faktorSTIL Herbst 2021
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
STIL<br />
J<br />
„Jute! Die Bohnen riechen eindeutig nach<br />
Jute“, sage ich und ziehe enttäuscht meine<br />
Nase zurück, meine Augen nehmen fragend<br />
Kontakt mit Alexander Pohl auf, in dessen<br />
Hand die kleinen Kugeln liegen. „Ich muss Ihnen<br />
leider alle Illusionen nehmen. Rohkaffee<br />
hat noch keinen leckeren Geruch“, sagt er<br />
lächelnd und lässt die Bohnen zurück in eine<br />
Schale gleiten.<br />
Wir sitzen zusammen in seiner Einbecker<br />
Kaffeerösterei am Markt in der idyllischen<br />
Altstadt. Innen ist es klein und gemütlich,<br />
Foto grafien von Kaffeebohnen und -plantagen<br />
aus Kolumbien und Indien zieren die Wände,<br />
am Tresen im Eingangsbereich thront die<br />
glänzende Barista-Maschine. Mit geübten<br />
Handgriffen bereitet eine Mitarbeiterin darauf<br />
Kaffee, lautmalerisch begleitet vom knarzenden<br />
Mahlwerk, zischendem Dampf und klapperndem<br />
Geschirr. Vor dem Geschäft – in der<br />
Fußgängerzone – sind alle Tische besetzt, die<br />
Gäste plaudern, beobachten das Treiben, die<br />
Sonne lacht: italienisches Dolce-Vita- Gefühl<br />
mitten in Einbeck.<br />
„So habe ich es mir immer vorgestellt“, sagt<br />
Pohl, lässt den Blick durch seinen Laden<br />
schweifen und nippt zufrieden an seiner Tasse<br />
– einer von fünfen jeden Tag. „Auch wenn bei<br />
der Gründung keiner an den Erfolg geglaubt<br />
hat.“ Und doch hat der passionierte Kaffeetrinker<br />
vor vier Jahren voller Tatendrang seinen<br />
Traum in die Realität umgesetzt – mit der<br />
festen Überzeugung, dass die Kombination<br />
aus Bohnenverkauf und Bewirtung bestens<br />
läuft. „Mein Plan B ist, dass Plan A funktioniert“,<br />
sagt der gebürtige Einbecker entschieden<br />
und gibt damit sein Lebensmotto preis.<br />
PLAN A GING AUF – auch wenn er trotz<br />
To-go-Bechern und Außer- Haus-Verkauf im<br />
letzten Corona-Jahr ein wenig ins Stocken<br />
kam. Inzwischen kommen die Kunden aber<br />
gern wieder zum längeren Verweilen, was<br />
Pohl durchaus optimistisch stimmt. Einer von<br />
ihnen winkt ihm gerade zu, mit einem gekauften<br />
Päckchen Kaffee in der Hand, und fragt<br />
den Inhaber nach seinem Befinden. Pohl<br />
nimmt sich die Zeit für ein paar freundschaftliche<br />
Sätze, bevor er sich wieder dem Tischgespräch<br />
zuwendet.<br />
„Das Café ist praktischerweise auch meine<br />
Marke tingabteilung“, erklärt er lächelnd.<br />
„Denn wer hier seinen Kaffee genießt, nimmt,<br />
wie Sie sehen, auch gern ein Päckchen für<br />
Zuhause mit.“ Ihm sei klar gewesen, dass es<br />
utopisch ist, allein mit einem Café die schnelle<br />
Mark zu generieren. „Schließlich bringen<br />
Gäste, die nur eine Tasse pro Stunde konsumieren,<br />
keinen großen Umsatz. Genuss kennt<br />
keine Eile.“ Er schüttelt den Kopf und zählt<br />
an den Fingern seine drei Erfolgsfaktoren für<br />
eine gut laufende Gastronomie auf: ein solides<br />
Konzept, ein langer Atem und vor allem ein<br />
Alleinstellungsmerkmal. Letzteres sei für ihn<br />
eben die ergänzende Kaffeerösterei, die 70 Prozent<br />
seines Umsatzes ausmache.<br />
DOCH WIE KAM POHL – der zuvor international<br />
als Hotelbetriebswirt in der Gastronomie<br />
und später im Außendienst bei der Einbecker<br />
Brauerei arbeitete – eigentlich darauf, plötzlich<br />
sein Geld mit Kaffee zu verdienen? Der<br />
44-Jährige lehnt sich entspannt zurück und<br />
erzählt von seinem ,Blick von außen‘ auf verschiedenste<br />
Club- Hotels und Fünf-Sterne-<br />
Häuser, bei denen er erkannte, welche Fehler<br />
vermeidbar gewesen wären, und davon, dass<br />
er die Selbstständigkeit ja schon von seinen<br />
Eltern her kenne, die bis heute mit dem Einbecker<br />
Hof ihr eigenes Hotel führen. „Vor 70<br />
Jahren von meinen Großeltern gegründet und<br />
noch immer im Familien besitz“, sagt Pohl<br />
nicht ohne Stolz. Aber ausschlaggebend für<br />
die eigene Kaffeerösterei, so erinnert er sich,<br />
sei vor sechs Jahren ein Kaffee seminar in Hamburg<br />
Altona gewesen: „Es war ein Geschenk<br />
meiner Schwester, die wusste, dass ich diese<br />
Rösterei schon immer toll fand und näher<br />
kennenlernen wollte.“<br />
So kam er schlückchenweise auf den Geschmack<br />
und auf die Idee eines eigenen Kaffeegeschäfts.<br />
Er vertiefte das Thema in weiteren<br />
Seminaren und knüpfte Kontakt zur Hannoverschen<br />
Kaffeemanufaktur, wo er bei einem<br />
seiner früheren Arbeitskollegen Gelegenheit<br />
bekam, praktische Erfahrung zu sammeln und<br />
Prozesse kennenzulernen.<br />
„Mir hat das großen Spaß gemacht, mich<br />
aber zum Glück auch schnell gelehrt, wie<br />
komplex doch das ganze Drumherum ist: Bezugswege,<br />
Zollvorgaben, Steuern, Einfuhr, Lagerung,<br />
Zertifizierung – das geht nicht<br />
➼<br />
113 Stil