Das Hauptthema dieser Ausgabe ist:
BORDEAUX Château Figeac: Eine Legende im Aufbruch
BORDEAUX Château Le Dôme: Mit dem Ufo aufs Kalkplateau
BORDEAUX Château Beauséjour: Die Rückkehr der Erbin
Weitere Themen dieser Ausgabe:
CHARTA Die FINE-Weinbewertung
RHEINHESSEN Hans Oliver Spanier: Glückskind und Visionär
DAS GROSSE DUTZEND Ein König der Portweine: Fonseca Vintage Port
KATALONIEN Familia Torres: Fünf Generationen Exzellenz
KATALONIEN Umweltschutz bei Torres: Die grüne Revolution
KATALONIEN Das filmreife Leben des Weinpioniers Jean Leon
RIOJA Bodegas Campillo: Der Palast des Don Julio
DIE PIGOTT-KOLUMNE Die Last des eigenen Erfolgs: Umdenken in Burgund
TOSKANA Castello di Brolio: An der Wiege der Chianti-Formel
WORTWECHSEL Warum der Terroir-Kult ein Missverständnis ist
TASTING Große Reserven: Österreichs höchste Sektklasse
GENIESSEN Fleischloses Fest mit edlen Weinen? Aber klar!
CHAMPAGNE Die 100 wichtigsten Champagner, Teil 3
WEIN & SPEISEN Jürgen Dollase im »Alten Haferkasten« in Neu-Isenburg
WEIN & ZEIT Hugh Johnson und das deutsche Weinwunder
TASTING Ten Years After: Deutsche Rieslinge von 2011
PORTRÄT Hans Onstein: Kein Sammler, sondern ein Teiler
PROVENCE Château Galoupet: Bio-Wende für den Rosé
ABGANG Besinnung und Neuanfang
144 Seiten | zahlr. Farbfotos
24,5 × 29,5 cm | Magazin/Paperback
€ 15,00 (D)
ISBN: 978-3-96033-115-5
4| 2021 Deutschland € 15 Österreich € 16,90 Italien € 18,50 Schweiz chf 30,00 Benelux € 17,90
4197772 515002 04
CHÂTEAU FIGEAC
EINE BORDEAUX-LEGENDE IM AUFBRUCH
Rheinhessen Castello di Brolio Familia Torres Große Reserven Öko-Rosé
Der Aufstieg von An der Wiege Fünf Generationen Wie top ist Top-Sekt Neues aus
Hans Oliver Spanier der Chianti-Formel Exzellenz aus Österreich? der Provence
FINE
CHÂTEAU LE DÔME 24
CHÂTEAU BEAUSÉJOUR 32
FÜNF GENERATIONEN TORRES 52
UMWELTSCHUTZ BEI TORRES 60
JEAN LEON 68
HANS OLIVER SPANIER 38
BODEGAS CAMPILLO 78 BARONE RICASOLI 90
6 FINE 4 | 2021 INHALT
DAS WEINMAGAZIN 4|2021
ÖSTERREICHS GROSSE RESERVEN 98
WEIN & ZEIT: HUGH JOHNSON 122
CHÂTEAU GALOUPET 136
CHÂTEAU FIGEAC 14
9 FINE EDITORIAL _________________ Unterwegs in Raum und Zeit
11 FINE CHARTA ____________________ Die FINE-Weinbewertung
14 FINE BORDEAUX _________________ Château Figeac: Eine Legende im Aufbruch
24 FINE BORDEAUX _________________ Château Le Dôme: Mit dem Ufo aufs Kalkplateau
32 FINE BORDEAUX _________________ Château Beauséjour: Die Rückkehr der Erbin
38 FINE RHEINHESSEN _____________ Hans Oliver Spanier: Glückskind und Visionär
48 FINE DAS GROSSE DUTZEND ___ Ein König der Portweine: Fonseca Vintage Port
52 FINE KATALONIEN _______________ Familia Torres: Fünf Generationen Exzellenz
60 FINE KATALONIEN _______________ Umweltschutz bei Torres: Die grüne Revolution
68 FINE KATALONIEN _______________ Das filmreife Leben des Weinpioniers Jean Leon
78 FINE RIOJA _______________________ Bodegas Campillo: Der Palast des Don Julio
86 FINE DIE PIGOTT-KOLUMNE _____ Die Last des eigenen Erfolgs: Umdenken in Burgund
90 FINE TOSKANA __________________ Castello di Brolio: An der Wiege der Chianti-Formel
96 FINE WORTWECHSEL ____________ Warum der Terroir-Kult ein Missverständnis ist
98 FINE TASTING ____________________ Große Reserven: Österreichs höchste Sektklasse
106 FINE GENIESSEN ________________ Fleischloses Fest mit edlen Weinen? Aber klar!
108 FINE CHAMPAGNE _______________ Die 100 wichtigsten Champagner, Teil 3
114 FINE WEIN & SPEISEN ___________ Jürgen Dollase im »Alten Haferkasten« in Neu-Isenburg
122 FINE WEIN & ZEIT ________________ Hugh Johnson und das deutsche Weinwunder
128 FINE TASTING ____________________ Ten Years After: Deutsche Rieslinge von 2011
134 FINE PORTRÄT ___________________ Hans Onstein: Kein Sammler, sondern ein Teiler
136 FINE PROVENCE _________________ Château Galoupet: Bio-Wende für den Rosé
146 FINE ABGANG ___________________ Besinnung und Neuanfang
INHALT
FINE 4 | 2021 7
LIEBE LESERINNEN,
LIEBE LESER,
der Wert eines Netzwerks zeigt sich besonders in schwierigen Zeiten. FINE hat schon immer quer
durch die Weinwelt gute Beziehungen gepflegt, und davon profitieren jetzt nicht zuletzt Sie, wenn
Sie durch diese aktuelle Ausgabe blättern: Unseren Autoren und Fotografen haben sich in diesem
Jahr die Tore von Châteaux geöffnet, die nicht nur für die üblichen Besucher, sondern auch für die
meisten anderen Medien verschlossen geblieben wären. Das macht uns schon ein bisschen stolz,
und wir danken den Betreibern herzlich für Vertrauen und Gastfreundschaft.
Trotzdem – auch wir kommen im Augenblick weniger weit herum, als wir es gewohnt waren
und als es hoffentlich bald wieder möglich sein wird. Zum Ausgleich gehen wir verstärkt in die Tiefe,
betrachten einzelne Produzenten, Regionen und Entwicklungen gewissermaßen unter dem Vergrößerungsglas.
Saint-Émilion zum Beispiel: Mit Reportagen aus gleich drei sehr verschiedenen
Châteaux gibt Rainer Schäfer einen vielschichtigen Eindruck von dem Prozess der Erneuerung, den
die legendäre Bordeaux-Appellation seit einiger Zeit durchlebt. Seine Schilderung des in jeder Hinsicht
eindrucksvollen Faustino-Ablegers Bodegas Campillo in der Rioja Alavesa wiederum rundet
das Porträt des Haupthauses im vorigen Heft ab.
Anderswo in Spaniens Norden nimmt Stefan Pegatzky nun eine andere Größe von Weltrang
unter die Lupe. Seit 150 Jahren trägt die Familie Torres im Penedès mit immer neuen Ideen Entscheidendes
zum internationalen Ansehen des spanischen Weins bei – ihr Triumph bei der Wein-
Olympiade 1979 war ein Schlüsselmoment für die gesamte Szene. Tatsächlich zieht Torres so weite
Kreise, dass mit dem Blick auf fünf prägende Generationen, den Kampf gegen die Lasten des Klimawandels
und das Gut Jean Leon samt seinem schillernden Gründer längst noch nicht alles erzählt
ist: Fortsetzung folgt.
Wie sich die Weinszene eines Landes in überschaubarer Zeit komplett umkrempeln kann,
dafür ist auch unsere Heimat ein markantes Beispiel. Als vor einem halben Jahrhundert ein junger
Engländer namens Hugh Johnson erstmals seinen »World Atlas of Wine« verfasste, ließ er aufhorchen,
weil er Deutschland gleich an zweiter Stelle nach Frankreich nannte, die Rieslinge von
Rhein und Mosel für ihre Subtilität rühmte und ihre wichtigsten Anbaugebiete in detaillierten
Karten ausbreitete. Eine Wahrheit galt ihm freilich als unumstößlich: Deutsche Weine sind süß!
Seither hat sich ereignet, was unser Autor Daniel Deckers in seinem historischen Panorama das
»deutsche Weinwunder« nennt, und Johnson hat daran als kritischer Beobachter und Begleiter
einen unschätzbaren Anteil. Wer weiß, wann und wie hiesige Winzer ohne sein frühes Lob das
Selbstvertrauen für den Umbruch gefunden hätten, dessen Folgen wir heute genießen. Dann gäbe
es womöglich weder die trockenen Rieslinge von Hans Oliver Spanier, mit dem sich Kristine Bäder
für uns getroffen hat, noch das Heft, das Sie gerade in Händen halten.
Vielleicht steht ein Umbruch dieses Ranges jetzt ja auch in der Provence an. Was dort auf
Château Galoupet passiert, betrachten wir jedenfalls als eines der spannendsten Projekte unserer
Zeit. Die junge Gutsmanagerin Jessica Julmy entwirft im Auftrag von LVMH einen radikalen Neuanfang,
für den sie unter dem Aspekt von Niveau und Nachhaltigkeit jedes Detail überdenkt. So
sollen Weine fürs ganze Jahr entstehen, die nicht bloß auf der Terrasse mit Blick aufs sommerliche
Mittelmeer Vergnügen bereiten; das bringt hoffentlich auch die Macher der gängigen Industrie-Rosés
ins Grübeln. Selbst ein gänzlich neues Flaschenmodell aus recyceltem Kunststoff wird da erprobt:
leicht, rechteckig, stapelbar und so schlank, dass es durch einen Briefschlitz passt. In Letzterem
lässt uns Nicole Miedings verheißungsvoller Bericht keinen Vorteil erkennen – wer, bitteschön, soll
sich bei der versprochenen Qualität denn die Flaschen einzeln schicken lassen?
Ihre Chefredaktion
EDITORIAL FINE 4 | 2021 9
FINEAUTOREN
KRISTINE BÄDER Als Winzertochter aus Rheinhessen freut sie sich über die positive Entwicklung ihrer
Heimatregion, wo sie ein eigenes kleines Weinprojekt pflegt. Eine besondere Beziehung hat die studierte
Germanistin und ehemalige Chefredakteurin des FINE Weinmagazins zu den Weinen aus Portugal.
DANIEL DECKERS Die Lage des deutschen Weins ist sein Thema – wenn er nicht gerade als Politikredakteur
der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« über Gott und die Welt zur Feder greift. An der Hochschule Geisenheim
lehrt er Geschichte des Weinbaus und -handels. In seinem Buch »Wein. Geschichte und Genuss« beleuchtet er
durch mehr als 3000 Jahre die Rolle dieses unschätzbaren Kulturguts als Spiegel der Zeitläufte.
JÜRGEN DOLLASE hat sich schon als Rockmusiker und Maler verdingt, als Kritiker der kulinarischen Landschaft
ist er heute eine feste Instanz. Viel beachtet sind seine Bücher über die Kunst des Speisens: Bei Tre Torri
erschien zuletzt seine »Geschmacksschule«, das visionäre Kochbuch »Pur, präzise, sinnlich« widmet sich der
Zukunft des Essens.
URSULA HEINZELMANN Die Gastronomin und gelernte Sommelière schreibt für die »Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung«, die Magazine »Efflee« und »Slow Food« sowie Bücher übers Essen und Trinken.
Ihr Buch »China – Die Küche des Herrn Wu« (erschienen bei Tre Torri) liefert tiefe Einblicke in die vielfältige
Kochkunst der Chinesen.
SIGI HISS Tausende Tastings, und noch immer ist das Verkosten seine große Leidenschaft – sei es in internationalen
Jurys, im Auftrag renommierter Weinpublikationen oder für Weingüter. Für alles außer Spirituosen
ist er zu begeistern, seine besondere Liebe gilt gereiften Weinen.
UWE KAUSS In Weinkellern kennt er sich aus: Der Autor und Journalist schreibt seit 20 Jahren über Wein,
etwa für die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung«, das Weinmagazin »Enos«, »wein.pur«, das »Genuss-
Magazin« in Wien sowie das Internetportal »wein-plus.eu«. Daneben hat er 16 Sach- und Kindersachbücher,
einen Roman und zwei Theaterstücke publiziert.
NICOLE MIEDING hat das Genießen in Schwaben gelernt, wo man sich durch die Leidenschaft für handgemachte
Nudeln und Soßen kulinarisch nah an Italien fühlt. Ihre journalistische Karriere begann im Feuilleton,
bis die Liebe zu gutem Essen, Wein und Reisen auch publizistisch die Oberhand gewann. Sie war mehr als zwei
Jahrzehnte in wechselnden Rollen bei der »Rhein-Zeitung« tätig, zuletzt als Chefreporterin.
STEFAN PEGATZKY Der promovierte Germanist kam 1999 nach Berlin und erlebte hautnah, wie sich
die Metropole von einer Bier- zur Weinstadt wandelte. Er schreibt regelmäßig über Wein und Genuss, steuerte
zur Tre-Torri-Reihe »Beef!« den Band »Raw. Meisterstücke für Männer« bei und bereicherte die »Gourmet
Edition – Kochlegenden« um Titel zu Hans Haas, Harald Wohlfahrt und Marc Haeberlin.
STUART PIGOTT Seit der 1960 in London geborene studierte Kunsthistoriker und Maler im Wein – dem
deutschen zumal – sein Lebensthema fand, hat er sich mit seiner unkonventionellen Betrachtungsweise in den Rang
der weltweit geachteten Autoren und Kritiker geschrieben. Sein Buch »Planet Riesling« erschien bei Tre Torri.
RAINER SCHÄFER wuchs in Oberschwaben auf und lebt seit 20 Jahren in Hamburg, wo er über die Dinge
schreibt, die er am meisten liebt: Wein, gutes Essen und Fußball, stets neugierig auf schillernde Persönlichkeiten,
überraschende Erlebnisse und unbekannte Genüsse.
MICHAEL SCHMIDT Der »deutsche Engländer«, wie ihn die britische Weinszene nennt, schreibt für die
»Purple Pages« der Weinpäpstin Jancis Robinson über deutschen Wein. Bei »Sotheby’s Wine Encyclopedia« und
dem »World Atlas of Wine« von Hugh Johnson und Jancis Robinson ist er als Berater für das Kapitel Deutschland
zuständig.
DIRK WÜRTZ war Kellermeister und Betriebsleiter in den Rheingauer Weingütern Robert Weil und Balthasar
Ress. 2018 wechselte der Pfälzer wieder einmal das Rheinufer, um geschäftsführender Gesellschafter des Weinguts
St. Antony in Nierstein (Rheinhessen) zu werden. In der Beteiligungsgesellschaft Tocos verantwortet der
Tausendsassa zudem die Sparte Wein, er zählt zu den Weinbloggern der ersten Stunde und hat die europaweit
größte Weincommunity »Hauptsache Wein« auf Facebook initiiert.
VERLEGER UND HERAUSGEBER
Ralf Frenzel
r.frenzel@fine-magazines.de
CHEFREDAKTION
info@fine-magazines.de
ART DIRECTOR
Guido Bittner
TEXTREDAKTION
Boris Hohmeyer,
Katharina Harde-Tinnefeld
AUTOREN DIESER AUSGABE
Kristine Bäder, Daniel Deckers,
Jürgen Dollase, Ursula Heinzelmann,
Sigi Hiss, Uwe Kauss, Nicole Mieding,
Stefan Pegatzky, Stuart Pigott,
Rainer Schäfer, Michael Schmidt
FOTOGRAFEN
Guido Bittner, Rui Camilo, Johannes
Grau, Alex Habermehl, Christof Herdt,
Arne Landwehr
GRÜNDUNGSCHEFREDAKTEUR
Thomas Schröder (2008–2020)
VERLAG
Tre Torri Verlag GmbH
Sonnenberger Straße 43
65191 Wiesbaden
www.tretorri.de
Geschäftsführer: Ralf Frenzel
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Judith Völkel
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j.voelkel@fine-magazines.de
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vierteljährlich zum Einzelheft-Preis
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Titelfoto: Château Figeac, GUIDO BITTNER
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10 FINE 4 | 2021 IMPRESSUM
DIE FINE-
VERKOSTUNGEN
Referenztabelle des 100-Punkte-Systems von FINE zum britischen 20-Punkte-System
50 60 70 80 85 90 96 100
0 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Das FINE-Verfahren
• Wir glauben, dass der Geschmack zwar subjektiv ist, dass wir als
erfahrene Verkoster und in kontrollierten Umgebungen aber dennoch
gut begründete und klar formulierte Urteile über Wein geben können.
• Als aufgeklärte Connaisseurs wissen wir, dass Punktebewertungen
nicht objektiv sind, also keine reale »Substanz« im Wein bezeichnen.
Sie sind aber auch nicht völlig subjektiv. In der FINE sind sie immer
Ausdruck einer Wechselbeziehung von Wein und Verkoster. Deshalb
veröffentlichen wir immer den Namen des jeweiligen Verkosters. Als
neuer Leser werden Sie nach ein paar Heften die jeweiligen Unterschiede
und Vorlieben unseres Teams einzuschätzen wissen.
• FINE ist keine akademische Publikation, sondern will Freude am
Weingenuss vermitteln. Deshalb fließen auch emotionale Elemente
und stilistische Vorlieben mit ein, zudem schätzen wir den gelungenen
sprachlichen Ausdruck. Besonders erkennen wir Weine an, die versuchen,
ihren Ursprung zum Ausdruck zu bringen und naturnah oder
gar biologisch erzeugt werden. Weltanschauliche Scheuklappen sind
uns allerdings fremd. Auch deswegen verkosten wir, wenn die Situation
es erlaubt, vorzugsweise blind.
• Unsere Bewertungen sind nicht absolut, sondern spiegeln den Kontext
einer jeden Verkostungssituation wider. Wenn wir in einer Vertikale
von Château Petrus einen kleinen Jahrgang mit 92 Punkten und in einer
anderen Situation einen Merlot aus der Maremma mit der gleichen
Punktzahl bewerten, dann heißt das nicht, dass diese Werte gleichwertig
sind. Darüber hinaus sind wir der Auffassung, dass Scoring
und schriftlicher Kommentar nur gemeinsam ein Ganzes bilden.
• Um die subjektive Sicht eines Einzeltesters zu ergänzen, bemühen wir
uns, wenn es irgend geht, um das Urteil eines Verkostungspanels. Bei
diesem Urteil wird bei jedem Wein die jeweils höchste und niedrigste
Note gestrichen und ein Durchschnittswert gebildet. Dieses Urteil
wird als Vergleichsergebnis des FINE-Panels (FP) notiert.
• Wir erkennen an, dass sowohl der Wein als auch der Verkoster
»lebendig« sind. Weine können von Flasche zu Flasche und von
Woche zu Woche variieren. Verkoster haben unterschiedliche Tagesformen,
Stärken oder Schwächen. Immer geht es uns um den Augenblick
des Verkostens; Einschätzungen zum Potenzial fließen lediglich
in den Begleittext ein, nicht in die Bewertung selbst.
• Auch in FINE werden Sie wenige Weine mit einem niedrigen Scoring
finden. Das hat nichts mit der Nivellierung von Grundsätzen zu tun,
sondern weil wir um Ihre kostbare Zeit wissen und der Auffassung
sind, dass jeder Wein, der in FINE vorgestellt wird, es auch wert sein
muss. Das kann bei einem hinreißenden Müller-Thurgau aus Baden
ebenso der Fall sein wie bei einem Amphorenwein aus Georgien.
Das FINE-Punktesystem
Mit Ausnahme von sehr alten Schatzkammerweinen, deren Zustand von
Flasche zu Flasche variieren kann, werden alle von FINE verkosteten
Weine nach Punkten bewertet. Diese Bewertung folgt der 100-Punkte-
Skala. Ziel ist es, dem Leser ein tieferes Verständnis von der Qualität
der durch FINE evaluierten Weine zu vermitteln sowie die Trinkbarkeit
der Weine zu bewerten.
Maßgeblich für die Punktezahl ist unser Eindruck vom Wein am
Tag der Verkostung. FINE vergibt keine zusätzlichen Punkte für das
zukünftige Potenzial des Weins. Eine Anmerkung darüber wird in den
Verkostungsnotizen abgegeben. Wein wird blind, halb-blind und offen
verkostet. Die entsprechende Methode findet sich in den Anmerkungen
zur Verkostung.
Wir konzentrieren uns auf die Beschreibung des Charakters und
der Essenz des Weins: Säure, Frucht, Tannin, Struktur, Tiefe und Länge.
Neben der Komplexität ist vor allem die Balance das entscheidende
Kriterium für seine Qualität.
Aufschlüsselung unserer Punkte
100 Punkte Vollkommenheit. Ein perfekter Wein, der alle Sinne
erfüllt, vollendet in allen Aspekten der Qualität – ein
unschätzbares Geschenk der Natur.
99–97 Punkte Ein beinahe perfektes Erlebnis. Der Wein und seine
Geschichte sind einzigartig: unvergesslich makellose
Harmonie, Komplexität und außergewöhnliche
Persönlichkeit.
96–94 Punkte Ein überragender Wein von höchstem Qualitätsanspruch
und herausragender Ausgewogenheit.
93–91 Punkte Ein exzellenter Wein, der einen verfeinerten Stil, eine
ausgewogene Struktur und eine nuancierte Finesse
aufweist.
90–88 Punkte Ein guter Wein, nahezu exzellent. Harmonisch,
lässt aber die Komplexität und den Charakter eines
exzellenten Weines vermissen.
87–80 Punkte Durchschnittlicher Wein mit weniger Charakter,
Intensität, Struktur und Eleganz.
79–70 Punkte Ein bescheidener und einfacher Wein, dem Leben
und Harmonie fehlen.
69–50 Punkte Ein beinahe untrinkbarer, leerer Wein.
CHARTA
FINE 4 | 2021 11
MIT DEM UFO
AUFS
DER REBELLISCHE BRITE JONATHAN MALTUS HAT
SICH AUS DER SANDIGEN EBENE VON SAINT-ÉMILION
BUCHSTÄBLICH EMPORGEARBEITET: MIT SEINEM
SPEKTAKULÄREN CHÂTEAU LE DÔME, ENTWORFEN
VON SIR NORMAN FOSTER, RESIDIERT DER EINSTIGE
GARAGENWINZER INMITTEN VON ALTEM WEINADEL
Von RAINER SCHÄFER
Fotos JOHANNES GRAU
24 FINE 4 | 2021 BORDEAUX
KALKPLATEAU
Gerade abends, wenn die Dunkelheit sich über Saint-Émilion senkt und auf die
Lichter von Le Dôme triff, entstehen besondere optische Reize. Dann, so hört
man in der kleinen Stadt im Bordelais immer wieder, wirke das Château wie ein
Ufo, das in der Ebene von Mazerat gelandet sei. Erst im Tageslicht lassen sich die
Ausmaße und die raffnierten Details dieser außergewöhnlichen Konstruktion
erfassen, die von keinem Geringeren als Sir Norman Foster entworfen wurde. Der
Stararchitekt, dem auch der Berliner Reichstag seine Kuppel verdankt, ist bestens
bekannt in Bordeaux, seit er den Keller von Château Margaux umgestaltet hat.
Mitten in der Landschaft steht das kreisförmige Château
Le Dôme mit dem gewölbten, 40 Meter breiten Holzdach
und den Terrakottaziegeln, die das Äußere verkleiden.
Zwei Rampen – eine führt von außen, eine im Inneren
nach oben – ermöglichen es, verschiedene Phasen der Weinproduktion
zu beobachten. Zwei Jahre dauerte der Bau des
Weinguts, der schon im Frühjahr hätte beendet sein sollen,
aber durch die Pandemie verzögert wurde.
Le Dôme bezeichnet den Höhepunkt in der Karriere
von Jonathan Maltus, der als Autodidakt und Garagenwinzer
begonnen hat und sich mit diesem Château nach vielen Hindernissen
und Umwegen endgültig in der Beletage der Appellation
Saint-Émilion etabliert. In der Lobby hängt ein großformatiges
Porträt des Hausherrn, auf dem er wie ein Supermann des
Weins inszeniert wird, mit viel Glanz, Glitzer und optischen
Effekten. Dann kommt der Selfmademan selber herein, der
auch im wirklichen Leben eine gute Figur abgibt im dunklen
Anzug mit Einstecktuch.
Der in Nigeria geborene Brite brachte eine lange Odyssee
durch verschiedene Länder hinter sich, bevor er in Saint-Émilion
sesshaft wurde. Es ist die bewegte Geschichte eines unkonventionellen
Abenteurers, der sich den Zugang in erlesene Kreise
erarbeitet hat, die ihm normalerweise verschlossen geblieben
wären. »Ganz ehrlich«, sagt Maltus, der sich als »Vigneron &
Winemaker« bezeichnet, »es war für mich lange undenkbar,
dass ich mal in diesem Weingut mit dieser vornehmen Nachbarschaft
sitzen würde.«
BORDEAUX
FINE 4 | 2021 25
Sieht so die Zukunft des Weinbaus aus?
Zumindest drängt sich bei dem Château
mit offenem Gärkeller und Rundum-
Balkon das Schlagwort »futuristisch« auf
Seine Jugend, erzählt Jonathan Maltus, war noch von
der Politik der britischen Kolonialzeit bestimmt: Seine
Eltern lernten sich in Indien kennen und siedelten dann
nach Nigeria über, wo sie für eine englische Bank arbeiteten. Ihr
Sohn wurde 1955 in der damaligen britischen Kolonie geboren,
die erst 1960 ihre Unabhängigkeit erlangte. Als Kind wurde er
auf ein Internat in England geschickt, seine Eltern hat er »nur
zwei Mal im Jahr gesehen«.
Nach dem Studium gründete Maltus ein bald florierendes
Ingenieurbüro für Petrochemie. Er war ständig auf Achse,
arbeitete in den Niederlanden, Monaco, Nigeria, England und
Belgien. »Ich bin nicht sehr britisch«, sagt der viel gereiste
Kosmopolit, der seine Gesellschaft 1992 verkaufte; da war er
gerade einmal 36 Jahre alt. Kurz zuvor hatte er geheiratet und
mietete zunächst für ein Jahr ein Haus in Cahors – »ich wusste
noch nicht so recht, was ich mit meiner Zeit anfangen sollte«.
»Ich wollte nicht leben
wie ein englischer Gentleman«
Auf einer Dinnerparty lernte er einen australischen Winzer
kennen, »der ziemlich schüchtern war und auf seinem Wein
sitzen blieb«. Die beiden schlossen sich zusammen: Maltus
verkaufte den Wein, der Winzer wies ihn dafür 18 Monate
lang in die Praxis der Weinbereitung ein. Danach stand für den
eloquenten und schlagfertigen Geschäftsmann fest: »Ich wollte
nicht leben wie ein englischer Gentleman, ich wollte selbst
Wein machen.« Jonathan Maltus war hin- und hergerissen, ob
er ein Weingut in Cahors übernehmen sollte, »aber Regionen
wie Burgund und Bordeaux standen viel höher im Kurs«. Da
er keine Schwäche für Pinot Noir habe, sei nur das Bordelais
übrig geblieben. Das linke Ufer war zu teuer, in Außenbereiche
wie die Côtes de Blaye wollte er nicht, »so kam ich nach Saint-
Émilion ans rechte Ufer«.
1994 kaufte Jonathan Maltus das renovierungsbedürftige
Château Teyssier in Vignonet im südlichen Teil der Appellation
mit fünfeinhalb Hektar Reben. Er investierte in Weinberge und
Keller, war sich jedoch bewusst, dass er auf den sandigen Böden
der Ebene keine preisgekrönten Grands Crus erzeugen konnte:
»Ich wollte anständige Weine machen, die man kaufen konnte,
ohne dafür eine Bank sprengen zu müssen.«
Aber der Start als Winzer verlief mühsam: »Alle Châteaux
hatten 400 Jahre Tradition, alle kannten sich, nur ich war außen
vor.« Seine Kinder gingen im Städtchen Saint-Émilion zur
Schule, wo sich die anderen Eltern morgens mit Küsschen links
und rechts begrüßten, »bloß ich bekam keine ab«. Als Maltus
seinen Kellermeister fragte, woran das liege, antwortete der:
»Du bist im falschen Teil von Saint-Émilion, darum gehörst
du nicht dazu.« Nur wer auf dem Kalkplateau und an den
Hängen unterhalb der Stadt begütert ist, zählt zur Kaste der
Châteaux, die als Premier Grand Cru Classé und Grand Cru
26 FINE 4 | 2021 BORDEAUX
Classé eingestuft sind. Maltus begriff, dass er auch »Weinberge
im richtigen Teil von Saint-Émilion« erwerben musste, um als
Winzer anerkannt zu werden.
So zögerte er nicht, als sich 1996 die Gelegenheit bot, dreieinhalb
Hektar Reben von den Brüdern Gouteyron zu übernehmen,
die Vieux Château Mazerat im Mazerat-Tal führten.
Damit befand er sich endlich in bester Gesellschaft: Eine Seite
der Parzelle grenzt an Weinberge von Château Canon, die andere
an das Areal von Château Angélus. Die Rebstöcke stehen auf
kalkhaltigem Lehm mit Sand und auch einem Anteil Eisen.
»Ich musste mein Haus in Chelsea verkaufen, um das Stück
Land zu bekommen«, fügt Maltus lakonisch an.
Ein vermeintlicher Fehlkauf
erwies sich als Glücksfall
Die Freude über den »big deal« wurde schnell getrübt: Der
Brite war überzeugt, einen Weinberg mit Merlot gekauft zu
haben – es war Winter, und die Reben trugen keine Blätter,
an denen sie leichter zu erkennen gewesen wären. Erst nach
sechs Wochen stellte er fest, dass er hauptsächlich Cabernet
Franc erstanden hatte; nur ein kleiner Teil des Weinbergs ist
mit Merlot-Reben bepflanzt. »Ich dachte erst, ich hätte es völlig
vermasselt «, erzählt Maltus, der mit kraftvollen und holzwürzigen
Weinen den amerikanischen Markt erobern wollte:
»Merlot wäre für diesen Weintyp prädestiniert gewesen, aber
ich hatte nun eine ganze Menge Cabernet.«
Zur selben Zeit formierten sich in Saint-Émilion die
»Garagisten«, die nur winzige Parzellen bewirtschafteten und
Wein in so geringen Mengen erzeugten, dass sie dafür nicht
mehr Platz als den einer Garage brauchten. Niedrige Erträge,
kleine Produktion, viel Kraft und viel neues Holz, so lautete
die Formel für die sogenannten Garagenweine, die gerade in
den USA Begehrlichkeiten weckten und vom einflussreichsten
Kritiker Robert Parker Bestnoten bekamen. An die Spitze der
Bewegung setzte sich Jean-Luc Thunevin mit seinem Château
Valandraud; Stéphane Derenoncourt und Jonthan Maltus waren
mittendrin. Auch Jacques Thienpont wurde zu der Bewegung
gezählt, der mit Le Pin den ersten Garagenwein in Bordeaux
aufgelegt hatte. »Ich habe ihn bewundert«, gesteht Maltus,
»er war den anderen um zehn Jahre voraus.«
Saint-Émilion galt plötzlich als einer der aufregendsten Orte
der Weinwelt – und Maltus war der Winzer, der den größten
Jonathan Maltus
ist als Winzer
Autodidakt. Ehe
er diese Passion
entdeckte, war
er als Ingenieur
im Dienste der
Ölindustrie durch
die Welt gereist
BORDEAUX
FINE 4 | 2021 27
GLÜCKSKIND
UND VISIONÄR
VOR DREI JAHRZEHNTEN BEKAM HANS OLIVER SPANIER
EIN KOSTBARES GESCHENK: EIN STEILES STÜCK LAND
AM FRAUENBERG IM ZELLERTAL. AUCH DANK DIESER
LAGE IST ER HEUTE MIT DEN RHEINHESSISCHEN GÜTERN
BATTENFELD-SPANIER UND KÜHLING-GILLOT GANZ
VORN DABEI, WENN ES GILT, TROCKENE RIESLINGE AUF
DIE GROSSEN WEINKARTEN DER WELT ZU BRINGEN
Von KRISTINE BÄDER
Fotos RUI CAMILO
38 FINE 4 | 2021 RHEINHESSEN
RHEINHESSEN FINE 4 | 2021 39
Ein Gespräch mit Hans Oliver Spanier dreht sich selten nur um Wein, um Lagen, Böden,
Weinstile. Es passiert schnell, dass man über ganz andere Inhalte spricht, über den Fleiß,
der notwendig ist, um Erfolg zu haben, über »Borniertheit« – ein Wort, das er oft und gern
verwendet –, die große Betriebe innerhalb einer Generation ihre Existenzberechtigung
kostet, über Mangel an Leistungsbereitschaft, die man im Sport beobachtet und die in
der Gesellschaft immer mehr verloren zu gehen scheint. Und doch landet man über diese
kleinen Ausflüge immer wieder bei dem Thema, das seit mehr als 30 Jahren Spaniers Leben
bestimmt. Kaum ein deutscher Winzer kann ähnlich druckreif über Wein sprechen, mit
ausdrucksstarken Bildern und mächtigen Worten, wie der Mann aus dem rheinhessischen
Hohen-Sülzen, der dabei in Momenten der Kritik immer haarscharf an der Grenze zur
Provokation vorbeigeht.
Nach einem herausfordernden Jahr, in dem
das Wetter den Winzern alles abverlangte,
wenn sie gesunde und aromatische Trauben
ernten wollten, ist Hans Oliver Spanier optimistisch.
Der Herbst spendet den Reben noch ein paar versöhnliche
Sonnentage. »Wenn das Wetter nun noch
ein wenig mitspielt«, meint Spanier, »wird das doch
ein guter Jahrgang. Die Säurewerte sind top.« Smart
in dunklen Hosen, weißem Hemd und enger Weste
kommt er im Elektrocaddy angefahren und wird
dem Ruf gerecht, der ihm und seiner Frau Carolin
vom Weingut Kühling-Gillot vorauseilt: zwei Güter,
die für große Weine stehen, und ein Winzer-Ehepaar,
das bewusst Lifestyle verkörpert.
Am Rand des malerischen Dorfes im südlichen
Rheinhessen steht der dunkelgrau gestrichene große
Keller an der Straße wie eine Trutzburg, die neugierige
Blicke der Vorbeifahrenden abhält. »Das
Areal haben wir 2004 gekauft«, erzählt Spanier, »da
stand hier nur eine Scheune.« Der Gang durch den
40 FINE 4 | 2021 RHEINHESSEN
über die Jahre immer weiter vergrößerten Keller
wirkt unspektakulär: schlicht und funktional, fast
ein wenig steril, der Rotweinbereich noch gähnend
leer. »Das bleibt auch überschaubar«, sagt Spanier,
»grundsätzlich produzieren wir eben mehr Riesling.
Spätburgunder gibt es nur als Ortswein aus
Ersten Lagen und als GG, viel mehr soll das gar nicht
werden.« Seine Vorstellung von dieser Rebsorte
ist präzise und orientiert sich an der Spitze. »Spätburgunder
braucht große Lagen, und da sind die
Herkünfte bei uns eben rar«, sagt Spanier, für den
Burgunder Tiefe haben und fleischig sein müssen.
Schon als Kind war dem späteren Selfmademan
klar, dass er mal in die Landwirtschaft wollte:
»Ich habe das geliebt, mit dem Opa draußen zu sein,
den Geruch des Traktors, des Bodens, das habe ich
genossen.« Trotzdem sahen die Eltern nach der
Hauptschule für den Sohn Betriebswirtschaft vor
und schickten ihn zur Handelsschule. »Im ersten
Zeugnis kam mein großes Erwachen«, erinnert er
sich, »nur Vieren, Fünfen, Sechsen. Am nächsten
Morgen bin ich zwar mit dem Mofa losgefahren, aber
nicht mehr in der Schule angekommen.«
Klare Ansage: »Ich brauche eine
Lehrstelle als Winzer. Jetzt!«
Stattdessen wurde er direkt bei der Landwirtschaftskammer
in Alzey vorstellig mit den Worten: »Ich
brauche eine Lehrstelle als Winzer. Jetzt!« Zwei
Anrufe und einen Besuch im künftigen Lehrbetrieb
später machte er sich mit einem unterschriebenen
Ausbildungsvertrag auf den Heimweg, um den Eltern
zu erklären, dass es mit der Betriebswirtschaft nichts
werden würde. »Das war damals eine gewagte Entscheidung«,
erkennt er im Rückblick, »Rheinhessen
war 1985 im Tal der Depression, ohne Fantasie, ohne
Vision.« Aber als Radfahrer hatte er gelernt zu beißen,
dranzubleiben, Grenzen auszuloten. Den Gedanken
an eine Karriere als Profisportler hatte er immerhin
auch einmal.
Vier Dinge waren für den Winzer Hans Oliver
Spanier von Beginn an klar – dass er Riesling
machen wollte, dass der bio sein musste, dass Herkunft
wichtig war und dass die Weine trocken sein
sollten: »Wenn man international von großen Rieslingen
reden will, so wie von großen Burgundern,
dann müssen die auch trocken sein, da gibt es keinen
Kompromiss.« Unter drei Gramm Restzucker lässt
er seine Weine gären. Die Großen Gewächse, alle
spontan vergoren, lagern deshalb in den gebrauchten
Stückfässern im Keller, »das ist eine ganz andere
Spontanvergärung als im Edelstahl«.
Gerade das Thema Herkunft schien damals weit
weg: »Die Welt wollte davon nichts wissen und
Deutschland schon mal gar nicht.« 1990 bot ihm
ein Winzer den Weinberg in der Lage Frauenberg
im Zellertal als Geschenk an. »Die Lage ist steil, mit
Terrassen und Treppen, das war kompliziert, das
wollte damals niemand haben.« Spanier zögerte
dennoch nicht lang. Der Winzer nahm ihm das
RHEINHESSEN FINE 4 | 2021 41
EINE KARRIERE
WIE IM FILM
68 FINE 4 | 2021 KATALONIEN
Seit 2010 führt Mireia Torres
Maczassek Regie beim Weingut
Jean Leon. Sie knüpft an die
Domänen- und Lagenphilosophie
des Gründers an und macht sein
Erbe zukunftssicher
DIE QUALITÄTSREVOLUTION DES SPANISCHEN WEINBAUS BEGANN MIT
EINEM EMIGRANTEN, DER IN HOLLYWOOD DURCH EIN ITALIENISCHES
RESTAURANT BERÜHMT WURDE UND IN KATALONIEN DIE ERSTEN WEINE
AUS FRANZÖSISCHEN REBSORTEN KELTERTE: DIE GESCHICHTE VON
JEAN LEON, DESSEN GUT SEIT 1994 DER FAMILIE TORRES GEHÖRT, ZÄHLT
ZU DEN SPEKTAKULÄRSTEN ÜBERHAUPT IN DER WELT DES WEINS
Von STEFAN PEGATZKY
Fotos JOHANNES GRAU
KATALONIEN FINE 4 | 2021 69
Das Weingut Jean Leon verströmt mehr als nur einen Hauch von Kalifornien: ein
Besucherzentrum, das mit seiner bungalowartigen Architektur und dem gewellten
Dach an das berühmte »Wave House« von 1955 in Palm Desert erinnert, ein
Mercedes Cabrio mit Nummernschild aus dem »Golden State« in der Auffahrt,
Regiestühle mit Filmklappen im Innern neben lebensgroßen Aufstellern von
Frank Sinatra, Paul Newman und Marilyn Monroe. Zugleich hat das Anwesen
mit seiner kleinen Kunstgalerie, den historischen Vitrinen und dem Shop am
Ausgang etwas von einem Museum. »Jean Leon: a Man, a Time, a Wine«, lautet
das Leitmotiv der Inszenierung, und es macht klar: Nur wer den Menschen Jean
Leon und dessen Zeit versteht, versteht auch Jean Leon, den Wein.
Rückblende, ein Abend im Sommer 1955. In der »Villa
Capri«, einem der angesagtesten Restaurants von Los
Angeles, sprachen – so erzählt es jedenfalls Martí Gironell
in der preisgekrönten dokumentarischen Romanbiografie »Stars
in His Eyes« – die drei Freunde Jean, Jimmy und Ronnie über
ihre Träume. Jimmy, mit 24 der jüngste von ihnen, stand vor
den Dreharbeiten seines dritten Films, wollte aber mit dem zwei
Jahre älteren Jean in Kürze auch ein gemeinsames Restaurant
aufmachen. Der wiederum sprach schon davon, eines Tages
seinen eigenen Wein zu produzieren. Für Ronnie, mit 44 Jahren
der Senior der drei und ein landesweit bekannter Fernsehmoderator,
war beides bereits ausgemacht: »Klare Sache, Jean!
Für dich der große Wein, für Jimmy eine erfolgreiche Karriere
und für mich … Mensch, vielleicht werde ich einmal Präsident
der Vereinigten Staaten … Aber eins verspreche ich dir, Jean:
Wenn unsere Träume wahr werden, stoßen wir auf unseren
Erfolg mit deinem Wein an.« Wenige Wochen später sollte
James Dean am Steuer seines Porsche bei einem Unfall sterben,
aber am 20. Januar 1981 hielt Ronald Reagan sein Versprechen,
als er zum Abendessen seiner Amtseinführung im Weißen Haus
1980er Chardonnay und 1975er Cabernet Sauvignon von Jean
Leon servieren ließ.
Vom Tellerwäscher zum Millionär:
Hier stimmt das Klischee wirklich
Diese Ehrung machte Jean Leon endgültig zur Verkörperung
des amerikanischen Traums. Denn vor seiner Zeit als »König
von Beverly Hills«, wie Sebastián Moreno seine Leon-Biografie
betitelt hat, als Weingutsbesitzer und einer der meistgefeierten
Gastronomen der Welt, war er buchstäblich den Weg vom
Tellerwäscher zum Millionär gegangen.
Ángel Ceferino Carrión Madrazo, wie Jean Leon ursprünglich
hieß, war mit seiner elfköpfigen Familie 1941 nach einem
Großbrand aus dem nordspanischen Santander nach Barcelona
gezogen; noch im selben Jahr verlor er seinen Vater und den
älteren Bruder. Sechs Jahre später verließ der 19-Jährige das
graue, perspektivlose Spanien des Diktators Franco, ohne der
Familie Lebewohl zu sagen, und machte sich zu Fuß über die
Pyrenäen nach Frankreich auf. Nach zahlreichen Versuchen,
Amerika zu erreichen, gelang ihm 1949 von Le Havre aus die
Überfahrt. In New York half er zunächst im Lokal eines Onkels
in der Bronx aus, erwarb eine Taxifahrer-Lizenz (unter deren
Nummer 3055 heute die Basisweine von Jean Leon vermarktet
werden) und nahm den Namen Justo Ramón Léon an. Fasziniert
vom Kino – und wohl auch als Flucht vor dem drohenden Wehrdienst
– kaufte er sich im Dezember 1949 ein One-Way-Ticket
und setzte sich in den Bus nach Los Angeles.
Die folgenden Jahre, von 1950 bis 1962, tragen die Züge
eines modernen Märchens, durchzogen von Motiven eines
Film noir. Dabei stand am Beginn dieses Abschnitts zunächst
ein Scheitern: das als Schauspieler. Immerhin wurde der junge
Mann, nun unter dem Namen Jean Leon, Teil einer Clique,
deren Mitglieder alle zu Stars werden sollten – Natalie Wood,
Dennis Hopper und vor allem James Dean, bald sein engster
Freund. Zur gleichen Zeit ergatterte er einen Kellnerjob im
Hollywood-Hotspot »Villa Capri«, der seinem Idol Frank Sinatra
70 FINE 4 | 2021 KATALONIEN
gehörte – wie er das schaffe, darüber gibt es, wie über manche
Episoden im Leben von Jean Leon, unterschiedliche Versionen.
Sicher ist, dass er im November 1954 Sinatra und der Baseball-
Legende Joe DiMaggio ein falsches Alibi gab, um sie vor einer
Gefängnis strafe zu bewahren. Von da an gehörte Leon zum
inneren Kreis von Frank Sinatra, um den sich Stars, Politiker
und Mafiosi scharten wie die sprichwörtlichen Motten ums Licht.
Zu Sinatras nicht geringem Verdruss machte sich Jean Leon
trotz des Unfalltodes seines Freundes James Dean selbstständig.
Am 1. April 1956 eröffnete er das Restaurant »La Scala« am
Santa Monica Boulevard in Beverly Hills, nahe der Luxusmeile
Rodeo Drive – mit feinem Gespür für den Zeitgeist, denn in
diesen Jahren sollte sich das gesellschaftliche Leben der Filmfabrik
von ihrem historischen Zentrum um den Hollywood
Boulevard Richtung Westen verlagern. Auch die vom (aus
Galicien stammenden) Küchenchef Emilio Nuñez mit Hingabe
gepflegte italienische Küche traf den Nerv der Zeit: Es
war das erste Restaurant in Los Angeles mit hausgemachten
Nudeln, das Olivenöl stammte aus Ligurien, der Büffelmozzarella
wurde mit Scandinavian Air eingeflogen. Die italienische
Regierung sollte das Restaurant später als »besten Botschafter
der italienischen Küche in den USA« auszeichnen.
privaten, absolut diskreten Rückzugsort mit Fotografieverbot.
Kein Wunder, dass John F. Kennedy das Lokal als Basis für
seine Aufenthalte in Los Angeles nutzte und fünf weitere US-
Präsidenten im »La Scala« dinierten. Längst war Jean Leon
selbst berühmt und galt als »Star der Stars«. Doch trotz der
unzähligen Anekdoten um ihn: Schweigen war sein wichtigstes
Kapital. Erst 2002 sollte etwa enthüllt werden, dass Leon am
späten Abend des 4. August 1962 das Essen für Marilyn Monroe
gebracht und sie in ihrer Todesnacht mit Robert Kennedy
angetroffen hatte.
Mit der Monroe starb zugleich das klassische Hollywood –
und wieder hatte Jean Leon das Bedürfnis, etwas Neues anzufangen.
1962 lud ihn seine enge Freundin Elizabeth Taylor zu den
letzten Dreharbeiten für »Cleopatra« in der römischen Cinecittà
ein. Leon nutzte die Europareise nicht nur, um Liz Taylor
zu treffen und seiner Frau, die wie fast alle in seiner Umgebung
glaubte, er sei Franzose, seine spanische Herkunft zu gestehen,
Bei Leon gab’s Tony-Curtis-Wurst
und Dean-Martin-Hähnchen
Seinen enormen Erfolg verdankte das »La Scala« aber nicht
nur dem Essen. Vom Tag seiner Gründung an war es ein In-
Lokal von Hollywood mit Stammgästen wie Warren Beatty, Paul
Newman, Marlon Brando oder Zsa Zsa Gabor, nach denen Jean
Leon viele Gerichte auf seiner Karte benannte, etwa »Pollo
à la Dean Martin« oder »Italian Sausage Tony Curtis«. In
einer Zeit, zu der Restaurantbesitzer Bestechungsgeld von
Journalisten erhielten, wenn sie ihnen Insidergeschichten über
Hollywoodstars lieferten, schuf Jean Leon für diese einen halb
KATALONIEN FINE 4 | 2021 71
WIE GROSS SIND
DIE GROSSEN
RESERVEN?
DER ÖSTERREICHISCHE SEKTVERBAND SIEHT SICH AUF
AUGENHÖHE MIT DER CHAMPAGNE. WIR WOLLTEN WISSEN,
OB SICH DIE WINZER DORT SCHON SORGEN MÜSSEN
Von SIGI HISS
98 FINE 4 | 2021 TASTING
Fotos GUIDO BITTNER
Schaumweine aus nicht klassischen Regionen
drängen zunehmend in die erste Reihe und
machen den Leitbildern der Champagne, der
Franciacorta oder des Penedès Konkurrenz – zwar
noch behutsam, aber immerhin. In Österreich gibt
es seit 2015 mit der Einführung einer dreistufigen
Qualitätspyramide für Sekte ernsthafte Ansätze, der
175 Jahre alten Schaumweintradition sinnvolle und
logische Rahmenbedingungen für einen Aufstieg
in die erste Riege an die Hand zu geben. Passende
Terroirs und das grundlegende Fachwissen sind vorhanden,
es fehlt allerdings an Tradition und entsprechend
an Erfahrung. Noch viel zu oft läuft die
Sektproduktion in den Weingütern nebenbei mit und
wird nicht mit der gleichen Aufmerksamkeit und
Konsequenz verfolgt wie der Ausbau von Stillweinen.
Unter dem Label »Österreichischer Sekt
mit geschützter Ursprungsbezeichnung«, kurz
»Sekt g.U.«, sind die maßgeblichen Stellschrauben
für die Qualität definiert, etwa Hefelager, Dosage,
der früheste Zeitpunkt der Vermarktung und die
Menge an Saft, die aus den Trauben gepresst wird.
Sekte der Basiskategorie Klassik müssen mindestens
neun Monate auf der Hefe lagern und dürfen erst
zwölf Monate nach der Ernte verkauft werden. Alle
Dosagen und Herstellungsweisen sind erlaubt, also
neben der traditionellen Flaschengärung auch das
Transvasier-Verfahren (Trennen von der Hefe durch
Filtration) sowie die Charmat-Methode (Tankgärung).
Auch Jahrgangssekte darf es in dieser Kategorie
geben, allerdings keine engere Herkunftsbezeichnung.
Die Vorgaben für die zweite Stufe unter der
Bezeichnung Reserve fallen deutlich strenger aus:
Handlese, Ganztraubenpressung mit maximal 60 Prozent
Saftausbeute, traditionelle Flaschengärung,
18 Monate Hefelager und 24 Monate Sperrfrist bis
zum Verkauf sollen einen deutlichen Qualitätsunterschied
zum Einstiegssegment definieren. Zudem
TASTING FINE 4 | 2021 99
JÜRGEN DOLLASE
HIER SCHENKT
DER CHEF
SELBST AUS
JÜRGEN DOLLASE ISST BEI FRANCESCO PUGLIESE
IM »ALTEN HAFERKASTEN« IN NEU-ISENBURG
Fotos GUIDO BITTNER
Wenn wir für diese Kolumne ein Lokal
besuchen, das in keinem Restaurantführer
verzeichnet ist, haben wir unsere Gründe.
Es gibt sie eben noch, diese Adressen, die in ihrer
Region keineswegs Geheimtipps sind, sondern sich
»einer großen Popularität erfreuen« und trotzdem
durchs Bewertungsraster der Guides fallen. Der
Grund ist deren bekannte Unsicherheit bei der
Beurteilung regionaler Küchen (und einer ganzen
Reihe von Länderküchen). Gerade dann, wenn
diese Küchen sich ein hohes Maß an Authentizität
bewahrt haben und sich kaum an aktuellen Feinschmeckermoden
orientieren, wird ihre Qualität oft
nicht sinnvoll eingeordnet. Dabei haben die Weinfreunde
die Zusammenhänge längst erkannt und
gehen oft ihre eigenen Wege. Es gibt eine ganze Reihe
von Restaurants mit großartigen Weinsammlungen,
in denen die Gastronomen entsprechend denken
und handeln und dabei selten so formell organisiert
sind, wie dies bei vielen Spitzenrestaurants der Fall
ist. Soll es entspannt zugehen, ist die Kombination
von guten Weinen und einem Essen, das eine ähnliche
emotionale Ladung wie der Wein hat, für viele
Gäste unübertroffen. In dieser Folge sind wir daher im
»Alten Haferkasten« in Neu-Isenburg bei Frankfurt,
einem italienischen Restaurant, das 1960 eröffnet
wurde und seit 1986 im Besitz der selben Familie ist.
Der amtierende Chef des »Alten Haferkasten«,
FRANCESCO PUGLIESE, ist in Personalunion
Inhaber, Chefkoch und Sommelier. In der Praxis
jongliert er souverän zwischen dem Empfang seiner
vielen Stammgäste, der Küche und der Weinberatung
unterwegs. Unabhängig vom Weinangebot des Hauses
lohnt es sich hier immer, nach weiteren Spezialitäten
und Qualitäten zu fragen, denn der Keller des Hauses
bietet eine Menge Möglichkeiten. Der 1977 geborene
Koch ist im Restaurant seines Vaters Saverio groß
geworden. Mit zwölf Jahren kochte er seine ersten
Spaghetti Vongole, fuhr mit zum Fischmarkt und in
die alte Frankfurter Großmarkthalle. Mit 14 Jahren
stand seine Berufswahl fest, er begann Kochbücher
und Rezepte zu studieren. Nach dem Abitur machte
Pugliese längere Praktika im Restaurant »Weidemann«
in Frankfurt und im »Hostal de La Gavina«
in S’Agarò in Katalonien. Weil im elterlichen Betrieb
Personalmangel herrschte (und übrigens trotz der
Zusage für eine Stelle in der Brigade von Ferran
Adriàs »El Bulli«), kehrte er im Jahr 2001 in den
»Alten Haferkasten« zurück, absolvierte dort seine
Ausbildung und übernahm 2005 die Küchenleitung.
Seit 2007 ist er Inhaber des Restaurants, das auch
dadurch auffällt, dass hier das Team in Küche und
Service schon seit vielen Jahren zusammenarbeitet.
Der Wein ist die Passion des Hausherrn. Auf der Karte
stehen neben italienischen auch große französische
Weine im Mittelpunkt, zudem pflegt der Wirt enge
Verbindungen zu einigen deutschen Erzeugern.
114 FINE 4 | 2021 WEIN & SPEISEN
WEIN & SPEISEN
WEIN & SPEISEN FINE 4 | 2021 115
JÜRGEN DOLLASE
Getrüffeltes Rindercarpaccio mit Rührei
Dieses Carpaccio ist keines der üblichen. Oft
wird dieses Gericht von Olivenöl und Pinienkernen
dominiert, während man das zu dünn aufgeschnittene
Fleisch meist gar nicht mehr schmeckt.
Francesco Pugliese hat sein Carpaccio purifiziert, um
einen wirksamen Dreiklang – Fleisch, Ei, Trüffel –
zu erreichen. Für die richtige Balance sorgen eine
gute Menge gut wirksamer Trüffelscheiben und
ein mild gewürztes Rührei, das nicht zu fest ist. Das
Ergebnis bringt einen glasklaren und durchgehend
stabilen Akkord.
WEIN 1 Ein 2019er Chardonnay Il Marzocco,
Toscana vom Weingut Avignonesi in Valiano di
Montepulciano. Der Wein wurde mit einer Temperatur
von 13 Grad bei einer Raumtemperatur von
23 Grad serviert. Im »Alten Haferkasten« werden
vor allem die komplexeren Weißweine kühl, aber
nicht kalt kredenzt. Dieser Klassiker, den Francesco
Puglieses Vater schon vor 30 Jahren zum Carpaccio
eingesetzt hat, besitzt die typische Nase vieler guter
italienischer Weißweine mit einem kompakten,
weinigen Spektrum ohne spezifische Fruchtnoten.
Am Gaumen schmeckt er elegant, mittig, mit später
leicht herben Kräuternoten. Zum Carpaccio hat man
schon in der Nase das Gefühl, dass Wein und Essen
zusammengehören. Der Wein wird geradezu samtig,
hat eine milde Ansprache, verzahnt sich dann elegant
und ist im Nachhall etwas länger als das Essen.
WEIN 2 Ein 2019er Antinori Cervaro della
Sala Bianco vom Castello della Sala, Orvieto/
Umbrien. Der Wein wurde mit einer Temperatur
von 14 Grad serviert. Er besteht aus rund 90 Prozent
Chardonnay und 10 Prozent Grechetto. Dieser große
italienische Weißwein hat eine sofort begeisternde,
sehr »burgundische« Nase. Am Gaumen zeigt sich
sehr viel Substanz mit einem mächtigen Körper, einer
gegenüber der Nase stärker eingebundenen Holznote
und einer eleganten, stabilen Länge. Im Glas
ist er schnell präsent, wirkt nach fünf Minuten deutlich
leichter und entwickelt nach einer Viertelstunde
große Perfektion. Auch der Cervaro scheint ein wenig
wie das Gericht zu duften. Weil er sehr kräftig ist,
sollte man ihn zügig nach einem Bissen trinken,
dann ergibt sich eine intensive Verzahnung mit den
Aromen des Essens und es ereignen sich viele kleine,
aber gut wahrnehmbare Reaktionen, bevor sich der
Wein im Nachhall wieder klar durchsetzt.
Die Empfehlung besteht aus zwei »sehr
italienischen« Weißweinen, die im Vergleich
zu fruchtbetonteren Weinen deutlich weniger,
kompakter und vielfältiger wirken. Im Vergleich
zum großartigen Cervaro wirkt der Avignonesi-
Chardonnay etwas blasser, zeigt seinen Wert aber
in der selbstverständlichen Eleganz und natürlich
auch im gemäßigteren Preis. Den Cervaro muss
man in seiner Intensität und explosiven Wirksamkeit
annehmen, wirken lassen und genau verfolgen,
um sein komplettes Potenzial zu erfassen. Eine sehr
gute Empfehlung, die nicht zuletzt dadurch gewinnt,
dass sie äußerst präzise zum Essen passt.
116 FINE 4 | 2021 WEIN & SPEISEN
Wolfsbarsch mit Spinat, Pilzen und Salbei
Serviert wird ein Wolfsbarschfilet mit leicht krosser
Haut auf einem Sockel von Spinat, dazu eine leicht
aufgeschäumte helle Sauce mit Spuren vom Olivenöl
aus der Garung, auf dem Filet thronen Pilze und leicht
kross frittierte Salbeiblätter. Der Geschmack ist – wie
immer im »Alten Haferkasten« – »italienischer«, als
diese Kombination aus der Hand eines deutschen
Kochs schmecken würde. Der Grund liegt in der
unforcierten Würze und damit einer klareren Wirkung
der Produkte, in der sicheren Arbeit mit Olivenölen
und einer sehr selbstverständlich wirkenden
sensorischen Struktur, die immer mit guten, süffg
schmeckenden Proportionen einhergeht. Die Sauce
etwa hat weniger Säure als in vielen französischen
Fassungen, und das, was man vom Olivenöl schmeckt,
bringt eine angenehme, nie grob wirkende Bodenständigkeit.
WEIN 1 Ein 2019er Sauvignon Blanc fumé
vom Weingut Oliver Zeter, Neustadt-Haardt/Pfalz.
Der Wein wurde mit einer Temperatur von 10 Grad
serviert. In der Nase zeigt sich in Sekundenschnelle
eine gewaltige Frucht, die wie die Essenz aller
Sauvignon-Noten wirkt. Am Gaumen konzentriert
sich die Kraft ganz auffällig auf ein sofort hervorstechendes
würziges Register, das ein wenig wie Kiwi
plus herzhaft-vegetabiler Ergänzungen schmeckt.
Die Nase verändert sich auch nach längerer Zeit im
Glas nur unwesentlich. Mit dem Essen wird der Wein
mehr »zum Italiener«, also deutlich mittiger. Mit
mehr Spinat und Sauce zeigt sich eine große Säure
im Sinne einer angereicherten, komplexen Säure, die
nicht als Folge einer Reduktion der anderen Noten,
sondern quasi zusätzlich entsteht. Der gesamte Eindruck
ist sehr expressiv.
WEIN & SPEISEN
WEIN 2 Ein 2019er Chardonnay DOC Venezia
Castello di Roncade Bianco dell’Arnasa vom Weingut
Barone Vincenzo Ciani Bassetti in Roncade/Treviso.
Der Wein wurde mit einer Temperatur von 4 Grad
serviert. Die Nase wirkt sofort sehr ungewöhnlich
und individuell. Es gibt leicht süßliche Noten, die
in ein mildes, gemüsiges Fach übergehen, dazu
exotische, aber kaum identifizierbare Fruchtnoten.
Am Gaumen ergibt sich schnell eine klare, in dieser
Form sehr überraschende Honignote, die im Verlauf
von weinigen Aromen und einem Hauch von
geschmortem Gemüse unterlegt wird. Die Reaktion
ist vollkommen anders als beim Sauvignon Blanc
von Zeter. Die Honignote bleibt wirksam und sorgt
wesentlich für ein komplett anderes Register der
Reaktionen. Für einige Sekunden färbt der Wein das
ganze Essen ein, bevor er dann trockener reagiert und
diesem Akkord eine eher weinige Grundierung gibt.
Beide Empfehlungen sind gut und bringen echte
Mitspieler, die nicht einfach nur passen, sondern
klare Reaktionen und Bewegung am Gaumen verursachen.
Der Sauvignon Blanc ist eine dominante,
stets präsente Wahl, ein Wein, der immer auch
ein beträchtliches Stück weit bei sich bleibt. Der
Chardonnay, der für seine Preislage mit viel
Individualität überrascht, ist im Charakter deutlich,
aber in der Intensität eher in der Rolle des Mitspielers,
der, auch ohne ein großer Wein zu sein, eine
Menge differenzierter Ereignisse produziert. Diese
Reaktionen zeigen – anders als beim Sauvignon
Blanc – je nach Akkord beim Essen deutlich unterschiedliche
Nuancen.
WEIN & SPEISEN FINE 4 | 2021 117
FINE DAS WEINMAGAZIN 1|2022 erscheint
im März 2022
... voraussichtlich mit diesen Themen: BORDEAUX Château Lafleur in Pomerol und
Château Tertre Roteboeuf in Saint-Émilion BURGUND Die fünf Chablis-Güter
Vincent Dauvissat, Jean-Paul & Benoît Droin, William Fèvre, Long-Depaquit und François
Raveneau KATALONIEN Mehr von der Familie Torres VERKOSTUNGEN Deutsche
Pinots Noirs von 2008 sowie gereiftes Fruchtiges und Edelsüßes von Adelsgütern WEIN
UND SPEISEN Jürgen Dollase bei Thomas Kellermann in den »Egerner Höfen« am
Tegernsee CHAMPAGNER Die vierte Folge unserer Serie DAS GROSSE DUTZEND
Monteverro in der Maremma Toscana WEIN UND ZEIT Wie das deutsche Weinwunder
weiterging KOLUMNEN von Ursula Heinzelmann, Stuart Pigott sowie den
Kombattanten Uwe Kauss und Dirk Würtz
144 FINE 4 | 2021
DAS MAGAZIN FÜR WEIN UND GENUSS
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großen Weine der Welt – mit wissenswerten Infor mationen, fesselnden Reportagen,
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FINE 4 | 2021 145
FINEABGANG
BESINNUNG
UND NEUANFANG
Nun ist es an der Zeit: Gehen Sie in den Keller oder zum Klimaschrank,
und holen Sie die beste Flasche heraus, die Sie finden. Ob die nun aus
Bordeaux stammt oder aus Burgund, aus dem Rheingau oder von der
Mosel, aus Piemont oder aus dem Napa Valley, darauf kommt es nicht an – die
Hauptsache ist, sie jetzt mit den Liebsten zu teilen, die Sie haben. Nehmen Sie
also am besten gleich zwei Flaschen mit.
Das nämlich macht Wein ganz besonders kostbar, neben all dem andern, das
wir an ihm so schätzen: Ein guter Wein kann inmitten von Wirrwarr und Chaos
eine Insel der Besinnung schaffen, und eine solche Insel, einen Ort zum Durchatmen,
brauchen wir am Ende dieses schwierigen Jahres wahrscheinlich alle.
Was danach kommt, ist aber ebenso wichtig, denn dieser Augenblick von
Genuss und Erholung ist kein reiner Selbstzweck. Im Idealfall entspringt aus
ihm ein wunderbares Gefühl von Leichtigkeit beim Blick in die Zukunft, der Mut
zu dringend fälligen Entscheidungen, zur Eigenverantwortung. Was immer im
neuen Jahr auf uns zukommen mag, wir müssen es anpacken – die nächste große
Flasche, die wir öffnen und teilen, soll ein Champagner sein!
Ihr Ralf Frenzel
Herausgeber und Verleger
146 FINE 4 | 2021 ABGANG
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Der Unterschied heißt Gaggenau.
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