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Vorschau Scheidegger & Spiess Herbst 2021

Das aktuelle Herbstprogramm mit den Neuerscheinungen des Verlags Scheidegger & Spiess im Bereich Kunst, Fotografie und Architektur!

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am Himmelfahrtstag in der Kirche S. Maria del Carmine in

Florenz Verwendung. Der Kunsthistoriker Götz Pochat zitiert

einen Bericht des russischen Bischofs Abraham von Souzdal,

der die Festaufführung im Jahr 1439 besucht: „… Nach diesen

Worten hört man Donnergetöse, Christus erscheint auf

der Spitze des Berges, der Himmel öffnet sich, und man sieht

den himmlischen Vater in wundersamer Weise frei in der Luft

schwebend, von einem strahlenden Schein umgeben, der von

unzähligen Lichtern ausgeht. […] Vom Himmel, dort, wo Gott

Rekonstruktion/Interpretation der Himmelfahrtsmaschine

von Filippo Brunelleschi

Vater sich befindet, senkt sich eine sehr schöne, genial konstruierte

‚Wolke’ herab: Sie ist rund und von Scheiben umgeben, (1377-1446) in der Kirche San Felice. Modell

die sich drehen.“ 36 Noch lange nach Brunelleschis Tod wird für die Ausstellung „Il Logo teatrale a

Firenze“, Florenz 1975

seine Verkündigung aufgeführt, 1497 kommen die Apparaturen

in verbesserten Versionen noch einmal zum Einsatz: Zwei riesige, bewegliche

Halbkugeln, in denen sich die Handlung abspielt, in der zum Beispiel der Erzengel

Gabriel nach Überbringung der Botschaft in einer Mandorla davon fliegt. Die Konstruktion

dieser Mandorla ist in einer Skizze des Buonaccorso Ghiberti überliefert.

Diese Aufführung wird übrigens auf Betreiben des Bußpredigers Girolamo Savonarola

verboten, weil er die Anspielung mit den Himmelssphären als Provokation für

den orthodoxen Glauben hält. Savonarola selber wird ein Jahr später als Ketzer

exkommuniziert, gehängt und verbrannt.

Kaiser Rudolf II. ist auch eine bizarre Kugeluhr bestimmt, die den Turmbau zu Babel

darstellt und bei jedem Stundenschlag Orgel und Trompeten erklingen. Gleichzeitig

läuft genau eine Minute lang von der Turmspitze eine Kugel der Spiralbahn entlang,

während die Figur des Saturn eine Glocke anschlägt.

DER MARTIALISCHE LÄRM. Der griechische Mathematiker und Mechaniker Muristus

ist lediglich und angeblich als Verfasser eines Traktates über tönende Automaten

bekannt, das mit einiger Verspätung in arabischer Übersetzung überliefert ist.

Jedenfalls enthält die Handschrift die Beschreibung einer großen, sechs Meter hohen

hydraulischen Orgelpfeife mit aufgesetztem Schallrohr, einer „weithin tönenden

Posaune mit dem weiten Maul und dem lauten Klang“. 112 Das Instrument wird mit

etwa fünfhundertfünfzig Liter Wasser gefüllt, muss also enorme Ausmaße gehabt

haben. Es wird auf Kriegszügen mitgeführt und dient als Signalgeber, deren Ton

sechzig Meilen weit zu hören ist. Vorstellbar ist ein schauriges sirenenartiges Getöse,

das die feindlichen Heere in Angst und Schrecken versetzt, weshalb die Orgel auch

als „Kriegsmaschine“ deklariert ist. Die Gebrauchsanweisung vermittelt einen guten

Eindruck von der Konstruktion und der Wirkung: „Soll der Schall ertönen, so nimmt

man Böcke, die man um das Instrument aufstellt. Sie sind so hoch, dass sie bis zu

den Stellen reichen, an denen sich die Schläuche befinden, damit man die Blasebälge

auf sie legen kann. … Die Männer blasen und treten die Bälge, bis die Schläuche

mit Wind gefüllt sind. Der Wind tritt dann in das Wasser, bringt dies in lebhafte

Bewegung und versetzt es in Aufruhr; er dreht sich und kreist in ihm und sucht einen

Ausweg. Dann entflieht er aus dem Ende der Röhre mit lautem schauererregendem

Schall, der kräftig ist und Schrecken verbreitet und die Herzen von jenen, die hören,

zerspringen lässt … Die Männer, die die Blasebälge treten, verstopfen ihre Ohren mit

Watte, und darüber sind diese noch mit Wachs bestrichen, damit ihr Verstand nicht

können. Damit hat die Flugabwehr mehr Zeit, sich auf eine

Reaktion einzustellen. Die ersten Geräte dieser Art kommen

bereits um 1916 in England zum Einsatz, um Zeppeline bei

bewölktem Himmel zu lokalisieren. Die deutsche Wehrmacht

benützt tragbare Hörner, mit denen die Wache stehenden

Soldaten wie Mickey-Mäuse aussehen. Die US-Armee entwickelt

ebenfalls bereits um 1920 ähnliche Hörner, um Geräusche aus

größerer Entfernung mit einer Art Stethoskop abzuhören. Die

Anlagen sind bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges im Einsatz;

die Effizienz allerdings ist nicht besonders groß, und wegen der

Zwei deutsche Soldaten eines Feldartillerieregiments

beim Abhören, 1917

des Radars sind sie bald obsolet.

immer schneller fliegenden Kampfflugzeuge sowie der Erfindung

DIE POSAUNEN VON JERICHO. Die gewaltige Wirkung des Schalls kennen wir bereits

aus den biblischen Legenden, die vom Tempelinstrument Magrepha erzählen,

dessen Klang von Jerusalem bis Jericho zu hören ist. Das Alte Testament enthält

die Geschichte vom Kampf um Jericho, dessen Stadtmauern durch die Wucht des

Posaunenklangs der israelitischen Priester zu Fall gebracht werden. Archäologische

Untersuchungen haben zwar ergeben, dass Jericho zu biblischen Zeiten eine kleine

unbefestigte Ortschaft war, aber wenn die Begebenheit in der Bibel steht, sollte der

Wahrheitsgehalt nicht in Zweifel gezogen werden.

entweiche und dass ihr Gehör nicht Schaden leide.“ 113 In einem hebräischen Text

RELIGIÖSE RÄDERWERKE. Die erfindungsreichsten und verspieltesten

Automaten aus der Zeit des Manierismus baut der

Künstler-Mechaniker Hans Schlotheim, dessen Konstruktionen

von Kaiser Rudolf II. gesammelt, zum Leidwesen des

Herstellers aber nicht bezahlt werden. Zu seinen legendären

Jean Tinguely (1925-1991): Cenodoxus-Isenheimer Altar, 1981, Flügelaltar, Nationale SuisseVersicherung, Basel

aus dem zwölften Jahrhundert wird die Wirkung ebenfalls beschrieben: „Wenn die

Feinde solchen schrecklichen Lärm hörten, bebten ihre Herzen, die Pferde rannten

weg, und der Sieg wurde der großen Zahl dieser Instrumente verdankt, die ich

erwähnt habe.“ 114

Arbeiten zählt ein mechanisches Krippenwerk in Dresden,

das beim Bombenangriff 1945 zerstört wird. Der Automat

wird durch ein komplexes Antriebswerk aus Federzügen,

TINGUELYS ALTAR. Der mechanisierte Flügelaltar Cenodoxus von Jean Tinguely

bezieht sich auf das memento mori-Thema des berühmten Isenheimer Altars von

HÖRGERÄTE. Die riesigen japanischen Tuba sind keine Lärminstrumente, sondern

Abhörgeräte, mit denen anfliegende Feindflugzeuge frühzeitig identifiziert werden

Stiftswalzen und Schöpfbälgen in Gang gesetzt und erzählt

Matthias Grünewald und auf das Theaterstück Cenodoxus, der Doktor von Paris des

mit einigem Pathos die Geschichte der Geburt Christi: „Die

Jesuiten Jakob Bidermann aus dem Jahr 1602. Der Titel bedeutet so viel wie „eitler

Weihnachtskrippe stand auf einem ovalen Unterbau, in dem

Glanz“ und verweist auf den Gelehrten gleichen Namens, der seine Religiosität

ein mechanisches Orgelwerk eingebaut war. Um Maria und

einzig und allein ausübt, um Ruhm zu ernten. Tinguelys Altar zeichnet sich durch

Josef und das Jesuskind in der Krippe herum gruppierten sich

eine ausgeprägte satirische und possenhafte Komponente aus: „Wer ihn betrachtet,

Kühe und Schafe, die den Kopf bewegen konnten. Die auf ein

weiß nicht recht, ob er lachen oder zittern soll. … Er bezieht sich auf eine bekannte

laufendes Band befestigten Figuren der Hirten und der heiligen

Bilderwelt, die um Begriffe wie Gut und Böse, Leben und Tod, Heil und Verderben,

Drei Könige samt ihrer Dienerschaft zogen an der Krippe

Paradies und Hölle kreist.“ 38 Die Skelette von Tierschädeln verweisen auf die

vorüber und verneigten sich. Über dieser Szene schwebte eine

Vergegenwärtigung des Todes, rotierende Pfauenfedern auf Eitelkeit und Hochmut,

vergoldete Kugel, die von zwei an dem Unterbau befestigen

und das langsam permanent rotierende Rad im Zentrum auf die Vergänglichkeit der

Armen getragen wurde. Aus ihr senkte sich langsam eine

Zeit. In der Mitte dreht sich mit großer Geschwindigkeit ein Holzkreuz, das von zwei

Wolkenschale herab, in der kleine Engel saßen. Hinter ihnen

kleinen Tierschädeln mit schnappenden Kiefern flankiert ist. Hinter dem Altar wird

erschien Gott Vater und hob segnend die Hände. War das Hans Schlotheim (1547-1625): Kugeluhr

Schauspiel beendet, spielte die Orgel einstimmig Vom Himmel „Turmbau zu Babel“, 1602, Automat, Silber,

Messing, vergoldet, eisen, Holz, Leder, Bergkristall,

Darmsaite, 112 x 60 x 60 cm.

hoch, da komm ich her. Bei der folgenden Melodie Josef, lieber

Josef mein bewegte der besungene Josef die Krippe.“ 37 Für Staatliche Kunstsammlung Dresden

eine Rosenkranz betende Gläubige hastig auf Rollen hin und hergeschoben; links

und rechts befinden sich „Messdiener“ mit klappernden Knochenköpfen. Gekrönt

wird das Ensemble von einem mächtigen, langsam nickenden Stierschädel, der

möglicherweise Gottvater symbolisiert, der das Geschehen teilnahmslos beobachtet.

Japanische Kriegstuba, um 1930, akustische Empfänger, inspiziert von Kaiser Showa

Julius Schnorr von Carolsfeld (1794-1872): Die Schlacht von Jericho, um 1830, Feder und Pinsel über Bleistift,

21,2 x 25,5 cm. Museum der Bildenden Künste Leipzig

20 21

60 61

gniert klingenden Frage, mit der er die Kunstwelt und ihre Jargons angreift und mit

zornigen Trommelwirbeln verstärkt. Die Arbeit Lexichaos beschäftigt sich mit Sprache

als Machtinstrument und bezieht sich auf den Turmbau zu Babel, auf die Sprachverwirrung,

mit der Gott die Überheblichkeit der Turmbauer bestrafte. Huene lässt

den Bibeltext aus den Türmen der Skulptur in drei Sprachen gleichzeitig erklingen;

hebräisch, griechisch und lutherdeutsch überlagern sich. „Sonderbarerweise entsteht

aber aus der Sprachschichtung kein Kauderwelsch,“ schreibt die Kunstkritikerin

Doris van Drathen, „Rhythmen, Pausen, Vokallänge scheinen einander zu entsprechen,

ja bilden gemeinsam sogar eine musikalische Harmonie.“ 360 Auf den Orgeltürmen

bringt Huene Buchstaben an, die wie Sehtests beim Augenarzt anmuten.

Den Endpunkt sieht der Künstler nicht in der Sprachverwirrung, sondern in deren

Zertrümmerung, bei der Wort und Sinn nicht mehr stimmen, „wenn Konsonanten

und Vokale und Diphtonge zersprengt aufträten, als bedeutungslose Zeichen.“ 361

Die allgemeine babylonische Verwirrung wird noch verstärkt durch den Lärm von

Klingeln und von diversen Geräuschen, die von den Bewegungen der Besucher ausgelöst

werden.

DIE UNVOLLKOMMENE ORGEL.

Am technischen Prinzip hat sich

zweitausend Jahre nach Ktesibios

auch beim Mercurius Wagen des

Künstlers Horst Rickels nicht viel

geändert, der sein Instrument ein

„Schlagblaszeug“ nennt, weil es

aus verschiedenen Orgelpfeifen

besteht, die jede einzeln mit einem

Blasebalg verbunden ist und mit

großem physischem Einsatz mit den

Fäusten und Füßen traktiert wird.

Jede geringste Druckveränderung

hat eine Modulation des Klanges zur

Folge. Im Gegensatz zum klassischen

Orgelspiel, das eine gleichmäßige

Luftzufuhr verlangt, ist Rickels an

der Instabilität des pneumatischen

Horst Rickels (*1947): Mercurius Wagen, Version für zwei Spieler, 1989

Drucks interessiert, wodurch die

Tonhöhen ins Schaukeln geraten und

zerrüttet werden: so genannte „Maultöne“ führen zum „Spucken“ der Orgelpfeifen,

zu klanglichen Effekten, die im traditionellen Orgelbau vermieden werden. Nicht

ohne Ironie gegenüber der Kirchenorgel als „Königin der Instrumente“ und der

Gesetzmäßigkeit des herkömmlichen Orgelbaus nennt Rickels sein Instrument

Mercurius Wagen. Namenspate für das Instrument ist der „Seelenbegleiter“

und Götterbote Merkur, der rastlos unterwegs ist, um die Verbindung zwischen

Himmel und Erde zu schaffen; als Planet ist Merkur der beweglichste, sein Zyklus

um die Sonne ist der schnellste von allen Planeten; und schließlich ist Merkur der

Namensgeber des Quecksilbers, das seinen Spott mit der Festigkeit treibt.

DIE MECHANISCHEN BLÄSER. Der Pharao Ptolemaios Philadelphos

gibt im dritten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung

ein Standbild seiner Gemahlin Arsinoe in Auftrag, das

tanzen und Trompete blasen kann, wie der Schriftsteller

Athenaios berichtet: „Sie trägt ein Füllhorn, das den klaren

Ton einer Trompete von sich gibt, dank eines fließenden

Wasserstrahls. Es ist kein Kriegssignal, sondern im Gegenteil,

mittels einer goldenen Trompete ein Signal zum Feste.“ 362

Vielleicht hat die Trompeterin schon ähnlich funktioniert

wie der automatische Trompeter, den Heron dreihundert

Jahre später erfindet und auch die technische Beschreibung

dazu liefert; demnach befindet sich unter dem Standbild

ein luftdicht verschlossener Sockel, worin eine gelöcherte

Heron: Automatischer Trompeter, in: Pneumatica,

1. Jhdt.

wodurch ein Druck entsteht, der durch das Innere der Figur

Halbkugel montiert ist. Der Sockel wird mit Wasser gefüllt,

in die Trompete gepresst wird. Die Kompression ruft einen

trompetenartigen Ton hervor.

Aus dem neunten Jahrhundert ist ein mechanischer

Flötenspieler als „Instrument, welches von allein spielt“ 363

überliefert, den die in Mathematik, Astronomie, Geometrie

und Mechanik gelehrten Brüder Banū Mūsā in Bagdad konstruieren.

Bei diesem Automat handelt es sich um eine große

Pfeife mit neun Löchern, die mit Hilfe von Ventilen und

eines rotierenden Zylinders geöffnet und geschlossen werden

können. Dieses Instrument könnte eine frühe Form eines

Automaten mit Stiftswalzen gewesen sein, weil dem Bericht

zufolge verschiedene Melodien gespielt werden können. Eine

Banū Mūsā (9. Jhdt.): Nachbau eines selbstspielenden

Flötenautomaten durch ein Team Rekonstruktion des Apparates im Jahr 2015 durch Techniker,

der Universität der Künste Berlin für die Ausstellung

„Allah’s Automata“, ZKM Karls-

Berlin beweist die Funktionsfähigkeit des Instruments.

Mechatroniker und Programmierer der Universität der Künste

ruhe, 2015

DUDELSACKMASCHINENKONZEPT. Die mechanische Sackpfeife

des Mystikers und Arztes Robert Fludd ist sicherlich nie

fabriziert worden, sondern existiert nur als Illustration,

als Konzept, auf welche Weise mittels Luft, Wasser und

Mechanik ein selbstspielende Pfeife zum Erklingen gebracht

werden kann. Fludds Beschreibung zur Abbildung behandelt

denn auch lediglich die theoretischen Grundlagen: „Musik,

im Einklang mit bestimmten Tönen, wird auf unterschiedliche

Weise erzeugt, durch die Bewegung von Sand, dann durch

Robert Fludd (1574-1637): Mechanischer

Dudelsack, Kupferstich des Druckers Kaspar das Fliessen von Wasser sowie durch den Gebrauch eines

Rötel, 10,2 x 15,7 cm. In: Robert Fludd: De Rades, wie es auf dieser Seite zu sehen ist; behandelt wird

naturae Simia, 1618. Sächsische Landesbibliothek

Dresden

nun diejenige Bewegungen die für das Erklingen von Flöten

sorgen. […] Die werden benutzt für Orgeln, um Flöten

erklingen zu lassen, um […] Vögel singen zu lassen, Schlangen zischen zu lassen,

Löwen und Stiere zum Brüllen zu bringen.“

Nicolas Anatol Baginsky (*1961): „Die Musen des Jenseits“, 1992-2005 Chico MacMurtrie (*1961): Sub Human, Percussion Roboter, 1992-2006

DIE MUSEN DES JENSEITS. Das ist der Name einer Roboter-Rockband, eine „selbstlernende,

informationsverschlingende Maschine, die weiterspielt, solange sie

Konzert ist ein nicht immer harmonischer Zusammenklang aus Trommeln, Stampfen,

orchestral mit Roboterkollegen zu konzertanten Aufführungen formieren. So ein

sensorische Reize erfährt“ 400 , wie sie ihr Schöpfer, der Künstler Nicolas Anatol

Schlagen, metallischen Schlägen und atonalen Saitenklängen, begleitet vom Zischen

Baginsky, nennt. Die Musikerinnen sind nach Sirenen der griechischen Mythologie

der pneumatischen Muskeln, mit denen die Extremitäten der Ausführenden in

benannt: die glanzstimmige Aglaopheme ist die Gitarre, die Verführerin Peisinoe

Bewegung gesetzt werden.

spielt Bass, und die zauberhafte Thelxiepeia ist das virtuose Schlagwerk. Während

der letzten Jahre hat sich die Gruppe um einige weitere Solistinnen erweitert,

DIE KASPERLMASCHINE. Manchmal fungiert eine harmlose Bastelei als Auslöser

wie der Robotersängerin Egeethree mit mechanischem Kehlkopf und gewaltigen

für eine obsessive Beschäftigung, die sich durch viele Jahre hinzieht. Im Falle des

vokalen Fähigkeiten. Die Besonderheit dieser musikalischen Apparate liegt in ihrer

Musikers Paul Skrepek ist es eine Kasperlfigur, der er das Trommeln beibringt.

schöpferischen Autonomie, weil kein konzertanter Ablauf programmiert ist und

Während der folgenden fündundzwanzig Jahre entwickelt sich ein komplexes

keine künstlerisch-inhaltliche Kontrolle durch menschliche Steuerung stattfindet;

Klangorchester, das der Schöpfer Kasperlmaschine nennt. Auf Schrottplätzen,

die Band bringt sich das Musizieren gewissermaßen während der „Sessions“ selber

bei. Die technische Ausstattung besteht lediglich in der mechanischen Fähigkeit, ihr

Instrument zu beherrschen, und einem Mikro-Kontroller, der physikalische Daten

erfasst, um die Roboter in ihrer Bewegung zu steuern. Der musikalische Inhalt entsteht

in einem Computer mit einem sich selbst organisierendem künstlichen neuronalen

Netz, das von einem zufällig entstehenden Klang eine komplexe Komposition

entwickelt: „Dieses Geräusch wird analysiert und dient dann als sensorischer Reiz

für das künstliche Netzwerk – ein einfaches Modell einer Nervenzellensimulation

mit der Qualität, die eingehenden Reize selbständig zu klassifizieren“ 401 , erklärt

der Künstler das technische Prinzip. Konsequenterweise meldete Baginsky seine

„Musikerinnen“ offiziell als Künstlerinnen bei der Krankenversicherung an.

ROBOTERSCHLAGZEUGER. In seiner New Yorker Werkstatt „Amorphic Robot Works“

baut Chico MacMurtrie hunderte interaktive und computerkontrollierte Maschinen,

Roboter und Objekte. Virtuose Schlagzeuger und Multi-Instrumentalisten sind die

Musikroboter, die eindrucksvolle Soli trommeln – mit einer Eleganz, die man den

aus Schrott gebauten Kreaturen nicht zutrauen würde. Sie erinnern in ihrem Habitus

an die trashigen Geschöpfe der 1980er Jahre, weisen aber eine „evolutionäre“

Entwicklung auf, indem sie ihr Repertoire weiterentwickeln und sich manchmal

Paul Skrepek (*): Kasperlmaschine (Detail), 2016, diverse Klangerzeuger, Mechanik

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Ein kurzweiliger

Streifzug durch das

Reich der Maschinen

und Apparate

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