Christkatholisch_2021-20
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Ein blinder Bettler. Behindert. Unbrauchbar.<br />
Ausgeschlossen. Abgeschoben. Ausgeschlossen.<br />
Bekommt Almosen. Dazu vielleicht noch ein wenig Mitleid.<br />
Ein Namenloser. Benannt nach dem Vater: Sohn des Timäus.<br />
Auf dem Bild eine schnöde Sachbezeichnung: «caecus», «Blinder».<br />
Doch in dem Namenlosen lebt Sehnsucht.<br />
Nach Licht. Nach Begegnung. Nach Ansehen.<br />
Darum schreit er plötzlich los. Ohne Hemmung.<br />
Lässt sich nicht beruhigen. Nicht stillstellen.<br />
Jetzt ist der Augenblick. Jetzt bricht die Sehnsucht aus:<br />
Jesus, erbarme dich meiner! Wende Dich mir zu!<br />
Einige ermahnen ihn: Benimm Dich. Halt die Klappe!<br />
Sie herrschen ihn an: Fall' nicht aus der Rolle!<br />
Doch! Jesus hält ein. Schaut auf ihn. Wendet sich zu.<br />
Und: Er tritt den Konventions-Versessenen glatt auf die Füsse.<br />
Göttliches Heil kennt keine Schablone.<br />
Nenn Deinen Wunsch. Deine Sehnsucht. Was soll ich Dir tun?<br />
Ja, was? Versteht er es nicht: Das ist doch ein Blinder!<br />
Nur Gott ist kein Zauberer. Er sucht nach des Menschen Wille.<br />
Der Herzenswunsch des Blinden ist schon in der Tiefe geformt:<br />
Lass mich sehen, das Licht und die Menschen!<br />
Lass das Licht in mich ein, dass selbst ich ein Licht bin!<br />
Die Segenshand Jesu streckt sich. Der Blinde tastet entgegen.<br />
Schon ist er gekleidet in der Farbe des Göttlichen, in Gewändern des Heils.<br />
In Purpur eingehüllt wie der Gottessohn. Wie der Baum neuen Lebens,<br />
der einen Ast schon liebevoll neigt, ihn zu schützen und hüten.<br />
Der Wunsch seines Herzens wird wahr. Wahr wie das Licht.<br />
Welch grosse, einfache Kunst, das zu wollen, was mich hell macht und heil.<br />
Michael Bangert