August 2021 - coolibri
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INTERVIEW<br />
Wieist dieIdeedamalsüberhauptentstanden?<br />
Ichbin in denUSA aufdas Vice-Magazin aufmerksam geworden,was es<br />
einpaarJahre später auch in Deutschlandgab.Ich war sehr vonderen Inhalten<br />
angetanund habeanfangs einpaarArtikel dafür geschrieben.Vice<br />
undZDFneostandeninKontakt undwollten waszusammenmachen. In<br />
demProzess derEntwicklung binich irgendwann dazu gekommen und<br />
als Team haben wir dieerste Staffel entwickelt. Erstwaren nurvierFolgen<br />
geplant, aber daslief dann so gut, dass wirauch fürden DeutschenFernsehpreis<br />
nominiertwurden.<br />
Im Laufeder Zeit sind wir auch besser geworden.AmAnfanghatte keiner<br />
vonuns Fernseherfahrungund es warmehrein Ding,bei demman geguckthat,wie<br />
es funktionierenwird. Heutewürde ich–weil ich‘seben<br />
nunbesserweiß–vieleSachenandersmachenals damals,abergenau<br />
dasmachtedie Reportagen auch authentisch, weil es sich zu demZeitpunkt<br />
richtiganfühlte.<br />
Eigentlich hättenwir nach denvierStaffelnnocheinemachenkönnen,<br />
aber ichfanddie engen Zeitbedingungenund auch dieErwartungshaltung,nocheineSchippe<br />
draufzulegen, nichtpassend.Deswegenhaben<br />
wiresandem Punkt,andem dieLeute es richtiggut fanden, sein gelassen.<br />
Ichfinde aber einenPodcast auch nichtbesserals eine Doku,nur anders.Ich<br />
möchtebeideMediennicht missen.<br />
Du hast nunden Vergleichzwischen Fernsehreportage und Podcast–<br />
worinsiehstduVor-und Nachteile?<br />
Zunächst einmal hatsichinzehnJahrender Medienkonsum verändert.<br />
Durch dasNetzgelangenLeute ganz anders an Themen.<br />
Heute lockt man viele nichtmehrsoleicht hinter<br />
demOfen hervor.Das macht es schwerer undgleichzeitigbesser.<br />
Ichfinde,dassich heute bessereGeschichtenerzählenkann,auch<br />
wenn sievielleichtweniger<br />
krasssind. DerAufwandbei einemPodcast istnatürlich<br />
viel,vielkleiner als beieiner Doku.Ich habeeinen<br />
Rekorder undzweiFunkstrecken,brauche keineDrehgenehmigungund<br />
kann einfachlos.<br />
Dadurch,dassich mitdem Equipment fast unsichtbar bin, entsteht auch<br />
eine andere Vertrautheit in denGesprächen. Siewerdenlängerund tiefer<br />
als voreiner Kamera. Dazu gibteskeine klassische Begrenzung. Zwar<br />
pendeln sich dieFolgenzwischen 40 und50Minuten ein, aber im TV warenesimmer<br />
28 Minutenund 30 Sekunden miteiner Abweichung vonmaximal<br />
15 Sekunden.<br />
Suchst du dirdie Themen selbst aus?<br />
Ja!Natürlich sprecheich mitdem Team ab,was diedavon halten,abereigentlich<br />
habeich Narrenfreiheit. Ichgucke, dass innerhalb einerStaffel die<br />
Themen unterschiedlichgenug sind,bin aber auch immer offen fürImpulse<br />
vonaußen.Inspiration kommt durch Filme, Lesen, Leben, Freunde,Kolleginnen.Trotzdembrauche<br />
ichBockund einenBezug zurThematik, eine<br />
vorgegebene Agenda würde da wahrscheinlichkeinsogutes Ergebnis erbringen.<br />
Mirist außerdem wichtig, dass es auch Themen sind,bei denenman möglichst<br />
etwasNeuesergänzenkann undwozunicht schon alles mehrfach<br />
erzähltwurde.Inder Folgezum Ausstieg ausder rechtenSzene geht es<br />
deswegenauch um Frauen,was häufigwenig beleuchtetwird.<br />
Schließtduetwas generell aus?<br />
Eigentlich nicht. Es gabdamals dieIdee,eineFolge über Sterbehilfe zu<br />
machen, beider ichamEndeandem Grab stehevon derPerson, dieich<br />
über dieDokubegleitet hätte. Ichwolltedamals niemandenbeimSterben<br />
begleiten, würde es heuteaberwahrscheinlich machen, weil dasThema<br />
superaktuell istund Veränderungen passieren. So richtige Grenzengibt<br />
es fürmichnicht.Die Frageist eben immer, wieman es erzählt.<br />
„So richtigeGrenzen gibt es<br />
fürmichnicht.Die Frageist<br />
eben immer, wieman es<br />
erzählt.“<br />
DieThemensindoft extrem bzw. außergewöhnlich. Bist du selbst auch so<br />
oder isteseinfach Neugier?<br />
Ichwürde mich selbst nichtals extremePersonbeschreiben,auch nicht<br />
dieProtagonisten. Ichführe eigentlich einLeben wieviele,habeabereine<br />
Grundneugier.Selbstbei abseitigen Themen wieBIID (Anm.d.Red.: Body<br />
Integrity Identity Disorderbeschreibtden krankhaftenWunsch, eine körperlicheBehinderung<br />
zu erlangen)könnten in derGesellschaftDiskussionenaufkommen,<br />
sobald es nächstesJahrtheoretisch erlaubtseinkönnte,dassMenschensichein<br />
gesundes Bein in Deutschlandamputierenlassendürfen.<br />
Solche Diskussionensagen ganz viel über unserMiteinander<br />
undunser Land aus,und dasmacht es dann für mich reizvoll.Den Brückenschlagfinde<br />
ichschön –esklingterstmal so,als ob so etwasnur drei<br />
Leutebeschäftigt, sobald aber gewisse Voraussetzungen gegebensind,<br />
istesdann nichtmehrnischig,sondern betrifft unsirgendwiealle.<br />
Hat„WildGermany“dichoderdeinDenkennachhaltigverändert?<br />
Ichweißnicht,obesmichpersönlichverändert hat, aber es hatmeinen<br />
BlickinvielenPunktengeschärft.Besonders hatesmeine Akzeptanzund<br />
Toleranz aufein anderesLevel gebracht.Angewisse Dinge habeich mich<br />
gewöhntbzw.hauen siemichnicht mehr so leicht ausder Kurve. Die<br />
grundsätzlicheFrage ist: Wenn Menschen etwastun,was ichpersönlich<br />
nichtverstehen kann,warum sollte ichdas bewerten? Ichtreffeimmer<br />
wiederLeute,die sich für unfassbartolerantund offen halten,abereseigentlich<br />
nichtsind, weil eine gewisse Sichtweisedaist.Sobaldjemandabweicht,wirdebendochverurteilt,<br />
weil es inseigeneMusternicht passt.<br />
„WildGermany“hat mich ganz gut darin geschult,<br />
dass wenn zwei Erwachsene Dinge tun, dieich nicht<br />
verstehe,sie dasdocheinfachmachensollen, solange<br />
dasimfreiwilligenDaseinpassiertund es mich<br />
nichteinschränkt.AberMitleid habeich beispielsweise<br />
mitmeinenGesprächspartnern nie. Das wäre<br />
wahrscheinlichauch schwierig, weil eine Verschiebung<br />
zwischen mir als Journalist undden Protagonistenpassieren würde,<br />
aber ichhabezumindest für dieSituationderjenigenbis zu einemgewissenGradEmpathieübrig<br />
undkann michdahineinversetzen.<br />
Denkst du,dassDeutschemittlerweileeinen besseren Zugang und mehr<br />
Verständnis fürThemenhaben,die sieselbstnicht betreffen?<br />
Wenn es hart aufhartkommt,glaubeich,hat sich da garnichtsverändert<br />
in denletzten zehn Jahren.Esist zwar en vogue, eine Regenbogenfahne<br />
in sein Profil zu packen undzusagen „Alles easy“, aber Stichwort„Pädophilie“:Dahat<br />
sich garnichtsgetan.Esist immernochdas gleicheUnverständnis,<br />
dergleiche Hass unddie gleicheAbneigung, auch wenn in den<br />
Folgen immer wieder gesagt wird, dass kein Verständnisfür Menschen,<br />
dieKindermissbrauchen, geschafftwerdendarf, sondernlediglich für die<br />
Neigung, diesie sich selbst nichtausgesuchthaben,sondern dieeinfach<br />
so ist. Sobald es um so heikleThemengeht, binich leider nichtder Überzeugung,<br />
dass sich etwasverbesserthat.Das hatman auch beider sogenanntenFlüchtlingswelle<br />
stark gesehen. UndwennesumRechtefür<br />
Schwuleund Lesben geht,sindGroßstädtewie Berlin oder dasRuhrgebiet<br />
nichtgleichzeitigganzDeutschland.Gehtman aufs Land,ist es an vielen<br />
Ortenimmer noch schwierig.<br />
ZumSchluss:Wünschdir etwasvon dem„WildenDeutschland“!<br />
Wenn ichLandund Leutebeobachte, besondersinden sozialen Medien,<br />
würde ichmir wünschen,dassman mehr in eine Kommunikation kommt.<br />
Dassman überhauptbereit ist, mitder anderenSeite zu redenund hört,<br />
um wasesgeht. Dabeigehtesmir nichtdarum, dass jederalles sagen<br />
darf –natürlich nur, solangederen Denken aufdem Boden derDemokratie<br />
beruht –, aber ichfinde,dasseskeine Streitkultur mehr gibt. Sobald man<br />
sich nichtgrün ist, ignoriertman die andere Person. Mirfehlt Reibung.<br />
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