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planet toys April_2021

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EDITORIAL<br />

<strong>planet</strong> <strong>toys</strong> 3<br />

DER KRANKE MANN IST ZURÜCK!<br />

Die Zeiten sind hart und die Wut steigt, denn mittlerweile sind wir alle gekränkt,<br />

verletzt oder mental labil. Im ersten Lockdown nahmen wir noch<br />

die Therapievorschläge der Politik an, haben entsagt und verzichtet, die<br />

Einschränkungen in Kauf genommen, alles in der Hoffnung, wieder bald<br />

die Alten zu sein. Das Übliche eben, was wir zur Genüge kennen, wenn<br />

uns der Arzt sagt, wir müssten mitspielen, um wieder auf die Füße zu<br />

kommen. Doch statt Fortschritte erleben wir ein Desaster nach dem anderen.<br />

Inzwischen fühlen wir uns an die Nullerjahre dieses Jahrtausends<br />

erinnert, als die Welt von Deutschland als kranken Mann Europas sprach.<br />

Das Hightech-Land Deutschland ist dabei, sich lächerlich zu machen.<br />

Ein fulminanter Abstieg eines Organisations-Weltmeisters. Man hat sich<br />

daran gewöhnt, dass Nigeria beim Ebola-Ausbruch eine aus Deutschland<br />

entwickelte Software einsetzte, während man hier noch faxt; dass<br />

die Infrastruktur kaputtgespart worden ist; dass man hier an einer<br />

Gesundheitskarte seit x-Jahren bastelt oder dass das Bildungssystem<br />

schreiend ungerecht ist; dass uns eine Bund-Minister-Präsidentenkonferenz<br />

regiert, die das Grundgesetz nicht vorzieht; dass die Warn-App ein<br />

Desaster ist, weil Datenschutz wichtiger ist als Gesundheitsschutz. Die<br />

Impfquote? Ein weiteres Trauerspiel. Wenn selbst der CDU-Vorsitzende<br />

der Unionsbundestagsfraktion Jahrhundertreformen oder gar eine<br />

Revolution fordert, dürfte auch dem Letzten klar sein, dass die Stunde<br />

geschlagen hat.<br />

Der offene Brief und die Presseerklärung des BVS von Anfang März<br />

reichte in der Tonalität von genervt bis sarkastisch. Der HDE sieht eine<br />

Insolvenzkaskade auf den Handel zurollen. Die Befürchtungen sind<br />

berechtigt. Bei Toys World in Gütersloh gehört Optimismus zwar zur<br />

psychischen Grundausstattung, aber auch dort, wo man schon früh aufs<br />

Internet gesetzt hat, schlug der Lockdown Wunden. Corona wird den<br />

Ausleseprozess beschleunigen (S. 34). Auch in Apolda fühlt man sich<br />

von der Politik hinter die Fichte geführt, spricht von Ungerechtigkeit und<br />

Ungleichbehandlung (S. 12). Da ist was dran.<br />

Monatelang brauchte Berlin, um einen stufenweisen Öffnungsplan vorzulegen,<br />

bei dem die Spielwarengeschäfte in die Röhre schauten. Das<br />

Ziel der Politik, die Kontakte zu reduzieren, leuchtet ein; nach welchen<br />

Kriterien Branchenzweige ausgesucht werden, weniger. Es bleibt der<br />

Eindruck, dass die Zugeständnisse an Baumärkte, Friseure oder Blumengeschäfte<br />

eher Symbolpolitik sind. Die Forderungen von Verbänden<br />

können nicht Maßstab der Politik sein; das Versprechen, für Gleichheit<br />

zu sorgen, schon. Das Ärgerlichste ist, dass dieses Irrlichtern bleibende<br />

Schäden für das Vertrauen in Demokratie und EU haben könnte; das Bitterste,<br />

dass Spielwarengeschäfte vielleicht den Preis dafür zahlen. Darüber<br />

kann auch keine noch so gute Konjunktur der Spielwarenbranche<br />

hinweghelfen.<br />

HILFESUCHEND: Warten auf Godot dürfte von mehr Erfolg gekrönt<br />

sein als ein Warten auf den mRNA-Impfstoff, glaubt <strong>planet</strong> <strong>toys</strong>-<br />

Chefredakteur Ulrich Texter.<br />

Hilft eigentlich nur die Flucht ins Vergnügen.<br />

Je düsterer die Zeiten, umso attraktiver der Tanz<br />

auf dem Vulkan. Ähnlich wie in den Goldenen „Mann, Mann, Mann, der Chefredakteur sieht<br />

Zwanziger Jahren, als Deutschland auf der ja schlimmer aus als Johnny Depp in Fluch<br />

Rasierklinge ritt. Kunst, Kultur, Nachtleben, der Karibik! Okay, was soll er auch machen,<br />

sexuelle Freizügigkeit, das Leben schien ein wenn die Hotline der Figaros mehr ab geht<br />

einziger Rausch zu sein. Das Ende ist bekannt.<br />

Die Chancen für ungebremste Le-<br />

als die für Impflinge. Wenigstens sitzt bei<br />

benslust sind zwar eingeschränkt, aber kleine<br />

Reservate finden sich immer noch, nicht nur<br />

seh ich gut aus? Danke!!“<br />

mir jede Strähne. Also, seh ich gut aus oder<br />

beim Friseur. Wem der Cut partout nicht reicht,<br />

kann es mit „Die Säufer. Philosophen“ versuchen.<br />

Leichte Kost für Philosophieinteressierte, weniger geeignet<br />

für Schluckspechte, die ihre Karriere damit starten wollen. Bei Karl<br />

Marx musste man trinkfest und kneipenerprobt sein, um mithalten zu<br />

können; bei Hegel fiel öfters mal die Weinrechnung höher aus als die<br />

Buchrechnung. Das Buch lässt sich auch ohne Wein lesen, schaden tut’s<br />

aber auch nicht. Was sich aber inzwischen gar nicht mehr ohne einen<br />

guten Tropfen verdauen lässt, ist für viele die Dauertherapie. Vielleicht ist<br />

das der Grund, dass die Deutschen vor lauter Verzweiflung wieder mehr<br />

Wein strinken? Selten habe ich mich in meinem Leben Karl Marx so nahe<br />

gefüllt wie heute.<br />

Ihr Ulrich Texter

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