28.07.2021 Aufrufe

August 2021 - coolibri

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

INTERVIEW<br />

Wieist dieIdeedamalsüberhauptentstanden?<br />

Ichbin in denUSA aufdas Vice-Magazin aufmerksam geworden,was es<br />

einpaarJahre später auch in Deutschlandgab.Ich war sehr vonderen Inhalten<br />

angetanund habeanfangs einpaarArtikel dafür geschrieben.Vice<br />

undZDFneostandeninKontakt undwollten waszusammenmachen. In<br />

demProzess derEntwicklung binich irgendwann dazu gekommen und<br />

als Team haben wir dieerste Staffel entwickelt. Erstwaren nurvierFolgen<br />

geplant, aber daslief dann so gut, dass wirauch fürden DeutschenFernsehpreis<br />

nominiertwurden.<br />

Im Laufeder Zeit sind wir auch besser geworden.AmAnfanghatte keiner<br />

vonuns Fernseherfahrungund es warmehrein Ding,bei demman geguckthat,wie<br />

es funktionierenwird. Heutewürde ich–weil ich‘seben<br />

nunbesserweiß–vieleSachenandersmachenals damals,abergenau<br />

dasmachtedie Reportagen auch authentisch, weil es sich zu demZeitpunkt<br />

richtiganfühlte.<br />

Eigentlich hättenwir nach denvierStaffelnnocheinemachenkönnen,<br />

aber ichfanddie engen Zeitbedingungenund auch dieErwartungshaltung,nocheineSchippe<br />

draufzulegen, nichtpassend.Deswegenhaben<br />

wiresandem Punkt,andem dieLeute es richtiggut fanden, sein gelassen.<br />

Ichfinde aber einenPodcast auch nichtbesserals eine Doku,nur anders.Ich<br />

möchtebeideMediennicht missen.<br />

Du hast nunden Vergleichzwischen Fernsehreportage und Podcast–<br />

worinsiehstduVor-und Nachteile?<br />

Zunächst einmal hatsichinzehnJahrender Medienkonsum verändert.<br />

Durch dasNetzgelangenLeute ganz anders an Themen.<br />

Heute lockt man viele nichtmehrsoleicht hinter<br />

demOfen hervor.Das macht es schwerer undgleichzeitigbesser.<br />

Ichfinde,dassich heute bessereGeschichtenerzählenkann,auch<br />

wenn sievielleichtweniger<br />

krasssind. DerAufwandbei einemPodcast istnatürlich<br />

viel,vielkleiner als beieiner Doku.Ich habeeinen<br />

Rekorder undzweiFunkstrecken,brauche keineDrehgenehmigungund<br />

kann einfachlos.<br />

Dadurch,dassich mitdem Equipment fast unsichtbar bin, entsteht auch<br />

eine andere Vertrautheit in denGesprächen. Siewerdenlängerund tiefer<br />

als voreiner Kamera. Dazu gibteskeine klassische Begrenzung. Zwar<br />

pendeln sich dieFolgenzwischen 40 und50Minuten ein, aber im TV warenesimmer<br />

28 Minutenund 30 Sekunden miteiner Abweichung vonmaximal<br />

15 Sekunden.<br />

Suchst du dirdie Themen selbst aus?<br />

Ja!Natürlich sprecheich mitdem Team ab,was diedavon halten,abereigentlich<br />

habeich Narrenfreiheit. Ichgucke, dass innerhalb einerStaffel die<br />

Themen unterschiedlichgenug sind,bin aber auch immer offen fürImpulse<br />

vonaußen.Inspiration kommt durch Filme, Lesen, Leben, Freunde,Kolleginnen.Trotzdembrauche<br />

ichBockund einenBezug zurThematik, eine<br />

vorgegebene Agenda würde da wahrscheinlichkeinsogutes Ergebnis erbringen.<br />

Mirist außerdem wichtig, dass es auch Themen sind,bei denenman möglichst<br />

etwasNeuesergänzenkann undwozunicht schon alles mehrfach<br />

erzähltwurde.Inder Folgezum Ausstieg ausder rechtenSzene geht es<br />

deswegenauch um Frauen,was häufigwenig beleuchtetwird.<br />

Schließtduetwas generell aus?<br />

Eigentlich nicht. Es gabdamals dieIdee,eineFolge über Sterbehilfe zu<br />

machen, beider ichamEndeandem Grab stehevon derPerson, dieich<br />

über dieDokubegleitet hätte. Ichwolltedamals niemandenbeimSterben<br />

begleiten, würde es heuteaberwahrscheinlich machen, weil dasThema<br />

superaktuell istund Veränderungen passieren. So richtige Grenzengibt<br />

es fürmichnicht.Die Frageist eben immer, wieman es erzählt.<br />

„So richtigeGrenzen gibt es<br />

fürmichnicht.Die Frageist<br />

eben immer, wieman es<br />

erzählt.“<br />

DieThemensindoft extrem bzw. außergewöhnlich. Bist du selbst auch so<br />

oder isteseinfach Neugier?<br />

Ichwürde mich selbst nichtals extremePersonbeschreiben,auch nicht<br />

dieProtagonisten. Ichführe eigentlich einLeben wieviele,habeabereine<br />

Grundneugier.Selbstbei abseitigen Themen wieBIID (Anm.d.Red.: Body<br />

Integrity Identity Disorderbeschreibtden krankhaftenWunsch, eine körperlicheBehinderung<br />

zu erlangen)könnten in derGesellschaftDiskussionenaufkommen,<br />

sobald es nächstesJahrtheoretisch erlaubtseinkönnte,dassMenschensichein<br />

gesundes Bein in Deutschlandamputierenlassendürfen.<br />

Solche Diskussionensagen ganz viel über unserMiteinander<br />

undunser Land aus,und dasmacht es dann für mich reizvoll.Den Brückenschlagfinde<br />

ichschön –esklingterstmal so,als ob so etwasnur drei<br />

Leutebeschäftigt, sobald aber gewisse Voraussetzungen gegebensind,<br />

istesdann nichtmehrnischig,sondern betrifft unsirgendwiealle.<br />

Hat„WildGermany“dichoderdeinDenkennachhaltigverändert?<br />

Ichweißnicht,obesmichpersönlichverändert hat, aber es hatmeinen<br />

BlickinvielenPunktengeschärft.Besonders hatesmeine Akzeptanzund<br />

Toleranz aufein anderesLevel gebracht.Angewisse Dinge habeich mich<br />

gewöhntbzw.hauen siemichnicht mehr so leicht ausder Kurve. Die<br />

grundsätzlicheFrage ist: Wenn Menschen etwastun,was ichpersönlich<br />

nichtverstehen kann,warum sollte ichdas bewerten? Ichtreffeimmer<br />

wiederLeute,die sich für unfassbartolerantund offen halten,abereseigentlich<br />

nichtsind, weil eine gewisse Sichtweisedaist.Sobaldjemandabweicht,wirdebendochverurteilt,<br />

weil es inseigeneMusternicht passt.<br />

„WildGermany“hat mich ganz gut darin geschult,<br />

dass wenn zwei Erwachsene Dinge tun, dieich nicht<br />

verstehe,sie dasdocheinfachmachensollen, solange<br />

dasimfreiwilligenDaseinpassiertund es mich<br />

nichteinschränkt.AberMitleid habeich beispielsweise<br />

mitmeinenGesprächspartnern nie. Das wäre<br />

wahrscheinlichauch schwierig, weil eine Verschiebung<br />

zwischen mir als Journalist undden Protagonistenpassieren würde,<br />

aber ichhabezumindest für dieSituationderjenigenbis zu einemgewissenGradEmpathieübrig<br />

undkann michdahineinversetzen.<br />

Denkst du,dassDeutschemittlerweileeinen besseren Zugang und mehr<br />

Verständnis fürThemenhaben,die sieselbstnicht betreffen?<br />

Wenn es hart aufhartkommt,glaubeich,hat sich da garnichtsverändert<br />

in denletzten zehn Jahren.Esist zwar en vogue, eine Regenbogenfahne<br />

in sein Profil zu packen undzusagen „Alles easy“, aber Stichwort„Pädophilie“:Dahat<br />

sich garnichtsgetan.Esist immernochdas gleicheUnverständnis,<br />

dergleiche Hass unddie gleicheAbneigung, auch wenn in den<br />

Folgen immer wieder gesagt wird, dass kein Verständnisfür Menschen,<br />

dieKindermissbrauchen, geschafftwerdendarf, sondernlediglich für die<br />

Neigung, diesie sich selbst nichtausgesuchthaben,sondern dieeinfach<br />

so ist. Sobald es um so heikleThemengeht, binich leider nichtder Überzeugung,<br />

dass sich etwasverbesserthat.Das hatman auch beider sogenanntenFlüchtlingswelle<br />

stark gesehen. UndwennesumRechtefür<br />

Schwuleund Lesben geht,sindGroßstädtewie Berlin oder dasRuhrgebiet<br />

nichtgleichzeitigganzDeutschland.Gehtman aufs Land,ist es an vielen<br />

Ortenimmer noch schwierig.<br />

ZumSchluss:Wünschdir etwasvon dem„WildenDeutschland“!<br />

Wenn ichLandund Leutebeobachte, besondersinden sozialen Medien,<br />

würde ichmir wünschen,dassman mehr in eine Kommunikation kommt.<br />

Dassman überhauptbereit ist, mitder anderenSeite zu redenund hört,<br />

um wasesgeht. Dabeigehtesmir nichtdarum, dass jederalles sagen<br />

darf –natürlich nur, solangederen Denken aufdem Boden derDemokratie<br />

beruht –, aber ichfinde,dasseskeine Streitkultur mehr gibt. Sobald man<br />

sich nichtgrün ist, ignoriertman die andere Person. Mirfehlt Reibung.<br />

11

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!