Taxi Times Berlin - 2. Quartal 2021
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GEWERBE<br />
GESETZ MIT<br />
REVOLUTIONÄREN<br />
ELEMENTEN<br />
Das „Gesetz zur Modernisierung des<br />
Personenbeförderungsrechts“ eröffnet den<br />
Kommunen viele Optionen, gegen Wildwuchs<br />
im Mietwagenbereich vorzugehen.<br />
Knapp die Hälfte aller Paragraphen<br />
des Personenbeförderungsgesetzes<br />
(PBefG) werden durch die im<br />
März verabschiedete Novelle verändert, die<br />
größtenteils am 1. August in Kraft treten<br />
soll. Nicht alles davon ist taxirelevant, aber<br />
einiges kann die Grundlage für eine Wettbewerbsentzerrung<br />
zwischen <strong>Taxi</strong>s und<br />
Mietwagen sein.<br />
Hierzu zählt die Option für die Genehmigungsbehörden,<br />
den appbasierten<br />
Mietwagenverkehr zu regulieren und einzuschränken.<br />
Sie gilt für Städte ab 100.000<br />
Einwohnern, in denen der app-basierte<br />
Mietwagenverkehr einen Marktanteil von<br />
25 Prozent erreicht. „Der Gesetzgeber<br />
hat erkannt, dass appbasierte Vermittler<br />
eine Gefahr für das <strong>Taxi</strong>gewerbe sind und<br />
auch ÖPNV-Interessen<br />
betroffen sein könnten“,<br />
resümiert Herwig<br />
Kollar, neu gewählter<br />
Präsident des Bundesverbands<br />
<strong>Taxi</strong><br />
und Mietwagen e. V.<br />
(BVTM, siehe S. 14). Er<br />
hat als Rechtsanwalt schon viele Verfahren<br />
für das <strong>Taxi</strong>gewerbe gegen Uber gewonnen.<br />
Er bezeichnet die Befugnisse, die das<br />
PBefG als Bundesgesetz künftig auf die<br />
kommunalen Genehmigungsbehörden<br />
überträgt, als revolutionär. In den besagten<br />
Städten dürfte eine Genehmigungsbehörde<br />
beispielsweise eine Kontingentierung festlegen,<br />
also die Mietwagenzahl begrenzen –<br />
oder jede Konzession zeitlich und räumlich<br />
beschränken. Last but noch least bekommt<br />
die Behörde das Recht, Sozialstandards für<br />
die Mietwagenbetreiber festzulegen.<br />
Nicht weniger revolutionär ist eine Neufassung<br />
im Paragraph 51 des PBefG, wonach<br />
zum Schutz der öffentlichen Verkehrsinteressen<br />
die Genehmigungsbehörde auch<br />
für Mietwagen tarifbezogene Regelungen<br />
festlegen kann. „Das gilt insbesondere für<br />
„Legal lässt sich<br />
so kein Gewinn<br />
erwirtschaften.“<br />
Mindestbeförderungsentgelte“, stellt Kollar<br />
klar und verweist auf die Möglichkeit,<br />
Dumpingpreise zu verhindern. Nicht, um<br />
das <strong>Taxi</strong>gewerbe zu schützen, sondern um<br />
prekäre Arbeitsverhältnisse und Schwarzarbeit<br />
zu vermeiden, wenn zu Schleuder-<br />
Preisen gefahren wird, was keinen gesetzlichen<br />
Mindestlohn ermöglicht bzw. beim<br />
Ein-Wagen-Unternehmer zur Selbstausbeutung<br />
führt.<br />
Um all das rechtssicher zu machen,<br />
bedarf es klarer Definitionen, basierend<br />
beispielsweise auf einer betriebswirtschaftlichen<br />
Berechnung. Das vom <strong>Taxi</strong>unternehmer<br />
Richard Leipold erstellte Rechenbeispiel<br />
in der Tabelle belegt, dass bei den<br />
derzeitigen Fahrpreisen von Uber und<br />
Free Now der Unternehmer mit jeder Fahrt<br />
ins Minus fährt. Leipolds<br />
eindeutiges<br />
Fazit: „Unter Einhaltung<br />
der gesetzlichen<br />
Vorschriften<br />
und der Kenntnis<br />
der Verkehrsverhältnisse<br />
in <strong>Berlin</strong><br />
(Umlauftempo) kann unter Maßgabe der<br />
vier Grundrechenarten und des Prozentrechnens<br />
kein Gewinn erwirtschaftet<br />
werden.“<br />
Folglich muss die Mehrzahl der <strong>Berlin</strong>er<br />
Mietwagenunternehmer, die für Uber<br />
und Free Now unterwegs sind, an einer<br />
der Komponenten in der Beispielrechnung<br />
manipulieren, um einen Gewinn zu erwirtschaften.<br />
Oder anders ausgedrückt: Mietwagenunternehmer,<br />
die mit appbasierten<br />
Plattformbetreibern zusammenarbeiten,<br />
fahren entweder wirtschafltich gegen die<br />
Wand oder sind gezwungen, gegen die<br />
Straßenverkehrsordnung, das Umsatzsteuergesetz,<br />
die Abgabenordnung, das<br />
Mindestlohngesetz, das Arbeitszeitgesetz,<br />
das Bundesurlaubsgesetz oder das Lohnfortzahlungsgesetz<br />
zu verstoßen. jh<br />
Richard Leipold<br />
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€<br />
mögliche besetzte Fahrstrecke pro Std. 14,6 km<br />
maximal möglicher Bruttoerlös pro Std. 33,63 €<br />
davon Umsatzsteuer (19 %) ‐5,37 €<br />
Uber-Vermittlungsprovision vom<br />
Bruttoerlös (25 %)<br />
‐8,41 €<br />
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€<br />
Lohnkosten (nur Mindestlohn) ‐14,41 €<br />
variable Fahrzeugkosten (Treibstoff,<br />
Instandhaltung, Wertverzehr)<br />
‐4,83 €<br />
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€<br />
feste Fahrzeugkosten ‐0,82 €<br />
allgemeine Verwaltungskosten ‐0,77 €<br />
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€<br />
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Es wird nur Mindestlohn gezahlt: 9,50 €<br />
Das verursacht Unternehmerlohnkosten<br />
pro Stunde in Höhe von:<br />
14,41 €<br />
Es werden drei Fahrer eingesetzt, die im<br />
Monat folgende Stunden ableisten:<br />
450 h<br />
Das Fahrzeug fährt pro Monat:<br />
8.618 km<br />
Fahrzeug muss nach 4 Jahren ausgemustert<br />
werden mit einer Laufleistung von: 413.640 km<br />
Nach jeder Fahrt muss der nächste Auftrag<br />
nach folgender Zeit eingeladen werden:<br />
2,5 min<br />
Der Abstand zwischen abgesetzten und<br />
neuen Fahrgästen darf nur betragen:<br />
1,75 km<br />
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FOTO: Axel Rühle / <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong><br />
8 <strong>2.</strong> QUARTAL <strong>2021</strong> TAXI