TABU
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EINE UNABHÄNGIGE KAMPAGNE VON MEDIAPLANET
Ta·bu
/Tabú/
Substantiv, Neutrum [das]
1. Völkerkunde – Verbot, bestimmte Handlungen auszuführen, besonders geheiligte Personen oder Gegenstände zu berühren, anzublicken,
zu nennen: etwas ist mit [einem] Tabu belegt, durch [ein] Tabu geschützt
2. bildungssprachlich – ungeschriebenes Gesetz, das aufgrund bestimmter Anschauungen innerhalb einer Gesellschaft verbietet,
bestimmte Dinge zu tun: ein gesellschaftliches Tabu
2
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GESICHTER DIESER AUSGABE
Organspende und Trauer
Depression
Ich heiße Sandra und habe
vor zehn Jahren mein kleines
Mädchen beerdigen müssen.
Mein kleiner Sonnenschein schenkte
zwei neue Leben – und ich wurde
an den Pranger gestellt. "Du hast sie
ausschlachten lassen", "Wie beim
Metzger" – waren nur einige der
Kommentare. Und nach einigen
Wochen wurde mir nahegelegt, dass
"es doch jetzt auch gut ist", es jetzt mit
Trauern reicht. Mir kam es oft vor, als
wäre zu trauern ein absolutes Tabu.
SEITE 04-05
Ich heiße Jonas und habe eine
Depression.
Meine Depressionen haben sich zu
Beginn dadurch geäußert, dass ich
zunehmend lustlos und erschöpft
in den Tag gestartet bin, ohne
mich aus der Stimmung heraus
retten zu können. Es wurde immer
schlimmer, bis ich das Haus gar
nicht mehr verlassen wollte und nur
noch sehr selten Freude oder Glück
empfunden habe.
SEITE 6
Drogensucht
Lust (aus)leben
Ich heiße Lucas, bin 31 Jahre
alt, Vater von zwei Töchtern. In
diesem Beitrag erzähle ich meine
Geschichte und blicke dabei auf 13
Jahre aktive Sucht sowie bald fünf
Jahre Genesung zurück.
Ich kann zusammenfassend sagen:
Die Jahre zwischen meinem 14.
und dem 27. Lebensjahr waren
ausschließlich von der Sucht geprägt,
die einen Tiefpunkt nach dem
anderen zur Folge hatte. Ich stand
vor dem Nichts, hatte jeden betrogen,
der zu mir gestanden hat, und war
obdachlos.
ONLINE
Ich heiße Jana. Ich vermittle
Lust mit Lust. Ohne Stress und
Performancedruck.
Jeder von uns hat eigene Werte,
Moralen und Glaubenssätze, die die
gelebte Sexualität und natürlich auch
die der anderen bewerten. Was gehört
sich, was gehört sich vielleicht nicht?
Wir sind schnell in unserem Urteil, was
sich schickt und was nicht – was man
vielleicht lieber mit einer Affäre lebt als
eben zu Hause im Ehebett. Was wird
nur im Geheimen gelebt und nicht dem
Partner preisgegeben?
ONLINE
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit DIGA info entstanden.
Neue Wege aus der Tabuzone Krankheit
So aufgeklärt und gesundheitsbewusst wir erscheinen wollen: Zu den größten Tabuzonen, denen sich zudem
niemand von uns entziehen kann, zählen gesundheitliche Leiden und Krankheiten.
Text Daniel Wiedemann
Viele Menschen scheuen sich davor, ihre gesundheitlichen Einschränkungen
sich selbst und anderen gegenüber einzugestehen
oder sich ihren Ärzt*innen zu öffnen. Die Gründe dafür sind
vielfältig: Angst vor Stigmatisierung, die Sorge, nicht ernst genommen
zu werden, oder auch die fehlende Motivation, die gesundheitlichen
Probleme anzupacken. Und wenn sie dann über ihre gesundheitlichen (Tabu-)
Themen wie Depressionen, Migräneattacken oder Schlafstörungen sprechen,
bedeutet das noch lange nicht, dass ihnen schnell geholfen werden
kann. Unsere Allgemeinärzt*innen haben oft zu wenige Zeit und können sich
mitunter nicht eingehend mit den leitliniengerechten Behandlungsmethoden
beschäftigen, um die Betroffenen angemessen zu betreuen. Und während man
meist sehr lange auf einen Termin bei Spezialist*innen und Therapeut*innen
warten muss, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich das Krankheitsbild
noch verschlechtert.
Einen neuen Weg aus der “kranken” Tabuzone und den damit verbundenen
negativen Konsequenzen können Digitale Gesundheitsanwendungen (kurz
DiGA) bieten. Als zertifizierte Medizinprodukte ist ihre Wirksamkeit durch
klinische Studien belegt, sodass sie als „App auf Rezept“ von Ärzt*innen und
Therapeut*innen verschrieben werden können. Die Kosten werden von allen
gesetzlichen und den meisten privaten Krankenversicherungen übernommen.
DiGA können als ständige Begleiter ideal in den Alltag der Patient*innen
inte-griert werden, sie geben Tipps zum Umgang mit der Erkrankung und
helfen den Betroffenen neue, auf die Linderung ihrer Erkrankung ausgerichtete
Verhaltensweisen zu erlernen. DiGA schließen damit Versorgungslücken
in der ärztlichen Versorgung und erleichtern den Zugang zu wirksamen
Behandlungsmethoden, die auf aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen
beruhen. So können Betroffene ihre tabuisierten Gesundheitseinschränkungen
viel leichter angehen. In diesem Magazin finden Sie drei DiGA, die
konkrete und direkte Hilfestellungen bei Migräne (M-sense), Depression
(Selfapy) und Schlafstörungen (somnio) bieten.
Auf www.digainfo.de finden Sie mehr
Informationen zu diesen und weiteren DiGA.
Daniel Wiedemann
Geschäftsführer
DiGA info
facebook.com/MediaplanetStories
@Mediaplanet_germany
Please recycle
Project Manager: Linda Dröge, Sophia Walter Business Development Manager: Katharina Sliwa Geschäftsführung: Richard Båge (CEO), Philipp Colaço (Managing Director), Franziska Manske (Head of Editorial & Production), Henriette Schröder (Sales
Director) Designer: Elias Karberg Mediaplanet-Kontakt: redaktion.de@mediaplanet.com Alle mit gekennzeichneten Artikel sind keine neutrale Redaktion vom Mediaplanet Verlag.
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Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Ahorn Gruppe entstanden.
Unvollkommen vollkommen
Loic
„Wenn ich heute sterben würde, würde ich gerne als vollkommen unvollkommener
Mensch in Erinnerung bleiben. Jemand, der genauso verrückt wie nett war; ein
treuer Freund, ein lästiger kleiner Bruder, ein beschützender großer Bruder und
eine Nervensäge für meine Eltern. Jemand, der viel kämpfen musste, innerlich
und äußerlich, aber nie aufgegeben und immer sein Bestes gegeben hat. Ich denke,
es ist mir wichtig, dass ich für die Menschen, die mir am nächsten stehen, in
freundlicher Erinnerung bleibe, obwohl ich viel Zeit im Schatten verbracht habe.“
Die irdische Hülle wird sekundär
Kilian und Belanna
„Der Mensch verewigt sich psychisch und kann sein Bewusstsein zunehmend auch in die
digitale Welt übersetzen. Die Technologie verspricht uns ewiges Leben. Der Tod ist damit
nur ein technisches Problem und kann selbst bestimmt werden. Die irdische Hülle wird
dann sekundär, da Trendwelten der Vergangenheit angehören und die nächste Entwicklungsstufe
beschritten wird.
In unserem Entwurf bleibt eine Art Kokon zurück beim Übertritt in diese neue metaphysische
Welt. Das Leichentuch verweilt in der alten Welt und vergeht.“
Wie möchte ich
in Erinnerung bleiben?
Julian
„Für mich sind Erinnerungen an Verstorbene
immer schmerzhaft, da sie mit der
Tatsache verbunden sind, dass man sich nie
wieder sehen und eine weitere gemeinsame
Erinnerung haben wird. Diese Wunden
heilen nie vollständig und sind trotzdem
nicht sichtbar. Für mich repräsentieren die
Pflaster daher die Tatsache, dass die Wunde
nicht heilt und man sie nicht physisch sehen
kann, abgesehen von der Körpersprache.
Pflaster sollen Wunden abdecken und vor
Schmutz schützen, aber wir können anhand
ihrer Körpersprache immer noch sehen,
dass die Person Schmerzen hat. Überall im
Outfit und in der Tasche sind Stecknadeln
angebracht, um das Aufreißen der Wunden
darzustellen und wie Schmerzen uns davon
abhalten können, so zu leben, wie wir es
wollen, wie wir vorsichtiger werden, weil wir
Angst haben, wieder verletzt zu werden.
In gewisser Weise verwandeln sie sich auch
in Schutzschilde, um Menschen von einem
fernzuhalten. Die Pflaster an der Wirbelsäule
sind für mich besonders bedeutungsvoll,
weil sie eine Verletzung eines geliebten
Menschen darstellen, die niemals heilen
wird, egal wie viele Pflaster man daraufklebt.
‚Wie möchte ich in Erinnerung bleiben?‘ Ich
möchte auf die am wenigsten schmerzhafte
Weise in Erinnerung bleiben.”
Dein letztes Hemd
Der Tod an sich ist ja schon tabuisiert in unserer Gesellschaft.
Aber der Tod und junge Menschen? Ein Tabu im
Tabu. Im Rahmen der Herbstakademie der Akademie
für Mode und Design (amdnet.de) kamen Studierende
zusammen, um ihre Avatare zu entwickeln für eine
Unsterblichkeit im Netz. Im kreativen Prozess, der einen
Nachruf auf sich selbst und den Entwurf eines Totenkleids
beinhaltete, kamen sie Antworten auf die Frage, wie
sie einst erinnert werden möchten, näher und beschäftigten
sich mit dem Ritual des eigenen Abschieds. Die
Vorstellungen über ein eventuelles Jenseits gingen weit
auseinander, doch am Beispiel des Übergangs von der
physischen in die digitale Welt ließen sich viele ungewöhnliche
Ideen spinnen. Denn wer sich den eigenen Avatar
designt, kommt seinem Vermächtnis auf spielerische
Weise auf die Schliche.
Vier Entwürfe haben wir hier ausgewählt.
Der Workshop wurde gemeinsam mit den Studierenden der AMD entwickelt unter der
Leitung von Charlotte Wiedemann, die mit Angeboten der Plattform friedlotse.de dazu
einlädt, sich mit der eigenen Bestattung auseinanderzusetzen. Initiiert wurde der Kurs von der
Studiengangsleitung für Fashion Journalism & Communication der AMD, Nicole Hardt, und
unterstützt von der Designerin und Stylistin Viviane Hausstein.
Fotos von Angelika Frey
Licht und
Schatten
Malte
„Das Leben ist gefüllt mit vielen Dingen,
wunderbaren, schlechten und neutralen.
Das Beste am Leben ist, am Leben zu sein,
und da die Lebendigkeit der wahre Sinn
des Lebens ist, ist der Tod meiner Meinung
nach genauso wichtig, weil es ein Ende
geben muss, um etwas Neues zu beginnen.
Genauso ist es mit Licht und Schatten,
die beiden sind perfekt ausbalanciert
und brauchen einander, um existieren zu
können.
Was für mich das Leben am besten symbolisiert,
sind die Liebe und das Schaffen von
Leben, zum Beispiel symbolisiert durch
eine Hochzeit, also habe ich einen Schleier
als Inspiration für die Maske gewählt. Der
Tod wird durch die verwendeten Farben
Rot, Schwarz und Weiß angedeutet, das
sind die Farben der Trauer in Südamerika,
Europa und im Buddhismus. Er wird auch
durch das Design der Ärmel visualisiert, die
sich an den Akt des Suizids – einen großen
Teil meines Lebens – anlehnen.
Für die kreative Umsetzung habe ich mich
entschieden, alte Kleidung aufzuwerten,
weil sie dem Leben sehr ähnelt: Das Kleidungsstück
verbraucht sich, wird wieder
zum Leben erweckt, existiert dann weiter
und irgendwann verschwindet es, genau
wie wir.“
4
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Paulas Reise
Auf den Tod eines Kindes ist man nicht vorbereitet und es gibt keine Erklärung,
keine Trostworte, die das Geschehene erträglich machen. Der Tod eines
Kindes stürzt Eltern in tiefste Verzweiflung. Trauer und Angst, Schuldgefühle,
aber auch Wut und Ohnmachtsgefühle angesichts der Endgültigkeit des Todes
prägen den Alltag. Alle Hoffnungen und Träume für die Zukunft werden jäh
zerstört und der Sinn des Lebens scheint plötzlich verloren gegangen zu sein.
So ging es auch Sandra. Der Intensivkrankenschwerster ist das passiert, was
keiner Mutter je passieren sollte. Sie musste ihr eigenes Kind sterben lassen.
Sandra
Intensivkrankenschwester
und Löwenmama
Start-up für
Trauerfreunde
entwickelt weltweit
neuen, digitalen Ansatz
in der Trauerhilfe
www.trosthelden.de ist eine online Matching-Plattform für
Trauernde. Entwickelt von Fachleuten aus Trauerbegleitung,
Trauerforschung und Psychologie, bringt unser weltweit
einzigartiger Algorithmus nicht nur diejenigen Trauernden
zusammen, die in ihrer jeweils individuellen Situation perfekt
zueinander passen. TrostHelden hat insgesamt einen ganz
neuen Ansatz in der Trauerhilfe erschaffen.
Das Ziel von TrostHelden ist, die soziale Vereinsamung
samt sozialer und gesundheitlicher
Folgeschäden, die oftmals mit der Trauer
einhergeht und zu Pandemie-Zeiten ganz
neue Dimensionen bekommen hat, zu minimieren.
Indem wir Trauernde mit gleicher
„Trauersprache“ zusammenbringen. Denn
Gleich und Gleich gesellt sich auch auf diesem
Felde gern – und tut sich gegenseitig
gut.
In den vergangenen Jahren und
durch den Kontakt zu tausenden
Trauernden haben wir,
das sind meine Frau und ich,
uns ein sehr gutes Bild über
elementare Bedürfnisse von
Betroffenen machen können.
Wir mussten lernen, dass das elementarste
aller Bedürfnisse bei den wenigsten Trauernden
befriedigt wird. Dabei geht es darum, ein
Gegenüber zu haben, der komplett versteht.
Über die ganze Zeit der Trauer. Wer kann das
besser als jemand, der ein gleiches Schicksal
verkraften musste oder muss? Der eine ähnliche
Art der Trauerarbeit hat, der sich in ähnlichen
Lebensumständen befindet und damit
die gleiche Trauersprache spricht? Trauernde
wünschen sich oft nichts sehnlicher,
als einen Menschen zu haben, der auf rationaler
und emotionaler Ebene komplettes
Verständnis hat. Vor allem die emotionale
Ebene ist es, die vom sozialen Umfeld und
auch von professioneller Trauerbegleitung
nicht bedient werden kann – für ein gutes Voran-
oder Weiterkommen aber elementar ist.
Da dieses Bedürfnis bisher kaum befriedigt
wird, bedeutet das für unsere Trauerkultur,
dass der Tod nicht nur
traurig, sondern auch einsam
macht. Einsamkeit kann auf
Dauer krank machen.
Dagegen haben wir etwas:
www.trosthelden.de
TrostHelden ist eine noch junge Online-
Plattform (Beta-online seit November 2020),
auf der trauernde Menschen ein Gegenüber
finden, der sie und ihre Gefühle vollkommen
versteht und der die gleiche Trauersprache
spricht. Wenn dies gegeben ist, ist eine
ganz andere Art der eigenen Trauerarbeit
möglich. Tür und Tor stehen für eine Heilung
weit(er) offen! Bisher haben rund 3.000 Betroffene
Hilfe auf TrostHelden gesucht und
gefunden.
Lesen Sie mehr auf www.gesunder-koerper.info 5
Es passierte an einem Sommertag
im August vor zehn Jahren.
Sandra arbeitete im Krankenhaus,
ihre Mutter kümmerte sich um die
Kinder. Sie waren auf dem Weg zu einer
Poolparty. Vorfreude, Gekicher, leuchtende
Kinderaugen auf der Rückbank.
Dann war alles dunkel. Ein betrunkener
Lkw-Fahrer hatte das Auto übersehen. Die
Kinder sowie die Großmutter kommen
schwer verletzt ins Krankenhaus.
Bei Sandra klingelte es an der Tür. Davor
standen Kriminalpolizisten und erzählten
ihr vom Unfall. Alles Weitere nimmt
sie nur noch durch einen Schleier wahr.
Sie fährt ins Krankenhaus und da liegt
sie, ihre kleine Paula, gerade mal vier
Jahre alt. „Dort angekommen bot sich
eines der schrecklichsten Bilder überhaupt.
Seine kleine Tochter völlig hilflos
an Maschinen mit lauter Infusionen,
den ständigen Alarmtönen und
mit Hämatomen im Gesicht und einem
dicken Kopfverband zu sehen, ist ein
Bild, das einen nie wieder loslässt. Ich
saß Tag und Nacht an ihrem Bett, hielt
ihre Hand, sang ihr Lieder vor und flehte
sie immer wieder an, nicht zu gehen. Als
Krankenschwester war mir klar, dass all
das Flehen umsonst ist, denn mein kleines
Mädchen war längst gegangen, ihr
Gehirn hatte aufgehört zu arbeiten.“
Sandra fasste einen Entschluss, der
ihre Tochter weiterleben ließ: Sie gab
ihr kleines Mädchen zur Organspende
frei. „Dass Ärzte wie die Aasgeier um
einen kreisen und einen dazu überreden
wollen, diese Entscheidung zu treffen, ist
ein Irrglaube. Ich sehe in meinem Beruf
jeden Tag, wie Eltern an den Krankenbetten
ihrer Kinder sitzen und weinen,
hoffen und bangen, dass ein geeignetes
Organ gefunden wird, das dem geliebten
Kind das Überleben sichert. Wenn
mein Kind schon nicht groß werden darf,
sollten wenigstens andere Kinder die
Chance auf ein glückliches Leben haben.
Einige Stunden später wurde das Kreuz
in Paulas Krankenakte geschrieben. Nun
war mein kleines Mädchen offiziell für
alle Ämter Tod. Aber ich hatte sie noch
24 Stunden bei mir, da die Suche der
Deutschen Stiftung Organtransplantation
losging. Am nächsten Morgen begleitete
ich mein kleines Mädchen noch bis in
den OP, küsste Paulas Stirn und überließ
Trauern darf kein
Tabu sein. Wir
dürfen trauern,
wir dürfen
Schmerz zulassen,
rauslassen – leben.
Zu Beginn der
Trauerzeit hat
der Tod seinen
Platz im Alltag.
Zu Beginn ist viel
Verständnis und
Hilfsbereitschaft
da. Aber wann hört
„zu Beginn“ auf?
ihren Körper den Ärzten für die Explantation.
Vor der Schleuse standen schon
die grauen Koffer und warteten auf ihre
Organe. Mein kleiner Sonnenschein
schenkte zwei neue Leben. Ihre Leber
ging an ein gleichaltriges Mädchen, die
Nieren an einen Erwachsenen.“
Nach der Organentnahme kam Paula in
die Gerichtsmedizin. Erst drei Wochen
später konnte Sandra ihre Tochter beerdigen.
„Wir haben ihr Grab ganz bunt
gestaltet. Das war mir sehr wichtig. Paula
war so ein Sonnenschein, war immer
fröhlich – das sollte sie auch für alle
sichtbar über ihren Tod hinaus bleiben.“
Leben mit der Trauer – ein Tabu?
Du musst …, du sollst …, jetzt wird es
aber wieder Zeit – sehr selten kommt
die Aufforderung „du darfst“. Du darfst
trauern, verletzlich sein, selbst in der
Aufgabe als Mutter Schwäche zeigen und
Hilfe annehmen. Das musste auch Sandra
erfahren. „Mein Umfeld konnte mit
Paulas Tod überhaupt nicht umgehen.
Ich wurde angestarrt, es wurde verlegen
zur Seite geschaut. Hinzu kam das
Unverständnis von vielen, dass ich die
Organe meiner Tochter gespendet habe.
‚Du hast sie ausschlachten lassen‘, ‚Wie
beim Metzger‘ – waren nur einige der
Kommentare. Und nach einigen Wochen
wurde mir nahegelegt, dass ‚es doch jetzt
auch gut ist‘, es jetzt mit Trauern reicht.
Mir kam es oft vor, als wäre zu trauern
ein absolutes Tabu und einfach nicht
gesellschaftsfähig.“
Trauern darf kein Tabu sein. Wir dürfen
trauern, wir dürfen Schmerz zulassen,
rauslassen – leben. Zu Beginn der Trauerzeit
hat der Tod seinen Platz im Alltag.
Zu Beginn ist viel Verständnis und
Hilfsbereitschaft da. Aber wann hört "zu
Beginn" auf? Ist das nach Wochen,
Monaten oder vielleicht nach Jahren?
Wer entscheidet, wann die Trauer zu
Ende ist und wann ein „normaler“ Alltag
wieder gelebt werden soll? Nur die
trauernde Person weiß, was ihr guttut,
und nur sie kennt ihr Trauertempo.
Gerade beim Tod eines Kindes gibt es
immer wieder Momente, auch nach
Jahren, wo sich die Trauer massiv wieder
aufdrängt. Nicht weil sie schwach
machen möchte und auch nicht in der
Sorge, dass wir zu leichtfertig unseren
Alltag leben. Sie meldet sich, weil die
Liebe zum Kind nie verloren gegangen
ist. Trauer ist nachgetragene Liebe und
Trauer hilft aus der Sprachlosigkeit. Sie
ist existenziell. Man darf sie zulassen,
sich auf sie einlassen und beobachten,
was sie mit einem macht. Gefühle zu
kalkulieren, ist nicht sinnvoll. Wie in der
Liebe kann das Gefühl der Trauer
zugelassen werden, denn die Trauer ist
eines der stärksten Gefühle des Lebens.
So auch für Sandra. „Jeder Tag ist anders.
Manchmal ist die Trauer überwältigend
– auch noch nach zehn Jahren. Paula
wird immer ein Teil meines Lebens
bleiben und ich muss ehrlich sagen:
Hätte ich damals meine beiden Kinder
nicht gehabt, wäre ich heute längst bei
Paula.“
Text Franziska Manske
ÜBER JUNGE HELDEN e. V.
Junge Helden e. V. ist eine
gemeinnützige Organisation, die
deutschlandweit insbesondere
junge Menschen über Organspende
aufklärt.
Mit der Veranstaltungsreihe „Ein Club
voller Helden“, dem Aufklärungsfilm
„Entscheidend ist die Entscheidung“
und zuletzt mit der „Live Saving
Wallpaper“-Kampagne zeichnet
sich Junge Helden e. V. immer
wieder durch neuartige Ideen aus,
um auf das Thema Organspende
aufmerksam zu machen. Ziel des
Vereins ist es, vor allem Jugendliche
und junge Erwachsene zu motivieren,
eine Entscheidung zu treffen und
diese Angehörigen und Freunden
mitzuteilen. 2003 von Claudia Kotter,
ihrer Familie und ihrem Freundeskreis
gegründet, wird der Verein heute
von einem Kernteam sowie dem
Engagement vieler ehrenamtlicher
Unterstützer fortgeführt.
Wenn man sich zu Lebzeiten nicht
für oder gegen eine Organspende
entschieden hat und der Hirntod
diagnostiziert wird, müssen die
Angehörigen über eine Organentnahme
entscheiden. Wer einen
Organspendeausweis ausgefüllt und
seine Angehörigen über seinen Willen
informiert hat, schützt sie davor, diese
Entscheidung stellvertretend treffen
zu müssen. Gerade in der Situation,
in der man sich von einem Familienmitglied
verabschieden muss, fällt es
den meisten Menschen sehr schwer,
diese Entscheidung im Sinne des
oder der Verstorbenen zu treffen.
Das ist sehr gut nachvollziehbar
und sollte möglichst jedem erspart
bleiben. In rund 70 Prozent der
Fälle sind die Angehörigen bei der
Entscheidung auf sich allein gestellt
und müssen mit dem Zweifel leben,
gegen den Willen des Angehörigen
gehandelt zu haben.
Umso wichtiger ist es, sich zu
Lebzeiten mit seinem eigenen Tod
auseinanderzusetzen und eine
selbstbestimmte Entscheidung zu
treffen.
Instagram: instagram.com/
junge_helden
Spenden: www.junge-helden.org/
mitmachen/spenden
Website: www.junge-helden.org
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Welche Bedeutung hat das Verständnis im Außen auf Trauernde?
Verständnis im Außen tut in erster Linie gut. Dieses Verständnis dient jedoch
auch als Spiegel, um sich selbst in Trauer besser kennen zu lernen. Durch einen
Schicksalsschlag entsteht im Trauernden von jetzt auf gleich ein Schattenanteil,
der neuer Taktgeber ist. Er ist mit schmerzenden und ohnmächtigen Gefühlen
gepaart, die nicht selten in einer Handlungsunfähigkeit münden. Dieser
Schattenanteil fühlt sich fremd an, ist jedoch ein Teil des Ichs, der durch den
Schicksalsschlag aktiviert wurde. Verständnis im Außen hilft, diesen Schattenanteil
bzw. diesen Anteil des Ichs auszuleuchten. Es hilft, die Trauer zu erkennen,
zu akzeptieren und ins eigene Leben zu integrieren. TrostHelden ist die
einzige Hilfe für Trauernde weltweit, die diesen Aspekt mit seiner Innovation
benennt und berücksichtigt.
Welche Auswirkung hat eine gute Trauerarbeit individuell
und gesellschaftlich?
Menschen, die eine gute Trauerarbeit für sich durchlebt haben, berichten davon,
sich reich beschenkt zu fühlen. Es sind Geschenke wie mehr Selbstwert,
mehr Selbstliebe und fokussierten Lebenszielen. Menschen, die im Rahmen
einer guten Trauerarbeit viel Unterstützung erfahren haben, engagieren sich
häufig später selbst für das Gemeinwohl und sorgen für Mitmenschlichkeit. Wir
können also sagen, dass eine gute Trauerarbeit Mitmenschlichkeit in die Welt
bringt. Andersherum kann auch behauptet werden, dass durch ein Fehlen einer
guten Trauerkultur dieses Humanitätspotential ungenutzt bleibt. Mit TrostHelden
kann sich dieses Potential entfalten.
TrostHelden hat nicht nur einen innovativen Weg gefunden, Hilfe für Trauernde
zu digitalisieren. TrostHelden hat insgesamt eine neuartige Hilfe entwickelt,
die das elementarste und bisher unbefriedigte Bedürfnis Betroffener
erstmalig anspricht.
Wer steht hinter TrostHelden? Die ausgebildete Sterbe-Amme Jennifer Lind
und der Dipl.-Kfm. Hendrik Lind. Seit 2013 hatten sie im Rahmen ihrer beruflichen
Tätigkeit zu tausenden Trauernden intensive Einzelkontakte.
www.trosthelden.de
6
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Mentale Gesundheit auf der Warteliste
Jede vierte erwachsene Person in Deutschland leidet
jährlich unter einer psychischen Erkrankung. Nur wenige
suchen und erhalten tatsächlich Hilfe. Über sechs
Monate warten Betroffene aktuell durchschnittlich auf
einen freien Therapieplatz. Digitale Gesundheitsanwendungen
bieten einen möglichen Lösungsansatz. Ein
solches digitales Angebot hat Jonas (24) genutzt, um sich
um seine mentale Gesundheit zu kümmern.
Wie hat sich deine psychische Belastung angefühlt?
Meine Depressionen haben sich zu Beginn dadurch
geäußert, dass ich zunehmend lustlos und erschöpft
in den Tag gestartet bin, ohne mich aus der Stimmung
herausretten zu können. Es wurde immer schlimmer,
bis ich das Haus gar nicht mehr verlassen wollte und nur
noch sehr selten Freude oder Glück empfunden habe.
Wie war es für dich, psychologische Hilfe in
Deutschland zu suchen?
Unglaublich anstrengend. Es ist belastend und ernüchternd,
wenn man eh schon am Boden ist und sich überwunden
hat, Hilfe zu suchen, eine Absage nach der anderen
zu bekommen und keine Hilfe zu erhalten – wenn
man überhaupt eine erhält. Einige Therapeut:innen sind
so überlastet, dass sie gar nicht erst ans Telefon gehen,
wenn man dort nicht bereits als Patient registriert ist.
Dann hast du ein digitales Hilfsangebot gefunden. Wie
verlief der Verschreibungsprozess?
Meine Hausärztin hat mir die App auf Rezept verschrieben,
nachdem ich ihr meine Situation geschildert und
das Angebot gezeigt hatte. Für sie war das zwar neu und
sie musste sich erst informieren, zeigte sich dann aber
sehr hilfsbereit, und meine Krankenkasse übernahm die
Kosten sofort.
Inwiefern war das Angebot für dich eine aktive Hilfestellung?
Positiv überrascht hat mich die Formatvielfalt. Videos,
Texte, Audios inklusive Grafiken sorgen dafür, dass es
abwechslungsreich bleibt. Mein größter Fortschritt ist
jedoch mein Denken über mein Denken. Klingt abstrus,
aber heute bewerte ich meine Gedankengänge viel
freundlicher. Auch negative Gedanken sind okay, solange
sie nicht das Fühlen und Handeln beherrschen.
Wie war es, dich digital in Selbsthilfe zu üben?
Erst dachte ich: Nettes Programm, aber kann wahrscheinlich
nicht mehr bewirken als ein Sprüchekalender. Nach
Abschluss der ersten Module war ich erstaunt, wie hochwertig
der Kurs ausgearbeitet ist, und habe mich gefreut,
ihn flexibel bearbeiten zu können, ohne vom Terminkalender
meiner Therapeutin abhängig zu sein.
Fiel es dir schwer, motiviert zu bleiben?
Anfangs war es ungewohnt, weil man die Inhalte wirklich
ernst nehmen muss, um Fortschritte zu machen. Mit der
Zeit kam eine gewisse Routine, und durch einige Erfolgserlebnisse
war ich immer motiviert weiterzumachen.
Welche Ziele konntest du erreichen?
Meine Hauptziele waren, außerhalb der “echten Therapiestunden”
meine Stimmung aufrechtzuerhalten und
durch Eigeninitiative meine Therapieerfolge zu beschleunigen.
Beide habe ich erreicht. Ich habe viel über mich
und die menschliche Psyche gelernt, kann viel besser
damit umgehen, wenn sich negative Gedanken in mir
breitmachen wollen, und falle seltener und weniger tief
in ein Loch als vor Beginn meiner zweigleisigen Therapie.
Hältst du psychologische Hilfe per App für effektiv?
Klares Ja! Digitale Anwendungen werden keine klassische
Therapie ersetzen können, aber unterstützen ist
hier das Zauberwort. Die Kombination aus klassischer
Therapie und digitaler Rückendeckung ist für mich das
Nonplusultra.
Jonas hat bei seiner Depression
ein digitales Hilfsangebot in Anspruch genommen.
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Digitale Hilfe bei
psychischen Erkrankungen
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Medizinprodukte und kostenfrei auf Rezept erhältlich.
Alle gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten.
Depression
Generalisierte
Angststörung
Panikstörung
Der Kurs bei Depression und die psychologische
Betreuung bei Selfapy haben mir sehr geholfen, aus
einer schwierigen Phase herauszukommen. Personen,
die schnelle und unkomplizierte psychologische Hilfe
suchen, sind bei Selfapy gut aufgehoben.
Monika
Selfapy Nutzerin
Sich fachliche Hilfe zu suchen ist für viele psychisch
belastete Menschen nicht einfach. Digitale Angebote
wie Selfapy können helfen, innere Hürden zu
überwinden und so erste Erfahrungen mit
Psychotherapie zu machen.
Dr. Barbara Mildenberger
Ärztliche Leiterin ARGORA Klinik Berlin
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Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der HelloBetter – GET.ON Institut für Gesundheitstrainings GmbH entstanden.
Realität Arbeitsstress: das Burnout-Syndrom
Eine hohe Arbeitsbelastung und Stress im Privatleben
– diesen Alltag leben viele Menschen. Was bleibt,
ist wenig Zeit zum Durchatmen. Wenn die Belastungsgrenze
nicht nur kurzfristig, sondern dauerhaft
überschritten wird, kann ein Burnout die Folge sein.
Wichtig bleibt ein offener Umgang mit der Thematik,
um Tabuisierung zu brechen und die erforderlichen
Hilfsangebote für Betroffene bereitzustellen. Denn die
gibt es.
Das Burnout hat viele Gesichter
Ein Burnout entsteht nicht über Nacht. Energielosigkeit,
Überforderung und das Gefühl, nicht mehr so leistungsfähig
zu sein - psychische Beschwerden machen
sich häufig nur schleichend bemerkbar und können
sich in vielfältigen Symptomen äußern.
Neben Erschöpfung und Leistungsabfall stehen
beispielsweise Antriebslosigkeit, Unzufriedenheit oder
eine zunehmend negative Einstellung zur eigenen
Arbeit im Fokus. Gedanken wie “Ich kann nicht mehr”,
oder “Ich muss allem gerecht werden”, treiben dann
das innere Gedankenkarussell noch zusätzlich an.
Dazu kommen oft psychosomatische Beschwerden wie
Schlafprobleme, Rücken- oder Magenschmerzen. Das
Burnout hat viele Gesichter, aber diese Bandbreite an
Symptomen hat eine gemeinsame Ursache: Menschen
leiden unter chronischem Arbeitsstress bei gleichzeitig
fehlenden Strategien zur Stressbewältigung und Verbesserung
der Selbstfürsorge.
Burnout: nur eine versteckte Depression?
Aufgrund des großen Überschneidungsbereichs
in Symptomen wie Antriebs- und Energielosigkeit,
Interessenverlust und Konzentrationsproblemen
werden Burnout und Depression oft in Zusammenhang
gebracht. Anders als bei der Depression lässt sich beim
Burnout jedoch chronischer Arbeitsstress als Auslöser
erkennen. Andere Lebensbereiche sind nicht betroffen.
Dabei kann sich ein Burnout zu einer Depression
entwickeln - muss es aber nicht, wenn Betroffene frühzeitig
Unterstützung bekommen.
Wichtig für Betroffene ist, dass sie ihren Beschwerden
einen Namen geben können. Nur indem Betroffene
ihre Beschwerden ernst nehmen, Tabus brechen und
spezifische Hilfsangebote nutzen, können sie für ihre
psychische Gesundheit sorgen.
Den Burnout-Begriff findet man auch heute schon im
internationalen Klassifikationssystem der Krankheiten
(kurz ICD-10). Das "Ausgebranntsein" wird hier als
"Problem mit Bezug auf Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung"
(Z73) verstanden und beschreibt damit
einen Zustand zwischen einem bedeutsamen Leidensdruck,
aber noch keiner voll ausgeprägten psychischen
Erkrankung.
Und genau da birgt die Zusatzdiagnose Burnout eine
große Chance: Sie ermöglicht frühes Eingreifen und
präventive Unterstützung, damit Betroffene die Hilfe
bekommen, die sie benötigen.
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GUT (2,0)
HelloBetter
Panik
Ausgabe 11/2021
21BS04
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Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Newsenselab GmbH entstanden.
Weniger Migräne dank
digitaler Therapie
Eine neue App auf Rezept revolutioniert die Migränebehandlung für Betroffene
und Ärzt*innen. Wir sprechen mit Migräneforscher Dr. rer. nat. Markus
Dahlem über die digitale Gesundheitsanwendung seines Start-ups.
Text Paul Howe
Dr. rer. nat. Markus Dahlem,
Migräneforscher
Jeder Zehnte hat Migräne. Da Auslöser,
Symptome und Vorboten aber individuell
sehr unterschiedlich sind, ist die Therapie
eine Herausforderung. Wie kann eine App das
ändern?
M-sense Migräne ist nicht irgendeine App, sondern
eine digitale Gesundheitsanwendung (DiGA), die von
Ärzten auf Rezept verschrieben und von der Krankenkasse
erstattet wird. Sie hilft den Betroffenen, sich
selbst zu helfen, und ergänzt die ärztliche Behandlung.
Die Betroffenen werden zwischen den Arztbesuchen
von unserer DiGA begleitet und bekommen
vielfältige nicht medikamentöse Therapiemethoden
an die Hand.
Wie sieht diese Begleitung genau aus?
Betroffene können Attacken und Auslöser ohne viel
Aufwand tracken und analysieren. In nur zwei Minuten
am Tag ist das intelligente Kopfschmerztagebuch
ausgefüllt. Zusätzlich werden sie dabei unterstützt,
für sie passende Therapiemethoden zu finden und am
Ball zu bleiben. Dies basiert auf verhaltenstherapeutischen
Grundlagen, deren Wirksamkeit in klinischen
Studien nachgewiesen wurde. Durch die Vorbereitung
in der App können Patienten sich ihrem
behandelnden Arzt klarer mitteilen. Die meist kurze
Zeit der Sprechstunde wird so bestens genutzt.
Die DiGA soll Ärzte also nicht ersetzen?
Im Gegenteil! Viele Ärzt:innen und Therapeut:innen
verordnen M-sense Migräne, da die DiGA die
Arzt-Patienten-Kommunikation vereinfacht und
die Therapietreue erhöht. Ärzt:innen erhalten dank
M-sense Migräne übersichtliche Analysen und
können dadurch die Behandlung optimal anpassen.
Durch die automatische Kopfschmerzklassifizierung,
das intelligente Kopfschmerztagebuch und den
detaillierten Arztreport sinkt der Erklärbedarf, was
Zeit spart.
M-sense Migräne sorgt für eine effektivere
Behandlung meiner Migränepatienten. In
der kurzen Zeit der Sprechstunde können
nicht medikamentöse Therapieoptionen,
wie Entspannungsverfahren, zwar
kurz erklärt werden, eine umfassende
Wissensvermittlung ist in dieser Zeit
aber kaum möglich. M-sense hilft
dabei, diese Verfahren den Patienten
näherzubringen. Vor allem motiviert
die Anwendung die Patienten dazu,
diese selbstständig und dauerhaft
durchzuführen. Der Kopfschmerzkalender
erinnert Patienten automatisch daran,
wenn sie eine bestimmte Schwelle an
Medikamenteneinnahmen erreichen.
Dem Medikamentenübergebrauchskopfschmerz
wird so effektiv vorgebeugt,
eine Funktion, die Kopfschmerztagebücher
auf Papier nicht erfüllen können.
Ärztin in einem medizinischen
Versorgungszentrum in Magdeburg
Klingt gut, und wie funktioniert die Verschreibung
der App?
Wer eine Migränediagnose hat, kann sich von Ärzten
und Psychotherapeuten ein Rezept ausstellen lassen,
reicht es bei der Krankenkasse ein und erhält einen
Freischaltcode, den er in der App eingibt. Man kann die
App vorher auch kostenlos testen. Die Krankenkasse
erstattet die Kosten für Betroffene. Für Ärzte und Therapeuten
belastet die Verschreibung weder Arznei- noch
Heilmittelbudget, denn sie wird budgetneutral über die
PZN 17169789 verordnet. Auf unserer Website haben wir
noch mal genau beschrieben, wie die Verschreibung
funktioniert.
Digitale Gesundheitsanwendungen gibt es erst
seit Kurzem. Kennen sich denn schon alle mit dem
Thema aus?
Nein, es gibt noch viel Informationsbedarf auf beiden
Seiten. Deshalb bieten wir kostenlose CME-Fortbildungen
und beratende Videosprechstunden für Ärzte und
Therapeuten an, sowie Webinare für Betroffene. So
helfen wir allen, den vollen Nutzen aus unserer App auf
Rezept zu ziehen!
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M-sense Migräne: App auf Rezept
Für Klarheit im Kopf
Die einfache Art Migräne zu behandeln
für Ärzt:innen und Betroffene.
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Weniger Schlaf, weniger Leben
Viele Menschen kennen Situationen wie diese nur
allzu gut: Sie müssen noch etwas fertig bekommen,
benötigen mehr Zeit für die Aufgaben im Job oder
der Familie, wollen etwas “noch besser” machen
oder sind von einer Serie bis spät in den Abend auf
der Couch gefesselt. Wann haben Sie dafür zuletzt
Abstriche beim Schlaf gemacht?
In besonderen Situationen auf ein paar Stunden
Schlaf zu verzichten, ist unbedenklich. Gelegentliche
Schwankungen kann unser Körper gut ausgleichen.
Kritischer wird es, wenn der Verzicht auf ausreichend
gesunden Schlaf zum Dauerthema wird.
Tausche Schreibtisch gegen Bett
Jedoch sind viele Menschen dazu bereit, über lange
Zeiträume hinweg Abstriche beim Schlaf zu tolerieren,
und ordnen die für Körper und Psyche so wichtigen
Erholungsphasen bereitwillig der Karriere unter.
Zweifelhafte Ideen zur “Selbstoptimierung” erweisen
sich dabei jedoch häufig als Sackgassen.
Eine ebenso große Gruppe liegt nachts im Bett und
kann nicht schlafen – so sehr sie es versucht. Kreisende
Gedanken, kleine und große Sorgen, das Grübeln
über Aufgaben in Beruf und Alltag oder auch der
schnarchende Partner halten viele Menschen nachts
wach. Die meisten machen dabei die Erfahrung: Je
mehr sie versuchen, sich zu beruhigen, um endlich
einzuschlafen, umso ferner rückt der Schlaf. Etwa
jede dritte erwachsene Person in Deutschland leidet
immer wieder unter Ein- oder Durchschlafproblemen.
Dauerhaft schlechter Schlaf beeinträchtigt unsere
Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit erheblich.
Chronische Schlafstörungen führen zu einem erhöhten
Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie
Herzinfarkt, Schlaganfall und Bluthochdruck. Auch
psychische Erkrankungen sind häufige Konsequenzen.
Lösungen, die zu selten genutzt werden
Noch immer gilt es als Zeichen von Stärke, zu behaupten,
ohne viel Schlaf auszukommen und keine
Erholung zu benötigen. Wer viel schläft, gilt schnell
als faul oder schwach. Als Psychologe weiß ich, dass
einige Menschen sich erst spät eingestehen, dass
Schlafprobleme oder ein andauernder Verzicht auf
ausreichend Schlaf langfristig zu erheblichen Problemen
führen können. Dabei gibt es heute sehr gute
Möglichkeiten, Schlafstörungen erfolgreich zu behandeln.
Die erste Wahl bei einer Behandlung ist die
kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I).
Obwohl diese Behandlungsform beeindruckende Erfolgsaussichten
für Betroffene mit sich bringt, haben
viel zu wenige Zugang zu dieser Therapieform. Leider
ist es immer noch viel wahrscheinlicher, dass Betroffene
auf die vermeintlich schnelle Hilfe in Form von
pharmakologischen Präparaten zurückgreifen.
Aus diesen Gründen haben wir, in einem Team aus
Schlafmediziner*innen und Psycholog*innen die
"App auf Rezept" entwickelt. Diese setzt die Inhalte
der kognitiven Verhaltenstherapie für Insomnie
(KVT-I) digital um und bietet als Digitale Gesundheitsanwendung
(DiGA) Hilfesuchenden einen
einfachen Zugang zu hochwirksamen Behandlungsmethoden.
Das Gute ist: Die App auf Rezept ist
kostenfrei, wenn sie von Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen
verschrieben wird.
Guter Schlaf ist erlernbar. Gute Nacht.
Text Dr. Noah Lorenz, Psychologe
Dr. Noah Lorenz ist Psychologe.
Sein Spezialgebiet: Schlaf.
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Halb leer ist gar nicht gut …
Tabuthema männliche Blase
Altern birgt für viele Männer unwillkommene körperliche Veränderungen – speziell im Urogenitalsystem.
Plötzlicher Harndrang, häufiges Wasserlassen in der Nacht, Schwierigkeiten
beim Starten und Stoppen des Urinstrahls – alles Symptome der benignen Prostatahyperplasie,
kurz BPH. Für viele Männer bedeuten diese Veränderungen eine große Einschränkung
ihrer Lebensqualität und ihrer Freude am täglichen Leben.
Text Prof. Karl-Dietrich Sievert
Große Prostata, große Probleme …?
In einem Alter (> 25LJ) in dem „Mann“ noch
gar nicht über die BPH nachdenkt, verändert
sich die Prostata. Bei dem einen wächst die
Prostata auf eine enorme Größe an, während
sie sich bei anderen Männern fast gar nicht
verändert; aber die einschränkenden Symptome
sind die gleichen. Die Prostata muss nicht
groß sein, um dem Mann den Alltag unangenehm
zu beeinträchtigen – auch eine kleine
Prostata kann für abgeschwächten Harnstrahl
und ggf. auch für entsprechenden Restharn in
der Blase verantwortlich sein. Das wissen die
wenigsten Männer mittleren Alters, die ihre
beginnenden Symptome meist verdrängen
oder mit Medikamenten zu behandeln suchen.
Gerade für Männer in der Mitte ihres Lebens,
die noch sexuell aktiv sind und dieses auch
bleiben möchten, zählt in Bezug auf eine
Behandlung von BPH-Symptomen die Maßgabe:
je eher, desto besser. Es empfiehlt sich,
dass alle Männer ab 45 Jahren regelmäßig zur
urologischen Vorsorgeuntersuchung gehen.
Je eher eine mögliche Beeinträchtigung des
urogenitalen Systems (Blase, Prostata und
Harnröhre), Restharn in der Blase oder eine gutartig
vergrößerte Prostata diagnostiziert wird,
desto besser sind die Chancen, dass möglichen
negativen Folgen des Ignorierens mit der für ihn
passenden Therapie entgegengewirkt werden
kann. Diesen Männern kann mit verschiedenen
Behandlungsmethoden geholfen werden – von
medikamentöser Therapie über minimal-invasive
Verfahren bis hin zum klassischen
chirurgischen ablativen Eingriff mittels der
Elektroschlinge (TURP).
Bei Patienten mittleren Alters mit symptotischem
Restharn bietet sich das minimal-invasive
Verfahren des prostatischen urethralen
Lifts (PuL: Urolift®) an. Klinische Studien
belegen neben der hohen Patientenzufriedenheit
sehr gute funktionelle Ergebnisse
im Vergleich zu anderen minimal-invasiven
Methoden.
Welches Verfahren erhält die sexuellen
Funktionen ...?
Langzeitstudien belegen klinisch (Daten > 5
Jahre), dass der Patient nach der Behandlung
mit prostatischem urethralen Lift innerhalb
kürzester Zeit die dauerhafte Besserung der
Symptome erfährt und weder eine durch die
Therapie resultierende erektile Dysfunktion
noch einen retrograden Samenerguss fürchten
muss – ganz im Gegensatz zu den traditionellen
invasiven Behandlungsmethoden wie
z. B. die TURP, die dieses Risiko beinhalten.
Männer sollten den Zustand ihrer Blase
kennen. Frühes Eingreifen schützt diese und
erhält die Lebensqualität und einen
beschwerdefreien Alltag – und kann ggf. eine
unbefriedigende, medikamentöse Therapie
ersetzen!
Prof. Karl-Dietrich
Sievert
Klinikum Lippe
WAS IST RESTHARN?
Als Restharn versteht man die
Harnmenge, die nach spontanem
Wasserlassen in der Blase verbleibt.
Viele Männer bemerken die ersten
Anzeichen nicht. Auch wenn der
verbleibende Urin nicht spürbar ist,
sollte ggf. eine Behandlung erfolgen,
um ein erhöhtes Infektionsrisiko und
Langzeitschäden zu verhindern.
Behandelt man die Ursachen der
erhöhten Restharnbildung nicht, kann
er dazu führen, dass die Harnblase
ihre Organfunktion (Speichern und effektive
Entleerung) einbüßt, und ggf. in
der Folge die Nieren beeinträchtigen,
sogar dauerhaft schädigen.
PRÄVENTION FÜR MÄNNER
Jeder Mann ab dem 45. Lebensjahr hat
Anspruch auf eine kostenfreie
urologische Vorsorgeuntersuchung
pro Jahr zur Früherkennung Krebserkrankungen
der Prostata und der
äußeren Geschlechtsorgane. Die
Früherkennung hat den Anspruch,
Veränderungen so frühzeitig zu erkennen,
dass diese noch reversibel sind.
25 % der Bevölkerung nehmen an, dass
es eh zu spät ist, wenn sie zur Vorsorge
gehen.*
* Deutsches Ärzteblatt 2003; 100(9): A-530/B-454/C428
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ÜBER
70 %
der befragten Männer *
gaben an, tagsüber weniger Energie
zu haben, weil sie nachts häufig
zum Wasserlassen aufstehen müssen
UroLift.com
* Inhalt basiert auf einer von NeoTract | Teleflex im Jahr 2021 in den USA unter ca. 1.000 Männern im Alter von 45+ Jahren durchgeführten Befragung, bei denen beim
Wasserlassen mindestens ein mit einer Prostatavergrößerung (auch als benigne Prostatahyperplasie oder BPH bezeichnet) verbundenes Symptom auftrat. Harnsymptome können
verschiedene Ursachen haben und müssen von einem Arzt diagnostiziert werden. Der Stichprobenumfang in dieser Umfrage kann je nach qualifizierender Fragestellung variieren.
©2021 NeoTract, Inc. Alle Rechte vorbehalten. MAC01942-23 Rev. A
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Als Gesellschaft müssten wir viel offener für Themen
wie Libidoverlust, sexuelle Identitätsstörungen
und Schwangerschaftsdepressionen sein, um diese
zu einem alltäglichen Thema unserer Gesellschaft zu
machen anstatt zu einem Tabu.
Die Sexualtherapeutinnen Helen Hagemeier und Katja Stolte im Interview.
Text Lena Nause
Liebe Helen, wie wichtig ist es für ein Individuum,
psychisch wie auch physisch mit dem Thema
Sexualität offen umgehen zu können?
Zuerst einmal einer meiner liebsten Sätze: „Wir
sind alle heute hier wegen Sex.“ Und da dies der
ausschlaggebende Faktor unseres Daseins ist, ist
Sex an sich ja immer
omnipräsent – denn ich
als Person bin aus Sex
entstanden, genauso wie
Sie und alle Leser.
Wir gehen häufig davon
aus, dass unsere Welt
normativ heterosexuell
ist, dies ist aber nicht
der Fall. In unserer
modernen sexuellen
Gesellschaft sollte es
weiterhin viel bewusster
um Diversität gehen,
damit die Gesellschaft
inklusiver aufgestellt
ist. Denn nur durch
eine offene und anerkennende
Haltung
aller Menschen können
Helen Hagemeier
Personen vor psychisch
belastenden Situationen
durch Ausschluss oder
Abwertung der Gesellschaft geschützt werden.
Als Gesellschaft müssten wir viel offen für Themen
wie Libidoverlust, sexuelle Identitätsstörungen
und Schwangerschaftsdepressionen sein um diese
zu einem alltäglichen Thema unserer Gesellschaft
zu machen anstatt zu einem Tabu. Diese Themen
betreffen uns alle und wir sollten diesen viel mehr
Sichtbarkeit geben, um psychische Leiden deutlich
zu verringern.
Katja, wie siehst du das?
Dem stimme ich absolut zu. Und bezüglich des
Umgangs mit den physischen Aspekten möchte ich
gern noch ein weiteres Tabu im Tabu ansprechen,
nämlich Sexualität und Krankheit, sich trauen, es bei
Ärzten anzusprechen. Denn obwohl es auf der einen
Seite diese sexuelle Revolution gibt, existiert parallel
eine große Sprachlosigkeit. Denn tatsächlich fällt das
Sprechen über Sexualität den meisten Betroffenen
sehr schwer und auch Therapeuten sowie Ärzten
kommen ja selbst aus dieser Gesellschaft mit ihren
Tabus. In der Konsequenz klammern sie Themen
rund um die Sexualität in ihrer Behandlung meist
aus. Dabei wäre es genau an dieser Stelle so wichtig,
einen offeneren Umgang damit zu pflegen, um Patientinnen
und Patienten den Leidensdruck zu nehmen
und sie in ihrer Lebensqualität zu unterstützen.
Denn es gibt so viele Menschen, die aufgrund von
Erkrankungen Einschränkungen in ihrer Sexualität
haben.
In der Sexualtherapie geht man davon aus, dass 50
Prozent der Menschen sexuelle Probleme haben.
Wenn wir nun noch draufrechnen, dass Menschen
mit Erkrankung oder Behinderung ein erhöhtes
Risiko für eine sexuelle Störung aufgrund physischer
oder psychischer Symptome haben, dann ergibt sich
ein großer Bedarf. Doch kaum jemand spricht mit
ihnen, da sich keiner zuständig fühlt oder den Mut
aufbringt, sich der sexuellen Veränderungen und
Herausforderungen, die mit einer Erkrankung oder
Behinderung einhergehen können, anzunehmen. So
die Erfahrung aus meinen Seminaren für Therapeuten.
Die psychischen Folgen von lebensverändernden Diagnosen
oder medikamentösen Einflüssen – Minderwertigkeitsgefühle,
Depressionen, Angst vor Partnerschaftsverlust
- sind mitunter enorm und können zu
Frustration und Vermeidung von Sex, im schlimmsten
Fall zu Vereinsamung und Isolation oder Depression
führen.
Sexualität zu pflegen
– oder eben noch zu
erlernen. Denn die
wenigsten sind darin
so souverän, da der
Grundstein dafür früh
in der Kindheit und im
Heranwachsen gelegt
wird – und da könnten
wir jetzt erneut bei den
Tabus anfangen.
Um die Eingangsfrage
zu beantworten:
Hierfür ist es sehr
wichtig – und da
spreche ich aus der
Perspektive der
Therapeutin – einen
offenen Umgang mit
Katja Stolte
Helen, kann man mit einer Bedürfnisanalyse für
Klarheit sorgen?
Bei der Bedürfnisanalyse stellen wir uns erst einmal
folgende Fragen: Welche Sexualität lebe ich im Jetzt?
Welche Bedürfnisse werden befriedigt und welche
bleiben unbefriedigt? Wo liegen meine sexuellen
Bedürfnisse? Unsere Gesprächsthemen sind dann,
welche Grundbedürfnisse bestehen, was Berührung
oder was Intimität für sich selbst bedeutet, wie geteilte
Sexualität sich erfüllend anfühlt und wie Solo-Sex
umgesetzt wird. Dadurch erfahren wir mehr über die
sexuelle Zufriedenheit, offene Wünsche, ausgesprochene
und unausgesprochene Fantasien, aber
auch über körperliche Energien, wie feminine und
maskuline Energien, und schauen, wohin sich die Lust
am stärksten entfaltet.
Daraufhin bauen wir einen Übungsplan auf, den die
Einzelperson wie auch Paare zu Hause umsetzen können.
Die Übungen sind sehr vielseitig und bei jedem
Fall anders.
Die Bedürfnisanalyse ist allerdings nicht nur für die
sexuelle Zufriedenheit, sondern ebenso für viele
Menschen ganz generell eine Möglichkeit, das riesige
Spektrum der Sexualität weiter zu erforschen.
Ich arbeite auch gerne mit sexueller Hypnose und
Trance, wodurch wir die Erregungsquellen und
Blockaden erforschen. Denn erst wenn wir uns
entspannen, können wir bewusst tiefer fühlen. Mit
einer entspannten Haltung kann ich tiefer fühlen,
was in meinem Körper passiert, und der Lust dadurch
mehr Weite schenken.
Helen, was fällt dir bei deiner Arbeit als Sexualtherapeutin
am ehesten an deinen Klienten auf?
Hakt es an körperlicher Unsicherheit oder an der
Kommunikation miteinander?
Erst mal haben wir weiterhin ein Systemproblem,
denn es gibt immense Probleme, überhaupt an die
Versorgung einer Sexualtherapeutin oder eines Sexualberaters
zu kommen. Warum? Weil über uns zu
wenig gesprochen oder an uns verwiesen wird. Meist
sind Personen, die sich an mich wenden, bereits einen
langen belastenden Weg gegangen. Und dadurch
entsteht manchmal eine weitere psychische Belastung
on Top zu dem eigentlichen Problem selbst.
In meiner Arbeit treffe ich vor allem auf Personen
mit sexuellen Unsicherheiten bezogen auf die eigene
sexuelle Identität,
das Empfinden als
sexuelles Wesen in
dieser Gesellschaft.
Wir Menschen sind so
in unserem Leistungsdruck
und dem
Alltagsstress versunken,
dass es uns an
Kreativität und gelebter
Sexualität fehlt.
Der Körper ist immer
nur am Ackern, d.h.
wir sind so oft im
Kopf und nicht im
Körper über den Tag,
dass unser System gar
nicht genug fühlen
kann. Wir Menschen
müssen also erst mal
wieder lernen zu
fühlen. Und dies ist in
meiner Praxis täglich
Thema.
Katja, zu deinem Fachbereich gehört auch die
Behandlung von psychisch-sexuellen Blockaden.
Was verbirgt sich dahinter und wie können diese
entstehen?
Eine sexuelle Blockade entsteht im Prinzip immer
dann, wenn das Gedachte und Gefühlte nicht zum
Erleben und Verhalten passt. Der Körper macht
dann nicht mehr so mit, wie wir eigentlich scheinbar
wollen. Denn auch das steht nicht selten zur Debatte:
Habe ich überhaupt den Sex, den ich mir wünsche?
Macht der Körper hier dicht oder spricht er einfach
nur aus, was ich mich nicht auszudrücken traue?
Das Besondere im Fall von neurologischen Erkrankungen
ist dann, dass diese per se eine Blockade
auslösen können, meist erst auf körperlicher Ebene,
und diese dann wiederum führen zu psychischen
Blockaden.
Bei Menschen mit Behinderung herrscht leider
überwiegend noch das Bild, dass diese ganz sicher
keine sexuellen Bedürfnisse haben und eine Person,
die krank ist, keine Lust auf Sex hat. Dabei ist kein
Mensch jemals nur krank oder nur behindert. Wir
werden als sexuelle Wesen geboren und verlassen die
Welt als solche – nur müssen wir bei bestimmten
physisch oder psychisch verändernden Erkrankungen
Sexualität neu lernen.
Das ganze Interview online, unter:
www.gesunder-koerper.info
WIR SIND DA,
WO GESUNDHEIT
UNBEZAHLBAR IST.
Die German Doctors sind ehrenamtlich weltweit im Einsatz und
bilden vor Ort Gesundheitskräfte aus.
DEINE
SPENDE
ZÄHLT.
german-doctors.de