TABU
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EINE UNABHÄNGIGE KAMPAGNE VON MEDIAPLANET<br />
Ta·bu<br />
/Tabú/<br />
Substantiv, Neutrum [das]<br />
1. Völkerkunde – Verbot, bestimmte Handlungen auszuführen, besonders geheiligte Personen oder Gegenstände zu berühren, anzublicken,<br />
zu nennen: etwas ist mit [einem] Tabu belegt, durch [ein] Tabu geschützt<br />
2. bildungssprachlich – ungeschriebenes Gesetz, das aufgrund bestimmter Anschauungen innerhalb einer Gesellschaft verbietet,<br />
bestimmte Dinge zu tun: ein gesellschaftliches Tabu
2<br />
Lesen Sie mehr auf www.gesunder-koerper.info<br />
GESICHTER DIESER AUSGABE<br />
Organspende und Trauer<br />
Depression<br />
Ich heiße Sandra und habe<br />
vor zehn Jahren mein kleines<br />
Mädchen beerdigen müssen.<br />
Mein kleiner Sonnenschein schenkte<br />
zwei neue Leben – und ich wurde<br />
an den Pranger gestellt. "Du hast sie<br />
ausschlachten lassen", "Wie beim<br />
Metzger" – waren nur einige der<br />
Kommentare. Und nach einigen<br />
Wochen wurde mir nahegelegt, dass<br />
"es doch jetzt auch gut ist", es jetzt mit<br />
Trauern reicht. Mir kam es oft vor, als<br />
wäre zu trauern ein absolutes Tabu.<br />
SEITE 04-05<br />
Ich heiße Jonas und habe eine<br />
Depression.<br />
Meine Depressionen haben sich zu<br />
Beginn dadurch geäußert, dass ich<br />
zunehmend lustlos und erschöpft<br />
in den Tag gestartet bin, ohne<br />
mich aus der Stimmung heraus<br />
retten zu können. Es wurde immer<br />
schlimmer, bis ich das Haus gar<br />
nicht mehr verlassen wollte und nur<br />
noch sehr selten Freude oder Glück<br />
empfunden habe.<br />
SEITE 6<br />
Drogensucht<br />
Lust (aus)leben<br />
Ich heiße Lucas, bin 31 Jahre<br />
alt, Vater von zwei Töchtern. In<br />
diesem Beitrag erzähle ich meine<br />
Geschichte und blicke dabei auf 13<br />
Jahre aktive Sucht sowie bald fünf<br />
Jahre Genesung zurück.<br />
Ich kann zusammenfassend sagen:<br />
Die Jahre zwischen meinem 14.<br />
und dem 27. Lebensjahr waren<br />
ausschließlich von der Sucht geprägt,<br />
die einen Tiefpunkt nach dem<br />
anderen zur Folge hatte. Ich stand<br />
vor dem Nichts, hatte jeden betrogen,<br />
der zu mir gestanden hat, und war<br />
obdachlos.<br />
ONLINE<br />
Ich heiße Jana. Ich vermittle<br />
Lust mit Lust. Ohne Stress und<br />
Performancedruck.<br />
Jeder von uns hat eigene Werte,<br />
Moralen und Glaubenssätze, die die<br />
gelebte Sexualität und natürlich auch<br />
die der anderen bewerten. Was gehört<br />
sich, was gehört sich vielleicht nicht?<br />
Wir sind schnell in unserem Urteil, was<br />
sich schickt und was nicht – was man<br />
vielleicht lieber mit einer Affäre lebt als<br />
eben zu Hause im Ehebett. Was wird<br />
nur im Geheimen gelebt und nicht dem<br />
Partner preisgegeben?<br />
ONLINE<br />
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit DIGA info entstanden.<br />
Neue Wege aus der Tabuzone Krankheit<br />
So aufgeklärt und gesundheitsbewusst wir erscheinen wollen: Zu den größten Tabuzonen, denen sich zudem<br />
niemand von uns entziehen kann, zählen gesundheitliche Leiden und Krankheiten.<br />
Text Daniel Wiedemann<br />
Viele Menschen scheuen sich davor, ihre gesundheitlichen Einschränkungen<br />
sich selbst und anderen gegenüber einzugestehen<br />
oder sich ihren Ärzt*innen zu öffnen. Die Gründe dafür sind<br />
vielfältig: Angst vor Stigmatisierung, die Sorge, nicht ernst genommen<br />
zu werden, oder auch die fehlende Motivation, die gesundheitlichen<br />
Probleme anzupacken. Und wenn sie dann über ihre gesundheitlichen (Tabu-)<br />
Themen wie Depressionen, Migräneattacken oder Schlafstörungen sprechen,<br />
bedeutet das noch lange nicht, dass ihnen schnell geholfen werden<br />
kann. Unsere Allgemeinärzt*innen haben oft zu wenige Zeit und können sich<br />
mitunter nicht eingehend mit den leitliniengerechten Behandlungsmethoden<br />
beschäftigen, um die Betroffenen angemessen zu betreuen. Und während man<br />
meist sehr lange auf einen Termin bei Spezialist*innen und Therapeut*innen<br />
warten muss, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich das Krankheitsbild<br />
noch verschlechtert.<br />
Einen neuen Weg aus der “kranken” Tabuzone und den damit verbundenen<br />
negativen Konsequenzen können Digitale Gesundheitsanwendungen (kurz<br />
DiGA) bieten. Als zertifizierte Medizinprodukte ist ihre Wirksamkeit durch<br />
klinische Studien belegt, sodass sie als „App auf Rezept“ von Ärzt*innen und<br />
Therapeut*innen verschrieben werden können. Die Kosten werden von allen<br />
gesetzlichen und den meisten privaten Krankenversicherungen übernommen.<br />
DiGA können als ständige Begleiter ideal in den Alltag der Patient*innen<br />
inte-griert werden, sie geben Tipps zum Umgang mit der Erkrankung und<br />
helfen den Betroffenen neue, auf die Linderung ihrer Erkrankung ausgerichtete<br />
Verhaltensweisen zu erlernen. DiGA schließen damit Versorgungslücken<br />
in der ärztlichen Versorgung und erleichtern den Zugang zu wirksamen<br />
Behandlungsmethoden, die auf aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />
beruhen. So können Betroffene ihre tabuisierten Gesundheitseinschränkungen<br />
viel leichter angehen. In diesem Magazin finden Sie drei DiGA, die<br />
konkrete und direkte Hilfestellungen bei Migräne (M-sense), Depression<br />
(Selfapy) und Schlafstörungen (somnio) bieten.<br />
Auf www.digainfo.de finden Sie mehr<br />
Informationen zu diesen und weiteren DiGA.<br />
Daniel Wiedemann<br />
Geschäftsführer<br />
DiGA info<br />
facebook.com/MediaplanetStories<br />
@Mediaplanet_germany<br />
Please recycle<br />
Project Manager: Linda Dröge, Sophia Walter Business Development Manager: Katharina Sliwa Geschäftsführung: Richard Båge (CEO), Philipp Colaço (Managing Director), Franziska Manske (Head of Editorial & Production), Henriette Schröder (Sales<br />
Director) Designer: Elias Karberg Mediaplanet-Kontakt: redaktion.de@mediaplanet.com Alle mit gekennzeichneten Artikel sind keine neutrale Redaktion vom Mediaplanet Verlag.
Lesen Sie mehr auf www.gesunder-koerper.info 3<br />
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Ahorn Gruppe entstanden.<br />
Unvollkommen vollkommen<br />
Loic<br />
„Wenn ich heute sterben würde, würde ich gerne als vollkommen unvollkommener<br />
Mensch in Erinnerung bleiben. Jemand, der genauso verrückt wie nett war; ein<br />
treuer Freund, ein lästiger kleiner Bruder, ein beschützender großer Bruder und<br />
eine Nervensäge für meine Eltern. Jemand, der viel kämpfen musste, innerlich<br />
und äußerlich, aber nie aufgegeben und immer sein Bestes gegeben hat. Ich denke,<br />
es ist mir wichtig, dass ich für die Menschen, die mir am nächsten stehen, in<br />
freundlicher Erinnerung bleibe, obwohl ich viel Zeit im Schatten verbracht habe.“<br />
Die irdische Hülle wird sekundär<br />
Kilian und Belanna<br />
„Der Mensch verewigt sich psychisch und kann sein Bewusstsein zunehmend auch in die<br />
digitale Welt übersetzen. Die Technologie verspricht uns ewiges Leben. Der Tod ist damit<br />
nur ein technisches Problem und kann selbst bestimmt werden. Die irdische Hülle wird<br />
dann sekundär, da Trendwelten der Vergangenheit angehören und die nächste Entwicklungsstufe<br />
beschritten wird.<br />
In unserem Entwurf bleibt eine Art Kokon zurück beim Übertritt in diese neue metaphysische<br />
Welt. Das Leichentuch verweilt in der alten Welt und vergeht.“<br />
Wie möchte ich<br />
in Erinnerung bleiben?<br />
Julian<br />
„Für mich sind Erinnerungen an Verstorbene<br />
immer schmerzhaft, da sie mit der<br />
Tatsache verbunden sind, dass man sich nie<br />
wieder sehen und eine weitere gemeinsame<br />
Erinnerung haben wird. Diese Wunden<br />
heilen nie vollständig und sind trotzdem<br />
nicht sichtbar. Für mich repräsentieren die<br />
Pflaster daher die Tatsache, dass die Wunde<br />
nicht heilt und man sie nicht physisch sehen<br />
kann, abgesehen von der Körpersprache.<br />
Pflaster sollen Wunden abdecken und vor<br />
Schmutz schützen, aber wir können anhand<br />
ihrer Körpersprache immer noch sehen,<br />
dass die Person Schmerzen hat. Überall im<br />
Outfit und in der Tasche sind Stecknadeln<br />
angebracht, um das Aufreißen der Wunden<br />
darzustellen und wie Schmerzen uns davon<br />
abhalten können, so zu leben, wie wir es<br />
wollen, wie wir vorsichtiger werden, weil wir<br />
Angst haben, wieder verletzt zu werden.<br />
In gewisser Weise verwandeln sie sich auch<br />
in Schutzschilde, um Menschen von einem<br />
fernzuhalten. Die Pflaster an der Wirbelsäule<br />
sind für mich besonders bedeutungsvoll,<br />
weil sie eine Verletzung eines geliebten<br />
Menschen darstellen, die niemals heilen<br />
wird, egal wie viele Pflaster man daraufklebt.<br />
‚Wie möchte ich in Erinnerung bleiben?‘ Ich<br />
möchte auf die am wenigsten schmerzhafte<br />
Weise in Erinnerung bleiben.”<br />
Dein letztes Hemd<br />
Der Tod an sich ist ja schon tabuisiert in unserer Gesellschaft.<br />
Aber der Tod und junge Menschen? Ein Tabu im<br />
Tabu. Im Rahmen der Herbstakademie der Akademie<br />
für Mode und Design (amdnet.de) kamen Studierende<br />
zusammen, um ihre Avatare zu entwickeln für eine<br />
Unsterblichkeit im Netz. Im kreativen Prozess, der einen<br />
Nachruf auf sich selbst und den Entwurf eines Totenkleids<br />
beinhaltete, kamen sie Antworten auf die Frage, wie<br />
sie einst erinnert werden möchten, näher und beschäftigten<br />
sich mit dem Ritual des eigenen Abschieds. Die<br />
Vorstellungen über ein eventuelles Jenseits gingen weit<br />
auseinander, doch am Beispiel des Übergangs von der<br />
physischen in die digitale Welt ließen sich viele ungewöhnliche<br />
Ideen spinnen. Denn wer sich den eigenen Avatar<br />
designt, kommt seinem Vermächtnis auf spielerische<br />
Weise auf die Schliche.<br />
Vier Entwürfe haben wir hier ausgewählt.<br />
Der Workshop wurde gemeinsam mit den Studierenden der AMD entwickelt unter der<br />
Leitung von Charlotte Wiedemann, die mit Angeboten der Plattform friedlotse.de dazu<br />
einlädt, sich mit der eigenen Bestattung auseinanderzusetzen. Initiiert wurde der Kurs von der<br />
Studiengangsleitung für Fashion Journalism & Communication der AMD, Nicole Hardt, und<br />
unterstützt von der Designerin und Stylistin Viviane Hausstein.<br />
Fotos von Angelika Frey<br />
Licht und<br />
Schatten<br />
Malte<br />
„Das Leben ist gefüllt mit vielen Dingen,<br />
wunderbaren, schlechten und neutralen.<br />
Das Beste am Leben ist, am Leben zu sein,<br />
und da die Lebendigkeit der wahre Sinn<br />
des Lebens ist, ist der Tod meiner Meinung<br />
nach genauso wichtig, weil es ein Ende<br />
geben muss, um etwas Neues zu beginnen.<br />
Genauso ist es mit Licht und Schatten,<br />
die beiden sind perfekt ausbalanciert<br />
und brauchen einander, um existieren zu<br />
können.<br />
Was für mich das Leben am besten symbolisiert,<br />
sind die Liebe und das Schaffen von<br />
Leben, zum Beispiel symbolisiert durch<br />
eine Hochzeit, also habe ich einen Schleier<br />
als Inspiration für die Maske gewählt. Der<br />
Tod wird durch die verwendeten Farben<br />
Rot, Schwarz und Weiß angedeutet, das<br />
sind die Farben der Trauer in Südamerika,<br />
Europa und im Buddhismus. Er wird auch<br />
durch das Design der Ärmel visualisiert, die<br />
sich an den Akt des Suizids – einen großen<br />
Teil meines Lebens – anlehnen.<br />
Für die kreative Umsetzung habe ich mich<br />
entschieden, alte Kleidung aufzuwerten,<br />
weil sie dem Leben sehr ähnelt: Das Kleidungsstück<br />
verbraucht sich, wird wieder<br />
zum Leben erweckt, existiert dann weiter<br />
und irgendwann verschwindet es, genau<br />
wie wir.“
4<br />
Lesen Sie mehr auf www.gesunder-koerper.info<br />
Paulas Reise<br />
Auf den Tod eines Kindes ist man nicht vorbereitet und es gibt keine Erklärung,<br />
keine Trostworte, die das Geschehene erträglich machen. Der Tod eines<br />
Kindes stürzt Eltern in tiefste Verzweiflung. Trauer und Angst, Schuldgefühle,<br />
aber auch Wut und Ohnmachtsgefühle angesichts der Endgültigkeit des Todes<br />
prägen den Alltag. Alle Hoffnungen und Träume für die Zukunft werden jäh<br />
zerstört und der Sinn des Lebens scheint plötzlich verloren gegangen zu sein.<br />
So ging es auch Sandra. Der Intensivkrankenschwerster ist das passiert, was<br />
keiner Mutter je passieren sollte. Sie musste ihr eigenes Kind sterben lassen.<br />
Sandra<br />
Intensivkrankenschwester<br />
und Löwenmama<br />
Start-up für<br />
Trauerfreunde<br />
entwickelt weltweit<br />
neuen, digitalen Ansatz<br />
in der Trauerhilfe<br />
www.trosthelden.de ist eine online Matching-Plattform für<br />
Trauernde. Entwickelt von Fachleuten aus Trauerbegleitung,<br />
Trauerforschung und Psychologie, bringt unser weltweit<br />
einzigartiger Algorithmus nicht nur diejenigen Trauernden<br />
zusammen, die in ihrer jeweils individuellen Situation perfekt<br />
zueinander passen. TrostHelden hat insgesamt einen ganz<br />
neuen Ansatz in der Trauerhilfe erschaffen.<br />
Das Ziel von TrostHelden ist, die soziale Vereinsamung<br />
samt sozialer und gesundheitlicher<br />
Folgeschäden, die oftmals mit der Trauer<br />
einhergeht und zu Pandemie-Zeiten ganz<br />
neue Dimensionen bekommen hat, zu minimieren.<br />
Indem wir Trauernde mit gleicher<br />
„Trauersprache“ zusammenbringen. Denn<br />
Gleich und Gleich gesellt sich auch auf diesem<br />
Felde gern – und tut sich gegenseitig<br />
gut.<br />
In den vergangenen Jahren und<br />
durch den Kontakt zu tausenden<br />
Trauernden haben wir,<br />
das sind meine Frau und ich,<br />
uns ein sehr gutes Bild über<br />
elementare Bedürfnisse von<br />
Betroffenen machen können.<br />
Wir mussten lernen, dass das elementarste<br />
aller Bedürfnisse bei den wenigsten Trauernden<br />
befriedigt wird. Dabei geht es darum, ein<br />
Gegenüber zu haben, der komplett versteht.<br />
Über die ganze Zeit der Trauer. Wer kann das<br />
besser als jemand, der ein gleiches Schicksal<br />
verkraften musste oder muss? Der eine ähnliche<br />
Art der Trauerarbeit hat, der sich in ähnlichen<br />
Lebensumständen befindet und damit<br />
die gleiche Trauersprache spricht? Trauernde<br />
wünschen sich oft nichts sehnlicher,<br />
als einen Menschen zu haben, der auf rationaler<br />
und emotionaler Ebene komplettes<br />
Verständnis hat. Vor allem die emotionale<br />
Ebene ist es, die vom sozialen Umfeld und<br />
auch von professioneller Trauerbegleitung<br />
nicht bedient werden kann – für ein gutes Voran-<br />
oder Weiterkommen aber elementar ist.<br />
Da dieses Bedürfnis bisher kaum befriedigt<br />
wird, bedeutet das für unsere Trauerkultur,<br />
dass der Tod nicht nur<br />
traurig, sondern auch einsam<br />
macht. Einsamkeit kann auf<br />
Dauer krank machen.<br />
Dagegen haben wir etwas:<br />
www.trosthelden.de<br />
TrostHelden ist eine noch junge Online-<br />
Plattform (Beta-online seit November 2020),<br />
auf der trauernde Menschen ein Gegenüber<br />
finden, der sie und ihre Gefühle vollkommen<br />
versteht und der die gleiche Trauersprache<br />
spricht. Wenn dies gegeben ist, ist eine<br />
ganz andere Art der eigenen Trauerarbeit<br />
möglich. Tür und Tor stehen für eine Heilung<br />
weit(er) offen! Bisher haben rund 3.000 Betroffene<br />
Hilfe auf TrostHelden gesucht und<br />
gefunden.
Lesen Sie mehr auf www.gesunder-koerper.info 5<br />
Es passierte an einem Sommertag<br />
im August vor zehn Jahren.<br />
Sandra arbeitete im Krankenhaus,<br />
ihre Mutter kümmerte sich um die<br />
Kinder. Sie waren auf dem Weg zu einer<br />
Poolparty. Vorfreude, Gekicher, leuchtende<br />
Kinderaugen auf der Rückbank.<br />
Dann war alles dunkel. Ein betrunkener<br />
Lkw-Fahrer hatte das Auto übersehen. Die<br />
Kinder sowie die Großmutter kommen<br />
schwer verletzt ins Krankenhaus.<br />
Bei Sandra klingelte es an der Tür. Davor<br />
standen Kriminalpolizisten und erzählten<br />
ihr vom Unfall. Alles Weitere nimmt<br />
sie nur noch durch einen Schleier wahr.<br />
Sie fährt ins Krankenhaus und da liegt<br />
sie, ihre kleine Paula, gerade mal vier<br />
Jahre alt. „Dort angekommen bot sich<br />
eines der schrecklichsten Bilder überhaupt.<br />
Seine kleine Tochter völlig hilflos<br />
an Maschinen mit lauter Infusionen,<br />
den ständigen Alarmtönen und<br />
mit Hämatomen im Gesicht und einem<br />
dicken Kopfverband zu sehen, ist ein<br />
Bild, das einen nie wieder loslässt. Ich<br />
saß Tag und Nacht an ihrem Bett, hielt<br />
ihre Hand, sang ihr Lieder vor und flehte<br />
sie immer wieder an, nicht zu gehen. Als<br />
Krankenschwester war mir klar, dass all<br />
das Flehen umsonst ist, denn mein kleines<br />
Mädchen war längst gegangen, ihr<br />
Gehirn hatte aufgehört zu arbeiten.“<br />
Sandra fasste einen Entschluss, der<br />
ihre Tochter weiterleben ließ: Sie gab<br />
ihr kleines Mädchen zur Organspende<br />
frei. „Dass Ärzte wie die Aasgeier um<br />
einen kreisen und einen dazu überreden<br />
wollen, diese Entscheidung zu treffen, ist<br />
ein Irrglaube. Ich sehe in meinem Beruf<br />
jeden Tag, wie Eltern an den Krankenbetten<br />
ihrer Kinder sitzen und weinen,<br />
hoffen und bangen, dass ein geeignetes<br />
Organ gefunden wird, das dem geliebten<br />
Kind das Überleben sichert. Wenn<br />
mein Kind schon nicht groß werden darf,<br />
sollten wenigstens andere Kinder die<br />
Chance auf ein glückliches Leben haben.<br />
Einige Stunden später wurde das Kreuz<br />
in Paulas Krankenakte geschrieben. Nun<br />
war mein kleines Mädchen offiziell für<br />
alle Ämter Tod. Aber ich hatte sie noch<br />
24 Stunden bei mir, da die Suche der<br />
Deutschen Stiftung Organtransplantation<br />
losging. Am nächsten Morgen begleitete<br />
ich mein kleines Mädchen noch bis in<br />
den OP, küsste Paulas Stirn und überließ<br />
Trauern darf kein<br />
Tabu sein. Wir<br />
dürfen trauern,<br />
wir dürfen<br />
Schmerz zulassen,<br />
rauslassen – leben.<br />
Zu Beginn der<br />
Trauerzeit hat<br />
der Tod seinen<br />
Platz im Alltag.<br />
Zu Beginn ist viel<br />
Verständnis und<br />
Hilfsbereitschaft<br />
da. Aber wann hört<br />
„zu Beginn“ auf?<br />
ihren Körper den Ärzten für die Explantation.<br />
Vor der Schleuse standen schon<br />
die grauen Koffer und warteten auf ihre<br />
Organe. Mein kleiner Sonnenschein<br />
schenkte zwei neue Leben. Ihre Leber<br />
ging an ein gleichaltriges Mädchen, die<br />
Nieren an einen Erwachsenen.“<br />
Nach der Organentnahme kam Paula in<br />
die Gerichtsmedizin. Erst drei Wochen<br />
später konnte Sandra ihre Tochter beerdigen.<br />
„Wir haben ihr Grab ganz bunt<br />
gestaltet. Das war mir sehr wichtig. Paula<br />
war so ein Sonnenschein, war immer<br />
fröhlich – das sollte sie auch für alle<br />
sichtbar über ihren Tod hinaus bleiben.“<br />
Leben mit der Trauer – ein Tabu?<br />
Du musst …, du sollst …, jetzt wird es<br />
aber wieder Zeit – sehr selten kommt<br />
die Aufforderung „du darfst“. Du darfst<br />
trauern, verletzlich sein, selbst in der<br />
Aufgabe als Mutter Schwäche zeigen und<br />
Hilfe annehmen. Das musste auch Sandra<br />
erfahren. „Mein Umfeld konnte mit<br />
Paulas Tod überhaupt nicht umgehen.<br />
Ich wurde angestarrt, es wurde verlegen<br />
zur Seite geschaut. Hinzu kam das<br />
Unverständnis von vielen, dass ich die<br />
Organe meiner Tochter gespendet habe.<br />
‚Du hast sie ausschlachten lassen‘, ‚Wie<br />
beim Metzger‘ – waren nur einige der<br />
Kommentare. Und nach einigen Wochen<br />
wurde mir nahegelegt, dass ‚es doch jetzt<br />
auch gut ist‘, es jetzt mit Trauern reicht.<br />
Mir kam es oft vor, als wäre zu trauern<br />
ein absolutes Tabu und einfach nicht<br />
gesellschaftsfähig.“<br />
Trauern darf kein Tabu sein. Wir dürfen<br />
trauern, wir dürfen Schmerz zulassen,<br />
rauslassen – leben. Zu Beginn der Trauerzeit<br />
hat der Tod seinen Platz im Alltag.<br />
Zu Beginn ist viel Verständnis und<br />
Hilfsbereitschaft da. Aber wann hört "zu<br />
Beginn" auf? Ist das nach Wochen,<br />
Monaten oder vielleicht nach Jahren?<br />
Wer entscheidet, wann die Trauer zu<br />
Ende ist und wann ein „normaler“ Alltag<br />
wieder gelebt werden soll? Nur die<br />
trauernde Person weiß, was ihr guttut,<br />
und nur sie kennt ihr Trauertempo.<br />
Gerade beim Tod eines Kindes gibt es<br />
immer wieder Momente, auch nach<br />
Jahren, wo sich die Trauer massiv wieder<br />
aufdrängt. Nicht weil sie schwach<br />
machen möchte und auch nicht in der<br />
Sorge, dass wir zu leichtfertig unseren<br />
Alltag leben. Sie meldet sich, weil die<br />
Liebe zum Kind nie verloren gegangen<br />
ist. Trauer ist nachgetragene Liebe und<br />
Trauer hilft aus der Sprachlosigkeit. Sie<br />
ist existenziell. Man darf sie zulassen,<br />
sich auf sie einlassen und beobachten,<br />
was sie mit einem macht. Gefühle zu<br />
kalkulieren, ist nicht sinnvoll. Wie in der<br />
Liebe kann das Gefühl der Trauer<br />
zugelassen werden, denn die Trauer ist<br />
eines der stärksten Gefühle des Lebens.<br />
So auch für Sandra. „Jeder Tag ist anders.<br />
Manchmal ist die Trauer überwältigend<br />
– auch noch nach zehn Jahren. Paula<br />
wird immer ein Teil meines Lebens<br />
bleiben und ich muss ehrlich sagen:<br />
Hätte ich damals meine beiden Kinder<br />
nicht gehabt, wäre ich heute längst bei<br />
Paula.“<br />
<br />
Text Franziska Manske<br />
ÜBER JUNGE HELDEN e. V.<br />
Junge Helden e. V. ist eine<br />
gemeinnützige Organisation, die<br />
deutschlandweit insbesondere<br />
junge Menschen über Organspende<br />
aufklärt.<br />
Mit der Veranstaltungsreihe „Ein Club<br />
voller Helden“, dem Aufklärungsfilm<br />
„Entscheidend ist die Entscheidung“<br />
und zuletzt mit der „Live Saving<br />
Wallpaper“-Kampagne zeichnet<br />
sich Junge Helden e. V. immer<br />
wieder durch neuartige Ideen aus,<br />
um auf das Thema Organspende<br />
aufmerksam zu machen. Ziel des<br />
Vereins ist es, vor allem Jugendliche<br />
und junge Erwachsene zu motivieren,<br />
eine Entscheidung zu treffen und<br />
diese Angehörigen und Freunden<br />
mitzuteilen. 2003 von Claudia Kotter,<br />
ihrer Familie und ihrem Freundeskreis<br />
gegründet, wird der Verein heute<br />
von einem Kernteam sowie dem<br />
Engagement vieler ehrenamtlicher<br />
Unterstützer fortgeführt.<br />
Wenn man sich zu Lebzeiten nicht<br />
für oder gegen eine Organspende<br />
entschieden hat und der Hirntod<br />
diagnostiziert wird, müssen die<br />
Angehörigen über eine Organentnahme<br />
entscheiden. Wer einen<br />
Organspendeausweis ausgefüllt und<br />
seine Angehörigen über seinen Willen<br />
informiert hat, schützt sie davor, diese<br />
Entscheidung stellvertretend treffen<br />
zu müssen. Gerade in der Situation,<br />
in der man sich von einem Familienmitglied<br />
verabschieden muss, fällt es<br />
den meisten Menschen sehr schwer,<br />
diese Entscheidung im Sinne des<br />
oder der Verstorbenen zu treffen.<br />
Das ist sehr gut nachvollziehbar<br />
und sollte möglichst jedem erspart<br />
bleiben. In rund 70 Prozent der<br />
Fälle sind die Angehörigen bei der<br />
Entscheidung auf sich allein gestellt<br />
und müssen mit dem Zweifel leben,<br />
gegen den Willen des Angehörigen<br />
gehandelt zu haben.<br />
Umso wichtiger ist es, sich zu<br />
Lebzeiten mit seinem eigenen Tod<br />
auseinanderzusetzen und eine<br />
selbstbestimmte Entscheidung zu<br />
treffen.<br />
Instagram: instagram.com/<br />
junge_helden<br />
Spenden: www.junge-helden.org/<br />
mitmachen/spenden<br />
Website: www.junge-helden.org<br />
ANZEIGE<br />
Welche Bedeutung hat das Verständnis im Außen auf Trauernde?<br />
Verständnis im Außen tut in erster Linie gut. Dieses Verständnis dient jedoch<br />
auch als Spiegel, um sich selbst in Trauer besser kennen zu lernen. Durch einen<br />
Schicksalsschlag entsteht im Trauernden von jetzt auf gleich ein Schattenanteil,<br />
der neuer Taktgeber ist. Er ist mit schmerzenden und ohnmächtigen Gefühlen<br />
gepaart, die nicht selten in einer Handlungsunfähigkeit münden. Dieser<br />
Schattenanteil fühlt sich fremd an, ist jedoch ein Teil des Ichs, der durch den<br />
Schicksalsschlag aktiviert wurde. Verständnis im Außen hilft, diesen Schattenanteil<br />
bzw. diesen Anteil des Ichs auszuleuchten. Es hilft, die Trauer zu erkennen,<br />
zu akzeptieren und ins eigene Leben zu integrieren. TrostHelden ist die<br />
einzige Hilfe für Trauernde weltweit, die diesen Aspekt mit seiner Innovation<br />
benennt und berücksichtigt.<br />
Welche Auswirkung hat eine gute Trauerarbeit individuell<br />
und gesellschaftlich?<br />
Menschen, die eine gute Trauerarbeit für sich durchlebt haben, berichten davon,<br />
sich reich beschenkt zu fühlen. Es sind Geschenke wie mehr Selbstwert,<br />
mehr Selbstliebe und fokussierten Lebenszielen. Menschen, die im Rahmen<br />
einer guten Trauerarbeit viel Unterstützung erfahren haben, engagieren sich<br />
häufig später selbst für das Gemeinwohl und sorgen für Mitmenschlichkeit. Wir<br />
können also sagen, dass eine gute Trauerarbeit Mitmenschlichkeit in die Welt<br />
bringt. Andersherum kann auch behauptet werden, dass durch ein Fehlen einer<br />
guten Trauerkultur dieses Humanitätspotential ungenutzt bleibt. Mit TrostHelden<br />
kann sich dieses Potential entfalten.<br />
TrostHelden hat nicht nur einen innovativen Weg gefunden, Hilfe für Trauernde<br />
zu digitalisieren. TrostHelden hat insgesamt eine neuartige Hilfe entwickelt,<br />
die das elementarste und bisher unbefriedigte Bedürfnis Betroffener<br />
erstmalig anspricht.<br />
Wer steht hinter TrostHelden? Die ausgebildete Sterbe-Amme Jennifer Lind<br />
und der Dipl.-Kfm. Hendrik Lind. Seit 2013 hatten sie im Rahmen ihrer beruflichen<br />
Tätigkeit zu tausenden Trauernden intensive Einzelkontakte.<br />
www.trosthelden.de
6<br />
Lesen Sie mehr auf www.gesunder-koerper.info<br />
Mentale Gesundheit auf der Warteliste<br />
Jede vierte erwachsene Person in Deutschland leidet<br />
jährlich unter einer psychischen Erkrankung. Nur wenige<br />
suchen und erhalten tatsächlich Hilfe. Über sechs<br />
Monate warten Betroffene aktuell durchschnittlich auf<br />
einen freien Therapieplatz. Digitale Gesundheitsanwendungen<br />
bieten einen möglichen Lösungsansatz. Ein<br />
solches digitales Angebot hat Jonas (24) genutzt, um sich<br />
um seine mentale Gesundheit zu kümmern.<br />
Wie hat sich deine psychische Belastung angefühlt?<br />
Meine Depressionen haben sich zu Beginn dadurch<br />
geäußert, dass ich zunehmend lustlos und erschöpft<br />
in den Tag gestartet bin, ohne mich aus der Stimmung<br />
herausretten zu können. Es wurde immer schlimmer,<br />
bis ich das Haus gar nicht mehr verlassen wollte und nur<br />
noch sehr selten Freude oder Glück empfunden habe.<br />
Wie war es für dich, psychologische Hilfe in<br />
Deutschland zu suchen?<br />
Unglaublich anstrengend. Es ist belastend und ernüchternd,<br />
wenn man eh schon am Boden ist und sich überwunden<br />
hat, Hilfe zu suchen, eine Absage nach der anderen<br />
zu bekommen und keine Hilfe zu erhalten – wenn<br />
man überhaupt eine erhält. Einige Therapeut:innen sind<br />
so überlastet, dass sie gar nicht erst ans Telefon gehen,<br />
wenn man dort nicht bereits als Patient registriert ist.<br />
Dann hast du ein digitales Hilfsangebot gefunden. Wie<br />
verlief der Verschreibungsprozess?<br />
Meine Hausärztin hat mir die App auf Rezept verschrieben,<br />
nachdem ich ihr meine Situation geschildert und<br />
das Angebot gezeigt hatte. Für sie war das zwar neu und<br />
sie musste sich erst informieren, zeigte sich dann aber<br />
sehr hilfsbereit, und meine Krankenkasse übernahm die<br />
Kosten sofort.<br />
Inwiefern war das Angebot für dich eine aktive Hilfestellung?<br />
Positiv überrascht hat mich die Formatvielfalt. Videos,<br />
Texte, Audios inklusive Grafiken sorgen dafür, dass es<br />
abwechslungsreich bleibt. Mein größter Fortschritt ist<br />
jedoch mein Denken über mein Denken. Klingt abstrus,<br />
aber heute bewerte ich meine Gedankengänge viel<br />
freundlicher. Auch negative Gedanken sind okay, solange<br />
sie nicht das Fühlen und Handeln beherrschen.<br />
Wie war es, dich digital in Selbsthilfe zu üben?<br />
Erst dachte ich: Nettes Programm, aber kann wahrscheinlich<br />
nicht mehr bewirken als ein Sprüchekalender. Nach<br />
Abschluss der ersten Module war ich erstaunt, wie hochwertig<br />
der Kurs ausgearbeitet ist, und habe mich gefreut,<br />
ihn flexibel bearbeiten zu können, ohne vom Terminkalender<br />
meiner Therapeutin abhängig zu sein.<br />
Fiel es dir schwer, motiviert zu bleiben?<br />
Anfangs war es ungewohnt, weil man die Inhalte wirklich<br />
ernst nehmen muss, um Fortschritte zu machen. Mit der<br />
Zeit kam eine gewisse Routine, und durch einige Erfolgserlebnisse<br />
war ich immer motiviert weiterzumachen.<br />
Welche Ziele konntest du erreichen?<br />
Meine Hauptziele waren, außerhalb der “echten Therapiestunden”<br />
meine Stimmung aufrechtzuerhalten und<br />
durch Eigeninitiative meine Therapieerfolge zu beschleunigen.<br />
Beide habe ich erreicht. Ich habe viel über mich<br />
und die menschliche Psyche gelernt, kann viel besser<br />
damit umgehen, wenn sich negative Gedanken in mir<br />
breitmachen wollen, und falle seltener und weniger tief<br />
in ein Loch als vor Beginn meiner zweigleisigen Therapie.<br />
Hältst du psychologische Hilfe per App für effektiv?<br />
Klares Ja! Digitale Anwendungen werden keine klassische<br />
Therapie ersetzen können, aber unterstützen ist<br />
hier das Zauberwort. Die Kombination aus klassischer<br />
Therapie und digitaler Rückendeckung ist für mich das<br />
Nonplusultra.<br />
Jonas hat bei seiner Depression<br />
ein digitales Hilfsangebot in Anspruch genommen.<br />
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Der Kurs bei Depression und die psychologische<br />
Betreuung bei Selfapy haben mir sehr geholfen, aus<br />
einer schwierigen Phase herauszukommen. Personen,<br />
die schnelle und unkomplizierte psychologische Hilfe<br />
suchen, sind bei Selfapy gut aufgehoben.<br />
Monika<br />
Selfapy Nutzerin<br />
Sich fachliche Hilfe zu suchen ist für viele psychisch<br />
belastete Menschen nicht einfach. Digitale Angebote<br />
wie Selfapy können helfen, innere Hürden zu<br />
überwinden und so erste Erfahrungen mit<br />
Psychotherapie zu machen.<br />
Dr. Barbara Mildenberger<br />
Ärztliche Leiterin ARGORA Klinik Berlin<br />
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Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der HelloBetter – GET.ON Institut für Gesundheitstrainings GmbH entstanden.<br />
Realität Arbeitsstress: das Burnout-Syndrom<br />
Eine hohe Arbeitsbelastung und Stress im Privatleben<br />
– diesen Alltag leben viele Menschen. Was bleibt,<br />
ist wenig Zeit zum Durchatmen. Wenn die Belastungsgrenze<br />
nicht nur kurzfristig, sondern dauerhaft<br />
überschritten wird, kann ein Burnout die Folge sein.<br />
Wichtig bleibt ein offener Umgang mit der Thematik,<br />
um Tabuisierung zu brechen und die erforderlichen<br />
Hilfsangebote für Betroffene bereitzustellen. Denn die<br />
gibt es.<br />
Das Burnout hat viele Gesichter<br />
Ein Burnout entsteht nicht über Nacht. Energielosigkeit,<br />
Überforderung und das Gefühl, nicht mehr so leistungsfähig<br />
zu sein - psychische Beschwerden machen<br />
sich häufig nur schleichend bemerkbar und können<br />
sich in vielfältigen Symptomen äußern.<br />
Neben Erschöpfung und Leistungsabfall stehen<br />
beispielsweise Antriebslosigkeit, Unzufriedenheit oder<br />
eine zunehmend negative Einstellung zur eigenen<br />
Arbeit im Fokus. Gedanken wie “Ich kann nicht mehr”,<br />
oder “Ich muss allem gerecht werden”, treiben dann<br />
das innere Gedankenkarussell noch zusätzlich an.<br />
Dazu kommen oft psychosomatische Beschwerden wie<br />
Schlafprobleme, Rücken- oder Magenschmerzen. Das<br />
Burnout hat viele Gesichter, aber diese Bandbreite an<br />
Symptomen hat eine gemeinsame Ursache: Menschen<br />
leiden unter chronischem Arbeitsstress bei gleichzeitig<br />
fehlenden Strategien zur Stressbewältigung und Verbesserung<br />
der Selbstfürsorge.<br />
Burnout: nur eine versteckte Depression?<br />
Aufgrund des großen Überschneidungsbereichs<br />
in Symptomen wie Antriebs- und Energielosigkeit,<br />
Interessenverlust und Konzentrationsproblemen<br />
werden Burnout und Depression oft in Zusammenhang<br />
gebracht. Anders als bei der Depression lässt sich beim<br />
Burnout jedoch chronischer Arbeitsstress als Auslöser<br />
erkennen. Andere Lebensbereiche sind nicht betroffen.<br />
Dabei kann sich ein Burnout zu einer Depression<br />
entwickeln - muss es aber nicht, wenn Betroffene frühzeitig<br />
Unterstützung bekommen.<br />
Wichtig für Betroffene ist, dass sie ihren Beschwerden<br />
einen Namen geben können. Nur indem Betroffene<br />
ihre Beschwerden ernst nehmen, Tabus brechen und<br />
spezifische Hilfsangebote nutzen, können sie für ihre<br />
psychische Gesundheit sorgen.<br />
Den Burnout-Begriff findet man auch heute schon im<br />
internationalen Klassifikationssystem der Krankheiten<br />
(kurz ICD-10). Das "Ausgebranntsein" wird hier als<br />
"Problem mit Bezug auf Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung"<br />
(Z73) verstanden und beschreibt damit<br />
einen Zustand zwischen einem bedeutsamen Leidensdruck,<br />
aber noch keiner voll ausgeprägten psychischen<br />
Erkrankung.<br />
Und genau da birgt die Zusatzdiagnose Burnout eine<br />
große Chance: Sie ermöglicht frühes Eingreifen und<br />
präventive Unterstützung, damit Betroffene die Hilfe<br />
bekommen, die sie benötigen.<br />
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kann von Ärzti:nnen, sowie von Psychotherapeut:innen<br />
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– zum Beispiel unter TeleClinic.com. So können Sie<br />
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aus direkt starten.<br />
Text Marie Zeitler<br />
Marie Zeitler ist<br />
M.Sc. Psychologin & Systemischer Coach<br />
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Panik<br />
Ausgabe 11/2021<br />
21BS04
8<br />
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Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Newsenselab GmbH entstanden.<br />
Weniger Migräne dank<br />
digitaler Therapie<br />
Eine neue App auf Rezept revolutioniert die Migränebehandlung für Betroffene<br />
und Ärzt*innen. Wir sprechen mit Migräneforscher Dr. rer. nat. Markus<br />
Dahlem über die digitale Gesundheitsanwendung seines Start-ups.<br />
Text Paul Howe<br />
Dr. rer. nat. Markus Dahlem,<br />
Migräneforscher<br />
Jeder Zehnte hat Migräne. Da Auslöser,<br />
Symptome und Vorboten aber individuell<br />
sehr unterschiedlich sind, ist die Therapie<br />
eine Herausforderung. Wie kann eine App das<br />
ändern?<br />
M-sense Migräne ist nicht irgendeine App, sondern<br />
eine digitale Gesundheitsanwendung (DiGA), die von<br />
Ärzten auf Rezept verschrieben und von der Krankenkasse<br />
erstattet wird. Sie hilft den Betroffenen, sich<br />
selbst zu helfen, und ergänzt die ärztliche Behandlung.<br />
Die Betroffenen werden zwischen den Arztbesuchen<br />
von unserer DiGA begleitet und bekommen<br />
vielfältige nicht medikamentöse Therapiemethoden<br />
an die Hand.<br />
Wie sieht diese Begleitung genau aus?<br />
Betroffene können Attacken und Auslöser ohne viel<br />
Aufwand tracken und analysieren. In nur zwei Minuten<br />
am Tag ist das intelligente Kopfschmerztagebuch<br />
ausgefüllt. Zusätzlich werden sie dabei unterstützt,<br />
für sie passende Therapiemethoden zu finden und am<br />
Ball zu bleiben. Dies basiert auf verhaltenstherapeutischen<br />
Grundlagen, deren Wirksamkeit in klinischen<br />
Studien nachgewiesen wurde. Durch die Vorbereitung<br />
in der App können Patienten sich ihrem<br />
behandelnden Arzt klarer mitteilen. Die meist kurze<br />
Zeit der Sprechstunde wird so bestens genutzt.<br />
Die DiGA soll Ärzte also nicht ersetzen?<br />
Im Gegenteil! Viele Ärzt:innen und Therapeut:innen<br />
verordnen M-sense Migräne, da die DiGA die<br />
Arzt-Patienten-Kommunikation vereinfacht und<br />
die Therapietreue erhöht. Ärzt:innen erhalten dank<br />
M-sense Migräne übersichtliche Analysen und<br />
können dadurch die Behandlung optimal anpassen.<br />
Durch die automatische Kopfschmerzklassifizierung,<br />
das intelligente Kopfschmerztagebuch und den<br />
detaillierten Arztreport sinkt der Erklärbedarf, was<br />
Zeit spart.<br />
M-sense Migräne sorgt für eine effektivere<br />
Behandlung meiner Migränepatienten. In<br />
der kurzen Zeit der Sprechstunde können<br />
nicht medikamentöse Therapieoptionen,<br />
wie Entspannungsverfahren, zwar<br />
kurz erklärt werden, eine umfassende<br />
Wissensvermittlung ist in dieser Zeit<br />
aber kaum möglich. M-sense hilft<br />
dabei, diese Verfahren den Patienten<br />
näherzubringen. Vor allem motiviert<br />
die Anwendung die Patienten dazu,<br />
diese selbstständig und dauerhaft<br />
durchzuführen. Der Kopfschmerzkalender<br />
erinnert Patienten automatisch daran,<br />
wenn sie eine bestimmte Schwelle an<br />
Medikamenteneinnahmen erreichen.<br />
Dem Medikamentenübergebrauchskopfschmerz<br />
wird so effektiv vorgebeugt,<br />
eine Funktion, die Kopfschmerztagebücher<br />
auf Papier nicht erfüllen können.<br />
Ärztin in einem medizinischen<br />
Versorgungszentrum in Magdeburg<br />
Klingt gut, und wie funktioniert die Verschreibung<br />
der App?<br />
Wer eine Migränediagnose hat, kann sich von Ärzten<br />
und Psychotherapeuten ein Rezept ausstellen lassen,<br />
reicht es bei der Krankenkasse ein und erhält einen<br />
Freischaltcode, den er in der App eingibt. Man kann die<br />
App vorher auch kostenlos testen. Die Krankenkasse<br />
erstattet die Kosten für Betroffene. Für Ärzte und Therapeuten<br />
belastet die Verschreibung weder Arznei- noch<br />
Heilmittelbudget, denn sie wird budgetneutral über die<br />
PZN 17169789 verordnet. Auf unserer Website haben wir<br />
noch mal genau beschrieben, wie die Verschreibung<br />
funktioniert.<br />
Digitale Gesundheitsanwendungen gibt es erst<br />
seit Kurzem. Kennen sich denn schon alle mit dem<br />
Thema aus?<br />
Nein, es gibt noch viel Informationsbedarf auf beiden<br />
Seiten. Deshalb bieten wir kostenlose CME-Fortbildungen<br />
und beratende Videosprechstunden für Ärzte und<br />
Therapeuten an, sowie Webinare für Betroffene. So<br />
helfen wir allen, den vollen Nutzen aus unserer App auf<br />
Rezept zu ziehen!<br />
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Die einfache Art Migräne zu behandeln<br />
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Weniger Schlaf, weniger Leben<br />
Viele Menschen kennen Situationen wie diese nur<br />
allzu gut: Sie müssen noch etwas fertig bekommen,<br />
benötigen mehr Zeit für die Aufgaben im Job oder<br />
der Familie, wollen etwas “noch besser” machen<br />
oder sind von einer Serie bis spät in den Abend auf<br />
der Couch gefesselt. Wann haben Sie dafür zuletzt<br />
Abstriche beim Schlaf gemacht?<br />
In besonderen Situationen auf ein paar Stunden<br />
Schlaf zu verzichten, ist unbedenklich. Gelegentliche<br />
Schwankungen kann unser Körper gut ausgleichen.<br />
Kritischer wird es, wenn der Verzicht auf ausreichend<br />
gesunden Schlaf zum Dauerthema wird.<br />
Tausche Schreibtisch gegen Bett<br />
Jedoch sind viele Menschen dazu bereit, über lange<br />
Zeiträume hinweg Abstriche beim Schlaf zu tolerieren,<br />
und ordnen die für Körper und Psyche so wichtigen<br />
Erholungsphasen bereitwillig der Karriere unter.<br />
Zweifelhafte Ideen zur “Selbstoptimierung” erweisen<br />
sich dabei jedoch häufig als Sackgassen.<br />
Eine ebenso große Gruppe liegt nachts im Bett und<br />
kann nicht schlafen – so sehr sie es versucht. Kreisende<br />
Gedanken, kleine und große Sorgen, das Grübeln<br />
über Aufgaben in Beruf und Alltag oder auch der<br />
schnarchende Partner halten viele Menschen nachts<br />
wach. Die meisten machen dabei die Erfahrung: Je<br />
mehr sie versuchen, sich zu beruhigen, um endlich<br />
einzuschlafen, umso ferner rückt der Schlaf. Etwa<br />
jede dritte erwachsene Person in Deutschland leidet<br />
immer wieder unter Ein- oder Durchschlafproblemen.<br />
Dauerhaft schlechter Schlaf beeinträchtigt unsere<br />
Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit erheblich.<br />
Chronische Schlafstörungen führen zu einem erhöhten<br />
Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie<br />
Herzinfarkt, Schlaganfall und Bluthochdruck. Auch<br />
psychische Erkrankungen sind häufige Konsequenzen.<br />
Lösungen, die zu selten genutzt werden<br />
Noch immer gilt es als Zeichen von Stärke, zu behaupten,<br />
ohne viel Schlaf auszukommen und keine<br />
Erholung zu benötigen. Wer viel schläft, gilt schnell<br />
als faul oder schwach. Als Psychologe weiß ich, dass<br />
einige Menschen sich erst spät eingestehen, dass<br />
Schlafprobleme oder ein andauernder Verzicht auf<br />
ausreichend Schlaf langfristig zu erheblichen Problemen<br />
führen können. Dabei gibt es heute sehr gute<br />
Möglichkeiten, Schlafstörungen erfolgreich zu behandeln.<br />
Die erste Wahl bei einer Behandlung ist die<br />
kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I).<br />
Obwohl diese Behandlungsform beeindruckende Erfolgsaussichten<br />
für Betroffene mit sich bringt, haben<br />
viel zu wenige Zugang zu dieser Therapieform. Leider<br />
ist es immer noch viel wahrscheinlicher, dass Betroffene<br />
auf die vermeintlich schnelle Hilfe in Form von<br />
pharmakologischen Präparaten zurückgreifen.<br />
Aus diesen Gründen haben wir, in einem Team aus<br />
Schlafmediziner*innen und Psycholog*innen die<br />
"App auf Rezept" entwickelt. Diese setzt die Inhalte<br />
der kognitiven Verhaltenstherapie für Insomnie<br />
(KVT-I) digital um und bietet als Digitale Gesundheitsanwendung<br />
(DiGA) Hilfesuchenden einen<br />
einfachen Zugang zu hochwirksamen Behandlungsmethoden.<br />
Das Gute ist: Die App auf Rezept ist<br />
kostenfrei, wenn sie von Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen<br />
verschrieben wird.<br />
Guter Schlaf ist erlernbar. Gute Nacht.<br />
Text Dr. Noah Lorenz, Psychologe<br />
Dr. Noah Lorenz ist Psychologe.<br />
Sein Spezialgebiet: Schlaf.<br />
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Halb leer ist gar nicht gut …<br />
Tabuthema männliche Blase<br />
Altern birgt für viele Männer unwillkommene körperliche Veränderungen – speziell im Urogenitalsystem.<br />
Plötzlicher Harndrang, häufiges Wasserlassen in der Nacht, Schwierigkeiten<br />
beim Starten und Stoppen des Urinstrahls – alles Symptome der benignen Prostatahyperplasie,<br />
kurz BPH. Für viele Männer bedeuten diese Veränderungen eine große Einschränkung<br />
ihrer Lebensqualität und ihrer Freude am täglichen Leben.<br />
Text Prof. Karl-Dietrich Sievert<br />
Große Prostata, große Probleme …?<br />
In einem Alter (> 25LJ) in dem „Mann“ noch<br />
gar nicht über die BPH nachdenkt, verändert<br />
sich die Prostata. Bei dem einen wächst die<br />
Prostata auf eine enorme Größe an, während<br />
sie sich bei anderen Männern fast gar nicht<br />
verändert; aber die einschränkenden Symptome<br />
sind die gleichen. Die Prostata muss nicht<br />
groß sein, um dem Mann den Alltag unangenehm<br />
zu beeinträchtigen – auch eine kleine<br />
Prostata kann für abgeschwächten Harnstrahl<br />
und ggf. auch für entsprechenden Restharn in<br />
der Blase verantwortlich sein. Das wissen die<br />
wenigsten Männer mittleren Alters, die ihre<br />
beginnenden Symptome meist verdrängen<br />
oder mit Medikamenten zu behandeln suchen.<br />
Gerade für Männer in der Mitte ihres Lebens,<br />
die noch sexuell aktiv sind und dieses auch<br />
bleiben möchten, zählt in Bezug auf eine<br />
Behandlung von BPH-Symptomen die Maßgabe:<br />
je eher, desto besser. Es empfiehlt sich,<br />
dass alle Männer ab 45 Jahren regelmäßig zur<br />
urologischen Vorsorgeuntersuchung gehen.<br />
Je eher eine mögliche Beeinträchtigung des<br />
urogenitalen Systems (Blase, Prostata und<br />
Harnröhre), Restharn in der Blase oder eine gutartig<br />
vergrößerte Prostata diagnostiziert wird,<br />
desto besser sind die Chancen, dass möglichen<br />
negativen Folgen des Ignorierens mit der für ihn<br />
passenden Therapie entgegengewirkt werden<br />
kann. Diesen Männern kann mit verschiedenen<br />
Behandlungsmethoden geholfen werden – von<br />
medikamentöser Therapie über minimal-invasive<br />
Verfahren bis hin zum klassischen<br />
chirurgischen ablativen Eingriff mittels der<br />
Elektroschlinge (TURP).<br />
Bei Patienten mittleren Alters mit symptotischem<br />
Restharn bietet sich das minimal-invasive<br />
Verfahren des prostatischen urethralen<br />
Lifts (PuL: Urolift®) an. Klinische Studien<br />
belegen neben der hohen Patientenzufriedenheit<br />
sehr gute funktionelle Ergebnisse<br />
im Vergleich zu anderen minimal-invasiven<br />
Methoden.<br />
Welches Verfahren erhält die sexuellen<br />
Funktionen ...?<br />
Langzeitstudien belegen klinisch (Daten > 5<br />
Jahre), dass der Patient nach der Behandlung<br />
mit prostatischem urethralen Lift innerhalb<br />
kürzester Zeit die dauerhafte Besserung der<br />
Symptome erfährt und weder eine durch die<br />
Therapie resultierende erektile Dysfunktion<br />
noch einen retrograden Samenerguss fürchten<br />
muss – ganz im Gegensatz zu den traditionellen<br />
invasiven Behandlungsmethoden wie<br />
z. B. die TURP, die dieses Risiko beinhalten.<br />
Männer sollten den Zustand ihrer Blase<br />
kennen. Frühes Eingreifen schützt diese und<br />
erhält die Lebensqualität und einen<br />
beschwerdefreien Alltag – und kann ggf. eine<br />
unbefriedigende, medikamentöse Therapie<br />
ersetzen!<br />
Prof. Karl-Dietrich<br />
Sievert<br />
Klinikum Lippe<br />
WAS IST RESTHARN?<br />
Als Restharn versteht man die<br />
Harnmenge, die nach spontanem<br />
Wasserlassen in der Blase verbleibt.<br />
Viele Männer bemerken die ersten<br />
Anzeichen nicht. Auch wenn der<br />
verbleibende Urin nicht spürbar ist,<br />
sollte ggf. eine Behandlung erfolgen,<br />
um ein erhöhtes Infektionsrisiko und<br />
Langzeitschäden zu verhindern.<br />
Behandelt man die Ursachen der<br />
erhöhten Restharnbildung nicht, kann<br />
er dazu führen, dass die Harnblase<br />
ihre Organfunktion (Speichern und effektive<br />
Entleerung) einbüßt, und ggf. in<br />
der Folge die Nieren beeinträchtigen,<br />
sogar dauerhaft schädigen.<br />
PRÄVENTION FÜR MÄNNER<br />
Jeder Mann ab dem 45. Lebensjahr hat<br />
Anspruch auf eine kostenfreie<br />
urologische Vorsorgeuntersuchung<br />
pro Jahr zur Früherkennung Krebserkrankungen<br />
der Prostata und der<br />
äußeren Geschlechtsorgane. Die<br />
Früherkennung hat den Anspruch,<br />
Veränderungen so frühzeitig zu erkennen,<br />
dass diese noch reversibel sind.<br />
25 % der Bevölkerung nehmen an, dass<br />
es eh zu spät ist, wenn sie zur Vorsorge<br />
gehen.*<br />
* Deutsches Ärzteblatt 2003; 100(9): A-530/B-454/C428<br />
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ÜBER<br />
70 %<br />
der befragten Männer *<br />
gaben an, tagsüber weniger Energie<br />
zu haben, weil sie nachts häufig<br />
zum Wasserlassen aufstehen müssen<br />
UroLift.com<br />
* Inhalt basiert auf einer von NeoTract | Teleflex im Jahr 2021 in den USA unter ca. 1.000 Männern im Alter von 45+ Jahren durchgeführten Befragung, bei denen beim<br />
Wasserlassen mindestens ein mit einer Prostatavergrößerung (auch als benigne Prostatahyperplasie oder BPH bezeichnet) verbundenes Symptom auftrat. Harnsymptome können<br />
verschiedene Ursachen haben und müssen von einem Arzt diagnostiziert werden. Der Stichprobenumfang in dieser Umfrage kann je nach qualifizierender Fragestellung variieren.<br />
©2021 NeoTract, Inc. Alle Rechte vorbehalten. MAC01942-23 Rev. A
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Als Gesellschaft müssten wir viel offener für Themen<br />
wie Libidoverlust, sexuelle Identitätsstörungen<br />
und Schwangerschaftsdepressionen sein, um diese<br />
zu einem alltäglichen Thema unserer Gesellschaft zu<br />
machen anstatt zu einem Tabu.<br />
Die Sexualtherapeutinnen Helen Hagemeier und Katja Stolte im Interview.<br />
Text Lena Nause<br />
Liebe Helen, wie wichtig ist es für ein Individuum,<br />
psychisch wie auch physisch mit dem Thema<br />
Sexualität offen umgehen zu können?<br />
Zuerst einmal einer meiner liebsten Sätze: „Wir<br />
sind alle heute hier wegen Sex.“ Und da dies der<br />
ausschlaggebende Faktor unseres Daseins ist, ist<br />
Sex an sich ja immer<br />
omnipräsent – denn ich<br />
als Person bin aus Sex<br />
entstanden, genauso wie<br />
Sie und alle Leser.<br />
Wir gehen häufig davon<br />
aus, dass unsere Welt<br />
normativ heterosexuell<br />
ist, dies ist aber nicht<br />
der Fall. In unserer<br />
modernen sexuellen<br />
Gesellschaft sollte es<br />
weiterhin viel bewusster<br />
um Diversität gehen,<br />
damit die Gesellschaft<br />
inklusiver aufgestellt<br />
ist. Denn nur durch<br />
eine offene und anerkennende<br />
Haltung<br />
aller Menschen können<br />
Helen Hagemeier<br />
Personen vor psychisch<br />
belastenden Situationen<br />
durch Ausschluss oder<br />
Abwertung der Gesellschaft geschützt werden.<br />
Als Gesellschaft müssten wir viel offen für Themen<br />
wie Libidoverlust, sexuelle Identitätsstörungen<br />
und Schwangerschaftsdepressionen sein um diese<br />
zu einem alltäglichen Thema unserer Gesellschaft<br />
zu machen anstatt zu einem Tabu. Diese Themen<br />
betreffen uns alle und wir sollten diesen viel mehr<br />
Sichtbarkeit geben, um psychische Leiden deutlich<br />
zu verringern.<br />
Katja, wie siehst du das?<br />
Dem stimme ich absolut zu. Und bezüglich des<br />
Umgangs mit den physischen Aspekten möchte ich<br />
gern noch ein weiteres Tabu im Tabu ansprechen,<br />
nämlich Sexualität und Krankheit, sich trauen, es bei<br />
Ärzten anzusprechen. Denn obwohl es auf der einen<br />
Seite diese sexuelle Revolution gibt, existiert parallel<br />
eine große Sprachlosigkeit. Denn tatsächlich fällt das<br />
Sprechen über Sexualität den meisten Betroffenen<br />
sehr schwer und auch Therapeuten sowie Ärzten<br />
kommen ja selbst aus dieser Gesellschaft mit ihren<br />
Tabus. In der Konsequenz klammern sie Themen<br />
rund um die Sexualität in ihrer Behandlung meist<br />
aus. Dabei wäre es genau an dieser Stelle so wichtig,<br />
einen offeneren Umgang damit zu pflegen, um Patientinnen<br />
und Patienten den Leidensdruck zu nehmen<br />
und sie in ihrer Lebensqualität zu unterstützen.<br />
Denn es gibt so viele Menschen, die aufgrund von<br />
Erkrankungen Einschränkungen in ihrer Sexualität<br />
haben.<br />
In der Sexualtherapie geht man davon aus, dass 50<br />
Prozent der Menschen sexuelle Probleme haben.<br />
Wenn wir nun noch draufrechnen, dass Menschen<br />
mit Erkrankung oder Behinderung ein erhöhtes<br />
Risiko für eine sexuelle Störung aufgrund physischer<br />
oder psychischer Symptome haben, dann ergibt sich<br />
ein großer Bedarf. Doch kaum jemand spricht mit<br />
ihnen, da sich keiner zuständig fühlt oder den Mut<br />
aufbringt, sich der sexuellen Veränderungen und<br />
Herausforderungen, die mit einer Erkrankung oder<br />
Behinderung einhergehen können, anzunehmen. So<br />
die Erfahrung aus meinen Seminaren für Therapeuten.<br />
Die psychischen Folgen von lebensverändernden Diagnosen<br />
oder medikamentösen Einflüssen – Minderwertigkeitsgefühle,<br />
Depressionen, Angst vor Partnerschaftsverlust<br />
- sind mitunter enorm und können zu<br />
Frustration und Vermeidung von Sex, im schlimmsten<br />
Fall zu Vereinsamung und Isolation oder Depression<br />
führen.<br />
Sexualität zu pflegen<br />
– oder eben noch zu<br />
erlernen. Denn die<br />
wenigsten sind darin<br />
so souverän, da der<br />
Grundstein dafür früh<br />
in der Kindheit und im<br />
Heranwachsen gelegt<br />
wird – und da könnten<br />
wir jetzt erneut bei den<br />
Tabus anfangen.<br />
Um die Eingangsfrage<br />
zu beantworten:<br />
Hierfür ist es sehr<br />
wichtig – und da<br />
spreche ich aus der<br />
Perspektive der<br />
Therapeutin – einen<br />
offenen Umgang mit<br />
Katja Stolte<br />
Helen, kann man mit einer Bedürfnisanalyse für<br />
Klarheit sorgen?<br />
Bei der Bedürfnisanalyse stellen wir uns erst einmal<br />
folgende Fragen: Welche Sexualität lebe ich im Jetzt?<br />
Welche Bedürfnisse werden befriedigt und welche<br />
bleiben unbefriedigt? Wo liegen meine sexuellen<br />
Bedürfnisse? Unsere Gesprächsthemen sind dann,<br />
welche Grundbedürfnisse bestehen, was Berührung<br />
oder was Intimität für sich selbst bedeutet, wie geteilte<br />
Sexualität sich erfüllend anfühlt und wie Solo-Sex<br />
umgesetzt wird. Dadurch erfahren wir mehr über die<br />
sexuelle Zufriedenheit, offene Wünsche, ausgesprochene<br />
und unausgesprochene Fantasien, aber<br />
auch über körperliche Energien, wie feminine und<br />
maskuline Energien, und schauen, wohin sich die Lust<br />
am stärksten entfaltet.<br />
Daraufhin bauen wir einen Übungsplan auf, den die<br />
Einzelperson wie auch Paare zu Hause umsetzen können.<br />
Die Übungen sind sehr vielseitig und bei jedem<br />
Fall anders.<br />
Die Bedürfnisanalyse ist allerdings nicht nur für die<br />
sexuelle Zufriedenheit, sondern ebenso für viele<br />
Menschen ganz generell eine Möglichkeit, das riesige<br />
Spektrum der Sexualität weiter zu erforschen.<br />
Ich arbeite auch gerne mit sexueller Hypnose und<br />
Trance, wodurch wir die Erregungsquellen und<br />
Blockaden erforschen. Denn erst wenn wir uns<br />
entspannen, können wir bewusst tiefer fühlen. Mit<br />
einer entspannten Haltung kann ich tiefer fühlen,<br />
was in meinem Körper passiert, und der Lust dadurch<br />
mehr Weite schenken.<br />
Helen, was fällt dir bei deiner Arbeit als Sexualtherapeutin<br />
am ehesten an deinen Klienten auf?<br />
Hakt es an körperlicher Unsicherheit oder an der<br />
Kommunikation miteinander?<br />
Erst mal haben wir weiterhin ein Systemproblem,<br />
denn es gibt immense Probleme, überhaupt an die<br />
Versorgung einer Sexualtherapeutin oder eines Sexualberaters<br />
zu kommen. Warum? Weil über uns zu<br />
wenig gesprochen oder an uns verwiesen wird. Meist<br />
sind Personen, die sich an mich wenden, bereits einen<br />
langen belastenden Weg gegangen. Und dadurch<br />
entsteht manchmal eine weitere psychische Belastung<br />
on Top zu dem eigentlichen Problem selbst.<br />
In meiner Arbeit treffe ich vor allem auf Personen<br />
mit sexuellen Unsicherheiten bezogen auf die eigene<br />
sexuelle Identität,<br />
das Empfinden als<br />
sexuelles Wesen in<br />
dieser Gesellschaft.<br />
Wir Menschen sind so<br />
in unserem Leistungsdruck<br />
und dem<br />
Alltagsstress versunken,<br />
dass es uns an<br />
Kreativität und gelebter<br />
Sexualität fehlt.<br />
Der Körper ist immer<br />
nur am Ackern, d.h.<br />
wir sind so oft im<br />
Kopf und nicht im<br />
Körper über den Tag,<br />
dass unser System gar<br />
nicht genug fühlen<br />
kann. Wir Menschen<br />
müssen also erst mal<br />
wieder lernen zu<br />
fühlen. Und dies ist in<br />
meiner Praxis täglich<br />
Thema.<br />
Katja, zu deinem Fachbereich gehört auch die<br />
Behandlung von psychisch-sexuellen Blockaden.<br />
Was verbirgt sich dahinter und wie können diese<br />
entstehen?<br />
Eine sexuelle Blockade entsteht im Prinzip immer<br />
dann, wenn das Gedachte und Gefühlte nicht zum<br />
Erleben und Verhalten passt. Der Körper macht<br />
dann nicht mehr so mit, wie wir eigentlich scheinbar<br />
wollen. Denn auch das steht nicht selten zur Debatte:<br />
Habe ich überhaupt den Sex, den ich mir wünsche?<br />
Macht der Körper hier dicht oder spricht er einfach<br />
nur aus, was ich mich nicht auszudrücken traue?<br />
Das Besondere im Fall von neurologischen Erkrankungen<br />
ist dann, dass diese per se eine Blockade<br />
auslösen können, meist erst auf körperlicher Ebene,<br />
und diese dann wiederum führen zu psychischen<br />
Blockaden.<br />
Bei Menschen mit Behinderung herrscht leider<br />
überwiegend noch das Bild, dass diese ganz sicher<br />
keine sexuellen Bedürfnisse haben und eine Person,<br />
die krank ist, keine Lust auf Sex hat. Dabei ist kein<br />
Mensch jemals nur krank oder nur behindert. Wir<br />
werden als sexuelle Wesen geboren und verlassen die<br />
Welt als solche – nur müssen wir bei bestimmten<br />
physisch oder psychisch verändernden Erkrankungen<br />
Sexualität neu lernen.<br />
Das ganze Interview online, unter:<br />
www.gesunder-koerper.info
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