert. Wie bei der Fokusgruppe der Schweizer VertreterInnen war das Ziel der Fokusgruppe mit<br />

den italienischen Migrantenorganisationen, Themen der in Kapitel 4.4 definierten Hauptbegriffe zu<br />

konkretisieren und die Teilnehmenden mit Resultaten aus den Einzelinterviews und aus der Befragung<br />

der <strong>Integration</strong>s- und Altersbeauftragten zu konfrontieren.<br />

Die in der Fokusgruppe gestellten Fragen wurden dabei zuerst aus den vorliegenden Ergebnissen der<br />

Einzelinterviews sowie aus den Ergebnissen der schriftlichen Befragung der staatlichen VertreterInnen<br />

entwickelt.<br />

Der entwickelte Leitfaden enthielt definitiv die folgenden Fragen (vgl. Anhang E):<br />

1. Was gilt es aus Sicht der Mitglieder von Migrantenorganisationen zu berücksichtigen, wenn in<br />

Zukunft die Partizipation von älteren MigrantInnen erfolgreich sein soll? Welche Strukturen und<br />

Formen der Partizipation sind geeignet, um die älteren MigrantInnen zu erreichen?<br />

2. Welches sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Ressourcen älterer MigrantInnen und wie können<br />

diese konkret für Partizipation in der Wohngemeinde genutzt werden? Wie können die<br />

MigrantInnen gewonnen werden und was müssen die Gemeinden dabei beachten? Welche<br />

Erfahrungen im Sinne von Good practice haben Sie in der Vergangenheit gemacht?<br />

3. Wie stehen die Migrationsorganisationen zur Haltung der Gemeinden bezüglich Erwartungen/<br />

Forderungen an die MigrantInnen? Welche Erwartungen / Forderungen stellen die<br />

Migrationsorganisationen umgekehrt an die Gemeinden?<br />

4. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, dass die älteren MigrantInnen bereit sind, sich aktiv (i.S.<br />

von Partizipation) einzubringen? Mit welchen konkreten Mitteln können die Hürden genommen<br />

oder abgebaut werden?<br />

5. Welche Fragen, Anliegen und Vorschläge haben Sie an die VertreterInnen der städtischen Gruppe<br />

neben den diskutierten Aspekten?<br />

Bei der Wahl des Ausführungsortes war klar, dass dieser in den Strukturen der teilnehmenden Gruppe<br />

liegen musste. Es wurde deshalb ein Sitzungszimmer in der Casa d‟Italia, ein in Bern seit Jahrzenten<br />

bekanntes Restaurant und ein Treffpunkt der italienischen Bevölkerung, reserviert.<br />

Die Teilnehmenden wurden nach den Kriterien „Funktion in einer Migrantenorganisation“ und<br />

„Geschlechterverteilung“ ausgewählt. Dabei sollten Migrationsorganisationen verschiedener Bereiche<br />

vertreten sein: Kirche, Bildung, Gewerkschaften und weitere. Die definitive Zusammensetzung der<br />

Gruppe war folgende:<br />

63


- insgesamt 8 Teilnehmende<br />

- 2 Frauen, 6 Männer<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

- vertretene Organisationen: Comitato d‟intesa, FASA, Missione Cattolica Italiana, Patronato ITAL-UIL,<br />

Comitato Cittadino di Berna, S.I.P CGIL, Alter und Migration Köniz, Donne Italiane all‟Estero<br />

Die verschiedenen VertreterInnen wurden telefonisch kontaktiert. Dabei wurde stets auf eine Person<br />

Bezug genommen, die entweder die Liste mit verschiedenen FunktionsträgerInnen zur Verfügung<br />

gestellt hatte, oder auf eine Person, die bereits zugesagt hatte und eine weitere mögliche interessierte<br />

Person angab. Die angefragten Personen wurden kurz über die Idee und das Ziel der Fokusgruppe<br />

informiert und um Teilnahme gebeten. Alle Angefragten, die am 14. Mai verfügbar waren, sagten<br />

spontan und mit grosser Motivation für das Thema zu. Diejenigen, die eine Absage erteilten, waren<br />

am festgelegten Datum nicht verfügbar.<br />

Die Fokusgruppe wurde von der italienisch-sprachigen Autorin geleitet und nach dem zuvor definierten<br />

Ablauf durchgeführt. Das Treffen wurde mit einer ungezwungenen Kaffeerunde und einem ersten<br />

spontanen Austausch zwischen den Teilnehmenden gestartet. Nach dem offiziellen Start wurde ein<br />

kurzer Überblick über die Masterarbeit, die Forschungsidee, die Zielsetzung, die Fragestellungen und<br />

über den Untersuchungsplan gegeben. Beim letzten Punkt wurde die Überleitung zur Fokusgruppe<br />

gemacht, die ein Schritt des Untersuchungsplanes, respektive der Datenerhebung darstellt.<br />

Anschliessend wurde mit der Diskussionsrunde gestartet. Analog zur deutsch-sprachigen Gruppe<br />

wurden die Teilnehmenden zu Beginn gebeten eine Einverständniserklärung zu unterzeichnen<br />

(Anhang D).<br />

Am Ende der Diskussionsrunde wurden die Teilnehmenden gebeten, im Sinne einer<br />

Zusammenfassung zu folgenden Bereichen kurz ihre Massnahmenvorschläge auf separate Karten zu<br />

notieren: Partizipation(sprozess) / Ressourcen, Potenziale / Erwartungen, Forderungen /<br />

Bedingungen, Strukturen.<br />

Für die anschliessende Auswertung wurden die erhobenen Daten und Erkenntnisse während der<br />

Diskussion wie folgt erfasst:<br />

- Tonbandaufnahme der gesamten Diskussion, anschliessende wörtliche Transkription<br />

- Führen eines Prozessprotokolls<br />

- Festhalten der Massnahmenvorschläge auf separate Moderationskarten und anschliessende<br />

Transkription in ein zusammenfassendes Dokument<br />

Die Resultate der Fokusgruppe sind in Kapitel 5.3.2 dargestellt.<br />

64


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

5. Auswertung und Ergebnisse (H. Hungerbühler und V. Abati)<br />

5.1 Einleitung<br />

In diesem Kapitel werden die Ergebnisse aus den verschiedenen Erhebungsteilen bei den<br />

GemeindevertreterInnen zum einen (Kapitel 5.2) und bei den älteren MigrantInnen und ihren<br />

Organisationen zum andern (Kapitel 5.3) zusammengetragen. In Kapitel 5.4. sollen die Ergebnisse<br />

aus beiden Perspektiven - seitens der GemeindevertreterInnen und seitens der MigrantInnen -<br />

miteinander kontrastiert werden, um danach für Kapitel 6 Schlussfolgerungen für das zu entwickelnde<br />

Modell <strong>MIGRALTO</strong> zu ziehen.<br />

5.2 Ergebnisse aus der Befragung der GemeindevertreterInnen<br />

(H. Hungerbühler)<br />

In diesem Kapitel wird ein Überblick über die Ergebnisse der elektronischen Befragung der<br />

Altersbeauftragten und <strong>Integration</strong>sdelegierten sowie deren Interpretation (Kapitel 5.2.1), über die<br />

Ergebnisse der telefonischen Nachbefragung (Kapitel 5.2.2) sowie über die Ergebnisse der<br />

Fokusgruppe mit den Altersinstitutionen und –organisationen von Stadt und Kanton Bern und deren<br />

Interpretation (Kapitel 5.2.3) gegeben.<br />

5.2.1 Ergebnisse der elektronischen Befragung<br />

Die Analyse der Befragungsergebnisse ist unter Berücksichtigung folgender Aspekte zu lesen:<br />

Von den insgesamt 129 angeschriebenen Fachpersonen (64 Altersbeauftragte und 65<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierte) antworteten Total 81 - davon 39 Altersbeauftragte (61,9%) und 42<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierte (64,6%). Der gesamte Rücklauf kann mit insgesamt 62,8 Prozent als erfreulich<br />

bezeichnet werden. Einschränkend ist jedoch festhalten, dass die Anzahl der Antworten (=N) bei<br />

einigen Fragen klein ist. Den Bemerkungen bei den qualitativen Antwortkategorien ist zu entnehmen,<br />

dass nicht wenige der Befragten (insbesondere bei den Altersbeauftragten) noch über keine oder erst<br />

geringe Erfahrung mit der Zielgruppe ‚ältere Migrationsbevölkerung„ verfügen. Bei den<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten wiederum lassen die Antworten darauf schliessen, dass ältere MigrantInnen<br />

weniger eine spezifische und explizite Zielgruppe ihrer Tätigkeit sind. Vielmehr werden sie einfach als<br />

Teil ihrer gesamten Zielgruppe, der „Migrationsbevölkerung“, verstanden.<br />

Der Kürze halber werden in diesem Kapitel die befragten „Fachstellen <strong>Integration</strong>“ begrifflich nicht<br />

separat aufgeführt, sondern sind bei den „<strong>Integration</strong>sdelegierten“ immer mit enthalten.<br />

Die Zusammensetzung der Antwortenden umfasst ein breites Spektrum von Personen aus kleinen<br />

Landgemeinden bis zu grossen Städten und Stadtkantonen. Da den Befragten für die Darstellung der<br />

Auswertungsergebnisse Anonymität zugesichert wurde, sind im Folgenden keine Daten<br />

wiedergegeben, die eine Identifizierung der Aussagen nach Kanton, Gemeinde oder Fachperson<br />

erlauben, obwohl sowohl nach den Namen des Kantons/der Gemeinde als auch der antwortenden<br />

65


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Fachperson (inklusive Angaben zu Telefonnummer, Mailadresse und Erreichbarkeit) gefragt wurde<br />

und diese mit deutlicher Mehrheit auch bekannt gegeben wurden (Frage 1, 43, 44, 45, 46, 47 im<br />

Erhebungsbogen: vgl. Anhang F).<br />

Die Ergebnisse der Befragung wurden nach absoluten Häufigkeiten (Anzahl Antworten = N) und nach<br />

prozentualer Verteilung der Antworten ausgewertet – getrennt nach den beiden befragten<br />

Zielgruppen, „Altersbeauftragte“ und „<strong>Integration</strong>sdelegierte“. Dabei sind die Prozentangaben im<br />

folgenden Text gerundet und in ganzen Zahlen festgehalten. Zudem sind pro Frage und<br />

Befragungsgruppe in der Regel nur die zwei bis drei meist genannten Antworten wiedergegeben, um<br />

so die wichtigsten Tendenzen aufzuzeigen. Für eine detailliertere Einsicht verweisen wir auf die<br />

gesamte tabellarische Auswertung im Anhang F, in welcher die Zahlen – gemäss SPSS-<br />

Statistikprogramm - mit Kommagenauigkeit belassen wurden. Die im Folgenden erläuterten<br />

Ergebnisse sind in Unterkapiteln zusammengefasst, die einerseits den vier thematischen Bereichen<br />

(vgl. I. – IV.) unseres in Kapitel 4.4.1 dargestellten Erkenntnisinteressens zugeordnet werden können<br />

und anderseits der Nummerierung der Fragen im Erhebungsbogen entsprechen (I.2 – IV.41.11: vgl.<br />

Anhang F). Um den Umfang dieses Kapitels zu begrenzen, werden zur Illustration nur ausgewählte<br />

Ergebnisse als Balkendiagramme dargestellt. Sämtliche restliche Ergebnisse können in den Tabellen<br />

im Anhang eingesehen werden. Die Abkürzungen AB (= Altersbeauftragte) und ID (=<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierte) kennzeichnen in den Balkendiagrammen jeweils die beiden Gruppen der<br />

Antwortenden.<br />

Wurde bei den vorgegebenen Antwortkategorien „Andere“ angekreuzt, erhielten die Antwortenden die<br />

Möglichkeit, auf folgende Frage zu antworten: „Wenn andere, welche?“ Dort, wo Antworten auf diese<br />

Fragen vorliegen, sind sie im Anhang F dieser Arbeit - gleich im Anschluss an die tabellarische<br />

Darstellung der Befragungsauswertung - wortgetreu wiedergegeben. Dort finden sich ebenfalls die<br />

Kommentare zu Frage 48: „Haben Sie abschliessend noch einen inhaltlichen Kommentar anzufügen<br />

oder eine Erfahrung zum Thema weiter zu geben?“<br />

I. Ältere MigrantInnen als Zielgruppe der Alterspolitik/-arbeit und der <strong>Integration</strong>spolitik/-<br />

arbeit (Frage u. Auswertung im Anhang F: I.2 – I.6)<br />

Die Befragungsergebnisse bestätigen unsere Annahme, dass ältere MigrantInnen bisher mehrheitlich<br />

(noch) keine flächendeckende, explizite und prioritäre Zielgruppe sind, weder in der Alterspolitik/-<br />

arbeit, noch in der <strong>Integration</strong>spolitik/-arbeit.<br />

Interessant ist aber, dass ältere MigrantInnen noch eher eine Zielgruppe in der Alterspolitik/-arbeit<br />

sind als in der <strong>Integration</strong>spolitik/-arbeit: So sagen mit 49% immerhin beinahe die Hälfte der<br />

antwortenden Altersbeauftragten, dass ältere MigrantInnen in ihren Gemeinden eine Zielgruppe der<br />

Alterspolitik und –arbeit seien. Demgegenüber sehen nur 39% der antwortenden<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten ältere MigrantInnen als explizite Zielgruppe der kantonalen/kommunalen<br />

<strong>Integration</strong>spolitik/-arbeit und diese kommt gemäss 64% der Antwortenden auch nicht in den<br />

kantonalen/kommunalen <strong>Integration</strong>sleitbildern oder anderen Dokumenten der <strong>Integration</strong>spolitik und -<br />

66


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

arbeit vor. 90% der antwortenden Altersbeauftragten bestätigen, dass ihre Gemeinde über ein<br />

Altersleitbild verfügt und über die Hälfte gibt zudem an, dass ältere MigrantInnen in ihren<br />

Altersleitbildern oder anderen schriftlichen Dokumenten der Alterspolitik vorkommen. An der<br />

Konzipierung und Umsetzung der Altersstrategie seien ältere MigrantInnen jedoch mehrheitlich (mit<br />

83%) nicht mitbeteiligt. Dieser Befund trifft mit 69% ebenfalls für die Antworten der<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten zu.<br />

Interpretation: Ältere MigrantInnen sind mehrheitlich (noch) keine explizite Zielgruppe der<br />

Alters- und <strong>Integration</strong>sarbeit<br />

Das Ergebnis, dass die Zielgruppe ‚ältere MigrantInnen„ eher in der Alterspolitik und –arbeit präsent ist<br />

als in der <strong>Integration</strong>spolitik und –arbeit, wurde nicht erwartet. Es erstaunt umso mehr, als die<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten von ihren Kantonen/Gemeinden den politischen Auftrag haben, die<br />

<strong>Integration</strong>/Partizipation der auf ihrem Territorium wohnhaften MigrantInnen aller Alterskategorien zu<br />

fördern. Diese Tatsache wiederum lässt aber auch folgende Interpretation der Antworten der<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten zu: Gerade weil dieser Auftrag selbstverständlich ist, sind ältere MigrantInnen<br />

in den Vorgaben der <strong>Integration</strong>spolitik/-arbeit nicht als explizite eigene Zielgruppe vermerkt, sondern<br />

unter der übergeordneten Zielgruppe „kantonale/kommunale Migrationsbevölkerung“ subsummiert<br />

und geniessen daher keine altersklassenspezifische Aufmerksamkeit. Damit verbunden ist jedoch das<br />

Risiko, dass altersspezifische Situationen, Probleme, Bedürfnisse, aber auch Ressourcen dieser<br />

Gruppe (noch) nicht erhoben und daher auch nicht bekannt sind. 74% antworten denn auch, dass es<br />

für die <strong>Integration</strong>/Partizipation der älteren MigrantInnen in ihren Kantonen/Gemeinden keine<br />

(spezifischen) Zielvorgaben gebe.<br />

Auch wenn ältere MigrantInnen häufig als eigene explizite Zielgruppe in den Strategien, den<br />

Leitbildern sowie in einer entsprechenden Politik fehlen, ist die Sensibilität dafür vorhanden, dass<br />

diese Zielgruppe aufgrund der demografischen Entwicklung künftig in den Kantonen und Gemeinden<br />

an Relevanz gewinnen wird. Dafür spricht auch die Tatsache, dass rund die Hälfte der antwortenden<br />

Personen zu einem zusätzlichen Telefoninterview bereit war (vgl. Kapitel 5.2.2).<br />

Information/Kommunikation (Fragen u. Auswertung im Anhang F: II.1 - II.13 u. II.2 –II.14)<br />

Mit welchen Mitteln werden ältere MigrantInnen informativ/kommunikativ zu erreichen versucht? Zu<br />

dieser Frage antworten die beiden Befragungsgruppen mit denselben Prioritäten: Die mündliche<br />

Vermittlung der Information/Kommunikation über Kontaktpersonen aus den Migrationsgemeinschaften<br />

wird an erster Stelle genannt: Bei den Altersbeauftragten sind es 43% und bei den <strong>Integration</strong>s-<br />

delegierten sogar 76% der Antwortenden. An zweiter Stelle wird die Informationsverbreitung in<br />

Zusammenarbeit mit Migrationsorganisationen in den eigenen sozialen Netzwerken der älteren<br />

MigrantInnen angegeben: Bei den Altersbeauftragten mit 21% und bei den <strong>Integration</strong>sdelegierten mit<br />

46%. Interessant ist, dass nicht nur bei den <strong>Integration</strong>sdelegierten (mit 38%), sondern auch bei den<br />

Altersbeauftragten (mit 14%) die schriftliche (übersetzte) Information nicht an erster Stelle steht.<br />

Obwohl beide Befragungsgruppen mit ihren Antworten mehrheitlich die mündliche Information/<br />

Kommunikation als wichtiges Instrument bestätigen, scheint die Wahl dieses Mittels jedoch nicht<br />

67


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

einfach erfolgsversprechend zu sein. So gibt von den antwortenden Altersbeauftragten die Mehrheit<br />

an, dass die mündliche Vermittlung über Kontaktpersonen aus den Migrationsgemeinschaften (75%)<br />

bzw. in Zusammenarbeit mit Migrationsorganisationen (57%) nur teilweise gelinge. Bei den<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten teilen 64% bzw. 63% diese Meinung.<br />

Interpretation: Mündliche Information/Kommunikation in Zusammenarbeit mit MigrantInnen<br />

und ihren Organisationen ist zwingend<br />

Dass in erster Linie die „mündliche Vermittlung der Information/Kommunikation über Kontaktpersonen<br />

aus den Migrationsgemeinschaften“ sowie die „Informationsverbreitung in Zusammenarbeit mit<br />

Migrationsorganisationen in den eigenen sozialen Netzwerken der älteren Migrantinnen“ gewählt wird,<br />

um ältere MigrantInnen zu erreichen, zeigt, dass die Befragten vermutlich aus der Erfahrung gelernt<br />

haben, dass schriftliche Information/Kommunikation alleine keinen Erfolg verspricht. Dies belegen<br />

auch entsprechende Studien (Soom Ammann & Salis Gross, 2011; Bisegger & Hungerbühler, 2008).<br />

Zugleich scheint aber die Erreichbarkeit der Zielgruppe „Ältere MigrantInnen“, unabhängig von den<br />

gewählten Mitteln, grundsätzlich schwierig zu bleiben.<br />

II. <strong>Integration</strong> im Sinne von Partizipation (= ältere MigrantInnen reden mit, entscheiden mit,<br />

gestalten mit) (Frage u. Auswertung im Anhang F: III.16 - III.17.7)<br />

Auf die Frage, ob es aus ihrer Sicht in ihren Gemeinden/Kantonen explizite Ziele in Bezug auf die<br />

<strong>Integration</strong> der älteren Migrationsbevölkerung im Sinne von Partizipation gebe, antworteten die beiden<br />

Befragungsgruppen erstaunlich identisch: Die Altersbeauftragten verneinten dies mit 62% und die<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten gar noch deutlicher mit 66%. Das letztere Ergebnis kann wohl wiederum auf<br />

die Tatsache zurückgeführt werden, dass <strong>Integration</strong>sdelegierte einen politischen <strong>Integration</strong>sauftrag<br />

für die Gesamtheit der Migrationsbevölkerung haben und nicht explizit nach Altersgruppen<br />

differenzierte Ziele.<br />

Abbildung 3: Explizite Ziele in Bezug auf die <strong>Integration</strong> der älteren Migrationsbevölkerung im Sinne von Partizipation?<br />

Sowohl Altersbeauftragte als auch <strong>Integration</strong>sdelegierte wünschen sich die Partizipation älterer<br />

MigrantInnen auf kantonaler/kommunaler Ebene. Dabei sind die Werte bei den <strong>Integration</strong>sdelegierten<br />

insgesamt höher. Beide Befragungsgruppen messen den beiden Bereichen „Freiwilligenarbeit<br />

(Altersarbeit, Vereinsarbeit, Mitarbeit in interkulturellen und intergenerationellen Projekten)“ sowie<br />

„Gesundheit, Prävention, Gesundheitsförderung“ eine hohe Wünschbarkeit für die Partizipation der<br />

Zielgruppe zu: die Altersbeauftragten mit 63% bzw. mit 59% und die <strong>Integration</strong>sdelegierten mit 77%<br />

bzw. mit 74%. Letztere gewichten mit 77% aber auch den Bereich der „Politik (Mitarbeit in<br />

68


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Altersorganisationen, Quartierpolitik, Verkehrs- und Wohnbaupolitik, etc.)“ als für die Partizipation<br />

älterer MigrantInnen deutlich wünschenswert.<br />

Finanzielle Mittel zur Partizipationsförderung (Fragen u. Auswert. im Anhang F.: III.18 – III.19)<br />

Zur Frage, ob die Partizipation älterer MigrantInnen mit einem festen Budgetbeitrag gefördert werde,<br />

antworteten nur 9% der Altersbeauftragten mit „Ja“ gegenüber 78% mit “Nein“ und 13% mit „Weiss<br />

nicht“. Bei den <strong>Integration</strong>sdelegierten bejahten sogar nur 6% diese Frage, 91% verneinten sie und<br />

3% wussten darauf keine Antwort. Die Frage (III.19) nach der konkreten Höhe der vom Kanton/der<br />

Gemeinde zur Verfügung gestellten Mittel für die <strong>Integration</strong>s-/Partizipationsförderung älterer<br />

MigrantInnen wurde nur von drei Altersbeauftragten und einem <strong>Integration</strong>sdelegierten, der zudem auf<br />

die Angaben der Altersbeauftragten aus derselben Stadt verwies, beantwortet: zweimal Fr. 25„ 000<br />

und einmal „je nach Projekt“. Diese Ergebnisse zeigen, dass sowohl in der Alterspolitk/-arbeit als auch<br />

in der <strong>Integration</strong>spolitik/-arbeit wenige bis keine finanziellen Mittel zur Partizipationsförderung älterer<br />

MigrantInnen investiert werden. Eine Ausnahme bilden eine kleine sowie eine grosse städtische<br />

Gemeinde, die sich auch in ihrer Alterspolitik, in Strategie und Leitbild zu diesem Ziel bekennen und<br />

beide den gleichen Budgetposten von Fr. 25„ 000 ausweisen. Beim Ergebnis zur finanziellen<br />

Partizipationsförderung ist jedoch wiederum zu berücksichtigen, dass finanzielle Mittel - dort wo<br />

vorhanden - vermutlich für die gesamte Aufgabe der Umsetzung von Alterspolitik/-arbeit bzw.<br />

<strong>Integration</strong>spolitik/-arbeit, also zielgruppenunspezifisch für die Gesamtheit der Alters- und Migrations-<br />

bevölkerung in den Kantonen und Gemeinden eingesetzt werden. Hierfür stehen unseres Wissens mit<br />

teilweise beträchtlichen kantonalen und kommunalen Unterschieden kleinere bis grössere<br />

Budgetbeiträge zur Verfügung, da der Bund auf seiner Gesetzesgrundlage die <strong>Integration</strong>sförderung<br />

an die Kantone überträgt.<br />

Mittel/Methoden der Partizipationsförderung (Frage u. Auswert. im Anhang F.: III.20 – III.20.8)<br />

Hier zeigen sich Unterschiede zwischen den beiden Befragungsgruppen. Während die<br />

Altersbeauftragten mit 66% am meisten auf das zur Verfügung stellen von Infrastruktur<br />

(Räumlichkeiten, etc.) setzen, um Partizipation der älteren Migrationsbevölkerung zu fördern, legen<br />

die <strong>Integration</strong>sdelegierten ihr Hauptgewicht auf den Einsatz von MultiplikatorInnen mit eigenem<br />

Migrationshintergrund (60%). Hingegen scheint die <strong>Integration</strong> von älteren MigrantInnen in<br />

Regelstrukturen der Partizipation - wie z.B. in die wichtigsten Gremien für Altersfragen – mehrheitlich<br />

nicht gegeben zu sein. Die Altersbeauftragten verneinen eine Vertretung älterer MigrantInnen in ihren<br />

Gemeinden mit 83% und die <strong>Integration</strong>sdelegierten mit 57%. Befunde aus der Fachliteratur (Soom<br />

Ammann u. Salis Gross, 2011; Pro Senectute Schweiz, 2010, Bisegger u. Hungerbühler, 2008)<br />

belegen, dass ein aufsuchender, milieu- oder settingbezogener Ansatz, der die Zielgruppe in ihren<br />

eigenen lebensweltlichen Zusammenhängen zu erreichen sucht, eine wichtige Voraussetzung für<br />

gelingende Partizipation ist. Dieser Ansatz wird jedoch nach Einschätzung der beiden<br />

Befragungsgruppen in ihren Gemeinden/Kantonen nicht prioritär gewählt: Bei den Altersbeauftragten<br />

bejahen nur 21% den Einsatz dieser Methode, bei den <strong>Integration</strong>sdelegierten 37%.<br />

69


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Ermöglichung der Partizipation bei der Entwicklung von Angeboten/Dienstleistungen (Frage u.<br />

Auswertung im Anhang F: III.21 - III.21.7)<br />

Beide Befragungsgruppen sind der Ansicht, dass ihre Gemeinden/Kantone älteren MigrantInnen im<br />

Bereich der „Freiwilligenarbeit (Altersarbeit, Vereinsarbeit, Mitarbeit in interkulturellen und<br />

intergenerationellen Projekten)“ am häufigsten die Möglichkeit bieten, bei der Entwicklung von<br />

Angeboten/Dienstleistungen mitzuwirken. Bei den Altersbeauftragten bejahen dies 48% und bei den<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten 44%. Im Gegensatz dazu bejahen nur 28% der Altersbeauftragten, dass ihre<br />

Gemeinden älteren MigrantInnen die Partizipation im Bereich „Politik (Mitarbeit in<br />

Altersorganisationen, Quartierpolitik, Verkehrs- und Wohnbaupolitik, etc.)“ ermöglichen, bei den<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten sind es 37%.<br />

Abbildung 4: Ermöglichung der Mitwirkung älterer MigrantInnen bei der Entwicklung von Angeboten/Dienstleistungen?<br />

Bezüglich Partizipation der älteren MigrantInnen im Gemeinde- und Kantonskontext ist folgende<br />

Tendenz erkennbar: Die Beauftragten/Delegierten gehen davon aus, dass ältere MigrantInnen - wie<br />

alle anderen älteren Menschen in der Gemeinde/im Kanton - in den bestehenden Regelstrukturen<br />

partizipieren können. Sie sind als Zielgruppe mitgemeint und nicht ausgeschlossen. Es werden daher<br />

auch verhältnismässig wenig spezifische Bemühungen unternommen, um ihre Partizipation mit<br />

gezielten Mitteln (explizites Auffordern, gezielte Vertretung in Kommissionen/Arbeitsgruppen, etc.) zu<br />

erwirken.<br />

Gewünschte Beiträge älterer MigrantInnen ans politische und gesellschaftliche Leben in den<br />

Gemeinden/Kantonen (Frage u. Auswertung im Anhang F: III.22 – III.22.8)<br />

Beide Befragungsgruppen machen bei den konkreten Beiträgen, die ältere MigrantInnen ins politische<br />

und gesellschaftliche Leben ihrer Gemeinden/Kantone einbringen sollen, hohe Erwartungen geltend.<br />

Dies betrifft alle erfragten Bereiche von der Mitarbeit in Altersorganisationen, über kulturelle Beiträge<br />

(Kunst, Musik, Literatur, etc.) bis zu politischer Mitarbeit (Alterspolitik, Quartierpolitik, etc.), Mitarbeit in<br />

interkulturellen und intergenerationellen Projekten, Begleitung jüngerer Landsleute, Begleitung und<br />

70


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Entlastung anderer älterer Menschen sowie andere. Dieses Ergebnis verdeutlicht somit noch einmal,<br />

dass die politische und gesellschaftliche Teilhabe der Zielgruppe ältere Migrationsbevölkerung im<br />

kommunalen und kantonalen Kontext sowohl seitens der Altersbeauftragten als auch der<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten erwünscht ist. Diese Haltung steht jedoch im Gegensatz zur Einschätzung der<br />

Befragungsgruppen bezüglich der Ermöglichung dieser Partizipation seitens ihrer<br />

Gemeinden/Kantone. Übersetzt auf den Handlungsbedarf in den Gemeinden/Kantonen bedeutet das,<br />

dass diese vermehrt Bemühungen zur Partizipationsförderung der Zielgruppe ältere MigrantInnen<br />

anstreben müssten, damit ihre Erwartungen sich mehr mit den tatsächlichen Beiträgen der Zielgruppe<br />

decken.<br />

Abbildung 5: Gewünschte konkrete Beiträge älterer MigrantInnen ans politische und gesellschaftliche Leben am Wohnort?<br />

Einschätzung zum Gelingen der Partizipation der älteren Migrationsbevölkerung (Frage u.<br />

Auswertung im Anhang F: III.23 – III.23.3)<br />

Die Bilanz zum Gelingen der Partizipation der älteren Migrationsbevölkerung – verstanden als „diese<br />

Zielgruppe redet mit, entscheidet mit, gestaltet mit“ – ist negativ, d.h. nur gerade 7% der antwortenden<br />

Altersbeauftragten und 9% der <strong>Integration</strong>sdelegierten sind der Ansicht, die politische und<br />

gesellschaftliche Teilhabe der Zielgruppe gelinge. 35% der Altersbeauftragten und sogar 43% der<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten finden, dass die Partizipation „kaum oder gar nicht gelinge“. Am häufigsten<br />

antworteten die Befragten jedoch mit der Antwortkategorie „Ich weiss nicht, ob die Partizipation älterer<br />

MigrantInnen gelingt“, bei den Altersbeauftragten mit 59% und bei den <strong>Integration</strong>sdelegierten mit<br />

49%. Dies dürfte ein Indiz für den weitgehend fehlenden Kontakt mit der Zielgruppe sein bzw. dafür,<br />

dass diese bisher weder im Fokus der Alterspolitik/-arbeit, noch der <strong>Integration</strong>spolitik/-arbeit stand.<br />

71


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Abbildung 6: Gelingt die Partizipation älterer MigrantInnen in Ihrer Gemeinde/Ihrem Kanton?<br />

Faktoren für eine erfolgreiche Partizipation (Frage u. Auswertung im Anhang F: III.24 – III.24.9)<br />

Nur 3 Altersbeauftragte und 6 <strong>Integration</strong>sdelegierte sagten aus, dass die Partizipation älterer<br />

MigrantInnen gelinge. Diese gaben mit ihrer Bewertung von neun vorgegebenen Aussagen ihre<br />

Einschätzung zu Faktoren, auf die sie den Erfolg von Partizipation zurückführen:<br />

Zwei Altersbeauftragte führen die erfolgreiche Partizipation auf folgende Faktoren zurück:<br />

„Ältere MigrantInnen verfügen über eine gute Selbstorganisation/starke Netzwerke“<br />

„Ältere MigrantInnen werden in unserer Gemeinde aktiv und gezielt zur Partizipation<br />

aufgefordert“<br />

„Unsere Gemeinde arbeitet mit Migrationsorganisationen zusammen“<br />

„Unsere Gemeinde arbeitet mit Kontaktpersonen aus den Migrationsgemeinschaften<br />

zusammen“<br />

„Unsere Gemeinde ist bereit, sich auch auf die Partizipationsstrukturen und –formen älterer<br />

Migrantinnen einzulassen.“<br />

Alle sechs auf diese Frage antwortenden <strong>Integration</strong>sdelegierten priorisieren folgende zwei Aussagen:<br />

„Unsere Gemeinde arbeitet mit Migrationsorganisationen zusammen“<br />

„Unsere Gemeinde arbeitet mit Kontaktpersonen aus den Migrationsgemeinschaften<br />

zusammen“<br />

Drei <strong>Integration</strong>sdelegierte stimmen folgenden drei Aussagen zu:<br />

„Ältere MigrantInnen verfügen über eine gute Selbstorganisation/starke Netzwerke“<br />

72


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

„Unsere Gemeinde ist bereit, sich auch auf die Partizipationsstrukturen und –formen älterer<br />

MigrantInnen einzulassen“<br />

„anderen Faktoren für erfolgreiche Partizipation“<br />

Interessant ist, dass beide Befragungsgruppen die Erfahrung einer „guten Selbstorganisation bzw.<br />

starken Netzwerken der älteren MigrantInnen“ sowie die Einschätzung zur „Notwendigkeit, sich auch<br />

auf Partizipationsstrukturen und –formen der MigrantInnen einzulassen“ und mit<br />

„Migrationsorganisationen zusammenzuarbeiten“ teilen.<br />

Schranken für die Partizipation (Frage u. Auswertung im Anhang F: III.25 – III.25.13)<br />

Die fehlende oder geringe Partizipation führen die Befragungsgruppen (bei den Altersbeauftragten<br />

liegt mit 10 eine relativ kleine Zahl an Antworten vor) hauptsächlich auf folgende Schranken zurück:<br />

Die Altersbeauftragten machen an erster Stelle mit 70% die „<strong>Integration</strong> in eigene Netzwerke, welche<br />

eine darüber hinaus reichende Partizipation erübrigt“ dafür verantwortlich, an zweiter Stelle mit je 60%<br />

„Angebote sprechen ältere MigrantInnen zu wenig an“ sowie „Sprachliche Hürden“ und an dritter<br />

Stelle mit je 50% die „Fehlende Willkommenskultur“, „Fehlende spezifische<br />

Bemühungen/Massnahmen zur Erreichung der Zielgruppe“ sowie der „Fehlende Einbezug älterer<br />

MigrantInnen bei der Konzipierung und Umsetzung von Angeboten/Dienstleistungen“.<br />

Die <strong>Integration</strong>sdelegierten ihrerseits sehen die hauptsächlisten Schranken mit 85% bei den<br />

„sprachlichen Hürden“, gefolgt von 81% bei den „fehlenden spezifischen Bemühungen/Massnahmen<br />

zu Erreichung dieser Zielgruppe“ und von 69% beim „fehlenden Einbezug älterer MigrantInnen bei der<br />

Konzipierung und Umsetzung von Angeboten/Dienstleistungen“.<br />

Einig sind sich die beiden Befragungsgruppen somit, dass zwecks Förderung der Partizipation älterer<br />

MigrantInnen mehr spezifische Bemühungen/Massnahmen unternommen werden müssten und dass<br />

diese Zielgruppe in die Konzipierung und Umsetzung von Dienstleistungen/Angeboten einzubeziehen<br />

wäre.<br />

Massnahmen zum Abbau von Hürden (Frage u. Auswertung im Anhang F: III.26 – III.26.8)<br />

Beide Befragungsgruppen pflichten in hohem Masse den vorgeschlagenen Antwortkategorien für<br />

Massnahmen zum Abbau von Partizipationshürden zu. Interessant ist, dass die<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten den beiden Antwortkategorien „Offensive und angepasste Werbung zwecks<br />

Zielgruppenerreichung“ und „Übersetzungsleistungen zwecks Erleichterung der Partizipation“ mit je<br />

58% im Vergleich zu den andern Antwortkategorien deutlich weniger zustimmen. Dies könnte<br />

allenfalls darauf hindeuten, dass die Antwortenden vielleicht bereits die Erfahrung gemacht haben,<br />

dass diese beiden Massnahmen alleine - ohne Kombination mit anderen Mitteln - nur teilweise zum<br />

Erfolg führen.<br />

Ressourcen/Potenziale und Kompetenzen älterer MigrantInnen, die für ihre Partizipation besser<br />

eingesetzt und genutzt werden könnten (Frage u. Auswertung im Anhang F: III.27 – III.27.11)<br />

Bezüglich der Einschätzung von Ressourcen/Potenzialen und Kompetenzen der älteren<br />

Migrationsbevölkerung, die besser eingesetzt und genutzt werden könnten, teilen die beiden<br />

73


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Befragungsgruppen in ihrer Priorisierung der Antwortkategorien einen tendenziellen Konsens. Dass<br />

Mehrsprachigkeit (Erstsprache und mindestens eine Landessprache der Schweiz sowie gegebenen-<br />

falls noch weitere Sprache(n)) eine Ressource darstelle, bestätigen 74% der Altersbeauftragten und<br />

71% der <strong>Integration</strong>sdelegierten. Die sozialen Netzwerke (Gewerkschaften, Ausländermissionen,<br />

Migrantenvereine, etc.) der älteren Migrationsbevölkerung werden ebenfalls als eine wichtige<br />

Ressource eingestuft mit 82% der Altersbeauftragten und 77% der <strong>Integration</strong>sdelegierten. Ebenfalls<br />

viel Zustimmung erhält mit 70% der Altersbeauftragten und sogar 84% der <strong>Integration</strong>sdelegierten die<br />

Antwortkategorie „Erfahrungswissen (zu <strong>Integration</strong>sprozessen).“ Identisch bewertet wird das<br />

Potenzial des „Freiwilligenengagements“ mit je 74%. Die beiden Befragungsgruppen sind sich auch<br />

einig, dass „herkunftsgeprägte Konzepte/Ressourcen im Umgang mit Alter“ sowie die „eigene<br />

Migrationsbiographie“ wichtige Ressourcen sein können. Dies bestätigen mit je 74% die Altersbeauf-<br />

tragten und mit je 77% die <strong>Integration</strong>sdelegierten. Letztere bewerten „Offenheit für Neues und<br />

Ungewohntes“ und „Flexibilität/Anpassungsfähigkeit“ von älteren MigrantInnen mit 26% und 32% als<br />

weniger grosse Ressource verglichen mit den Altersbeauftragten mit je 56%. Es fällt auf, dass beide<br />

Befragungsgruppen „Organisationspotenzial und –erfahrung“ mit 41% (Altersbeauftragte) und mit 37%<br />

(<strong>Integration</strong>sdelegierte) weniger als Ressource/Kompetenz älterer MigrantInnen gewichten, obwohl sie<br />

an früherer Stelle mit 67% (Altersbeauftragte) und mit 50% (<strong>Integration</strong>sdelegierte) die „gute<br />

Selbstorganisation/die starken Netzwerke älterer MigrantInnen“ als einen Faktor für erfolgreiche<br />

Partizipation bezeichnet haben.<br />

Abbildung 7: Ressourcen/Potenziale/Kompetenzen, die sich für die Partizipation älterer MigrantInnen besser nutzen lassen?<br />

74


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Aspekte, die sich negativ auf Partizipation(schancen) auswirken (Frage u. Auswertung im<br />

Anhang F: III.28 – III.28.9)<br />

Gefragt nach den Aspekten, die sich auf die Partizipation(schancen) älterer MigrantInnen negativ<br />

auswirken, nannten beide Gruppen die zwei gleichen Aussagen am meisten: „Sprachliche<br />

Verständigungsschwierigkeiten“ und „Informationsdefizit bezüglich<br />

Partizipationsmöglichkeiten/Angebote im Alter“ mit 82% bzw. 70% (Altersbeauftragte) und mit 94%<br />

bzw. 81% (<strong>Integration</strong>sdelegierte). An dritter Stelle folgt bei den Altersbeauftragten mit 59% die<br />

„soziale Isolation“, während es bei den <strong>Integration</strong>sdelegierten mit 77% das „Dilemma bezüglich Wahl<br />

des Lebensortes nach der Pensionierung (Schweiz-Herkunftsland) ist. Letztere schätzen die „soziale<br />

Isolation“ und die „beeinträchtigte Gesundheit (physisch und/oder psychisch)“ mit je 74% an vierter<br />

Stelle gleichermassen als Aspekte ein, die sich negativ auf die Partizipation auswirken, während es<br />

bei den Altersbeauftragten mit je 56% das „geringe Bildungskapital“ sowie das „Dilemma bezüglich<br />

Wahl des Lebensortes nach der Pensionierung (Schweiz-Herkunftsland)“ sind. Letzteres wurde auch<br />

in der Fokusgruppe (Kapitel 5.2.3) festgestellt.<br />

Die am höchsten gewichteten Aspekte „Sprachliche Verständigungsschwierigkeiten“ sowie<br />

„Informationsdefizite bezüglich Partizipationsmöglichkeiten/Angebote im Alter“ entsprechen<br />

weitgehend den Befunden in der Literatur bzw. in anderen Erhebungen (vgl. z.B. Bisegger &<br />

Hungerbühler, 2008; Hungerbühler, 2010; Soom Amman & Salis Gross, 2011).<br />

Handlungsbedarf für die Partizipation älterer MigrantInnen nach Themenbereichen (Frage u.<br />

Auswertung im Anhang F: III.29 – III.29.7)<br />

Den höchsten Handlungsbedarf für die Partizipation älterer MigrantInnen sehen beide Gruppen bei<br />

der „Gesundheit, Prävention, Gesundheitsförderung“ mit 74% der Altersbeauftragten und 84% der<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten. Letztere werten jedoch die „Freiwilligenarbeit (Altersarbeit, Vereinsarbeit,<br />

Mitarbeit in interkulturellen und intergenerationellen Projekten)“ gleich hoch. Den zweithöchsten<br />

Handlungsbedarf sehen die Altersbeauftragten bei der „Bildung“ mit 63% und die<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten/Fachstellen bei der „Politik (Mitarbeit in Altersorganisationen, Quartierpolitik,<br />

Verkehrs- und Wohnbaupolitik, etc.)“ mit 74%. An dritter Stelle folgen sowohl bei den<br />

Altersbeauftragten mit 59% als auch bei den <strong>Integration</strong>sdelegierten/Fachstellen mit 68%<br />

„Bewegungsangebote“ (vgl. Ergebnisse der Fokusgruppe, Kapitel 5.2.3). Dies bestätigt wiederum<br />

Erfahrungen aus der Praxis z.B. der Pro Senectute, wonach ältere MigrantInnen wenig teilhaben an<br />

„Gesundheitsförderungs- und Präventionsangeboten“ sowie an „Bewegungsangeboten“, und hier aus<br />

Sicht der Gesundheitsbehörden sowie weiterer in der Gesundheitsförderung tätiger Akteure<br />

Handlungsbedarf besteht.<br />

Interpretation: Spannungsfeld zwischen fehlender/geringer und erwünschter Partizipation (=<br />

ältere MigrantInnen reden mit, entscheiden mit und gestalten mit)<br />

Kantone und Gemeinden verfügen mehrheitlich über keine expliziten Ziele bezüglich der <strong>Integration</strong><br />

im Sinne von Partizipation der älteren Migrationsbevölkerung. Die Partizipation dieser Zielgruppe wird<br />

- mit wenigen Ausnahmen - auch nicht speziell mit finanziellen Mitteln gefördert. Die<br />

<strong>Integration</strong>/Teilhabe von älteren MigrantInnen in den Regelstrukturen der Partizipation (Gremien für<br />

75


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Altersfragen, etc.) ist mehrheitlich nicht gegeben. Die deutliche Mehrheit der antwortenden Befragten<br />

gibt an, dass sie nicht wisse, ob die Partizipation älterer MigrantInnen gelinge oder aber, sie ist der<br />

Ansicht, dass diese kaum oder gar nicht gelinge. Im Gegensatz zu dieser Einschätzung wünschen<br />

sich die Antwortenden jedoch die Partizipation dieser Zielgruppe. Dabei werden primär folgende zwei<br />

thematische Bereiche der erwünschten Partizipation gewichtet: „Freiwilligenarbeit (Altersarbeit,<br />

Vereinsarbeit, Mitarbeit in interkulturellen und intergenerationellen Projekten)“ sowie „Gesundheit,<br />

Prävention, Gesundheitsförderung“. Diese Ergebnisse entsprechen einem allgemeinen gesellschafts-<br />

politischen Trend, ältere Menschen vermehrt für Freiwilligenarbeit zu engagieren, die damit auch nach<br />

ihrer Pensionierung in die Verantwortung genommen werden, ihren Beitrag ans Gemeinwohl der<br />

Bevölkerung zu leisten, einen immer wesentlicheren Teil von gesellschaftlich notwendiger Arbeit<br />

unentgeltlich abdecken und den Staat dadurch entlasten. In Deutschland wird diese Entwicklung der<br />

durch SeniorInnen geleisteten Freiwilligenarbeit mit dem Begriff des bürgerschaftlichen Engagements<br />

gefasst, das innerhalb der Gerontologie ein eigenes breites Forschungsgebiet bildet (vgl. z.B.<br />

Kricheldorff, 2008). Freiwilligenarbeit älterer Menschen erfüllt eine doppelte Funktion: sie kommt<br />

einem wachsenden gesellschaftlicher Bedarf entgegen und unterstützt die subjektive Sinnfindung<br />

älterer Menschen, insbesondere in deren nachberuflichen Lebensphase (vgl. dazu auch die<br />

Ergebnisse der Interviews mit den älteren italienischen MigrantInnen in Kapitel 5.3.1.). Die Betonung<br />

der Wichtigkeit des Freiwilligenengagements durch die Befragten deckt sich mit den wichtigsten<br />

Trends im öffentlichen und fachlichen Diskurs zur Partizipation älterer Menschen generell. So nimmt<br />

der gesellschaftliche Stellenwert der von pensionierten Personen geleisteten Freiwilligenarbeit im<br />

Rahmen der Diskussion um die demografische Entwicklung unserer Gesellschaften zu. Auf dem<br />

Konzept des „active ageing“ (WHO, 2002) aufbauend geht es immer mehr darum, auch nach der<br />

Pensionierung möglichst viele ältere Menschen aktiv im gesellschaftlichen Prozess zu halten, um so<br />

ihre Lebensqualität sowie ihre gesellschaftliche <strong>Integration</strong> zu erhöhen (vgl. Kapitel 2.6.1). Um auch in<br />

der nachberuflichen Phase einen für sie selbst und für die Gesellschaft sinnvollen sowie produktiven<br />

Beitrag zu leisten, müssen sie aber über die dazu nötige Gesundheit verfügen. Aus diesem Grund<br />

erhält auch das Bekenntnis zu einem aktiven Gesundheitsverständnis und die Bereitschaft zur<br />

Beteiligung an Präventions- und Gesundheitsförderungsprogrammen zwecks Stärkung der eigenen<br />

Gesundheitskompetenz für die ältere Bevölkerung immer mehr Bedeutung. Dieser Diskurs scheint<br />

nun bei den Altersbeauftragten und <strong>Integration</strong>sdelegierten auch in Bezug auf die ältere<br />

Migrationsbevölkerung aufgenommen zu werden.<br />

Generell haben die Befragten Erwartungen bezüglich Teilhabe in Form konkreter Beiträge älterer<br />

MigrantInnen an das politische und gesellschaftliche Leben auf kantonaler/kommunaler Ebene. Diese<br />

stehen im Gegensatz zu ihrer Einschätzung bezüglich der tatsächlichen Ermöglichung dieser<br />

Partizipation seitens der Kantone/Gemeinden. Die Bilanz der Einschätzung zum Gelingen der<br />

Partizipation älterer MigrantInnen ist seitens beider Befragungsgruppen deutlich negativ ausgefallen.<br />

Aufgrund der Ergebnisse der vorliegenden Umfrage können die Gründe dafür nicht mit Sicherheit<br />

identifiziert werden. Vermutlich spielen verschiedene Faktoren in Kombination miteinander eine Rolle:<br />

unter anderem machen die Altersbeauftragten die „<strong>Integration</strong> (der MigrantInnen) in eigene<br />

76


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Netzwerke, welche eine darüber hinaus reichende Partizipation erübrigt“ dafür verantwortlich. Zudem<br />

werden „Sprachliche Hürden“, „fehlende spezifische Bemühungen/Massnahmen zur Erreichung der<br />

Zielgruppe“ sowie der „fehlende Einbezug älterer MigrantInnen bei der Konzipierung und Umsetzung<br />

von Angeboten/Dienstleistungen“ als Erklärung herbeigezogen. Somit wird „beiden Seiten“ die<br />

Mitverantwortung für die negative Bilanz der Partizipation älterer MigrantInnen auf<br />

kantonaler/kommunaler Ebene zugewiesen.<br />

Sollten sich künftig Erwartungen und Realität besser decken, müsste den Kantonen/Gemeinden<br />

aufgezeigt werden, mit welchen Mitteln sie die Partizipation der Zielgruppe „ältere MigrantInnen“ in<br />

Form einer diversitätsgerechten Alterspolitik/-arbeit und einer altersgerechten <strong>Integration</strong>spolitik/-<br />

arbeit fördern können. Sie sollten einerseits methodische Beratung erhalten und anderseits konkrete<br />

Instrumente wie finanzielle, personelle und fachliche Ressourcen, um diese Zielgruppe sowohl bei der<br />

Konzipierung als dann auch bei der Umsetzung von Partizipationsstrukturen gezielt einzubeziehen.<br />

Auf der andern Seite müssten Kantone/Gemeinden wohl auch noch stärker die Bereitschaft für einen<br />

Perspektivenwechsel entwickeln, denn „Partizipation in eigenen Netzwerken und Strukturen der<br />

Migrantenorganisationen“ - so wie sie viele ältere MigrantInnen heute bereits praktizieren - ist ja sehr<br />

wohl auch Partizipation. Bidirektionale und wechselseitige Partizipationsprozesse würden somit auch<br />

erfordern, dass sich Altersbeauftragte und <strong>Integration</strong>sdelegierte (noch) gezielter darum bemühen, die<br />

Organisations- und Partizipationsstrukturen und –formen älterer MigrantInnen kennen zu lernen, um<br />

gemeinsame Bedürfnisse, aber auch Potenziale und Ressourcen zu erkunden. Hier besteht noch<br />

Handlungsbedarf, gibt doch ein nicht unwesentlicher Teil der Antwortenden an, nicht zu wissen, ob<br />

ältere MigrantInnen in eigenen Vereinen/Organisationen organisiert seien und diese auch nicht oder<br />

nur teilweise zu kennen – somit ein Indiz dafür, dass wenig Kontakt zur Zielgruppe vorhanden ist.<br />

Die Ausgangslage hierfür ist gemäss Befragungsergebnissen nicht schlecht, sieht doch die Mehrheit<br />

der antwortenden Altersbeauftragten in der wachsenden Vielfalt der Altersbevölkerung eher Chancen<br />

und Potenziale für eine neue Partizipationskultur und eine Bereicherung der Alterspolitik und –arbeit,<br />

als Überforderung, Probleme und Konflikte.<br />

Der Begriff „Partizipation“, wie er von den Autorinnen in dieser Arbeit definiert wird, wurde nur den<br />

Altersbeauftragten vorgelegt, weil er für die <strong>Integration</strong>sdelegierten/Fachstellen <strong>Integration</strong><br />

selbstverständlich ist. Dieser Definition stimmten die Altersbeauftragten hundertprozentig zu. Sie teilen<br />

somit das Verständnis von Partizipation als einem gegenseitigen Prozess, der zwischen den<br />

verschiedenen AkteurInnen ausgehandelt werden muss und auch Prozesse der gegenseitigen<br />

Befähigung und des Lernens voneinander beinhaltet.<br />

Diversitätsgerechte Alterspolitik und –arbeit / Altersgerechte <strong>Integration</strong>spolitik und -arbeit<br />

(Fragen u. Auswertung im Anhang F: IV.30 – IV.31.7)<br />

Die antwortenden Altersbeauftragten verneinen mit 67%, dass in ihrer Gemeinde bereits eine<br />

Alterspolitik und –arbeit praktiziert werde, die auch MigrantInnen gerecht wird. Ebenso verhält es sich<br />

bei den <strong>Integration</strong>sdelegierten, welche mit 58% verneinen, dass ihre Gemeinde/ihr Kanton bereits<br />

77


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

eine <strong>Integration</strong>spolitik praktiziere, die auch älteren MigrantInnen gerecht wird. Diese selbstkritische<br />

Einschätzung beider Befragungsgruppen bestätigen die Annahmen, die dieser Masterarbeit zugrunde<br />

liegen: die ältere Migrationsbevölkerung in der Schweiz ist eine Gruppe, die bisher weder im Fokus<br />

der Alters- noch der <strong>Integration</strong>spolitik und –arbeit steht und somit Gefahr läuft „zwischen Stuhl und<br />

Bank“ zu fallen.<br />

Abbildung 8: In Gemeinde/Kanton wird Alterspolitik/-arbeit bzw. <strong>Integration</strong>spolitik/-arbeit praktiziert, die auch MigrantInnen<br />

gerecht wird.<br />

Nur je 7 Altersbeauftragte und <strong>Integration</strong>sdelegierte geben an, dass ihre Gemeinde/ihr Kanton<br />

bereits über methodische und materielle Mittel verfüge, um die Alterspolitik und-arbeit bzw.<br />

<strong>Integration</strong>spolitik und –arbeit so zu gestalten, dass sie auch älteren MigrantInnen gerecht wird. Dies<br />

steht in positivem Gegensatz zum vorherigen Ergebnis. Es handelt sich bei diesen Antwortenden<br />

jedoch um dieselben Personen, die bereits bei der grundsätzlichen Frage, ob die Alters- und<br />

<strong>Integration</strong>spolitik in ihrer Gemeinde/ihrem Kanton älteren MigrantInnen gerecht werde, eine positive<br />

Bilanz gezogen haben. Die Altersbeauftragten nennen als die drei hauptsächlichen Mittel, die ihnen<br />

zur Verfügung stehen, „Personal“ (86%) „Strategie und Leitbild fordern diversitätsgerechte Alterspolitik<br />

und –arbeit“ (71%) und „Genügend Finanzen“ (71%). <strong>Integration</strong>sdelegierte machen Folgendes<br />

geltend: „Zusammenarbeit mit MultiplikatorInnen aus den Migrationsgemeinschaften“ (86%), gefolgt<br />

von der drei gleichwertig gewichteten „Strategie und Leitbild fordern altersgerechte <strong>Integration</strong>spolitik“,<br />

„Fachliches/methodische Know How“ und „Gute Vernetzung mit Migrantenorganisationen“ mit je 71%.<br />

Daraus lässt sich ableiten, dass zur „good practice“ einer diversitätsgerechten Alterspolitik/-arbeit und<br />

einer altersgerechten <strong>Integration</strong>spolitik/-arbeit entsprechende finanzielle, personelle und fachliche<br />

Mittel gehören sowie eine gute Vernetzung mit Migrationsorganisationen und eine enge<br />

Zusammenarbeit mit MultiplikatorInnen derselben.<br />

Vielfalt der Altersbevölkerung (Fragebogen i. A.: IV.32 – IV.33.5)<br />

Die Aussage „Die wachsende Vielfalt der Altersbevölkerung (darunter insbesondere die Diversität<br />

nach nationaler Herkunft) ist eine Chance für die Alterspolitik/-arbeit meiner Gemeinde“ wurde nur den<br />

Altersbeauftragten vorgelegt. 37% der Antwortenden stimmten dieser Aussage zu, 33% verneinten sie<br />

und 30% waren der Ansicht, dass sie das nicht beurteilen können. Von der wachsenden Vielfalt nach<br />

78


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

nationaler Herkunft erwarten die Altersbeauftragten mit folgender Gewichtung “kulturelle<br />

Bereicherung der Alterspolitik und -arbeit“ (74%), „verschiedene, neue Modelle/Projekte im<br />

Altersbereich“ (70%) und eine „vielseitigere, neue Partizipationskultur“ (52%). Nur 37% erwarten<br />

„mehr Probleme/Konflikte“ und 36% „vermehrte Überforderung für die Alterspolitik und –arbeit“.<br />

Vertretung älterer MigrantInnen in Gremien (Fragebogen i. A.: IV.34 – IV.39)<br />

51% der antwortenden Altersbeauftragten bestätigen, dass in ihrer Gemeinde ein Seniorenrat<br />

existiert, 48% verneinen dies. 14% geben an, dass ältere Migrantinnen darin vertreten seien, 57%<br />

verneinen dies und 29% wissen es nicht. Die Zahl der Antwortenden ist hier nur hälftig, da ja die<br />

Hälfte der Antwortenden in ihrer Gemeinde über keinen Seniorenrat verfügt.<br />

Die Tatsache, dass fast in der Hälfte der Gemeinden der antwortenden Altersbeauftragten kein<br />

Seniorenrat besteht, weist darauf hin, dass die Partizipation der älteren Wohnbevölkerung vielerorts<br />

nicht über ein gesondertes Gremium gewährleistet ist. Dort, wo ein Seniorenrat existiert, sind jedoch<br />

MigrantInnen mehrheitlich nicht darin vertreten.<br />

Die Frage, ob ältere MigrantInnen in ihrer Gemeinde/ihrem Kanton in eigenen<br />

Organisationen/Vereinen organisiert seien, wurde wieder beiden Befragungsgruppen gestellt.<br />

Während die Altersbeauftragten dies mit 41% bejahen, mit 26% verneinen und es zu 33% nicht<br />

wissen, stimmen bei den <strong>Integration</strong>sdelegierten 36% dieser Frage zu, 42% verneinen sie und 23%<br />

wissen es nicht. Dass ein nicht unwesentlicher Teil der Antwortenden nicht weiss, ob ältere<br />

MigrantInnen in eigenen Organisationen/Vereinen organisiert sind, ist ein weiterer Hinweis dafür, dass<br />

es sich bei ihnen nicht um eine Zielgruppe handelt, zu der ein näherer Kontakt besteht. Dies ist<br />

insbesondere in Bezug auf die <strong>Integration</strong>sdelegierten ein nicht zu erwartendes Ergebnis, sollten<br />

diese doch die Migrationsbevölkerung als Ganzes, also altersunabhängig, als Zielgruppe ihres<br />

<strong>Integration</strong>s- bzw. Partizipationsauftrags verstehen.<br />

Von 11 antwortenden Altersbeauftragten geben 36% an, „die Arbeit und Angebote dieser<br />

Organisationen/Vereine zu kennen“, 9% verneinen dies und 55% kennen die Arbeit und Angebote<br />

zum Teil. Von 10 antwortenden <strong>Integration</strong>sdelegierten geben 40% an, die Arbeit und Angebote der<br />

Organisationen/Vereine der MigrantInnen zu kennen und 60% kennen sie zum Teil.<br />

Ob ihre Gemeinde/ihr Kanton mit Organisationen/Vereinen von MigrantInnen zusammenarbeite,<br />

bestätigten 44% der Altersbeauftragten, 41% verneinen es und 15% wissen es nicht. Bei den<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten bestätigen dies 87%, 7% verneinen es und 7% wissen es nicht.<br />

Wiederum nur den Altersbeauftragten legten wir eine Definition von Partizipation zur Bewertung vor:<br />

„Partizipation verstehen wir als einen gegenseitigen Prozess, der zwischen den verschiedenen<br />

Akteuren ausgehandelt werden muss. Das beinhaltet auch Prozesse der gegenseitigen Befähigung<br />

und des Lernens voneinander.“ Alle 27 antwortenden Altersbeauftragten stimmten dieser Definition<br />

zu.<br />

79


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Rahmenbedingungen erfolgreicher Partizipation (Frage u. Auswertung im Anhang F: IV.40 –<br />

IV.40.6)<br />

Hierzu mussten sich wieder beide Befragungsgruppen äussern. Für Rahmenbedingungen einer<br />

erfolgreichen Partizipation von älteren MigrantInnen gaben beide die folgenden drei häufigsten<br />

Antworten: „Ältere MigrantInnen partizipieren auch in den Strukturen und Netzwerken der Schwei-<br />

zerInnen“ (96% Altersbeauftragte und 90% <strong>Integration</strong>sdelegierte), „Strukturen und Formen der<br />

Partizipation werden von SchweizerInnen und älteren MigrantInnen vermehrt gemeinsam gegründet<br />

und umgesetzt“ (89% Altersbeauftragte und 80% <strong>Integration</strong>sdelegierte) und „SchweizerInnen lernen<br />

von den älteren MigrantInnen neue Partizipationsformen kennen und anwenden“ (85% Altersbe-<br />

auftragte und 63% <strong>Integration</strong>sdelegierte). Mit 78% der Altersbeauftragten und 50% der<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten sind die Befragten aber mehrheitlich auch der Meinung, dass sich ältere<br />

MigrantInnen an die Bedingungen/Strukturen/das Verständnis der SchweizerInnen und ihrer<br />

Gremien/Organisationen anpassen sollen. Für eine erfolgreiche Partizipation weniger stark gewichtet<br />

wurde hingegen die „hauptsächliche Partizipation älterer MigrantInnen in ihren eigenen<br />

Strukturen/Netzwerken.“ (22% der Altersbeauftragten und 45% der <strong>Integration</strong>sdelegierten.) Dies,<br />

obwohl an früherer Stelle die Selbstorganisation von MigrantInnen als wichtige Partizipations-<br />

ressource bewertet wurde.<br />

Insgesamt weist das Befragungsergebnis zu den Rahmenbedingungen einer erfolgreichen<br />

Partizipation auf folgende Tendenz hin: Die Befragten verstehen Partizipation als einen<br />

bidirektionalen, gegenseitigen Prozess. Zum einen sollen sich ältere MigrantInnen um Teilhabe an<br />

Strukturen und Formen der Partizipation von SchweizerInnen bemühen, zum andern sollen<br />

SchweizerInnen aber auch die Bereitschaft zeigen, von älteren MigrantInnen neue<br />

Partizipationsformen kennen- und anwenden zu lernen. Als wichtige Rahmenbedingung für<br />

erfolgreiche Partizipation erhält die Kooperation zwischen älteren MigrantInnen und SchweizerInnen<br />

bei der Gründung und Umsetzung von Strukturen und Formen der Partizipation deutliche<br />

Zustimmung.<br />

80


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Abbildung 9: Faktoren einer erfolgreichen Partizipation<br />

Rahmenbedingungen für eine gleichwertige Partizipation (Frage u. Auswertung in Anhang F:<br />

IV.41 – IV.41.11)<br />

Beide Befragungsgruppen erachten folgende Rahmenbedingungen für eine gleichwertige Partizipation<br />

älterer MigrantInnen für besonders wichtig: „Anerkennung der Migrationsbevölkerung als gleichwertige<br />

Zielgruppe der kommunalen Altersbevölkerung“ (96% Altersbeauftragte und 93%<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierte), „Enge Kooperation zwischen schweizerischen Altersorganisationen/-vereinen<br />

und derjenigen von MigrantInnen“ (89% Altersbeauftragte und 87% <strong>Integration</strong>sdelegierte) und<br />

„Politische Zielvorgaben für eine diversitätsgerechte Alterspolitik (entsprechende Strategie, Leitbild)“<br />

(78% Altersbeauftragte und 73% <strong>Integration</strong>sdelegierte).<br />

Die Altersbeauftragten gewichten zudem die Antwortkategorie „Bereitschaft, sich auf unvertraute<br />

Partizipationspraxen einzulassen“ mit 78% und die <strong>Integration</strong>sdelegierten die Antwortkategorie<br />

„Punktuelle Vertretung älterer MigrantInnen in Gemeinde- und Quartierprojekten“ mit 87%.<br />

Auch aus diesen Antworten wird die Zustimmung zu einem Partizipationsverständnis, das in der<br />

Interaktion zwischen MigrantInnen (-organisationen) und SchweizerInnen und ihren<br />

Organisationen/Institutionen ausgehandelt werden muss, ersichtlich. Zudem sind sich die Befragten<br />

mehrheitlich auch über den Stellenwert von Vorgaben (Strategie, Leitbild) für eine diversitätsgerechte<br />

Alterspolitik einig. Diversitätsgerecht kann an dieser Stelle auch übersetzt werden mit der<br />

Ermöglichung gleichwertiger Partizipationschancen. Mit diesem Ergebnis zeigt sich somit eine Kluft<br />

zwischen der Einschätzung der Realität in den Gemeinden/Kantonen durch die Befragten (unter Pt. 15<br />

hat die Mehrheit beider Befragungsgruppen verneint, dass in ihrer Gemeinde bereits eine<br />

diversitätsgerechte Alterspolitik und –arbeit praktiziert werde) und der bei diesen Antworten erfolgten<br />

81


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Einschätzung der Notwendigkeit von Rahmenbedingungen für eine gleichwertige Partizipation der<br />

älteren Migrationsbevölkerung bzw. einer diversitätsgerechten Alterspolitik und –arbeit.<br />

Interpretation: Diversitätsgerechte Alterspolitik/-arbeit und altersgerechte <strong>Integration</strong>spolitik/-<br />

arbeit: Schritte für eine erfolgreiche und gleichwertige Partizipation der älteren<br />

Migrationsbevölkerung<br />

Die Befragung zeigt als Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Partizipation folgende Tendenzen<br />

auf: Es benötige ein Verständnis von Partizipation als bidirektionalen und gegenseitigen Prozess, in<br />

dem sich einerseits ältere MigrantInnen um die Teilhabe an Strukturen und Formen der Partizipation<br />

von SchweizerInnen bemühen sollen, und andererseits SchweizerInnen auch die Bereitschaft zeigen<br />

sollen, von älteren MigrantInnen neue Partizipationsformen kennen- und anwenden zu lernen. Wichtig<br />

sei es daher, die Kooperation bereits bei der Gründung und Umsetzung von Strukturen und Formen<br />

der Partizipation zu suchen.<br />

Mit der Frage nach der gleichwertigen Partizipation der älteren Migrationsbevölkerung ist gemäss<br />

Ergebnissen auch eine Haltungsfrage verbunden. Die „Anerkennung der Migrationsbevölkerung als<br />

gleichwertige Zielgruppe der kommunalen Altersbevölkerung“ ist eine wesentliche Voraussetzung,<br />

damit Partizipation gleichwertig erfolgen kann. Zudem kommt politischen Zielvorgaben, die in<br />

Strategien und Leitbildern ihren Ausdruck finden, ein entscheidender Stellenwert zu. Eine<br />

diversitätsgerechte Alterspolitik und –arbeit bedeutet die Ermöglichung gleichwertiger<br />

Partizipationschancen für alle Gruppen, auch für MigrantInnen. Trotz teilweiser engagierter<br />

Bestrebungen (vgl. dazu die Ergebnisse aus den telefonischen Interviews in Kapitel 5.2.2 sowie die<br />

inhaltlichen Kommentare der Antwortenden im Anhang F) kann gemäss der durchgeführten Umfrage<br />

heute noch nicht von einer diversitätsgerechten Alterspolitik und –arbeit als Selbstverständlichkeit und<br />

im Sinne eines erfolgreichen Mainstreamings gesprochen werden. Erste Anfänge und eine<br />

zunehmende Sensibilisierung für die Notwendigkeit einer solchen als Antwort auf die wachsende<br />

Diversität der aktuellen und künftigen Altersbevölkerung sind jedoch deutlich festzustellen.<br />

Zusammenfassende Kritik am Fragebogen seitens der Befragten<br />

6 der Total 81 antwortenden Befragten nutzten die dafür zur Verfügung gestellte Möglichkeit, um eine<br />

Kritik am Fragebogen anzubringen, die der Transparenz halber an dieser Stelle zusammenfassend<br />

festgehalten wird:<br />

Die hauptsächlich geäusserte Kritik bezog sich darauf, dass die drei Antwortkategorien „ja“, „nein“ und<br />

„weiss nicht“ die komplexere Realität nur unzureichend abzubilden vermögen. Eine weitere Kategorie<br />

„teilweise“ wäre hilfreich gewesen. Im Weiteren wäre eine Kategorie „Mangelnde Mittel“ nützlich<br />

gewesen, da es sich nicht immer um fehlenden politischen Willen handle, wenn keine gezielten<br />

Bemühungen unternommen würden, sondern vielfach um fehlende finanzielle und personelle<br />

Ressourcen.<br />

Eine weitere Kritik wurde an der zu pauschalen Definition der „älteren Migrationsbevölkerung“<br />

geäussert bzw. an einer fehlenden Differenzierung nach Altersklassen, Zugehörigkeit zu sozialem<br />

82


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Milieu und nationaler Herkunft. Diese hätten dann zwingend zu pauschalisierenden Antworten geführt,<br />

die wiederum der komplexeren Realität und der Heterogenität der Zielgruppe nicht genügend<br />

Rechnung tragen können.<br />

Stellungnahme zur Kritik<br />

Die angeführte Kritik bestätigt die quantitativen Grenzen einer Masterarbeit. Mit der schriftlichen<br />

Befragung verfolgten wir nicht den Anspruch, hoch differenzierte Ergebnisse und Erkenntnisse zum<br />

komplexen Phänomen der Partizipation einer in sich heterogenen älteren Migrationsbevölkerung zu<br />

erhalten. Vielmehr handelt es sich methodisch um ein exploratives Vorgehen, mit welchem wir grobe<br />

Tendenzen aufzeigen und ein erstes Bild erheben wollten über die Wahrnehmung der hier<br />

untersuchten Thematik seitens der Altersbeauftragten und <strong>Integration</strong>sdelegierten. Der Hinweis, dass<br />

die ältere Migrationsbevölkerung nicht homogen ist, und daher die Antwortmöglichkeiten, da nicht<br />

differenziert nach verschiedenen Altersgruppen, Geschlecht, Herkunft, Schichtzugehörigkeit, etc. zu<br />

pauschal sind, ist berechtigt und wird von den Autorinnen im Grundsatz geteilt. In unserer<br />

Masterarbeit legen wir jedoch aus Gründen der Eingrenzbarkeit den Fokus auf die „ältere<br />

Migrationsbevölkerung ab Pensionierungsalter“ und haben dies auch so definiert. Sie setzt sich zum<br />

heutigen Zeitpunkt noch mehrheitlich aus ArbeitsmigrantInnen der ersten Einwanderungsgeneration<br />

nach dem zweiten Weltkrieg, d.h. primär aus ItalienerInnen, gefolgt von SpanierInnen zusammen.<br />

Hiermit ergibt sich automatisch eine „gewisse Homogenisierung“, z.B. nach Migrationsmotiven,<br />

gemeinsamen Erfahrungen mit dem gesellschaftlichen Umfeld jener Zeit, das ihre<br />

<strong>Integration</strong>/Partizipation politisch nicht vorsah (Stichwort: Kohortenzugehörigkeit) etc. Die Kritik, dass<br />

diese Definition zu pauschal sei und die komplexere Differenzierung dieses Bevölkerungssegments<br />

nicht widerspiegle, könnte jedoch für allfällige Folgeuntersuchungen berücksichtigt werden.<br />

5.2.2 Ergebnisse der telefonischen Nachbefragung<br />

Die oben zusammengefasste Kritik wurde vermutet. Aus diesem Grund erhielten die Befragten bereits<br />

im Fragebogen die Möglichkeit anzugeben, wenn sie grundsätzlich mit einem zusätzlichen<br />

Telefongespräch von maximal 15 Minuten einverstanden waren. Erfreulicherweise hat rund die Hälfte<br />

der Antwortenden (= Total 42 Personen) ihre Bereitschaft dazu bestätigt. Um den Aufwand in Grenzen<br />

zu halten, haben wir uns für ein quantitativ beschränktes, stichprobeartiges Vorgehen entschieden<br />

und mit insgesamt 16 Personen Telefongespräche geführt zu folgenden drei offenen Fragen:<br />

1. Was beobachten Sie zur Situation älterer MigrantInnen in Ihrer Gemeinde/Ihrem Kanton?<br />

2. Wie wird in Ihrer Gemeinde/Ihrem Kanton mit dieser Zielgruppe umgegangen?<br />

3. Was würden Sie wichtig finden bezüglich Partizipation der älteren MigrantInnen?<br />

Im Folgenden sind die Ergebnisse aufgrund der meist genannten Aussagen zusammengestellt. Dort,<br />

wo konsensuale Meinungen vertreten wurden, wird dies in Klammer vermerkt.<br />

83


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

1. Situation älterer MigrantInnen in den Gemeinden/Kantonen<br />

Ältere MigrantInnen sind demografisch noch kein wichtiger Faktor und treten in der<br />

Gemeindeöffentlichkeit kaum in Erscheinung. Sie sind mehrheitlich auch noch keine KlientInnen<br />

in Alterseinrichtungen und –diensten, daher liegen auch nur wenige oder keine Daten zu dieser<br />

Zielgruppe vor. Dies wird sich in den nächsten Jahren ändern. (Konsens)<br />

Die ältere Migrationsbevölkerung bildet keine homogene Bevölkerungseinheit, sondern ist in<br />

sich sehr heterogen.<br />

Ältere MigrantInnen verfügen über viel Lebenserfahrung und somit über Ressourcen. Ihre<br />

soziale Vernetzung in Vereinen, ihre gegenseitige Unterstützung in Form des freiwilligen<br />

Engagements sowie ihre gute Selbstorganisation und –hilfe (auf Italienerinnen und<br />

SpanierInnen bezogen) fallen dabei besonders auf.<br />

Ältere MigrantInnen haben ein deutliches Informationsdefizit bezüglich ihrer Situation und ihrer<br />

Rechte nach der Pensionierung (Aufenthaltsbedingungen im Alter und Alterssicherung (AHV,<br />

EL, Pensionskasse) im Rahmen der bilateralen Verträge, etc.) Im Weiteren sind sie meist bei<br />

eintretendem Unterstützungsbedarf oder Pflegebedürftigkeit nicht über stationäre (Alters- und<br />

Pflegeheime) und ambulante (Spitex, etc.) Dienstleistungen informiert und verfügen über keine<br />

oder nur unzureichende Kenntnisse über das schweizerische Altershilfe- und pflegesystem.<br />

(Konsens)<br />

Ältere MigrantInnen aus Italien und Spanien werden stark in ihre eigenen Vereinsstrukturen<br />

integriert erlebt bzw. in ihren eigenen Familiensystemen eingebunden. (Konsens)<br />

Ältere MigrantInnen bedauerten und kritisierten, dass sie erst nach dreissig Jahren<br />

Landesanwesenheit explizit zu Informationsveranstaltungen eingeladen werden.<br />

Bedürfnisse, die bei älteren MigrantInnen festgestellt werden, sind:<br />

1. Altersgerechte, in die Alltagswelt eingebettete Deutschkurse (weitgehend Konsens)<br />

2. Muttersprachliche und niederschwellig vermittelte Information zu Fragen nach der<br />

Pensionierung (Alterssicherung (AHV, EL, Pensionskasse), Aufenthaltsrecht,<br />

Altersversorgung und –pflegemöglichkeiten, sowohl stationär als auch Zuhause)<br />

(weitgehend Konsens)<br />

3. Information über Strukturen und Möglichkeiten der Partizipation (= Voraussetzung zur<br />

aktiven Teilhabe)<br />

4. Beteiligung bei der Schaffung bedürfnisgerechter Unterbringungs- und Pflegemodelle im<br />

Alter<br />

5. Treffpunkte und Unterstützung für Aktivitäten in ihren eigenen Strukturen<br />

6. Alter sei innerhalb der Migrationsgemeinschaften selbst noch kein prioritäres Thema.<br />

2. Umgang der Gemeinde/des Kantons mit älteren MigrantInnen<br />

Das Bewusstsein, dass ältere MigrantInnen gemäss demografischer Entwicklung bald eine<br />

neue Zielgruppe der Gemeinde/des Kantons sein werden, ist am Wachsen. Die Sensibilität<br />

dafür wird spätestens dann eintreten, wenn ältere MigrantInnen zu relevanten<br />

84


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

KlientInnen/KundInnen von Altersdienstleistungen und –einrichtungen der Gemeinden/Kantone<br />

werden. (Konsens)<br />

Bisher bestehen mehrheitlich punktuelle Bemühungen und Initiativen, ältere MigrantInnen mit<br />

ihren Bedürfnissen zu erreichen, sei es mit dem Aufbau von Sonderdienstleistungen, oder aber<br />

mit Bestrebungen zur Verbesserung ihres Zugangs und ihrer Nutzung von Regeldiensten/-<br />

angeboten im Altersbereich. Beide Ansätze werden parallel und als notwendige Kombination für<br />

die ältere erste Einwanderungsgeneration geltend gemacht. (Konsens)<br />

Die Erkenntnis wächst, dass „ältere MigantInnen“ eine Zielgruppe sind, die seitens der<br />

Gemeinden/Kantone einem gewissen Marginalisierungsrisiko ausgesetzt ist. Bei fehlender<br />

Vernetzung/Zusammenarbeit zwischen der Alterspolitik/-arbeit und der <strong>Integration</strong>spolitik/-arbeit<br />

besteht die Gefahr, dass diese Gruppe „zwischen Stuhl und Bank“ fällt, zumal sie (bisher) auch<br />

häufig weder in der Öffentlichkeit noch als KlientInnen auffällt und somit keine Aufmerksamkeit<br />

erregt. Gemeinden/Kantone, welche bereits eine gezielte Zusammenarbeit zwischen Alters- und<br />

<strong>Integration</strong>sbereich pflegen (z.B. gemeinsame Tagungen oder Foren, gegenseitige Mitwirkung<br />

und Vernehmlassung bei der Erarbeitung von Alters- bzw. <strong>Integration</strong>sleitbildern), berichten von<br />

guten Erfahrungen und sehen dies als Zukunftsmodell.<br />

Die Beauftragten/Delegierten der Gemeinden/Kantone stellen fest, dass ältere MigrantInnen<br />

häufig zu den schwer erreichbaren Zielgruppen gehören. Gute Erfahrungen damit belegen,<br />

dass die zweite Generation einbezogen werden muss, um die Erreichbarkeit zu verbessern.<br />

(Konsens)<br />

Die Situationen, in denen ältere MigrantInnen den Gemeinden als KlientInnen ihrer<br />

Altersarbeit/-hilfe gegenüberstehen, nehmen zu. Dabei erleben Fachpersonen der Altersarbeit<br />

und –pflege immer wieder Verunsicherungen und benötigen daher Weiterbildung, um ihre<br />

Kompetenz im Umgang mit älteren MigrantInnen zu fördern.<br />

3. Wichtige Faktoren für die Partizipation älterer MigrantInnen<br />

Die lokale demografische Datenbasis zur älteren Migrationsbevölkerung muss verbessert<br />

werden, damit die Gemeinden mehr konkrete Anhaltspunkte und eine informiertere<br />

Ausgangslage haben für die Zusammenarbeit mit dieser Zielgruppe.<br />

Die Bedürfnisse älterer MigrantInnen bezüglich Partizipation sind zielgruppenspezifisch im<br />

lokalen Kontext zu erheben. (Konsens)<br />

Voraussetzung für ihre Partizipation ist eine offene und konsequente Informations- sowie<br />

Willkommenskultur. Ältere MigrantInnen müssen sich zur Partizipation eingeladen und<br />

willkommen fühlen. Informations- und Kommunikationswege/-mittel sind von MigrantInnen<br />

mitzugestalten, wenn sie die älteren Menschen ihrer eigenen Zielgruppe erreichen sollen.<br />

Die Erreichbarkeit der Zielgruppe sollte mit angepassten Mitteln sicher gestellt werden<br />

(muttersprachliche Übersetzung, Zusammenarbeit mit Kontaktpersonen aus<br />

Migrationsgemeinschaften sowie mit Migrationsorganisationen; aufsuchender Settingansatz:<br />

lebensraum- und milieubezogen). (Konsens)<br />

85


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Befähigung und Empowerment: Ältere MigrantInnen sind als MultiplikatorInnen zu schulen<br />

zwecks Verbreitung der Information über wichtige Themen im Alter und die entsprechenden<br />

Dienstleistungen in der Gemeinde/im Kanton; Ältere MigrantInnen und ihre Vereine sind<br />

ebenfalls administrativ und strategisch zu unterstützen bei ihren Initiativen sowie konkret bei der<br />

Eingabe von Projektgesuchen und Finanzierungsanträgen für ihre Aktivitäten und<br />

Infrastrukturen.<br />

Die Information über Partizipationsstrukturen, -formen und -möglichkeiten sowie über den<br />

Zugang zu Regelstrukturen der Partizipation ist zu fördern; Gemeinden/Kantone müssten eine<br />

gezielte Partizipationsermöglichung bieten. Sie haben in Bezug auf ältere MigrantInnen – eine<br />

häufig schwer erreichbare Zielgruppe - eine sogenannte „Bring-Schuld“. Es ist Aufgabe der<br />

Dienstleister im Altersbereich, ihre Angebote mit einem aufsuchenden Ansatz an die Zielgruppe<br />

„ältere MigrantInnen“ heranzutragen.<br />

Die Gemeinden/Kantone sollen ihre Steuerungsmöglichkeiten der Partizipation gezielt nutzen:<br />

beispielsweise nur neue Projekte/Angebote und Dienstleistungen unterstützen, bei denen<br />

nachgewiesen wird, dass die Zielgruppe „ältere MigrantInnen“ bereits bei der Konzipierung aktiv<br />

mitgewirkt hat (Stichwort: Partizipation nicht für, sondern mit den Betroffenen).<br />

Um die <strong>Integration</strong> bzw. Partizipation der älteren MigrantInnen zu erreichen, sind als erste<br />

Zielgruppe die stationären und ambulanten Dienstleister in den Regelstrukturen des<br />

Altersbereichs anzugehen. Bei ihnen ist die Bereitschaft zu wecken, vermehrt bedürfnis- und<br />

somit zielgruppenorientiert und weniger angebotsorientiert zu arbeiten. Im Fokus<br />

diversitätsgerechter Partizipationsstrukturen im Alter stehen somit nicht bereits entwickelte<br />

Angebote, sondern die Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen, darunter diejenigen älterer<br />

MigrantInnen. Unter ihrer Mitwirkung sind für die Regelstrukturen Innovationsangebote zu<br />

entwickeln.<br />

Ältere MigrantInnen müssen im Fokus der Politik einer Gemeinde/eines Kantons stehen (Ziele,<br />

Strategie und Leitbilder, an denen die Zielgruppe mitgewirkt hat und die entsprechend auch<br />

konkret umgesetzt werden), wenn ihre Partizipation gefördert und erfolgreich - d.h. auch<br />

nachhaltig und nicht nur projektbezogen - erreicht werden soll.<br />

Eine gute Selbstorganisation von MigrantInnen vereinfacht die Zusammenarbeit. Bei der<br />

italienischen und spanischen Migrationsbevölkerung ist diese weitgehend gegeben, schwieriger<br />

sei dies bei neuen Migrationsgruppen, die altern, und bei welchen für die Partizipation nicht auf<br />

bewährte Vereinsstrukturen zurückgegriffen werden könne (z.B. Personen aus dem Balkan).<br />

(Konsens)<br />

Wenn Gemeinden/Kantone mit Migrationsgemeinschaften entlang ethnischer Kriterien<br />

zusammenarbeiten, stellen sich ihnen das Problem der Repräsentanz und hiermit folgende<br />

Fragen: „Welche Vereine, Kontaktpersonen oder MultiplikatorInnen können für sich in Anspruch<br />

nehmen, das „ethnische Kollektiv“ zu vertreten? Gibt es eine solche Repräsentanz überhaupt<br />

und macht es angesichts der grossen innerethnischen Heterogenität der MigrantInnen<br />

überhaupt Sinn, die Zusammenarbeit bzw. Altersarbeit mit sogenannten ethnischen Gruppen zu<br />

86


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

suchen? Müssten nicht vielmehr andere Faktoren der Zielgruppenorientierung herangezogen<br />

werden wie Geschlecht, sozioökomische Zugehörigkeit, Migrationsursache, Bildungsgrad, etc.?<br />

Regelmässiger Kontakt der Altersbeauftragten/<strong>Integration</strong>sdelegierten zu<br />

Migrantenorganisationen sowie Interesse für dieselben sind eine wichtige Bedingung, um die<br />

Partizipationsbereitschaft älterer MigrantInnen zu gewinnen.<br />

5.2.3 Ergebnisse aus der Fokusgruppe<br />

In diesem Kapitel werden die Resultate der Fokusgruppe mit den Altersinstitutionen und –<br />

Organisationen von Stadt und Kanton Bern präsentiert. Dabei werden diejenigen<br />

Diskussionsergebnisse festgehalten, welche neue, ergänzende oder inhaltlich vertiefende<br />

Informationen liefern oder aber solche, die von den Ergebnissen aus der elektronischen Befragung<br />

der GemeindevertreterInnen abweichen. Zwecks Illustration werden zudem stellenweise Zitate aus<br />

der Diskussion herbeigezogen. Die übrigen Ergebnisse aus der Fokusgruppendiskussion bestätigten<br />

weitgehend die Befragungsergebnisse, insbesondere diejenigen aus der telefonischen<br />

Nachbefragung, und werden deshalb nicht nochmals wiedergegeben (vgl. Kapitel 5.2.2). Bei der<br />

Textanalyse der transkribierten Fokusgruppendiskussion wurde ein induktives Vorgehen gewählt, das<br />

die Erarbeitung generalisierter Themenschwerpunkte ermöglicht, d.h. es wurde nach einer Häufung<br />

ähnlicher Aussagen gesucht, die einen übergeordneten Konsens ergeben.<br />

Fragebereich 1)<br />

Was ist aus Sicht der ExpertInnen aus dem Altersbereich zu berücksichtigen, um ältere MigrantInnen<br />

erfolgreich zu erreichen und für die aktive Partizipation zu gewinnen?<br />

Mittel der Information/Kommunikation?<br />

(Gelingen diese? Was wäre aufgrund der bisherigen Erfahrungen zu optimieren?)<br />

Diskussionsergebnisse:<br />

Konsens besteht bezüglich der schwierigen Erreichbarkeit der älteren MigrantInnen. Um diese zu<br />

verbessern, sei unbedingt ein kombiniertes Vorgehen zu wählen, d.h. müsse man verschiedene<br />

Informations-/Kommunikationskanäle zugleich – sowohl mündliche als auch schriftliche (in übersetzter<br />

Form) - nutzen.<br />

Bezüglich sprachlicher Erreichbarkeit bestehe ein deutlicher Nachholbedarf. Eine grössere<br />

Mehrsprachigkeit beim Personal schweizerischer Institutionen/Organisationen im Altersbereich wäre<br />

eine wichtige institutionelle Ressource, um die Erreichbarkeit der Zielgruppe älterer MigrantInnen zu<br />

verbessern.<br />

Eine weitere Schwierigkeit zeige sich bei der schriftlichen Erreichung. MigrantInnen erscheinen, wenn<br />

sie eingebürgert und/oder mit SchweizerInnen verheiratet sind, in den Adressdateien in der Regel<br />

nicht mehr als solche. Eine grosse Gruppe könne somit nicht erreicht werden. Ein Teilnehmer schlägt<br />

87


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

vor, Kontakt mit der AHV aufzunehmen. Über diese Versicherung liegen immer aktualisierte Daten<br />

vor, die eine Erreichbarkeit gewährleisten.<br />

Die Erreichbarkeit von SeniorInnen wird grundsätzlich nicht als einfach eingeschätzt, auch bei der<br />

Schweizer Bevölkerung. Umso schwieriger gestalte sie sich bei MigrantInnen. Zudem spiele es eine<br />

Rolle, dass letzteren die direkte demokratische Partizipation in Form des Stimm- und Wahlrechts<br />

verwehrt sei, was sich für die Partizipation in anderen Formen und Bereichen des gesellschaftlichen<br />

Lebens nicht motivationsfördernd auswirke.<br />

Kontrovers diskutiert wurde die Frage, ob man die älteren MigrantInnen bereits zu einem früheren<br />

Zeitpunkt, beispielsweise mit 55+ erreichen und ansprechen soll, zu einem Zeitpunkt also, in dem sie<br />

noch aktiv im Erwerbsleben stehen.<br />

Ebenfalls kontrovers war die Haltung, inwieweit die ethnische Gruppenzugehörigkeit ein dominantes<br />

bzw. prägendes Merkmal sei und ein jeweils unterschiedliches Vorgehen zur Erreichung von<br />

Partizipation bedinge oder nicht. Mehrheitlich wurde in dieser Frage differenziert in ItalienerInnen<br />

(teilweise zusammen mit SpanierInnen) zum einen und in andere Gruppen (TürkInnen, Personen aus<br />

dem Balkan, TamilInnen sowie Personen aus anderen Ländern der Welt).<br />

Können ältere MigantInnen einmal unter Rückgriff auf bestehende Netze erreicht werden, sei danach<br />

das „Schneeballprinzip“ ein erfolgreiches Instrument, um ihre Partizipation zu fördern:<br />

„Ich habe auf mein Netz zurückgegriffen (…) das sind Leute aus der interkulturellen Übersetzung, sind<br />

zum Teil Frauen, die bei uns auch in ihrer Muttersprache Seniorenkurse geben, und an Altersarbeit<br />

interessiert sind und selber ein grosses Netz haben. (…) Ich habe dann zwei Leute motiviert zu<br />

kommen, ja, so ist die Gruppe entstanden und einige haben dann wieder weitere Personen<br />

mitgebracht. Das ist also übers persönliche und übers Arbeitsnetz gelaufen. (…) Dann haben sich<br />

auch Tandems gebildet und Personen, die besser Deutsch können, haben immer für eine andere<br />

Person übersetzt.“<br />

Voraussetzung für Erfolge in der Erreichbarkeit und Partizipationsförderung seien deutliche Signale<br />

seitens der VertreterInnen schweizerischer Organisationen/-institutionen des Altersbereichs, dass die<br />

Beteiligung der älteren MigrantInnen tatsächlich gewünscht wird. Die Erwartungen seien jedoch in<br />

einem realistischen Rahmen zu halten:<br />

„Also ich denke, es ist immer wichtig, auch zu schauen, was wäre eine realistische Erwartung, die<br />

weder die Partizipation anbietenden Menschen, noch die abholenden oder nutzenden überfordert.“<br />

Ausserdem wurde auch darauf hingewiesen, dass es ein Recht auf „Nicht-Erreichbarkeit“ gebe bzw.<br />

entsprechend auch ein Recht darauf, nicht partizipieren zu wollen/müssen. Bei älteren<br />

ArbeitsmigrantInnen der ersten Einwanderungsgeneration aus Italien und Spanien sei dies umso mehr<br />

zu respektieren, als sie in der Regel 30 – 40 Jahre in der Schweiz gelebt haben mit der Erfahrung, als<br />

Arbeitskräfte, nicht jedoch als an dieser Gesellschaft partizipierende BürgerInnen gefragt zu sein.<br />

88


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Ein weiterer Aspekt, welcher die Erreichbarkeit und Bereitschaft zur Partizipation erschwere, könne<br />

auch in persönlichen negativen Erfahrungen älterer MigrantInnen liegen, die sie im Laufe ihrer<br />

Biografie in der Schweiz gemacht haben. Viele seien deshalb auch heute noch Behörden gegenüber<br />

misstrauisch und ängstlich. Anstatt positiver Angebote zur Partizipation, erwarten sie eher die<br />

gewohnte Kontrolle. Diese erworbene Abwehrhaltung vermögen dann auch gut gemeinte und<br />

konstruktive Bemühungen von Seiten der Altersinstitutionen und –organisationen nicht mehr immer<br />

aufzulösen:<br />

„Mir war das gar nicht bewusst, dass das ein Problem sein könnte. Scheinbar ist es aber ein Thema<br />

für viele und in dem Sinn auch eine Aufgabe für die Behörden, da Hemmungen abzubauen.“<br />

Als weitere Erklärung für die Schwierigkeit, ältere MigrantInnen zu erreichen und für die Partizipation<br />

ausserhalb ihrer eigenen Lebenswelt zu gewinnen, wird die starke Binnenintegration der italienischen<br />

ArbeitsmigrantInnen der ersten Einwanderungsgeneration der Nachkriegszeit in die Gruppe der<br />

eigenen Landsleute als Reaktion auf das fremdenfeindliche gesellschaftliche Umfeld der Schweiz in<br />

ihren jungen Jahren (60-er und 70-er Jahre) herbeigezogen:<br />

„Das ist noch heutzutage die Mentalität. ‚Wir helfen uns selber, das ist die beste Lösung. Wir haben<br />

kein Vertrauen in die Institutionen‘ (…) Das war ihre Überlebenskraft, die sie hatten. ‚Wir gegen alle‘.<br />

Und was bedeutet das, wenn jemand zwanzigjährig in die Schweiz kommen musste, nur um zu<br />

arbeiten, ohne Rechte, nur arbeiten. Wurdest Du krank, warst Du weg. Das ist den Leuten als Gefühl<br />

geblieben. Leider. Und das wird sehr schwierig sein, das zu ändern. (…) Ich bin überzeugt, wir werden<br />

es nie ändern. Das geht nicht. Es gibt Sachen im Leben, die man leider nicht mehr ändern kann.“<br />

Fragebereich 2)<br />

Als ExpertInnen im Altersbereich haben Sie den Auftrag, die Partizipation der Altersbevölkerung, also<br />

auch der älteren Migrantinnen und Migranten zu fördern.<br />

Wo und wie (konkrete Beiträge) wünschen Sie sich die Partizipation von älteren MigrantInnen?<br />

Wo und wie ermöglicht Ihre Gemeinde/Institution/Organisation diese Partizipation<br />

(Rahmenbedingungen)?<br />

Diskussionsergebnisse:<br />

Der Begriff der Partizipation wird kontrovers diskutiert. Die ExpertInnen wünschen, dass ältere<br />

MigrantInnen ihre Bedürfnisse formulieren (können). Um zu partizipieren brauche es MigrantInnen, die<br />

ihre eigenen Interessen vertreten. Allerdings habe diese erste Einwanderungsgeneration in der<br />

Schweiz nicht Bedingungen vorgefunden, welche der Partizipationsbereitschaft und -kompetenz<br />

förderlich waren:<br />

„Sie sind es nicht gewohnt, dass ihre Meinungen und Erwartungen gefragt sind und äussern diese<br />

daher auch nicht einfach von sich aus aktiv. (…) So wie wir leben, so gehen wir dann auch ins Alter.“<br />

89


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Um Bedürfnisse formulieren zu können und diese in aktiver Partizipation auch geltend zu machen,<br />

müsse zudem die Wahl des Lebensorts im Alter entschieden sein. Viele ältere MigrantInnen seien<br />

jedoch gerade bezüglich dieses Entscheids ambivalent und zwischen den Optionen Italien oder<br />

Schweiz hin- und hergerissen:<br />

„Häufig ist es auch schwierig, dass sie die Bedürfnisse gar nicht genau sagen können, denn sie sind<br />

zerrissen zwischen der Sehnsucht oder der Erwartung, im Alter vielleicht nach Italien zurück zu gehen<br />

oder hier zu bleiben. Aber jetzt sind sie hier, und hier sind die Kinder und Enkelkinder, und darum<br />

möchten sie eigentlich hier bleiben. Und dann ist es sehr schwierig, die Bedürfnisse überhaupt zu<br />

formulieren, was möchte ich denn eigentlich? Ich möchte dort sein und hier sein und Familie und alles.<br />

Ja.“<br />

Konsens besteht zur wichtigen Funktion der Selbstorganisation unter ItalienerInnen, welche auch<br />

gegenseitige Selbsthilfe beinhalte und daher eine gewisse „Selbstgenügsamkeit“ oder „Autarkie“<br />

entwickle. Es sei fraglich, ob die Partizipation ausserhalb der eigenen Strukturen für die älteren<br />

ItalienerInnen überhaupt ein Ziel sei:<br />

„Sie nehmen ihre Aktivitäten selber in die Hand und sie kommen so wahrscheinlich am Weitesten.“<br />

Die Fokusgruppe ist sich einig, dass eine Selbsthilfegruppe und andere Selbstorganisation in eigenen<br />

Strukturen auch Formen von Partizipation darstellen.<br />

Die ExpertInnen sind sich zudem einig, dass die Verständigungsmöglichkeit in der deutschen Sprache<br />

eine wichtige Grundlage für die Partizipation in der deutschsprachigen Schweiz ist. Die<br />

Sprachkompetenzen älterer MigrantInnen sollten daher in altersgerechten, niederschwelligen und<br />

anwendungsorientierten Kursen gefördert werden. Die praktische Durchführung zeige dann bisweilen,<br />

dass Personen derselben ethnischen Lerngruppe über ein unterschiedliches Bildungskapital verfügen:<br />

„Das ist eine Feststellung, die wir in unseren Kursen machen, dieser Spagat zwischen wenig<br />

schulischer Bildung und dann gibt es Leute, die haben viel und die sind in derselben Gruppe. Das<br />

alles irgendwie unter einen Hut zu bringen, das ist einfacher gesagt als getan.“<br />

Grundsätzlich sei für ein funktionierendes Zusammenleben auf Gemeindeebene die soziale, kulturelle<br />

und auch politische Partizipation älterer MigrantInnen in möglichst allen Bereichen wünschenswert.<br />

Auch Vereine sowie Fachgremien (für Alters- oder <strong>Integration</strong>sfragen) würden hier eine wichtige<br />

Funktion einnehmen. Die Fokusgruppe ist sich einig, dass MigrantInnen zumindest bei lebensraum-<br />

und alltagsbezogenen Themen wie Alter, Quartier, Wohnen und Verkehr ein Mitsprache- und<br />

Mitbestimmungsrecht haben sollten. Auch ihre politische Partizipation sei in diesem Rahmen<br />

wünschenswert:<br />

„Also, sie sind ja genau so gleichwertige Bürger wie die Schweizer auch. Dadurch sollten sie auch<br />

gleich einbezogen werden.“ (…) „Ich würde es auch so sagen, es geht auch um das Thema Nutzung<br />

einer Ressource, die viel zu wenig geschätzt wird, ganz allgemein, nicht nur migrationsspezifisch.“<br />

90


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Teilweise berichten die ExpertInnen von Vorgaben ihrer Gemeinde oder ihrer Institution, künftig bei<br />

allen geplanten Projekten/Dienstleistungen/Angeboten mit MigrantInnen, eine Person mit<br />

Migrationshintergrund in die Mitarbeit einzubeziehen. In der Praxis stelle sich dann jedoch häufig das<br />

Problem, dass immer dieselben Personen (die sogenannten ständigen MigrantInnenvertretungen)<br />

angefragt würden, was einerseits zu einer einseitigen Repräsentanz und anderseits zur Überlastung<br />

dieser Personen führe. Hier gebe es somit Handlungsbedarf bei der Rekrutierung eines vielfältigeren<br />

Personalpools unter den MigrantInnen.<br />

Für ältere MigrantInnen spielen die „richtigen“ Rahmenbedingungen für ihre Partizipation eine wichtige<br />

Rolle. Die ExpertInnen bestätigen ausnahmslos das weit verbreitete Bedürfnis, eine ständige<br />

Infrastruktur, „ihren“ Treffpunkt für ihre Aktivitäten zu haben:<br />

„Dieser Wunsch, ein Lokal zu haben, wo man hingehen kann und sicher sein kann, dass dort jemand<br />

ist, den man kennt, mit dem man spielen, essen trinken, etwas besprechen, eben etwas tun kann. Das<br />

ist unterdessen sehr stark formuliert und an unserem Runden Tisch auch immer wieder diskutiert.“<br />

Das Bedürfnis nach eigenen Lokalitäten scheine ein prioritäres zu sein und werde auch als Erwartung<br />

formuliert und mit einer klaren Anspruchshaltung ausgedrückt:<br />

„Ihr müsst. Wir haben doch schon so lange für Euch gearbeitet. Jetzt müsste Euch das (das zur<br />

Verfügung stellen eines Alterstreffpunkts: Anmerkung der Autorin) wert sein.“<br />

Es gibt Gemeinden, in welchen Partizipation auf einer ganz niederschwelligen Ebene in Form einer<br />

ständigen offenen Gesprächsrunde (Runder Tisch) gemeinsam zwischen älteren MigrantInnen und<br />

SchweizerInnen funktioniere. Diese müsse jedoch in der Regel eng begleitet sein und gründe auf<br />

persönlichen Beziehungsnetzen:<br />

„Es geht darum, das Netz zu stärken, damit sich die Leute an einem Ort treffen können. (…) Aber das<br />

ist etwas, das Zeit braucht. Zu dieser Form der Partizipation gehört immer eine verantwortliche Person<br />

in der Gemeinde oder in der Pfarrei, ein Raum, eine Infrastruktur, ein Eingeladensein und kein<br />

Aufdrängen.“<br />

Übereinstimmend identifizieren die ExpertInnen die Freiwilligenarbeit als einen wichtigen<br />

gesellschaftlichen Bereich, in dem ältere MigrantInnen partizipieren sollen und erfahrungsgemäss<br />

auch wollen. Zum einen konzentriert sich diese auf deren eigene soziale Netzwerke, immer wieder<br />

erleben es die ExpertInnen aber auch, dass ältere MigrantInnen sich für Freiwilligenarbeit bei einer<br />

schweizerischen Institution melden und diese dann häufig – aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse<br />

der InteressentInnen - mit konkreten Einsatzangeboten überfordert sei:<br />

„Es gibt eine Gruppe albanischer SeniorInnen, und deren Leiterin ist zu mir gekommen und hat<br />

gesagt, unsere Leute möchten der Schweiz etwas zurückgeben. Sie möchten gerne eine<br />

Freiwilligenarbeit leisten. Sie sprechen aber sehr wenig Deutsch. Sie hatten sich überlegt, Blut zu<br />

spenden, das wäre eine Möglichkeit, aber sie sind dafür zu alt. Ich bin mir nun am Überlegen, wo und<br />

91


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

was ich ihnen anbieten könnte. Ja, es ist so toll, aber ich bin wirklich irgendwie an der Grenze bei der<br />

Suche nach Möglichkeiten. Ja, es ist wegen der Sprache alles irgendwo nicht möglich.“<br />

Ein weiteres Problem bestehe darin, dass das Konzept der Freiwilligenarbeit, wie es in der Schweiz<br />

praktiziert werde, nicht einfach übernommen werden könne, da MigrantInnen darunter etwas anderes<br />

verstehen würden. Auch hier zeige sich oft eine transkulturelle Verständigungsschwierigkeit bzw. die<br />

Abhängigkeit von Fachpersonen schweizerischer Altersinstitutionen und –organisationen in ihrer<br />

Arbeit von der interkulturellen Vermittlungstätigkeit seitens MultplikatorInnen/-Schlüsselpersonen.<br />

Für das Engagement als Freiwillige benötigt es zudem Freizeit. Die ExpertInnen stellen immer wieder<br />

fest, dass gerade unter italienischen und spanischen MigrantInnen der ersten<br />

Einwanderungsgeneration, die über eine ausgeprägte „Arbeiterbiografie und –identität“ verfügen, der<br />

Begriff „Freizeit“ als persönliches Konzept der Lebensgestaltung auch nach der Pensionierung<br />

weitgehend inexistent ist.<br />

„Mir ist aufgefallen, dass viele ältere MigrantInnen sagen, sie haben keine Freizeit. Also, wenn man<br />

sie fragt, was macht ihr in der Freizeit oder was habt ihr für Hobbies, dann sagen sie, wir sind zum<br />

Arbeiten gekommen. Sie sind heute noch stark überarbeitet. Auch in der Familie, mit den Enkeln, mit<br />

dem Garten, mit dem Haus, und wenn man etwas für die Freizeit anbietet oder sie fragt, dann ist es,<br />

als ob sie das nichts angehe.“<br />

Fragebereich 3)<br />

Was sind aus Sicht der ExpertInnen aus dem Altersbereich die Faktoren für eine erfolgreiche<br />

Partizipation der älteren MigrantInnen?<br />

Wie lassen sich diese in der Praxis umsetzen? Gibt es dazu good practice-Erfahrungen aus Bern?<br />

Worauf ist nicht gelingende Partizipation zurückzuführen? (Schranken/Hürden)<br />

Diskussionsergebnisse:<br />

Die Fokusgruppe ist sich einig, dass ein möglichst niederschwelliger Zugang zu Partizipation<br />

geschaffen werden muss, dem ein zeitlich grosszügig bemessener Prozess der Vertrauensbildung<br />

über persönliche Beziehungen vorauszugehen habe. Sie ist der Ansicht, dass die Ergebnisse aus den<br />

Befragungen nicht die beste Voraussetzung für eine gelingende Partizipation darstellen.<br />

Als wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Partizipation wird der chancengleiche Zugang zu den<br />

Regelstrukturen und Angeboten des Altersbereichs genannt. Kontrovers diskutiert wird, ob das<br />

spezifische Benennen der Zielgruppe ältere MigrantInnen in Altersleitbildern und die Entwicklung<br />

spezifischer Projekte für diese als nicht beabsichtigten Nebeneffekt nicht auch eine stigmatisierende<br />

Wirkung haben könne.<br />

Sprachliche Verständigungskompetenz und die <strong>Integration</strong> in ein soziales Beziehungsnetz seien<br />

wichtige Faktoren für die Kommunikation und Teilhabe im Sinne einer erfolgreichen Partizipation.<br />

92


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Um Partizipationshürden abzubauen bzw. den Einstieg zu erleichtern, eigenen sich<br />

Beteiligungsformen, die keine deutschsprachigen Kompetenzen voraussetzen, wie beispielsweise<br />

gemeinsame Bewegungsangebote:<br />

„Im Bereich Bewegung, der nicht sprachlastig ist, da gibt es in der Gemeinde interessante<br />

Konstellationen. Beispielweise Aquagym mit Italienerinnen, Spanierinnen und einer Türkin. Geleitet<br />

wird die Gruppe von einer Mexikanerin. Die Leute haben viel Spass miteinander.“<br />

Das Mittel der offenen Gesprächsrunden (Runder Tisch) als good practice sei geeignet, um den<br />

Teilnehmenden aufzuzeigen, dass sie im Alter nicht nur unterschiedlich seien, sondern aufgrund<br />

ähnlicher und gleicher Lebensphasenthemen auch eine gemeinsame Betroffenheit teilen. Diese<br />

bringe sie einander näher, auch über die entlang ethnischer Kriterien definierten Gruppengrenzen<br />

hinweg. Partizipation setze auf einem ganz einfachen Niveau des Gemeinde- oder Quartieralltags ein<br />

und bedinge ein persönliches Interesse füreinander sowie die Bereitschaft, Zeit für das gegenseitige<br />

Kennenlernen zu investieren:<br />

„Wir beginnen ganz am Anfang, indem es darum geht, dass sich Leute im Dorf erkennen, dass sie<br />

sich grüssen, dass sie zusammen sprechen. Es beginnt ganz im Alltag, ganz privat mit sich<br />

austauschen, sich informieren und dann sagen, das brauchen wir, das versuchen wir zusammen<br />

selber in die Wege zu leiten. (…) Ich kenne Dich, Du kennst mich, Du bist Italiener, ich bin<br />

Schweizerin, aber wir können etwas zusammen erreichen, wenn wir uns füreinander interessieren.(…)<br />

Also, bei uns treffen sich die Leute nun regelmässig. Ihr Beitrag ist dann, dass sie immer wieder ihre<br />

Zeit zur Verfügung stellen und anderes zurückstellen. (…) Es geht darum, dass sie wirklich kommen<br />

und andere Leute mitbringen. (…) Aber es ist ein langer Prozess und braucht enorm viel Zeit.“<br />

Häufig könnten dann auf der Grundlage gegenseitiger Kenntnisse über die jeweiligen<br />

Lebensbiografien auch Vorurteile abgebaut werden. Bisweilen sei auch ein Entwicklungsprozess<br />

bezüglich transkultureller Öffnung von ursprünglich ethnospezifischen Gruppen zu beobachten. Über<br />

die Diskussion gewisser Themen oder über gemeinsame Aktivitäten geschehe eine sukzessive<br />

<strong>Integration</strong> von Personen anderer Gruppen. Dabei überwinden gemeinsame Interessen und<br />

Betroffenheit ethnische Gruppengrenzen.<br />

Erfolgreiche Partizipation müsse zudem von einer entsprechenden Politik der Öffnung und<br />

Anerkennung getragen sein. Zudem gelte es good practice zu etablieren, erfahrbar zu machen, der<br />

Öffentlichkeit und Politik zu kommunizieren und dann zu multiplizieren. Die ExpertInnen stellen sich<br />

die Frage, wie eine Behörde/Organisation mit ihren guten Absichten glaubwürdig auftreten könne,<br />

wenn auf politischer Ebene allenfalls gegenteilige Prozesse laufen würden:<br />

„Da habe ich das Gefühl, wir können nur in konkreten Handlungen aufzeigen, was wir wollen, auf der<br />

Ebene einzelner Projekte, die sich dann, wenn sie erfolgreich sind, herumsprechen. Wo die<br />

MigrantInnen dann denken, ach so, da durften wir von Anfang an dabei sein, und da und hier auch.“<br />

93


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Als ein good practice Beispiel könne man die Gegenwartskonferenz bezeichnen, die in einer<br />

bernischen Gemeinde vor einigen Jahren stattgefunden habe und an der achtzig bis hundert<br />

Personen teilgenommen hätten. Die Angebotspallette der heutigen Arbeitsgruppe Alter und Migration<br />

sei ein Ergebnis davon.<br />

Auf die Frage, worauf eine nicht gelingende Partizipation zurückzuführen sei, erläutert die<br />

Fokusgruppe, dass die Schweiz den MigrantInnen vorgebe, wie sie sich zu integrieren hätten.<br />

Einseitige Vorgaben könnten aber nicht zu einem gegenseitig getragenen Partizipationsprozess<br />

führen. Vielmehr benötige es dazu die gegenseitige Bereitschaft, sich auf unbekannte Sichtweisen<br />

und Praktiken einzulassen, diese gegenseitig kennen zu lernen, um so ein geteiltes Verständnis<br />

auszuhandeln. Vielfach seien es die schweizerischen Institutionen/Organisationen, welche die<br />

Initiative ergreifen würden. Um eine beidseitig getragene Partizipationskultur aufzubauen, benötige es<br />

auch mehr Initiative seitens der MigrantInnen. Im Sinne einer good practice sei in gleichberechtigter<br />

Partnerschaft eine interkulturelle Co-Leitung von Partizipationsinitiativen zu empfehlen. Auf diese<br />

Weise seien gleich beide Seiten repräsentiert und stellten somit sicher, dass verschiedene<br />

Partizipationskulturen einfliessen. Dies wiederum setze gegenseitige Offenheit, Toleranz und die<br />

Überzeugung, voneinander lernen zu können, voraus.<br />

Im Weiteren könne von Personen, die man ein Leben lang nicht partizipieren liess, nicht erwartet<br />

werden, dass sie nun im Alter mit den hiesigen Strukturen, Formen und Mittel der Partizipation vertraut<br />

seien:<br />

„(…) Sie verstehen wahrscheinlich nicht, wann und wie sie mitwirken und mitdenken können. Das ist<br />

nicht im Kopf drin und muss erklärt werden. Oder, ich denke, das Verständnis ist nicht da.“ (…) Auf<br />

der symbolischen Ebene sagen wir halt immer noch, wir wollen euch nicht. (…) Ich denke, diejenigen<br />

mit einer langen symbolischen Geschichte, die sich in den 70er Jahren überlegen mussten, gehen wir<br />

zurück oder riskieren wir es, hier zu bleiben. Sie mussten Abstimmungen über sich ergehen lassen,<br />

einige sind zurück, weil sie es nicht ausgehalten haben. Und jetzt kommen wir plötzlich und sagen, ihr<br />

seid eingeladen. Das muss man auch irgendwie zunächst verstehen, dass das nun ernst gemeint ist.“<br />

Bei der Partizipation der älteren Migrationsbevölkerung auf Gemeindeebene zeige sich ein weiteres<br />

Problem. Ihre Beteiligung – im Sinne aktiver Bürgerschaft – möge zwar in konkreten<br />

Gemeindeprojekten oder auf Quartierebene durchaus gefragt sein. Wenn sich dann aber<br />

Bürgerinitiativen etc. daraus entwickeln, die zur Abstimmung gelangen, sei dieser Bevölkerungsteil<br />

aufgrund fehlende politischer Rechte (Stimmrecht) gleich wieder vom Partizipationsprozess<br />

ausgeschlossen, was nicht motivierend wirke. Ebenso verhalte es sich beispielsweise im<br />

Schulbereich:<br />

„Vor Jahren ist mir bewusst geworden, dass man MigrantInnen in die Elternräte geholt hat, damit sie<br />

dort mitsprechen können. In die Schulkommissionen konnten sie dann aber wieder nicht gewählt<br />

werden, wenn sie nicht eingebürgert waren. (…) Da sind dann so viele Frustrationen entstanden, und<br />

94


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

genau dasselbe kann dann hier wieder geschehen, dass sie mitarbeiten und viel Arbeit leisten und<br />

dann entscheidet die Politik ohne sie etwas anderes.“<br />

Weiter erschwerend komme hinzu, dass Selbstverpflichtung im fortgeschrittenen Alter ein Risiko<br />

bedeute, dessen sich ältere Menschen bewusst seien und sich aus Furcht, „auszufallen“, nicht mehr<br />

so gerne regelmässig und längerfristig zur Partizipation verpflichten würden:<br />

„Im Lebensalter 70+ ist zwar Vieles möglich, weil man nicht mehr im Berufsleben steht, aber auch die<br />

Risiken nehmen zu, wie die eigene oder die Erkrankung des Partners. Und es fällt dann vielen<br />

schwer, wenn sie ihr Engagement nicht mehr einlösen können, das sie zugesagt haben. Dann sagt<br />

man lieber gar nicht erst zu, damit man dann auch nicht absagen muss.“<br />

Problematisch sei zudem, wenn Projekte nicht aufgrund der Erhebung eines tatsächlichen Bedarfs<br />

entstehen, sondern Institutionen und Organisationen diese einfach entwickeln, um etwas vorweisen zu<br />

können.<br />

Fragebereich 4)<br />

Welche Faktoren gehören für Sie zu einer diversitätsgerechten Alterspolitik und –arbeit, die auch<br />

älteren MigrantInnen gerecht wird? (Strategie, Ziele, Strukturen, Mittel, etc.?)<br />

Können Sie aufgrund Ihrer Erfahrung good practice-Beispiele nennen?<br />

Diskussionsergebnisse:<br />

Die ExpertInnen finden Folgendes wichtig, um eine diversitätsgerechte Alterspolitik im Sinne der<br />

Ermöglichung von gleichwertigen Partizipationschancen für alle umzusetzen:<br />

Wichtigste Voraussetzung sei ein Bewusstsein für die Diversität der Altersbevölkerung und damit<br />

verbunden auch die Einsicht, dass ältere Menschen unterschiedliche Bedürfnisse haben (können).<br />

Um diese zu befriedigen, benötige es entsprechende finanzielle und personelle Ressourcen. Im Falle<br />

der älteren MigrantInnen heisse diversitätsgerechte Alterspolitik auch Gelder zur Verfügung zu stellen,<br />

damit schriftliche und mündliche Übersetzungsleistungen bezahlt werden können, um diese<br />

Zielgruppe überhaupt zu erreichen. Oder aber, um ihre eigenen Räume (Infrastruktur) und Aktivitäten<br />

zu unterstützen, im Sinne des Empowerment.<br />

Bei allen Fragen (Infrastruktur im Quartier, Mobilität, Wohnen, Gesundheit, etc.), welche die<br />

Lebensgestaltung im Alter betreffen, sind alle, d.h. auch MigrantInnen im Sinne der<br />

Partizipationsförderung an der Diskussion aktiv und gleich von Beginn an zu beteiligen:<br />

„Es sind ja mehrheitlich dieselben Fragen, welche sie genau gleich beschäftigen wie uns auch. Sie<br />

sind dann bisher einfach immer etwas ‚draussen‘, wenn wir solche Fragen diskutieren. Da ist der Rat<br />

für SeniorInnen eben ein geniales Mittel, finde ich. (…) In Bern hat dieser Rat eine Quote von zwei<br />

Sitzen, welche durch MigrantInnen zu besetzen sind. Das ist eine politische Vorgabe des<br />

Gemeinderats und das finde ich gut und richtig.“<br />

95


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Im <strong>Integration</strong>sleitbild der Stadt Bern sind ältere MigrantInnen eine Zielgruppe des Handlungsfelds<br />

„Gesundheit“. Das strategische Ziel sei es, die Information und Sensibilisierung zum Thema ‚ältere<br />

MigrantInnen„ zu verstärken sowie im Rahmen der formulierten Alterspolitik 2020 entsprechende<br />

Massnahmen (Angebote, Projekte) in Zusammenarbeit mit dem Alters- und Versicherungsamt der<br />

Stadt Bern umzusetzen.<br />

Als ein Beispiel von good practice der direkten Partizipation der älteren Migrationsbevölkerung wird<br />

auf die Entstehungsgeschichte der mediterranen Abteilung des Altersheims (Domizil) Schwabgut in<br />

Bümpliz verwiesen. Bei der italienischen Bevölkerung in diesem Quartiert wurde eine grosse Umfrage<br />

zu ihren Bedürfnissen an die Betreuung (bei Pflegebedürftigkeit) im Alter durchgeführt. Als Ergebnis<br />

der Erhebung wurde diese nach ihren Bedürfnissen gestaltete italienische Abteilung konzipiert und<br />

realisiert. Fachpersonen mit Migrationshintergrund und VertreterInnen der wichtigsten Organisationen<br />

der ItalienierInnen waren von Anfang an im Entwicklungsprozess involviert und mitentscheidend.<br />

Auch die Notwendigkeit nach einem neuen Altersleitbild als Ausdruck der genannten Diversität der<br />

heutigen Altersbevölkerung wurde diskutiert. Die Stadt Bern verfüge über ein Altersleitbild, in der<br />

Migration als ein Querschnittthema enthalten sei. Das bedeute, dass MigrantInnen als Zielgruppe bei<br />

allen Themenbereichen mitgedacht und mitgemeint seien. Im Massnahmenplan seien entsprechend<br />

auch zielgruppenspezifische Massnahmen formuliert. Wichtig sei es aber auch, MigrantInnen nicht nur<br />

als Zielgruppen, sondern auch als AkteurInnen einer altersgerechten Diversitätspolitik teilhaben zu<br />

lassen. Konkret bedeute dies, nicht zu vergessen, sie gezielt einzubeziehen in die Formulierung<br />

politischer Stellungnahmen, Altersleitleitbilder oder in Vernehmlassungsverfahren zu Altersfragen.<br />

Hier – so wurde selbstkritisch angemerkt – bestehe bisweilen immer noch eine Diskrepanz zwischen<br />

politischer Absichtserklärung zur Beteiligung der Migrationsbevölkerung zum einen und der<br />

tatsächlichen Praxis zum andern, in der sie dann häufig doch wieder vergessen werde. Seitens der<br />

Vertretung des Seniorenrats wird darauf verwiesen, dass die politische Thematisierung, die<br />

Lancierung eines neuen Diskurses oft mindestens so wichtig sei, wie das Ergebnis der konkreten<br />

Abstimmung selbst. Das Thema ‚MigrantInnen als Teil unserer Altersbevölkerung„ sei daher immer<br />

wieder auf die politische Agenda zu bringen, um einen Sensibilisierungseffekt zu erzielen und Einfluss<br />

zu nehmen.<br />

Die Fokusgruppenteilnehmenden äusserten sich auch zum Ergebnis aus der elektronischen<br />

Befragung der GemeindevertreterInnen, dass die deutliche Mehrheit der Antwortenden entweder nicht<br />

wusste, ob die Partizipation der älteren MigrantInnen in ihren Gemeinden gelinge oder aber der<br />

Ansicht war, dass diese kaum oder nicht gelinge:<br />

„Also, ich denke, da läuft bei uns im Moment viel. Wir sind daran, hier Defizite unsererseits<br />

selbstkritisch wahrzunehmen. Wir müssen uns immer wieder selber daran erinnern, dass wir die<br />

MigrantInnen einbeziehen sollten, d.h. dann aber eigentlich auch eine Erfolgskontrolle durchzuführen.<br />

Das wird nun ein Thema, da ist Einiges im Umbruch. (…) Ein grosses Problem sind die personellen<br />

Ressourcen bei uns. Wir haben zwar einen fixen Budgetbeitrag für Projekte, jedoch zu wenig<br />

Stellenprozente. Und Migration ist ja nur eines von vielen Themen, das wir bearbeiten.“<br />

96


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Eine diversitätsgerechte Alterspolitik lasse sich aber nicht alleine durch Strategie, Leitbild und<br />

Finanzen umsetzen. Es benötige ebenfalls eine Haltungsänderung derjenigen, die in diesem Feld<br />

arbeiten, was meist einen längeren Prozess bedeute. Die kritische Selbstreflexion der eigenen<br />

Haltung sei dafür eine wichtige Grundlage.<br />

Nicht erwartet wurde von den ExpertInnen die Aussage der älteren MigrantInnen aus den Interviews,<br />

dass ihnen die Partizipation in der Schweiz „zu teuer“ sei. Damit sind z.B. Kurskosten gemeint, die für<br />

viele Schweizer SeniorInnen angemessen sein mögen, für viele ältere MigrantInnen, die gemäss<br />

Armutsbericht des Bundes (BSV, 2010) zu den Risikogruppen der Armutsbetroffenheit gehören,<br />

jedoch zu hoch sind und sich auf ihre Teilhabe hinderlich auswirken. Auch hohe Gebühren für die<br />

Teilnahme an Tagungen und fachlichen Veranstaltungen, an welchen über Altersfragen diskutiert und<br />

ausgetauscht wird, erschweren die Partizipation dieser Gruppe und wirken somit ausschliessend. Hier<br />

benötigt es seitens der Schweizer Organisationen/Institutionen ein entsprechendes Bewusstsein und<br />

eine flexiblere Praxis, um die Beteiligung älterer MigrantInnen trotzdem gezielt zu ermöglichen.<br />

Konsens besteht auch, dass ein wichtiger Grundpfeiler einer diversitätsgerechten Alterspolitik auf der<br />

Haltungsebene ansetzen muss, mit einer gelebten Kultur der Anerkennung von Vielfalt. In Bezug auf<br />

ältere MigrantInnen bedeutet dies die Anerkennung und Würdigung bzw. Wertschätzung ihrer<br />

Biografie als ArbeitsmigrantInnen, die für die Schweiz viel geleistet haben.<br />

Fragebereich 5)<br />

Wie denken Sie, kann konkret ein bidirektionales, wechselseitiges Partizipationsverständnis<br />

umgesetzt werden?<br />

Was muss hierzu seitens der Gemeinde und ihrer Institutionen und PartnerInnen (NGO, etc.) konkret<br />

geleistet werden und was ist seitens der Migrationsorganisationen, ihrer Kontaktpersonen sowie der<br />

älteren MigrantInnen im Allgemeinen beizutragen?<br />

Diskussionsergebnisse:<br />

Dieser Fragebereich wurde auf einer eher allgemeinen Ebene diskutiert. Die ExpertInnen sind der<br />

Ansicht, dass es ein gegenseitiges Interesse benötige für das Partizipationsverständnis der jeweils<br />

anderen. Nur auf dieser Basis könne in einem längeren Prozess eine gemeinsame<br />

Partizipationspraxis ausgehandelt werden, was die Voraussetzung für deren Gelingen sei. Im<br />

Weiteren brauche es in den Institutionen ein Umdenken bezüglich der Zielgruppe „Ältere<br />

MigrantInnen.“ Diese seien nicht einfach als DienstleistungsempfängerInnen zu verstehen, sondern<br />

als AkteurInnen, die es möglichst bereits zu Beginn eines Partizipationsprozesses einzubeziehen<br />

gelte:<br />

„Hier ist in den Institutionen wahrscheinlich ein Umdenken nötig. Da fehlt es einfach noch am<br />

Bewusstsein. Wir wollen immer etwas für die anderen machen, aber es geht eigentlich nur mit ihnen<br />

zusammen. Also, wenn wir das wirklich wollen, dann müssen wir sie eben auch fragen und<br />

miteinbeziehen und dann zusammen etwas entwickeln, eben als gleichwertige PartnerInnen. (…) Es<br />

97


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

ist vielleicht auch wichtig, auf politischer Ebene ein symbolisches Zeichen zu setzen. So wie es jetzt<br />

das ‚Jahr der Freiwilligen‘ gibt, machen wir ein ‚Jahr der MigrantInnen‘. Es muss jetzt noch viel<br />

passieren bezüglich der Veränderung unserer Haltungen, aber auch im konkreten Zusammenkommen<br />

der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Da könnte so etwas vielleicht eine Chance sein, etwas in<br />

Bewegung zu setzen.“<br />

Aber auch von MigrantInnen wird eine Bereitschaft zur aktiven Zusammenarbeit erwartet. Es sei zwar<br />

richtig, wenn diese Forderungen stellen würden, aber das alleine reiche nicht aus, es benötige eine<br />

gemeinsame Entwicklung und Umsetzung.<br />

Eine weitere wichtige Aufgabe wird in der Sensibilisierung der Bevölkerung für <strong>Integration</strong> im Sinne<br />

von Partizipation als bidirektionalen und wechselseitigen Prozess gesehen. In diesem<br />

Zusammenhang benötige es auch eine neue Informations- und Kommunikationspolitik, die viel mehr<br />

die Chancen der Bevölkerungsvielfalt fokussiere und nicht immer nur einseitig deren Probleme:<br />

„In der Öffentlichkeit ist <strong>Integration</strong> bzw. Partizipation ja immer nur ein Thema, wenn etwas nicht gut<br />

funktioniert. Vielleicht müsste man das mal umkehren und gezielt darauf hinweisen, was eigentlich<br />

alles gut läuft im Alltag, auch miteinander. Die Strategie müsste sein, den Leuten mehr Positives und<br />

die guten Erfahrungen aufzuzeigen.“<br />

Eine weitere Bedingung für die konkrete Umsetzung einer gemeinsamen Partizipation sei die<br />

gemeinsame thematische Betroffenheit. Es gelte somit gemeinsam Alltagsthemen der<br />

Lebensgestaltung im Alter zu identifizieren, die von allgemeinem Interesse seien. Als guter<br />

Ausgangspunkt wurden die lokale Ebene (Gemeinde oder Quartier) genannt sowie das Thema<br />

„Wohnen im Alter“. Dies wäre ein ideales Handlungsfeld, um kleinräumige Projekte gemeinsam zu<br />

initiieren und umzusetzen.<br />

Vorgeschlagene Ideen zur Partizipationsförderung der älteren MigrantInnen<br />

Die von den Mitgliedern der Fokusgruppe der bernischen Altersinstitutionen/-organisationen<br />

vorgeschlagenen Massnahmen (Mehrfachnennungen jeweils in einer Massnahme zusammengefasst)<br />

lassen sich folgenden vier Bereichen zuordnen:<br />

1. Politisch-Strategischer Bereich<br />

2. Struktureller/Organisatorischer Bereich<br />

3. Haltungs-/Verhaltensbereich<br />

4. Bereich einer Good Practice<br />

Die Gewichtung der vorgeschlagenen Massnahmen konzentriert sich primär mit 14 Zuordnungen auf<br />

den ‚Haltungs-/Verhaltensbereich„, gefolgt von 9 Zuordnungen zum ‚Politisch-Strategischen Bereich‟,<br />

8 Zuordnungen zum Bereich einer ‚Good Practice„ und 4 Zuordnungen zum<br />

‚Strukturellen/Organisatorischen Bereich„.<br />

98


1. Politisch-Strategischer Bereich:<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Gemeinden sollen jeweils ein Jahr unter ein spezifisches Motto stellen, z.B. „Jahr des<br />

multikulturellen Zusammenlebens“, mit konkreten Zielen, die erreicht werden sollen.<br />

Bei Behörden das Bewusstsein fördern für die Heterogenität der Altersbevölkerung, z.B. über<br />

Weiterbildung.<br />

Längerfristig über gemeinsame Partizipation an einer gemeinsamen „lokalen Identität“ bauen<br />

(z.B. „SchweizerInnen sind wir nicht alle, aber BernerInnen - im Sinne von territorialer<br />

Zugehörigkeit zur Wohnbevölkerung - sind wir alle und übernehmen gemeinsam Verantwortung.“<br />

(Stichwort: aktive Bürgerschaft).<br />

Es ist auch auf ein politisches Partizipationsrecht (Stimm- und Wahlrecht) für MigrantInnen<br />

hinzuwirken, die Möglichkeit zur aktiven Bürgerschaft (ohne politische Rechte) reicht nicht.<br />

Partizipation ist nicht gratis: Gemeinde/Kanton muss finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, um<br />

die Partizipation zu fördern (spez. für die aufwändigere Erreichung der Zielgruppe: Übersetzung<br />

von Informationsmaterial und Informationsveranstaltungen, etc.).<br />

Gemeinden müssen einen öffentlichen Diskurs über Partizipation initiieren.<br />

Alterspolitik und –arbeit sind „weiblich“. Ziel muss auch der Einbezug von Männern in die<br />

Partizipation zu Fragen des Alter(n)s sein.<br />

<strong>Integration</strong>spolitik muss die Partizipation zum Ziel haben bzw. <strong>Integration</strong> ist Partizipation im<br />

Sinne von Mitsprache, Mitwirkung und Mitentscheidung.<br />

Alterspolitik muss eine Diversitätsperspektive verfolgen, d.h. Mainstreaming von ‚Migration„ und<br />

‚Gender„ als Querschnittsthemen in Verwaltungsbehörden, Organisationen (auch NGO) sowie in<br />

den Medien.<br />

2. Struktureller/Organisatorischer Bereich:<br />

Besetzen von Schlüsselstellen in der Gemeinde mit Personen mit Migrationshintergrund<br />

(beispielsweise Leiterin der die Gemeinde beratende ‚Arbeitsgruppe Alter und Migration„).<br />

Einsatz von Schlüsselpersonen als MultiplikatorInnen, TüröffnerInnen und Vertrauenspersonen<br />

der Zielgruppe.<br />

Gezielte und aktive Vernetzung von Gemeinde, Migrations- und Altersorganisationen.<br />

Gemeinsam den Bedarf erheben, gemeinsam Ressourcen und Finanzen zur Verfügung stellen<br />

sowie Lösungen entwickeln.<br />

Schaffung von Infrastruktur (Soziale Treffpunkte: Planung, Einrichtung und Finanzierung).<br />

3. Haltungs-/ Verhaltensbereich (gegenseitige Erwartungen/Forderungen):<br />

Altersinstitutionen/-organisationen sollen sich aktiv in Kenntnis setzen über die lokale ältere<br />

Migrationsbevölkerung, indem sie diese aufsuchen an ihren lebensweltlichen Bezugsorten (z.B.<br />

in ihren Vereinen), sie kennenlernen, namentlich solche Personen, die partizipieren möchten<br />

(Daten erheben, Namenskarteien anlegen). MigrantInnen anhalten, MultiplikatorInnen zur<br />

Verfügung zu stellen.<br />

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«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Wertschätzende Haltung gegenüber älteren MigrantInnen einnehmen und Anerkennung geben.<br />

Sich für ältere MigrantInnen, ihre Biografie, Lebenswelten sowie ihre Sozialnetzte (Vereine, etc.)<br />

und ihre Aktivitäten interessieren.<br />

Schrittweiser Vertrauensaufbau und sich dafür viel Zeit nehmen. Vertrauensbildende<br />

Massnahmen, um Misstrauen in den schweizerischen Staat abzubauen.<br />

Seitens der schweizerischen Institutionen/Organisationen benötigt es Kontaktpersonen, die<br />

selber über Fremdsprachenkenntnisse und Wissen über die Herkunftskontexte/Biografien der<br />

älteren MigrantInnen verfügen.<br />

Bedürfnisse, Wünsche, Erwartungen und Forderungen der älteren Migrationsbevölkerung im<br />

lokalen Kontext erheben.<br />

Entschädigung für Partizipation anbieten (diese nicht einfach auf ehrenamtlicher Basis<br />

voraussetzen).<br />

Seitens der Kontaktpersonen aus der Migrationsbevölkerung benötigt es auch den Willen, Neues<br />

und Unkonventionelles auszuprobieren.<br />

Gegenseitiges Kennenlernen mit den je eigenen Ressourcen und „sozialen Ritualen“, Aufbau von<br />

gegenseitigem Verständnis; gegenseitiger Respekt und Anerkennung von Rechten und Pflichten.<br />

Gegenseitige Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen für eine gemeinsame Partizipation.<br />

Forderung an Migrationsbevölkerung, flexibel zu sein, von vielleicht aktuell unrealistischen<br />

Wünschen abzurücken und zur konkreten Mitarbeit bereit zu sein.<br />

Erwartung an die Migrationsbevölkerung, Geduld zu haben (Es benötige Zeit, um 1. das Problem<br />

zu erkennen, 2. Massnahmen zu formulieren und 3. die Umsetzung aufzugleisen).<br />

Erwartungen der Altersinstitutionen/-organisationen, dass MigrantInnen die von ihnen<br />

angebotenen Dienstleistungen (Vereine, Sprachkurse, Informationsanlässe) nutzen.<br />

Nebst den Forderungen seitens älterer MigrantInnen müssten diese auch Bereitschaft zur<br />

Mitgestaltung von Veränderungen zeigen. Forderungen sind realistisch zu formulieren, damit<br />

Umsetzungschancen erhalten bleiben.<br />

4. Bereich einer Good Practice:<br />

Es gilt jeweils lokal oder regional/überregional good practice Ansätze zur Partizipationsförderung<br />

zu identifizieren, evaluieren und multiplizieren (Bsp. niederschwelliger Runder Tisch im Raum<br />

Lyss, „Könizer Modell“, etc.)<br />

Partizipationsangebote zielgruppen- und bedürfnisorientiert und nicht angebotsorientiert<br />

entwickeln.<br />

Ressourcen- und nicht defizitorientierte Ansätze; Ressourcen nutzen, d.h. z.B. ältere<br />

MigrantInnen sollen Gelegenheit haben, ihre Ressourcen (Küche, Kultur, soziales<br />

Organisationstalent, etc.) darzustellen, über ihr Leben und ihre Erfahrungen in der Schweiz zu<br />

erzählen; ihre Biografie ist wissenswert und lehrreich.<br />

Generationenübergreifende Altersarbeit mit MigrantInnen (Intergenerationalität).<br />

Kleinräumige Projekte, die alle ansprechen (z.B. auf Quartierebene).<br />

100


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Die Zielgruppe „ältere MigrantInnen“ bereits bei der Planung von Projekten immer mit<br />

einbeziehen.<br />

Gemeinsam sowohl interkulturelle als zugleich intergenerationelle Projekte entwickeln und<br />

durchführen.<br />

Partizipation mittels eines Ansatzes der „Betroffenendemokratie“ fördern: Viele Themen,<br />

Bedürfnisse und Probleme im Alter (Wohnen, Gesundheit, Familie, soziales Netz,<br />

intergenerationelle Beziehungen, Finanzen, Leben und Sterben) sind herkunftsunabhängig und<br />

werden geteilt bzw. vermitteln eine gemeinsame Betroffenheit. Diese kann als Ausgangspunkt für<br />

gemeinsame Partizipation dienen.<br />

Interpretation der Fokusgruppendiskussion mit VertreterInnen von Altersinstitutionen und –<br />

organisationen von Stadt und Kanton Bern<br />

Die Fokusgruppendiskussion verlief in einer engagierten Atmosphäre. Alle von der Moderatorin<br />

gestellten Fragen wurden diskutiert, jedoch nicht gleichermassen systematisch und nicht überall in<br />

derselben Tiefe. Die Teilnehmenden zeigten eine erhöhte Sensibilität für die Zielgruppe ‚ältere<br />

MigrantInnen„, auch wenn in ihrer täglichen Arbeit nicht alle in gleicher Weise und gleich intensiv mit<br />

dieser konfrontiert werden. Interessant war, dass sie bei den meisten Fragen, auch wenn sich diese<br />

auf sie selber oder die Organisationen/Institutionen des Altersbereichs bezogen, die sie vertreten, eine<br />

hohe Bereitschaft zum Perspektivenwechsel bzw. zur Identifizierung mit der Zielgruppe ihrer Arbeit<br />

zeigten und immer wieder aus der Sicht von MigrantInnen argumentierten. Beispielsweise zeigten sie<br />

Verständnis dafür, dass die älteren italienischen MigrantInnen der Meinung sind, die schweizerischen<br />

Organisationen/Institutionen müssten den ersten Schritt für eine Kontaktaufnahme und spätere<br />

gemeinsame Partizipation machen.<br />

Die Diskussion verlief mehrheitlich nicht kontrovers, sondern häufig einander bestätigend und die<br />

jeweiligen Blickwinkel ergänzend. Insgesamt war ein grosses Bemühen festzustellen, sich auf die<br />

Herausforderungen in der Alterspolitik und –arbeit mit älteren MigrantInnen einzulassen. Die Lust auf<br />

Auseinandersetzung war spürbar, ebenfalls eine hohe Bereitschaft zur Selbstreflexion und –kritik. Es<br />

wurde festgestellt, dass – obwohl alle in der Stadt oder im Kanton Bern im Altersbereich tätig sind -<br />

längst nicht alle die Arbeitsbereiche und/oder Projekte voneinander kennen. Als positiver Nebeneffekt<br />

der Diskussion wurde das gegenseitige Interesse geweckt, der Austausch von Adressen sowie der<br />

Wunsch nach projektbezogener Vernetzung untereinander gefördert.<br />

Bei folgenden Themen wurde – basierend auf den diskutierten Erfahrungen der Teilnehmenden - ein<br />

Erkenntnisprozess ausgelöst, der für künftige Massnahmen im Rahmen eines Modells <strong>MIGRALTO</strong><br />

relevant sein wird:<br />

Diversität der älteren Migrationsbevölkerung: Die ältere Migrationsbevölkerung ist ebenso divers<br />

wie die schweizerische Altersbevölkerung. Ethnische Gruppen sind zudem auch in sich selbst niemals<br />

homogen. Somit wird es schwierig, die Vertretung/Repräsentanz von Interessen alleine an ethnische<br />

Zugehörigkeitskriterien zu knüpfen und stellt sich die Frage, ob die Zusammenarbeit mit Personen und<br />

Gruppen entlang ethnischer Definitionen in jedem Fall Sinn macht.<br />

101


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Gemeinsame Betroffenheit von Themen und aufgrund des gemeinsamen Lebensraums: Nebst<br />

der hohen Diversität besteht auch eine Similarität aufgrund gemeinsamer Betroffenheit durch<br />

gemeinsame Themen im Alter sowie aufgrund eines gemeinsam geteilten Lebensumfelds (z.B. die<br />

Stadt Bern oder ein Quartier).<br />

Gegenseitige Kenntnis und Vertrauen als Grundlage gemeinsamer Partizipation: Good practice-<br />

Erfahrungen – beispielsweise der sogenannte „Runde Tisch in Lyss“ – zeigen, dass gemeinsame<br />

Partizipation sehr niederschwellig ansetzen muss. Sie setzt einen zeitlich grosszügig bemessenen<br />

Prozess des gegenseitigen Kennenlernen(wollens) und gegenseitiger Vertrauensbildung voraus.<br />

Partizipation basiert auf dem Prinzip der Betroffenendemokratie: Ist oben genannte Grundlage<br />

einmal gelegt, können Themen der gemeinsamen Betroffenheit identifiziert und diskutiert werden.<br />

Partizipation basiert auf dem Prinzip der Territorialdemokratie: Partizipation hat die besten<br />

Chancen bezogen auf den eigenen Lebensort/-raum (Wohngemeinde, Wohnquartier). Es besteht ein<br />

Interesse, dort mitsprechen, mitwirken und mitentscheiden zu können, wo die eigene räumliche<br />

Betroffenheit am direktesten gegeben ist.<br />

Voraussetzung für gemeinsame Partizipation ist der gegenseitige Respekt vor den bisherigen<br />

Kompetenzen und Erfahrungen der verschiedenen AkteurInnen mit Partizipation: Strukturelle<br />

Rahmenbedingungen für eine gleichwertige Partizipation sind wichtig, reichen aber alleine nicht aus,<br />

wenn die beteiligen Akteure nicht auch auf der Haltungsebene bereit sind, sich für ihnen allenfalls<br />

fremde Partizipationserfahrungen, -praktiken und -kompetenzen zu interessieren und sich gegenseitig<br />

darauf einzulassen.<br />

Partizipation ist ein Prozess der gegenseitigen Kompetenzerweiterung und der transkulturellen<br />

Aushandlung: Das Verständnis von Partizipation ist vielfältig. Es benötigt eine Einigung auf<br />

gemeinsame Grundregeln. Bei der Ausgestaltung von Partizipationsprozessen müssen die diversen<br />

AkteurInnen hingegen Bereitschaft zur Flexibilität und Offenheit für ein gegenseitiges voneinander<br />

Lernen zeigen.<br />

Bedürfnisse und Formen der Partizipation können sich je nach Zielgruppen innerhalb der<br />

älteren Migrationsbevölkerung unterscheiden: Gemeinden, welche die Partizipation älterer<br />

MigrantInnen fördern möchten, müssen sich bewusst sein, dass Gender, drittes oder viertes<br />

Lebensalter, Bildungsstand, Schichtzugehörigkeit, Religionszugehörigkeit, Zivilstand, Sozialisierung<br />

im Herkunftsland, etc. alles Faktoren sind, welche unterschiedliche Bedürfnisse und Formen der<br />

Partizipation hervorbringen können. Diesen ist in der Ausgestaltung von Partizipation allenfalls auch<br />

zielgruppenspezifisch Rechnung zu tragen.<br />

102


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

5.3 Auswertung der Daten aus den Interviews mit MigrantInnen<br />

und aus der Fokusgruppe mit VertreterInnen von<br />

Migrantenorganisationen und Ergebnisse (V. Abati)<br />

5.3.1 Auswertung und Ergebnisse Einzelinterviews mit MigrantInnen<br />

Die Daten des quantitativen und des qualitativen Teils der Interviews wurden getrennt ausgewertet<br />

und sie werden in der Folge auch getrennt dargestellt und kommentiert. Wo sinnvoll wird jedoch vom<br />

quantitativen auf den qualitativen Teil und umgekehrt verwiesen, respektive es werden, wo sinnvoll,<br />

Auffälligkeiten oder mögliche Zusammenhänge aufgezeigt. Im quantitativen Teil der Fragen hatten die<br />

Probanden jeweils die Möglichkeit, Bemerkungen zu machen, die anschliessend wörtlich von der<br />

Tonbandaufnahme transkribiert wurden. Diese transkribierten Bemerkungen wurden für den Teil der<br />

qualitativen Auswertung genutzt. Dasselbe gilt für alle anderen auf Tonband festgehaltenen und<br />

transkribierten Äusserungen der Probanden bei den quantitativen Fragen.<br />

5.3.1.1 Auswertung und Ergebnisse der quantitativen Interviewdaten<br />

Die quantitativen Daten, also der erste Block des Fragebogens, werden nur in Bezug auf die Anzahl<br />

Nennung, also in Bezug auf Ihre Häufung analysiert.<br />

Tabelle 6: Sozio-demografische Angaben<br />

Frage<br />

Soziodemografische Fragen<br />

103<br />

Anzahl<br />

Nennungen<br />

männlich 13<br />

weiblich 9<br />

Durchschnitt<br />

Alter in J. 1607 73<br />

ital. Staatsbürger 17<br />

Doppelbürger 5<br />

eingebürgert<br />

in der CH seit (Jahrzahl)<br />

in Anzahl Jahren 1156 52.5<br />

keine Ausbildung 6<br />

angelernt 12<br />

Lehre 1<br />

tertiär 4<br />

andere 1<br />

Kinder nein 2<br />

ja 20<br />

wie viele 36<br />

Enkelkinder nein 8<br />

ja 14<br />

wie viele 42<br />

Rückkehr nicht vorgesehen 20<br />

in x Jahren vorgesehen 2<br />

parzielle Rückkehr


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Die insgesamt 22 Probanden verteilen sich geschlechtsspezifisch auf 13 Männer und 9 Frauen. Dies<br />

entspricht einem ausgewogenen Verhältnis zwischen den beiden Geschlechtern. In Bezug auf die<br />

Auswertung der Daten gilt es allerdings festzuhalten, dass diese nicht auf geschlechtsspezifische<br />

Unterschiede untersucht wurden. Dafür ist einerseits die Datenmenge (n = 22) zu klein und<br />

andererseits wird eine diesbezügliche Unterscheidung für die Fragestellung der Untersuchung als<br />

zweitrangig angesehen. Ein konkreter Faktor liesse sich weiter vertiefen: Wenn es um eine „offizielle<br />

Funktion“ innerhalb einer Vereinigung oder einer Institution geht, scheinen diese deutlich häufiger von<br />

Männern übernommen zu werden als von Frauen. Inwieweit und ob sich diese Beobachtung auf die<br />

Thematik der Partizipation im Sinne der aktiven Bürgerschaft im Vergleich von Männern und Frauen<br />

auswirkt, bedarf einer weiteren Klärung.<br />

Die Altersgruppen verteilen sich über ein Spektrum von 65 (Mindestalter, das als Kriterium bei der<br />

Auswahl der Probanden festgelegt wurde) bis über 80 Jahre. Der älteste Proband war zu Zeit des<br />

Interviews 88 Jahre alt.<br />

Die Aufteilung der Probanden nach Altersgruppen zeigt sich wie folgt:<br />

65 – 69 n = 6<br />

70 – 74 n = 9<br />

75 – 79 n = 3<br />

80 – mehr n = 4<br />

Der bisherige Grad von Partizipation und Aktivität in den eigenen Strukturen und Vereinigungen ist bis<br />

etwa zum 75. Lebensjahr altersunabhängig. Das heisst, wer bis dahin aktiv war und partizipiert hatte,<br />

tat das auch bis ins höhere Alter. Ab dem 76. Lebensjahr lässt sich feststellen, dass die Äusserung, in<br />

der Zwischenzeit zu alt für eine aktive Beteiligung an der Gesellschaft zu sein, gehäuft auftritt. Man sei<br />

dann einfach zu alt, habe nicht mehr die entsprechende Energie oder möchte einfach seine Ruhe<br />

geniessen.<br />

Bei der Frage der Staatsbürgerschaft fällt auf, dass keiner der Probanden in der Schweiz eingebürgert<br />

ist. 17 Personen sind nach wie vor italienische Staatsbürger, 5 sind durch Heirat italienisch-<br />

schweizerische Doppelbürger. Der Grund dafür mag in der Tatsache liegen, dass in früheren Zeiten<br />

die Doppelbürgerschaft in Italien nicht anerkannt war und dass die ItalienerInnen der ersten<br />

Generation auf eine Einbürgerung verzichtet hatten, um die italienische Staatsbürgerschaft nicht zu<br />

verlieren. Dieser Frage wurde allerdings nicht vertieft nachgegangen.<br />

Insgesamt haben die 22 befragten Personen 1„156 Jahre in der Schweiz verbracht, das entspricht<br />

einem Durchschnitt von 52,5 Jahren pro Person. In Bezug auf die Lebenserwartung der untersuchten<br />

Kohorte entsprechen diese in der Schweiz verbrachten Lebensjahre deutlich mehr als der Hälfte eines<br />

ganzen Lebens.<br />

Was den Bildungsstand der Interviewten betrifft, zeigt sich, dass MigrantInnen der ersten Generation<br />

ein tiefes Bildungs- und Ausbildungsniveau mitbringen. In der vorliegenden Untersuchung haben die<br />

meisten keine Ausbildung oder wurden in ihrer Jugend oder im frühen Erwachsenenalter in einem<br />

Beruf angelernt. Das entspricht auch heute noch der italienischen Bildungslandschaft, welche neben<br />

104


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

der universitären Ausbildung das klassische System der Lehre, wie es in der Schweiz besteht, nicht<br />

kennt.<br />

Ausser zwei der befragten Personen haben alle anderen Kinder, welche als sogenannte Secondos im<br />

schweizerischen Alltags- und Berufsleben bestens integriert sind. Zwei Drittel geben an, Enkelkinder<br />

zu haben. Die Frage, inwiefern Kinder und Enkelkinder zum Entscheid geführt haben, den<br />

Lebensabend in der Schweiz zu verbringen, wurde nicht gestellt (siehe nächsten Punkt Rückkehr).<br />

Für zwanzig der befragten Personen ist eine Rückkehr nach Italien nicht vorgesehen. Neunzehn<br />

dieser Personen haben Kinder, die hier leben. Zwei dieser neunzehn Personen haben keine Kinder,<br />

wollen aber dennoch hier bleiben. Eine Person, die sowohl Kinder als auch Enkelkinder hier hat, gibt<br />

an, so schnell wie möglich nach Italien zurückkehren zu wollen. Eine Person, die ebenfalls Kinder und<br />

Enkelkinder hier hat, sagt, dass sie dann nach Italien zurückkehren wird, sobald das Geld zum Zahlen<br />

(der Verpflichtungen, die Autorin) nicht mehr reichen wird. Eine nähere Angabe zu dieser Aussage<br />

machte die Probandin nicht. Keiner der Probanden gab an, eine parzielle Rückkehr in Betracht zu<br />

ziehen. Gemeint ist hier, dass ein Teil des Jahres in der Schweiz und ein Teil des Jahres in Italien<br />

verbracht werden würde.<br />

Tabelle 7: Interviewfrage 1<br />

Frage<br />

1<br />

An wen wenden Sie sich bei Fragen zum Alter?<br />

105<br />

Anzahl<br />

Nennungen<br />

(jüngere) Familienmitglieder 6<br />

Migranten-Organisationen 10<br />

Verwaltungsstellen (z.B. Sozialdienst) 8<br />

Quartierleist 0<br />

Freunde aus der eigenen Migrantengruppe 3<br />

Schweizer Freunde 0<br />

Arzt 6<br />

Gewerkschaften 4<br />

Missione Cattolica / andere kirchl. Institutionen 5<br />

Mehrfachnennungen waren möglich<br />

Bei der Frage, an wen sie sich bezüglich des Themas Alter wenden würden oder bereits wenden,<br />

figurieren an erster Stelle Migrantenorganisationen, danach die Familienmitglieder. Ebenfalls aus der<br />

eigenen Sprachgruppe werden in absteigender Reihenfolge genannt: Missione Cattolica/Kirche (5<br />

Nennungen), Gewerkschaften (4 Nennungen) und Freunde (3 Nennungen).<br />

Auch bei deutsch-sprachigen Stellen wird bei Altersfragen um Information nachgesucht: Bei<br />

Verwaltungsstellen (meist in Bezug auf finanzielle Fragen) und auch bei Ärzten. Bei den Ärzten wurde<br />

jeweils speziell als Bedingung erwähnt, dass diese neben Deutsch auch Italienisch sprechen.<br />

Auffällig war, dass diese Frage für die Interviewten ungewöhnlich war. Teilweise wurde sogar<br />

ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie sich diese Frage selbst noch nicht gestellt hatten und sie<br />

daher zuerst einen Moment darüber nachdenken mussten, welche Antwortmöglichkeiten sie angeben<br />

wollten.


Tabelle 8: Interviewfrage 2<br />

Frage<br />

2<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Ist eine spezielle öffentliche Anlaufstelle<br />

für Altersfragen sinnvoll?<br />

106<br />

Anzahl<br />

Nennungen<br />

ja 21<br />

nein 1<br />

Bedingungen: (nur JA-Antworten eingeben)<br />

Mitarbeitende (MA) sprechen italienische Sprache 10<br />

Ma stammen aus eigener Migrantengruppe 4<br />

MA verstehen Probleme der ital. MigrantInnen 19<br />

andere 3<br />

Gibt es im eigenen Umfeld eine solche Anlaufstelle:<br />

ja 6<br />

nein 16<br />

Wenn ja, was?<br />

Mehrfachnennungen bei „Bedingungen“ waren möglich<br />

Mit einer Ausnahme geben alle Probanden an, dass sie eine spezielle öffentliche Anlaufstelle für<br />

Altersfragen als sinnvoll einstufen. Bei den Bedingungen, unter welchen sie eine solche Anlaufstelle<br />

auch nutzen und aufsuchen würden, sind zwei Faktoren ausschlaggebend: Die Mitarbeitenden dort<br />

sprechen Italienisch und/oder die Mitarbeitenden dort verstehen die Probleme der italienischen<br />

MigrantInnen. Es gibt mehrheitlich (noch) keine solchen Anlaufstellen in der Wohnumgebung der<br />

Befragten.<br />

Tabelle 9: Interviewfragen 3a und 3b<br />

Frage<br />

3a<br />

3b<br />

War schon in Italien aktiv im Sinne von Partizipation?<br />

Anzahl<br />

Nennungen<br />

politisch 4<br />

gewerkschaftlich 4<br />

kirchlich 9<br />

Verein/Vereinigung 5<br />

selbstorganisierte Gruppen 1<br />

andere<br />

Hat die Kriegs-/Nachkriegszeit den eigenen<br />

Partizipationsentscheid beeinflusst?<br />

nein 16<br />

ja 6<br />

wenn ja, wie<br />

Mehrfachnennungen bei 3a waren möglich<br />

Insgesamt 16 Personen haben angegeben, bereits in Italien partizipativ aktiv gewesen zu sein im<br />

Sinne von bürgerschaftlichem Engagement. Sieben dieser Personen geben an, in verschiedenen<br />

Bereichen aktiv gewesen zu sein. Die anderen 9 Probanden geben an, in Italien nicht aktiv partizipiert<br />

zu haben. Der meistgenannte Bereich für partizipative Aktivitäten ist die Kirche mit insgesamt 9<br />

Nennungen. Bei der Frage 3b sollte in Erfahrung gebracht werden, ob die Tatsache, den Krieg oder<br />

die Nachkriegszeit miterlebt zu haben, ihre Entscheidung, im Leben Partizipation im Sinne der aktiven<br />

Bürgerschaft zu betreiben, beeinflusst habe. Mehr als zwei Drittel der Befragten gibt an, dass das<br />

nicht der Fall war. Jene 6 Personen, die diese Frage mit ja beantwortet haben, haben dies wie folgt<br />

begründet:


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

- Der Krieg und die danach herrschende Armut haben evtl. eine partizipative Haltung gefördert.<br />

- Die Armut hat zu einer Arbeitermentalität geführt.<br />

- Der Krieg hat zu einer ablehnenden Haltung gegenüber Faschismus und Arroganz geführt.<br />

- Nach dem Krieg gab es viele Kinder, die alle bei der Arbeit der Eltern mitgeholfen haben.<br />

- Man wollte etwas für den Einsatz der Eltern zurückgeben.<br />

Insgesamt lässt sich in Bezug auf diese Frage sagen, dass die erlebte Kriegs- oder Nachkriegszeit<br />

keinen direkten oder spezifischen Einfluss auf das Partizipationsverhalten der Einzelnen hatte.<br />

Tabelle 10: Interviewfrage 4<br />

Frage<br />

4<br />

Im eigenen Quartier bereits aktiv i.S. von Partizipation?<br />

107<br />

Anzahl<br />

Nennungen<br />

ja 11<br />

nein 11<br />

wenn nein, warum nicht<br />

Bei dieser Frage findet sich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen jenen Personen, die im eigenen<br />

(schweizerischen) Wohnquartier bereits aktiv sind oder waren und jenen, die es nicht sind oder waren.<br />

Dabei machen die Partizipierenden folgende Bemerkungen:<br />

- Vielleicht nehmen die Alten in den Vereinigungen teil, weil sie sich zu Hause alleine fühlen:<br />

Aber was ist in 5 bis 10 Jahren?<br />

- Gewerkschaftlich aktiv, immer in führender Position – Mitgründer des CISAP<br />

- Ich war in ganz vielen Vereinigungen aktiv und bin es noch<br />

- Mitglied im Club 70+, Freiwilligenarbeit<br />

- In unserem Alter lernt man nicht mehr viel, aber wenigstens kommt man so ein bisschen raus.<br />

- War für 8 Jahre bei Ausländerfragen für die Gemeinde beratend tätig.<br />

- Freiwilligenarbeit beim Roten Kreuz<br />

- In der Pensioniertenvereinigung im Quartier mit dabei<br />

- Zusammen mit den Schweizern gegen einen Entsorgungshof engagiert, für solche Sachen<br />

partizipiert man miteinander.<br />

- Ich bin ziemlich aktiv.<br />

Die nicht-partizipierenden Personen geben dagegen folgendes an:<br />

- In meinem Alter mache ich nichts mehr.<br />

- Früher schon, heute nicht mehr.<br />

- Früher war ich Mitglied, aber diese Vereinigungen sterben langsam aus. Die erste Generation ist<br />

nicht mehr aktiv, weil sie alt ist. Die Jungen interessieren sich nicht.<br />

- Mit der Arbeit, den Kindern und Enkelkindern fühlte ich mich voll ausgelastet.<br />

- Heute als Pensionierter nicht mehr, auch weil ich viel weg bin<br />

- Ich mache anderes, z.B. zur Wohnung schauen<br />

- Ich bin nirgends mehr aktiv, helfe aber bei Festen oder so<br />

- Nachdem ich krank wurde, konnte ich nicht mehr arbeiten<br />

- Nachdem ich einmal reingelegt wurde in einer italienischen Vereinigung, habe ich mich


zurückgezogen<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

- Vielleicht waren wir einfach gleichgültig und haben uns nur für die Familie interessiert oder auch<br />

einfach nichts gebraucht.<br />

- Wir können ohne Stimmrecht nicht partizipieren, also nehme ich nirgends teil.<br />

Tabelle 11: Interviewfrage 5<br />

Frage<br />

5<br />

Hat Gemeinde zu Partizipations-Prozessen eingeladen?<br />

108<br />

Anzahl<br />

Nennungen<br />

ja 9<br />

nein 13<br />

wann<br />

zu welchen Themen<br />

Der Einladung gefolgt:<br />

ja 7<br />

nein<br />

Mehr als die Hälfte gibt an, bisher noch nie von der eigenen Wohngemeinde zu Partizipations-<br />

Prozessen eingeladen worden zu sein. Neun Personen geben an, bereits eingeladen worden zu sein<br />

und sieben davon sind der Einladung der Gemeinde gefolgt.<br />

Die Frage nach den Themen der partizipativen Prozesse ergab folgende Antworten:<br />

- Von verschiedenen Gesellschaften (Gemeinde/Vereinigungen) eingeladen worden<br />

- Die wussten, dass ich nicht mitmachen würde. Ich habe Freiwilligenarbeit gemacht.<br />

- Frauenverein<br />

- Für ein einigendes Fest von Schweizern und Ausländern, dann waren aber die Schweizer und<br />

die Ausländer je unter sich.<br />

- Die Gemeinde hat verschiedene Bewohner, auch Ausländer, für die Lösung eines aktuellen<br />

Problems zum Mitmachen eingeladen<br />

- Der Punkt ist, dass du ohne Staatsbürgerschaft automatisch draussen bist.<br />

- Schriftliche Informationen in deutscher Sprache lese ich gar nicht.<br />

- Beim Projekt der Vereinigung „Terza età“ mitgemacht.<br />

- Wir haben Karten nach Hause geschickt bekommen.<br />

- Jetzt, wo ich pensioniert bin, erhalte ich manchmal einen Brief von den ital. Vereinigungen.<br />

Tabelle 12: Interviewfrage 6<br />

Frage<br />

6<br />

Bei welchen Themen ist Mitsprache/-entscheid<br />

gewünscht?<br />

Anzahl<br />

Nennungen<br />

Quartiergestaltung (Tempolimit/Grünanlagen, etc.) 10<br />

Angebotsgestaltung 13<br />

Mobilität 5<br />

Wohnen 9<br />

Gesundheitsthemen 16<br />

weitere 2<br />

Mehrfachnennungen waren möglich


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Diese Frage zielt konkret darauf ab, ob eine Mitsprache oder ein Mitentscheid in spezifischen<br />

Bereichen gewünscht ist, ohne dass dabei eine aktive Partizipation im Sinne von Mitwirken oder<br />

Mitentwickeln verbunden sein muss (siehe Frage 7).<br />

Die drei häufigsten Nennungen betreffen das Thema Gesundheit (16), die Angebotsgestaltung (13)<br />

sowie die Quartiergestaltung (10).<br />

Tabelle 13: Interviewfrage7<br />

Frage<br />

7<br />

Bei welchen Angeboten würden Sie gerne mitwirken?<br />

109<br />

Anzahl<br />

Nennungen<br />

Bildungsangebote 8<br />

Angebote zu Gesundheit 10<br />

Mithilfe bei Beratung/Begleitung Altersfragen 11<br />

weitere 1<br />

Mehrfachnennungen waren möglich<br />

Bei der Frage 7 geht es ganz spezifisch darum, ob die Befragten bei Angeboten / Projekten /<br />

Prozessen mitwirken möchten im Sinne von Mitentwickeln, Mitgestalten und Umsetzen. Das Interesse<br />

in Bezug auf die Themen ist relativ ausgewogen mit 8, 10 und 11 Nennungen.<br />

Während 16 der Interviewten angeben, dass sie (durch Angabe der Themen) an aktiver Mitwirkung<br />

interessiert sind, geben 6 von ihnen an, kein Interesse an Mitwirkung zu haben. Von den 16 Personen<br />

mit Interesse, haben 9 Mehrfach-Antworten gegeben.<br />

Tabelle 14: Interviewfrage 12<br />

Frage<br />

12<br />

Wie muss die Stadt Bern vorgehen, um MigrantInnen für<br />

Partizipation zu gewinnen?<br />

Anzahl<br />

Nennungen<br />

CH Vertreterinnen in italienische Organisationen kommen 19<br />

2. Generation soll miteinbezogen werden 17<br />

Infos müssen in italienischer Sprache angeboten werden 20<br />

Teilnahme von ital. Ansprechpartnern/Kontaktpersonen aus<br />

der eigenen Community 21<br />

weitere 7<br />

Mehrfachnennungen waren möglich<br />

Bei allen Antwortmöglichkeiten zeigt sich eine hohe Anzahl Nennungen (17 bis 21 Nennungen pro<br />

Antwortmöglichkeit). Hier lassen sich eindeutige Hinweise für den Zugang zu und das Zugehen auf<br />

ältere MigrantInnen ablesen, wenn diese für Partizipationsprozesse gewonnen werden sollen.<br />

Tabelle 15: Interviewfrage 15<br />

Frage<br />

15<br />

Kennen Sie die CH <strong>Integration</strong>spolitik<br />

Anzahl<br />

Nennungen<br />

ja 11<br />

nein 11<br />

Bei dieser Frage muss angefügt werden, dass gerade bei jenen, die angegeben haben, dass sie die<br />

<strong>Integration</strong>spolitik der Schweiz kennen würden, ein sehr unterschiedliches Verständnis bezüglich dem<br />

Terminus „<strong>Integration</strong>spolitik“ bestand.


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Bei den Befragten, die diese Frage mit Ja beantwortet haben, muss tendenziell davon ausgegangen<br />

werden, dass sie zwar wissen, dass <strong>Integration</strong> im politischen Sinne gesteuert wird. Dass es sich<br />

dabei um eine Politik handelt, die auf einer konkreten gesetzlichen Grundlage beruht, ist nur einer<br />

Person klar, da sich diese aktiv und vertieft mit der Thematik der <strong>Integration</strong>spolitik befasst hat.<br />

Bei den Personen, die diese Frage verneinten, herrschte ein spontanes und klar geäussertes Nein<br />

vor. Einige beantworteten die Frage erst – dann aber mit einem deutlichen Nein – als die Interviewerin<br />

einige Zusatzinformationen und Erklärungen zum Begriff <strong>Integration</strong>spolitik gab.<br />

Tabelle 16: Interviewfrage 16<br />

Frage<br />

16<br />

Was halten Sie von der Idee, ältere MigrantInnen für<br />

Partizipation zu gewinnen?<br />

Grundsätzlich:<br />

110<br />

Anzahl<br />

Nennungen<br />

zeitgemäss und notwendig 10<br />

zeitgemäss aber illusorisch 0<br />

wünschenswert 9<br />

nicht nötig 3<br />

Umsetzbarkeit:<br />

nicht umsetzbar 4<br />

nur umsetzbar, wenn MigrantInnen mitentscheiden können 14<br />

Bei der Frage, was die Probanden von der Idee halten, ältere MigrantInnen in Zukunft für Partizipation<br />

gewinnen zu wollen, geben sie an, dass sie das grundsätzlich für zeitgemäss und notwendig halten<br />

(10 Nennungen), weitere 9 Personen geben an, dass es zumindest wünschenswert wäre.<br />

Bei der Umsetzbarkeit der Partizipation älterer MigrantInnen wird deutlich, dass diese aus ihrer Sicht<br />

nur gelingen kann, wenn MigrantInnen bei den Partizipationsprozessen auch mitentscheiden können.<br />

Vier von zweiundzwanzig Befragten geben an, dass sie nicht glauben, dass das umsetzbar ist.<br />

Tabelle 17: Interviewfrage 17<br />

Frage<br />

17<br />

Definition Partizipation<br />

Teilen Sie dieses Verständnis von Partizipation?<br />

Anzahl<br />

Nennungen<br />

vollständig 13<br />

teilweise 9<br />

nein<br />

Den Befragten wurde zu Beginn des Interviews und dann erneut vor der Beantwortung dieser Frage<br />

folgende Definition von Partizipation in italienischer Sprache und schriftlich vorgelegt:<br />

Definition von Partizipation:<br />

Ältere MigrantInnen sollen – auch wenn sie kein politisches Recht (kein Stimm- und kein Wahlrecht) haben – an<br />

ihrem Wohnort als gleichwertige Bürger partizipieren können im Sinne von mitreden, mitentscheiden und<br />

mitgestalten bei Themen des allgemeinen Lebens und des Lebensraumes.<br />

Etwas mehr als die Hälfte der Interviewten antwortet, dass sie diese Definition von Partizipation<br />

vollständig teilen können. Neun der Befragten beantworten dies mit „teilweise“. Während niemand die


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Frage mit „nein“ beantwortet hat, haben diejenigen Personen, die mit „teilweise“ geantwortet haben,<br />

folgende Bemerkungen dazu gemacht:<br />

- Der Ausländer trägt automatisch mit seinem Geld bei, dafür sollte er auch mitreden können.<br />

- Das ist illusorisch.<br />

- Aufgrund der Sprache glaube ich nicht, dass sie (die Italiener) sich wirklich einbringen können.<br />

- Es braucht mindestens das kommunale Stimmrecht.<br />

- Du kannst zwar vielleicht mitreden, aber entscheiden kannst du dann nicht.<br />

- Funktioniert nicht, weil sich z.B. ein Türke nie integrieren würde.<br />

- Unterschiedliche Religionen erschweren das.<br />

- Bei kommunalen Sitzungen war ich immer der einzige Ausländer.<br />

- Die Ausländer partizipieren halt einfach nicht.<br />

- Sobald meine Meinung gefragt wird, fühle ich mich integriert. Weshalb gibt man uns dann das<br />

Stimmrecht nicht?<br />

- Solange sie uns das Stimmrecht nach so vielen Jahren nicht geben….<br />

- Nach 40 Jahren in einer Gemeinde kann ich nicht stimmen, das heisst, ich habe keine Rechte.<br />

- Man müsste auch als Nicht-Bürger (i.S. von Schweizer) politisch partizipieren können.<br />

- Die Kinder müssten uns Alten erklären, was in diesem Land (bezüglich Partizipation) geschieht.<br />

- Jetzt sagen sie, dass wir eingeladen sind zu partizipieren….<br />

- Es müsste besser erklärt werden.<br />

- Wenn wir wenigstens das (kommunale) Stimmrecht hätten.<br />

5.3.1.2 Auswertung und Ergebnisse der qualitativen Interviewdaten<br />

Für die qualitative Auswertung wird das Vorgehen der „Zusammenfassung und induktiven<br />

Kategorienbildung“ (Mayring, 2010) gewählt. Es geht dabei um eine reine inhaltliche Zusammen-<br />

fassung im Sinne einer Häufung von bestimmten Nennungen sowie um eine ordnende Strukturierung.<br />

In einem nächsten Schritt wird dann ein Kategoriensystem entwickelt. Alle Aussagen werden einer<br />

Kategorie zugeordnet, können aber aufgrund der ursprünglichen Kodierung stets dem originären Text<br />

(Interview) zugeordnet werden.<br />

Vorgehensweise: Form des Interpretierens (Mayring, 2010):<br />

Zusammenfassung Häufigkeitsanalyse<br />

Strukturierung Klassifizierung (Strukturieren nach Ordnungsgesichtspunkten)<br />

Kategorienbildung Textbasierende Kategorienbildung / zusammenfassende<br />

Kategorisierung (Haupt- und Unterkategorien)<br />

Die transkribierten Interviews wurden nacheinander durchgearbeitet. Die weiter verwendeten<br />

Textpassagen (Paraphrasierungen) wurden im Originaltext fett markiert und in eine neue Spalte<br />

übertragen (Schritt 1 der Auswertung. Aufgrund der grossen Datenmenge ist dieser Teil nicht im<br />

Anhang enthalten, kann aber jederzeit bei den Autorinnen nachgefragt werden).<br />

Für die Auswertung wurde allen Interviews ein individueller Code zugewiesen. Dieser setzt sich wie<br />

folgt zusammen: I für Interview – 1 als fortlaufende Nummerierung der Interviews / Anfangsbuchstabe<br />

111


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

des Nachnamens und Anfangsbuchstabe des Vornamens (Beispiel: I-1 / A.C.). Auf eine detailliertere<br />

Kodierung des Materials (wie z.B. Zeilenmarkierung) wurde verzichtet, da durch die Kodierung des<br />

Interview-Bogens, der Nummerierung der Fragen sowie durch das fett Markieren des übertragenen<br />

Textes ein Auffinden von spezifischen Textstellen auf einfache Weise ermöglicht wird.<br />

Im Weiteren folgte ein standardisiertes Vorgehen beim Durcharbeiten des Materials, welches sich am<br />

Ablaufmodell der zusammenfassenden Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) orientiert.<br />

Tabelle 18: Auswertungsschritte qualitative Daten Interviews<br />

Vorgehensschritte<br />

Schritt 0<br />

Bestimmung der Analyseeinheiten<br />

Schritt 1<br />

Auswahl und Markierung der<br />

inhaltsprägenden Aussagen<br />

Schritt 2<br />

Paraphrasierug und Reduktion inkl.<br />

Übersetzung des Originaltextes<br />

Schritt 3<br />

2. Reduktion, Generalisierung und<br />

erste Kategorienbildung<br />

Schritt 4<br />

Kategorienordnung und<br />

Unterkategorien<br />

Schritt 5<br />

Zusammenfassende Kategorienliste<br />

Erläuterungen<br />

Die Interviews und die Textpassagen werden in der durchgeführten<br />

Reihenfolge analysiert.<br />

Die kleinste Analyseeinheit (Kodiereinheit) kann ein vom Interviewten<br />

genannter einzelner Begriff, aber auch ein ganzer Satz sein.<br />

Eine zu analysierende Kontexteinheit entspricht der gesamten Antwort<br />

zu einer Frage.<br />

Pro Interview wird der gesamte Text durchgearbeitet und<br />

inhaltstragende / relevante Aussagen werden fett markiert. Alle fett<br />

markierten Stellen werden anschliessend in einem Dokument<br />

zusammengefasst.<br />

Jede inhaltsprägende Aussage wird paraphrasiert und im gleichen<br />

Arbeitsschritt reduziert und übersetzt und in einer separaten Spalte<br />

erfasst.<br />

Ausgehend von der ersten und übersetzten Reduktion wird eine<br />

Generalisierung der Kodiereinheiten vorgenommen. Die<br />

Generalisierung ist der Ausganspunkt für das Bilden eines<br />

ungeordneten Kategoriensystems. Jede Kategorie wird so kodiert, dass<br />

sie dem Ursprungstext zugeordnet werden kann (Beispiel: F5/I-11)<br />

Alle in Schritt 3 definierten Kategorien werden in ein separates<br />

Dokument übertragen und in eine alphabetische Reihenfolge gebracht.<br />

Die Kategorien-Kodierung erlaubt erneut, jede zugeordnete Aussage im<br />

Ursprungsmaterial präzise wieder aufzufinden.<br />

Die Zusammenfassung enthält Haupt-, Unter- und Unterunterkategorie<br />

mit den entsprechend zugewiesenen Titeln. Die Zahl hinter jeder<br />

Kategorie verweist auf die Anzahl der in dieser Kategorie enthaltenen<br />

ursprünglichen Aussagen und erlaubt damit einen ersten Vergleich der<br />

Häufungen.<br />

Das gesamte Rohmaterial der qualitativen Datenerhebung beinhaltet nicht nur die Antworten der<br />

offenen, qualitativen Fragen (nämlich die Fragen Nummer 9, 10, 11, 13 und 14), sondern alle<br />

Bemerkungen, die zu den anderen (quantitativen) Fragen von den Interviewten ebenfalls gemacht<br />

wurden. In den gebildeten Kategorien sind also die Aussagen der quantitativen Fragen enthalten.<br />

Im Folgenden werden die gebildeten Kategorien und Unterkategorien vorgestellt und kommentiert. Die<br />

induktiv gewonnenen Hauptkategorien sind:<br />

- Rechte<br />

- Alter<br />

- Charakter und Mentalität<br />

112


- Erwartung / Forderung an die Schweiz<br />

- Information und Dienstleistungen<br />

- <strong>Integration</strong><br />

- Partizipation<br />

- Selbstorganisation und Selbsthilfe<br />

- Kostenfaktor<br />

- Sozio-psychologische Faktoren<br />

- Sozialisation und historische Prägung<br />

Tabelle 19: Hauptkategorie Rechte<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Hauptkategorie Unterkategorien Unterunterkategorie<br />

Rechte Stimmrecht /Ausländer brauchen<br />

Rechte<br />

113<br />

11 Ohne Rechte keine Wirkung 8<br />

Der Ausländer verdient Rechte 5 Keine Rechte – kein Interesse 1<br />

In der Kategorie „Recht“ fällt auf, dass viele der Befragten (Anzahl Nennungen total 25) darauf<br />

verweisen, dass sie es als MigrantInnen als richtig oder notwendig erachten, zumindest auf der<br />

kommunalen Ebene ein politisches Mitspracherecht zu haben. Es wurde ebenfalls deutlich, dass die<br />

Frage der Partizipation, wie sie in dieser Arbeit definiert ist, gar nicht nötig wäre, würde die Schweiz<br />

den MigrantInnen das (kommunale) Stimmrecht zubilligen. Die Bemerkungen zur Kategorie Rechte<br />

deuten auf ein emotionales Erleben dieses Themas hin.<br />

Tabelle 20: Hauptkategorie Alter<br />

Hauptkategorie Unterkategorien Unterunterkategorie<br />

Alter Isolation 5 Gemeinschaft erleben 2<br />

Alter ist Defizit orientiert 14<br />

Zuwendung erleben 1<br />

Zu alt für Partizipation / zum aktiv sein 11 Vereinigungen sterben aus 4<br />

Schweiz wird zum alt werden<br />

vorgezogen<br />

Die Aussagen in der Kategorie Alter verweisen auf die von MigrantInnen erlebte Problematik des<br />

Alters. Es zeigt sich eine tendenziell Defizit orientierte Haltung zum alt werden und alt sein. Die<br />

Bemerkungen in den Unterunterkategorien „Gemeinschaft erleben“ und „Zuwendung erleben“ sind<br />

Ausdruck dessen, wie wichtig soziales Eingebundensein eingeschätzt wird.<br />

Es besteht ausserdem ein Bewusstsein darüber, dass die von der ersten Generation gegründeten und<br />

geführten Vereinigungen überaltert sind und dass sie nicht mehr lange überleben werden, wenn die<br />

junge Generation nicht bereit ist, sie weiterzuführen. Alt werden in der Schweiz wird als positiv<br />

gewertet, einerseits wegen guter und sicherer Strukturen, andererseits weil die eigenen Kinder in der<br />

Schweiz zu Hause sind und das den Kontakt und die Unterstützung erleichtert, resp. gewährleistet.<br />

Mehrmals wurde auch genannt, dass man noch zu wenig alt und deshalb von Altersfragen oder<br />

–problemen noch nicht oder noch zu wenig betroffen sei.<br />

4


Tabelle 21: Hauptkategorie Charakter und Mentalität<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Hauptkategorie Unterkategorien Unterunterkategorie<br />

Charakter und<br />

Mentalität<br />

48 Anpassungsfähigkeit 11<br />

Stolz 5<br />

<strong>Integration</strong>sfähigkeit 5<br />

Die Nennungen der Kategorie „Charakter und Mentalität“ resultieren vor allem aus den Fragen nach<br />

den Ressourcen und was die Selbstorganisation der älteren italienischen MigrantInnen so erfolgreich<br />

macht. Die häufigste Nennung war, dass Italiener eine Arbeitermentalität hätten und dass sie sehr<br />

offen seien. Umgekehrt wurde in diesem Zusammenhang auffällig häufig erwähnt, dass die Schweizer<br />

wenig offen seien, dass die Schweizer lieber unter sich sein wollten und dass sie vorsichtig und<br />

zurückhaltend und ernst seien. Weitere Nennungen zu diesem Punkt waren: die Italiener haben<br />

Fantasie / Mut und Kraft / Wille, für ein besseres Leben zu kämpfen. Nicht zu übersehen und zu<br />

überhören war, dass viele der Interviewten diese Frage mit einem gewissen Stolz für die<br />

„Besonderheiten des italienischen Charakters“ beantworteten.<br />

Tabelle 22: Hauptkategorie Erwartung/Forderung CH<br />

Hauptkategorie Unterkategorien Unterunterkategorie<br />

Erwartung / Forderung<br />

CH<br />

30 Generelle Ansätze erarbeiten 6<br />

Insgesamt gab es bei den Erwartungen / Forderungen 36 Nennungen, die in ihrem Inhalt zum Teil<br />

stark auseinander gehen, respektive auf gänzlich unterschiedliche Haltungen zu diesem Punkt<br />

hinweisen. Während einige zum Ausdruck bringen, dass sie bezüglich Partizipation keine Erwartungen<br />

an die Schweiz oder an die eigene Gemeinde hätten, sind einige andere der Überzeugung, dass die<br />

Gemeinden die Initiative ergreifen und mehr tun müssten, wenn diese wollten, dass die älteren<br />

MigrantInnen aktiv werden sollen. Es wurde auch mehrfach darauf hingewiesen, dass der Kontakt mit<br />

der älteren Migrationsbevölkerung konkret(er) angegangen und gepflegt werden müsste. Weitere<br />

Äusserungen betrafen nicht direkt Erwartungen an die Partizipation: mehr italienische Abteilungen in<br />

den Altersheimen / ein Treffpunkt für alle.<br />

Tabelle 23: Hauptkategorie Information und Dienstleistungen<br />

Hauptkategorie Unterkategorien Unterunterkategorie<br />

Information und<br />

Dienstleistungen<br />

1 Informationsbedarf 6 Kein Informationsbedarf 3<br />

Dienstleistungen im Alter sind gut 6<br />

Kirche als hilfreiche Anlaufstelle 6<br />

Schlecht besuchte Angebote 2<br />

Schlechte Erreichbarkeit der<br />

Migranten<br />

114<br />

3<br />

Keine Fragen zum Alter 6<br />

Sich nicht selbst darum<br />

gekümmert<br />

1


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Hilfe bei Bedarf in der CH<br />

gewährleistet<br />

Genügend Informationen und Dienste<br />

vorhanden<br />

Mehrfach wurde genannt, dass die Dienstleistungen (finanzielle und soziale Unterstützung) für alte<br />

Menschen in der Schweiz sehr gut seien. Zum Teil wurde dies explizit im Vergleich zu den Leistungen<br />

in Italien geäussert. Ein Teil der Befragten ist der Meinung, dass es zu wenig Informationen speziell<br />

zum Alter gäbe, ein weiterer Teil meint, keinen Informationsbedarf zu Altersfragen zu haben und ein<br />

dritter Teil sagt, dass es viele / genügend Informationsstellen, Dienstleistungen und Informationen<br />

gäbe und dass diese bei Bedarf auch gefunden würden. Für einen Teil der befragten Personen stellt<br />

die Kirche eine wichtige Informationsquelle für Fragen zum Alter dar. Einige Nennungen verweisen<br />

darauf, dass die bestehenden Angebote zu wenig besucht würden und dass vorhandene<br />

Informationen die Zielgruppe der älteren MigrantInnen gar nicht erreichen würden.<br />

Tabelle 24: Hauptkategorie <strong>Integration</strong><br />

Hauptkategorie Unterkategorien Unterunterkategorie<br />

<strong>Integration</strong> 5 <strong>Integration</strong>sfähigkeit 2<br />

Die CH <strong>Integration</strong>spolitik ist nicht<br />

nachhaltig<br />

Barriere, Distanz zw. Migranten und<br />

CHn<br />

Italiener sind nicht integriert 3<br />

Sprachbarriere 12<br />

Zum Thema <strong>Integration</strong> und <strong>Integration</strong>sfähigkeit gibt es verschiedene Meinungen:<br />

- Italiener verstehen es, sich zu integrieren<br />

- <strong>Integration</strong> unter den Migranten scheint höher zu sein, als die <strong>Integration</strong> im Migrationsland<br />

- man sei früher nicht davon ausgegangen, dass man bleiben würde / man wollte Geld verdienen<br />

Ein deutlicheres Bild zeigt sich bei den Punkten „Barrieren/Distanz“ und „Sprachbarriere“: Die<br />

Äusserungen reichen von „gegenseitigen Vorurteilen“, zu „Mauer zwischen Schweizern und<br />

Ausländern“, bis „Angst davor, im Altersheim allein unter Schweizern zu sein“. Bei der Sprachbarriere<br />

wird auf verschiedene Aspekte hingewiesen:<br />

- Deutsche Informationen werden nicht gelesen<br />

- Verständnisprobleme<br />

- Information (mündlich und schriftlich) müsste in Italienisch möglich sein<br />

- Information in der Muttersprache führt zu mehr Partizipation<br />

- aufgrund der Sprache können sich Italiener nicht wirklich einbringen<br />

115<br />

3<br />

7<br />

2<br />

7


Tabelle 25: Hauptkategorie Partizipation<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Hauptkategorie Unterkategorien Unterunterkategorie<br />

Partizipation 17 Kein Interesse an Partizipation 13<br />

Keine Zeit für Partizipation 3<br />

Desinteresse der 2. Generation 5<br />

Regelmässiges Engagement 3<br />

Freiwilligenarbeit 4<br />

Zur Kategorie „Partizipation“ allgemein gibt es viele unterschiedliche Äusserungen. Diese reichen von<br />

„immer schon partizipiert“ zu „die 2. Generation müsste Partizipation der 1. Generation fördern /<br />

unterstützen“. Einige geben an, sich regelmässige zu engagieren und weitere, als Freiwillige tätig zu<br />

sein. In Bezug auf die 2. Generation herrscht dahingehend Einvernehmen, dass diese sich nicht für<br />

das Thema interessiere oder keine Lust habe. Der Punkt „Kein Interesse an Partizipation“ zeigt<br />

verschiedene Facetten. Die einen haben grundsätzlich kein Interesse an Partizipation. Andere haben<br />

kein Interesse mehr, sei dies, weil man jetzt „frei“ sein will oder weil es nach einem langen<br />

Arbeitsleben kein Bedürfnis mehr ist.<br />

Tabelle 26: Hauptkategorie Selbstorganisation und Selbsthilfe<br />

Hauptkategorie Unterkategorien Unterunterkategorie<br />

Selbstorganisation<br />

und Selbsthilfe<br />

Selbstorganisation als Bedürfnis und<br />

Notwendigkeit<br />

Selbsthilfe 4<br />

Unterstützung der eigenen<br />

Landsleute<br />

Unterstützung in Familie 1<br />

Hilfe durch die eigenen Kinder 4<br />

Der gemeinsame Tenor bezüglich Selbstorganisation ist, dass es ein Bedürfnis vieler war, sich im<br />

Sinne von Selbsthilfe zu organisieren. Die Äusserungen weisen auch darauf hin, dass es als<br />

selbstverständlich angesehen wird, sich untereinander, also den eigenen Landsleuten, zu helfen, nicht<br />

zuletzt, weil die mangelnde Verständigungskompetenz in der deutschen Sprache ein bedeutendes<br />

Problem darstelle. Wenn es heute um Hilfe geht, wird diese auch von den eigenen Kindern geboten.<br />

Tabelle 27: Hauptkategorie Kostenfaktor<br />

Hauptkategorie Unterkategorien Unterunterkategorie<br />

Kostenfaktor Dienstleistungen sind zu teuer 10<br />

Einbürgerung ist zu teuer 3<br />

Der Punkt, dass Dienstleistungen in der Schweiz zu teuer seien, muss im Kontext gelesen werden,<br />

dass viele der Befragten erwähnt haben, dass sie nur wenig AHV und meist gar keine<br />

Pensionskassenersparnisse hätten. An diesem Punkt die Äusserung einer interviewten Person: „Das<br />

Geld bestimmt, wie man alt wird.“ Der Faktor „Einbürgerung ist zu teuer“ muss vor dem Hintergrund<br />

gesehen werden, dass man bei einer Einbürgerung automatisch das Stimmrecht und somit eine<br />

(politische) Partizipationsmöglichkeit hätte, dass die Naturalisierung aber aufgrund der hohen Kosten<br />

116<br />

13<br />

5


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

des Einbürgerungsverfahrens nicht möglich sei. Ein Unverständnis oder eine gewisse Frustration<br />

gegenüber der Handhabung der Einbürgerung des Schweizer Staates wurde bei diesem Punkt implizit<br />

und explizit deutlich.<br />

Tabelle 28: Hauptkategorie Sozio-psychologische Faktoren<br />

Hauptkategorie Unterkategorien Unterunterkategorie<br />

Sozio-psych. Faktoren Vertrauenswürdigkeit 5 Italienische Institutionen 3<br />

Unverständnis über Schweizer<br />

Haltung<br />

117<br />

15<br />

Unmut über Schweizer Haltung 22<br />

Desillusionierung 16<br />

Schweizer Institutionen 2<br />

Diese Kategorie wurde „Sozio-psychologische Faktoren“ genannt, um den beiden immanenten<br />

Aspekten Ausdruck zu geben: Soziologisch in Bezug auf die Richtung der Antwort, die in den<br />

Interviews als „die Schweiz“ oder „die Schweizer“ als Gesellschaft insgesamt gemeint war. Der<br />

psychologische Aspekt weist auf die Bedeutung von Gegebenheiten und Erlebtem, welche die<br />

befragten Personen den von ihnen vorgebrachten Punkten beimessen und welche in diesem<br />

soziologischen Kontext stattfinden.<br />

Auffällig sind die drei Unterkategorien „Unverständnis“, „Unmut“ (auch im Sinne einer gewissen<br />

Frustration) und Desillusionierung. Hier die häufigsten Nennungen zu diesen Unterkategorien:<br />

- es nützt ja doch nichts (Partizipation für Ausländer)<br />

- wenn bis jetzt nicht gefragt wurde, dann auch in Zukunft nicht<br />

- man schweigt, wenn man bleiben will<br />

- man lässt uns ja nicht partizipieren<br />

- was gemacht wird, ist ein Tropfen auf den heissen Stein<br />

- die Organisationen wollen keine Ausländer<br />

- wir durften früher nichts, die Ausländer heute dürfen alles<br />

- wir haben so viel geleistet und bekommen nichts (keine Rechte)<br />

- man will Partizipation – warum gibt man uns nicht das Stimmrecht?<br />

Tabelle 29: Hauptkategorie Sozialisation und historische Prägung<br />

Hauptkategorie Unterkategorien Unterunterkategorie<br />

Sozialisation und<br />

historische Prägung<br />

Historische Bedingtheit und Prägung 5 Einfluss aus Kriegserfahrung 6<br />

Sehnsucht nach der Heimat 3<br />

Gemeinschaft 9<br />

Stellung der Frau 2<br />

Die hohe Selbstorganisation wird auch damit begründet, dass „der Italiener“ es gewöhnt sei und das<br />

Bedürfnis habe, mit anderen Menschen zusammen zu sein (Geselligkeit). Um in der Schweiz als<br />

MigrantInnen nicht alleine zu sein, wurden Vereinigungen gegründet. Die Tatsache, Vereinigungen zu<br />

gründen, sei auch in Italien ein Brauch. Eher historisch sind folgende Äusserungen zu erklären:


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

- Durchhaltefähigkeit der Italiener kommt von der Erfahrung, immer wieder besetzt worden zu sein<br />

- sie seien Kinder einer Kriegsgeneration<br />

- Italien war immer schon ein Emigrationsland<br />

Die Frage, ob die Kriegserfahrung zu mehr Partizipation im Sinne von aktiver Bürgerschaft geführt<br />

habe, muss verneint werden. Eine politische Partizipation war je nach Parteizugehörigkeit oder –<br />

sympathie geprägt. Der Faktor Armut scheint eher auf einen Einfluss für eine partizipative Haltung im<br />

Leben hinzuweisen. Die meisten der Befragten sagten zu diesem Punkt, dass sie entweder noch zu<br />

klein waren, um den Krieg bewusst zu erleben, oder dass sie zu wenig nahe am eigentlichen<br />

Kriegsgeschehen gewesen seien und deshalb eher die kollateralen Folgen wie die Armut persönlich<br />

erlebt hätten.<br />

5.3.1.3 Interpretation und Erkenntnisse aus den Einzelinterviews<br />

Definitionsverständnis von Partizipation und Implikation für einen geplanten<br />

Partizipationsprozess<br />

Während der Durchführung der Einzelinterviews wurde immer wieder aufs Neue deutlich, dass der<br />

Begriff „Partizipation“, wie er in dieser Arbeit verwendet und von der EKM als Prozess der Mitsprache,<br />

Mitentscheidung und Mitgestaltung definiert wird, nicht in gleicher Weise von den Befragten<br />

verstanden wurde. Zu Beginn des Gesprächs wurde allen Befragten die hier verwendete Definition in<br />

schriftlicher Form vorgelegt und diese blieb während es gesamten Interviews in Griffnähe. Nichts<br />

desto trotz wurde der Begriff grundsätzlich verstanden als „Teilnahme“ im Sinne einer passiven<br />

Teilnahme, wie KonsumentInnen, die sich bspw. an einem Kurs einschreiben. Es musste deshalb<br />

mehrmals wiederholt werden, um welche spezifische Definition von Partizipation es sich beim<br />

Interview handelte.<br />

Diese Schwierigkeit mag einerseits darin liegen, dass das Wort „partecipare“ und „partecipazione“ in<br />

der italienischen Sprache grundsätzlich als die „passive“ Form der Teilnahme im Gegensatz zur<br />

„aktiven“ Teilnahme im Sinne der Teilhabe verwendet wird. Andererseits kann es auch teilweise daran<br />

liegen, dass diese Art der aktiven Teilhabe ein neues und vor allem ungewohntes Konzept für die<br />

Befragten darstellt und sie sich erst daran gewöhnen müssen. Deshalb ist auch verständlich, dass in<br />

den Interviews wiederholt eine Hilfestellung für die richtige Verwendung des Begriffs in Bezug auf die<br />

Beantwortung der Fragen gegeben werden musste.<br />

Dem Begriff der Partizipation im Sinne der aktiven Bürgerschaft wurde von allen Interviewten als<br />

positive Haltung zugestimmt und ein Partizipationsprozess, der dieser Definition folgt, sehr begrüsst.<br />

Es bleibt hier unbeantwortet, ob diese Verständnisschwierigkeit in Bezug auf den durch diese Arbeit<br />

eingeführten Begriff der Partizipation nur bei den italienisch sprechenden (älteren) MigrantInnen zum<br />

Tragen kommt. Möglicherweise würde sich dies bei den anderen Ethnien, welche eine Muttersprache<br />

mit lateinischen Wurzeln haben (z.B. SpanierInnen, PortugiesInnen) ähnlich zeigen.<br />

Ungeachtet dessen muss darauf hingewiesen werden, dass die Definition der Partizipation gemäss<br />

EKM für viele Menschen, auch für SchweizerInnen, kein gängiger Begriff ist. Es ist deshalb<br />

118


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

entscheidend, darauf zu achten, dass bei Projekten zur Partizipation von Beginn an bei allen<br />

Beteiligten (also auch bei Personen aus Schweizer Institutionen oder GemeindevertreterInnen)<br />

Klarheit und Konsens über den verwendeten Begriff herrscht.<br />

Alter ist Defizit orientiert<br />

Was sich in der Forschung und in der Bevölkerung allgemein zeigt nämlich dass das Alter mehrheitlich<br />

als eine defizitäre Phase des Lebens behandelt wird, wird auch von den befragten älteren<br />

MigrantInnen so gesehen. Darauf verweisen Aussagen wie „ich bin zu alt für Partizipation“ oder „im<br />

Alter lernt man nicht mehr“. Es wird deshalb auch für Partizipationsprozesse oder –projekte für und mit<br />

älteren MigrantInnen wichtig sein, dieses Bild vom Alter zu verändern und andere Facetten wie bspw.<br />

die Aktivierung von Ressourcen und das Pflegen und Nutzen im Leben erworbener Kompetenzen zu<br />

vermitteln und in den Vordergrund zu stellen.<br />

Bekannte und unbewusste Ressourcen<br />

Gefragt nach ihren Ressourcen, die zu einer (so) guten Selbstorganisation geführt haben, fällt auf,<br />

dass dies die befragten ItalienerInnen unisono auf charakterliche Eigenschaften und auf die<br />

spezifische italienische Mentalität zurückführen. Sehr oft liess sich bei der Beantwortung dieser Frage<br />

in den Interviews ein Leuchten und ein gewisser Stolz erkennen. Ein besonderer Kontrast ergab sich<br />

bei der Beschreibung des Eigenbildes „wir sind offen“ im Vergleich zum Bild der SchweizerInnen, die<br />

in zahlreichen Nennungen als „wenig offen“, „distanziert“ und „zurückhaltend“ beschrieben werden.<br />

Hier zeigt sich wahrscheinlich das psychologische Phänomen der Eigen- und Fremdethnisierung, bei<br />

welcher dem eigenen Volk ganz spezifische Eigenschaften zugeschrieben werden, während einer<br />

anderen Ethnie genau diese Eigenschaft tendenziell abgesprochen, resp. das Gegenteil attribuiert<br />

wird.<br />

Auffallend ist, dass ausser den charakterlichen und den die Mentalität betreffenden Aussagen kaum<br />

Ressourcen genannt wurden. Selbst beim Nachfragen mit den Begriffen Kompetenzen und<br />

Fähigkeiten konnten keine weiteren Nennungen generiert werden. Es wird vermutet, dass die<br />

befragten MigrantInnen kein explizites Bewusstsein über ihre Ressourcen im Sinne von Kompetenzen<br />

und Fähigkeiten haben und dass sie auch nicht gewohnt sind, danach gefragt zu werden. In Bezug<br />

auf zukünftige Partizipationsprozesse wird es wichtig sein, darauf zu achten, dass die vorhandenen<br />

Ressourcen der älteren MigrantInnen in den Prozess miteinbezogen und genutzt werden, dass diese<br />

aber auch im Sinne eines Empowerments sichtbar gemacht und gefördert werden.<br />

Partizipation - Voraussetzungen und Erschwernisse<br />

Bei den Fragen, die Antworten zum Thema Partizipation lieferten, zeigt sich ein sehr gemischtes Bild.<br />

In den Aussagen der einzelnen Befragten von „kein Interesse“, zu „war immer schon aktiv“ bis zu „zu<br />

spät/zu alt“ findet sich die gesamte Bandbreite an heterogener Haltung. Dieses Bild dürfte sich aber<br />

kaum von der Schweizer Bevölkerung oder auch von anderen ethnischen Gruppen unterscheiden.<br />

Genauso wenig wie SchweizerInnen zu hundert Prozent über ihr politisches Stimmrecht partizipieren,<br />

genauso wenig kann man davon ausgehen, dass ältere MigrantInnen plötzlich partizipieren würden,<br />

nur weil sie jetzt dazu eingeladen sind. Konsequenterweise kann es sich deshalb bei der von der<br />

119


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Schweiz angedachten Partizipation der MigrantInnen nur um eine Einladung handeln, die von der<br />

Prämisse der Freiwilligkeit getragen ist.<br />

Auch wenn fast alle Befragten angegeben haben, dass Partizipation im Sinne von aktiver Bürgerschaft<br />

zeitgemäss und notwendig oder zumindest zeitgemäss und wünschenswert sei, knüpfen sie diese<br />

Aussage an die Voraussetzung, dass die Umsetzung einer solchen Partizipation nur machbar und<br />

möglich sei, wenn das Mitentscheidungsrecht auf Seiten der MigrantInnen gegeben sei. Demgegen-<br />

über steht ein gewisses Misstrauen, dass es (dennoch) nicht gelingen könnte, da eine deutliche<br />

Barriere (nicht nur sprachlich) zwischen den SchweizerInnen und MigrantInnen – nicht explizit so<br />

deklariert, aber wahrscheinlich psychologisch begründet – bestünde, das die beschriebene<br />

Partizipation wenn nicht verhindern, so doch zumindest erschweren könnte.<br />

Und schlussendlich ist die Aussage einer interviewten Person zum Thema Partizipation von älteren<br />

MigrantInnen in gewissem Masse auch verständlich: „Warum geben sie (die SchweizerInnen) uns<br />

nicht das lokale Stimmrecht? Dann wäre Partizipation ja automatisch möglich.“ Natürlich lässt sich<br />

argumentieren, dass dies aufgrund der aktuellen politischen Gegebenheiten nicht möglich sei. Denn<br />

auch wenn bereits in mehreren Schweizer Gemeinden das lokale Stimmrecht für MigrantInnen<br />

Wirklichkeit ist, so kann man nicht davon ausgehen, dass die anderen Schweizer Gemeinden diesem<br />

Beispiel in absehbarer Zeit oder überhaupt folgen werden. Nach den Gesprächen mit den befragten<br />

Personen bleibt der Eindruck, dass die Idee der Partizipation nach EKM teilweise als Alibiübung<br />

gesehen wird und dass folgende Frage unartikuliert zurückbleibt: „Ihr habt uns bis jetzt nicht<br />

partizipieren lassen, warum jetzt, wo wir alt sind?“<br />

Sozio-psychologische Faktoren<br />

Unter diesem Punkt werden die so definierten Unterkategorien ‚Unverständnis über Schweizer<br />

Haltung„, ‚Unmut über Schweizer Haltung„ und ‚Desillusionierung„ interpretiert. Allein die Definition<br />

dieser Unterkategorien, für welche es zahlreiche Nennungen in den Interviews gab, lässt aufhorchen.<br />

Während bei der Desillusionierung eine eher im Individuum begründete Haltung differenziert werden<br />

kann, verweisen die Äusserungen beim Unverständnis und beim Unmut sehr viel stärker auf das in<br />

der Vergangenheit Erlebte als AusländerInnen in der Schweiz. Hier wird für einmal bewusst der<br />

Terminus Ausländer benutzt, da alle Befragten und „der/die ItalienerIn“ im Allgemeinen vom Ausländer<br />

(lo straniero) spricht und nicht vom Migranten.<br />

Zusammenfassend liesse sich hier von einer „Verletzung“ der Befragten (stellvertretend für die<br />

meisten ItalienerInnen in der Schweiz?) sprechen, die sich in Aussagen wie diesen deutlich<br />

wiederspiegelt:<br />

- Man schweigt, wenn man bleiben will.<br />

- Wir sind hier nur im Weg, wenn wir bleiben.<br />

- Wer so lange hier ist und so viel geleistet hat, sollte besser behandelt werden.<br />

- Die Schweiz will auch nach 50 Jahren einem Ausländer keine Rechte geben oder lässt sich diese<br />

bezahlen.<br />

- Die anderen Ausländer dürfen sich im Vergleich zu uns damals heute alles erlauben.<br />

120


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Es geht in keiner Weise darum, diese Feststellungen und Erkenntnisse zu beurteilen, weder in Bezug<br />

auf die befragten MigrantInnen noch in Bezug auf die SchweizerInnen. Diese Ergebnisse dürften aber<br />

eine gewisse Relevanz haben, ob, aufgrund welcher Prämissen und auch in welcher Art und Weise<br />

die älteren MigrantInnen für Partizipation im vorliegenden Sinne überzeugt werden können. Es wird<br />

davon ausgegangen, dass diese sogenannten sozio-psychologischen Faktoren eine Auswirkung auf<br />

die Haltung und Offenheit der MigrantInnen zu Beginn von Partizipationsprozessen haben können und<br />

dass es für die AkteurInnen von Schweizer Institutionen wichtig ist zu wissen, dass dies unter<br />

anderem in diesen sozio-psychologischen Faktoren begründet sein könnte.<br />

Sozialisation und historische Prägung<br />

Unter diesem Punkt sollen vor allem zwei Aspekte interpretiert werden, die nicht eigentlich<br />

Gegenstand der Befragung waren, die aber in Bezug auf das Projekt <strong>MIGRALTO</strong> dennoch eine<br />

gewisse Relevanz haben könnten.<br />

Zwei Drittel der Befragten verfügen über ein tiefes Bildungsniveau, das heisst, sie haben weder eine<br />

Lehre noch eine andere Ausbildung genossen und sind meist in der Schweiz für jene Beschäftigung<br />

angelernt worden, für welche sie angestellt wurden. Selbst die VertreterInnen der<br />

Migrantenorganisationen, die an der Fokusgruppe teilgenommen hatten, wiesen auf die Problematik<br />

des Bildungsniveaus vieler älterer MigrantInnen hin (Kapitel 5.3.2.1 – Absatz Erreichbarkeit) und dass<br />

deshalb selbst Informationen in italienischer Sprache zum Teil nicht gelesen würden. Dieser Tatsache<br />

muss bei der Planung und der Umsetzung von Partizipationsprozessen Rechnung getragen werden.<br />

Es ist ja nicht nur die unterschiedliche Muttersprache, die eine gewisse Verständigungshürde darstellt,<br />

sondern auch die verwendete Sprache in Bezug auf spezifische Themen. Dies wurde unter anderem<br />

in den Interviews deutlich, in welchen immer wieder Begriffe in anderen, einfacheren Worten erklärt<br />

werden mussten, weil die Befragten sich einfach nicht gewohnt waren, in diesen Termini zu denken<br />

(z.B. Forderung an die Gemeinde für Partizipationsprozesse). Ähnlich wird es sich möglicherweise mit<br />

spezifischen Vorgehensweisen in Partizipationsprozessen verhalten. So werden zum Beispiel in<br />

Projekten Modelle, Prozesse, Abläufe, Schnittstellen und weitere Begrifflichkeiten genutzt werden, von<br />

denen nicht ausgegangen werden kann, dass ältere MigrantInnen diese per se verstehen und damit<br />

umzugehen wissen. Adäquater Gebrauch von Sprache und Instrumenten bei der Beteiligung von<br />

älteren MigrantInnen bei Partizipationsprozessen stellt deshalb möglicherweise einen nicht zu<br />

unterschätzenden Aspekt dar.<br />

5.3.2 Ergebnisse aus der Fokusgruppe<br />

5.3.2.1 Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen aus dem transkribierten<br />

Protokoll der Fokusgruppe<br />

Die gesamte Diskussion der Fokusgruppe (5 Stunden) wurde ab Tonband wörtlich transkribiert. Die<br />

Auswertung des transkribierten Protokolls fand in verschiedenen Schritten statt: Zuerst wurde das<br />

ganze Protokoll durchgearbeitet, und es wurden alle wichtigen und inhaltsrelevanten Passagen und<br />

121


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Aussagen markiert. Die markierten Stellen wurden in einem nächsten Schritt in einer Tabelle<br />

zusammengefasst.<br />

Der Schritt der zusammengefassten Aussagen ist hier nachvollziehbar. In der untenstehenden Tabelle<br />

sind die italienischen Wortäusserungen in eine deutsche Übersetzung übertragen worden (übersetzte<br />

Aussage). Danach wurden die übersetzten Aussagen zu gekürzten Aussagen und<br />

Themenschwerpunkten verdichtet, die sich an den für die Arbeit definierten Hauptbegriffen (Kapitel<br />

4.4) orientieren.<br />

Tabelle 30: Übersetzte Aussagen Protokoll Fokusgruppe VertreterInnen ital. Migrantenorganisationen<br />

Übersetzte Aussage Gekürzte Aussage / Thematik<br />

Problem der Erreichbarkeit der älteren MigrantInnen Erreichbarkeit<br />

Ältere MigrantInnen haben Angst im Falle von Krankheit, in Bezug auf<br />

ein Altersheim nicht zu wissen wohin oder ihre Rechte nicht zu kennen<br />

Die Stadt Bern hat nie ihren Dank für unsere Arbeit und unser<br />

Engagement gezeigt<br />

Das Modell in Köniz funktioniert gut, ein Jahresprogramm mit Zielen, die<br />

überprüft werden<br />

122<br />

Ängste im Alter (Krankheit, Finanzen)<br />

Fehlende Wertschätzung<br />

Jemand muss die Initiative übernehmen Initiative ergreifen<br />

Es braucht nicht grosse Anstrengungen, guter politischer Wille,<br />

einbeziehen von lokalen Repräsentanten, Strukturen, Ziele<br />

Die Gemeinden Bern und Köniz verfügen über finanzielle Möglichkeiten,<br />

um die <strong>Integration</strong>spolitik zu unterstützen<br />

Die politische Ausrichtung einer Gemeinde entscheidet über die<br />

Unterstützung von Projekten<br />

Verschiedene Positionen und unterschiedliche Vorschläge zu<br />

integrieren sind gute Beispiele<br />

Für kleine Gemeinden ist es schwieriger, solche Projekte zu machen,<br />

d.h. Einwohner von kleinen Gemeinden kommen nicht in deren Genuss<br />

Erfolgreiche Modelle mehr einsetzen<br />

Politischer Wille ist gefragt<br />

Finanzielle Unterstützung ist notwendig<br />

Politische Ausrichtung der Gemeinde ist<br />

entscheidend<br />

Integrieren der Positionen und Vorschläge auf<br />

Migrantenseite<br />

Partizipation heisst: Partnerschaft, Zusammenarbeit,<br />

Strukturen, Finanzen<br />

Zugänglichkeit<br />

- bei kleineren Gemeinden schwierig<br />

Es braucht regionale Lösungen Zugänglichkeit: regional gestalten<br />

Wir (MigrantInnen) sind immer dieselben, die sich engagieren, heute<br />

einfach etwas älter. Deshalb ist das wichtigste Ziel, wie man andere<br />

ältere Menschen erreichen kann. Wer als jüngerer Mensch nicht<br />

partizipiert hat, wird es wahrscheinlich auch mit 60, 70 oder 80 nicht<br />

mehr tun<br />

Wer soll erreicht werden? Alle oder nur jene, die Probleme haben, um<br />

sie zu unterstützen, Rat zu geben.<br />

Wir müssen wissen, was wir wollen, um zu wissen wo wir was und wen<br />

erreichen können<br />

Die, die nicht partizipieren, spüren keine Notwendigkeit. Man muss also<br />

überlegen, wen wir in diese Art Partizipation integrieren wollen, weil man<br />

niemanden dazu drängen kann. Die Sensibleren fühlen sich am Rande.<br />

Diese brauchen mehr Unterstützung<br />

Die Partizipation der SchweizerInnen (im Sinne von Stimmrechte<br />

wahrnehmen) ist heute gleich 0. Partizipation betrifft also nicht nur die<br />

Population der MigrantInnen<br />

Teilnahme / -habe<br />

Es partizipieren immer dieselben Personen<br />

Erreichen der restlichen schwierig<br />

Wer soll erreicht werden? Zielgruppen?<br />

Es braucht Ziele und Vorgaben<br />

Ohne Freiwillige wird es nicht weitergehen Es braucht Freiwillige<br />

Es gibt viele verschiedene Gruppen della “terza età”, man muss alle<br />

informieren<br />

Das Problem ist nicht mehr das Entwickeln von Strukturen, aber die<br />

Erreichbarkeit einer möglichst grossen Zahl<br />

Partizipation ist freiwillig, wer soll einbezogen<br />

werden? Zielgruppe Partizipation? Zielgruppe<br />

Nutzniesser?<br />

Geringe Partizipation auch in der Schweizer<br />

Bevölkerung<br />

Information und Erreichbarkeit sicherstellen<br />

Strukturen bestehen – die Erreichbarkeit ist nicht<br />

sichergestellt


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Oft nehmen 10% teil, von 90% wissen wir nichts. Wir müssen den<br />

älteren MigrantInnen mehr Verantwortung übertragen, aber wie?<br />

SchweizerInnen sind mehr individualistisch, aber auch wir werden das<br />

mehr und mehr. Kollektivität zählte früher auch unter uns mehr<br />

In den Quartieren Sentinellen (soziale Wachposten) bilden, die<br />

erlauben, Verantwortung zu übernehmen, eine Weiterbildung zu<br />

machen. Die Person dann im Quartier bekannt machen. Bei Bedarf ist<br />

diese Person dann eine Vertrauensperson. Wir können nicht auf die<br />

Menschen warten, wir müssen zu ihnen gehen<br />

123<br />

90% sind inaktiv, diese müssen mobilisiert werden<br />

Den alten Menschen mehr Verantwortung<br />

übertragen<br />

Sozialer Wachposten (Sentinellen) einrichten<br />

Mehr Verantwortung auf Quartierebene<br />

Ohne Mittel ist es nicht einfach, solche Sachen zu organisieren Es braucht Mittel (Finanzen, Material)<br />

Es braucht einen Repräsentanten der MigrantInnen, der auf<br />

kommunaler Ebene Vorschläge machen muss<br />

Wir haben keine Mittel. Es geht nicht darum, einfach zu konsumieren,<br />

aber wenigstens Material sollte bezahlt werden können<br />

Eine frühere Umfrage bei unseren älteren MigrantInnen hat gezeigt,<br />

dass sie zur Zusammenarbeit mit den SchweizerInnen absolut bereit<br />

sind<br />

Das Problem ist nicht das Zusammensein mit den Schweizern, sondern<br />

die kommunikativen Probleme, die auf allen Ebenen bremsen<br />

Das SPI wurde gegründet, weil immer mehr ältere ItalienerInnen Fragen<br />

zur Pension hatten. Es braucht Orte, Vereinigungen, wo man sich<br />

treffen und austauschen kann<br />

Wenn du niemanden kennst oder keine Vereinigung, partizipiert man<br />

nicht<br />

Heute wird allen neu ankommenden MigrantInnen ein Sprachkurs<br />

angeboten. Wir hatten diese Möglichkeit nicht<br />

Es gibt ältere Menschen, die nichts tun wollen, auch wenn es Gruppen<br />

für Ältere gibt<br />

Unsere Sprachkurse werden zu 99% von Frauen besucht. Entweder ist<br />

die Frau mehr an sozialen Aktivitäten interessiert, oder vielleicht, weil es<br />

meistens Witwen sind (Alter ist weiblich). Viele Frauen sind freiwillig<br />

tätig<br />

Es braucht unbedingt Treffpunkte. Andere als bereits vorhandene.<br />

Solche für alte Menschen<br />

Wenn der alte Mensch morgens aufsteht, wo soll er hingehen? Die<br />

vorhandenen Möglichkeiten sind eingeschränkt zugänglich. In die Casa<br />

d‟Italia kommen nicht alle, es ist auch eine finanzielle Frage<br />

(Konsumation)<br />

In Bern gibt es alle Strukturen. Turnhallen, Sportflächen,<br />

Schwimmbäder, etc. Aber wo geht der alte Mensch hin? Ein Treffpunkt<br />

würde vor allem soziales Zusammensein ermöglichen<br />

Die Gesellschaft ist nicht darauf ausgerichtet. Was wird einem 70jährigen<br />

Menschen geboten? Wozu braucht es in diesem Alter Bildung?<br />

Ein Treffpunkt ist das, was es braucht<br />

Es braucht kommunale RepräsentantInnen der<br />

MigrantInnen<br />

Mittel fehlen<br />

MigrantInnen sind bereit für die Zusammenarbeit mit<br />

den SchweizerInnen<br />

Sprachliche Hürden sind das Problem<br />

Es braucht einen niederschwelligen Treffpunkt<br />

Motiv für Partizipation sind auch Beziehungen<br />

Unmut / Frustration über Schweizer Haltung<br />

Auch das Nicht-Partizipieren-Wollen akzeptieren<br />

Frauen sind aktiver und sozial interessierter<br />

Viele Frauen in der Freiwilligentätigkeit<br />

Es braucht Treffpunkte für alte Menschen<br />

Es braucht leicht zugängliche Treffpunkte<br />

(regelmässig geöffnet zu Tageszeiten)<br />

Es braucht einen Treffpunkt für soziales<br />

Zusammensein<br />

Es braucht einen Treffpunkt für Austausch und<br />

Soziales<br />

Diese Art von Partizipation muss unterstützt werden und braucht es Partizipation ist notwendig<br />

Was schon funktioniert, muss weiter unterstützt werden. Diese Art Arbeit<br />

muss in Gemeinden unterstützt werden<br />

Es braucht einen Ort, wo man sich einfach treffen kann, ohne<br />

Einschränkung von fixen Angeboten<br />

Gute Modelle multiplizieren und unterstützen<br />

Es braucht leicht zugängliche Treffpunkte<br />

Es braucht einen Ort, der jeden Tag zugänglich ist Es braucht einen täglich zugänglichen Treffpunkt<br />

Wir haben kein Geld, um auch nur kleine Notwendigkeiten zu kaufen.<br />

Aber das ist eine wichtige Frage. Ohne Unterstützung oder Subvention<br />

ist ein zur Verfügung gestellter Ort wenig hilfreich. Die Freiwilligenarbeit<br />

ist nicht das Problem, die gibt es<br />

Heute besteht diese Mauer nicht mehr, es ist deshalb mehr eine Frage<br />

der Kultur. Wir haben dafür „bezahlt“, auch heute noch, wo man von<br />

Es fehlen finanzielle Mittel<br />

Ohne Subvention ist ein zur Verfügung gestelltes<br />

Lokal wenig hilfreich<br />

-


<strong>Integration</strong> spricht<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Einmal die Schweiz verlassen, erhält man bei einer Rückkehr nur den<br />

Ausweis B, obwohl man das ganze Leben hier verbracht hat<br />

Es gibt viele ältere MigrantInnen, die weder lesen noch schreiben<br />

können<br />

124<br />

Erschwerende Bedingungen für MigrantInnen in der<br />

Schweiz auch im Alter<br />

Tiefes Bildungsniveau der MigrantInnen<br />

Aus meiner Sicht hängt sehr viel vom Bildungsniveau ab Bildungsniveau ist ausschlaggebend<br />

Der ältere Migrant ist ein Reichtum und eine Bibliothek Der ältere Migrant hat Ressourcen<br />

Die Geschichte aufarbeiten. Die MigrantInnen sind TrägerInnen von<br />

Erfahrung<br />

Wir haben die gemeinsame Erfahrung von mindestens 30 Jahren in der<br />

Schweiz, diese Erfahrung ist ein Vorteil, die Verbindungen, die sozialen<br />

Netzwerke, die Familie<br />

Was die Gemeinden tun sollen? Empowerment. Mehr Kontakte, sich<br />

öffnen, den Dialog suchen, verschiedene lokale Initiative unterstützen,<br />

Schlüsselpersonen integrieren<br />

Was fehlt ist, diverse Repräsentanten in einem spezifizischen Projekt in<br />

einem eigenen Diskurs zur politischen <strong>Integration</strong> einzubeziehen<br />

Die Gemeinde müsste einen Schritt, eine Anstrengung mehr tun. Es<br />

braucht den politischen Willen ohne zu viele Fragezeichen<br />

Der ältere Migrant hat Ressourcen<br />

Die Erfahrung der MigrantInnen als Ressource<br />

(Verbindungen, soziale Netzwerke, Familie, etc.)<br />

Empowerment<br />

Dialog suchen<br />

Schlüsselpersonen integrieren<br />

Repräsentanten müssen in Projekte miteinbezogen<br />

werden<br />

Die Gemeinde muss initiativ werden<br />

Es braucht den politischen Willen<br />

Wir sind alle hier alt geworden. Das ist Teil der italienischen Immigration Das Alter ist Teil der italienischen Immigration<br />

So ein Vorhaben hätte vor 20 Jahren initiiert werden müssen Partizipation hätte früher angegangen werden<br />

müssen/sollen<br />

Die echte italienische Immigration hat mit der Ankunft der Frauen<br />

begonnen. Die Frauen haben die Familie gebracht, die Kinder<br />

Wenn die Gemeinden wirklich an der Zusammenarbeit mit den<br />

ausländischen Organisationen interessiert sind, dann müssen sie<br />

zuallererst die Schlüsselpersonen angehen. Schauen, welcher Weg<br />

möglich ist, um die <strong>Integration</strong> zu verbessern. Dem stehen gesetzliche<br />

und rechtliche Fragen gegenüber, die einen Ausschluss ausländischer<br />

Organisationen begünstigen<br />

Es gibt viele Projekte in Gemeinden, die aber von A bis Z schon<br />

entwickelt und geplant sind, das stört mich. Gemeinsam entwickelt,<br />

entsteht daraus eine andere Motivation für Partizipation<br />

Die Antworten der Schweizer VertreterInnen sind etwas sehr einfach.<br />

Wir wurden nie gefragt, auch nach keiner politischen Meinung.<br />

Freiwilligenarbeit wird gerne angenommen. Sie sagen, wir können alles<br />

machen, aber Geld kann uns niemand geben (für Projekte)<br />

Für mich ist wenig verständlich, dass sich diese Gemeinden (aus der<br />

Befragung) nie für die Themen der alten MigrantInnen interessiert<br />

haben. Wir haben einige kontaktiert, aber sie waren eigentlich<br />

abwesend (nicht zugänglich)<br />

Die Gemeinden müssten solche Initiativen starten. Aber wer sind die<br />

Gruppen in den Gemeinden, die das tun? In kleinen Gemeinden ist das<br />

aber schwierig<br />

Sie sagen uns, “kommt, wir organisieren uns”, dabei haben die<br />

Gemeinden oft keine zuständige Person<br />

Diese <strong>Integration</strong>spolitik gab es nicht und gibt es immer noch nicht.<br />

Solange diese Barrieren bestehen…<br />

Hier kann man nicht integriert sein. Es scheint zwar heute einfacher zu<br />

sein, aber sie werfen einem immer noch Steine zwischen die Beine<br />

Mir fehlt, mich auch auf politischem Niveau ausdrücken zu können.<br />

Wenn ich 56 Jahre Steuern in dieser Gemeinde zahle, sollte ich etwas<br />

sagen dürfen, wenn es um eine neue Strasse, um eine Schule oder<br />

anderes geht<br />

Die Immigration hat mit Ankunft der Frauen<br />

begonnen<br />

Schlüsselpersonen müssen angegangen werden<br />

Wege zu besserer <strong>Integration</strong> suchen und fördern<br />

Gesetzliche Regelungen erschweren das Entstehen<br />

und Wirken ausländischer Organisationen<br />

Motivation zur Partizipation entsteht durch Einbezug<br />

von Beginn an, nicht erst, wenn das Projekt schon<br />

steht<br />

Die Schweizer sehen das zu einfach<br />

Wir wurden nie nach einer politischen Meinung<br />

gefragt<br />

Wir werden nicht finanziell unterstützt<br />

Die Schweizer Gemeinden zeigen auch dann kein<br />

Interesse, wenn man auf sie zugeht<br />

Die Gemeinde muss die Initiative ergreifen, das ist in<br />

kleinen Gemeinden schwierig<br />

Kleine Gemeinden haben oft die Ressourcen nicht<br />

(personell)<br />

<strong>Integration</strong> ist mit den Barrieren, die es immer noch<br />

gibt, nicht möglich<br />

<strong>Integration</strong> wird einem schwer gemacht<br />

Sprachliche Hürden erschweren eine (politische)<br />

Mitsprache<br />

Trotz Pflichten habe ich keine Rechte


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Aufgrund des grossen Aufwandes wurde darauf verzichtet, das gesamte Protokoll zu übersetzen. Im<br />

Folgenden werden auch nicht alle diskutierten Fragen einzeln kommentiert Stattdessen werden<br />

aufgrund der zusammengefassten inhaltsrelevanten Aussagen aus der Tabelle oben, Schwerpunkte<br />

abgeleitet. Diese Bereiche werden nun kommentiert und es wird zum Teil Bezug genommen auf<br />

zusätzliche und allgemeine Äusserungen in der Fokusgruppe.<br />

Für einen besseren Überblick hier nochmals die in der Fokusgruppe diskutierten Fragen:<br />

1. Was gilt es aus Sicht der Mitglieder von Migrantenorganisationen zu berücksichtigen, wenn in<br />

Zukunft die Partizipation von älteren MigrantInnen erfolgreich sein soll? Welche Strukturen und<br />

Formen der Partizipation sind geeignet, um die älteren MigrantInnen zu erreichen?<br />

2. Welches sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Ressourcen älterer MigrantInnen und wie können<br />

diese konkret für Partizipation in der Wohngemeinde genutzt werden? Wie können die MigrantInnen<br />

gewonnen werden und was müssen die Gemeinden dabei beachten? Welche Erfahrungen im Sinne<br />

von Good practice haben Sie in der Vergangenheit gemacht?<br />

3. Wie stehen die Migrationsorganisationen zur Haltung der Gemeinden bezüglich Erwartungen/<br />

Forderungen an die MigrantInnen? Welche Erwartungen / Forderungen stellen die<br />

Migrationsorganisationen umgekehrt an die Gemeinden?<br />

4. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, dass die älteren MigrantInnen bereit sind, sich aktiv (i.S.<br />

von Partizipation) einzubringen? Mit welchen konkreten Mitteln können die Hürden genommen oder<br />

abgebaut werden?<br />

5. Welche Fragen, Anliegen und Vorschläge haben Sie an die VertreterInnen der städtischen Gruppe<br />

neben den diskutierten Aspekten?<br />

Die Schwerpunkte aus dem Protokoll der Fokusgruppe<br />

der VertreterInnen der italienischen Migrantenorganisationen:<br />

Erreichbarkeit<br />

In der Fokusgruppe wurde mehrfach diskutiert, wer für den Partizipationsprozess erreicht werden<br />

sollte und wie das zu bewerkstelligen sei. Dabei wurde immer wieder auf bisherige Erfahrungen<br />

aufmerksam gemacht, die entweder gut oder schlecht oder nicht wirklich funktioniert hatten.<br />

Tendenziell stellt die Erreichbarkeit der älteren MigrantInnen eine Schwierigkeit mit verschiedenen<br />

Hürden dar. Dabei wird einerseits darauf hingewiesen, dass schriftliche Informationen in deutscher<br />

Sprache kaum gelesen würden. Andererseits dürfe man nicht vergessen, dass es gerade unter älteren<br />

MigrantInnen viele gäbe, die ein geringes Bildungsniveau hätten und deshalb weder schreiben noch<br />

lesen könnten. Als Folge davon, werden selbst Informationen in italienischer Sprache von dieser<br />

Gruppe nicht gelesen. Es wird ausserdem festgestellt, dass auch bei den eigenen Angeboten – sei<br />

das nur als Teilnehmende oder aber auch als Teilhabende (im Sinne von aktiver Partizipation) immer<br />

wieder dieselben Personen dabei seien. Explizit wird darauf verwiesen, dass es wohl nicht anders als<br />

bei der Schweizer Bevölkerung wahrscheinlich etwa 10% seien, die immer (wieder) aktiv seien, und<br />

dass es darum gehen müsse, die restlichen 90% zu erreichen und für die Teilnahme an Aktivitäten<br />

125


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

und für Partizipation zu gewinnen. Die Sicherstellung der Information und Erreichbarkeit sei somit ein<br />

zentrales Element für mehr Partizipation. Die Strukturen würden bestehen (im Sinne von Institutionen,<br />

Vereinigungen, Gruppen, etc.), aber die Erreichbarkeit der älteren Migrantenbevölkerung sei nicht<br />

gewährleistet. Hier gelte es, Lösungen zu finden.<br />

Hürden / Schranken<br />

Als grösste Hürde für eine erfolgreiche Partizipation wurden wiederholt die sprachlichen Aspekte<br />

genannt. Dies betrifft einerseits die bereits genannte Schwierigkeit, dass ältere MigrantInnen<br />

tendenziell schriftliche Information in deutscher Sprache gar nicht lesen und dass ein Teil der älteren<br />

Migrationsbevölkerung nach wie vor als (funktionale) Analphabeten zu betrachten sind. Andererseits<br />

führe ein geringes Bildungsniveau auch dazu, dass komplexe Sachverhalte nicht gut verstanden<br />

würden. Ein weiteres Votum wies auf den Punkt hin, dass man sich als (ältere/r) MigrantIn selbst im<br />

Falle von Partizipation, also beim Mitmachen bei Projekten oder Anliegen z.B. im Wohnquartier oder in<br />

Bezug auf politische Themen, vielleicht aufgrund der eingeschränkten sprachlichen Kompetenzen nur<br />

ungenügend für die eigenen Anliegen einzusetzen vermöge.<br />

Das tiefe Bildungsniveau wurde nicht nur in Zusammenhang mit sprachlichen Verständigungsschwie-<br />

rigkeiten genannt, sondern auch in Bezug zu fehlendem oder mangelndem Wissen über Strukturen<br />

und Institutionen, die ein aktives Partizipieren an der Gesellschaft eventuell voraussetzen. Gleichzeitig<br />

wurde erwähnt, dass sich die Frage des Bildungsniveaus auf das Selbstbewusstsein auswirken<br />

könne, und dass dies, gepaart mit den Sprachbarrieren wesentlich dazu beitragen könne, dass ältere<br />

MigrantInnen für Partizipationsprozesse nicht oder kaum zugänglich seien.<br />

Die Seite der Schweizer Gemeinden als Akteur bei Partizipationsprozessen wurde aus verschiedenen<br />

Blickwinkeln betrachtet. So würden die Schweizer die Idee der Partizipation grundsätzlich etwas zu<br />

einfach sehen, der Wille, jetzt Partizipation zu fördern und zu fordern reiche keinesfalls aus.<br />

Angefangen bei fehlenden Strukturen, sei die fehlende finanzielle Unterstützung eine grosse Hürde.<br />

Es genüge nicht, Aktivitäten von MigrantInnen und Migrantenorganisationen in Gemeinden und<br />

Quartieren als sinnvoll zu befinden und einen moralischen Rückhalt zu bieten. Fehlendes Geld macht<br />

sich ja bereits beim Kauf von Material wie Papier, Marken und so weiter bemerkbar. Dazu kommt,<br />

dass kleinere Gemeinden nicht nur keine finanziellen, sondern auch keine personellen Ressourcen<br />

hätten, um Partizipationsprozesse von MigrantInnen und Migrantenorganisationen zu unterstützen.<br />

Ein Teilnehmer der Fokusgruppe brachte auch die Erfahrung in die Diskussion ein, dass Gemeinden<br />

in der Vergangenheit selbst dann kein Interesse an Aktivitäten von Migrantenseite gezeigt hätten,<br />

wenn man mit konkreten Ideen und Vorschlägen auf sie zugegangen sei. Ein Konsens bei den<br />

TeilnehmerInnen der Fokusgruppe besteht beim Punkt, dass die Schweizer Gemeinden die Initiative<br />

für Partizipationsprozesse in der Gemeinde oder in Quartieren ergreifen und sie aktiv auf die<br />

MigrantInnen und Migrantenorganisationen zugehen müssten. Genau diese Notwendigkeit sei gerade<br />

für kleinere Gemeinden eine schwierige Anforderung aufgrund der bereits genannten fehlenden<br />

Ressourcen.<br />

Als weiterer einschränkender Aspekt lassen sich einige Voten unter dem Begriff Motivation<br />

zusammenfassen: Es braucht niederschwellige Angebote und Treffpunkte, damit Sprache und<br />

126


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Bildungsniveau kein Hinderungsgrund zur Teilnahme und Teilhabe sind. Die Auffassung, dass<br />

<strong>Integration</strong> mit den immer noch bestehenden Barrieren (politische wie gesellschaftliche) nicht möglich<br />

sei, wirkt sich klar demotivierend aus und wird einfach ausgedrückt im Satz: „<strong>Integration</strong> wird einem<br />

schwer gemacht.“ Ein mehrfach geteiltes Votum liesse sich ausserdem wie folgt auf den Punkt<br />

bringen: Motivation zur Partizipation entsteht durch Einbezug der Betroffenen von Beginn an und<br />

nicht, nachdem ein Projekt bereits entschieden und geplant ist.<br />

Gesellschaftliche Zeiterscheinungen<br />

Unter diesem Punkt werden einige Äusserungen der Fokusgruppen-Teilnehmenden zusammenge-<br />

fasst, die im weitesten Sinne Ausdruck einer gesellschaftlichen Zeiterscheinung sind. So wurde von<br />

eine/r Teilnehmenden gesagt, dass sie (die MigrantInnen) alle hier in der Schweiz alt geworden seien<br />

und dass das ein Teil der italienischen Immigration sei. Und als unabänderlicher Teil der Migration in<br />

der Schweiz gilt es nun, auch diesen Aspekt auf politischer und gesellschaftlicher Ebene zu<br />

betrachten und bei der <strong>Integration</strong> von MigrantInnen miteinzubeziehen.<br />

Als Zeiterscheinung wird auch darauf hingewiesen, dass immer dieselben Personen aktiv sind und<br />

sich an Aktivitäten und Prozessen beteiligen und dass sich dies weder bei der Migrations- noch bei<br />

der Schweizer Bevölkerung unterscheide. Geringe Partizipation – auch gemessen an der politischen<br />

Teilnahme an Abstimmungen – sei in der Schweizer Bevölkerung genauso eine Realität.<br />

Eher als eine gesellschaftliche denn als eine politische Erscheinung lässt sich beschreiben, dass die<br />

älteren italienischen MigrantInnen nach wie vor von einer fehlenden Wertschätzung ihres jahrzehnte-<br />

langen Wirkens für den Schweizer Staat sprechen. In diesem Zusammenhang wurde auch gefragt,<br />

warum die Schweizer nun diese Art Partizipation fördern wollten. Wenn die gesellschaftliche Teilhabe<br />

tatsächlich das Ziel sei, dann sei das am einfachsten zu realisieren, indem man ihnen – den<br />

MigrantInnen – einfach das lokale Stimmrecht zugestehen würde.<br />

Ressourcen<br />

Den Ressourcen lassen sich zahlreiche unterschiedliche Aspekte, die in der Fokusgruppe genannt<br />

wurden, zuordnen. Hier werden sie in zwei Gruppen aufgeteilt: zum einen werden Mittel als<br />

Ressourcen gesehen, zum anderen sind es Kompetenzen und Fähigkeiten, die für den<br />

Partizipationsprozess von Bedeutung sind.<br />

Ressourcen als Mittel<br />

Um Partizipationsprozesse zu planen und umzusetzen, benötigt es nach Auffassung der Mehrheit der<br />

Fokusgruppen-Teilnehmenden Mittel. Zum einen sind dies finanzielle Mittel, um Massnahmen<br />

durchführen zu können. Als Beispiel wurde genannt, dass es nicht reicht, von der Gemeinde einen<br />

Raum zur Verfügung gestellt zu bekommen für Treffen. Partizipation als Prozess und Massnahme<br />

benötigt ein Minimum an Geld, zum Beispiel für Information (Briefe, Flyer) oder für Material (je nach<br />

Aktion und Vorhaben). Auch in diesem Zusammenhang wurde erwähnt, dass selbst kleine Beiträge für<br />

Aktivitäten für ältere MigrantInnen eine Ausgabe darstellen, die ihr zum Teil eingeschränktes Budget<br />

nicht zulassen würde. Die unter Hürden und Schranken bereits erwähnten personellen Ressourcen in<br />

den Gemeinden sind ein weiterer Punkt, der aus Sicht der VertreterInnen von<br />

Migrantenorganisationen über Erfolg oder Misserfolg von Partizipationsprozessen entscheiden kann.<br />

127


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Kompetenzen und Fähigkeiten als Ressourcen für Partizipation<br />

Aus Sicht der Fokusgruppen-Teilnehmenden verfügen ältere MigrantInnen über zahlreiche<br />

Ressourcen, die man im Partizipationsprozess nutzbar machen kann:<br />

- Der ältere Mensch hat Ressourcen, man kann ihm mehr Verantwortung übertragen<br />

- MigrantInnen sind offen und bereit für die Zusammenarbeit mit Schweizer VertreterInnen und<br />

Gemeinden<br />

- Beziehungen aufbauen und pflegen ist eine Ressource im Sinne von Motivation für Partizipation<br />

- ältere weibliche Migranten sind sehr aktiv und sozial interessiert<br />

- viele ältere MigrantInnen sind bereits oder würden gerne in der Freiwilligentätigkeit aktiv sein<br />

- die (Lebens-) Erfahrung des/r älteren MigrantIn ist Ressource (Verbindungen, soziale Netzwerke,<br />

Familie, etc.)<br />

- Empowerment als Ressource für Partizipationsprozesse<br />

Erwartungen / Forderungen / Bedarf<br />

Der in der Fokusgruppe weitaus am häufigsten genannte Aspekt unter diesem Schwerpunkt ist das<br />

Thema eines Treffpunktes für ältere MigrantInnen. Ein solcher Treffpunkt müsste und würde<br />

verschiedene Punkte erfüllen. Er müsste soziales Zusammensein und Austausch nicht nur<br />

ermöglichen, sondern auch fördern. Ausserdem brauche es Treffpunkte für alte Menschen und nicht<br />

(nur) für alte MigrantInnen. Diese müssten leicht zugänglich und niederschwellig sein. Das bedeutet<br />

beispielsweise, dass der Treffpunkt generelle Öffnungszeiten bietet, der dem/r BesucherIn eine<br />

Aufsuchflexibilität ermöglicht. Im Gegensatz dazu wurden typische Angebote und Einrichtungen für<br />

ältere Menschen genannt, die z.B. einmal wöchentlich am Mittwochnachmittag für 2 Stunden<br />

angeboten würden, was dem Wunsch und oft dem Bedarf des alten Menschen nach Sozialkontakt<br />

nicht gerecht und ihn zu sehr einschränken würde. Der Wunsch nach einem Treffpunkt wurde klar als<br />

Bedarf geäussert.<br />

In Bezug auf die Erwartungen und Forderung an eine erfolgreiche Partizipation und an die Gemeinde<br />

wurde unter anderem genannt, dass die Gemeinden die Initiative ergreifen müssten, um die<br />

gewünschten Prozesse anzustossen. Die Positionen, Meinungen und Vorschläge von den<br />

MigrantInnen und Migrantenorganisationen müssten integriert werden. „Wir wurden nie nach einer<br />

politischen Meinung gefragt.“ Partizipation - wie bspw. von der EKM vorgeschlagen - wird als<br />

notwendig erachtet. Der Einbezug der älteren Migrationsbevölkerung muss aber von Beginn eines<br />

Vorhabens an gewährleistet sein, wenn es Partizipation im Sinne der hier zugrunde liegenden<br />

Definition sein soll. Und Partizipation in diesem Sinne hätte früher angegangen werden müssen. Um<br />

Partizipation zu initiieren und umzusetzen, muss man den Dialog suchen. Es gilt, Wege zu besserer<br />

<strong>Integration</strong> zu suchen und zu fördern. In drei Worten auf den Punkt gebracht: „Partizipation heisst<br />

Partnerschaft.“ Als Forderung wurde ausserdem genannt, dass es auf Gemeindeebene mehr<br />

Verantwortung braucht, um Partizipationsprozesse zu initiieren und durchzuführen.<br />

Unter Bedarf wurden weiter folgende Aspekte genannt: Es benötigt Freiwillige für einen so definierten<br />

Partizipationsprozess. 90% der älteren Migrationsbevölkerung seien inaktiv, diese müssten mobilisiert<br />

werden. Viele ältere MigrantInnen hätten Ängste in Bezug auf ihr Alter, weil sie zum Beispiel nicht<br />

128


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

wüssten, wie das mit den Altersheimen geregelt sei, und wie sie bei Bedarf zu einem Platz dort<br />

kommen würden. Sie haben Befürchtungen, dass sie im Krankheitsfall oder in anderen Fragen ihre<br />

Rechte nicht kennen würden.<br />

Politik<br />

Unter diesem Stichwort werden Äusserungen dargestellt, welche direkt einen politischen oder aber<br />

indirekt einen politischen Aspekt ansprechen. In erster Linie sei ein politischer Wille notwendig, wenn<br />

Partizipation im Sinne dieser Arbeit und im Sinne der Definition der EKM erfolgreich sein solle. Als<br />

weiterer Aspekt wird als entscheidend genannt, welche politische Ausrichtung (im Sinne von<br />

parteipolitisch) eine Gemeinde vertrete.<br />

In der Gruppe wurde ebenfalls diskutiert, dass selbst ältere MigrantInnen, die mehrere Jahrzehnte in<br />

der Schweiz gearbeitet und Steuern gezahlt hätten, erschwerenden Bedingungen ausgesetzt seien.<br />

Die politischen Vorgaben sehen vor, dass bei einer Rückkehr in die Schweiz nach einem längeren<br />

Aufenthalt im Ursprungsland oder einfach ausserhalb der Schweiz, den „Rückkehrern“ nicht der<br />

vorherige Status (Ausweis C), sondern nur noch der Status B zuerkannt würde, „obwohl man das<br />

ganze Leben hier verbracht hat.“ Dazu komme die Forderung, dass die in der Schweiz lebenden<br />

Familienangehörigen dafür garantieren müssten, im Falle von Pflegebedürftigkeit für die Kosten<br />

aufzukommen.<br />

Bedingungen / Strukturen<br />

In der Fokusgruppe mit den italienischen VertreterInnen wurden folgende Aspekte besprochen, die<br />

dem Schwerpunkt Bedingungen / Strukturen zuzuordnen sind:<br />

Es wurde darauf hingewiesen, dass es in verschiedenen Gemeinden in der Schweiz bereits<br />

erfolgreich umgesetzte Modelle von Partizipation gäbe (namentlich erwähnt wurde das Modell von<br />

Köniz in Soom Ammann und Salis Gross, 2011). Es sei ganz wichtig, dass diese bestehenden<br />

Modelle im Sinne der Good Practice vermehrt eingesetzt und in anderen Gemeinden multipliziert<br />

werden müssten. Zu einer Multiplikation guter Modelle gehöre aber auch eine entsprechende<br />

Unterstützung von Seiten der Gemeinde. Ein zweiter Punkt, der mehrfach diskutiert wurde, ist die<br />

<strong>Integration</strong> von Schlüsselpersonen und/oder von MultiplikatorInnen. Diese müssten aktiv gesucht und<br />

entsprechend auf ihre Aufgabe vorbereitet werden. Es braucht ebenfalls RepräsentantInnen, welche<br />

in die Projekte von Beginn an integriert werden müssten. Einerseits sind hier RepräsentantInnen von<br />

Migrationsorganisationen und –institutionen gemeint, andererseits sind es die diejenigen von<br />

Gemeinden und öffentlichen Institutionen.<br />

Die Themen Finanzen und Subventionen wurden auch im Sinne von Rahmenbedingungen genannt.<br />

Hier anzufügen sind ebenfalls die besprochene notwendige Zusammenarbeit sowie die Schaffung von<br />

Strukturen, wo nötig. Im konkreteren Sinne wurde gesagt, dass es klare Ziele und Vorgaben braucht,<br />

dass definiert werden muss, welche Personen als Zielgruppe für Partizipation einbezogen werden<br />

müssen (gemeint ist hier, die eine Funktion im Partizipationsprozess übernehmen), und welche<br />

Personen die Zielgruppe im Sinne von Nutzniessern sind. Danach richten sich unter anderem die<br />

Machbarkeit und das bedarfsgerechte Angebot.<br />

129


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Bezüglich Zugänglichkeit zu den Partizipationsprozessen und -bestrebungen gilt es zu<br />

berücksichtigen, dass kleinere Gemeinden mit wenigen Ressourcen (Mitteln) den Partizipations-<br />

prozess mit älteren MigrantInnen zum Beispiel regional gestalten sollen. Als Bedingungen werden in<br />

diesem Zusammenhang erneut die Information und die Erreichbarkeit erwähnt, da dies bei einer<br />

regionalen Lösung grössere Anforderungen an ein Gelingen stellt. Konkret wurde auch diskutiert, dass<br />

in den Gemeinden oder in Quartieren sogenannte Sentinellen eingerichtet werden könnten. Gemeint<br />

sind damit eine Art „sozialer Wachposten“, wo eine Person verantwortlich ist, im entsprechenden<br />

Quartier Augen und Ohren offenzuhalten, um Bedarf und Bedürfnisse der älteren MigrantInnen<br />

wahrzunehmen und aktiv nach Lösungen zu suchen.<br />

5.3.2.2 Ideensammlung und Massnahmenvorschläge aus der Fokusgruppe<br />

Am Ende der Fokusgruppe wurden die Teilnehmenden gebeten, ihre Gedanken im Sinne von Ideen<br />

und konkreten Massnahmen oder Vorschlägen auf einzelnen Moderationskarten festzuhalten. Dabei<br />

sollten sie sich bei ihren Antworten von folgenden Begriffen leiten lassen: Partizipation(-sprozess) /<br />

Ressourcen, Potenziale / Erwartungen, Forderungen / Bedingungen, Strukturen.<br />

Alle Texte auf den Moderationskarten wurden im Anschluss in einem Dokument zusammengefasst. In<br />

der untenstehenden Tabelle wurden die Nennungen (originale Fassung) bereits den oben genannten<br />

Begriffen zugeordnet.<br />

Tabelle 31: Ideensammlung und Massnahmenvorschläge - Originalfassung<br />

a) Partizipation(sprozess)<br />

I comuni devono pubblicare e mettere a conoscenza degli emipret e non le loro offerte, tratte in collaborazione<br />

con gli interessati.<br />

Sostenere e promuovere le diverse identità culturali ma in un quadro d‟integrazione e al rispetto delle regole.<br />

Sistemi con porte aperti.<br />

Empowerment come metodo di partecipazione.<br />

Proseguire il dialogo con le altre culture ( ci si deve conoscere meglio).<br />

Combattere pregiudizi e forme di razzismo, con incontri aperti a tutto il pubblico e sostenuti con progetti concreti.<br />

Trovare nelle comunità delle persone che fanno da sentinelle (punti di riferimento).<br />

Strutture reali locali, partecipare a iniziative culturali insieme agli indigeni per una migliore integrazione.<br />

Creare una persona di fiducia/ responsabile con i rappresentanti dell‟emigrazione per conoscere le<br />

problematiche e proposte! Spiegare la politica di integrazione del comune.<br />

Partecipazione a livello di quartieri ... Tipo aggregazioni.<br />

Nei quartieri... Fare in modo che le istituzioni presenti (chiese ...) aprano le porte ad accogliere.<br />

Incontri per raccontarsi...Per conoscersi...<br />

b) Ressourcen / Potenziale<br />

Incontri di tipo femminile.<br />

Per non dimenticare... Noi emigrati siamo la memoria storica...<br />

c) Erwartungen / Forderungen<br />

Favorire l‟integrazione con il diritto di partecipazione al voto locale.<br />

Diritto di voto agli stranieri a livello comunale.<br />

130


Progetti integrazione tutti insieme e finanziati.<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Una parte del Budget comunale deve essere per la politica d‟integrazione.<br />

Mettere le persone al primo posto.<br />

Non avere paura del diverso!<br />

Partire sul stesso livello � Diritti e doveri.<br />

Le persone vanno accolte per quello che sono.<br />

Vogliamo una più ampice informazione su programmi del comune quanto riguarda assistenza e volonariato<br />

quanto riguarda gli anziani.<br />

Deve in qualche modo dimostrare la volontà del comune all‟integrazione dei suoi cittadini! Per migliorare le<br />

condizioni di vita / sociali.<br />

Diritto di voto cittadino.<br />

Riconoscimento organizzativo.<br />

Più rispetto dell`anziani.<br />

Occuparsi degli anziani che vivono da soli ( quartieri).<br />

Organizzare momenti di convivialità ( potale).<br />

Contatti con gruppi femminili.<br />

Sostituire gruppi anziani da VOI gestiti.<br />

d) Bedingungen / Strukturen<br />

Finanziare i diversi corsi di apprendimento socio-sportivo culturale: teatro, computer, sport, tempo libero in<br />

genere.<br />

Finanziare le associazioni e gruppi promotori che realizzano e propongono idee al sostegno degli anziani.<br />

Creazione di centri d‟incontro polivalenti nei quartieri.<br />

Più informazione a livello locale.<br />

Aiuti finanziari ai piccoli progetti.<br />

Mettere a disposizione più facilmente le strutture locali per le diverse attività culturali e altre.<br />

La politica comunale deve offrire più spazi partecipativi e mettere a disposizione le strutture.<br />

Più informazione al pubblico locale sui vantaggi sociali ed economici dell‟integrazione.<br />

Centro di ascolto e di ritrovo.<br />

Unire le forze in campo (tra le varie strutture italiane).<br />

Informazioni più semplici e chiare.<br />

Strutture reali locali, partecipare a iniziative culturali insieme agli indigeni per una meglio integrazione.<br />

Comune deve avere un programma d‟integrazione / offerte da proporre per facilitare l‟integrazione.<br />

Creare reti di informazione.<br />

Creare centri di ritrovo per anziani dove poter svolgere attività culturali ricreative e “sportive”.<br />

Un centro di incontro<br />

Più informazioni generali.<br />

Progetti con finanziamenti.<br />

Creare una rete di volontariato italiano e bernese.<br />

Contatti con organismi e centri italiani.<br />

Nachfolgend werden die Ergebnisse aus der Ideensammlung, gemäss der vollständigen italienischen<br />

Zusammenstellung oben, in die deutsche Sprache übersetzt (alle Nennungen, deshalb zum Teil<br />

131


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Doppelnennungen). Zur besseren Nachvollziehbarkeit der mündlichen Beiträge auf Basis des<br />

zugrundeliegenden transkribierten Protokolls werden die Vorschläge mit Aussagen der<br />

Teilnehmenden ergänzt oder es wird – wo nötig und sinnvoll - erklärend Bezug darauf genommen.<br />

Eine gewisse Redundanz mit den Äusserungen aus der Diskussion, die in Kapitel 5.3.2.1 dargestellt<br />

sind, wird hier bewusst in Kauf genommen.<br />

a) Partizipation(sprozess)<br />

- Die Gemeinden sollen Partizipationsideen und –massnahmen zur Kenntnis publizieren und<br />

gemeinsam mit den Interessierten und Betroffenen erarbeiten, und nicht einfach ihre fertigen<br />

Angebote machen.<br />

- Die verschiedenen kulturellen Identitäten unterstützen und fördern in einem<br />

<strong>Integration</strong>srahmen mit entsprechenden Regeln.<br />

- Systeme mit offenen Türen schaffen.<br />

- Empowerment als Methode der Partizipation nutzen.<br />

- Den Dialog mit anderen Kulturen fortsetzen (man muss sich besser kennen lernen).<br />

- Vorurteile und Formen von Rassismus bekämpfen mit offenen Treffen, die für alle zugänglich<br />

sind und die mit konkreten Projekten unterstützt werden.<br />

- Personen suchen, die in der Gemeinde als „Sentinellen“ funktionieren (im Sinne von<br />

Anlaufstelle oder sozialem Wachposten).<br />

- Lokale Strukturen schaffen und zusammen mit den Bedürftigen an gemeinsamen kulturellen<br />

Initiativen partizipieren für eine bessere <strong>Integration</strong>.<br />

- Eine Vertrauensperson oder Verantwortliche/n benennen, um zusammen mit den<br />

RepräsentantInnen für <strong>Integration</strong> die Problematiken und Vorschläge der Betroffenen in<br />

Erfahrung zu bringen. Die <strong>Integration</strong>spolitik der Gemeinde muss erklärt werden.<br />

- Partizipation auf Quartierebene umsetzen, im Sinne von Treffpunkten.<br />

- Die Institutionen, die im Quartier ansässig sind (z.B. Kirchen) sollten ihre Türen öffnen und die<br />

(älteren) MigrantInnen empfangen.<br />

- Treffen veranstalten, an denen man erzählen und sich kennen lernen kann.<br />

Als wichtige Schwerpunkte können hier zusammengefasst der gemeinsame Dialog, das gemeinsame<br />

Angehen der Thematik, das Schaffen von lokalen niederschwelligen Strukturen sowie die<br />

Zusammenarbeit mit Schlüsselpersonen und RepräsentantInnen auf Seite der MigrantInnen und der<br />

Schweizer Institutionen genannt werden. Ein Aspekt, der hier zum Ausdruck kommt, ist jener der<br />

verschiedenen Kulturen, die in einem Gemeindekontext aufeinandertreffen und der Einbezug des<br />

Aspektes der <strong>Integration</strong> (der in der Fokusgruppe nicht diskutiert wurde).<br />

b) Ressourcen / Potenziale<br />

Im Sinne eindeutiger Ressourcen und Potenziale wurden keine Massnahmen oder Vorschläge notiert.<br />

Einzig die beiden Punkte „Incontri di tipo femminile“ und „Per non dimenticare…. noi emigrati siamo la<br />

memoria storica…..” weisen auf mögliche Ressourcen hin. Im ersten Punkt wird die Aktivität und<br />

132


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Beteiligung von Frauen am gesellschaftlichen Leben (vom Zeitpunkt an des Familiennachzugs) im<br />

Sinne einer Ressource genannt, die es zu nutzen gilt. Im zweiten Punkt werden die älteren<br />

MigrantInnen als „Gedächtnis der Geschichte“ gesehen. Dies wird verstanden als Quelle von Wissen<br />

und Erfahrung und kann somit als Ressource betrachtet und im Partizipationsprozess nutzbar<br />

gemacht werden.<br />

In Kapitel 5.3.2.1 „Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen aus dem transkribierten Protokoll der<br />

Fokusgruppe“ finden sich mehr Hinweise für den Begriff Ressourcen.<br />

c) Erwartungen / Forderungen<br />

- Die <strong>Integration</strong> mittels Partizipationsrecht im Sinne von lokalem Stimmrecht fördern.<br />

- Den Ausländern auf lokaler Ebene das Stimmrecht geben.<br />

- <strong>Integration</strong>sprojekte gemeinsam gestalten, mit finanzieller Unterstützung.<br />

- Ein Teil des Gemeindebudgets müsste für die <strong>Integration</strong>spolitik aufgewendet werden.<br />

- Der Mensch kommt zuerst.<br />

- Keine Angst vor der Diversität haben!<br />

- Menschen sollten als das anerkannt werden, was sie sind.<br />

- Auf gleicher Ebene beginnen � Rechte und Pflichten<br />

- Wir möchten eine breitere Information über Gemeindeprogramme bezüglich Unterstützung und<br />

Freiwilligenarbeit für und mit alten Menschen.<br />

- Die Gemeinde müsste in irgendeiner Weise ihren <strong>Integration</strong>swillen für seine Bewohner<br />

(cittadini = Bewohner einer Gemeinde oder eines Landes) demonstrieren mit dem Ziel, die<br />

sozialen und Lebens-Bedingungen zu verbessern.<br />

- Stimmrecht<br />

- Anerkennung für (geleistete Selbst-) Organisation.<br />

- Mehr Respekt für den alten Menschen.<br />

- Sich um die alten Menschen in den Quartieren kümmern, die alleine wohnen.<br />

- Momente des Zusammenlebens organisieren.<br />

- Kontakte mit Frauengruppen.<br />

- Austausch mit den von EUCH geführten Altersgruppen.<br />

Die deutlichsten und meist genannten Erwartungen und Forderungen sind jene betreffend Rechten<br />

von MigrantInnen, namentlich das lokale Stimmrecht sowie jene nach Anerkennung, Respekt und<br />

Wertschätzung. Implizit schwingt das Thema „Fremdes“ und Haltung der Schweizer gegenüber dem<br />

Fremden als Ungewohntem und dem Fremden als Mensch eines anderen Kulturkreises mit. Auch in<br />

diesem Abschnitt wird mehrmals von <strong>Integration</strong> gesprochen, obwohl dies ausdrücklich nicht Thema<br />

der Diskussion war.<br />

133


d) Bedingungen / Strukturen<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

- Kurse und Wissensvermittlung finanzieren: sozio-sportive Angebote, kulturelle (Theater),<br />

Computer, Freizeit im Allgemeinen.<br />

- Vereinigungen und Fördergruppen finanzieren, die Ideen für die Unterstützung der Alten<br />

vorschlagen und realisieren.<br />

- Polyvalente Treffpunkte in den Quartieren gründen.<br />

- Mehr Information auf lokalem Niveau.<br />

- Finanzielle Unterstützung für kleinere Projekte.<br />

- Auf unkomplizierte Weise lokale Strukturen für verschiedene kulturelle und andere Aktivitäten<br />

zur Verfügung stellen.<br />

- Die Kommunalpolitik muss mehr Raum für soziale Beteiligung anbieten und Strukturen zur<br />

Verfügung stellen.<br />

- Mehr Informationen für das lokale Publikum über die sozialen und wirtschaftlichen Vorteile von<br />

<strong>Integration</strong>.<br />

- Ein Zentrum, wo man empfangen wird und sich treffen kann.<br />

- Die vorhandenen Kräfte vereinen (innerhalb der verschiedenen italienischen Strukturen).<br />

- Einfachere und klare Informationen.<br />

- Lokale Strukturen schaffen und zusammen mit den Bedürftigen an gemeinsamen kulturellen<br />

Initiativen partizipieren für eine bessere <strong>Integration</strong>.<br />

- Die Gemeinde müsste ein <strong>Integration</strong>sprogramm haben / Angebote vorschlagen, die die<br />

<strong>Integration</strong> vereinfachen.<br />

- Informationsnetzwerke kreieren.<br />

- Alterstreffpunkte (Zentrum) gründen, wo man kulturelle, sportliche und Freizeitaktivitäten<br />

gestalten kann.<br />

- Ein Treffpunkt.<br />

- Mehr allgemeine Informationen.<br />

- Finanziell unterstützte Projekte.<br />

- Ein italienisches oder bernisches Freiwilligennetzwerk gründen.<br />

- Kontakte mit italienischen Zentren und Organisationen<br />

Als wichtigste Bedingungen werden genannt die finanzielle Unterstützung, das Schaffen von<br />

Strukturen, vor allem in Form eines Treffpunktes. Ausserdem werden mehr, klarere und lokale<br />

Informationen als wichtige Bedingung im Partizipationsprozess gesehen. Daneben werden konkrete<br />

Vorschläge gemacht wie das Schaffen eines Freiwilligennetzwerkes, das Erarbeiten eines<br />

<strong>Integration</strong>sprogrammes auf Gemeindeebene und das Anbieten von verschiedenen Dienstleistungen<br />

und Aktivitäten, respektive das zur Verfügung stellen der Infrastruktur für deren Durchführung.<br />

5.3.2.3 Interpretation und Erkenntnisse aus der Fokusgruppe<br />

Diskussionsprozess der Fokusgruppe<br />

Die Teilnehmenden der Fokusgruppe zeigten eine grosse Wertschätzung für die Einladung zur<br />

134


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Mitarbeit an dieser Masterarbeit. Nicht nur, weil es dabei um ein interessantes Thema und eine direkte<br />

Betroffenheit gehen würde, sondern in erster Linie deshalb, weil ihre Meinung in der Entwicklung eines<br />

Modells oder Projektes gefragt war. Die Beteiligung an diesem Prozess zeigte sich während der<br />

Fokusgruppe in einem hohen Engagement, in einem disziplinierten Berücksichtigen der vor Beginn<br />

der Diskussion eingeführten „Spielregeln“ (z.B.: es spricht nur jeweils eine Person nach der anderen,<br />

um eine gute Qualität der Tonbandaufnahme zu gewährleisten) und im Einbringen auch emotionaler<br />

Betroffenheit zur diskutierten Thematik.<br />

Dem hohen Engagement stand eine etwas wenig strukturierte Beantwortung der Fragestellung<br />

gegenüber. Es gab zum Teil sehr lange Voten, die wiederholt den eigentlichen Rahmen der<br />

Fragestellungen verliessen. Gerade dieser Aspekt ermöglichte aber auch das Erfassen wichtiger<br />

Informationen, die zwar nicht ganz direkt in Zusammenhang mit der Fragestellung standen, dafür aber<br />

Einsichten lieferten, die allgemein für das Modell <strong>MIGRALTO</strong> nutzbar sind (siehe zum Beispiel das<br />

Thema Frauen und <strong>Integration</strong>/Partizipation im Abschnitt ‚Ressourcen„ unten).<br />

Am Schluss der Fokusgruppe war es den meisten Anwesenden ein grosses Anliegen und Bedürfnis,<br />

sich erneut in dieser Zusammensetzung zu treffen. Die Weiterverfolgung des Projektes <strong>MIGRALTO</strong><br />

stellte dabei nur einen Teil des Bedürfnisses dar. Der wichtigere Teil betraf den Wunsch des erneuten<br />

gegenseitigen Austausches. Es kann hier nur vermutet werden, dass neben der gewünschten<br />

Gemeinschaftlichkeit ein weiterer Punkt vielleicht sogar noch wichtiger war: Als Person und Mensch<br />

mit Kompetenzen und (Erfahrungs-) Wissen gefragt zu sein und sich beteiligen zu dürfen.<br />

Definitionsverständnis von Partizipation und <strong>Integration</strong><br />

Ähnlich wie in Kapitel 5.3.3.1 beschrieben, fiel es den Teilnehmenden VertreterInnen der<br />

Migrantenorganisationen an der Fokusgruppe nicht leicht, den Begriff „Partizipation“ so zu verstehen,<br />

wie in dieser Arbeit vorgegeben und diese Definition während der gesamten Diskussion auch so zu<br />

verwenden. Auch in der Fokusgruppe wurde der Partizipationsbegriff allen schriftlich abgegeben und<br />

das Blatt war während des ganzen Prozesses auf den Tischen sicht- und greifbar. Im Unterschied zu<br />

den Interviewten zeigte sich bei den Teilnehmenden der Fokusgruppe zusätzlich zum ungewohnten<br />

Gebrauch des Begriffes Partizipation auch eine Vermischung mit dem Begriff der <strong>Integration</strong>.<br />

Wiederholt wurden diese Termini synonym gebraucht. Es ist davon auszugehen, dass diese<br />

Vermischung durch jenen Fokus gefiltert ist, welche die VertreterInnen der Migrationsorganisationen in<br />

ihrer Funktion als OrganisationsvertreterInnen jeweils gewohnt sind und es in der Vergangenheit um<br />

<strong>Integration</strong>, nicht aber um Partizipation im Sinne der aktiven Bürgerschaft ging, da dies ja eine neue<br />

Form von Teilnahme darstellt. Gerade auch in Zusammenarbeit mit Schlüsselpersonen und<br />

VertreterInnen aus Migrantenorganisationen wird es entscheidend sein, darauf zu achten, dass bei<br />

Projekten zur Partizipation von Beginn an bei allen Beteiligten ein gemeinsames Verständnis und ein<br />

Konsens über den verwendeten Begriff gegeben sind.<br />

Der Fokus der VertreterInnen der Migrantenorganisationen<br />

In Bezug auf die Erwartungen und den Bedarf fällt auf, dass ein Treffpunkt für ältere MigrantInnen als<br />

ein sehr wichtiger Punkt betrachtet wird. Es werden auch Gründe für diese Wichtigkeit angeführt.<br />

Allerdings ist klar, dass selbst ein nachgewiesener Bedarf für einen solchen Treffpunkt nichts mit<br />

135


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Partizipation im Sinne der aktiven Bürgerschaft zu tun hat. In erster Linie wäre dies ja ein Ort, an<br />

welchem man sich aufhalten kann, wo man Kunde/Kundin oder allenfalls Teilnehmende/r ist. Hier<br />

zeigt sich erneut der Fokus der VertreterInnen der Migrationsorganisationen, der ja in ihrer täglichen<br />

Arbeit vor allem auf die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe gerichtet ist. Dieselbe Beobachtung lässt sich in<br />

Bezug auf die Bedingungen und Strukturen machen. Auch hier stehen vielfach bedürfnis- und<br />

bedarfsorientierte Aspekte der Zielgruppe der MigrantenvertreterInnen im Vordergrund.<br />

Diese Beobachtungen zeigen deutlich, dass beim Planen und Durchführen von Partizipationspro-<br />

zessen dem Vermitteln einer spezifischen Partizipationskultur auch an die VertreterInnen von<br />

Migrationsorganisationen und weitere Schlüsselpersonen aus dem Migrationsbereich im Sinne von<br />

Kompetenzerweiterung ein grosser Stellenwert beigemessen werden muss. Ein gemeinsames<br />

Verständnis und ein Konsens über den Partizipationsbegriff erweist sich immer deutlicher als wichtige<br />

Grundvoraussetzung für gelingende Projekte in diese Richtung.<br />

Ressourcen<br />

Anders als die befragten älteren MigrantInnen in den Interviews haben die VertreterInnen der<br />

Migrantenorganisationen ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, welche Kompetenzen und Fähigkeiten<br />

ältere MigrantInnen für eine aktive Bürgerschaft mitbringen.<br />

Beiden Gruppen gemeinsam ist aber die Nennung von Freiwilligentätigkeit. Obwohl dieser Begriff nicht<br />

immer explizit unter dem Aspekt der Ressourcen genannt wurde, gebührt der Freiwilligentätigkeit als<br />

Ressource besondere Aufmerksamkeit. Implizit ist klar, dass Partizipationsvorhaben ohne die<br />

Unterstützung von Freiwilligen kaum oder nur eingeschränkt umsetzbar sein werden. Ob dabei<br />

mögliche MultiplikatorInnen gemeint sind oder andere Personen – seien dies Schweizer BürgerInnen<br />

oder MigrantInnen – bleibe dahin gestellt: Partizipationsprozesse als bürgerliches Engagement<br />

braucht Menschen, die territorial und thematisch betroffen sind und sich mit Unterstützung von<br />

staatlicher Seite in Bezug auf gesellschaftliche Belange einbringen wollen. Positiv lässt sich<br />

erwähnen, dass sowohl in den Interviews als auch in der Fokusgruppe wiederholt darauf hingewiesen<br />

wurde, dass viele ältere MigrantInnen sehr gerne freiwillig tätig sein würden, resp. viele von ihnen es<br />

bereits seit langem seien.<br />

Ein weiterer Punkt unter Ressourcen, der hier speziell erwähnt werden soll, ist ein spezifischer Teil der<br />

älteren Migrationsbevölkerung, nämlich die Frauen. Eine Teilnehmende der Fokusgruppe legte Wert<br />

darauf, dass nicht vergessen werden dürfe, dass die Migration (der Italiener) mit dem Nachzug der<br />

Frauen begonnen hätte. Erst da seien ja Lebensbereiche wie Familiengründung und –organisation,<br />

Schulbildung, gesellschaftliche Vernetzung der eigenen Migrationsgemeinschaft relevant geworden.<br />

Ausserdem sei Alter weiblich und viele ältere Migrantinnen seien aufgrund des Todes ihres Mannes<br />

alleine hier zurückgeblieben und würden sich gerne in die Gesellschaft einbringen.<br />

Diese weibliche Sicht gilt es, in Partizipationsvorhaben miteinzubeziehen. Nicht nur, weil Frauen<br />

aufgrund eines möglichen Engagements eine Ressource darstellen, sondern auch, weil sie unter<br />

Umständen und je nach ethnischer Herkunft anders zu erreichen und in Partizipationsprozesse zu<br />

integrieren sind. Das muss allerdings jeweils spezifisch überprüft werden.<br />

136


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Massnahmen und Vorschläge für Partizipationsprozesse<br />

Bei den in Kapitel 5.3.2.2 zusammengefassten Massnahmen und Vorschlägen, die am Ende der<br />

Fokusgruppe von den Teilnehmenden auf Moderationskarten geschrieben wurden, fällt eine<br />

Vermischung der Ebenen auf. Das Thema der Fokusgruppe war ausschliesslich jenes der<br />

Partizipation im Sinne der EKM und auch die gestellten Fragen, konzentrierten sich nur auf die<br />

Thematik.<br />

Dennoch erkennt man in den Massnahmen und Vorschlägen erneut den Fokus der VertreterInnen der<br />

Migrantenoriganisationen für die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe. Gleichzeitig wurden viele Beiträge<br />

eingebracht, welche das Gedankengut der Partizipation erkennen lassen und welche wichtigen<br />

Hinweise für die VertreterInnen der Schweizer Institutionen und Gemeinden enthalten.<br />

5.4 Gegenüberstellung und Vergleich der Ergebnisse der<br />

Perspektive der GemeindevertreterInnen und der<br />

Migrantenperspektive (H. Hungerbühler und V. Abati)<br />

In diesem Kapitel wird eine Gegenüberstellung der verschiedenen Perspektiven vorgenommen und in<br />

einer Drei-Schritt-Struktur kommentiert. Aufgrund der Resultate werden folgende Bereiche in der<br />

Gegenüberstellung besprochen:<br />

1 - Definition ‚Alter & Partizipation„<br />

2 - Ressourcen<br />

3 - Rahmenbedingungen/Strukturen<br />

4 - Mittel/Instrumente<br />

5 - Schranken/Hürden<br />

6 - Erwartungen/Forderungen/Wünsche<br />

7 - (Handlungs-)Bedarf<br />

8 - Bereiche der Partizipation<br />

Dabei wird verglichen, inwieweit sich die Perspektiven auf die Partizipation von älteren MigrantInnen<br />

zwischen den VertreterInnen der Gemeinden und den VertreterInnen der Migrationsorganisationen,<br />

resp. den interviewten MigrantInnen decken, und wo sie voneinander abweichen. Aufgrund dieser<br />

Gegenüberstellung werden anschliessend in Kapitel 6 Schlussfolgerungen für die Entwicklung des<br />

Modells <strong>MIGRALTO</strong> gezogen.<br />

Im Folgenden werden die verschiedenen Befragungsgruppen wie folgt abgekürzt: Fokusgruppe CH,<br />

Fokusgruppe IT, Gemeinden, MigrantInnen.<br />

137


1a – DEFINITION „ALTER“:<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Konsens: Fokusgruppe CH, Fokusgruppe IT, Gemeinden<br />

Alle drei Gruppen orientieren sich explizit oder implizit an einem modernen gerontologischen<br />

Verständnis von Alter als einer aktiven Lebensphase, die auch Entwicklungschancen bietet.<br />

Dissens: MigrantInnen<br />

Das Altersbild der älteren MigrantInnen ist mehrheitlich von einem defizitorientierten Verständnis<br />

geprägt. Der Fokus ist auf einen passiven „Lebensabend“ gerichtet, der nach einem beschwerlichen<br />

Arbeitsleben verdient ist. Die aktive Partizipation im Sinne der aktiven Bürgerschaft wird von ihnen in<br />

Bezug auf Machbarkeit und Sinn in Frage gestellt.<br />

Interpretation: Während die Fokusgruppen und GemeindevertreterInnen aufgrund ihrer beruflichen<br />

Tätigkeit mit dem aktuellen gerontologischen Diskurs vertraut sind, der Alter als ressourcenorientierte<br />

Lebensphase konzipiert, sind dies die älteren MigrantInnen vermutlich nicht. Bei den VertreterInnen<br />

der Migrationsorganisationen basiert der Diskurs ausserdem vor allem auf ihrer Rolle als<br />

Interessenvertretung älterer MigrantInnen, weniger aber auf einem wissenschaftlichen oder<br />

gesellschaftlichen Fokus. Zudem belegen statistische Fakten über ältere MigrantInnen deren im<br />

Vergleich zur schweizerischen Bevölkerung schlechtere ökonomische und gesundheitliche Situation<br />

im Alter. Das wiederum ist die Folge ihrer langjährigen Arbeit in gesundheitsschädigenden<br />

Tieflohnbranchen und entsprechend kleinen Renten (BAG, 2007; BSV, 2010). Unter diesen<br />

Umständen kann angenommen werden, dass MigrantInnen ihr eigenes Alter tendenziell als eher<br />

defizitär erleben.<br />

1b – DEFINITION „PARTIZIPATION“:<br />

Konsens: Fokusgruppe CH, Fokusgruppe IT, Gemeinden<br />

Alle drei Gruppen teilen grundsätzlich die Definition von Partizipation im Sinne der aktiven<br />

Bürgerschaft (Citoyenneté), wie sie von den Autorinnen in dieser Arbeit vorgelegt wird. Sie sind sich<br />

einig, dass gelebte Partizipation als anzustrebende Zielvorstellung auf der Grundlage eines solchen<br />

Verständnisses stattfinden sollte. Ebenfalls beide Gruppen wechseln dann jedoch im konkreten<br />

Diskurs immer wieder zu einem Partizipationsverständnis, das eher auf Teilnahme und nicht auf<br />

Partizipation im aktiven Sinne von Mitsprechen, Mitgestalten und Mitentscheiden basiert. Bei der<br />

Fokusgruppe IT fällt zudem auf, dass sie Partizipation im Sinne von <strong>Integration</strong> als ein<br />

assimilatorisches Konzept versteht (vgl. Kapitel 2.5). Partizipation als aktive Bürgerschaft scheint für<br />

sie hingegen ein ungewohnter Begriff zu sein.<br />

Die Fokusgruppe CH sowie vor allem die schriftlich befragten GemeindevertreterInnen teilen die<br />

Einschätzung, dass die tatsächliche Partizipation der älteren MigrantInnen auf Gemeindeebene<br />

mehrheitlich kaum oder nur zum Teil gelinge, auch wenn seitens der InstitutionsvertreterInnen<br />

zielgruppenspezifische Bemühungen unternommen würden.<br />

138


Dissens: MigrantInnen<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Die älteren MigrantInnen verstehen Partizipation mehrheitlich als „Teilnahme“ in einem passiv-<br />

konsumierenden Sinn. Die Idee einer aktiven Partizipation begrüssen sie hingegen grundsätzlich als<br />

notwendig und zeitgemäss. Die Umsetzung und Machbarkeit derselben sei jedoch an die<br />

Voraussetzung geknüpft, dass sie über ein Mitentscheidungsrecht verfügen müssten. Darüber hinaus<br />

besteht bezüglich Gelingen von Partizipation seitens älterer MigrantInnen ein gewisses Misstrauen<br />

aufgrund einer wahrgenommen „Barriere“ zwischen SchweizerInnen und MigrantInnen. Die älteren<br />

MigrantInnen machen ihre Partizipation auf Gemeindeebene auch davon abhängig, ob sie ein Thema<br />

betreffe und interessiere. Zudem erwarten sie, dass InstitutionsvertreterInnen ihr Interesse an ihnen<br />

signalisieren und sie in ihren Netzwerken (Vereinen, etc.) aufsuchen, und nicht nur schriftlich und<br />

anonym einladen.<br />

Interpretation: Es zeigt sich, dass der Begriff der aktiven Bürgerschaft (Citoyenneté), wie ihn die<br />

Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen in ihrem Diskurs über die Partizipation der<br />

Migrationsbevölkerung aufgreift und postuliert, bei sämtlichen befragten Gruppen nicht<br />

selbstverständlich und geläufig ist. Auch wenn die Definition im Grundsatz begrüsst wird – und dies<br />

auch von den MigrantInnen – kann kein bereits gefestigter Perspektivenwechsel festgestellt werden,<br />

wenn die Befragten über ihre Arbeit, ihre Erfahrungen mit und Erwartungen an Partizipation sprechen.<br />

Vielmehr scheint sich letztlich – trotz guten Ansätzen und bewussten Bemühungen – das Verständnis<br />

von Partizipation als (passive) Teilnahme an einem bereits bestehenden Prozess oder an bereits fertig<br />

entwickelten Projekten oder Angeboten, immer wieder hartnäckig aufrechtzuerhalten.<br />

2 – RESSOURCEN:<br />

Konsens: Fokusgruppe CH, Fokusgruppe IT, Gemeinden<br />

Eine Migrationsbiografie und die damit verbundene Lebenserfahrung, starke soziale Netzwerke,<br />

familiäre Solidarität, Freiwilligenengagement in italienischen Organisationen (Vereinen) werden von<br />

allen - wenn auch unterschiedlich gewichtet - als Partizipationsressourcen bezeichnet.<br />

Alle drei befragten Gruppen sind sich einig, dass das Freiwilligenengagement älterer MigrantInnen<br />

eine wichtige Ressource darstelle. Dieses finde bisher vor allem in den eigenen sozialen Netzen der<br />

MigrantInnenorganisationen statt. Eine Vernetzung mit schweizerischen Organisationen und deren<br />

Freiwilligen scheine hingegen schwieriger zu sein.<br />

Die gute Selbstorganisation älterer MigrantInnen in Vereinen und in der eigenen Familie wird zwar von<br />

beiden Fokusgruppen sowie den Gemeinden als Ressource für die Lebensgestaltung im Alter<br />

gewertet. Zugleich wird sie aber auch als ein Grund für die fehlende oder mangelnde Partizipation an<br />

der Mehrheitsgesellschaft interpretiert.<br />

Dissens: Fokusgruppe IT, MigrantInnen<br />

Im Gegensatz zu den VertreterInnen von Schweizer Institutionen wird seitens der MigrantInnen und<br />

ihrer Organisationen den Ressourcen (im Sinne von finanziellen Mitteln) ein grösseres Gewicht<br />

beigemessen. Es herrscht die Auffassung, dass „die Schweizer Seite“ sich zu wenig bewusst sei, dass<br />

139


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Partizipationsprozesse und -massnahmen auch bei geringen Kosten für MigrantInnen eine finanzielle<br />

Hürde bedeute und dass es hier von Schweizer Seite mehr brauche als nur das zur Verfügung Stellen<br />

von Infrastruktur. Diese beiden Gruppen weisen zudem daraufhin, dass es für eine gelingende<br />

Umsetzung auch personelle Ressourcen benötige, was gerade in kleinen Gemeinden oft nicht<br />

gegeben sei. Dies könne jedoch für den Erfolg oder Misserfolg von Partizipationsprozessen<br />

entscheidend sein. (Diese Meinung teilen auch die telefonisch nachbefragten<br />

GemeindevertreterInnen.)<br />

Die eigenen Aussagen zu ihren Ressourcen beschränken sich bei den älteren MigrantInnen auf<br />

„typisch“ italienische Charaktereigenschaften und Aspekte der italienischen Mentalität (vergleiche<br />

Kapitel 5.3.2.1). Nach Ressourcen im Sinne von Fähigkeiten und Kompetenzen in Bezug auf ihre<br />

Selbstorganisation befragt, zeigt sich, dass sie darüber nicht bewusst reflektiert haben. Somit handelt<br />

es sich eher um ein unbewusstes Potenzial an Ressourcen.<br />

Interpretation: Während die Fokusgruppen und VertreterInnen der Gemeinden soziale Merkmale, die<br />

sie bei der Gruppe der älteren MigrantInnen aus Italien wahrnehmen, als Ressourcen für die Lebens-<br />

gestaltung im Alter interpretieren, fassen die älteren MigrantInnen selber diese in eine essentialisti-<br />

sche Begrifflichkeit von „Nationalkultur“ und nehmen in diesem Sinne eine kollektive und Identität<br />

stiftende Selbstethnisierung vor, in Abgrenzung zu ihrem gesellschaftlichen Umfeld der<br />

Mehrheitsgesellschaft. Diese Selbstethnisierung steht in enger Wechselwirkung zur<br />

Fremdethnisierung durch die VertreterInnen der Schweizer Institutionen/Organisationen, welche zwar<br />

von Ressourcen sprechen, diese aber ebenfalls immer wieder einer mit eigenen Bildern besetzten<br />

„italienischen Mentalität“ oder „Kultur“ zuschreiben (vgl. dazu die Ausführungen zu<br />

Ethnisierungsprozessen in Kapitel 2.2.3).<br />

Ob die gute Selbstorganisation und die familiäre Solidarität die Partizipation am gesellschaftlichen<br />

Umfeld fördere oder nicht, wird ambivalent eingeschätzt, d.h. als Ressource und Schranke zugleich<br />

(vgl. Kapitel 5.2.3 u. 5.2.4).<br />

3 – RAHMENBEDINGUNGEN/STRUKTUREN:<br />

Konsens: MigrantInnen, Fokusgruppe CH, Fokusgruppe IT<br />

Konsens besteht bezüglich der Frage von Partizipation in Form der Ausübung politischer Rechte. Alle<br />

drei Gruppen erachten es als störend und ungerechtfertigt, dass ältere MigrantInnen - mit wenigen<br />

kantonalen und kommunalen Ausnahmen vor allem in der Romandie - immer noch nicht über direkte<br />

demokratische Mitbestimmungsmittel (Stimm- und Wahlrecht) verfügen, es sei denn, sie seien<br />

eingebürgert. Dies, obwohl sie ihr Leben in der Schweiz verbracht, Steuern bezahlt haben und voll im<br />

Arbeitsmarkt integriert waren. Der Weg zur gesellschaftlichen Partizipation müsste demnach<br />

zumindest auf kommunaler Ebene grundsätzlich über politische Rechte führen. Bei den älteren<br />

MigrantInnen habe der lebenslange Ausschluss von diesen Rechten - gemäss ihrer eigenen<br />

Aussagen sowie derjenigen ihrer Organisationen – einen Rückzug von der Mehrheitsgesellschaft und<br />

140


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

eine Fokussierung auf die eigenen Strukturen und Netzwerke bewirkt. Die Motivation zur Partizipation<br />

ausserhalb derselben habe sich entsprechend verringert.<br />

Konsens: Fokusgruppe IT, Fokusgruppe CH, Gemeinden<br />

Einig sind sich die beiden Fokusgruppen und die Gemeinden auch darüber, dass es als<br />

Rahmenbedingungen für eine zu gelingende Partizipation entsprechende politische Vorgaben, eine<br />

Strategie und ein Leitbild sowie personelle und fachliche Ressourcen benötige. Dabei wird darauf<br />

hingewiesen, dass solche Rahmenbedingungen gerade für kleinere Gemeinden öfters fehlen.<br />

Ebenfalls einig sind sich die drei Gruppen über die Voraussetzungen für eine gleichwertige<br />

Partizipation. Dazu gehöre, dass ältere MigrantInnen gleich von Beginn an bei der Gründung von<br />

Partizipationsstrukturen und -formen gleichberechtigt mitbeteiligt seien. In einer idealen Struktur<br />

müssten MigrantInnen analog zu SchweizerInnen gleichwertig in Entscheidungspositionen vertreten<br />

sein, was beispielsweise bei Projekten eine Co-Leitung bedeuten könne.<br />

Beide Fokusgruppen teilen die Einschätzung darüber, dass für die Zielgruppe ältere MigrantInnen die<br />

Strukturen zur Partizipation sehr niederschwellig angelegt sein sollten. Zudem weisen beide darauf<br />

hin, wie wichtig der Einbezug von Schlüsselpersonen aus den Migrationsgemeinschaften für<br />

gelingende Partizipationsprozesse sei.<br />

Dissens: MigrantInnen<br />

Die interviewten älteren MigrantInnen sprechen, ähnlich wie die VertreterInnen der<br />

Migrantenorganisationen, die für sie häufig nicht erschwinglichen Kosten von Partizipation an (in Form<br />

von Tagungsgebühren oder mit anderen Partizipationsangeboten verknüpfte Kosten). Partizipation<br />

müsse auch für Menschen mit bescheidenen ökonomischen Mitteln erschwinglich sein, wenn sie nicht<br />

zur Hürde werden soll. Die Idee der Partizipation im Sinne der aktiven Bürgerschaft stösst bei den<br />

MigrantInnen auf gemischte Gefühle: Wäre das lokale Stimmrecht für MigrantInnen in der Schweiz als<br />

Voraussetzung und Rahmenbedingung gegeben, würden sich die Bestrebungen für eine aktive<br />

Bürgerschaft als Konstrukt erübrigen.<br />

Interpretation: Die Aussagen der MigrantInnen und ihrer Organisationen zeigen deutlich, wie wichtig<br />

ihnen politische Rechte sind, wie entschieden sie gesellschaftliche Partizipation an diese Rechte<br />

binden und wie enttäuscht und verletzt sie über ihre Nichtanerkennung als gleichberechtigte<br />

BürgerInnen des Landes sind, zu dessen Wohlstand sie mir ihrer Arbeit beigetragen haben. Dies wirft<br />

ein neues Licht auf das ihnen im politischen Diskurs häufig vorgeworfene, angebliche Desinteresse an<br />

der Partizipation in der Mehrheitsgesellschaft, die sich ihrerseits die Frage stellen müsste, ob<br />

überhaupt noch und wie die Motivation zur gesellschaftlichen Partizipation bei Menschen im Alter<br />

geweckt werden könnte, wenn man sie vorher während Jahrzehnten davon ausgeschlossen hat. Noch<br />

pointierter könnte man aufgrund dieser Erkenntnisse fragen, ob die Idee der Partizipation der älteren<br />

Migrationsbevölkerung nicht der falsche Weg für das Anliegen ist, und ob man nicht den Diskurs<br />

anders führen müsste. Zum Beispiel, indem man einerseits die Bedürfnisse der heutigen älteren<br />

MigrantInnen besser erfasst und ihnen gerecht zu werden versucht, und dass man ihnen – die ihr<br />

141


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Leben hier verbracht und hier alt geworden sind – anderseits bei der Pensionierung das lokale Stimm-<br />

und Wahlrecht oder sogar das Schweizer Bürgerrecht gibt.<br />

Es fällt im Weiteren auf, wie die unterschiedliche Lebensrealität älterer MigrantInnen (häufig an der<br />

Grenze zur Armutsbetroffenheit) nicht im Blick der Schweizer Institutionen/Organisationen ist, die<br />

diese Zielgruppe für Partizipation zu gewinnen suchen. So scheint diesen z. B. nicht oder nur wenig<br />

bewusst zu sein, dass sich viele ältere MigrantInnen Partizipation, sobald sie mit Kosten verbunden<br />

ist, nicht leisten können.<br />

4 – MITTEL/INSTRUMENTE (im Sinne erfolgreicher Faktoren einer good practice):<br />

Konsens: MigrantInnen, Fokusgruppe IT, Fokusgruppe CH und Gemeinden (aus der<br />

telefonischen Nachfassung)<br />

Alle sind überzeugt, dass am Anfang einer gelingenden Partizipation eine niederschwellige und<br />

adressatengerecht aufbereitete Information und Kommunikation stehen müsse (d.h. muttersprachlich<br />

übersetzte und in den eigenen sozialen Milieus/Netzwerken der MigrantInnen durch<br />

MultiplikatorInnen/Schlüsselpersonen aus der Migrationscommunity mündlich übermittelt). Nur auf<br />

diesem Weg sei die Zielgruppe überhaupt zu erreichen, was der erste Schritt zur Partizipation<br />

bedeute. In einem zweiten Schritt müssten ältere MigantInnen über konkrete<br />

Partizipationsmöglichkeiten in ihrer Wohngemeinde informiert werden.<br />

Ebenfalls von allen wird die Meinung geteilt, dass der anfängliche Einbezug der zweiten Generation<br />

ein gutes Mittel/Instrument sei, um die ältere Generation zu erreichen und allenfalls für Partizipation zu<br />

gewinnen.<br />

Beide Fokusgruppen sind sich zudem einig, wie wichtig es sei, lokal, regional und auch überregional<br />

erprobte good practice Ansätze zu identifizieren und multiplizieren. Good practice bedeute<br />

Partizipation auf der Grundlage von ressourcenorientierten Ansätzen anzustreben. Voraussetzung<br />

dafür sei der Wille seitens der Institutionen und Organisationen im Altersbereich, ältere MigrantInnen<br />

und ihre Organisationen kennen zu lernen, sich für deren Lebenserfahrungen zu interessieren und<br />

regelmässigen Kontakt zu pflegen. Grosse Übereinstimmung findet sich in den konkreten<br />

Mitteln/Instrumenten zur Partizipationsförderung wie dem niederschwelligen Zurverfügungstellen von<br />

Infrastruktur, der finanziellen und administrativen Unterstützung von Aktivitäten und Projekten älterer<br />

MigrantInnen sowie der Anerkennung derselben, welche sich wiederum motivationsfördernd auf ihre<br />

weitere Partizipation auswirke.<br />

Als ein weiteres geeignetes Mittel der Partizipationsförderung sehen die beiden Fokusgruppen (ohne<br />

ältere MigrantInnen und Gemeinden) die Schulung älterer MigrantInnen als MultplikatorInnen, die in<br />

ihren eigenen Netzwerken Informationen über Möglichkeiten der Partizipation in den Gemeinden<br />

kommunizieren sollten.<br />

Dissens: MigrantInnen, Gemeinden, Fokusgruppe CH, Fokusgruppe IT<br />

Bezüglich des Einsatzes adressatengerechter Informationsinstrumente als ersten Schritt zur<br />

142


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Ermöglichung von Partizipation herrscht eine unterschiedliche Einschätzung. Während die Gemeinden<br />

mehrheitlich bestätigen, bemüht zu sein, übersetzte und muttersprachlich über MultiplikatorInnen aus<br />

den Migrationscommunities vermittelte Kommunikation bzw. Einladung zur Partizipation zu leisten,<br />

berichten ältere MigrantInnen Gegenteiliges. So würden sie immer wieder schriftliche Informationen in<br />

deutscher Sprache erhalten, die sie nicht verstehen, und sich in der Folge auch nicht beteiligen. Oder<br />

aber sie berichten von zum Teil schlechten Erfahrungen, wenn sie z.B. selbst aktiv geworden und bei<br />

der Gemeinde für ein Anliegen vorgesprochen hätten. Oder, dass trotz guter Absicht bei der<br />

Organisation von gemeinsamen Veranstaltungen MigrantInnen und SchweizerInnen getrennt<br />

geblieben seien. Im Gegensatz zu den anderen Gruppen sehen die älteren MigrantInnen den<br />

Einbezug der zweiten Generation entweder als unnötig oder als etwas problematisch an. Die junge<br />

Generation sei voll integriert und interessiere sich nicht spezifisch für Partizipation, da viele ja über<br />

das Schweizer Bürgerrecht und damit über das politisches Partizipationsrecht verfügten. Im Übrigen<br />

seien sie einfach hilfsbereit bei Fragen der Elterngeneration, ohne sich darüber hinaus aber selber für<br />

diese erste Generation oder in deren Organisationsstrukturen zu engagieren.<br />

Die VertreterInnen der italienischen Migrationsorganisationen verweisen auch auf ihre Erfahrungen,<br />

dass sie teilweise zu Partizipationsprozessen eingeladen würden, dies aber zu einem Zeitpunkt, wo es<br />

nicht mehr um eine gemeinsame Mitbestimmung und Mitgestaltung gehe, sondern lediglich noch um<br />

die Teilnahme an einem ausgearbeiteten Projekt oder einer organisierten Veranstaltung.<br />

Interpretation: In der Tendenz weisen sich die VertreterInnen der Gemeinden bzw. ihre<br />

Altersinstitutionen/-organisationen und die älteren MigrantInnen bzw. ihre Organisationen die<br />

Verantwortung für die nicht gelingende Zielgruppenerreichung und Partizipation gegenseitig zu.<br />

Möglicherweise haben ältere MigrantInnen teilweise eine Abwehrhaltung entwickelt oder sind frustriert<br />

als Folge einer wiederkehrenden Erfahrung und somit eines mittlerweile tief sitzenden Lebensgefühls<br />

von „in dieser Gesellschaft trotz allem nicht dazu zu gehören“. In Kapitel 5.2.3 wurde zudem bereits<br />

darauf hingewiesen, dass es auch ein Recht gebe, nicht erreichbar zu sein und nicht zu partizipieren.<br />

Ältere MigrantInnen, die seit ihrer frühen Jugend ein mit Erwerbs- und Familienarbeit angefülltes<br />

Leben hatten, das nicht viel Freiraum für andere Aktivitäten liess, wollen allenfalls die mit der<br />

Pensionierung entstehende neue individuelle Freiheit vermehrt für sich selbst nutzen, und nicht einer<br />

erneuten gesellschaftlichen Verantwortung verpflichtet sein. Der heute aktuelle Diskurs über die<br />

Mittel/Instrumente zur Gewinnung der Partizipationsbereitschaft von schwer erreichbaren Zielgruppen<br />

- im Sinne einer Kooperation mit den Institutionen des Sozial- und Gesundheitswesens - und in<br />

diesem Fall der Altersarbeit und –politik, läuft immer wieder Gefahr, das Prinzip der Freiwilligkeit aus<br />

den Augen zu verlieren. Dieses ist jedoch die Voraussetzung, um die Chancen auf eine nachhaltigere<br />

Partizipation zu erhöhen.<br />

Es bestehen ausserdem erst im Ansatz Vorstellungen und Ideen über Mittel und Instrumente für<br />

Massnahmen zu Partizipationsmodellen oder –prozessen. Die Hinweise auf Schlüsselpersonen,<br />

MultipliaktorInnen und Erreichbarkeit stellen ja nur einzelne Bausteine dar, für die es zuerst eine<br />

übergeordnete Struktur im Sinne von Zielsetzungen, Modellen und konkreten Massnahmen zu<br />

erarbeiten gilt.<br />

143


5 – SCHRANKEN / HÜRDEN:<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Konsens: MigrantInnen, Fokusgruppe IT, Fokusgruppe CH, Gemeinden<br />

In deutlicher Übereinstimmung werden sprachliche Verständigungsschwierigkeiten zwischen den<br />

älteren MigrantInnen und den Fachpersonen des Altersbereichs als Partizipationshürde bezeichnet.<br />

Die VertreterInnen der Fokusgruppe IT unterscheiden hier aber deutlich zwischen der rein<br />

fremdsprachlichen Hürde (Deutsch/Italienisch) zum einen und den Schwierigkeiten in Bezug auf das<br />

Verstehen einer Fachsprache und des dadurch erschwerten Zugangs zu den wenig bekannten<br />

Strukturen zum andern. Die Einschätzung, dass es sich bei älteren MigrantInnen um eine schwer<br />

erreichbare Zielgruppe handle, wird von beiden Fokusgruppen und den Gemeinden geteilt. Ebenfalls<br />

Konsens besteht in der Annahme, dass sich der Ausschluss der Migrationsbevölkerung von der<br />

politischen Mitbestimmung auf die Motivation der älteren Menschen für anderweitige gesellschaftliche<br />

Mitgestaltung negativ auswirke. Die VertreterInnen beider Fokusgruppen weisen auf einen<br />

niederschwelligen Zugang zu Partizipationsprozessen hin. Von den VertreterInnen der italienischen<br />

Migrantenorganisationen sowie den interviewten MigrantInnen werden im Gegensatz zu den<br />

VertreterInnen der schweizerischen Fokusgruppe neben der sprachlichen und finanziellen Schwelle<br />

keine weiteren konkreten Ausführungen dazu gemacht.<br />

Dissens: MigrantInnen<br />

Ältere MigrantInnen verfügen zum Thema „ihrer Erreichbarkeit“ über eine andere Perspektive. So<br />

sehen sie sich selber sehr wohl als erreichbar für Belange, die sie interessieren, weil sie für ihre<br />

alltägliche Lebenswelt von unmittelbarer Bedeutung sind (Gesundheit, Wohnen, Versorgung im Alter,<br />

Beziehung zur zweiten Generation etc.). Erreichbar sind sie ebenfalls für ihre familiären und eigenen<br />

sozialen Netzwerken, in denen sie Freiwilligenarbeit leisten, sei es in Form von Enkelbetreuung oder<br />

sozialer Aktivitäten in den eigenen Vereinen. Nicht zu unterschätzen ist dabei aber wohl der Anteil der<br />

älteren Migrationsbevölkerung, der – auch von den eigenen Migrationsorganisationen – für<br />

gemeinsame Teilnahme oder Teilhabe gar nicht erreicht werden will.<br />

Interpretation: Die Verantwortung für die sprachliche Verständigungsproblematik wird nicht nur den<br />

älteren MigrantInnen zugewiesen. Vielmehr ist ein gewisses Verständnis vorhanden, dass sie<br />

aufgrund ihrer Biografie als ArbeitsmigrantInnen im Alter oft über geringe oder mangelhafte<br />

Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen. Als wirksamer Hürdenabbau wird von den Institutionen<br />

und Organisationen im Altersbereich der Einsatz von mehrsprachigem Fachpersonal als institutionelle<br />

Ressource gesehen.<br />

Die VertreterInnen der Institutionen und Organisationen des Altersbereichs können die<br />

Enttäuschung/Verletztheit älterer MigrantInnen über ihren lebenslänglichen Ausschluss von den<br />

demokratischen Rechten verstehen und erklären sich daher auch deren Rückzug in Aktivitäten<br />

innerhalb der eigenen Community bzw. die eher distanzierte Haltung gegenüber<br />

Partizipationsangeboten der Mehrheitsgesellschaft vor diesem Hintergrund. Allerdings ist zu<br />

befürchten, dass die Höhe dieser Hürde, die unter den Begriffen ‚Desillusionierung„, ‚Unmut und<br />

Unverständnis über die Schweizer Haltung„ erklärt wurde, unterschätzt wird. Es wird nicht genügen,<br />

144


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

jetzt mit gutem Willen auf die ältere Migrationsbevölkerung zuzugehen und zu sagen „jetzt lassen wir<br />

Euch partizipieren“. Dazu wird ein entsprechendes Engagement für Überzeugungsarbeit gehören und<br />

der Beweis, dass die Partizipationseinladung ernst gemeint ist und nach den inhärenten Prinzipien<br />

(mitreden – mitentscheiden – mitgestalten) umgesetzt wird.<br />

Von den VertreterInnen der Fokusgruppe IT wurde auf eine mögliche Hürde hingewiesen, die sonst<br />

keine der anderen befragten Gruppen geäussert hat. Und zwar sei einerseits ein deutlicher politischer<br />

Wille auf Gemeindeebene notwendig, soll diese Form der Partizipation möglich und erfolgreich sein.<br />

Andererseits dürfe nicht unterschätzt werden, welche parteipolitische Ausrichtung eine Gemeinde<br />

vertrete, resp. wie das Kräfteverhältnis der Parteien in einer Gemeinde verteilt sei. Damit ist implizit<br />

gemeint, dass sich z.B. ein politisch rechts orientiertes Kräfteverhältnis ungünstig auf<br />

Partizipationsbestrebungen von MigrantInnen in einer Gemeinde auswirken würde.<br />

6 – ERWARTUNGEN / FORDERUNGEN / WÜNSCHE:<br />

Konsens: Fokusgruppe CH, Fokusgruppe IT, MigrantInnen<br />

Sowohl die älteren MigrantInnen als auch beide Fokusgruppen teilen die Erwartung, dass die<br />

Schweizer Institutionen die Initiative zum Abbau von Partizipationshürden ergreifen sollen, wenn es<br />

ihnen mit der Partizipation von MigrantInnen in der Gemeinde ernst sei. In diesem Sinne hätten sie<br />

eine Bring-Schuld bezüglich aufsuchender und niederschwelliger Ansätze zur Partizipationsgewinnung<br />

der Zielgruppe, mehr noch: die Schweizer Institutionen müssten die gewünschten<br />

Partizipationsprozesse mit konkreten Massnahmen anstossen.<br />

Konsens: Fokusgruppe CH, Gemeinden<br />

Sowohl die Fokusgruppe CH als auch die schriftlich befragten GemeindevertreterInnen sind sich<br />

bewusst, dass sich ältere MigrantInnen Anerkennung und Wertschätzung wünschen für ihre<br />

Leistungen für die Schweiz.<br />

Dissens: Fokusgruppe CH, MigrantInnen<br />

Zwar nicht als eigentlicher Dissens, aber als unterschiedliche Erwartungshaltung zeigt sich Folgendes:<br />

Die Fokusgruppe CH erwartet oder wünscht zumindest, dass ältere MigrantInnen an ihren Angeboten<br />

zur Partizipation teilnehmen. Zudem wünscht sie sich eine offenere Haltung der Schlüsselpersonen<br />

aus den Migrationscommunities, um auch Neues und Unkonventionelles auszuprobieren. Im Weiteren<br />

erwartet sie Verständnis dafür, dass nicht immer alle Forderungen oder Wünsche seitens der<br />

Migrationsorganisationen oder der MigrantInnen realpolitisch und rasch umgesetzt werden können.<br />

Und nicht zuletzt erwartet sie – trotz Verständnis bezüglich der Sprachhürde – dass ältere<br />

MigrantInnen Interesse für die deutsche Sprache und die Verbesserung ihrer Verständigungskompe-<br />

tenzen zeigen.<br />

Neben einer sonst auffallend bescheidenen Forderungshaltung, erwarten die älteren MigrantInnen<br />

wiederum von VertreterInnen der Schweizer Institutionen Lernbereitschaft und eine Haltungsände-<br />

rung. Sie wünschen sich mehr Offenheit für und weniger Angst vor Diversität sowie auf der<br />

Beziehungsebene mehr Kontakt und weniger Distanz.<br />

145


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Interpretation: Die Tatsache, dass die erste Einwanderungsgeneration der ItalienerInnen nach dem<br />

zweiten Weltkrieg von der Schweiz nur als Arbeitskräfte und nicht als gesellschaftliche MitbürgerInnen<br />

willkommen war, löst heute bei den VertreterInnen der Institutionen und Organisationen im<br />

Altersbereich eine gewisse Betroffenheit aus und beschäftigt sie zunehmend. So ist ein gewisses<br />

moralisches Bedürfnis nach „Wiedergutmachung“ festzustellen und in diesem Zusammenhang die<br />

Bereitschaft, Initiative zu ergreifen, um älteren MigrantInnen wenigsten im Alter gesellschaftliche<br />

Partizipation zu ermöglichen, in Haltung und Ausrichtung ihrer Tätigkeiten spürbar. Als Folge davon<br />

fällt es ihnen auf der andern Seite aber auch nicht leicht zu akzeptieren, wenn ältere MigrantInnen<br />

dieses verspätete und manchmal auch „fremdbestimmte Partizipationsangebot“ nicht annehmen. Ein<br />

gewisses Frustrationspotenzial könnte sich auch darin bemerkbar machen, dass die Schweizer<br />

VertreterInnen mit gutem Willen und konkreten Ideen auf die ältere Migrationsbevölkerung zugehen,<br />

dass diese aber weder darauf gewartet hat, noch damit gerechnet werden kann, dass solche<br />

Bestrebungen nun vorbehaltlos unterstützt werden.<br />

Bezüglich Forderungen und Erwartungen bei den VertreterInnen der italienischen<br />

Migrationsorganisationen fällt auf, dass ihr Fokus bei diesem Thema stark auf den Bedürfnissen der<br />

eigenen älteren Migrationsgemeinschaft liegt und der Wechsel zum Fokus für Forderungen und<br />

Erwartungen im Partizipationsdiskurs noch ungewohnt ist.<br />

7 – (HANDLUNGS) BEDARF:<br />

Konsens: Fokusgruppe IT, Fokusgruppe CH und Gemeinden<br />

Diese Gruppen sind sich bezüglich des Informations- und Kommunikationsbedarfs älterer<br />

MigrantInnen zu folgenden Fragen einig: Situation und Rechte nach der Pensionierung (auch<br />

aufenthaltsrechtliche Fragen), Altersversicherung (AHV, Pensionskasse, EL), Gesundheits- bzw.<br />

Altersversorgung, im Speziellen stationäre und ambulante Dienstleistungen im Falle von<br />

Pflegebedürftigkeit. Das bedeutet auf der anderen Seite konkreten Handlungsbedarf der ambulanten<br />

und stationären Dienstleister sowie der Gemeindebehörden, die überlegen müssen, wie sie diese<br />

Informationen an die Zielgruppe bringen und sie dadurch auch partizipationsfähig machen (z.B. durch<br />

den aktiven Einbezug bei der Entwicklung neuer Modelle der Altersbetreuung und –pflege, durch den<br />

aktiven Einbezug bei der Organisation von Anlässen zu Pensionierungsfragen in den Gemeinden<br />

etc.).<br />

Dissens: MigrantInnen/ Gemeinden, Fokusgruppe CH<br />

Die älteren MigrantInnen orten keinen spezifischen Handlungsbedarf, weil für sie das Thema der<br />

Partizipation im Sinne aktiver Bürgerschaft neu und daher in seiner genauen Bedeutung schwer<br />

verständlich ist. Handlungsbedarf machen sie hingegen deutlich geltend beim Erhalt politischer<br />

Rechte auf Lokalebene für eine direkte demokratische Partizipation. Zum Thema Altersversorgung<br />

und Gesundheit im Alter sehen sie implizit Informationsbedarf.<br />

Die Gemeinden (Ergebnis aus der telefonischen Nachfassung) sowie die Fokusgruppe CH teilen<br />

aufgrund ihrer gemeinsamen Perspektive die Ansicht, dass die Kenntnisse über die demografischen<br />

146


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Verhältnisse bezüglich älterer MigrantInnen in den Gemeinden verbessert werden müssten, damit<br />

Partizipationsbedürfnisse im lokalen Kontext zielgruppenspezifisch erhoben werden könnten.<br />

Idealerweise möchten sie auf einen Adresspool von MigrantInnen als Schlüsselpersonen /<br />

MultiplikatorInnen und interkulturelle VermittlerInnen zurückgreifen können.<br />

Im Weiteren machen die Fokusgruppe CH sowie die Gemeinden (aus der telefonischen Nachfassung)<br />

einen Eigenbedarf an Weiterbildung zu Fragen älterer MigrantInnen geltend, da sie sich häufig in<br />

ihrem eigenen Handeln gegenüber dieser Zielgruppe unsicher fühlten.<br />

Interpretation: Der Wunsch nach einem Pool von MultiplikatorInnen / Schlüsselpersonen oder<br />

interkulturellen VermittlerInnen aus den Migrationscommunities bestätigt die Kritik aus der<br />

Forschungsliteratur (vgl. Kapitel 2) an der Praxis der Schweizer Behörden und Institutionen, auf<br />

MigrantInnen weniger als gleichberechtigte PartnerInnen direkt zuzugehen, sondern diese vielmehr<br />

über den Einbezug dieser Mittelspersonen für die eigenen Zwecke der Informationsvermittlung oder<br />

der Umsetzung eigener Ziele zu brauchen. Auf der andern Seite sind sich Behörden und Institutionen<br />

zunehmend ihrer Abhängigkeit von genau diesen Vermittlungspersonen bewusst, was sich hinderlich<br />

auswirken kann, wenn sie ihrem Auftrag, die Migrationsbevölkerung im Sinne von Partizipation zu<br />

integrieren, nachkommen wollen.<br />

Die Tatsache, dass die älteren MigrantInnen selbst keinen Handlungsbedarf sehen, ist dem Umstand<br />

geschuldet, dass sie durch ihre <strong>Integration</strong>serfahrungen gelernt haben, sich auf sich selbst zu<br />

verlassen und ihre Bedürfnisse und den Bedarf nach Informationen und Dienstleistungen mit und<br />

durch ihre eigenen Netzwerke zu decken. Wo kein Handlungsbedarf gesehen wird, muss von der<br />

„fordernden“ Partei zuerst ein Verständnis und eine Einsicht für einen möglichen Bedarf geschaffen<br />

werden, bevor ein Beitrag im Sinne von Partizipationsinteresse überhaupt erwartet werden kann.<br />

8 – BEREICHE DER PARTIZIPATION:<br />

Konsens: Gemeinden, MigrantInnen<br />

Der Gesundheitsbereich (Gesundheitsthemen, Gesundheitsförderung, Prävention) wird sowohl von<br />

GemeindevertreterInnen als auch von den älteren MigrantInnen als wichtiges Partizipationsfeld<br />

bezeichnet. Hier ist deutlich ein gemeinsames thematisches Interesse festzustellen.<br />

Dissens:<br />

Es kann hier nicht von einem eigentlichen Dissens gesprochen werden, sondern eher von unter-<br />

schiedlichen Gewichtungen. So priorisieren MigrantInnen wiederum die politische Mitbestimmung<br />

(Stimm- und Wahlrecht), gefolgt vom Mitwirken bei der Angebotsgestaltung auf Gemeindeebene, bei<br />

der Beratung/Begleitung in Altersfragen sowie bei der Quartiergestaltung, während die VertreterInnen<br />

der Gemeinden zwar einerseits sagen, Partizipation der Zielgruppe sei in sämtlichen Bereichen des<br />

Gemeindelebens erwünscht, um dann jedoch vor allem die Freiwilligenarbeit, die Bildung, Kultur sowie<br />

die thematische politische Mitwirkung in den Bereichen Altersfragen, Quartiergestaltung, Wohnen und<br />

Verkehr zu gewichten. Zudem geben die befragten Altersbeauftragten und <strong>Integration</strong>sdelegierten an,<br />

147


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

dass ihre Gemeinden in diesen Bereichen die Partizipation älterer MigrantInnen bereits am ehesten<br />

ermöglichen.<br />

Interpretation: Unabhängig vom aktuellen öffentlichen Diskurs über die Wichtigkeit von<br />

Gesundheitsförderung zwecks Optimierung der eigenen Gesundheitskompetenz im Alter, beschäftigt<br />

sich auch die Zielgruppe der älteren MigrantInnen mit dieser Thematik. Nicht zuletzt, weil das Alter<br />

eben auch Einschränkungen und Gesundheitsrisiken mit sich bringt. Dies zeigt sich im prioritären<br />

Konsens zwischen Gemeinden und MigrantInnen zu „Gesundheit“ als wichtigem Partizipationsfeld.<br />

Bezüglich der anderen Partizipationsfelder – mit Ausnahme der Freiwilligenarbeit, über die auch<br />

weitgehend Konsens herrscht – scheint in zweifacher Hinsicht ein Graben zu bestehen: Zum einen<br />

zwischen der geltend gemachten Wünschbarkeit und der realen Umsetzung von Partizipation. Die<br />

Kluft bei der Einschätzung von Wünschbarkeit und Umsetzung eröffnet einen breiten Interpre-<br />

tationsspielraum: Partizipation ist vor allem ein Diskursthema, bedeutet aber nicht zugleich Umsetzung<br />

in die Praxis, der „gute Wille“ ist gegeben, aber die finanziellen und personellen Ressourcen sowie<br />

das fachlich-methodische Know-How fehlen, die Hürden/Schranken zur Umsetzung der gewünschten<br />

Partizipation sind hoch, etc.. Zum andern besteht ein Dissens zwischen den Wahrnehmungen der<br />

älteren MigrantInnen und der schriftlich befragten GemeindevertreterInnen. Während sich die ältere<br />

Migrationsbevölkerung beispielsweise im politischen Partizipationsfeld deutlich ausgeschlossen fühlt,<br />

gibt zwar nicht die Mehrheit, aber immerhin kein unwesentlicher Teil der Altersbeauftragten und<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten an (vgl. Kapitel 5.2.1), ihre Gemeinden würden älteren MigrantInnen u.a.<br />

gerade auch in diesem Feld Partizipation ermöglichen. Zugrunde liegt dieser diskrepanten<br />

Wahrnehmung vermutlich eine unterschiedliche Definition von „Ermöglichung der Partizipation“.<br />

Während ältere MigrantInnen darunter die aktive Initiative sowie gezielte Bemühungen seitens der<br />

Schweizer Institutionen und Organisationen verstehen, scheinen die letzteren – dies geht auch aus<br />

der telefonischen Nachbefragung hervor – „Ermöglichung“ gleichzusetzen mit „keinem aktiven<br />

Ausschluss“. Das heisst, sie gehen davon aus, dass älteren MigrantInnen im Prinzip der Zugang zu<br />

den Regelstrukturen offen stehe und sie selber aktiv davon Gebrauch machen könnten, wenn sie<br />

wollten.<br />

Bei den VertreterInnen der Fokusgruppe IT kristallisiert sich keine klare Haltung bezüglich<br />

Partizipationsbereichen heraus, dafür umso deutlicher die Bereitschaft, sich grundsätzlich als aktive<br />

BürgerInnen zu engagieren. Die Idee des Konzepts der aktiven Bürgerschaft scheint bei den<br />

VertreterInnen der MigrantInnenorgansiationen konkrete Erwartungen zu wecken.<br />

Zusammenfassende generelle Interpretation von Konsens und Dissens<br />

� Zwischen den VertreterInnen aus der Fokusgruppe der italienischen MigrantInnenorganisationen<br />

und den interviewten älteren MigrantInnen zeigen sich Unterschiede nach Bildung und<br />

Berufsstand, die sich auf ihre Meinungsbildung bzw. ihre konkreten Aussagen auswirken dürften.<br />

(Bsp. Abstraktionsvermögen im Verständnis und in der Verwendung von Begriffen;<br />

Gesprächskompetenz in Interviewsituationen; Fähigkeit, eigene Wahrnehmung in grössere<br />

Zusammenhänge zu stellen und zu interpretieren; Erfahrung, sich im Rahmen einer Zielsetzung für<br />

eine Gruppe einzubringen etc.)<br />

148


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

� Zwischen den Teilnehmenden beider Fokusgruppen zeigt sich zwar in mancher Hinsicht ein<br />

sachbezogener Konsens. Bei beiden sind jedoch Prozesse der Selbst- und Fremdethnisierung zu<br />

beobachten, sobald sie die Haltungs- und Beziehungsebene transkultureller Partizipation<br />

ansprechen. In diesem Rahmen weisen sich beide Gruppen selbst und gegenseitig sogenannte<br />

kulturelle Gruppenmerkmale zu, die sie als Erklärung für die Schwierigkeiten einer transkulturellen<br />

Partizipation herbeiziehen. Dabei besteht das Risiko, dass die von den VertreterInnen der<br />

Institutionen und Organisationen aus dem Altersbereich durchaus selbstkritisch thematisierten<br />

strukturellen Partizipationshürden als ursächliche Faktoren für mangende Chancengleichheit von<br />

älteren MigrantInnen wieder aus dem Blick geraten.<br />

� Auffallend ist, dass die VertreterInnen von MigrantInnenorganisationen eher auf einer operativen<br />

Ebene konkrete Mittel und Instrumente zur Partizipationsförderung vorschlagen – im Sinne von<br />

Erwartungen an „die Schweiz“ – so etwa finanzielle Mittel zur Förderung der Vereinsaktivitäten<br />

älterer MigrantInnen, zur Verfügungstellen von Infrastruktur, auch eines eigenen Treffpunkts,<br />

finanzielle und ideelle Unterstützung von Initiativen älterer MigrantInnen, die Organisation<br />

unentgeltlicher oder günstiger altersgerechter und alltagsbezogener Deutschkurse etc.. Dieser<br />

Fokus auf der operativen Ebene ist nachvollziehbar, weil für die VertreterInnen der<br />

MigrantInnenorganisationen einerseits Partizipation im Sinne aktiver Bürgerschaft ein neues<br />

Konstrukt darstellt, und weil andererseits ihr Hauptfokus aufgrund ihrer Funktion auf den<br />

Bedürfnissen der eigenen Bevölkerungsgruppe liegt.<br />

Demgegenüber schlagen die VertreterInnen der Gemeinden und ihrer Altersinstitutionen und –<br />

organisationen (vor allem aus der Fokusgruppe CH und der tel. Nachbefragten) eher Massnahmen<br />

auf einer politisch-strategischen sowie symbolischen Ebene vor (Strategien und Leitbilder sowie<br />

deren konsequente Umsetzung, Diversity-Management und Mainstreaming von Migrationsfragen,<br />

Lancierung eines politischen Partizipationsdiskurses auf Gemeindeebene und Kultivierung einer<br />

Politik der Anerkennung von Vielfalt, etc.).<br />

� Übereinstimmende Vorschläge werden auf der Bewusstseins- und der Handlungsebene gemacht.<br />

So sind beide der Ansicht, dass es einen Perspektivenwechsel brauche und ältere MigrantInnen<br />

als Subjekte statt Objekte der Altersarbeit und –politik zu beteiligen seien. Zudem benötige es eine<br />

gegenseitige Offenheit für und Akzeptanz von unterschiedlichen Sicht- und Handlungsweisen in<br />

Partizipationsprozessen. Dabei ist zu beobachten, dass die VertreterInnen der Gemeinden<br />

(Fokusgrupp CH und befragte Fachpersonen aus dem Altersbereich) tendenziell selbstkritischer<br />

sind als die MigrantInnen und ihre Organisationen. Letztere lassen aufgrund ihrer Geschichte der<br />

„Nichtanerkennung als BürgerInnen der Schweiz und der Verweigerung von politischen Rechten“<br />

sowie des dadurch erlebten Ausgeschlossenseins einen impliziten Vorwurf erkennen, der auch als<br />

moralischer Anspruch auf gewisse „Nachhol- bzw. Kompensationsleistungen im Alter“ verstanden<br />

werden könnte. („Wir haben so viel gegeben und wurden doch immer schlecht behandelt (…) Wir<br />

haben hier viel geleistet, ohne dafür Anerkennung als gleichberechtigte BürgerInnen zu erhalten.“)<br />

� Interessant ist zudem ein gewisser Dissens in der Einschätzung von bereits existierenden<br />

Partizipationsmöglichkeiten für ältere MigrantInnen. Während die VertreterInnen der Schweizer<br />

149


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Institutionen – nebst einer selbstkritischen Haltung – auch die Meinung vertreten, dass ältere<br />

MigrantInnen aufgrund der bestehenden Angebote sehr wohl die Möglichkeit zur Partizipation<br />

hätten, wenn sie nur wollten, fühlen sich die älteren MigrantInnen ihrerseits nach wie vor häufig<br />

nicht eingeladen bzw. nicht wirklich angesprochen. Hier zeigt sich einmal mehr ein Wechsel der<br />

Ebenen im Verständnis von Partizipation bei den Schweizer VertreterInnen: Die bisherigen<br />

Partizipationsmöglichkeiten zielten tendenziell auf eine (konsumierende) Teilnahme bei Angeboten<br />

oder bei bereits konzipierten und entschiedenen Partizipationsaktivitäten ab. Von einer<br />

Partizipation mit Mitsprache-, Mitentscheidungs- und Mitgestaltungsrecht kann in der Regel nicht<br />

gesprochen werden.<br />

Diese unterschiedliche Wahrnehmung der aktuellen Partizipationsverhältnisse in den Gemeinden<br />

beinhaltet ein gewisses Konfliktpotenzial. So war vor allem in der CH Fokusgruppe und in den<br />

Telefoninterviews mit den Altersbeauftragten und <strong>Integration</strong>sdelegierten spürbar, dass sich diese<br />

in ihrem professionellen Engagement, ältere MigrantInnen auch mit kreativen Mitteln zu erreichen<br />

und ihre Partizipation zu ermöglichen, von der Zielgruppe häufig nicht anerkannt fühlen (im Sinne:<br />

„Wir geben uns doch so Mühe und sie partizipieren trotzdem nicht.“).<br />

Die älteren MigrantInnen ihrerseits verfügen vor dem Hintergrund ihres jahrzehntelangen<br />

gesellschaftlichen Ausschlusses von Mitbestimmung über eine erhöhte Sensibilität in diesem<br />

Bereich und erleben die Bemühungen seitens behördlicher Stellen teilweise nach wie vor als<br />

ungenügend oder sie fühlen sich nicht wirklich angesprochen. Nicht zu unterschätzen ist dabei die<br />

Wirkung einer unbewusst erfolgten Konditionierung der Migrationsbevölkerung (wir dürfen nicht<br />

partizipieren, wir sind nicht gefragt). Es benötigt viel Geduld und stetes Engagement, ein einmal<br />

sozial-kognitiv Erlerntes aufzulösen und durch neue Lernprozesse zu ersetzen (Berger und<br />

Luckmann, 1969). Dazu gehört auch, konstruktiv mit dem Verdacht umzugehen, dieses<br />

Partizipationsangebot sei lediglich eine Alibiübung, weil man nach wie vor nicht bereit sei, den<br />

langjährig hier ansässigen MigrantInnen das Bürgerrecht zuzugestehen.<br />

� Ob das Konzept der gesellschaftlichen Mitverantwortung (vgl. Kruse, 2010) für sozioökonomisch<br />

und gesundheitlich benachteiligte Bevölkerungsgruppen, darunter beispielsweise ältere<br />

MigrantInnen, dieselbe Gültigkeit hat wie für die Generation der aktiven, gesunden und<br />

wohlhabenden SeniorInnen in der Schweiz, die nach der Pensionierung über ein<br />

bürgerschaftliches Engagement (vgl. Kricheldorff, 2008) weiterhin einen Dienst an der Gesellschaft<br />

leisten wollen, der zudem auch ihre individuelle Sinnfindung im Alter unterstützt, ist fraglich.<br />

Entsprechende Zurückhaltung und Akzeptanz sind somit geboten, wenn ältere MigrantInnen sich<br />

nach ihrer Pensionierung nicht freiwillig für gesellschaftliche Aufgaben engagieren möchten. Zum<br />

einen haben sie mit ihrer häufig die Gesundheit stark belastenden Arbeit während Jahrzehnten<br />

bereits zum gesellschaftlichen Wohlstand der Schweiz beigetragen und verfügen mit der<br />

Pensionierung erstmals in ihrem Leben über etwas mehr „private Zeit“. Zum andern hiesse dies<br />

auch, weiterhin für eine Gesellschaft Aufgaben zu übernehmen, die sie über eine weite Spanne<br />

ihres Lebens nicht als MitbürgerInnen anerkannt hat.<br />

Für diejenigen älteren MigrantInnen – und das scheinen gemäss der durchgeführten Interviews<br />

sowie der Aussagen der Fokusgruppe IT nicht wenige zu sein – die sich trotzdem gerne in der<br />

150


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Freiwilligentätigkeit einbringen oder engagieren möchten, müssen daher möglicherweise andere<br />

Kriterien in Abgrenzung zum oben genannten Konzept der gesellschaftlichen Mitverantwortung<br />

herangezogen werden. Die Haltung „der Schweiz“ „Wenn wir euch Partizipation bieten, tragt ihr<br />

damit auch eine gesellschaftliche Mitverantwortung.“ „Dass ihr keine Rechte habt und trotz eurer<br />

Leistung für die Schweiz im Alter benachteiligt seid, lassen wir dabei ausser Acht.“ schafft auf der<br />

Gegenseite verständlicherweise wenig Verständnis und Akzeptanz.<br />

6. Diskussion<br />

6.1 Einleitung<br />

In diesem Kapitel werden aufgrund der Ergebnisse der empirischen Datenerhebung in Kapitel 5 und<br />

der Gegenüberstellung der entsprechenden Perspektiven der verschiedenen Akteure zum Thema<br />

Partizipation (Kapitel 5.4) Schlussfolgerungen gezogen und mit Rückbezug auf die Kapitel 2<br />

Theoretischer Hintergrund (inkl. Forschungsliteratur) und Kapitel 3 Fragestellung (inkl.<br />

Forschungsannahmen) kritisch diskutiert (Kapitel 6.2). Ausgehend von diesen Schlussfolgerungen<br />

werden in Kapitel 6.3 Massnahmen für <strong>MIGRALTO</strong>, das partizipative Modell für die aktive<br />

Bürgerschaft älterer MigrantInnen entwickelt und definiert. Dabei werden in einem ersten Schritt<br />

(Kapitel 6.3.1) Grundbedingungen in Form einer Handlungsanleitung (Teil 1) dargelegt, um in einem<br />

zweiten Schritt (Kapitel 6.3.2) die konkreten Massnahmen innerhalb der verschiedenen Modell-<br />

Komponenten auszuführen (Teil 2). Anschliessend werden erste Vorstellungen skizziert für den<br />

Einsatz des Modells <strong>MIGRALTO</strong> in der Praxis und seine Weiterentwicklung (Kapitel 6.4). Mit einer<br />

Reflexion des Arbeitsprozesses zur Entstehung der vorliegenden Masterarbeit mit Fokus auf mögliche<br />

Kritikpunkte, schliessen die Autorinnen die vorliegende Masterarbeit ab (Kapitel 6.5).<br />

6.2 Schlussfolgerungen (H. Hungerbühler und V. Abati)<br />

Ausgehend von den Ergebnissen aus dem Vergleich der in Kapitel 5.4 einander gegenübergestellten<br />

Perspektiven werden in diesem Kapitel Schlussfolgerungen für vier Bereiche abgeleitet. Dabei lassen<br />

sich die Autorinnen von der Frage leiten, welche Bedeutung die Ergebnisse für diese jeweiligen<br />

Bereiche haben.<br />

a. Politik<br />

b. Abgrenzung zu anderen Projekten und Modellen mit partizipativem Vogehen<br />

c. Umsetzung von Partizipation unter Berücksichtigung sämtlicher AkteurInnen<br />

(GemeindevertreterInnen, Nichtstaatliche Organisationen im Altersbereich,<br />

MigrantInnenorganisationen und ältere MigrantInnen als Teil der Zivilgesellschaft)<br />

d. Vergleich Erhebungsergebnisse mit Forschungsliteratur (Kapitel 2) und<br />

Forschungsannahmen (Kapitel 3) dieser Masterarbeit<br />

151


a. Politik<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

� Die Politik muss sich als erstes bewusst machen, dass der politische und gesellschaftliche<br />

Ausschluss, den die hier interessierende erste Einwanderungsgeneration nach dem zweiten<br />

Weltkrieg in der Schweiz erfahren hat, bei dieser eine nachhaltige Verletzung hinterlassen hat. Das<br />

scheint sich auch in ihrem Alter negativ auf ihre Partizipationsbereitschaft in der<br />

Mehrheitsgesellschaft ausgewirkt und den Rückzug in ihre eigenen sozialen Netzwerke gefördert<br />

zu haben. Die Politik muss sich somit die Frage stellen, mit welchen Mitteln sie im Sinne einer<br />

Kompensationsleistung oder „Wiedergutmachung“, MigrantInnen wenigsten im Alter als wichtige<br />

Gruppe politischer und insbesondere alterspolitischer Bemühungen explizit berücksichtigt und ihre<br />

Situation zu verbessern sucht.<br />

� Die Politik und deren AkteurInnen müssen sich bewusst sein, dass die auf ihrem Gemeindeterrito-<br />

rium angesiedelte Wohnbevölkerung vielfältig ist. Die nationale Herkunft ist eines der Merkmale<br />

dieser Vielfalt, die es mit einer entsprechenden Politik anzuerkennen gilt. Aufgabe der Politik ist es,<br />

das Bewusstsein für eine plurale Gesellschaft in der Bevölkerung zu wecken und die Sensibilität<br />

dafür, dass nicht alle Menschen dieselben Chancen haben. Daraus leitet sie die Notwendigkeit ab,<br />

konkret zu zeigen, dass sie durch den Abbau von strukturellen <strong>Integration</strong>s- bzw.<br />

Partizipationshindernissen Chancengleichheit in der gesellschaftlichen Teilhabe für alle<br />

GemeindeeinwohnerInnen - unabhängig von ihrer Herkunft - schaffen will. Damit soll der<br />

Bevölkerung erklärt werden, dass die Gemeinde von einem egalitären Gemeinschaftsverständnis<br />

ausgeht.<br />

� Ausgehend von einem demokratischen Gesellschaftsbegriff muss das politische Ziel die Förderung<br />

der gesellschaftlichen Beteiligung aller EinwohnerInnen an der Gestaltung des Gemeindelebens<br />

sein, wo immer sich diese davon betroffen sehen. Die Politik hat die Aufgabe,<br />

Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine Partizipation in diesem Sinne möglich machen. Dabei<br />

hat sie insbesondere die aufgrund sozioökonomischer Fakten benachteiligten Menschen und<br />

Bevölkerungsgruppen im Blick zu behalten.<br />

� Bezogen auf die Zielgruppe dieser Masterarbeit, die „älteren MigrantInnen“, bedeutet das:<br />

� Die Politik muss ältere MigrantInnen – auch wenn diese über keine politischen Bürgerrechte<br />

verfügen - sowohl als AkteurInnen als auch als Zielgruppe ihrer Strategie und ihres Handelns<br />

verstehen.<br />

� Die Politik muss sich mögliche Mittel zur Umsetzung von Partizipationsrechten für diese<br />

Zielgruppe überlegen und dadurch bestehende Hürden abbauen: z.B. Verleihung des lokalen<br />

Stimm- und Wahlrechts, automatische oder erleichterte Einbürgerung ab Pensionierung etc.<br />

(vgl. dazu mögliche Massnahmen in Kapitel 6.3).<br />

� Die Politik sollte sich überlegen, ob sie im Sinne des Konzepts der „aktiven Bürgerschaft“<br />

(Citoyenneté) die Prinzipien der „Territorial- und Betroffenendemokratie“ zum Ausgangspunkt<br />

152


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

ihrer Überlegungen für die Rahmenbedingungen der Partizipation dieser Zielgruppe machen<br />

will.<br />

� Die Politik muss sich einem konsequenten Diskurs sowie einer entsprechenden Haltung zur<br />

Partizipationsförderung älterer MigrantInnen verschreiben. Das bedeutet, dass sie von den<br />

zuständigen AkteurInnen (vgl. Pt. c) fordert, die drei Prinzipien der aktiven Bürgerschaft<br />

„Mitsprechen, Mitwirken, Mitentscheiden“ in allen Bereichen ihrer Gemeinde aktiv umzusetzen.<br />

� Insbesondere hat sich die Politik damit auseinanderzusetzen, wie in ihrer Gemeinde eine<br />

diversitätsgerechte Alterspolitik und –arbeit lanciert, umgesetzt und evaluiert werden kann, in<br />

der MigrantInnen gleichberechtigt partizipieren. Dabei muss sie insbesondere berücksichtigen,<br />

dass sie, um das Interesse und die Mitwirkung dieser Zielgruppe zu erreichen, spezifische<br />

Bemühungen zu unternehmen und allenfalls hierfür konkrete Anreize zu schaffen hat.<br />

� Im Weiteren benötigt es seitens der Politik die nötige Sensibilität dafür, dass politische<br />

Zielvorgaben, die in Strategien, Leitbildern, etc. ihren Ausdruck finden, zwar entscheidende<br />

Rahmenbedingungen sind, dass es aber ebenfalls Aufgabe der Politik ist, für eine konsequente<br />

Umsetzung derselben in die Praxis besorgt zu sein.<br />

b. Abgrenzung zu anderen Projekten und Modellen mit partizipativem Vorgehen<br />

Nicht ganz unbegründet stellt sich hier die Frage, wozu es ein spezielles Modell für Partizipation von<br />

älteren MigrantInnen braucht. Letzteres, also warum speziell für ältere MigrantInnen wird in Kapitel 6.4<br />

erörtert werden. An dieser Stelle soll auf den ersten Teil der Frage, also wozu es ein spezielles Modell<br />

für Partizipation braucht, eingegangen werden.<br />

In der aktuellen Literatur findet man heute sehr oft die Forderung, dass Projekte und Massnahmen<br />

partizipativ gestaltet und umgesetzt werden müssten. Als Beispiel sei hier auf das Teilprojekt „Schwer<br />

erreichbare und benachteiligte Zielgruppen“ (Soom Ammann & Salis Gross, 2011) hingewiesen. Darin<br />

wird unter anderem der partizipative Ansatz für die Vorgehensweise und die Umsetzung von<br />

Massnahmen in der Präventionsarbeit im Bereich Gesundheit beschrieben. „Um Massnahmen nicht<br />

nur bedarfs-, sondern auch bedürfnisgerecht zu konzipieren, braucht es vertieftes Wissen über die<br />

Lebenswelten und über die Sinn- und Handlungssysteme der anvisierten Zielgruppen. Dazu muss auf<br />

die Sichtweisen und Meinungen der Zielgruppe selber zurückgegriffen werden. Dies erfordert<br />

partizipative Vorgehensweisen, d.h. den Einbezug von Mitgliedern der Zielgruppe oder von deren<br />

Vertreter/innen in die Projektplanung und Umsetzung.“, Soom Ammann & Salis Gross, 2011<br />

(Checkliste, Seite 2).<br />

Vereinfacht könnte man sagen, dass hier der partizipative Ansatz – im positiven Sinne – Mittel zum<br />

Zweck ist. Bei der Bedürfniserhebung und der Angebotsgestaltung soll die betroffene Zielgruppe<br />

partizipativ eingebunden werden. Es wird also von einer Partei (ein/e AnbieterIn, eine Institution, etc.)<br />

ein Thema und Projekt initiiert, bei deren Ausgestaltung sozusagen eine korrigierende und<br />

ergänzende Mitsprachemöglichkeit durch die MigrantInnen gegeben ist. Diese themenspezifische<br />

Beteiligung am Projekt wird damit zu einer „reaktiven“ Funktion der partizipativen Vorgehensweise.<br />

153


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Was unterscheidet nun diesen oben beschriebenen partizipativen Ansatz von der Partizipation wie sie<br />

in der vorliegenden Arbeit definiert ist? Das Modell <strong>MIGRALTO</strong> geht hier gewollt von einem Fokus<br />

aus, bei dem die Partizipation der älteren MigrantInnen selbst der Zweck ist. Es wird also nicht von<br />

einem spezifischen Thema oder Projekt ausgegangen, sondern es wird gefragt, wie Partizipation im<br />

Sinne der aktiven Bürgerschaft gestaltet sein muss und gelingen kann. Am Anfang steht somit der<br />

Einbezug der Betroffenen, um Partizipation zu bewirken, zu fördern und zu gestalten. Erst in der Folge<br />

fragt das Modell danach, was innerhalb des Partizipationsprozesses an möglichen Themen<br />

angegangen oder an möglichen Bedürfnissen bearbeitet werden soll. Die Auswahl von Themen und<br />

Projekten ist also Teil des Aushandlungsprozesses, der als Grundlage für Partizipation gilt und der die<br />

betroffenen Zielgruppen vorab als MitentscheidungsträgerInnen an den Tisch holt und danach festlegt,<br />

wo, wie und in Bezug auf welche Themen Partizipation stattfinden wird. Auch das Ziel bei <strong>MIGRALTO</strong><br />

ist nicht in erster Linie das erfolgreiche Umsetzen einer Massnahme oder eines Projektes, sondern die<br />

erfolgreiche Partizipation älterer MigrantInnen im lokalen Kontext. Das Erreichen eines weiteren Zieles<br />

im Sinne einer erfolgreichen Umsetzung von Massnahmen, Aktivitäten oder Projekten ist dabei ein<br />

erwünschter Folgeeffekt.<br />

c. Umsetzung von Partizipation<br />

Bei der Umsetzung von Partizipation ist immer zweierlei zu bedenken. Zum ersten müssen für eine<br />

gelingende Partizipation entsprechende politische Rahmenbedingungen zur Verfügung stehen (vgl.<br />

dazu Punkt a). Zum zweiten braucht es das Bewusstsein, dass es sich bei „älteren MigrantInnen“ aus<br />

all den erwähnten Gründen mehrheitlich um eine schwer erreichbare Zielgruppe handelt. Das<br />

verlangt, nebst der Berücksichtigung grundsätzlicher Prinzipien der Partizipation, teilweise auch nach<br />

einem spezifischen Vorgehen (vgl. dazu auch Soom Ammann & Salis Gross 2011, Pro Senectute,<br />

2010 sowie Bisegger & Hungerbühler, 2008). Die Ergebnisse aus Kapitel 5 weisen darauf hin, dass für<br />

die Implementierung von Partizipationsvorhaben mit älteren MigrantInnen folgende Aspekte relevant<br />

sind:<br />

� Die Initiative und das Interesse für gemeinsame Partizipationsvorhaben haben von der<br />

Gemeinde und ihren VertreterInnen auszugehen. Gleichzeitig benötigt es seitens der älteren<br />

MigrantInnen auch eine gewisse Offenheit sowie die Bereitschaft, Misstrauen und eine<br />

aufgrund negativer Erfahrungen in der Schweiz erworbene „Abwehrhaltung“ gegenüber<br />

Partizipationsangeboten zu überwinden. Die Gemeinde ihrerseits soll aktiv kommunizieren,<br />

dass Partizipationsinitiativen seitens der älteren MigrantInnen und ihrer Organisationen<br />

explizit erwünscht sind, unterstützt und gefördert werden. Zu diesem Zweck ist seitens der<br />

Gemeinde eine Anlaufstelle/Ansprechperson (möglichst mit Migrationshintergrund) zu<br />

bezeichnen und ältere MigrantInnen und ihre Organisationen sind gezielt darüber zu<br />

informieren, wie sie eine Partizipationsinitiative an die Gemeinde herantragen können<br />

(Empowerment).<br />

154


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

� Kenntnisse über die soziodemografischen Verhältnisse sowie die Lebensbedingungen der<br />

älteren Migrationsbevölkerung in der Gemeinde: Um einen Partizipationsprozess erfolgreich in<br />

die Wege zu leiten, benötigt es zunächst ein differenzierteres Wissen über den<br />

Partizipationspartner. Wer sind die älteren MigrantInnen? Welche Gruppen gibt es nach<br />

Migrationsmotiv, nationaler Herkunft, Schichtzugehörigkeit, Bildung, Geschlecht? Wie<br />

gestalten sie ihr Leben im Alter? Haben sie sich in eigenen Strukturen und Netzwerken<br />

organisiert? Kennen wir diese und ihre Aktivitäten? etc.<br />

� Kritische Reflexion zur Zielgruppendefinition „ältere MigrantInnen“: In der Regel – das haben<br />

auch die Befragungsergebnisse gezeigt – besteht seitens schweizerischer Institutionen und<br />

Fachpersonen der Alterspolitik und –arbeit die Tendenz, „MigrantInnen“ in ethnische<br />

Zielgruppen zu unterteilen, die sie als in sich homogen wahrnehmen. Aus dieser Perspektive<br />

erfolgt dann meist auch die Zusammenarbeit mit MigrantInnen nach ethnischen Kriterien und<br />

derselbe ethnische Hintergrund wird unhinterfragt als das dominante Kriterium für<br />

Repräsentativität herangezogen. (Bsp. ein Italiener steht stellvertretend für „die Italiener“, eine<br />

Tamilin vertritt „die Tamilinnen“, ein Bosnier repräsentiert „die BosnierInnen“etc.) Bei der Wahl<br />

von Einzelpersonen sowie Gruppen von MigrantInnen, die aktiv an Partizipationsprozessen zu<br />

beteiligen sind, ist gleich zu Beginn die kritische Frage nach der Repräsentativität zu stellen.<br />

Es ist auf die innerethnische Heterogenität von MigrantInnengruppen nach Geschlecht,<br />

Bildung, Schichtzugehörigkeit, religiöser oder politischer Überzeugung, etc. zu achten, welche<br />

gleichwertige Repräsentativitätskriterien bilden. Das heisst auch, dass nicht einfach eine<br />

gemeinsame Betroffenheit aufgrund ethnischer Gruppenzugehörigkeit angenommen werden<br />

kann, sondern dass vielmehr bei der „gemeinsamen Themenbetroffenheit als Menschen in der<br />

Lebensphase Alter“ als Ausgangspunkt für gemeinsame Partizipation anzusetzen ist.<br />

� Bewusstsein über und sensibler Umgang mit dem Machtgefälle zwischen staatlichen und<br />

nichtstaatlichen Schweizer AkteurInnen und AkteurInnen der Migrationsbevölkerung: Die<br />

Gemeinden sollten über das Bewusstsein verfügen, dass sie sich gegenüber den<br />

PartizipationspartnerInnen „ältere MigrantInnen“ immer in einer Machtposition befinden. So<br />

verfügen diese über keine politischen Rechte und sind bezüglich ihres Zugangs zu Partizipa-<br />

tionsmöglichkeiten meist vom guten Willen der Schweizer Institutionen/Organisationen und<br />

Fachpersonen abhängig. Mit der dadurch entstehenden Asymmetrie im Partizipations-<br />

verhältnis ist sensibel und transparent umzugehen.<br />

� Sensibilität für Partizipationshürden: Eine Gemeinde, welche die Partizipation von älteren<br />

MigrantInnen im Sinne aktiver Bürgerschaft fördern will, muss zunächst eine Sensibilität für<br />

allfällige Partizipationshürden entwickeln (ökonomisch und gesundheitlich benachteiligte<br />

Situation der Zielgruppe, sprachliche Verständigungsschwierigkeiten, Misstrauen aufgrund<br />

bisherigen Desinteressens der Schweiz für ihre Partizipation oder aber Befürchtung, dass<br />

Partizipation nicht gewollt sei, fehlende politische Rechte, Informationsdefizit über<br />

Partizipationsmöglichkeiten, strukturelle Zugangsschranken zur Partizipation, etc.)<br />

155


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

� Ressourcenorientierte Perspektive auf die Zielgruppe: Interesse an deren Lebenserfahrungen,<br />

ihren Ressourcen und sozialen Zusammenhängen haben und zeigen. Sie als Subjekte und<br />

nicht Objekte von Partizipation wahrnehmen und behandeln.<br />

� Niederschwelligen Zugang anstreben: Das Gelingen von Partizipation steht und fällt mit dem<br />

Gelingen eines niederschwelligen Zugangs. Dazu gehören die folgenden vier methodischen<br />

Punkte.<br />

1. Aufsuchender Ansatz zur Kontaktherstellung: Ältere MigrantInnen in ihren eigenen<br />

sozialen Milieus und Netzwerken (z.B. in ihren Vereinen, bei den Ausländermissionen,<br />

etc.), d.h. in ihnen vertrauten und lebensweltbezogenen Settings aufsuchen.<br />

2. Zusammenarbeit mit sogenannten Schlüsselpersonen aus den Migrationscommunities,<br />

die als „Türöffner“ wirken: Die Erkenntnis (vgl. Kapitel 5.4), dass ältere MigrantInnen<br />

VertreterInnen schweizerischer Institutionen/Organisationen gegenüber häufig Misstrauen<br />

oder Distanz entgegen bringen, legt nahe, Personen als KontaktvermittlerInnen<br />

einzubeziehen, die bereits das Vertrauen der Gruppe geniessen bzw. auf diese Weise<br />

einen beziehungsgeleiteten Zugang ermöglichen.<br />

3. Mündliche Information und Kommunikation zu Partizipationsmöglichkeiten in der<br />

Muttersprache der Zielgruppen: Die erste Generation der älteren MigrantInnen muss in<br />

ihrer Muttersprache „abgeholt“ werden. Dadurch erhöht sich die Chance, dass sie<br />

partizipationsbereit und –fähig ist.<br />

4. Hohe Zeitinvestition: Das Schaffen einer Grundlage für die gemeinsame Partizipation<br />

benötigt einen zeitlich intensiven Prozess mit dem Ziel des gegenseitigen Kennenlernens<br />

und der gegenseitigen Vertrauensbildung.<br />

� Partizipationsinteresse/-bedürfnisse und Themenbetroffenheit erkennen: Um Partizipation<br />

nicht an den Interessen und Bedürfnissen der älteren MigrantInnen vorbei zu planen und zu<br />

initiieren, sondern gegenteilig, gerade bei diesen anzusetzen, muss sich eine Gemeinde<br />

konkret für die Anliegen, Themen, Erwartungen, Wünsche oder gar Forderungen dieser<br />

Zielgruppe interessieren und sie konkret in Erfahrung bringen.<br />

� Respekt und Anerkennung der bisherigen Kompetenzen und Erfahrungen mit Partizipation:<br />

Gemeinden müssen sich bewusst sein, dass nicht nur sie, sondern auch ältere MigrantInnen<br />

und ihre Organisationen Kompetenzen und Erfahrungen in der Partizipation mitbringen und es<br />

somit um einen gegenseitigen Lernprozess geht.<br />

� Gleichwertige Partizipation als Einbezug in mitentscheidende Positionen gleich von Beginn<br />

an: Ältere MigrantInnen sind von Beginn an am Partizipationsprozess zu beteiligen. D.h. sie<br />

sprechen, wirken und entscheiden mit über Ziele, Bedarf, Rahmenbedingungen, Form, Mittel<br />

und Themen der Partizipation. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie – ausser<br />

sie sind eingebürgert – keine gleichberechtigten BürgerInnen sind, da sie – mit wenigen<br />

Ausnahmen vorab in der Romandie - nicht über dieselben politischen Rechte verfügen. (vgl.<br />

der Pt. zum Machtgefälle in der Partizipationsbeziehung).<br />

� Aushandlung einer gemeinsamen Partizipationskultur als gegenseitige<br />

Kompetenzerweiterung: Da davon auszugehen ist, dass nebst Gemeinsamkeiten auch<br />

156


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Unterschiede zwischen den verschiedenen AkteurInnen im Verständnis und in der Praxis von<br />

Partizipationsprozessen existieren, benötigt es die Aushandlung der Prinzipien einer<br />

gemeinsamen Partizipationskultur.<br />

� Auseinandersetzung über zentrale Begriffe und Themen im Alter: Auch hier gilt, dass nebst<br />

gemeinsamer Themenbetroffenheit auch unterschiedliche und vielfältige Ressourcen und<br />

Erfahrungen bzw. Kompetenzen im Umgang damit vorhanden sind. Diese gilt es für die<br />

gemeinsame Partizipation nutzbar zu machen. Für einen solchen Austausch auf<br />

Gemeindeebene müssen geeignete organisationale Rahmenbedingungen, Mittel und Formen<br />

überlegt werden.<br />

d. Vergleich Erhebungsergebnisse mit Forschungsliteratur (Kapitel 2) und<br />

Forschungsannahmen (Kapitel 3):<br />

Die Ergebnisse der verschiedenen Erhebungsteile dieser Arbeit bestätigen in mancher Hinsicht, die in<br />

Kapitel 2 vorgestellten Erkenntnisse aus der Forschungsliteratur sowie die in Kapitel 3 vorgelegten<br />

Annahmen, die unser Forschungs- bzw. Erkenntnisinteresse sowie die Frageperspektive<br />

beeinflussten. Im Folgenden wird kurz zusammengefasst, welche unserer Befunde sich damit decken,<br />

und wo es Abweichungen oder Widersprüche gibt.<br />

Migration als biografische Ressource<br />

Die Annahme, dass eine Migrationsgeschichte zu einer Ressource der Lebensgestaltung – gerade<br />

auch im Alter – werden kann, vorausgesetzt es ist gelungen, sie erfolgreich in die eigene Biografie zu<br />

integrieren, bestätigen die Befunde dieser Arbeit nur bedingt. Ob das eigene Migrationsprojekt letztlich<br />

als Erfolg erlebt und bewertet wird, hängt von vielfältigen Faktoren ab, und nicht nur von objektiv<br />

gesellschaftlichen, sondern ebenso von subjektiv individuellen Persönlichkeitsfaktoren (vgl.<br />

Aeschlimann, 2007). Es benötigt nicht zwingend eine positive Bilanzierung des Migrationsentscheids<br />

und seiner Folgen. Entscheidender ist, ob sich MigrantInnen im Alter mit ihrer Biografie als<br />

ArbeitsmigrantInnen versöhnt haben oder nicht (vgl. dazu Erikson, 1966). Ein weiterer wichtiger Faktor<br />

ist die Anerkennung durch das gesellschaftliche Umfeld sowie die Rahmenbedingungen, welche eine<br />

Aufnahmegesellschaft MigrantInnen zur Verfügung stellt. Gerade Anerkennung haben die<br />

MigrantInnen der in dieser Arbeit interessierenden Einwanderungsgeneration während Jahrzehnten<br />

vermisst. Sie erhielten sie bestenfalls als Arbeitskräfte, nicht jedoch als zu dieser Gesellschaft<br />

gehörende Mitglieder mit Bürgerrechten. Diese Kränkung - das zeigen die Interviews mit den älteren<br />

ItalienierInnen – sitzt auch im Alter noch tief und ist längst nicht bei allen verarbeitet. Die<br />

InterviewteilnehmerInnen wurden gefragt, wie sie ihre gelungene Selbstorganisation erklären und was<br />

„die Schweiz“ von ItalienerInnen lernen kann, um Partizipation erfolgreich zu gestalten. Diese Fragen<br />

richteten sich implizit auf das Erkennen von Ressourcen. Es zeigte sich, dass sie ihre Ressourcen<br />

eher in „ethnischen Kategorien“ („Wir sind so“. „Das ist die italienische Mentalität“) erklären, als dass<br />

sie diese als Kompetenzen interpretieren, welche sie sich durch die Bewältigung von<br />

Herausforderungen und Krisen im Migrationskontext erworben haben. Auf der andern Seite haben die<br />

157


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

befragten Altersbeauftragten und <strong>Integration</strong>sdelegierten eine „Migrationsbiografie“ sowie<br />

„Erfahrungswissen (zu <strong>Integration</strong>sprozessen)“ deutlich als eine Ressource für die Partizipation<br />

gewertet.<br />

Ethnizität als Organisationspotenzial und Identitätsstiftung im Alter<br />

Zur Annahme, Ethnizität sei auch im Alter noch ein Potenzial für eine wirksame Selbstorganisation,<br />

um kollektive Interessen der eigenen Gruppe zu vertreten, muss eine zwiespältige Bilanz gezogen<br />

werden. So zeigt die Erhebung der Autorinnen dieser Arbeit, dass die ethnische Vergemeinschaftung<br />

der italienischen ArbeitsmigrantInnen eher in Reaktion auf die sie ausschliessende gesellschaftliche<br />

Umgebung erfolgte. Sie diente zwar der <strong>Integration</strong> in eigene soziale Strukturen und stärkte somit den<br />

Zusammenhalt bzw. fing den gesellschaftlichen Ausschluss durch eine Solidarisierung nach innen auf.<br />

Sie verfolgte jedoch nicht in erster Linie gezielt die Mobilisierung von Kräften im Sinne einer<br />

kollektiven Interessenvertretung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft oder als politische pressure<br />

group (vgl. Sancar, 1993). Trotzdem, und das hat insbesondere auch die Diskussion in der<br />

Fokusgruppe mit den VertreterInnen aus den italienischen MigrantInnenorganisationen ergeben, wirkt<br />

die starke Bezugnahme auf die ethnische Herkunft seit je und gerade auch im Alter als eine<br />

Organisationsressource. Das zeigt die italienische Organisationsgeschichte der ersten<br />

Einwanderungsgeneration in Bern, die bis heute eine beachtliche Vielfalt an eigenen Strukturen, heute<br />

auch Strukturen für die Altersarbeit - getragen von der röm.-kath. Kirche in Bern und ihrer Fachstelle<br />

für Sozialarbeit FASA - hervorgebracht hat. Allerdings weist die jüngste Entwicklung auch darauf hin,<br />

dass diese Strukturen von der nachfolgenden, zweiten Generation künftig nicht aufrechterhalten<br />

werden. Für die heute ältere Generation gilt aber: Die eigenen sozialen Netzwerke spielen auch im<br />

Alter eine bedeutsame Rolle für die soziale Sicherung. Und darüber hinaus kann Ethnizität auch im<br />

Alter noch als Mobilisierungspotenzial eingesetzt werden, wenn es darum geht, ein kollektives<br />

Interesse einzufordern. Als Beispiel kann hier der mittlerweile auch von den Institutionen der<br />

stationären Alterspflege und von den Medien aufgenommene Diskurs über ethnospezifische<br />

Wohngruppen in Altersheimen, den sogenannten „mediterranen“ oder „italienischen“ Abteilungen<br />

angeführt werden. Ältere italienische MigrantInnen haben sich unter Berufung auf ihre Ethnizität bzw.<br />

auf spezifische, an ihre ethnische Zugehörigkeit geknüpfte Bedürfnisse, erfolgreich ein eigenes<br />

Betreuungsmodell in stationären Alterseinrichtungen erwirkt.<br />

Der zweite Teil der Annahme, dass Ethnizität als Identitätsstiftung gerade auch im Alter dient, lässt<br />

sich nicht nur durch die in Kapitel 2 behandelte Forschungsliteratur zu diesem Thema (Dietzel-<br />

Papakyriakou, 1993 und 2005; Kondratowitz, 1999), sondern auch durch unsere eigene Erhebung<br />

bestätigen (vgl. dazu Kapitel 5). Ältere MigrantInnen werden am Beispiel der ItalienierInnen in Bern<br />

von den Fokusgruppenmitgliedern aus Stadt und Kanton Bern als sehr stark mit ihrer Ethnizität<br />

identifiziert erlebt. Diese Identifikation erwecke bisweilen den Eindruck der „Selbstgenügsamkeit“ oder<br />

„Autarkie“ und werfe die Frage auf, ob diese Zielgruppe überhaupt eine Partizipation über die eigene<br />

Gruppe hinaus wünsche und brauche. Auch aus den Interviews mit den älteren MigrantInnen geht<br />

deutlich hervor, dass sie sich in erster Linie als „ItalienerInnen“ verstehen. Diese Selbstehnisierung<br />

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«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

lässt sich als Reaktion auf die Fremdethnisierung durch die SchweizerInnen verstehen (vgl. dazu auch<br />

Lück, 2001).<br />

Ethnizität im Alter: Ressource oder Kumulierung der Benachteiligung<br />

Dass wir auch mit der Erhebung zum Schluss gekommen sind, dass Ethnizität für ältere MigrantInnen<br />

eine Ressource ist, wurde weiter oben bestätigt. Dem zweiten Teil dieser Annahme, ob Ethnizität im<br />

Alter auch zu einer doppelten Diskriminierung aufgrund nationaler Herkunft und Alter führe, im Sinne<br />

der ethnogerontologischen „Double-Jeopardy-These“ (vgl. dazu Kapitel 2.6.2), wurde im Verlaufe<br />

dieser Arbeit hingegen nicht mehr gezielt nachgegangen. Mit Sicherheit kann jedoch bestätigt werden,<br />

dass Ethnizität für die sozialgerontologische Arbeit mit MigrantInnen ein wichtiger Faktor ist. Die mit<br />

unserer Erhebung Befragten (Fokusgruppe CH und tel. Nachbefragung der Altersbeauftragten und<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten) messen ihr auch einen zu diskutierenden Stellenwert bei der Entwicklung und<br />

Umsetzung von Partizipationsmodellen zu. Die Autorinnen kommen in ihrer abschliessenden Bilanz<br />

(Kapitel 5.4 und 6.2) jedoch zum Schluss, dass Ethnizität in der Zusammenarbeit mit MigrantInnen<br />

nicht überbetont werden darf, weil dies die Gefahr in sich birgt, strukturelle und soziale Problemlagen<br />

im Alter zu „ethnisieren“ bzw. „kulturalisieren.“ Sie vertreten daher mit ihrer Arbeit den Ansatz der<br />

gemeinsamen Themen-Betroffenheit im Alter als Ausgangspunkt für die gemeinsame Partizipation,<br />

welche ethnische Gruppengrenzen aufzulösen vermag.<br />

Lebensraum, Sozialraum und Sozialisation<br />

In den Kapiteln 2 und 3 wurde bezüglich dieser drei Begriffe oder Konzepte keine spezifische<br />

Annahme getroffen. Diese wurden aber im Verständnis der Autorinnen als richtungweisende<br />

theoretische Fundierung für das Konstrukt der Partizipation im Sinne der aktiven Bürgerschaft<br />

gewählt. Die zentralen Aspekte, die das Konstrukt der Partizipation unterstützen, lassen sich wie folgt<br />

zusammenfassen: Jeder Mensch ist ein Produkt seiner Erfahrungen und seiner gelebten Umwelt.<br />

Dabei ist er nie ein fertiges „Produkt“, sondern wird durch jede neue Lebenserfahrung beeinflusst,<br />

geformt und bleibt ein Leben lang als Person oder Persönlichkeit veränderbar. Ein weiterer Aspekt ist<br />

die Interaktion mit der materiellen und sozialen Umwelt. Der Mensch wird geformt und verändert sich<br />

immer auch im Austausch mit diesen. Das heisst, ein/ MigrantIn wird immer auch vom Aufnahmeland<br />

und von der Bevölkerung des Aufnahmelandes, respektive von deren Haltung zu MigrantInnen<br />

beeinflusst, das alles ist Teil seiner Biografie. Dieser Punkt ist besonders wichtig in Bezug auf die<br />

weiter unten diskutierte Frage der Binnenintegration und der Ethnizität im Alter. Die Vermutung von<br />

Schweizer Institutionen, dass MigrantInnen entweder nicht an <strong>Integration</strong>/Partizipation interessiert<br />

seien oder dass sie in erster Linie innerethnisch orientiert seien, zeigt eine Vernachlässigung oder ein<br />

Ausblenden der Prinzipien von Lebensraum, Sozialraum und Sozialisation durch erstere.<br />

Zusammengefasst könnte man es so formulieren, dass die Orientierung der MigrantInnen im<br />

Aufnahmeland auf die Zivilgesellschaft oder auf die eigene Ethnie resp. das Interesse an <strong>Integration</strong>s-<br />

oder Partizipationsprozessen das Resultat der sozialen Erfahrungen ist, die sie aufgrund der<br />

Interaktion mit der und durch die Schweizer Bevölkerung gemacht haben. Die Frage ist also, wie die<br />

159


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Schweizer Bevölkerung die eigene Haltung und das eigene Verhalten verändern müssten, um bei den<br />

MigrantInnen ein anderes resp. das gewünschte Resultat zu erzielen. Der Vorschlag der Autorinnen<br />

liegt auf der Hand: Gemeinsames entsteht durch gemeinsame Erfahrung, durch das Schaffen eines<br />

gemeinsam gestalteten Lebensraumes. Damit rückt die Frage nach der Ethnisierung oder nach<br />

ethnischen Faktoren in den Hintergrund. Zielgerichteter ist es, danach zu fragen, wie die gemeinsame<br />

Zukunft gestaltet werden soll und wie bisherige Lebenserfahrungen und –prägungen genutzt werden<br />

können oder wie mit hinderlichen Sozialisationsprozessen umgegangen werden soll. Eine mögliche<br />

Antwort darauf gibt das Konzept der Partizipation im Sinne der aktiven Bürgerschaft, welche im Modell<br />

<strong>MIGRALTO</strong> eine potenzielle Anwendungspraxis findet.<br />

Forschungsstand Partizipation im Alter – Das Konzept der gesellschaftlichen Mitverantwortung<br />

In Kapitel 2.6.1 wurde das einer Verantwortungsethik verpflichtete gerontologische Konzept der<br />

gesellschaftlichen Mitverantwortung im Alter (Kruse, 2010) vorgestellt. Wenn Alter als Lebensphase<br />

konzipiert wird, in der die Menschen nach wie vor aktiv Mitverantwortung für die gesellschaftliche<br />

Entwicklung tragen, bedeutet das, dass ihre Partizipation zwingend ist. Aus einer rein moralethischen<br />

Perspektive können die Autorinnen diesem Konzept zustimmen. Sie kritisieren jedoch, dass es sich<br />

dabei tendenziell um ein „klassisches Mittelstandskonzept“ handelt, das nur einen Teil der älteren<br />

Bevölkerung im Blick hat: die wirtschaftlich und gesundheitlich gut situierten sowie sozial vernetzten<br />

„neuen Alten“ oder „aktiven SeniorInnen“, die sogenannten „golden ager“, die auch für ihre persönliche<br />

Sinnstiftung nach der Pensionierung weiterhin gesellschaftliche Verantwortung tragen möchten. Ob<br />

sich das Modell im Sinne einer Verpflichtung auch auf sozioökonomisch benachteiligte Gruppen, wie<br />

beispielsweise ältere MigrantInnen, die häufig an der Armutsgrenze leben, übertragen lässt, ist<br />

fraglich. Die Autorinnen sind vielmehr der Ansicht, dass das Konzept mit dem Prinzip der<br />

„Freiwilligkeit“ zu ergänzen ist. Die Erhebungsergebnisse in der vorliegenden Masterarbeit zeigen<br />

denn auch deutlich, dass ältere MigrantInnen auf freiwilliger Basis durchaus bereit sind,<br />

Freiwilligenarbeit zu leisten.<br />

Migrantinnen und Migranten als Subjekte im Forschungsprozess<br />

Der Annahme, dass sich MigrantInnen als Subjekte mit ihrem spezifischen Erfahrungswissen und<br />

ihren kulturellen Lebenspraxen am Aushandlungsprozess der Definition und Umsetzung von<br />

Partizipation beteiligen sollten, haben die Autorinnen mit ihrem Forschungsansatz in dieser<br />

Masterarbeit Nachdruck verliehen. So waren MigrantInnen nicht nur als „Forschungsobjekte“, sondern<br />

auch als Subjekte im Rahmen der Fokusgruppendiskussion vertreten, in der sie als ExpertInnen aus<br />

italienischen Migrationsorganisationen ihre Einschätzung sowie ihre Kompetenzen zum Thema<br />

Partizipation vertraten. Geplant ist, dass über diese Migrationsorganisationen die Ergebnisse der<br />

Masterarbeit auch in die italienischen Migrationskreise zurück fliessen.<br />

Partizipation als transkultureller Aushandlungsprozess<br />

Dass es sich bei der Definition von Partizipation um einen transkulturellen Aushandlungsprozess<br />

handelt, konnte aufgrund der Erfahrungen aus den verschiedenen Erhebungsteilen dieser<br />

160


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Masterarbeit bestätigt werden. Dieser Prozess wird für die konkrete Umsetzung in einem Modell<br />

<strong>MIGRALTO</strong> (vgl. Kapitel 6.3 und 6.4) anspruchsvoll sein, da unterschiedliche Verständnisse von sowie<br />

Erfahrungen und Praxen mit Partizipation aufeinander treffen werden. Wichtig ist hier der Ansatz, dass<br />

die jeweiligen Kompetenzen zum Thema Partizipation von den verschiedenen AkteurInnen<br />

gleichberechtigt eingebracht werden können, und zwar unabhängig vom real existierenden<br />

Machtgefälle zwischen den schweizerischen Institutionen/Organisationen des Altersbereichs und den<br />

älteren MigrantInnen und ihren Organisationen. Insgesamt bestätigt die Erhebung dieser Masterarbeit<br />

die Kritik aus der Forschungsliteratur (z.B. Gamboa, 2009, S. 176; Matthey & Steiner, 2009, S. 15),<br />

wonach (ältere) MigrantInnen mehrheitlich nicht als Subjekte in gleichberechtigten Positionen und mit<br />

Entscheidkompetenz an Partizipationsprozessen beteiligt sind. Zum einen tendieren schweizerische<br />

Institutionen dazu – sie innerhalb der bestehenden Machtasymmetrie in die Rolle „passiv“<br />

Teilnehmender zu verweisen oder sie allenfalls in der Phase der Umsetzung als VermittlerInnen/<br />

Schlüsselpersonen oder MultiplikatorInnen zu beteiligen. Dies jedoch häufig auf ehrenamtlicher Basis<br />

oder gegen eine vergleichsweise tiefere Entlöhnung. Zum andern zeigt aber vor allem die telefonische<br />

Nachbefragung der Altersbeauftragten und <strong>Integration</strong>sdelegierten, dass durchaus auch vereinzelte<br />

Bemühungen bestehen, ältere MigrantInnen von Beginn an in Partizipationsprozesse einzubinden. Als<br />

good practice kann hier die Handhabung in einer Region der Schweiz angeführt werden, in der die<br />

Vergabe von Projektgeldern an die Bedingung gebunden ist, ältere MigrantInnen von Beginn an<br />

gleichberechtigt und mitentscheidend in den Partizipationsprozess zu integrieren. Zudem weist der<br />

Wunsch der interviewten älteren MigrantInnen und auch der FokusgruppenvertreterInnen der<br />

italienischen Migrationsorganisationen, die SchweizerInnen mögen sich auch für ihre Netzwerke,<br />

Kompetenzen und Aktivitäten interessieren und zu ihnen kommen, in die Richtung des von Prodolliet<br />

(2009, S.59) geforderten notwendigen Paradigmenwechsels: eine <strong>Integration</strong>s- bzw. Partizipations-<br />

politik muss alle Mitglieder einer Gesellschaft gleichermassen zur Zielgruppe haben. D.h. die<br />

politische Aufforderung zur Beteiligung an gesellschaftlichen <strong>Integration</strong>s- bzw. Partizipations-<br />

prozessen darf sich nicht einseitig an die Adresse der MigrantInnen richten, sondern hat die<br />

Bevölkerung generell anzusprechen, d.h. auch die staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen und<br />

Organisationen selbst sowie alle SchweizerInnen. Sie ist kein „Einweg-Prozess“, sondern muss<br />

wechselseitig und unter Beteiligung aller AkteurInnen gestaltetet werden. (vgl. dazu das Modell<br />

<strong>MIGRALTO</strong> in Kapitel 6.3 und 6.4)<br />

Insgesamt weisen die Ergebnisse - vor allem aus der schriftlichen Befragung der Altersbeauftragten<br />

und <strong>Integration</strong>sdelegierten und der Fokusgruppe CH - auf eine Diskrepanz hin zwischen dem<br />

Bewusstsein auf einer diskursiven Ebene, dass Partizipation ein transkultureller Aushandlungsprozess<br />

ist, und der Umsetzung dieser Erkenntnis in die Praxis.<br />

Gendergerechte Partizipation<br />

Die Annahme, dass ein Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen genderspezifische<br />

Aspekte berücksichtigen sollte, kann in mehrfacher Hinsicht bestätigt werden. Der von Perrig-Chiello<br />

(2008) oft verwendete Satz „Alter ist weiblich“, trifft auch auf die Gruppe der älteren Migrantinnen zu.<br />

In der Fokusgruppe der VertreterInnen italienischer Migrantenorganisationen wurde darauf<br />

161


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

hingewiesen, dass es oftmals die Frauen sind, die nach dem Tod des Mannes alleine in der Schweiz<br />

zurückbleiben. Das kann einerseits bedeuten, dass sich Vereinsamung oder finanzielle Problematiken<br />

für die älteren Migrantinnen deutlich akzentuieren, auf der anderen Seite kann dies auch als Potenzial<br />

gesehen werden, da diese Frauen durch die Verwitwung eine neue oder verstärkte Aussenorien-<br />

tierung in Bezug auf das soziale Leben entwickeln. Damit ist gemeint, dass sie einen Teil ihrer Zeit<br />

und ihre Ressourcen im Sinne von Freiwilligenarbeit oder von aktiver Bürgerschaft für die<br />

Gemeinschaft oder die Gesellschaft einbringen können und oft auch wollen.<br />

Für den Partizipationsprozess durch den Einsatz des Modells <strong>MIGRALTO</strong> wird es bezüglich der<br />

Genderfrage wichtig sein, dass eine ausgewogene Vertretung von Männern und Frauen gewährleistet<br />

wird. In Bezug auf die italienische Gruppe kann gesagt werden, dass ein Teilnahmeverhältnis von 2<br />

Frauen und 6 Männern in der Fokusgruppe symptomatisch ist, wenn es um „offizielle“ Rollen wie z.B.<br />

die eines Vertreters in einer Migrantenorganisation geht. Diesem Umstand kann auf verschiedene<br />

Weise begegnet werden. Man kann einerseits grundsätzlich dafür sorgen, dass Männer und Frauen<br />

zu gleichen Teilen in den Partizipationsprojekten vertreten sind (unter Berücksichtigung des<br />

Freiwilligenprinzips, also keine reinen Quotenteilnahme ohne persönliche Motivation der Frau). Da<br />

aber bereits die Zusammensetzung einer Gruppe für Partizipationsprozesse nach dem partizipativen<br />

Prinzip der Mitsprache, Mitentscheidung und Mitgestaltung geschieht, kann es die jeweilige<br />

Migrantengruppe selbst entscheiden, wie die Genderfrage gestaltet werden soll. Es ist somit auch<br />

möglich, dass sich die Teilhabenden eines Partizipationsprojektes dafür entscheiden, dass sie eine<br />

reine Frauen- und eine reine Männergruppe zusammenstellen. Dies könnte allenfalls bei ethnischen<br />

Gruppen der Fall sein, in deren soziokulturellem Kontext üblicherweise eine Geschlechtersegregation<br />

besteht. Ein weiterer Grund für getrennte Gruppen könnte aber auch rein pragmatischer Natur sein:<br />

Vielleicht gibt es Themen oder Bedürfnisse, die Männer gerne im Sinne eines Partizipationsprozesses<br />

angehen möchten, die aber für Frauen einfach nicht interessant sind, und umgekehrt. Respekt und<br />

Vertrauen gegenüber den älteren MigrantInnen in der Umsetzung des Modells <strong>MIGRALTO</strong> wird sich<br />

auch darin zeigen, dass diese auf Anregung der ProjektleiterInnen die für sie richtige Wahl treffen<br />

werden.<br />

Vom Defizit- zum Ressourcenorientierten Ansatz<br />

Was in Kapitel 2 bezüglich des erfolgten Paradigmenwechsels vom defizit- zum ressourcenorientierten<br />

Ansatz anhand der gerontologischen und migrations- bzw. integrationstheoretischen<br />

Forschungsliteratur aufgezeigt wurde, konnte durch die Aussagen und die Haltung der befragten<br />

VertreterInnen aus dem institutionellen Alters- und <strong>Integration</strong>sbereich der Schweiz teilweise bestätigt<br />

werden. Fachpersonen bemühen sich zwar grundsätzlich, ältere Migrantinnen ressourcen- und nicht<br />

defizitorientiert wahrzunehmen, gleichzeitig sind es aber häufig doch die sogenannten Defizite, wie<br />

z.B. die mangelnde Kompetenz in der deutschen Sprache, welche den Diskurs dominieren. Ältere<br />

MigrantInnen ihrerseits haben auf ihr eigenes Alter eher einen defizitären als ressourcenorientierten<br />

Blick. Dies hat aus Sicht der Autorinnen mit ihrer im Vergleich zu den gleichaltrigen SchweizerInnen<br />

insgesamt schlechteren gesundheitlichen und ökonomischen Situation zu tun (BAG, 2006). Anders<br />

162


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

verhält es sich bei den VertreterInnen der italienischen Migrationsorganisationen, die ihre<br />

Organisationsgeschichte sehr wohl als Erfolg ihrer eigenen Ressourcen einschätzen.<br />

Diversität als Innovationspotenzial für die Alterspolitik und –arbeit<br />

Die Annahme der Autorinnen, dass in einer Einwanderungsgesellschaft wie der Schweiz eine Vielfalt<br />

von Modellen existiere, wie Alter gelebt und wie mit älteren Menschen umgegangen werde, und der<br />

Schluss daraus, dass diese Diversität für die Alterspolitik und –arbeit zum Innovationspotenzial<br />

werden könne, wenn über die damit einhergehenden Herausforderungen eine konstruktive<br />

Auseinandersetzung geführt werde, wurde im Verlauf der Arbeit nicht vertieft untersucht. Sowohl die<br />

befragten Altersbeauftragten und <strong>Integration</strong>sdelegierten als auch die Fokusgruppe CH geben jedoch<br />

an, dass die zunehmende Diversität der älteren Migrationsbevölkerung nach nationaler Herkunft,<br />

nebst Herausforderung, auch eine Chance für die Alterspolitik und –arbeit sei. Zudem erwarten sie<br />

von dieser wachsenden Vielfalt neue Impulse, eine Bereicherung sowie eine vielseitigere<br />

Partizipationskultur. Die älteren MigrantInnen und ihre Organisationen wünschen sich ihrerseits, dass<br />

ihre Beiträge, beispielsweise bei der Entwicklung von neuen Modellen und Projekten im Bereich des<br />

Alterswohnens und der Alterspflege, vermehrt nachgefragt werden.<br />

Wirkungen von Partizipation<br />

Bezüglich der Wirkung von Partizipation trafen die Autorinnen folgende Annahmen:<br />

Partizipation ist die wirksamste Form der <strong>Integration</strong>.<br />

Partizipation fördert die Wahrnehmung der Gesellschaft in Bezug auf ältere Menschen, baut<br />

Vorurteile ab und wirkt Altersdiskriminierungen entgegen.<br />

Diese Annahmen lassen sich sowohl aufgrund der Forschungsliteratur als auch der vorliegenden<br />

Erhebung bestätigen. So vertritt z.B. Wicker (2007, S. 65), dass <strong>Integration</strong> dann erfolgreich ist, wenn<br />

die Partizipation der Migrationsbevölkerung auf ökonomischer, sozialer und politischer Ebene stetig<br />

zunimmt und sich ihre Chancen denjenigen der schweizerischen Bevölkerung angleichen.<br />

Entsprechend verhindern die Einschränkung von Partizipation und die Diskriminierung<br />

<strong>Integration</strong>sprozesse. Die Autorinnen vermuten aufgrund der Befragung der älteren MigrantInnen und<br />

ihrer Organisationen, und gestützt auf die Einschätzung der schweizerischen Institutionen, dass sich<br />

in der gesellschaftlichen Realität jedoch folgende negative Wechselwirkung abgespielt hat: Von der<br />

Schweiz über Jahrzehnte als MitbürgerInnen mit vollen Partizipationsrechten (fehlende politischen<br />

Rechte) ausgeschlossen, zog sich die hier diskutierte Einwanderungsgeneration zu einem grossen<br />

Teil in ihre eigenen Partizipationsstrukturen zurück und distanzierte sich von der<br />

Mehrheitsgesellschaft. Sie konstituierte sich in deutlicher Abgrenzung zur restlichen Bevölkerung als<br />

ethnische Gruppe. Dies bestätigt das Konzept der ethnischen Grenzziehung von Barth (1969), wie es<br />

in Kapitel 2 dieser Arbeit erläutert wurde. Der Prozess der ethnischen Gruppenkonstitution in<br />

Abgrenzung zur Mehrheitsgesellschaft sowie die starke Binnenintegration (vgl. Elwert, 1982 in Kapitel<br />

2), förderte beim Schweizer Staat und seiner Bevölkerung die Wahrnehmung, dass diese Generation<br />

von MigrantInnen „integrationsresistent“ und Partizipation in der schweizerischen Gesellschaft nicht ihr<br />

Ziel sei. Eine solche Interpretation ist wiederum ein Mittel, um erneuten Ausschluss zu legitimieren,<br />

163


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

gerade auch im Alter, was dann von den Betroffenen ihrerseits diskriminierend erlebt werden kann:<br />

„Wir werden nicht oder zu spät eingeladen, zu partizipieren.“ Oder anders formuliert: Die von der<br />

Mehrheitsgesellschaft nicht ermöglichte Partizipation dieser Einwanderungsgeneration förderte ihre<br />

Selbstorganisation in eigenen Netzwerken, was vom gesellschaftlichen Umfeld wiederum als<br />

Selbstausschluss und „<strong>Integration</strong>sunwilligkeit“ gedeutet wurde. (vgl. hierzu auch den Abschnitt<br />

„Ungeprüfte Annahme“ im Kapitel 6.5)<br />

6.3 Definition von Massnahmen für das Modell <strong>MIGRALTO</strong> –<br />

Handlungsanleitung (V. Abati)<br />

6.3.1 Grundbedingungen – Handlungsanleitung Teil 1<br />

Wenn eine Gemeinde, eine Institution oder ein/e andere/r AkteurIn im Bereich Alter oder Migration/<br />

<strong>Integration</strong> das Modell <strong>MIGRALTO</strong> für das Einführen und Umsetzen von Partizipationsprozessen mit<br />

älteren MigrantInnen nutzen möchte, gilt es vor dem eigentlichen Projekt einige Grundbedingungen zu<br />

überprüfen.<br />

Je nach bestehenden Vorgaben oder Voraussetzungen in Bezug auf die Grundbedingungen, wird sich<br />

das auf das Gesamtkonzept oder auf einzelne Massnahmen resp. Umsetzungsschritte auswirken. Es<br />

kann zu Einschränkungen oder möglichen Entscheidungs- und Umsetzungsschwierigkeiten kommen,<br />

deren frühzeitige Erkenntnis manche Frustration oder manchen Rückschlag vermeiden oder<br />

zumindest abfedern könnte. Es lohnt sich deshalb, zu Beginn einige Zeit in die Klärung dieser<br />

Vorgaben und Voraussetzungen zu investieren. Hier werden die wichtigsten Grundbedingungen im<br />

Sinne einer Handlungsanleitung für EntscheidungsträgerInnen oder ProjektleiterInnen kurz skizziert.<br />

Politische Grundbedingungen<br />

� Es braucht ein Bewusstsein und Verständnis bei den politischen EntscheidungsträgerInnen<br />

bezüglich Notwendigkeit oder zumindest bezüglich Nutzen der Partizipation von älteren<br />

MigrantInnen im Sinne aktiver Bürgerschaft (vergleiche dazu auch Kapitel 6.2, Punkt a.).<br />

� Wenn ein solches (noch) nicht vorhanden ist, ist es wichtig, dass die ProjektleiterInnen für<br />

die Umsetzung des Modells <strong>MIGRALTO</strong> auf politischer Ebene den Bedarf und Nutzen der<br />

Partizipation älterer MigrantInnen aufzeigen. Es ist von Vorteil, wenn man politische<br />

Schlüsselpersonen einbezieht, die sich dafür stark machen.<br />

� Es braucht eine definierte Alterspolitik, die Migrationsbevölkerung und im Speziellen die<br />

älteren MigrantInnen explizit einschliesst.<br />

� Ist eine solche (noch) nicht vorhanden, ist es sinnvoll, eine solche in der eigenen<br />

Gemeinde anzuregen. Für die Umsetzung des Modells <strong>MIGRALTO</strong> ohne bestehende<br />

Vorgaben zur Alterspolitik ist es von Nutzen, vorgängig die wissenschaftlichen Grundlagen zur<br />

Partizipation älterer MigrantInnen zusammenzustellen, damit man bei Bedarf ein<br />

164


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Legitimationsargumentarium zur Hand hat.<br />

� Optimal ist eine politisch geforderte Interdisziplinarität der eigenen AkteurInnen bei der<br />

Umsetzung des Modells <strong>MIGRALTO</strong>. Die Vernetzung der AkteurInnen aus dem Bereich Alter<br />

sowie aus dem Bereich Migration/<strong>Integration</strong> fördert und sichert die Synergien und die<br />

Nachhaltigkeit des Projektes und führt zu einem gegenseitigen fachlichen Kompetenz-<br />

zuwachs. Ausserdem hilft die Vernetzung mögliche Doppelspurigkeiten zu verhindern, die<br />

Ressourcen besser auszuschöpfen und den Zugang zu Regelstrukturen auf verschiedenen<br />

Ebenen zu verbessern.<br />

� Wird die Interdisziplinarität nicht politisch gefordert oder vorgegeben, sollte sie auf jeden<br />

Fall von den ProjektleiterInnen initiiert und konsequent umgesetzt werden (siehe auch Punkt<br />

AkteurInnen unten).<br />

� Damit die Unterstützung für die Umsetzung des Modells von politischer Seite her kein<br />

Lippenbekenntnis ist resp. bleibt, muss das zur Verfügung Stellen von Mitteln und Ressourcen<br />

geklärt und zugesichert sein.<br />

� Dieser Punkt sollte von den Verantwortlichen für die Umsetzung von <strong>MIGRALTO</strong> unbedingt<br />

vorgängig geklärt werden (siehe hierzu auch Entscheidungs- und Handlungsgrundlagen<br />

unten).<br />

AkteurInnen<br />

� Die möglichen InitiantInnen für das Projekt <strong>MIGRALTO</strong> müssen vor der eigentlich inhaltlichen<br />

Diskussion den „politischen Boden“ ebnen. Dazu gehört in erster Linie das Klären der unter<br />

„Politische Grundbedingungen“ beschriebenen Punkte.<br />

� Zusammensetzung des Projektteams: Hier muss einerseits die Interdisziplinarität von<br />

Fachleuten aus dem Bereich Alter und dem Bereich Migration/<strong>Integration</strong> sicher gestellt sein.<br />

Andererseits müssen bereits in dieser Vorphase AkteurInnen auf der Seite der<br />

Migrationsorganisationen und auch MigrantInnen selbst als feste Mitglieder ins Projektteam<br />

involviert werden, um dem Anspruch der Partizipation im Sinne aktiver Bürgerschaft gerecht<br />

zu werden. Die gilt auch für die Projektleitung, die entsprechend als Co-Leitung zu besetzen<br />

ist.<br />

Entscheidungs- und Handlungsgrundlagen<br />

� Bei den Entscheidungs- und Handlungsgrundlagen benötigt es Folgendes:<br />

- (Selbst) Definieren oder Einfordern einer klaren politischen Zielvorgabe<br />

- Klar definierter Projektauftrag von den politischen Instanzen<br />

- Definition und Übertragen von Verantwortungs- und Entscheidungskompetenz<br />

- verbindliche Zusage für Mittel und Ressourcen (siehe unten)<br />

- Klare Projektbeschreibung und –planung (siehe unten)<br />

� Entscheidungs- und Handlungsgrundlagen innerhalb des Projektes selbst (Themenwahl,<br />

165


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

inhaltliche Ausgestaltung, Form und Ablauf, etc.) werden gemeinsam im Projektteam (siehe<br />

oben) und mit VertreterInnen der betroffenen Zielgruppe ausgehandelt. Dies ist eine<br />

zwingende Voraussetzung für die gelingende und glaubwürdige Partizipation älterer<br />

MigranInnen als Teil der Zivilgesellschaft. Erst das Einhalten dieses Punktes legitimiert<br />

<strong>MIGRALTO</strong> als das Modell der partizipativen Bürgerschaft älterer MigrantInnen.<br />

Mittel und Ressourcen<br />

� Partizipationsprozesse benötigen Ressourcen. Zum Beispiel personeller Aufwand auf Seite<br />

der staatlichen und nicht-staatlichen AkteurInnen, auf Seite der VerterterInnen von<br />

Migrantenorganisationen und auf Seite der mitagierenden MigrantInnen selbst. Auch wenn die<br />

staatlichen und nicht-staatlichen AkteurInnen meist im Rahmen ihrer Arbeit oder ihres<br />

Auftrages bezahlt sind, ist dies wahrscheinlich bei den VertreterInnen der<br />

Migrantenorganisationen eher nicht, bei den MigrantInnen selbst mit Sicherheit nicht der Fall.<br />

� Es gilt zu klären, wie und in welcher Form der Einsatz und das Engagement der Migran-<br />

tenorganisationen und der MigrantInnen wert geschätzt werden kann und muss. Hier darf<br />

nicht vergessen werden, dass MigrantInnen (und deren Organisationen) nicht um Partizipation<br />

im Sinne der aktiven Bürgerschaft gebeten haben, sondern dass sie von ihrer Gemeinde oder<br />

von Schweizer Institutionen dazu eingeladen werden. Ihren Anteil an Einsatz und<br />

Engagement einfach selbstredend unter dem Label der unentgoltenen Freiwilligenarbeit<br />

abzuhaken, wäre einerseits nicht fair und könnte verständlicherweise zu einem<br />

Motivationsverlust führen. Im Sinne eines Anreizes, vor allem aber als adäquate Anerkennung<br />

gilt es unbedingt, den Einsatz der Partizipierenden in Zukunft monetär oder auf andere Weise<br />

zu „vergüten“. Dies muss in einem Budget für Projekte aktiver Bürgerschaft mit älteren<br />

MigrantInnen jeweils eingeplant werden.<br />

� Im Rahmen des Konzeptes zum Projekt <strong>MIGRALTO</strong> müssen benötigte Mittel und Ressourcen<br />

vorgängig geplant und kalkuliert werden. Siehe hierzu den Punkt Vorgehen unten.<br />

Definition von Partizipation<br />

� Eine wichtige Grundvoraussetzung für das Gelingen des Projektes <strong>MIGRALTO</strong> ist die klare<br />

Definition des Begriffes „Partizipation“, wie sie im Modell vertreten wird. Da es sich<br />

mehrheitlich um eine noch ungewohnte Definition handelt, kann sie rasch zu<br />

Missverständnissen, Unklarheiten und falscher Anwendung der dem Modell <strong>MIGRALTO</strong><br />

zugrunde liegenden Partizipationsprinzipien führen.<br />

� Es ist sicherzustellen, dass der hier zugrunde liegende Begriff Partizipation im Sinne<br />

aktiver Bürgerschaft auf der Seite der staatlichen und nicht-staatlichen AkteurInnen eindeutig<br />

verstanden, vertreten und angewendet wird. Dies ist zentral, da sich sonst ein Abgleiten in das<br />

Muster der Partizipation im Sinne von teilnehmender, konsumierender Partizipation<br />

schleichend vollziehen könnte, was das eigentliche Ziel der Partizipation als aktive<br />

Bürgerschaft verfehlen würde.<br />

166


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

� Genauso zentral ist es, zu Beginn des Projektes die Definition von Partizipation, wie sie in<br />

Vorgehen<br />

dieser Arbeit eingeführt wurde, den VertreterInnen der Migrantenorganisationen und den<br />

älteren MigrantInnen im Sinne der Kompetenz-Erweiterung (siehe unten Modell, Punkt 4)<br />

vorzustellen und sie als handlungsweisendes Prinzip einzuführen.<br />

� Neben den in „Handlungsanleitung Teil 1“ beschriebenen Grundbedingungen und den in<br />

„Handlungsanleitung Teil 2“ vorgestellten, konkreten Handlungsschritten, ist für die<br />

Umsetzung des Modells <strong>MIGRALTO</strong> in der Praxis ein strukturiertes Vorgehen im Sinne der<br />

klassischen Projektorganisation unerlässlich. Es wird deshalb empfohlen, das gesamte<br />

Projekt in folgenden Schritten anzugehen:<br />

- Definition Projektrahmen<br />

- Definition Projektziele<br />

- Ressourcen- und Budget-Kalkulation<br />

- Projektplanung<br />

- Projekt-Controlling<br />

� Die in „Handlungsanleitung Teil 2 beschriebenen Massnahmen (siehe unten) beziehen sich<br />

auf die konkrete Umsetzung des Modells <strong>MIGRALTO</strong> unter Berücksichtigung der<br />

Erkenntnisse aus dieser Forschungsarbeit.<br />

6.3.2 Die Massnahmen innerhalb der Modell-Komponenten –<br />

Handlungsanleitung Teil 2<br />

Im Teil 2 Handlungsanleitung werden in knapper Form<br />

und anhand von Stichworten die konkreten<br />

Vorgehensschritte bei der Anwendung des Modells<br />

<strong>MIGRALTO</strong> aufgezeigt.<br />

Die Massnahmen oder Vorgehensschritte sind nach den<br />

unterschiedlichen Perspektiven der einzubeziehenden<br />

AkteurInnen in die Felder 1 bis 5 unterteilt. Dies erlaubt<br />

dem/r interessierten LeserIn ein perspektivenbezogenes<br />

Nachschlagen und den interessierten AkteurInnen eine<br />

klare Unterscheidung der Massnahmen nach dem<br />

Zuordnungsprinzip der jeweiligen AkteurInnen-<br />

Perspektive.<br />

Vorgängig werden die grundlegenden oder zwingenden Erstschritte und Massnahmen in<br />

chronologischer Abfolge aufgeführt und erläutert. Diese chronologische Auflistung zeigt damit die<br />

Prioritäten der zeitlichen Reihenfolge, die es nacheinander umzusetzen gilt. In der rechten Spalte<br />

167<br />

Gemeinde / Region / Staat<br />

Gemeinde / Region / Staat<br />

�<br />

�<br />

�<br />

Information / /<br />

Kommunikation<br />

Kompetenzerweiterung<br />

Partizipation<br />

� �<br />

Zielgruppe / Bevölkerung<br />

Zielgruppe / Bevölkerung


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

erscheinen die in einem Kreis dargestellten Ziffern 1 bis 5, damit die Schritte dem jeweiligen Feld<br />

zugeordnet werden können. Die aufgeführte Feldziffer zeigt an, wer für diesen Schritt verantwortlich<br />

ist oder wer dafür die Initiative ergreifen muss.<br />

Nach der chronologischen Vorgehenstabelle folgen pro Feld 1 -5 weitere Massnahmen, die bedarfs-<br />

oder projektbezogen ermittelt werden müssen und jene, die es je nach Zielsetzung zu definieren und<br />

umzusetzen gilt.<br />

Es können somit je nach Thema, Aktivität oder Projekt Kombinationen von Schritten und Massnahmen<br />

festgelegt werden. Zuerst sind jeweils die in der chronologischen Tabelle aufgeführten Massnahmen<br />

zu wählen und anschliessend die bedarfs- und projektbezogenen, die in die Gesamtplanung<br />

miteinbezogen werden.<br />

Choronologische Auflistung der Schritte/Massnahmen bei der Umsetzung und Anwendung des<br />

Modells <strong>MIGRALTO</strong> mit Zuordnung zum entsprechenden Feld (1-5)<br />

Reihenfolge<br />

Schritt<br />

1 Klären der Grundbedingungen<br />

(siehe Handlungsanleitung Teil 1 oben)<br />

2 Lancierung von Partizipation im lokalen Kontext: Die<br />

Gemeinde setzt sich zunächst ins Bild über die<br />

soziodemografischen Fakten zu „ihrer<br />

Migrationsbevölkerung“. Wer sind die älteren MigrantInnen<br />

auf dem Gemeindeterritorium? Welche Gruppen gibt es?<br />

Sind sie in eigenen Strukturen organisiert? etc. Nach<br />

Aneignung dieser Kenntnisse geht die Gemeinde auf die<br />

MigrantInnen zu und lädt sie aktiv zum Partizipationsprojekt<br />

ein. Umgekehrt ist sie offen und steht mit einer klar<br />

kommunizierten Anlaufstelle/-person (mit eigenem<br />

Migrationshintergrund) für allfällige Partizipationsinitiativen<br />

älterer MigrantInnen niederschwellig zur Verfügung.<br />

3 Suche und Vernetzung von ProjektpartnerInnen auf der<br />

staatlichen und/oder nicht-staatlichen schweizerischen<br />

Ebene:<br />

Welche Fach- oder anderen Stellen und AkteurInnen sind<br />

an diesem Projekt interessiert, können einen wichtigen<br />

Beitrag leisten (z.B. Türöffner bei Migrantengruppen oder<br />

Fachwissen, etc.) oder können das Projekt durch ihre<br />

Teilnahme erfolgreicher machen?<br />

4 Suche und Einbezug von Schlüsselpersonen und /<br />

oder MultiplikatorInnen der für das Projekt vorgesehenen<br />

Migrantengruppe:<br />

Wer möchte sich einbringen? Wer ist geeignet, um einen<br />

möglichst grossen Kreis der eigenen Migrantengruppe zu<br />

repräsentieren? Welche Rolle und Eigenschaften muss<br />

er/sie haben, um in der eigenen Gruppe möglichst breit<br />

168<br />

AkteurInnen<br />

InitiantInnen �<br />

Felderzuordnung<br />

InitiantInnen �.�<br />

Beauftragte<br />

Fachpersonen<br />

AkteurInnen<br />

Beauftragte<br />

Fachpersonen und<br />

Kontaktpersonen zur<br />

Zielgruppe<br />

�<br />

� �<br />


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

akzeptiert zu werden? Sind Kriterien wie Gender und<br />

Diversität auch bei der Wahl der RepräsentantInnen der<br />

Migrantengruppe definiert und berücksichtigt?<br />

5 Gründung einer Arbeitsgruppe Partizipation:<br />

Die Gruppe konstituiert sich selbst und bestimmt eigene<br />

Spielregeln der Zusammenarbeit wie Rollen- und<br />

Aufgabenteilung, Verantwortungsbereiche, Strukturen, etc.<br />

6 Rahmen und Inhalt des Projektes: Gemeinsame,<br />

gleichberechtigte Aushandlung über folgende Themen:<br />

- Definition der Zielgruppe für das oder die Projekte<br />

- Definition und sorgfältige Ausarbeitung der Wege für eine<br />

möglichst breites Erreichen der Zielgruppe<br />

- Information zum Projekt vorbereiten und Informations-<br />

kanäle definieren und vorbereiten<br />

7 Kontaktaufnahme zur spezifischen Migrantengruppe:<br />

In Sprache und Form an die Zielgruppe angepasste<br />

Informationsveranstaltungen planen und durchführen. Die<br />

Zusammenkünfte sollen bereits nach den Prinzipien von<br />

Ressourcen-Aktivierung und partizipativem Vorgehen<br />

gestaltet sein.<br />

8 Initiierung und Kick-off des Projektes oder der<br />

Aktivitäten mit den dafür gewonnen MigrantInnen:<br />

- Geeignete Einführungsveranstaltung partizipativ<br />

definieren,<br />

gestalten und durchführen.<br />

- Aushandlungsprozess über die Definition von<br />

Partizipation<br />

9 Das eigene Alter als Thema:<br />

Gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Thema Alter<br />

und den damit verbundenen Vorstellungen, Ressourcen,<br />

Kompetenzen,. Bedürfnissen, Ängsten, Erwartungen,<br />

Potenzialen und Forderungen<br />

10 Handlungsbedarf und Themen:<br />

Aushandlungsprozess über die gewünschten Themen, die<br />

partizipativ erarbeitet oder angegangen werden sollen<br />

- gemeinsames Erheben von Bedürfnissen und von<br />

Interessengebieten und Erkennen von gemeinsamer<br />

Themen- oder Territorialbetroffenheit<br />

- partizipatives Erarbeiten des Projektplanes<br />

11 Rahmenbedingungen und Strukturen:<br />

Gemeinsames Erarbeiten und Festlegen der<br />

Rahmenbedingungen, Strukturen und Arbeitsweise für das<br />

Partizipationsprojekt<br />

12 Kennen lernen und Vertrauen schaffen:<br />

Sich gegenseitig Kennen lernen und für einander<br />

interessieren, Beziehungen aufbauen, Einbringen eigener<br />

Ressourcen als gemeinsamer Prozess, gegenseitige<br />

Anerkennung der jeweiligen Kompetenzen und<br />

Erfahrungen, gegenseitige Lernbereitschaft zeigen.<br />

169<br />

Beauftragte<br />

Fachpersonen,<br />

Schlüsselpersonen,<br />

MittlerInnen<br />

Beauftragte<br />

Fachpersonen,<br />

Schlüsselpersonen der<br />

Migrantengruppe<br />

Beauftragte<br />

Fachpersonen,<br />

Schlüsselpersonen der<br />

Migrantengruppe<br />

Beauftragte<br />

Fachpersonen,<br />

Schlüsselpersonen der<br />

Migrantengruppe,<br />

MigrantInnen<br />

Beauftragte<br />

Fachpersonen,<br />

Schlüsselpersonen der<br />

Migrantengruppe,<br />

MigrantInnen<br />

Beauftragte<br />

Fachpersonen,<br />

Schlüsselpersonen der<br />

Migrantengruppe,<br />

MigrantInnen<br />

Beauftragte<br />

Fachpersonen,<br />

Schlüsselpersonen der<br />

Migrantengruppe,<br />

MigrantInnen<br />

Beauftragte<br />

Fachpersonen,<br />

Schlüsselpersonen der<br />

Migrantengruppe,<br />

MigrantInnen<br />

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13 Durchführung des Projektes: Beauftragte � �


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Den gemeinsam erarbeiteten Projektplan in die Realität<br />

umsetzen. Entscheidungen gemeinsam treffen,<br />

Meilensteine setzen, Zwischenziele evaluieren. Sich<br />

gegenseitig Feedbacken und Coachen. Gemeinsames<br />

Lernen. Kreative Projektdokumentation einführen, die nicht<br />

von schriftlichen und sprachlichen Kompetenzen abhängt.<br />

Bei allen Gestaltungsaspekten des Projekts<br />

berücksichtigen, dass ältere MigrantInnen der ersten<br />

Einwanderungsgeneration häufig bildungsfern sind und es<br />

daher angepasste Formen und Mittel braucht.<br />

14 Evaluation und Würdigung:<br />

Vor Abschluss des Projektes Evaluationsvorgehen<br />

definieren und anschliessend Evaluation durchführen. Den<br />

Einsatz, das Mittragen (ideell) und die gemeinsamen<br />

Erfolge würdigen und feiern.<br />

15 Nachhaltigkeit und Regelstrukturen:<br />

Das Projekt in eine Regelstruktur überführen. Partizipativ<br />

entscheiden, durch wen und wie es weitergeführt werden<br />

soll. Welche Rahmenbedingungen braucht es dafür (z.B.<br />

weitere Finanzierung oder weiteres Bereitstellen von<br />

Infrastruktur), Regeln der weiteren Zusammenarbeit mit<br />

den staatlichen Akteuren und/oder den Akteuren der<br />

Altersarbeit.<br />

170<br />

Fachpersonen,<br />

Schlüsselpersonen der<br />

Migrantengruppe,<br />

MigrantInnen<br />

Beauftragte<br />

Fachpersonen,<br />

Schlüsselpersonen der<br />

Migrantengruppe,<br />

MigrantInnen<br />

Beauftragte<br />

Fachpersonen,<br />

Schlüsselpersonen der<br />

Migrantengruppe,<br />

MigrantInnen<br />

� �<br />

� �<br />

� �<br />

� �<br />

� �<br />

Auflistung weiterer Schritte/Massnahmen (nach Umsetzung der zwingenden Erstschritte oder<br />

in Kombination dazu) bei der Umsetzung und Anwendung des Modells <strong>MIGRALTO</strong><br />

� Staatliche und Nicht-staatliche AkteurInnen: Gemeinde / Region / Staat / AnbieterInnen<br />

Schritt / Thema Beschreibung AkteurInnen<br />

Kontrolle<br />

Partizipationsprinzip<br />

Regelmässige Überprüfung über die Einhaltung<br />

der gemeinsam definierten partizipativen<br />

Prinzipien<br />

Steuerungsmechanismen Steuerungsmöglichkeiten der Partizipation nutzen,<br />

(partizipative) Projekte fördern, d.h. Unterstützung<br />

vom Einbezug älterer MigrantInnen abhängig<br />

machen: Prüfen, dass die Bestrebungen zur<br />

Partizipation älterer MigrantInnen an der<br />

Zivilgesellschaft mit den Leitlinien übereinstimmen<br />

und dass z.B. die politische Unterstützung<br />

gewährleistet ist.<br />

Netze Rückgriff auf bewährte Vereinsstrukturen der<br />

MigrantInnen als festes Arbeitsprinzip:<br />

Die Selbstorganisation der MigrantInnen dadurch<br />

würdigen, dass deren Netzwerke und Strukturen<br />

konsequent und partizipativ einbezogen werden.<br />

Schlüsselstellen In der Gemeinde kompetente Personen mit dem<br />

Projekt betrauen, die entweder einen<br />

entsprechenden Migrationshintergrund,<br />

ProjektleiterInnen und<br />

Einbezug der<br />

Schlüsselpersonen der<br />

Migrantengruppe<br />

EntscheidungsträgerInnen<br />

und AB und ID<br />

ProjektleiterInnen, AB und<br />

ID<br />

Geeignete MitarbeiterInnen<br />

der staatlichen Institutionen<br />

oder ProjektpartnerInnen


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Sprachkenntnisse oder eine sonstige Affinität zur<br />

Zielgruppe haben. Diese Schlüsselpersonen<br />

müssen dafür besorgt sein, dass „die<br />

Migrantenperspektive“ konsequent in die<br />

Überlegungen der staatlichen EntscheidungsträgerInnen<br />

oder AuftraggeberInnen einfliesst.<br />

Lobbying Alle Projektteilnehmenden betreiben bewusst und<br />

gezielt Öffentlichkeitsarbeit, indem sie intern und<br />

extern für das Anliegen einstehen, dafür<br />

sensibilisieren und es bekannt machen.<br />

Gender- und andere<br />

Diversitätsaspekte<br />

Sensibilität und Berücksichtigung von gender- und<br />

anderen Diversitätsaspekten innerhalb der<br />

Zielgruppe:<br />

Weg vom ethnien-zentrierten Teilnehmen hin zum<br />

ressourcen-orientierten Partizipieren.<br />

Das bedingt eine vertiefte Auseinandersetzung mit<br />

der Geschichte der Partizipierenden und eine<br />

konsequente diversitätsgerechte Haltung.<br />

Legende: AB = Altersbeauftragte / ID = <strong>Integration</strong>sdelegierte<br />

� Zielgruppe / Bevölkerung: MigrantInnen und Migrationsorganisationen<br />

171<br />

EntscheidungsträgerInnen,<br />

ProjektleiterInnen und AB<br />

und ID<br />

ProjektleiterInnen<br />

Schritt / Thema Beschreibung AkteurInnen<br />

Zugang Zugang zu eigenen Strukturen (Vereinigungen,<br />

Netzwerke) ermöglichen und begleiten.<br />

Die Zusammenarbeit mit den staatlichen<br />

Akteurinnen muss sorgfältig eingeführt werden.<br />

Beziehungsaufbau mittels der ausgewählten<br />

VertreterInnnen der Zielgruppe aktiv und<br />

niederschwellig gestalten. Das Kennenlernen<br />

fördern und Ängste oder Widerstände abbauen.<br />

Generationenfrage Einbezug von 2. Generation prüfen / begünstigen /<br />

begleiten. Die Zielgruppe selbst entscheidet, ob<br />

und in welcher Form resp. für welche Themen<br />

oder Aktivitäten sie die 2. Generation<br />

miteinbeziehen möchte.<br />

Bei Teilnahme der 2. Generation muss diese<br />

ebenfalls in die Prinzipien der Partizipation<br />

eingeführt werden.<br />

Bereitschaft Bereitschaft, sich auf Partizipations-Prozesse<br />

einzulassen. Diese muss in einem frühen Stadium<br />

des Projektes geprüft werden. Allenfalls müssen<br />

zu Beginn hürdensenkende Aktivitäten<br />

durchgeführt werden. Dazu gehört bspw. auch, die<br />

Gründe für eine fehlende Bereitschaft zu<br />

erkennen, sich damit auseinanderzusetzen, sie zu<br />

akzeptieren oder zu überwinden.<br />

Gender- und andere<br />

Diversitätsaspekte<br />

Sensibilität und Berücksichtigung von gender- und<br />

anderen Diversitätsaspekten innerhalb der<br />

Zielgruppe.<br />

Weg vom ethnien-zentrierten Teilnehmen hin zum<br />

ressourcen-orientierten Partizipieren.<br />

Migranten-VertreterInnen<br />

und MigrantInnen<br />

Migranten-VertreterInnen,<br />

MigrantInnen und<br />

ProjektleiterInnen<br />

Migranten-VertreterInnen<br />

und MigrantInnen<br />

Migranten-VertreterInnen<br />

und ProjektleiterInnen


� Information / Kommunikation<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Das bedingt eine vertiefte Auseinandersetzung mit<br />

der Geschichte der Partizipierenden und eine<br />

konsequente diversitätsgerechte Haltung.<br />

Schritt Beschreibung AkteurInnen<br />

Politische Bedingungen Informieren, wieso Partizipationsbestrebungen<br />

von staatlicher Seite unternommen werden, ohne<br />

dass dies Anrecht auf die verfassungsmässigen<br />

Bürgerrechte bedeuten würde.<br />

� Verständnis schaffen<br />

Information über:<br />

- Stand und Entwicklung von Partizipation<br />

- Stand und Vorhaben bezüglich <strong>Integration</strong><br />

- Bedeutung und Entwicklung von Altersleitbildern<br />

- Bedeutung und Möglichkeiten in Bezug auf<br />

das Vertreten-Sein in Seniorenräten, etc.<br />

Vermittlung Information über die Rechte von MigrantInnen<br />

ausserhalb der politischen Rechte.<br />

Information über und Kennenlernen von<br />

Institutionen im Altersbereich.<br />

Information über Unterstützungs- und<br />

Beratungsmöglichkeiten für behördliche Anliegen<br />

Partizipationswissen Vermitteln von Information über Strukturen und<br />

Möglichkeiten der Partizipation (z.B. über<br />

<strong>MIGRALTO</strong> und weitere Teilhabemöglichkeiten<br />

wie zum Beispiel Quartier- oder Freiwilligenarbeit<br />

Datenbasis Informationen und Entscheidungen basieren auf<br />

lokalen demografischen Daten.<br />

Kommunikationswege<br />

und -kanäle<br />

Für Partizipationsprojekte benötigt es konkrete<br />

Anhaltspunkte und eine informierte Ausgangslage<br />

� Argumentationsbasis für politische<br />

EntscheidungsträgerInnen, aber auch legitimierte<br />

Entscheidungsgrundlage für staatliche<br />

AkteurInnen<br />

Diese müssen sehr sorgfältig eruiert, festgelegt<br />

und gezielt genutzt werden. Eine permanente<br />

Optimierung ist anzustreben. Siehe dazu auch die<br />

Empfehlungen in „Schwer erreichbare<br />

Zielgruppen“ von Soom Ammann und Salis Gross<br />

(2011).<br />

Öffentlichkeitsarbeit Wenn mit <strong>MIGRALTO</strong> oder anderen Projekten mit<br />

ähnlicher Zielsetzung ein neues Verständnis von<br />

Partizipation im Sinne aktiver Bürgerschaft<br />

geschaffen werden soll, braucht es dafür<br />

konsequente Öffentlichkeitsarbeit. Wo kann und<br />

soll über das Projekt informiert werden? Wer sind<br />

wichtige Zielpersonen, die „BotschafterInnen“ für<br />

das Projekt sein können? Bei welchen<br />

Gelegenheiten und an welchen Veranstaltungen<br />

172<br />

ProjektleiterInnen<br />

Fachpersonen<br />

Fachpersonen<br />

EntscheidungsträgerInnen,<br />

ProjektleiterInnen<br />

Bidirektional / gegenseitig<br />

Alle Beteiligten


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

kann und soll das Projekt präsentiert werden?<br />

Austausch / Vernetzung Es soll ein regelmässiger Austausch stattfinden<br />

zwischen Altersbeauftragten,<br />

<strong>Integration</strong>sdelegierten, Fachpersonen aus dem<br />

Altersbereich, Migrantenorganisationen und<br />

MigrantInnen.<br />

Aufsuchendes Prinzip Partizipation bedingt den Perspektivenwechsel:<br />

Eintreten in die und Kennenlernen der<br />

„Lebenswelt“ der Partizipierenden.<br />

� Kompetenzerweiterung<br />

Auch Aktivitäten, Angebote und Dienstleistungen,<br />

die von der Gruppe des Partizipationsprojektes<br />

selbst geplant sind, sollen dem Grundsatz gerecht<br />

werden, Partizipation aufsuchend in den<br />

Strukturen der Zielgruppe zu gestalten.<br />

173<br />

Bidirektional / gegenseitig<br />

Bidirektional / gegenseitig<br />

Schritt / Thema Beschreibung AkteurInnen<br />

Partizipations-Kompetenzen Die gemeinsam erarbeitete Definition von<br />

Partizipation muss erprobt und geübt werden.<br />

Welche konkreten Kompetenzen braucht es für<br />

aktive Bürgerschaft? Über welche verfügen die am<br />

Projekt teilhabenden MigrantInnen bereits? Wie<br />

können sie diese konkret einbringen? Welche<br />

Kompetenzen bringen die VertreterInnen der<br />

Gemeinde mit und wie können sie diese<br />

vermitteln?<br />

Aber auch: Information über Partizipationsstrukturen,<br />

-formen und –möglichkeiten, Zugang<br />

zu Regelstrukturen fördern.<br />

Lernen / Empowerment Partizipation bedeutet lernen und lernen bedeutet<br />

Partizipation.<br />

Welche Kompetenzen können von MigrantInnen<br />

eingebracht werden? Welche möchten sie<br />

erwerben? Wie kann der Lernprozess gestaltet<br />

werden? Was können die Gemeinde und ihre<br />

VertreterInnen umgekehrt von den MigrantInnen<br />

lernen?<br />

Selbstverantwortung Fördern der Selbstverantwortung durch den<br />

gemeinsamen Partizipations-Prozess:<br />

Entscheidungen treffen, Verantwortung<br />

übernehmen, proaktiv sein. Mit welchen Formen<br />

der Partizipation und mit welchen Aktivitäten lässt<br />

sich Selbstverantwortung bei den MigrantInnen<br />

fördern? � partizipativ erarbeiten!<br />

Eigeninitiative Partizipation kann und soll auch von den<br />

MigrantInnen oder von Migrantenorganisationen<br />

ausgehen.<br />

Fördern der Eigeninitiative durch den<br />

gemeinsamen Partizipations-Prozess: Mit welchen<br />

Formen der Partizipation und mit welchen<br />

Aktivitäten oder Entwicklungsprozessen (der<br />

Persönlichkeit) lässt sich Eigeninitiative bei den<br />

Bidirektional / gegenseitig<br />

MigrantInnen und<br />

Schweizer VertreterInnen<br />

MigrantInnen und<br />

Schweizer VertreterInnen<br />

MigrantInnen und<br />

Schweizer VertreterInnen


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

MigrantInnen fördern? � partizipativ erarbeiten!<br />

Biografiearbeit � Biografiearbeit als wichtiger Prozess in der<br />

Partizipationsgestaltung:<br />

Erkennen, Wertschätzen und Einbringen der<br />

(lebensgeschichtlichen) Ressourcen,<br />

Persönlichkeitsentwicklung.<br />

Für die ProjektleiterInnen auf der Seite der<br />

Schweizerischen VertreterInnen ist dies ein<br />

wichtiger Lernschritt, mit dem ein ethnienzentrierter<br />

Ansatz vermieden und dafür ein<br />

ressourcen- und lebensgeschichtlich orientierter<br />

Prozess ermöglicht und gefördert wird.<br />

MultiplikatorInnen Weiterbildung von geeigneten<br />

MultiplikatorInnen für den Einsatz in<br />

Partizipationsprojekten.<br />

Zugang ermöglichen Kennenlernen und Zugang ermöglichen zu<br />

Strukturen und Möglichkeiten für fachlichen oder<br />

persönlichen Kompetenz-Zuwachs. Zum Beispiel:<br />

Welche Weiterbildungsmöglichkeiten stehen den<br />

am Projekt teilhabenden MigrantInnen offen? Wie<br />

lässt sich der Zugang zu bisher „versperrten“<br />

Möglichkeiten öffnen?<br />

Weiterbildung der<br />

Fachpersonen<br />

� Partizipation<br />

Zu welchen Veranstaltungen wäre umgekehrt den<br />

Schweizer VertreterInnen der Zugang zu<br />

ermöglichen?<br />

Weiterbildung der Fachpersonen: Welches<br />

Wissen und welche praxisrelevanten<br />

Kompetenzen brauchen Fachpersonen, die<br />

Partizipationsprojekte durchführen, damit sie<br />

Fehler oder uneffektive Vorgehensweisen<br />

vermeiden? Welche Kompetenzen brauchen sie<br />

im Umgang mit der Zielgruppe?<br />

174<br />

MigrantInnen,<br />

Unterstützung durch<br />

Fachperson und<br />

Projektmitglieder<br />

Schlüsselpersonen der<br />

Zielgruppe<br />

Bidirektional / gegenseitig<br />

Fachpersonen und AB und<br />

ID<br />

Schritt Beschreibung Akteur/Richtung<br />

Vom Moment an, wo die staatlichen AkteurInnen mit den MigrantInnen und VertreterInnen von Migrantenorganisationen<br />

Kontakt aufnehmen oder umgekehrt, werden alle Schritte in einem gemeinsamen<br />

Aushandlungsprozess definiert, angegangen und umgesetzt.<br />

Prinzipien:<br />

Partizipation IST <strong>Integration</strong> – <strong>Integration</strong> IST Partizipation<br />

Partizipation ist Lernen – Lernen ist Partizipation<br />

Partizipation bedeutet Aushandlung unterschiedlicher Perspektiven<br />

Partizipation heisst Teilnahmebereitschaft und Teilnahmeermöglichung zugleich<br />

Partizipation erfordert Chancengleichheit<br />

Partizipation fördert die gegenseitige Wahrnehmung und baut Vorurteile ab<br />

Partizipation vermag ethnische Grenzen zu überwinden und gemeinsame Interessen und Betroffenheit zu<br />

erkennen<br />

PARTIZIPATION IST PARTNERSCHAFT – PARTNERSCHAFT IST PARTIZIPATION


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Die Auflistung der Massnahmen resp. Vorgehensschritte erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.<br />

Ausserdem wird deren Anwendung und Umsetzung in der Praxis zu überprüfen und allenfalls<br />

anzupassen und zu ergänzen sein.<br />

Eine detaillierte Beschreibung und Darstellung des hier aufgeführten Vorgehens und der einzelnen<br />

Schritte wird im Sinne eines weiteren Zieles realisiert werden: Erstellen eines Leitfadens zu Handen<br />

von EntscheidungsträgerInnen und ProjektleiterInnen in Gemeinden für die konkrete Umsetzung des<br />

Modells <strong>MIGRALTO</strong> im lokalen Kontext (vgl. Kapitel 6.4).<br />

6.4 Das Modell <strong>MIGRALTO</strong>:<br />

Einsatz in der Praxis und Weiterentwicklung (V. Abati)<br />

Die Entwicklung eines Modells für die Partizipation älterer MigrantInnen auf Gemeindeebene– hier<br />

aufgrund empirischer Daten aus der Befragung der VertreterInnen von Schweizer Institutionen und<br />

von italienischen VertreterInnen aus Migrantenorganisationen und MigrantInnen selbst – ist der erste<br />

Schritt, bevor das Modell selbst in die Umsetzungsphase überführt und in der Praxis implementiert<br />

werden kann.<br />

Die vorliegende Masterarbeit schliesst den Schritt der Modellentwicklung ab im Wissen, dass die<br />

Bewährungsprobe in der Praxis ein nächster wichtiger Schritt ist. Das Modell wurde mit dem Ziel<br />

entwickelt, es anschliessend in einem kommunalen Kontext einzuführen und erste Erfahrungen damit<br />

zu sammeln. Dass es dabei zu neuen Erkenntnissen und zu Anpassungen des noch unerprobten<br />

Modells kommen wird, liegt in der Natur der Sache. Neben der angedachten Umsetzung sind noch<br />

weitere Aktivitäten vorgesehen, die hier kurz skizziert werden.<br />

Umsetzung von <strong>MIGRALTO</strong> in der Stadt Bern<br />

Das Alters- und Versicherungsamt (AVA) der Stadt Bern war bereits für die Analysephase der<br />

Forschungsarbeit Partnerin. Bei einer allfälligen Umsetzung des Modells <strong>MIGRALTO</strong> innerhalb eines<br />

Quartiers der Stadt Bern wird noch zu klären sein, wie eine eventuelle Zusammenarbeit zwischen<br />

Stadt als Auftraggeberin und Autorinnen zu gestalten wäre.<br />

<strong>MIGRALTO</strong> als Grundlage für die Alterspolitik<br />

Neben seiner Anwendung im Praxiskontext im Sinne eines Projektes auf kommunaler und lokaler<br />

Ebene, kann es als Grundlage für eine Alterspolitik und -arbeit, die der wachsenden Heterogenität der<br />

Altersbevölkerung Rechnung trägt und diese repräsentiert, genutzt werden.<br />

<strong>MIGRALTO</strong> als Grundlage für Fachpersonen und ExpertInnen<br />

Die erarbeiteten Grundlagen und das entwickelte Modell bieten einen Nutzen für Fachpersonen und<br />

ExpertInnen in der Altersarbeit, sei dies in der Verwaltung, wie für Gemeindemitarbeitende, die<br />

Themen der Alterspolitik bearbeiten und Massnahmen oder Projekte in diesem Bereich durchführen,<br />

sei dies für AkteurInnen in der Altersarbeit selbst, die Massnahmen für und mit älteren MigrantInnen<br />

175


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

durchführen möchten, aber auch für die Altersbeauftragten und die <strong>Integration</strong>sdelegierten, die ihre<br />

Kompetenzen im sich überschneidenden Themenbereich der älteren MigrantInnen erweitern und sich<br />

für zukünftige Projekte vernetzen möchten.<br />

Öffentlichkeitsarbeit<br />

Mit den Ergebnissen soll Öffentlichkeitsarbeit in verschiedener Form gemacht werden. Die Master-<br />

arbeit wird gezielt in Fachkreisen bekannt gemacht und es wird darauf hingewiesen, dass die<br />

Autorinnen bereit sind, die Arbeit und das Modell in Form einer Präsentation oder von Vorträgen bei<br />

internen Gremien oder bei öffentlichen Anlässen vorzustellen. An verschiedenen Veranstaltungen mit<br />

AkteurInnen aus den Bereichen Alter und Migration/<strong>Integration</strong> soll auf das Modell <strong>MIGRALTO</strong><br />

aufmerksam gemacht werden (siehe unten Broschüre) und nach einem erfolgreich durchgeführten<br />

Pilotprojekt soll die Durchführung einer nationalen oder regionalen Tagung ins Auge gefasst werden.<br />

Broschüre und Handbuch <strong>MIGRALTO</strong><br />

Um das Modell bekannt zu machen und Öffentlichkeitsarbeit betreiben zu können, ist die Erarbeitung<br />

einer kurzen Informationsbroschüre vorgesehen, die auf den Grundlagen der vorliegenden Master-<br />

arbeit basiert und die den Fachpersonen und ExpertInnen zur Verfügung gestellt werden soll. Später –<br />

im Sinne eines Folgeprojektes mit noch nicht geklärtem/r TrägerIn und Finanzierung – ist die<br />

Erarbeitung eines Handbuches vorgesehen. Das Handbuch wird zwei Teile beinhalten. Teil 1 ist ein<br />

praxisorientierter Leitfaden, welcher die Umsetzung des Modells <strong>MIGRALTO</strong> in einem kommunalen<br />

Kontext anleiten und unterstützen soll (siehe Kapitel 6.2). Teil 2 sieht ein Schulungsmodul vor. Siehe<br />

dazu den nächsten Abschnitt.<br />

Schulungsmodul <strong>MIGRALTO</strong><br />

Im Teil 2 des oben erwähnten Handbuches ist ein Schulungsmodul für Fachpersonen aus dem Alters-<br />

und <strong>Integration</strong>sbereich vorgesehen. Das Modul soll die Teilnehmenden auf die Einführung eines<br />

Projektes zur aktiven Partizipation von älteren MigrantInnen in der Gemeinde oder im Quartier<br />

vorbereiten und ihnen die Kenntnisse und die Vorgehensweise für die Umsetzung von <strong>MIGRALTO</strong><br />

liefern. Dabei soll das Modul so gestaltet und durchgeführt werden, dass das Gelernte im Sinne eines<br />

Multiplikationseffektes unter Fachpersonen weitergegeben werden kann.<br />

Zu einem späteren Zeitpunkt werden für die Weiterentwicklung und die Verbesserung des Modells<br />

<strong>MIGRALTO</strong> ausserdem weitere Schritte nötig sein:<br />

- Qualitätsmanagement: Heute verlangen richtigerweise auch Verwaltung, NGO‟s und NPO‟s<br />

vermehrt einen Qualitätsnachweis für Massnahmen und Projekte, die sie durchführen. Für das<br />

Modell <strong>MIGRALTO</strong> müssen Kriterien und Indikatoren gemäss Qualitätsmanagements definiert und<br />

getestet werden, um der Forderung der Qualitätsprüfung und –sicherung zu genügen.<br />

- Evaluation und Nachhaltigkeit: Nach der Durchführung eines Pilotprojektes müsste das Modell<br />

und die umgesetzten Massnahmen einer wissenschaftlichen Evaluation unterzogen werden, um<br />

der bereits erwähnten Forderung nach Qualität zu entsprechen und um im wissenschaftlichen<br />

Diskurs bestehen zu können. Durch eine Projektevaluation wäre die Grundlage für eine nach-<br />

176


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

haltige Einführung in regionalem oder vielleicht sogar nationalem Rahmen geschaffen. Nach-<br />

haltigkeit wird ja nicht nur als Qualitätskriterium für ein Modell gefordert, sondern ist in vielen<br />

Fällen Voraussetzung für eine finanzielle Unterstützung durch politische EntscheidungsträgerInnen.<br />

6.5 Reflexion zum Arbeitsprozess (Kritik) (H. Hungerbühler und V. Abati)<br />

In diesem Kapitel reflektieren die Autorinnen abschliessend den Arbeitsprozess zur Entstehung der<br />

vorliegenden Masterarbeit mit Fokus auf mögliche Kritikpunkte.<br />

Zu den Zielgruppen der Erhebung<br />

� Ausschluss Zielgruppe Schweizer Bevölkerung: Die Zielgruppe ältere SchweizerInnen wurde nicht<br />

analog zu den älteren MigrantInnen in die Erhebung einbezogen. Grund dafür ist das<br />

Erkenntnisinteresse der Autorinnen, die den Fokus explizit auf den staatlichen <strong>Integration</strong>sauftrag<br />

gegenüber der Zielgruppe ‚ältere MigrantInnen„ richteten. Als Ausgangspunkt dieser Masterarbeit<br />

diente denn auch die Ausschreibung des Modellvorhabens der Eidgenössischen Kommission für<br />

Migrationsfragen EKM zum Thema „Aktive Bürgerschaft von MigrantInnen, Citoyenneté“ (vgl.<br />

Kapitel 1), die ausschliesslich die ältere Migrationsbevölkerung als Zielgruppe vorsieht.<br />

Die Autorinnen vermuten jedoch, dass sich einige der Befunde zu Partizipationsprozessen auch<br />

auf vergleichbare Segmente der älteren Schweizer Bevölkerung übertragen liessen. Im Weiteren<br />

vertreten sie die Ansicht, dass eine staatliche <strong>Integration</strong>spolitik nicht nur eine gesonderte<br />

Zielgruppe wie die MigrantInnen, sondern sämtliche Bevölkerungsgruppen - auch die<br />

SchweizerInnen - ansprechen und in die Pflicht nehmen sollte. Entsprechend interessant wäre<br />

eine Forschung, die sich diesem Thema annehmen würde.<br />

� Definition Zielgruppe „ältere italienische MigrantInnen“: Die Definition der Zielgruppe „Ältere<br />

MigrantInnen = Personen ab Pensionierung 62/65+“ ist zu generell gehalten und steht im<br />

Gegensatz zum mehrmaligen Hinweis der Autorinnen zur inneren Heterogenität/Diversität dieser<br />

Zielgruppe. Auf diese von den schriftlich befragten GemeindevertreterInnen geäusserte Kritik<br />

wurde bereits in Kapitel 5.2.1 eingegangen. Sie wird hier nochmals zusammengefasst: Die<br />

Autorinnen haben sich in dieser Arbeit bewusst auf die italienischen ArbeitsmigrantInnen<br />

konzentriert, die nach dem zweiten Weltkrieg in die Schweiz eingewandert sind. Es ist diese<br />

Gruppe, die den grössten Anteil der heute bereits pensionierten MigrantInnen ausmacht, die<br />

schon am längsten in der Schweiz lebt und entsprechend über die grösste Erfahrung mit<br />

<strong>Integration</strong>/Partizipation und Selbstorganisation verfügt. Somit handelt es sich auch um diejenige<br />

Zielgruppe, von der sich die Autorinnen den grössten Erkenntnisgewinn versprachen.<br />

� Kriterium Ethnizität: Als Fortführung des oben Gesagten, kann angefügt werden, dass für einen<br />

umfassenderen Erkenntnisgewinn die ältere Migrationsbevölkerung idealerweise in ihrer ganzen<br />

Diversität untersucht werden müsste. Der vorgegebene und begrenzte Umfang einer Masterarbeit<br />

setzt jedoch auch inhaltliche Grenzen. Der Aufwand einer mehrsprachigen qualitativen<br />

Untersuchung wäre sehr hoch und im vorgegebenen Zeitrahmen kaum zu bewältigen. Zudem<br />

177


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

gingen die Autorinnen bereits in ihrer Untersuchungsanlage von der Vermutung aus, dass die<br />

Ethnizität der älteren MigrantInnen für die Entwicklung eines Modells <strong>MIGRALTO</strong> und für die<br />

gemeinsame Partizipation mit dieser Zielgruppe zwar berücksichtigt werden muss, jedoch nicht im<br />

Vordergrund stehen soll. Diese Annahme bestätigte sich im Verlaufe der Arbeit deutlich und<br />

mehrfach.<br />

Zur Methodik<br />

Vorweg gilt es, Folgendes zu beachten: Die Masterarbeit wurde als explorative Untersuchung<br />

konzipiert, in der keine Erstellung und Überprüfung von wissenschaftlichen Hypothesen vorgenommen<br />

wurde.<br />

� Abstimmung Befragungsinstrumente: Die Fragen der schriftlichen Erhebung bei den<br />

GemeindevertreterInnen (Altersbeauftragte und <strong>Integration</strong>sdelegierte) zum einen und der<br />

mündlichen Erhebung bei den älteren MigrantInnen zum andern hätten noch besser aufeinander<br />

abgestimmt werden können, um eine direktere Vergleichbarkeit zu erzielen. Es ist aber auch<br />

darauf hinzuweisen, dass die beiden Gruppen nicht auf derselben Ebene angesiedelt sind:<br />

Während es sich bei der ersten Gruppe um VertreterInnen des Staates handelt, sind es bei der<br />

zweiten Gruppe Individuen der Zivilgesellschaft. Beide haben aufgrund ihrer Rolle unterschied-<br />

liche Perspektiven auf Partizipation, die auch mit unterschiedlichen Fragen zu erheben sind.<br />

Selbstkritisch muss jedoch festgehalten werden, dass der Prozess der Fragenerarbeitung mehr<br />

Zeit gebraucht hätte, um eine höhere methodische Kongruenz zwischen den einzelnen<br />

Erhebungsteilen zu erreichen.<br />

� Unterschiedliche Ebenen der Befragten: Die Zielgruppen der schriftlichen Befragung sind auf zwei<br />

verschiedenen Ebenen der staatlichen Alters- und <strong>Integration</strong>spolitik/-arbeit angesiedelt: auf der<br />

kommunalen und der kantonalen. Das ist darauf zurückzuführen, dass die <strong>Integration</strong>sdelegierten<br />

über die Adressen der in der KID, der Konferenz der kantonalen und kommunalen <strong>Integration</strong>s-<br />

delegierten der Schweiz zusammengeschlossenen Fachpersonen, angeschrieben wurden. Somit<br />

waren in dieser Gruppe, im Unterschied zu den kommunalen Altersbeauftragten, auch<br />

RepräsentantInnen der kantonalen Ebene vertreten. Bei der Auswertung der Antworten wurde<br />

dann jedoch nicht nach kantonaler und kommunaler Ebene unterschieden. Dieses Vorgehen<br />

erscheint den Autorinnen gerechtfertigt, da sie bezüglich der zwei verschiedenen<br />

Repräsentationsebenen keine Annahmen trafen. Vielmehr versprachen sie sich vom Einbezug der<br />

kantonalen Ebene (ein Teil der <strong>Integration</strong>sdelegierten) einen Mehrwert für den Erkenntnisgewinn,<br />

der nachweislich auch generiert werden konnte (vgl. Kapitel 5.2.2 Telefonische Nachbefragung).<br />

� Komplexität Frageinstrument: Der Fragebogen der schriftlichen Erhebung ist sehr umfassend und<br />

komplex. Er hätte noch gekürzt werden können. Das gewählte Vorgehen führte zu einer grossen<br />

Datenmenge, die im Rahmen des begrenzten Umfangs der Masterarbeit nur nach absoluten<br />

Häufigkeiten (N) und prozentualer Verteilung der Antworten ausgewertet wurde. Auf das Auswei-<br />

sen von Korrelationen wurde verzichtet, da die teilweise geringe Anzahl (N) der Antworten<br />

178


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

tendenziell zu Scheinkorrelationen geführt hätte. Korrelationen wären in diesem Zusammenhang<br />

auch nur dann interessant gewesen, wenn sich Kausalitäten hätten aufzeigen lassen.<br />

� Ungeprüfte Annahme: Folgende in Kapitel 3 getroffene Annahme wurde nicht konkret überprüft:<br />

„Ältere MigrantInnen müssen aufgrund ihres Alters und ihres Migrationshintergrunds mit einem<br />

doppelten Benachteiligungs- oder gar Diskriminierungsrisiko rechnen.“ Jedoch auch ohne<br />

Überprüfung der Annahme gelangen die Autorinnen zu folgendem Schluss: Dass ältere<br />

MigrantInnen als „Fremde“ wahrgenommen und als solche auch immer wieder gesellschaftlich<br />

ausgeschlossen werden, hat nicht eigentlich mit ihrer Ethnizität zu tun. Es ist vielmehr das<br />

Resultat eines Zirkelschlusses. Die „Schweizer“ haben die MigrantInnen als Fremde behandelt<br />

und nicht als gleichwertigen Teil der Zivilgesellschaft partizipieren lassen. Dieser Ausschluss hat<br />

zum Rückzug der MigrantInnen in die eigenen Strukturen und Organisationen geführt, was bei der<br />

Schweizer Bevölkerung dann zur Schlussfolgerung führte, dass ihre Annahme eines<br />

Desinteresses für die Teilnahme an der Schweizer Zivilgesellschaft korrekt war. Dies wiederum<br />

hatte zur Folge, dass bis heute davon ausgegangen wird, dass die MigrantInnen eben auch im<br />

Alter nicht interessiert seien. Es ist also nicht die Kombination Alter und Migrationshintergrund, die<br />

in erster Linie zur Benachteiligung führt, sondern diese ist auf die beschriebenen Annahmen und<br />

Reaktionen zurückzuführen.<br />

Zum Modell <strong>MIGRALTO</strong><br />

� Unspezifität des Modells: Die Autorinnen sind sich bewusst, dass man das Modell <strong>MIGRALTO</strong> als<br />

ein zu allgemein gehaltenes Modell kritisieren kann, das zu wenig altersspezifisch ausgerichtet<br />

sei. Sie stimmen zu, dass das Modell mit seinen Strukturebenen als generelles Partizipations-<br />

modell gelten kann. Dies lässt sich aber in zweifacher Hinsicht als seine Stärke interpretieren: Das<br />

Modell kann durch seine allgemeine Grundstruktur für unterschiedliche Projekte zum Thema<br />

Partizipation angewendet werden und ermöglicht dadurch eine zielgruppenunspezifische<br />

Multiplizierbarkeit. Der zweite Punkt betrifft die ethnien-unspezifische Anwendbarkeit. Das Modell<br />

selbst hat eine – man könnte sagen - neutrale Grundstruktur. Es erlaubt aber, sich innerhalb der<br />

einzelnen Felder (vergleiche Kapitel 6.3.3) flexibel an ethnien-, gender, schicht- , bildungs- oder<br />

kohortenspezifische Eigenheiten und Bedürfnisse anzupassen.<br />

� Generationenbeschränkung: Die Autorinnen sind der Ansicht, dass das Modell jeweils nur auf die<br />

erste Generation einer ethnischen Gruppe angewendet werden kann.<br />

Die zweite Generation gilt in der Regel als gut integriert und hat auch ohne politische Rechte<br />

Möglichkeiten zur aktiven Bürgerschaft, die sie nach Bedarf und Interesse wahrnehmen kann.<br />

Ausserdem kennt sie die Regelstrukturen in der Schweiz und hat somit generell leichteren Zugang<br />

zu Informationen oder Dienstleistungen im Zusammenhang mit Partizipation.<br />

Demgegenüber sind MigrantInnen der ersten Einwanderungsgeneration häufig „Fremde“ im<br />

Aufnahmeland geblieben, in welchem sie zwar - im Falle ihres Verbleibens - alt werden, aber<br />

eigentlich auch im Alter „Ausgeschlossene“ sind. Dies weist auf den bereits diskutierten<br />

179


«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Ausschluss aus der Zivilgesellschaft und dessen Ursachen hin. Deshalb ist es in mehrfacher<br />

Hinsicht diese erste Generation, die von der angestrebten Partizipation im Sinne der aktiven<br />

Bürgerschaft profitieren kann und soll.<br />

180


7. Literaturverzeichnis<br />

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185


Selbständigkeitserklärung<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Die beiden Autorinnen, Viviana Abati und Hildegard Hungerbühler, erklären hiermit, dass sie die<br />

vorliegende Arbeit bei keiner anderen Hochschule eingereicht haben und diese Arbeit selbständig,<br />

ohne andere als die angegebene fremde Hilfe und ohne Verwendung anderer als der angegebenen<br />

Quellen und Hilfsmittel verfasst haben.<br />

Alle Stellen, Abbildungen und Grafiken, die wörtlich oder sinngemäss aus Quellen entnommen<br />

wurden, haben sie als solche gekennzeichnet und mit dem genauen Verweis auf ihre Herkunft<br />

versehen.<br />

Bern, 15. Juli 2011<br />

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Zeitungsartikel (H. Hungerbühler)<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Ältere Migrantinnen und Migranten wollen mitsprechen<br />

Immer mehr ältere MigrantInnen kehren nach der Pensionierung nicht in ihr Herkunftsland<br />

zurück. Sie bleiben auch im Alter hier, wo sie die Mehrheit ihres Lebens verbracht haben und<br />

ihre Kinder und Enkelkinder leben. Die Wohngemeinde als Ort des unmittelbaren<br />

Lebensumfelds wird wichtiger. Wie sieht es mit ihren Chancen auf Partizipation aus?<br />

Ob und wie ältere MigrantInnen auf Gemeindeebene partizipieren wollen, und ob ihnen die Gemeinde<br />

diese Partizipation ermöglicht, haben die beiden Gerontologinnen Viviana Abati und Hildegard<br />

Hungerbühler für ihre Masterarbeit an der Berner Fachhochschule Soziale Arbeit in Erfahrung<br />

gebracht. Sie gingen dabei in enger Anlehnung an die Definition der Eidgenössischen Kommission für<br />

Migrationsfragen zur „Aktiven Bürgerschaft“ von folgendem Partizipationsverständnis aus:<br />

Partizipation heisst mitsprechen, mitwirken und mitentscheiden im eigenen Lebensumfeld und<br />

aufgrund der Betroffenheit von einer Fragestellung oder einem Thema. Ob diese Prinzipien der<br />

Territorial- und Betroffenendemokratie eine echte Alternative sind für die fehlenden politischen<br />

Rechte, bleibt fraglich. Ältere MigrantInnen verfügen über keine politischen Mitbestimmungsrechte in<br />

der Schweiz, obwohl sie ihr Leben lang hier gearbeitet und Steuern bezahlt haben, es sei denn, sie<br />

sind eingebürgert. Das – so haben die Gespräche mit älteren MigrantInnen aus Italien als Teil der<br />

Erhebung der beiden Autorinnen gezeigt – hat diese erste Einwanderungsgeneration nach dem<br />

zweiten Weltkrieg, welche die Schweiz als Arbeitskräfte während ihrer damaligen wirtschaftlichen<br />

Hochkonjunktur brauchte, nachhaltig verletzt und wirkt sich heute noch auf ihr Partizipationsverhalten<br />

aus.<br />

Mehrteilige Erhebung ermöglicht Perspektivenvergleich<br />

Hildegard Hungerbühler und Viviana Abati definieren in ihrer explorativen Untersuchung Partizipation<br />

als einen bidirektionalen und wechselseitigen Aushandlungsprozess. Aus diesem Grund wählten sie<br />

auch einen Forschungsansatz, der beide Perspektiven, sowohl diejenige der Gemeinden und ihrer<br />

Institutionen und Organisationen im Alters- und <strong>Integration</strong>sbereich als auch diejenige der älteren<br />

Migrationsbevölkerung und ihrer Organisationen erkundet. In einer umfassenden Erhebung mit einem<br />

kombinierten quantitativen und qualitativen Ansatz befragten sie zum einen die in schweizweiten<br />

Netzwerken organisierten über 100 kommunalen Altersbeauftragten und <strong>Integration</strong>sdelegierten. Zum<br />

anderen führten sie mit 22 älteren italienischen MigrantInnen der ersten Einwanderungsgeneration<br />

nach dem zweiten Weltkrieg Interviews durch. Zusätzlich zu diesen beiden Befragungsteilen fanden<br />

zwei getrennte ExpertInnen-Diskussionen mit VertreterInnen aus Altersinstitutionen und<br />

-organisationen von Stadt und Kanton Bern sowie mit Vertreterinnen aus italienischen<br />

Migrationsorganisationen der Region Bern statt. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen folgende<br />

Tendenzen.<br />

Ältere MigrantInnen als Zielgruppe der Alters- und <strong>Integration</strong>spolitik/-arbeit: Bewusstsein<br />

vorhanden – Umsetzung erst in Anfängen<br />

Ältere MigrantInnen sind – zur Zeit und mehrheitlich – weder in der Alterspolitik und -arbeit, noch in<br />

der <strong>Integration</strong>spolitik und -arbeit eine explizite Zielgruppe. Damit sind sie einem gewissen<br />

Marginalisierungsrisiko ausgesetzt, insbesondere wenn sich die Zuständigen der Alters- und der<br />

<strong>Integration</strong>spolitik/-arbeit die Verantwortung für die <strong>Integration</strong> im Sinne von Partizipation älterer<br />

MigrantInnen gegenseitig zuweisen. Auf der anderen Seite sind sich die Fachpersonen aber einig und<br />

sensibilisiert dafür, dass ältere MigrantInnen aufgrund der demografischen Entwicklung künftig zu<br />

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«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

einer Zielgruppe der Alterspolitik und -arbeit werden. Das Bewusstsein, dass man sich für die damit<br />

verbundenen Herausforderungen und Aufgaben vorbereiten muss, nimmt zu, ebenso wie die Einsicht,<br />

dass dafür eine gute Vernetzung zwischen dem Alters- und <strong>Integration</strong>sbereich notwendig ist. So kann<br />

zwar in der Schweiz noch bei weitem nicht von erfolgreichem Mainstreaming einer<br />

diversitätsgerechten Alterspolitik und-arbeit gesprochen werden, die MigrantInnen als gleichwertige<br />

Akteure und Zielgruppe einbeziehen. Positive und konkrete Ansätze und Bemühungen sowie erste<br />

good practice Beispiele sind jedoch durchaus festzustellen. Zudem scheint die grundsätzliche<br />

Bereitschaft zu bestehen, sich mit dieser Thematik vermehrt auseinander zu setzen.<br />

Selbstorganisation – Weg in den gesellschaftlichen Ausschluss oder Empowerment zur<br />

gesellschaftlichen Partizipation?<br />

Die ehemaligen „GastarbeiterInnen“ fühlten sich als gesellschaftliche MitbürgerInnen nicht<br />

willkommen. Die Schweiz unterliess es, ihre <strong>Integration</strong> zu fördern. In der Folge bauten sie sich ihre<br />

eigenen Strukturen der Selbstorganisation und sozialen Netzwerke auf. Diese tragen auch heute im<br />

Alter noch zu ihrer sozialen Sicherung bei und werden tendenziell mehr beansprucht als staatliche<br />

Dienstleistungen. Die sogenannte Binnenintegration in die eigene ethnische Migrationsgemeinschaft<br />

vermochte die Identität und Solidarität nach innen in Abgrenzung zu einem ablehnenden<br />

Gesellschaftsumfeld zu stärken. Bot die Vergemeinschaftung im Kreise der eigenen Landsleute nun<br />

auch eine gute Ausgangslage für die Partizipation in der Mehrheitsgesellschaft oder war dies vielmehr<br />

der Anfang eines stetigen Rückzugs? Die Bilanz zur italienischen Organisationsgeschichte dieser<br />

Einwanderungsgeneration in Bern ist zwiespältig. Zum einen hatte die italienische Diaspora eine<br />

wichtige Funktion für ihre Landsleute, indem sie gerade neu Zugewanderte mit nützlichen<br />

Informationen und mit Wissen über die Schweizer Gesellschaft versorgte und so zur Orientierung und<br />

Unterstützung in einer fremden Umgebung diente. In diesem Sinn erbrachte die italienische<br />

Selbstorganisation eine für MigrantInnen wichtige <strong>Integration</strong>sleistung. Zum anderen führte jedoch die<br />

gesellschaftliche Organisation in eigenen Strukturen nicht zugleich zur Verbesserung der<br />

Partizipationschancen in der Mehrheitsgesellschaft. Dies hauptsächlich aus folgenden zwei Gründen:<br />

zum einen als Folge der fehlenden <strong>Integration</strong>spolitik sowie verschlossenen Haltung der<br />

schweizerischen Gesellschaft gegenüber den italienischen MigrantInnen, zum anderen aufgrund des<br />

temporären Charakters, den die MitgrantInnen selber ihrem Aufenthalt in der Schweiz zumassen<br />

(geplant war ursprünglich eine baldige Rückkehr in die Heimat). Beides förderte weder die aktive<br />

Auseinandersetzung, noch die tatsächliche Teilhabe an der Schweizer Gesellschaft, was nun auch im<br />

Alter spürbar wird. So sind ältere MigrantInnen dieser Generation schlecht informiert über ihre Rechte<br />

und Möglichkeiten im Alter, sei dies bezogen auf aufenthalts- und altersversicherungsrechtliche<br />

Fragen (AHV, Pensionskasse, EL) nach der Pensionierung oder aber zum Funktionieren und den<br />

Dienstleistungen der stationären und ambulanten Altersversorgung. Sprachliche Verständigungsprobleme<br />

erhöhen die Zugangshürden zu Angeboten des Altersbereichs zusätzlich und erschweren auch<br />

die Partizipation auf Gemeindeebene.<br />

Politische Partizipation, Gesundheitsfragen im Alter und Engagement als Freiwillige<br />

Mit der politischen Partizipation, dem Interesse für Gesundheitsfragen und der Freiwilligenarbeit (im<br />

Quartier und der Gemeinde) zeichnen sich deutlich drei Bereiche ab, in welchen ältere MigrantInnen<br />

partizipieren möchten. Auch Altersbeauftragte und <strong>Integration</strong>sdelegierte der Gemeinden begrüssen<br />

ein Engagement in diesen Partizipationsfeldern. Sowohl die befragten MigrantInnen als auch die<br />

VertreterInnen der italienischen Migrationsorganisationen erwarten vom Land, für das sie viel geleistet<br />

haben, politische Rechte der Mitbestimmung. Dass sie über solche nicht verfügen, wirkt sich<br />

demotivierend auf ihr Partizipationsverhalten aus. Dennoch geben sie an, dass sie als ein mögliches<br />

Partizipationsfeld, der Bereich der Gesundheitsfragen im Alter interessiere. Beispielsweise wünschen<br />

sie sich Mitsprache zu künftigen Modellen der Alterspflege und des Alterswohnens (vgl. dazu die<br />

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«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

Diskussion um die sogenannten mediterranen Wohngruppen in Alters- und Pflegeeinrichtungen). Und<br />

Freiwilligenarbeit leisten sie bereits in ihren eigenen Vereinen und Strukturen. Sie können es sich aber<br />

auch vorstellen, vermehrt in intergenerationellen und interkulturellen Projekten mitzumachen. Erwartet<br />

wird allerdings deutlich, dass die Initiative für eine Zusammenarbeit von den schweizerischen<br />

GemeindevertreterInnen und ihren Institutionen zu ergreifen sei. Diese hätten zunächst den Beweis<br />

anzutreten, dass sie sich für ältere MigrantInnen, deren Geschichte und Erfahrungen tatsächlich<br />

interessieren und es ihnen „mit unserer Partizipation nun endlich doch noch ernst ist.“<br />

<strong>MIGRALTO</strong> – ein partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen<br />

Die Erhebung der Autorinnen hat gezeigt, dass die gleichwertige Partizipation auf Gemeindeebene<br />

unter aktiver Beteiligung älterer MigrantInnen ein anspruchsvoller Prozess ist, der sowohl seitens der<br />

Gemeinden und ihrer Institutionen und Organisationen im Altersbereich als auch seitens der älteren<br />

MigrantInnen und ihrer Organisationen den Willen zum gegenseitigen Kennenlernen und<br />

Respektieren der jeweiligen Erfahrungen und Kompetenzen sowie eine gegenseitige Lernbereitschaft<br />

voraussetzt. Gemeinden, welche die Partizipation älterer MigrantInnen fördern möchten, müssen sich<br />

über Folgendes bewusst sein: Es benötigt einen Perspektivenwechsel von der Defizit- zur<br />

Ressourcenorientierung auf diese Zielgruppe. Die ältere Migrationsbevölkerung ist nicht einfach als<br />

neue Gruppe von DienstleistungsempfängerInnen zu verstehen. Vielmehr sind ältere MigrantInnen<br />

eigenständige Akteure, die über spezifische Ressourcen und Kompetenzen verfügen, welche sie sich<br />

im Laufe ihres Lebens als ArbeitsmigrantInnen in der Schweiz erworben haben. Nicht zuletzt bringen<br />

sie reiche Erfahrungen im Bereich der Selbstorganisation mit. All dies ist ein Potenzial, das sich für die<br />

Alterspolitik und -arbeit nutzen liesse. Im Weiteren sollten sich Gemeinden bewusst sein, dass für<br />

ältere MigrantInnen nebst sprachlicher vor allem auch strukturelle und teilweise materielle Hürden<br />

bestehen, die sie an der Partizipation hindern. Hier benötigt es vermehrte Sensibilität und den<br />

politischen Willen zum Abbau bestehender Schranken und zum aktiven und konsequenten Einbezug<br />

von MigrantInnen mit Mitsprache-, Mitwirkungs- und Mitentscheidbefugnis gleich von Beginn an, d.h.<br />

bereits bei der Definition und Entwicklung von Zielen, Formen und Themen von<br />

Partizipationsvorhaben, und nicht erst bei der Umsetzung als VermittlerInnen oder gar „passiv“<br />

Teilnehmende. Auch hier benötigt es einen deutlichen Paradigmenwechsel. Um Gemeinden, welche<br />

die Partizipation von älteren MigrantInnen fördern wollen, eine konkrete Handlungshilfe zu geben,<br />

haben Viviana Abati und Hildegard Hungerbühler <strong>MIGRALTO</strong>, ein partizipatives Modell für die aktive<br />

Bürgerschaft von älteren Migrantinnen entwickelt. Der erste Teil beschreibt die Grundbedingungen,<br />

die in einer Gemeinde zur Verfügung stehen oder gegeben sein müssen, um das Modell erfolgreich<br />

umzusetzen. Dabei handelt es sich um politische Grundbedingungen, zu beteiligende AkteurInnen,<br />

Entscheidungs- und Handlungsgrundlagen, Mittel und Ressourcen, eine geteilte Definition von<br />

„Partizipation“ sowie einen klaren Vorgehensplan. In einem zweiten Teil werden die konkreten<br />

Massnahmen, die innerhalb der einzelnen Modell-Komponenten zu ergreifen sind, vorgestellt. Das<br />

Modell sieht einen bidirektionalen und wechselseitigen Prozess auf folgenden drei Ebenen vor: 1.<br />

Information/Kommunikation, 2. Kompetenzerweiterung und 3. Partizipation. Die Autorinnen schliessen<br />

ihre Masterarbeit mit einem Ausblick auf den Einsatz des Modells <strong>MIGRALTO</strong> in der Praxis und<br />

skizzieren dessen mögliche Weiterentwicklung im Rahmen einer allfälligen nationalen Multiplikation.<br />

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Anhänge<br />

«<strong>MIGRALTO</strong> – Partizipatives Modell für die aktive Bürgerschaft von älteren MigrantInnen»<br />

A) Ausschreibungstext EKM: Citoyenneté – aktive Bürgerschaft<br />

B) Einverständniserklärung VertreterInnen Schweizer Institutionen<br />

C) Präsentation Diskussionsvorlage Fokusgruppe Schweizer Institutionen<br />

D) Dichiarazione di approvazione VertreterInnen italienischer Migrationsorganisationen<br />

E) Präsentation Diskussionsvorlage Fokusgruppe italienischer Migrationsorganisationen<br />

F) Fragen und Auswertungstabelle Befragung Altersbeauftragte und <strong>Integration</strong>sdelegierte<br />

G) Interviewleitfaden Einzelinterviews MigrantInnen<br />

H) Rohdaten der quantitativen Resultate aus den Einzelinterviews<br />

I) Auswertung der qualitativen Daten der Einzelinterviews (Teil 1)<br />

J) Auswertung der qualitativen Daten der Einzelinterviews (Teil 2)<br />

K) Kategorisierung der qualitativen Daten<br />

L) Liste der Kategorien und Unterkategorien aus der qualitativen Auswertung<br />

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