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August 2021 - coolibri

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TITEL<br />

AusZürichbringen SieIhreInszenierung„DieToten“mit.Sie startendas<br />

Festival miteinem KonzertimMorgengrauenund beenden es miteinem<br />

Gleitenindie Nachtund denSchlaf. Interessiert SiediesesZwischenreich?<br />

Ja,unbedingt,und zwar in allenKunstformen.Esreizt mich,weilich das<br />

Gefühlhabe, dasdortdie wesentlichen Dinge derWahrnehmungstattfinden.<br />

Wirkönnen dortlernen, wieder menschlicheGeist funktioniertoder<br />

auch dieErinnerung, einwichtiges Themabei JamesJoyce,aberauch bei<br />

EdgarAllan Poe: derVerweis aufeineVergangenheit.<br />

Wirleben ja in einer„Diktaturder Gegenwart“, ein<br />

vonJavierCercasgeprägter Begriff.Eswirdallesfaktisch-journalistischbetrachtet.<br />

Ichfinde<br />

denBereich derErinnerungsointeressant,<br />

dieEntdeckungder verschiedenenSchichten<br />

vonGeschichte. Die„Diktaturder Gegenwart“<br />

hingegenbringt unsineineGeschwindigkeit<br />

undeinen Stress,der unsererWahrnehmung<br />

schadet.<br />

Woranliegt das?<br />

Zumeinen gibtesdiesenAktualitätszwangimJournalismus.Esmussimmer<br />

Neues<br />

berichtetwerden. Dabeifällt<br />

vieles unterden Tisch. Die<br />

Kunstist gerade so reich,<br />

weil siederartquecksilbrig<br />

ist, sich in andere Zeiten<br />

denken kann undsichin<br />

dieLänge ziehen oder<br />

komprimieren lässt.<br />

DieKunst erlaubtuns ein<br />

anderesZeitgefühl. Es<br />

geht mir stetsumdie Auseinandersetzungüberdie<br />

Wahrnehmungund mitder<br />

Wahrnehmung. Wenn es<br />

unsgelingt,sie zu verändern,werdenwir<br />

merken,<br />

dass dieses „Am-Tag-<br />

20-Neuigkeiten-brauchen“wie<br />

Nichts zerfällt.<br />

Mirfällt dasbei<br />

manchenMenschen<br />

auf, dass ihre Aufmerksamkeitsspanneimmer<br />

kürzerwird.<br />

Sieschaffen es keinehalbe<br />

Stunde,ohnedas Handyzuchecken.Dagegenbin<br />

ichein Dinosaurier.<br />

Siekönnenalsoohne?<br />

Ichwar noch niebei Facebook undhabekeineneinzigenTweet<br />

abgesetzt. Dieser Schädel<br />

musssichmit anderenDingenbeschäftigen.Ich<br />

fürchte dieDauerablenkung. Ichbin einMensch,<br />

dersichgerne konzentriert.Daraus schöpfen wir<br />

Künstler:innen unsere Kraft, unddas Publikum hat<br />

einAnrechtdarauf, etwasdavon zu erhalten.<br />

Habenwir verlernt, Momenteder Leereund Langeweileals<br />

Inspiration zu nutzen?<br />

Wir stopfen alles zu.Ich glaube zum Beispiel,dassinder künstlerischen<br />

Arbeitimmer auch einAnteilTrauerarbeitsteckt. Das wissenwir ausden<br />

großen Erzählungender Griechen. Da geht es nichtdarum,ein paar Tränchen<br />

zu verdrücken,sondern dass Trauer einwichtiger Anteil desMenschseinsist.Trauern<br />

bedeutet:ein Gefühlzuentwickelnfür etwas, dasverlorenist,den<br />

Geistauszuweiten fürdas Bewusstseindes Verlusts. Oder die<br />

Verzweiflung darüber zu spüren,wie wir wirklich sind,dasswir vieles auch<br />

kaputt machen.<br />

Als Regisseurin wird IhnentiefesSchürfen nachgesagt.Was meintdas?<br />

Ichkann es vielleicht so sagen: Ichbin fasziniertvon Kunstschaffenden,<br />

dieinder Tiefeschürfen.Deswegenauch dieWahlvon Autorinnenund Autoren,<br />

dieauch in derdunkelsten Ecke noch Interessantesfinden.<br />

So wieEdgar AllanPoe,dessen„DerUntergang desHausesUsher“Sie als<br />

Eröffnunginszenieren?<br />

Poeist einextremerManipulator.Der schafftesja, dass mannachvier,<br />

fünf Zeilen zumerstenMal dieOrientierungverloren hat. Wenn er einen<br />

dahingebracht hat, dann steigterinden Schachtrunter. Dafür istesberühmt,dassermenschliche,seelischeZonen<br />

auslotet, wieeszuder<br />

Zeit gänzlichunüblich war. Darin isterein moderner Schriftsteller.<br />

SeineSprachehat nichts Bewahrendes, sondernimmer etwasSuchendes.<br />

Gibt es mitdem Wechselvon Stefanie Carp zu BarbaraFrey<br />

eine Hinwendungvom Politischenzum Künstlerischen?<br />

AlleTeams,die hier antreten,haben drei Jahre.Jedes Team<br />

hatalsodas Rechtauf einenNeuanfang. Wenn manmich<br />

mitetwas Apolitischem in Verbindung bringt,hat manetwasgehörigmissverstanden.Worauf<br />

wollen Siehinaus?<br />

Allgemeinwurde ja konsterniert,Carphabezustark<br />

provoziert etwa mitder Einladungisraelkritischer<br />

Künstler. MusstenSie sich mitdiesemProblem auseinandersetzen?<br />

Wirhaben dasals Team getan, dennoch: Wirsind<br />

zu aller erst einFestival derKünste. Es hatumdie<br />

Künstezugehen undich mussmichnicht ständig<br />

beziehen aufetwas,das hier in derVergangenheit<br />

geschehenist.<br />

BeiIhrer Vorgängerin haben einige Journalisten<br />

aufeinmal eingeladeneKünstler:innenauf ihre Gesinnung<br />

in Bezugauf Israel durchleuchtet. TunSie<br />

dasauch? Kann mannochunbefangenProgramme<br />

planen?<br />

Dieses Durchleuchtenist für mich gänzlich undenkbar.<br />

IchmöchteeineGastgeberin sein undnicht in einerArgwohn-Kulturleben.Wokommenwir<br />

hin,wennKonflikte,<br />

auch schwer wiegende undkomplexe,nicht mehr dieZeit<br />

bekommen,die siebräuchten, um sieprofundund mitgegenseitigemRespekt<br />

zu diskutieren. Wenn wirmit dem<br />

Argwohn-Nachtsichtgerät durch dieGegend laufen,dann ist<br />

es irgendwann wieindiesem Asterix-Comic, wo im Dorf auf<br />

einmal jederjeden verdächtigt. Nein. WirbrauchenmehrRespekt<br />

füreinander, müssenuns genauerzuhörenund brauchen<br />

mehr Zeit.<br />

Ruhrtriennale: 14.8.-25.9.verschiedeneOrteimRuhrgebiet;<br />

ruhrtriennale.de<br />

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