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ThyssenKrupp Magazin Werkstoffe - ThyssenKrupp Elevator AG

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magazin<br />

Das TK<br />

Denken, nachdenken,<br />

ausdenken – <strong>ThyssenKrupp</strong><br />

formt aus Rohstoffen<br />

viele <strong>Werkstoffe</strong>, in jeder nur<br />

denkbaren Form. Die<br />

Faszination im Konzern für<br />

neue <strong>Werkstoffe</strong> kann man<br />

nicht nur sehen, sondern<br />

spüren, mit eigenen<br />

Händen. Weltweit.


Wir denken <strong>Werkstoffe</strong> weiter<br />

Von Prof. Dr. Ekkehard D. Schulz,<br />

Vorsitzender des Vorstands der <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>AG</strong><br />

Welche Aufgabe der Wissenschaftler hat, darüber wurde zu<br />

allen Zeiten diskutiert. War er nur auf der Suche nach der<br />

Wahrheit oder wollte er im Kern doch die Welt verändern?<br />

Brachte er der Menschheit Segen oder war er der endgültig entfesselte<br />

Prometheus, der zügellos die Wissenschaft nutzte, um zur Bedrohung<br />

zu werden? <strong>ThyssenKrupp</strong> kommt als führender Technologiekonzern<br />

zwangsläufig mit der Naturwissenschaft in Berührung. Den Anspruch,<br />

die Welt verändern zu wollen, erheben wir nicht. Wohl aber stellen wir<br />

uns der Erwartung unserer Stakeholder. In Richtung Zukunft führt unser<br />

Weg, mit allem kreativen Potenzial, das unsere Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter nutzbringend einsetzen.<br />

Die neue Ausgabe des <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>Magazin</strong>s führt Ihnen praktische<br />

Ergebnisse solch innovativen Denkens vor. Der Umgang mit<br />

<strong>Werkstoffe</strong>n gehörte und gehört noch immer zur Kernkompetenz unseres<br />

Konzerns, angefangen bei den Gründern von Krupp, Thyssen und<br />

Hoesch. Auch durch ihre Erfindungen und ihr unternehmerisches Wirken<br />

blieb die Welt nicht so, wie sie war.<br />

Das Tempo des Wandels wurde sicher schneller. Denker unserer<br />

Zeit beobachten scharfsichtig die wahrnehmbaren Veränderungen –<br />

und ziehen daraus ihre Schlüsse. „Der rasche Wandel ist vor allem eine<br />

Folge der Wissenschaft“, hat vor mehr als drei Jahrzehnten der Philosoph<br />

und Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker festgestellt. Bei aller<br />

Wahrheit dieser Aussage: Aus Sicht von <strong>ThyssenKrupp</strong> ist der Wandel<br />

vor allem eine Folge veränderter Kundenwünsche. Der Kunde und seine<br />

Bedürfnisse stehen am Ausgangspunkt aller unserer Überlegungen.<br />

Denn Kundeninteressen zu erkennen, ist eine Verpflichtung für uns alle<br />

und gleichzeitig die Basis zukunftsorientierten Handelns.<br />

Dass wir hier auf dem richtigen Weg sind, zeigt die ganze Vielfalt<br />

im Umgang mit <strong>Werkstoffe</strong>n. Stahl bildet bei den <strong>Werkstoffe</strong>n zweifellos<br />

noch immer den Schwerpunkt. Doch Stahl hat ein ungeahntes Potenzial.<br />

Im Autozuliefererbereich etwa ist es unseren Ingenieuren gelungen,<br />

mit dem „NewSteelBody“ eine extrem leichte Karosserie zu bauen.<br />

Ähnliches gilt für neuartige „Gebaute Nockenwellen“ mit großer Gewichtsreduzierung.<br />

Oder nehmen Sie das immer breiter werdende Angebotsfeld<br />

von Edelstahl: Auch hier denken wir diesen Werkstoff weiter,<br />

in der Anwendung im Haushalt, in der Lebensmittelherstellung, im Baubereich,<br />

nicht zu vergessen in einer der sehr schnellen Sportarten, dem<br />

Bobfahren. Sogar eine der nachhaltigsten Applikationen stammt aus<br />

unserem Haus: Edelstahlcontainer, in denen das so genannte „Kulturschutzgut<br />

Deutschlands“, Millionen verfilmte Schriftstücke, in einem<br />

Stollen im Schauinsland bei Freiburg für mindestens 500 Jahre verwahrt<br />

werden.<br />

Doch wir begnügen uns nicht mit dem Werkstoff Stahl. Magnesium,<br />

einem spannenden Werkstoff, dessen Erforschung für Kundeninteressen<br />

erst am Anfang steht, widmen sich unsere Ingenieure, Aluminium<br />

nicht weniger – hervorragend geeignet für die Anwendung in der<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

EDITORIAL 1<br />

Automobilproduktion. Mit neuer Vakuumtechnik erhalten wir <strong>Werkstoffe</strong>,<br />

die höchsten Anforderungen in der Luft- und Raumfahrt gerecht<br />

werden.<br />

Der Kunde ist König – und übt damit den wichtigsten Einfluss auf<br />

unseren Umgang mit <strong>Werkstoffe</strong>n aus. <strong>ThyssenKrupp</strong> Services bietet<br />

dafür eine Plattform: Ein Werkstoff-Auswahlprogramm präsentiert dem<br />

Kunden in Sekundenschnelle Vorschläge, welcher Werkstoff für ihn am<br />

besten geeignet ist. Über den direkten Werkstoff hinaus haben wir viel<br />

zu bieten. Blohm + Voss beispielsweise verfügt über „Oil Tools“, Werkzeuge,<br />

um tonnenschwere, aus spezifischen Materialien bestehende<br />

Teile auf Ölplattformen zu bewegen. Der Werkstoff war hier Ausgangspunkt,<br />

um das passende Werkzeug zu entwickeln. Im Schiffbau verhält<br />

es sich nicht anders: Mit einer neuartigen Laserschweißtechnik können<br />

wir meterlange Paneele mit engsten Toleranzen bearbeiten.<br />

Sind das Beispiele für die Arbeit des entfesselten Prometheus?<br />

Wohl kaum, im Gegenteil. <strong>ThyssenKrupp</strong> bekennt sich zu einem Grundsatz:<br />

dem Prinzip Verantwortung. Dem werden wir gerecht. Deshalb suchen<br />

wir den Kontakt zu jungen Werkstoffforschern in Universitäten und<br />

Instituten und unterstützen sie bei ihren Projekten.<br />

Das Prinzip Verantwortung hat seine nachhaltigen Seiten. Wenn<br />

wir in diesem Jahr Edelstahlprofile für den Besucherturm des Kölner<br />

Doms liefern, vereint sich die Technik mit der Kultur. Andere gelungene<br />

Beispiele für diese Annäherung finden Sie in dieser neuen <strong>Magazin</strong>-<br />

Ausgabe. Lassen Sie sich informiert und unterhaltend mitnehmen, auf<br />

der Reise durch die Welt der <strong>Werkstoffe</strong> bei <strong>ThyssenKrupp</strong>.<br />

Prof. Dr. Ekkehard D. Schulz,<br />

Vorsitzender des Vorstands der<br />

<strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>AG</strong>


2 INHALT<br />

12 Wunderkerzen<br />

machen ihrem Namen<br />

in jeder Weise Ehre<br />

4 In ihrem pfeilschnellen<br />

Bob ist Susi<br />

Erdmann Weltspitze<br />

32 Werkzeuge<br />

für Bohrrohre greifen<br />

sehr sensibel zu<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004<br />

4 Für rasende Fahrten geeignet<br />

Kufen aus Stahl im Eiskanal<br />

12 Mit Sterneneffekt getaucht<br />

Das Eisenpulver in der Wunderkerze<br />

20 Am gesägten Berg verlegt<br />

Schwellen für die Zahnradbahn in Montserrat<br />

30 Aus Komponenten gefertigt<br />

Gebaute Nockenwellen für moderne Motoren<br />

32 Auf Präzision getrimmt<br />

Oil Tools für tonnenschwere Bohrrohre<br />

38 Als Blickfang dienend<br />

Die Kultur des Kabinendesigns von Aufzügen<br />

42 Auf glänzendes Profil bedacht<br />

Die Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner<br />

48 Bei der Stahlherstellung erzeugt<br />

LiDonit, eine stabilisierte Schlacke für den Straßenbau<br />

54 Von Leichtigkeit durchdrungen<br />

Der NewSteelBody als Schaustück feinster Stahlwerkstoffe<br />

58 Für Innovationen werbend<br />

„Wir brauchen Menschen, die sich für <strong>Werkstoffe</strong> begeistern“<br />

Interview mit Prof. Dr. Ulrich Middelmann<br />

20 Zum Kloster<br />

Montserrat fährt die Bahn<br />

auf neuen Schwellen<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


62 In der „Hall of Fame“ gelandet<br />

Edward G. Budd, der Erfinder der Ganzstahlkarosserie<br />

68 In leichtem Gewand gestylt<br />

Die neue Aluminium-Karosserie des Lamborghini Gallardo<br />

74 Auf Pucksicherheit geprüft<br />

Die Bandenumrandung aus Kunststoff im Düsseldorfer Eisstadion<br />

76 Für Kunden erfunden<br />

Das Werkstoff-Auswahlprogramm von Jochen Adams<br />

84 Beim Vollanschluss unerreicht<br />

Laserschweißtechnik in der Schiffbaufertigung<br />

88 In der Hochreinheit unübertroffen<br />

Superlegierungen aus dem Vacuum Induction Melting Ofen<br />

92 Gegen Korrosion geschützt<br />

Anwendungen von Edelstahl im Alltag der Menschen<br />

94 Auf die Zukunft gerichtet<br />

Magnesium wird von Forschern als Werkstoff entdeckt<br />

100 Auf Jahrhunderte angelegt<br />

Container für Kulturschutzgut im Barbarastollen in Oberried<br />

110 Glossar<br />

112 Impressum<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

68 Der Lamborghini<br />

Gallardo trägt verdeckt<br />

Aluminium zur Schau<br />

58 „Der Umgang<br />

mit <strong>Werkstoffe</strong>n fördert<br />

die Kreativität“,<br />

sagt Prof. Dr. Ulrich<br />

Middelmann<br />

38 Das Kabinendesign<br />

von Fahrstühlen<br />

verrät viel über Land<br />

und Leute<br />

INHALT 3<br />

42 Dombaumeisterin<br />

Barbara Schock-Werner<br />

verbaut Edelstahl<br />

am Mahnmal Gottes<br />

in Köln


4 BOBFAHREN<br />

Susi Erdmann ist die<br />

amtierende Weltmeisterin im<br />

Zweierbob. Auch sie profitiert<br />

vom Know-how des Bob-<br />

Spezialisten Klaus Nowak.<br />

Er hat für sie neue Kufen<br />

entwickelt, in der Hoffnung,<br />

dass sie weiterhin in den<br />

Eiskanälen der Welt nur<br />

schwer zu schlagen ist.<br />

Das Gefühl ist mulmig. Schon das Erlebnis, einen Bobschlitten mit Tempo 150<br />

schnell wie einen Pfeil an einem vorbeirauschen zu sehen – Wahnsinn! Aber<br />

dann selbst im Gefährt zu sitzen, einen Helm auf dem Kopf, der jeden Millimeter<br />

des Hauptes fast liebevoll umfasst, um durch heftige Stöße ja keinen Schaden zu<br />

erleiden, das ist gar nicht mehr lustig. Denn was wird einen bei dieser Schussfahrt erwarten,<br />

außer dem garantierten „ultimativen Kick“?<br />

Welch ein Glück, dass man im Bob Platz nehmen darf und drei junge Männer das<br />

Gefährt anschieben. Nicht irgendwie, sondern mit aller Macht. Schön, die ersten<br />

zwanzig Meter im Eiskanal erinnern an eine Sight-Seeing-Tour, man blickt in die Landschaft,<br />

auf die schönen Hügel im beschaulichen Winterberg im Sauerland. Doch nur<br />

wenige Sekunden, bis der Bob in die erste Kurve einbiegt – die rasende Fahrt beginnt,<br />

unaufhaltsam, schnell und immer schneller werdend, ohne dass der von allem nichts<br />

ahnende Bobmitfahrer auch nur merkt, durch welche Kurve er gerade mit einer solchen<br />

Wucht schießt, als wolle ihm der Atem stocken.<br />

„Bobfahren ist kein Kinderspiel.“ Dies sagt einer mit ernster Stimme, aber deutlich<br />

glänzenden Augen, die eines auf Anhieb deutlich machen: Klaus Nowak ist von<br />

diesem Sport begeistert, und zwar restlos. Selbst in seinem kleinen Büro, mitten im<br />

weitläufigen Wittener Werksgelände der Edelstahl Witten-Krefeld GmbH, die zu Thys-<br />

Edelstahl<br />

pfeilschnell im<br />

Eiskanal<br />

Wer im Bob an der Weltspitze fahren<br />

will, braucht bestes Material für<br />

den Schlitten. Klaus Nowak von der<br />

Edelstahl Witten-Krefeld GmbH<br />

zählt zu den „Kufenpäpsten“ im<br />

eiskalten Rennsport<br />

Von Heribert Klein | Fotos Walter Schmitz<br />

senKrupp Steel gehört, springt der Bob-Funke über. Da<br />

sitzt er wie der Fahrlehrer, der die Theorie des Autofahrens<br />

erklärt, an seinem Computer und nimmt den Gast mit auf<br />

die Reise unter und durch den Bobschlitten, was sonst für<br />

Fremde so gut wie ausgeschlossen ist. Denn ein Bob ist<br />

ein Hightech-Produkt, in das der Konstrukteur außer den<br />

Bobpiloten niemanden hineinschauen lässt. Aus guten<br />

Gründen, denn wer die Weltspitze der Bobfahrer und –fahrerinnen<br />

betrachtet, sieht die Unterschiede nicht im Bereich<br />

von Sekunden, sondern von Hundertstel-Sekunden,<br />

das heißt im Abstand von Zentimetern, nicht von Metern.<br />

TECHNIK-FREAK FÜR DAS BOB-TUNING<br />

„Kufenpapst“ wurde Nowak hin und wieder genannt. Um<br />

damit auszudrücken, er sei einer der Top-Spezialisten, die<br />

sich mit diesem schwierigen Phänomen der Kufen und<br />

des Bobschlittens bestens auskennen. Dabei ist er<br />

zunächst einmal im Wittener Werk für die mechanische In-<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


BOBFAHREN 5


6 BOBFAHREN<br />

Mit Fliehkräften im Randbereich<br />

Wer einen Bob steuern<br />

will, braucht sehr viel Gefühl<br />

in den Fingerspitzen. Nur<br />

so findet er zur Ideallinie und<br />

schießt mit gesteigertem<br />

Drive auf Kufen in die Kurve.


BOBFAHREN 7


8 BOBFAHREN


standsetzung einschließlich der Kraftfahrzeug-Technik und Hydraulik zuständig – angesichts<br />

der riesig daherkommenden Anlagen auf dem Werksgelände eine verantwortungsvolle<br />

Aufgabe. Doch wie das Leben so spielt: irgendwann, Ende der achtziger<br />

Jahre, kam er (und damit auch das Unternehmen) mit dem Bobsport in<br />

Berührung. „Ich bin ein Technik-Freak“ umschreibt er die Basis, um seit Jahren mit<br />

größter Leidenschaft einen Teil seines Lebens dem „Tuning“ von Bobs, wie er es<br />

nennt, zu widmen. Der Techniker, der unterdessen fünfunddreißig Berufsjahre im<br />

Edelstahlwerk auf dem Buckel hat, wurde rasch berühmt. So berühmt, dass er mehrere<br />

Jahre lang die Schweizer Bob-Nationalmannschaft technisch betreute und ausrüstete<br />

– die Edelstahl Witten-Krefeld als Sponsor der Teams im Rücken. Denn was<br />

spricht mehr für ein Unternehmen als ein Mitarbeiter, der seinen Arbeitgeber als Erstes<br />

herausstellt und sich selbst ganz und gar nicht in den Mittelpunkt des Geschehens<br />

rückt?<br />

GRENZERLEBNIS MIT EXTREMEN QUERBESCHLEUNIGUNGEN<br />

Wo er es doch mit Fug und Recht könnte. Susi Erdmann beispielsweise, die amtierende<br />

Zweierbob-Weltmeisterin, hat von Nowak gerade brandneue Kufen bekommen.<br />

Welche Legierung genau die Kufen ausweisen, verschweigt auch die blonde athletische<br />

Rennsportlerin. „Wenn man keine exzellenten Kufen hat, die bestens laufen, hat<br />

man keine Chance“, sagt die groß gewachsene Sportlerin, die von dieser Kombination<br />

aus Geschwindigkeit und Fliehkräften fast schon rauschhaft gefangen ist. Fast,<br />

denn das Lenken des Bobs ist mindestens so sensibel wie seine Herstellung. „Man<br />

lenkt mit den Fingerspitzen“, meint Susi Erdmann, „die Fingerspitzen spüren am ge-<br />

Auf Spitzenmaterial an die Spitze<br />

Die Bobbahn in Königssee<br />

kennt Susi Erdmann bis ins<br />

kleinste Detail. Hier, in ihrem<br />

heimatlichen Eiskanal,<br />

beweist sie einmal mehr,<br />

wie ungeheuer schnell sie<br />

reagieren kann. Die neuen<br />

Kufen aus geschmiedeten<br />

Stählen tragen dazu<br />

bei, dass sie noch bessere<br />

Zeiten fährt.<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

Ohne intensive mentale<br />

Vorbereitung steigt Susi Erdmann<br />

nie als Pilotin in den Bob.<br />

Denn ihre Fähigkeit, die Leidenschaft<br />

für schnelle Fahrten<br />

zu kontrollieren, ist Teil ihres<br />

Erfolgs an der Weltspitze.<br />

BOBFAHREN 9<br />

nauesten, ob der Bob die Ideallinie trifft und er mit gesteigertem<br />

Drive aus der Kurve rausfährt. Man muss halt ungeheuer<br />

schnell reagieren können.“<br />

Wohlgemerkt im Eiskanal. Denn Fliehkräfte im<br />

Randbereich sind das eine, sie machen diese talwärts rasende<br />

Fahrt zum unvergesslichen Erlebnis. Doch das<br />

„Rumhirnen“ im Edelstahlwerk, wie es Nowak nennt, das<br />

ist die andere Seite dieser berauschenden Sportart.<br />

Nowak, ein Mann jenseits der fünfzig, geht gern mit<br />

jungen Leuten um. Kann er doch das, was er sich als<br />

Techniker ausgedacht, verändert, neu hergestellt und<br />

selbst getestet hat, zusammen mit Topfahrern im Eiskanal<br />

ausprobieren. Am liebsten mit ihnen im Bob vor Ort: Es<br />

wundert nicht, dass Stefan Drescher, siebenundzwanzig<br />

Jahre alt und derzeit als Mitglied im B-Kader der deutschen<br />

Bobfahrer ein besonderer Schützling von Klaus<br />

Nowak, von ihm das beste Material erhält, was er momentan<br />

hat. Doch der Konstrukteur will selbst spüren, wie<br />

sich Innovationen im Bob auswirken. Also steigt er als<br />

Bremser in Dreschers Gefährt – viermal nacheinander rast<br />

er durch den Eiskanal in Winterberg, nachher mit größter<br />

Genugtuung darüber, dass das neue Material sage und<br />

schreibe zwei Zehntelsekunden Zeit Vorsprung bedeutet.


10 BOBFAHREN<br />

Im Bobschlitten verbirgt sich Hochtechnologie. Klaus Nowak ist höchst daran interessiert, um mit neuen <strong>Werkstoffe</strong>n,<br />

ihrer Bearbeitung und ihrem Einsatz Pilotinnen wie Susi Erdmann den Platz an der Spitze zu sichern.<br />

Im Edelstahl-Chassis durch die Kurve<br />

Die Symbiose mutet merkwürdig an. Einerseits ein Bob, dem jeder Fahrkomfort<br />

fehlt. Ungedämmt hocken die Bob-Reisenden über den Kufen auf dem blanken<br />

Boden, eng in die Haube (aus Kohlefaser) gepfercht wie Heringe in der Dose. Doch<br />

Fahrkomfort, wer sucht dies schon bei dem Grenzerlebnis, das dem Körper mit heftigsten<br />

Querbeschleunigungen, abseits des Alltags, geboten wird, tatsächlich am<br />

Rand zum Rauschgefühl?<br />

„Ich bin kein Typ, der normale Stähle beim Bob verwendet“, grenzt Nowak seine<br />

Tuning-Arbeit von der Serienherstellung der schnellen Schlitten ab (auch für Skeleton<br />

und Rodeln betreibt er „Tuning“). Das sei eine ambitionierte Aufgabe, „denn Stähle,<br />

die hochlegiert sind, sind schwierig in den Griff zu kriegen, was die Bearbeitung betrifft.<br />

Für Susi Erdmann habe ich geschmiedete amagnetische Stähle eingesetzt, um<br />

ihr neue Kufen zu bauen. Sie leiten bei der Fahrt sehr schlecht die Wärme, was von<br />

Vorteil ist.“<br />

MIT DER HAUBE IN DEN WINDKANAL<br />

Drücken wir es mal formal aus: Der Baustahl ST 37-2 (allgemeiner Baustahl, Zugfestigkeit<br />

360 Newton pro Millimeter) ist für den Bob-Gebrauch nicht unbedingt Nowaks<br />

Werkstoff. Dann bevorzugt der Freund des Schraubens, weniger des Schweißens<br />

(wegen der oft nicht definierbaren Spannungszustände), schon eher hochlegierte<br />

Stähle in der Art einer Sorte (um ein ganz schlichtes Beispiel zu nennen) wie<br />

X 7 Cr 13. „Man muss sehr viel Erfahrung mit den <strong>Werkstoffe</strong>n haben“, fährt er fort,<br />

„denn ein widerspenstiger Stahl strebt in alle möglichen Richtungen, man muss ihn<br />

beginnen zu richten, der Präzision wegen. Das Ergebnis aber ist außergewöhnlich.“<br />

Da steht er, neben seinem „Lehrling“ Stefan Drescher, in einer kleinen Werkstatt<br />

in Winterberg – eine Art Heiligtum, in das kein Fremder Zutritt hat. Stück für Stück wird<br />

der Bob auseinander genommen, langsam wird sichtbar, welche Hochtechnologie<br />

sich im Inneren des Edelstahl-Geräts verbirgt. Mit vorsichtiger<br />

Hand präsentiert Nowak seine neueste gefräste<br />

Blattfeder, hergestellt aus verzugsarmem, ausscheidungshärtendem<br />

Stahl, dazu den Lenkkopf, Kufenblätter,<br />

Stabilisatoren und all das, was sonst noch zur technischen<br />

Hexerei gehört.<br />

Hexerei? Bei aller Emotion, die Nowak verbreitet: In<br />

seiner zurückhaltenden, fast introvertierten Art ist er<br />

zunächst ein Analytiker, der absolut nichts dem Zufall<br />

überlässt. Nicht bei der Haube (die er sogar im Windkanal<br />

Die Datenanalyse von <strong>Werkstoffe</strong>n und Bobfahrten am<br />

Computer ist für Klaus Nowak und seinen Schützling<br />

Stefan Drescher eine Selbstverständlichkeit. Ohne den<br />

technischen Aufwand gibt es keinen Erfolg.<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


Der Techniker Klaus Nowak ist sich sicher, dass auch Stefan Drescher immer mehr in die Weltspitze hineinfahren wird.<br />

Denn mittlerweile kennt der Bob-Pilot ganz genau seinen Schlitten und dessen technische Raffinessen.<br />

eines Automobilherstellers testen kann), nicht bei den Kufen und sonstigen Bob-Feinteilen.<br />

An den physikalischen Gegebenheiten rüttelt er nicht: „Bei einer harten Bahn<br />

mit engen Kurvenkombinationen brauche ich weiche Elemente im Bob, diese führen<br />

zu besseren Ergebnissen.“<br />

Das eng beschriebene technische Reglement des internationalen Bobverbands<br />

kennt er auswendig, doch was er noch besser kennt: die Toleranzbereiche des Reglements,<br />

die Neuentwicklungen zulassen. Hier, so scheint es, sieht Nowak sein eigentliches<br />

Arbeitsfeld, bei der Kreation neuer <strong>Werkstoffe</strong>, deren Bearbeitung und Einsatz<br />

– über deren letzte Einzelheiten er den Mantel des Schweigens deckt. Von Stefan Drescher<br />

abgesehen. „Stefan kennt jetzt genau sein Gerät. Er kann Lenkköpfe einbauen,<br />

Vorderachsen wechseln, Vorspannungen messen, kurzum, er weiß, mit welchem Material<br />

er fährt. Auf dem Weg zur Weltspitze ist dies unbedingt notwendig. Ich bin sicher,<br />

er wird in wenigen Jahren an der Weltspitze sein.“<br />

MIT BLATTFEDERN INS ZIEL<br />

Um dann, fragt sich verzagt der Bob-Amateur, wie von der Tarantel gestochen auf<br />

dem Edelstahl-Chassis durch den Eiskanal zu rasen? Bob-Piloten sind nicht verzagt,<br />

Stefan Drescher nicht, noch weniger Susi Erdmann. „Alles, was schnell fährt, finde ich<br />

toll“, stellt sie mit ihrer fröhlichen Unbekümmertheit fest. „Zum Beispiel Go-Kart-Fahren:<br />

Einmal im Jahr setzen wir uns in die Karts, weil es zum Trainingsprogramm<br />

gehört. Ich bin begeistert, wie schnell man damit fahren kann – was natürlich durch<br />

den Bob noch übertroffen wird.“<br />

Wer in eine solche Stahl-Kohlefaser-Hülse einsteigt, sollte wissen, dass es sich<br />

um einen Hochleistungs- und Rennsport handelt. Verdienen könne man nicht sehr viel,<br />

bemerkt die Weltmeisterin Erdmann. Andere Sportarten sieht sie im Vergleich zum Bobfahren<br />

sehr im Vorteil. Sponsoren hielten sich beim Bobsport mit Geldern lieber zurück,<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

BOBFAHREN 11<br />

und dann brauche man gemessen daran eine „gigantische“<br />

technische Unterstützung mit dem neuesten und<br />

besten Material. „Trotzdem fahre ich noch immer mit größter<br />

Begeisterung, möglichst bis zum Jahr 2006, den Olympischen<br />

Spielen in Turin.“<br />

Klaus Nowak an der Seite, mag man hinzufügen,<br />

jener Mann, der irgendwie für Originalität, Seriosität und<br />

technisches Maximum steht. Immer auf der Suche nach<br />

Weiterentwicklung, nach Blattfedern, die er im Unternehmen<br />

mit einer Zweitausend-Tonnen-Presse kalt biegen<br />

kann und dadurch widrige Veränderungen vermeidet. So<br />

fällt am Ende das gleißende Licht, das im Eiskanal, übertragen<br />

gesagt, mit dem Namen Nowak verbunden wird,<br />

auf ihn und sein Unternehmen zurück. Denn auch daraus<br />

macht er kein Hehl: Ohne all die technischen Möglichkeiten<br />

bei Edelstahl Witten-Krefeld käme Nowak nicht zu den<br />

Ergebnissen, die er sich ausdenkt.<br />

Hätten mehr Menschen die Chance, selbst im Bob<br />

zu sitzen – die Faszination über diese (noch immer) Randsportart<br />

würde in höchste Höhen wachsen. Denn eines ist<br />

sicher: Wer nach einer Minute das Ziel erreicht, pfeilschnell<br />

in einem Hightech-Gefährt, der steigt aus, schüttelt<br />

sich, bringt seine etwas aus den Fugen geratenen<br />

Knochen wieder ins Lot und sagt sich: Wann beginnt die<br />

nächste Fahrt? So hat es Klaus Nowak, der ungekrönte<br />

„Kufen-Papst“ vorausgesagt. Recht hat er. 7


12 WUNDERKERZE<br />

Eisenpulver für goldene Sterne<br />

Von Sebastian Groß | Fotos Michael Wissing


WUNDERKERZE 13


14 WUNDERKERZE


WUNDERKERZE 15<br />

Stahldrähte im komponierten Brei


16 WUNDERKERZE<br />

Wunderkerzen mit Sternen-Bukett


WUNDERKERZE 17


18 WUNDERKERZE<br />

STICHWORT<br />

Schon der Name legt nahe, dass es bei der „Wunderkerze“ nicht<br />

mit rechten Dingen zugehen kann. Wie gern würde man da wissen,<br />

was genau sich hinter dieser „Wondercandle“ verbirgt. Am<br />

ehesten können die Poeten vielleicht noch weiterhelfen. Die Gnome beispielsweise<br />

in Goethes „Faust“: „Felschirurgen“ nennen sie sich,<br />

Wesen, die im Alltag „die hohen Berge schröpfen“, der Metallgewinnung<br />

wegen. Und genau die sollen im Laboratorium der Kerze das funkelnde<br />

Licht entlockt haben, das Faust so begeisterte, dass er nur noch<br />

ausrufen konnte: „Da sprühen Funken in der Nähe, / Wie ausgestreuter<br />

goldner Sand“.<br />

Georg Alef ist kein Poet, sondern ein fröhlicher Mann aus dem<br />

Rheinland, genau genommen aus Eitorf an der Sieg. In der pyrotechnischen<br />

Fabrik Weco entwickelt und erforscht er zusammen mit seinen<br />

Kollegen Feuerwerkskörper. Als Spezialisten für Großfeuerwerke, besonders<br />

für Musikfeuerwerke, haben sie es schon in Montreal zum Titel<br />

„Weltmeisters“ gebracht – der Lohn für eine grandiose Kombination<br />

von Musik und Feuerwerk.<br />

DIE WUNDERKERZE IST EIN SEHR KOMPLIZIERTES PRODUKT<br />

In der nüchtern wirkenden Produktionshalle in Eitorf ist von diesem<br />

betörenden Glanz wenig zu spüren. Alefs raschen Schritten folgend,<br />

führt die Besichtigung zum „Taucher“. Kein Gnom oder „Gezwergenfürst“,<br />

sondern ein absoluter Fachmann, dessen Tätigkeit darin besteht,<br />

ein ums andere Mal dünne verkupferte Stahldrähte, von denen<br />

vierhundert kerzengerade auf einem Brett sitzen, kurz in eine mausgraue<br />

Masse unterzutauchen, sie herauszuziehen, noch einmal kurz<br />

„abzudippen“ und sie dann in einem Metallregal zum Zwischentrocknen<br />

zu lagern. Hexerei? Mitnichten. Die Wunderkerze, siebzehn Zentimeter<br />

lang, ist wohl die schlichteste Art der Hexerei. Ein paar Sekunden Fun-<br />

kensterne, leises Knistern, sanftes Rauchen – fertig ist das Erlebnis.<br />

Wunderkerzenland ist abgebrannt.<br />

Was für ein grandioser Irrtum. „Für mich ist die Wunderkerze<br />

eines der kompliziertesten Systeme, das ich kenne“, stellt Alef, der<br />

Fachmann, fest. Leise Zusatzfrage: Was dies alles denn mit dem Thema<br />

Werkstoff zu tun habe? Viel, sehr viel, um mit Alefs Worten zu antworten.<br />

Denn was in der Wunderkerze vor allem verbrennt? Eisenpulver<br />

und so genannter Nadelschleifstaub, fein gemahlenes Eisen, dessen<br />

Körnung kaum noch mit dem Auge zu erkennen ist. Dieses brennt zusammen<br />

mit Bariumnitrat (als Sauerstoffträger) in einer Art hauseigenem<br />

Hochofenprozess ab, funkenstiebend, mehr oder weniger.<br />

DIE WUNDERKERZE IST EIN FASZINIERENDER GEGENSTAND<br />

Die Nachfrage, ob das denn alle Ingredienzen der Wunderkerze seien,<br />

beantwortet Alef eher zögernd. Es ist ihm noch zu entlocken, dass in der<br />

breiigen Tauchmasse zwei Sorten Aluminium, Dextrin (ein Abbauprodukt<br />

der Stärke) und Mehl als Bindemittel enthalten seien. Mehr will er<br />

nicht sagen, denn die genaue Rezeptur bleibt Geschäftsgeheimnis,<br />

über dessen Geheimhaltung mit Argusaugen gewacht wird.<br />

„Das Produkt ist sehr sensibel“, klärt Georg Alef weiter auf. Was<br />

insofern verständlich sei, als die Verbindung zwischen oxidierenden und<br />

metallischen Stoffen (etwa dem Aluminium) zu heftigen Reaktionen<br />

führen könne. Im schlimmsten Fall würde der Wunderkerzen-Brei aufkochen<br />

und sich am Ende selbst entzünden.<br />

Es ist so eines der Aha-Erlebnisse, das Erforschen dieses unscheinbaren<br />

Gegenstands, das bei Weco in englischer Fassung natürlich<br />

nicht Wondercandle, sondern „Electric Sparklers“ heißt – Referenz<br />

an einen funkelnden Geist, der auf einer intelligent ausgedachten Mischung<br />

beruht. Die sich wer ausgedacht hat? Da streikt des Pyrotech-<br />

Gemahlenes Eisen mit richtiger Körnung<br />

Wunderkerzen herzustellen,<br />

ist ein schwieriger Vorgang. Die<br />

Tauchmasse muss stimmen,<br />

in der Mischung aus Eisenpulver,<br />

Nadelschleifstaub und allen<br />

anderen Materialien. Nur dann<br />

lässt die Wunderkerze die<br />

Funken stieben.<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


nikers Auskunftslaune. Das wisse keiner, sagt Alef. Selbst sein Vorgesetzter<br />

Lutz Kegler, der Leiter der Weco-Forschung und -Entwicklung,<br />

der im Februar nach 35 Jahren und 32 Wochen in Ruhestand geht und<br />

zu den Experten seines Fachs zählt – er weiß es auch nicht. Seit dem<br />

neunzehnten Jahrhundert seien Wunderkerzen bekannt, weiß er zu berichten.<br />

Mit dem Einsatz von Erdalkalimetallen sei vermutlich auch die<br />

Wunderkerze zum Leben erwacht. Auch er hat in seiner langen Berufszeit<br />

immer wieder erlebt, wie sensibel die Produktion der Wunderkerze<br />

ist. Beispiel Eisenpulver: Glühender Stahl ins kalte Wasser gespritzt, ergibt<br />

einen Härtungseffekt, der Stahl platzt auseinander, was zu einem<br />

kantigen Korn führt. „Beim Erhitzen in der Wunderkerze gibt es wiederum<br />

Spannungsrisse. Der Funke wird abgesprengt, brennt, heizt sich auf<br />

und zerplatzt erneut in Teile, was zum Sterneneffekt führt.“ Doch in der<br />

Konsistenz des Eisenpulvers, darin lag oft das Problem, meint Kegler.<br />

Ist es zu weich, gibt dies nur Fäden, „das war nix“. Spröde muss das<br />

Pulver sein, damit es noch einmal auseinander platzt.<br />

Die exakt konzipierte Mixtur aus einer feinen und einer gröberen<br />

Körnung lässt ein äußeres und ein inneres Bukett entstehen – was entscheidend<br />

für jene hohe Qualität von Wunderkerzen ist, die wie im Fall<br />

von Weco mit der Hand getaucht werden.<br />

Es ist ein stilles Geschäft, dem der Taucher nachgeht. Mit geübtem,<br />

sicherem Griff nimmt er das Holzbrett, lässt es in den Kerzenbrei<br />

hinab und zieht es im selben Rhythmus wieder heraus. Nach dem Zwischentrocknen<br />

wiederholt er den Vorgang noch einmal. Die Masse darf<br />

nicht unausgewogen, mit Bläschen oder sonstigen Unebenheiten aufgebracht<br />

werden – der Wunderkerzennutzer hätte seine liebe Not. Tropfen<br />

bilden sich, Brandflecken hinterlassen bleibende Spuren auf dem<br />

Teppich oder auf dem Parkettboden, nicht weniger auf der Hand, am<br />

Arm, auf der Hose oder im Hemd. Vorbei wäre das Wunder dieser<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

WUNDERKERZE STICHWORT 19<br />

freundlich brennenden, funkelnagelneuen Kerze. Vermaledeit sei der<br />

Traum vom Sternenglanz, der zum Albtraum wird.<br />

„Welch Schauspiel! Aber ach! Ein Schauspiel nur!“ würde Faust<br />

dazu sagen. Es ist auch nicht die aufwändige Technik, die im Falle der<br />

Wunderkerzenherstellung zum Staunen führt. Es sieht alles so harmlos<br />

aus, man wähnt sich eher in Fausts Laboratorium (Zweiter Teil) „im<br />

Sinne des Mittelalters, mit weitläufigen unbehülflichen Apparaten zu<br />

phantastischen Zwecken“. Immer wieder sei mit der Zusammensetzung<br />

der Wunderkerze experimentiert worden, sagt Alef. Zeitweise versuchte<br />

man es mit Metalliclacken, mit denen die Wunderkerzen beschichtet<br />

wurden. „Das sah gut aus, doch die Herstellung war zu aufwändig.“<br />

Magnesium kam auch schon zum Einsatz, doch auch das führte zu keinem<br />

zufrieden stellenden Ergebnis.<br />

DIE WUNDERKERZE IST EIN BRENNENDES SYMBOL<br />

Also ließen die Weco-Wunderleute die Rezeptur so, wie sie war und<br />

ist. Das Eisenpulver und sein „güldener“ Glanz genügt, um noch<br />

immer die Menschheit für Wunderkerzen zu begeistern (übrigens mit<br />

derzeit steigender Tendenz). Sogar beim Verschweißen von Eisenbahnschienen,<br />

weiß Alef zu berichten, würden Eisenbrenner eingesetzt,<br />

um die Thermitmischungen zu entzünden – „ein richtiger industrieller<br />

Anzünder“.<br />

Längst ist die Wunderkerze zum Symbol geworden. Für die Funken,<br />

die von Herzen zu Herzen gehen, für den Menschen, der ein<br />

wenig Licht ins Dunkel bringt, aber auch für das Burnout-Syndrom,<br />

bei dem der arbeitende Mensch wahrhaft euphorisch die letzten Funken<br />

aus sich herausschlägt, bevor er erlischt. So bleibt sie am Ende<br />

doch geheimnisvoll, die wunderliche Kerze, deren Erfinder wir noch<br />

nicht einmal kennen. 7


20 Y-SCHWELLEN


Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

Y-SCHWELLEN STICHWORT 21<br />

Schwellen für den gesägten Berg<br />

Zum Kloster Montserrat fährt wieder eine Zahnradbahn hoch – auf Y-Schwellen mit Dreieicksform<br />

Von Heribert Klein | Fotos Bernd Jonkmanns<br />

Was wäre das Kloster Montserrat ohne die Engel! Den Gebirgsstock, 30 Kilometer<br />

nordwestlich von Barcelona gelegen, hätte es so, wie er heute aus<br />

der Ferne zu sehen ist, nie gegeben. Denn in grauer Vorzeit ging die Mär,<br />

er sei so steil, dass kein Mensch jemals den Fuß auf das 1200 Meter hohe Massiv<br />

gesetzt habe. Erst Engel hätten mittels einer Säge den Felsen angesägt, um Platz zu<br />

schaffen für einen Palast, dessen Glanz das katalanische Land ringsumher erleuchtete.<br />

Was den Namen Montserrat einfühlsam erklärt, bedeutet er doch nichts anderes<br />

als „gesägter Berg“.<br />

Lassen wir die Legende zunächst Legende sein. Im Mittelalter war das entlegene,<br />

von Menschen kaum einnehmbare Massiv Ort eines Klosters, dessen Mönche<br />

nach der Gründung durch Abt Oliva de Ripoll zu Beginn des 11. Jahrhunderts nach<br />

der „Regula Benedicti“ lebten, nach der Regel des heiligen Benedikt von Nursia.<br />

Durch den Rückzug in die Einsamkeit, in die „Wüste“, wurden sie zu „monachoi“, zu<br />

Mönchen – genau dadurch aber erregten sie das Interesse der Menschen, die zu<br />

ihnen zogen, ihrer Lebensweise wegen.<br />

DER AUFSTIEG WAR UND BLEIBT UNWEGSAM<br />

Geändert hat sich daran nichts. Der Berg ist die Silhouette Katalaniens, der Jahr für<br />

Jahr gut und gern 2,5 Millionen Menschen folgen, hinauf zum Kloster (meist mit dem<br />

Auto), zur Basilika, zur „Schwarzen Madonna“. Was wie ein Eiland aus den flachen<br />

Wassern sich zu erheben scheint, ist (aus geologischer Sicht) ein Gebirgsstock aus<br />

einem Sockel aus eozänen Konglomerat- und Sandsteinschichten (rund 60 Millionen<br />

Jahre alt) und einem darüber liegenden Block aus oligozänem Sedimentgestein, gebildet<br />

aus Schottern, beeinflusst von Wind und Wetter und deswegen so eigenartig<br />

Eine neue Ära beginnt für<br />

Montserrat, in der Nähe von<br />

Barcelona gelegen. Erstmals<br />

seit 1957 fährt eine<br />

Schmalspurbahn den steilen<br />

Berg hoch. Die <strong>ThyssenKrupp</strong><br />

GfT Gleistechnik GmbH<br />

hat dafür, präzis ausgedrückt,<br />

„gleislagestabile Schwellen“<br />

geliefert.


22 Y-SCHWELLEN


Y-SCHWELLEN 23<br />

Einsiedelei für Millionen Menschen<br />

Der Klosterberg ist die<br />

Silhouette Katalaniens. Der<br />

Legende nach haben Engel<br />

mit einer Säge Hand an<br />

den Felsen gelegt, um Platz zu<br />

schaffen für einen glänzenden<br />

Palast, der das Land hell<br />

erleuchtet.


24 Y-SCHWELLEN


und unnachahmlich geformt. Unwegsam ist der steile Aufstieg geblieben. Mit dem<br />

Unterschied, dass er anders als früher komfortabel verläuft, zockelt doch eine moderne<br />

Bahn auf schmaler Spur hinauf und herunter. Dazu hat es viele Jahre gedauert,<br />

denn 1957 wurde die ursprüngliche Zahnradbahn stillgelegt. Beendet war die<br />

Fahrt, die 1892 im Ort Monistrol begonnen hatte und am Kloster endete.<br />

GENÜGEND PLATZ AM MONTSERRAT IST MANGELWARE<br />

Als sei die Bahn aus dem Dornröschenschlaf erwacht: Wenige Monate sind es her,<br />

dass die Triebwagen wieder fahren. Nicht irgendwie, sondern „auf gleislagestabilen<br />

Schwellen“. So spricht nur der Fachmann, und der heißt in diesem Fall Manfred<br />

Mahn, Verkaufsleiter bei der <strong>ThyssenKrupp</strong> GfT Gleistechnik GmbH, einem Unternehmen<br />

von <strong>ThyssenKrupp</strong> Services. Sein Büro in Hannover, im Stadtteil Vahrenwald,<br />

hat wenig Entrücktes von der Einsiedelei in Montserrat. Und doch besteht eine<br />

direkte Verbindung zwischen Mahn und Montserrat: Die Bahn zum Kloster, 8624<br />

Meter lang, brauchte neue Schwellen, knapp 5000 Schwellen wurden von der GfT<br />

Gleistechnik nach Katalanien geliefert. Nun ist Bahn nicht gleich Bahn, und Schwelle<br />

nicht gleich Schwelle. Die Strecke zum Kloster würde wohl kaum einen Hochgeschwindigkeitszug<br />

vertragen. Eher stellt man sich angesichts des meditativen Ortes<br />

eine beschauliche Eisenbahn vor, die sich auf leisen Sohlen gemächlich dem Orato-<br />

Schwellen mit<br />

eigener Geometrie<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

rium in luftiger Höhe nähert. „Für solche Zwecke ist die Y-<br />

Stahlschwelle genau passend. Denn deren Dreiecksform<br />

ist auch für Schmalspurbahnen mit engen Radien besonders<br />

gut geeignet und im Vergleich zu Betonschwellen<br />

sind die Y-Schwellen leiser.“<br />

Ausreichend Platz am Montserrat – das ist wahrhaft<br />

Mangelware. Allein die Überlegung, schwere Betonschwellen,<br />

gut zwei Meter lang, über zweihundert Kilogramm<br />

schwer, dort einzubauen, scheitert. Der Höhenunterschied<br />

ist enorm: 539 Meter sind auf den wenigen<br />

Kilometern zu überwinden. Schwere Maschinen wären<br />

kaum einzusetzen, die Räume sind zu eng. Die Y-Schwelle<br />

dagegen, 1,50 Meter lang und nur hundertzwanzig Kilogramm<br />

schwer, ist mit sehr viel geringerem Aufwand zu<br />

verlegen. Die schmalere Breite wird ergänzt durch einen<br />

anderen Vorteil: „Wir können die Y-Schwelle auf Altsubstanz<br />

legen und müssen nicht ein verkrustetes, lange<br />

liegendes und deswegen konsolidiertes Schotterbett verändern.<br />

Wir nutzen dieses vorhandene Planum zum Auf-<br />

Montserrat zieht Jahr für<br />

Jahr gut und gern zweieinhalb<br />

Millionen Besucher an.<br />

Mit der Schmalspurbahn können<br />

sie nun komfortabel zum<br />

Kloster hinauffahren, in engen<br />

Radien auf leisen Schwellen.<br />

Y-SCHWELLEN 25


26 STICHWORT<br />

Y-SCHWELLEN<br />

bau eines neuen Schotterbettes, was erst durch die geringe Bauhöhe der Schwelle<br />

von 95 Millimetern möglich wird “, berichtet Mahn aus mittlerweile langer Erfahrung<br />

mit der Y-Schwelle.<br />

Das Material in Verbindung mit der geometrischen Form – darin besteht das Besondere<br />

der „Schläfer“ („Y-Sleepers“), wie die Schwellen in Angelsachsen genannt<br />

werden. Vor knapp 20 Jahren wurden die „Schläfer“ von der Salzgitter-Tochter Peiner<br />

Träger ausgedacht und entwickelt, <strong>ThyssenKrupp</strong> GfT beteiligte sich am Nachdenken,<br />

beiden gehört je zur Hälfte das Patent dieser Innovation. 1997 hat das Eisenbahnbundesamt<br />

die Y-Klasse zugelassen, neben Stahltrog-, Beton- und Holzschwellen.<br />

Potenziell sieht Mahn dafür einen mehr als ausreichenden Markt, denn das Streckennetz<br />

der Bahn hat in Deutschland eine Länge von circa 33.000 Streckenkilometern,<br />

von denen zwei Drittel für den Einsatz der Y-Schwelle geeignet sind. Die Schwelle wird<br />

heute überwiegend im Geschwindigkeitsbereich bis 120 km/h eingesetzt.<br />

In Montserrat besteht dafür natürlich keine Notwendigkeit. Wer sein Auto in Monistrol-Vila<br />

abstellt (Parkplätze bestehen für tausend Fahrzeuge und hundert Busse)<br />

und die neue Zahnradbahn besteigt, eilt mit einer Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h<br />

zur Endstation, über Brücken, durch Tunnel, mit wunderbarem Blick auf die Ebene am<br />

Fuß des Gebirgsmassivs, dem sich die Bahn Zahn um Zahn zu entschwinden scheint.<br />

Zeit und Zeitlosigkeit spielen, im Umkreis aller Klöster, eine wichtige Rolle – was ist im<br />

Das Kloster ist die<br />

Endstation der Bahn, die<br />

unten in Monistrol beginnt.<br />

Über Brücken und durch<br />

Tunnel gleitet die Zahnradbahn<br />

immer höher, mit<br />

wunderbarem Blick auf<br />

die Ebene am Fuß des<br />

Gebirgsstocks.<br />

Die Heimat der Schwarzen Madonna<br />

Gleisbau anders? Mahn stellt fest: „Wenn grundsätzlich<br />

Fehler beim Oberbau gemacht werden, merkt man dies<br />

erst nach vielen Jahren. Oberbau ist eine konservative<br />

Technik, die ihre Zeit braucht. Deswegen liegt die Abschreibungszeit<br />

beim Oberbau auch bei durchschnittlich<br />

fünfundzwanzig Jahren.“ Schwellen lägen ja im Schotter,<br />

einem grobkörnigen Gestein. Dieses müsse für Wasser<br />

durchlässig sein, „das Gleis muss atmen können“.<br />

DREIEICKSFORMEN WIE IM FACHWERKBAU<br />

Lückenlos verschweißte Gleise auch in engen Bögen verlegen<br />

zu können, ist ein weiterer Vorteil der Y-Schwelle.<br />

Mahn braucht gar nicht die Informationsbroschüre mit<br />

wirklich allen Details zu dieser Schwelle zur Hand zu nehmen:<br />

Der passionierte Techniker (der für die GfT Gleistechnik<br />

auch die Komplettlösung für die Herstellung des<br />

„Lückenlosen Gleises“ auf der Festen Fahrbahn im nördlich<br />

gelegenen Los A der Schnellfahrstrecke Köln-Frankfurt<br />

verantwortete) beherrscht auswendig sämtliche rele-<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


Y-SCHWELLEN 27


28 Y-SCHWELLEN<br />

vanten Daten dieses Schwellensystems. Vor allem die<br />

Form des Dreiecks, klärt er auf, führe zu den bekannten<br />

Vorteilen: „Die Dreiecksform, wie sie aus dem Fachwerkbau<br />

bekannt ist, hat gegenüber der Parallelogrammform<br />

des normalen Gleises den Vorteil, dass sie die seitlichen<br />

Kräfte, die auf das Gleis wirken, wesentlich besser aufnimmt.“<br />

Rahmensteifigkeit und Querverschiebewiderstand<br />

– zwei Faktoren, die aus Mahns Sicht entscheidende<br />

Wettbewerbsvorteile haben, vom geringeren<br />

Schotterbedarf, dem niedrigeren Transportgewicht, einer<br />

langen Lebensdauer, hervorragenden Recyclingeigenschaften<br />

und größtmöglicher Flexibilität des Werkstoffs<br />

Stahl bei der Verwendung für Sonderbauarten abgesehen.<br />

Zuviel auf einmal? Das bestreitet Mahn entschieden.<br />

„Ich sehe mich trotz meiner Herkunft von der Technik her<br />

in erster Linie als Verkäufer, der gemeinsam mit der Fertigung<br />

die Wünsche der Kunden erfüllen muss. Meine<br />

lange Erfahrung kommt mir da nur entgegen.“ Erfahrung<br />

gerade mit Y-Schwellen: Die Auftraggeber in Monserrat<br />

Ein Symbol für Glück und Ruhe<br />

konnten sich schon in der Schweiz von der Funktionsfähigkeit des Y-Systems überzeugen.<br />

Denn bei der Furka-Oberalp Bahn wurden auf dem Abschnitt von Andermatt<br />

nach Oberalp erstmals Y-Stahlschwellen mit Zahnstangen eingebaut, genauso, wie<br />

sie in Montserrat zum Zuge kamen.<br />

Es dürfte nach Mahns Ansicht ganz und gar nicht das letzte Projekt dieser Art<br />

sein, im Gegenteil. Die Expansion nach Osteuropa, seine Erkundungen vor Ort in Ländern<br />

wie Ungarn, Polen, Tschechien, neben der Aussicht auf entsprechende Aufträge<br />

aus dem innerdeutschen Streckennetz stimmen ihn optimistisch.<br />

DER MENSCH AUF DEM WEG IN DIE INNERE WELT<br />

Dennoch dürfte die Strecke in Montserrat dank ihres Panoramablicks, ihrer Fahrt in<br />

klimatisierten Wagen hoch über Stock und Stein, Täler und Höhen, ein Ausnahmefall<br />

sein. Montserrat bleibt ein Symbol für Eigenständigkeit, Unangreifbarkeit, Festigkeit,<br />

für Religion und für Musik. Seit Jahrhunderten sind die Menschen dorthin gepilgert,<br />

sehnsuchtsvoll, enthusiastisch wie Wilhelm von Humboldt oder auch Friedrich Schiller.<br />

Montserrat, schrieb er einst, sauge den Menschen von der äußeren Welt weg in<br />

die innere Welt hinein. Nicht nur das: Goethe wünschte Montserrat jedem Menschen,<br />

davon überzeugt, „ganz allein der Mensch kann auf seinem eigenen Montserrat Glück<br />

und Ruhe finden“. 7<br />

Das Kloster Montserrat<br />

wurde von Benediktinern<br />

gegründet. Noch heute<br />

leben hier Mönche dieses<br />

Ordens in einer traumhaft<br />

schönen Umgebung.<br />

Während der Fahrt mit<br />

der Zahnradbahn wird<br />

deutlich, weshalb sich<br />

wunderbare Legenden um<br />

Montserrat ranken.<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


Y-SCHWELLEN 29


30 NOCKENWELLE<br />

Wer sagt, er müsse sich mit der Nockenwelle nicht beschäftigen,<br />

dem kann man nur zurufen: Stimmt! Aber es würde sich dennoch<br />

lohnen. Denn in den vergangenen Jahren hat sich bei<br />

diesem in Verbrennungsmotoren so wichtigen Bauteil viel getan. Ganz<br />

vorn mit dabei: Das Unternehmen <strong>ThyssenKrupp</strong> Presta. Es hat sich in<br />

wenigen Jahren einen guten Namen erworben mit der Fertigung „Gebauter<br />

Nockenwellen“ – sehr exakt auf ihren Verwendungszweck ausgerichtete<br />

Bauteile, die aus dem modernen Motorenbau nicht mehr wegzudenken<br />

sind. Eine Nockenwelle werkelt in nahezu jedem Fahrzeug mit<br />

Verbrennungsmotor. Viertakt-Benzin- und Dieselaggregate brauchen sie<br />

wie die Luft zum Atmen, sonst gelangt das Treibstoff-Sauerstoff-<br />

Gemisch nicht in den Brennraum und das Abgas nicht wieder hinaus.<br />

Nur knatternde Zweitakter verzichten in ihrem Gehäuse auf so ein präzise<br />

gefertigtes Schmuckstück.<br />

Fragt man Autofahrer nach ihren Wünschen an das moderne Gefährt,<br />

rangieren zwei Antworten weit oben: Das Auto soll ökonomisch<br />

und ökologisch sein. Neben allen Faktoren, die dabei eine Rolle spielen,<br />

kommt natürlich dem Motor eine große Bedeutung zu: Verbraucht er<br />

wenig, freut sich der Besitzer. Die Fortschritte in der Motorentechnik<br />

während der vergangenen Jahre waren immens – Diesel- und Benzindirekteinspritzung<br />

sind nur zwei große Schlagworte, die das umreißen,<br />

was in und um die Brennräume herum stattgefunden hat. Und zum<br />

Drumherum gehört die Nockenwelle. Denn alle Elemente eines Motors<br />

sorgen im Zusammenspiel dafür, dass der ganze Motor noch präziser<br />

und effizienter läuft und der Kraftstoff besser genutzt wird.<br />

Ein Verbrennungsmotor funktioniert so: Durch ein Ventil wird ein<br />

Gas-Luft-Gemisch in einen runden Raum geleitet, den Zylinder. Dieser<br />

Atmen mit der Welle<br />

Eine Spezialität für moderne Motoren liefert<br />

<strong>ThyssenKrupp</strong> Presta: Gebaute Nockenwellen<br />

Von Rüdiger Abele | Foto Andreas Böttcher<br />

wird zu einer Seite durch einen beweglichen Schieber abgeschlossen,<br />

den Kolben. Beim Entzünden des Gases dehnt es sich schlagartig aus,<br />

drückt den Kolben weg, dessen Gleitbewegung durch eine Mechanik in<br />

eine Drehung der Kurbelwelle umgesetzt wird, die wiederum an die<br />

Räder geleitet wird: Das Gefährt rollt. Das verbrannte Gasgemisch wird<br />

durch ein weiteres Ventil aus dem Zylinder herausgeleitet. An den Ventilen<br />

kommt die Nockenwelle ins Spiel. Im Takt des Motors steuert sie die<br />

Öffnung der Ventile: „Auf“ bedeutet – Gemisch hinein, „zu“ meint soviel<br />

wie Abgas hinaus. Somit braucht man mindestens zwei Ventile je Zylinder,<br />

doch für eine bessere Verbrennung haben sich längst vier Stück<br />

durchgesetzt („Vierventiler“). Da etwa ein Automotor selten nur einen<br />

Zylinder hat, sondern in den häufigsten Fällen vier, hat er 16 Ventile, die<br />

zu steuern sind, in einem entsprechenden Sechszylinder sind es schon<br />

24 Ventile – die Rechnung lässt sich entsprechend fortsetzen.<br />

SCHMIEDESTAHL TRIFFT PRÄZISIONSSTAHL<br />

Zurück zur Nockenwelle: Sie besteht aus einem Rohr, an dem die Nocken<br />

angebracht sind, die in ihrer Form einem längs geschnittenen Hühnerei<br />

ähnlich sind. Sie rotiert kontinuierlich über dem Ventilstößel; an ihrer<br />

höchsten Stelle drückt sie das Ventil zu, an allen übrigen Punkten der Rotationsbahn<br />

ist es leicht bis ganz offen und lässt den Zylinder atmen. Je<br />

Brennraum ist mindestens eine Nocke für mindestens zwei Ventile zuständig<br />

und sorgt dann für Zu- und Abluft.<br />

Der besseren Steuerung wegen sind heute zwei Nockenwellen je Motor<br />

schon weit verbreitet (die eine für die Einlass-, die andere für die Auslassventile),<br />

manches Aggregat hat schon vier Wellen. „Die steigende<br />

Zahl freut uns natürlich“, sagt Hermann Weissenhorn, der für Nocken-<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


wellen zuständige Geschäftsbereichsleiter bei <strong>ThyssenKrupp</strong> Presta.<br />

Zumal deren Spezialität der „Gebauten Nockenwelle“ von den Motorenbauern<br />

dieser Welt sehr gut angenommen wird. „Gebaut“ heißt: Die<br />

Nockenwelle wird nicht in Form geschmiedet oder aus flüssigem Metall<br />

gegossen, sondern aus einzelnen, separat gefertigten Komponenten zusammengesetzt:<br />

dem Rohr mit aufgeschobenen, aber äußerst fest sitzenden<br />

Nocken sowie den Lager- und Antriebselementen. Dabei können<br />

die Materialien sehr gezielt für ihren Einsatz und entsprechend des Kostenrahmens<br />

ausgewählt werden: Die Nocken beispielsweise aus sehr<br />

verschleißfestem Schmiedestahl oder Sintermaterial und das Rohr aus<br />

einem einfacheren Präzisionsstahl.<br />

ROHR UND NOCKEN GEHÖREN IRGENDWANN ZUSAMMEN<br />

Dieses funktioniert mit dem Presta-Verfahren folgendermaßen: Ein blankes<br />

Stahlrohr von exakter Länge wird mit dem Endstück versehen, etwa<br />

einem Zahnrad, das später dem Nockenwellen-Antrieb dient. Jetzt wird<br />

es genutzt, um das Rohr jederzeit in der Fertigung exakt auszurichten –<br />

das ist wichtig, damit die Nocken in die richtige Richtung zeigen und die<br />

Ventile sich nicht aus dem Takt bewegen. Ein Motor bringt das Rohr auf<br />

eine sehr hohe Drehzahl, um an der Stelle, wo in wenigen Augenblicken<br />

die Nocken sitzen, die „Rollierung“ anbringen zu lassen: Ein eher stumpfes<br />

Werkzeug drückt in den Rohrstahl, verdrängt gezielt Material nach<br />

außen, so dass feine, nebeneinander liegende Ringe entstehen, die im<br />

Durchmesser um einige Zehntelmillimeter größer sind als das Rohr. Das<br />

genügt, um die Nocke ganz fest zu fixieren: Das Rohr wird gestoppt und<br />

die vorgefertigte Nocke auf die Rollierung gepresst, in exakt der vorgegebenen<br />

Winkellage. Zerstörungsfrei sind Nocke und Rohr nun nicht<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

Die „Gebaute Nockenwelle“<br />

hat einen großen Vorteil: Sie wird<br />

aus einzelnen, separat gefertigten<br />

Komponenten zusammengesetzt.<br />

Die <strong>Werkstoffe</strong> werden sehr gezielt<br />

für den Einsatz ausgewählt .<br />

NOCKENWELLE 31<br />

mehr zu trennen. Wieder rotiert das Rohr für die nächste Rollierung, wird<br />

die zweite Nocke aufgesteckt – so lange, bis die gewünschte Zahl erreicht<br />

ist. Zwischendurch werden auch Lagerstellen aufgeschoben.<br />

Eine erste Qualitätsprüfung schließt sich an, bevor die Welle geschliffen<br />

wird – <strong>ThyssenKrupp</strong> Presta liefert die Nockenwellen einbaufertig<br />

an seine Kunden. Eine weitere, genauere Prüfung folgt, dann werden<br />

die Nockenwellen sicher verpackt und über den Globus expediert,<br />

um schon bald in einem Motor für das richtige Maß an Atmung zu sorgen.<br />

Das Bauen einer Presta-Nockenwelle findet vollautomatisch in Fertigungszellen<br />

statt, blitzschnell und mit sehr engen Taktzeiten. Für einen<br />

Personenwagen mit Vierzylinder-Motor ist sie etwa 60 Zentimeter lang<br />

und wiegt ein Kilogramm.<br />

„Bei optimaler Gestaltung lässt sich mit der Gebauten Nockenwelle<br />

im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren bis zu 30 Prozent an Gewicht<br />

sparen“, sagt Hermann Weissenhorn. Dadurch laufe der Motor geschmeidiger,<br />

sei der Kraftstoffverbrauch niedriger.<br />

<strong>ThyssenKrupp</strong> Presta, ein traditionsreiches Unternehmen, ist im Geschäft<br />

mit Nockenwellen noch nicht lange vertreten. Alles begann 1986 mit dem<br />

Entschluss, in diesem Feld zu starten. „Erst einmal haben wir sechs Jahre<br />

lang Grundlagenentwicklung betrieben und uns mit Materialien beschäftigt“,<br />

erinnert sich Weissenhorn. Schließlich stand das Verfahren – und der<br />

erste Großauftrag kam von Ford, die Lieferung begann 1995. Seitdem<br />

ging es steil aufwärts. Im Jahr 2003 wurden mehr als 12 Millionen<br />

Nockenwellen für die großen Autohersteller der Welt gefertigt, in zwei Jahren<br />

sollen es mehr als 16,5 Millionen Stück sein. Und dies alles bei höchster<br />

Präzision, bei Toleranzen im Bereich von hundertstel Millimetern. „Was<br />

wir machen, ist Präzision wie bei einer Rolex-Uhr“, sagt Weissenhorn. 7


32 OIL TOOLS


Foto Gettyimages<br />

Der Vergleich mit dem rohen Ei scheint von weit hergeholt und<br />

liegt dennoch zum Greifen nahe: Ein Bohrrohr auf einer dieser gigantischen<br />

Bohrinseln anzufassen, es zu drehen, zu heben, zu<br />

wenden, ist ein diffiziler Akt. Ungeachtet der Lasten, die zu bewältigen<br />

sind. Was aber bei genauem Hinsehen wenig besagt, denn 1380 Tonnen<br />

Last sind für die speziellen Werkzeuge, so genannte Oil Tools, normalerweise<br />

kein Problem. Dies stellt Jens Lutzhöft fest, Fertigungsleiter<br />

der Blohm + Voss Repair GmbH, Oil Tool Division – einem Unternehmen,<br />

das zu <strong>ThyssenKrupp</strong> Technologies gehört. Mit hanseatischer<br />

Nüchternheit präsentiert er in der Werkshalle auf dem Werftgelände in<br />

Hamburg die aufwändig hergestellten Werkzeuge, die von außen betrachtet<br />

nach nichts aussehen. Kaum vorstellbar, dass ein solcher<br />

„Power Slip“ ein Bohrrohr, 750 Tonnen schwer, umfassen und halten<br />

kann.<br />

Was dieses mit dem Thema Werkstoff zu tun hat? „Sehr viel“,<br />

meint Lutzhöft, „denn ein Bohrrohr anzufassen, ist höchst sensibel. Der<br />

Rohrdurchmesser kann bis zu einem Meter betragen, das Rohr selbst<br />

hat aber eine vergleichbar dünne Wandstärke. Das Werkzeug muss<br />

genau darauf adjustiert sein, andernfalls kollabiert das Rohr.“<br />

WELTMARKTFÜHRER BEI OIL TOOLS<br />

Der Markt, besser gesagt, die Anforderungen der Kunden haben sich<br />

zweifellos verändert. Die Zeiten, dass wie früher Bohrrohre, von welchem<br />

Durchmesser auch immer, mit der Hand bewegt und verschraubt<br />

wurden, gehören immer mehr der Vergangenheit an. Der Gefahr, dass<br />

schwere Teile auf einer Bohrinsel herabfallen und Menschen gefährden<br />

können, versucht man durch den verstärkten Einsatz von ferngesteuerten<br />

Werkzeugen zu entgehen.<br />

Was einfach klingt, in Wahrheit aber schwierig zu realisieren ist.<br />

Denn die Vorschriften sind streng, sie unterliegen zum Beispiel dem<br />

American Petroleum Institute, der Klassifikationsgesellschaft American<br />

Bureau of Shipping, Det Norske Veritas, Lloyd´s Register und auch dem<br />

Germanischen Lloyd. Der weltweite Einsatz der Oil Tools von Blohm +<br />

Voss macht es notwendig, dass man die Sicherheitsstandards, in welchem<br />

Land auch immer, erfüllen kann. Im Übrigen gehört es zum<br />

Marktwert des, wie Lutzhöft feststellt, „Weltmarktführers bei solchen<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

Von Benedikt Breith | Fotos Blohm + Voss<br />

OIL TOOLS 33<br />

Werkzeuge<br />

für große Lasten<br />

auf Bohrinseln<br />

<strong>Elevator</strong>en von Blohm + Voss Repair haben eine<br />

Hebekraft von bis zu vierzehnhundert Tonnen<br />

Ein Bohrrohr zu umfassen,<br />

ist höchst sensibel. Die „Oil Tools“<br />

müssen aus speziellen <strong>Werkstoffe</strong>n<br />

gebaut sein, um auch Rohre mit<br />

einem Meter Durchmesser,<br />

aber sehr dünnen Wandstärken<br />

anzupacken, ohne sie zu zerstören.


34 OIL TOOLS<br />

Ein „Power Slip“ muss<br />

genau auf die Bohrrohre<br />

adjustiert sein. Andernfalls<br />

kollabiert das Rohr.<br />

Festigkeit und Streckgrenzen<br />

müssen für diese Zwecke<br />

sehr hoch sein.<br />

Werkzeugen“, sämtliche vorhandenen Sicherheitsstandards einzuhalten.<br />

Den Werkstoff für die Werkzeuge so verändern, dass die Lasten<br />

schwer und schwerer werden können, war eine der Herausforderungen<br />

für Lutzhöft und seine Mitarbeiter auf dem Werftgelände. Die frühere<br />

Spezifikation, wo hochfester Werkstoff abgegossen wurde, reicht nun<br />

nicht mehr. Festigkeit und Streckgrenzen waren zu erhöhen, „im Grunde<br />

genommen mit neuen Chrom-Nickel-Legierungen, aus denen kann<br />

man noch viel Potenzial herauskitzeln“, umschreibt der Fertigungsleiter<br />

die Gegebenheiten. Dies sei für den Vergütungsprozess relevant, über<br />

den sich auch die mechanischen Kenngrößen verändern ließen.<br />

GENAUER EINBLICK IN KRITISCHE BEREICHE<br />

Die Bilder, die er am Computer einspielt, machen einen spielerischen<br />

Eindruck, und der Detailblick in das Innere solcher Tools vermittelt<br />

eine eigene Ästhetik. Farbige Ansichten sagen dem Fachmann<br />

auf einen Blick, in welchen Bereichen sich die kritischen<br />

Spannungen befinden. Was wiederum jene Zone verdeutlicht,<br />

auf die der Blick des Ingenieurs besonders gerichtet werden<br />

muss. Andernfalls? Der eine oder andere „<strong>Elevator</strong>“ (so der<br />

Fachbegriff für die Werkzeuge, die über Verbindungsmuffen Lasten<br />

von Bohrrohren beim Absenken oder Anheben aufnehmen),<br />

der in der weitläufigen Werkshalle aufgebaut ist, zeigt durchaus auch<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


Blessuren, Oberflächenrisse, die mit sehr viel Aufwand geschlossen<br />

werden müssen. Zumal wenn es sich um einen Prototypen handelt, der<br />

mit einer Überlast bis hin zur Zerreißung des Materials geprüft wird – mit<br />

einer 4000-Tonnen-Presse, deren Anblick allein Achtung, wenn nicht<br />

gar Ehrfurcht erzeugt. Ohne diese Art von Belastungstests verlässt<br />

nichts die Halle. „Unsere <strong>Elevator</strong>en, Zangen und <strong>Elevator</strong>enbügel müssen<br />

vor der Auslieferung einen Überlasttest mit anderthalbfacher Nutzlast<br />

bestehen“, sagt Lutzhöft. „Die Ölgesellschaften wollen lückenlos<br />

Zertifikate für alle Last tragenden Teile sehen. Dafür brauchen wir dieses<br />

Qualitätssystem.“<br />

Die angelsächsische Sprache hat für das, was die Mitarbeiter herstellen,<br />

einen anschaulichen Begriff: „Pipe Handling Equipment“ heißt<br />

es dort, eine Umschreibung für ein Portfolio, das mittlerweile rund 200<br />

Werkzeuge umfasst, die ein Eigengewicht von mehr als zwei Tonnen<br />

haben können.<br />

Aller durch Computer gesteuerten Technik zum Trotz hat die Herstellung<br />

der Werkzeuge für die Öl- und Gasförderung viel mit Handarbeit<br />

zu tun. Deswegen sind die Mitarbeiter in den dafür eingerichteten<br />

Werkshallen absolute Spezialisten, eine Art Manufakturisten, die sich<br />

mit den <strong>Werkstoffe</strong>n genauso auskennen müssen wie mit dem Wärmebehandeln,<br />

der Festigkeit, den Kerbschlagwerten und Dehnungen. Das<br />

Geschäft ist lukrativ. Sofern es gelingt, ganze Systeme zu verkaufen,<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

Belastungstests<br />

für alle Fälle<br />

OIL TOOLS 35


36 OIL TOOLS


mit Power Slip und <strong>Elevator</strong>en, ist ein solcher Auftrag gut 2,5 Millionen<br />

Euro wert. Sicher herrsche bei solchen Aufträgen meist hoher Termindruck.<br />

Großkunden wie beispielsweise die amerikanische Gesellschaft<br />

GlobalSantaFe haben extreme Vorstellungen von Werkzeugen, die<br />

tatsächlich in eine bisher nicht bekannte Dimension vorstoßen und <strong>Elevator</strong>en<br />

mit fast 1400 Tonnen Hebekraft verlangen. Dies freilich in kürzester<br />

Zeit, denn Zeit ist Geld. Sieben Monate, das sollte genügen. Bedenkt<br />

man aber, dass drei Monate notwendig sind, um den passenden<br />

Werkstoff herzustellen, vier Wochen für die weitere Vorbereitung, dann<br />

bleibt für die Fertigung des Prototypen nicht mehr viel übrig. „Dies geht<br />

an die Grenze des Machbaren“, meint Lutzhöft. Er sagt dies aber auch<br />

gar nicht klagend, sondern stellt mit dem ihm eigenen Understatement<br />

sichtlich stolz fest: „Es gelingt uns trotzdem, den Kunden zufrieden zu<br />

stellen. Denn auf der Basis uns bekannter <strong>Werkstoffe</strong> finden wir in kurzer<br />

Zeit innovative Lösungen.“<br />

SERVICE UND WARTUNG STEHEN AUCH IM MITTELPUNKT<br />

Von Hamburg aus, jener Stadt, für die schon immer die weite Welt das<br />

Feld war, machen die <strong>Elevator</strong>en von Blohm + Voss Repair ihre Kunden-Reise<br />

zum Zielpunkt in Amerika, Skandinavien, Großbritannien,<br />

Singapur, China, Indien, Südamerika, Kanada. Es sind Präzisionsgeräte,<br />

die schwierigsten Anforderungen gerecht werden müssen. Vom<br />

Werkstoff angefangen, muss aber auch alles bei einem solchen Greifwerkzeug<br />

funktionieren. Andernfalls ist wieder die ganze Kompetenz<br />

von Fachleuten wie Jens Lutzhöft gefragt, die neben der Herstellung<br />

von <strong>Elevator</strong>en eines mindestens genauso in den Mittelpunkt rücken –<br />

den Service und die Wartung. 7<br />

Die Ölgesellschaften<br />

haben immer größere Erwartungen<br />

an die Werkzeuge – dem muss<br />

Blohm + Voss Repair gerecht<br />

werden. <strong>Elevator</strong>en und Power Slip<br />

stoßen in neue Dimensionen<br />

vor, gebaut aus innovativen <strong>Werkstoffe</strong>n,<br />

die auch bei härtester<br />

Belastung nicht zerbersten.<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

Qualitätswerkzeug<br />

für Handarbeiter<br />

OIL TOOLS 37


38 KABINENDESIGN


Von Sybille Wilhelm | Fotos <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>Elevator</strong><br />

Ohne Aufzüge gäbe es keine Hochhäuser. Doch damit nicht genug:<br />

Die Erfindung des Fahrstuhls stellte das Haus auch gleich auf<br />

den Kopf. Während die Armen früher im kalten Dachstübchen<br />

hausen mussten – worüber zum Beispiel Spitzwegs „armer Poet“ Zeugnis<br />

ablegt –, waren die unteren Etagen den feinen Herrschaften vorbehalten.<br />

Doch dann kam vor rund 150 Jahren die bewegliche Fahrkabine<br />

und revolutionierte die vertikale Haushierarchie. Der Gesinderaum von<br />

einst wurde um das Jahr 1900 zunächst in amerikanischen Hotels,<br />

wenig später auch in Europa zum teuren Zimmer mit Aussicht. Aus der<br />

Personalkammer wurde das Penthouse.<br />

Da es sich weder damals noch heute schickt, die Mitfahrenden<br />

neugierig zu betrachten, weiß man meist nicht so recht, wohin man<br />

stattdessen blicken soll. Da empfiehlt es sich, die Innenausstattung des<br />

Aufzugs genauer in Augenschein zu nehmen: Die verrät nämlich viel<br />

über den Architekten, den Zeitgeschmack und das Land, in dem man<br />

sich gerade befindet. Anders ausgedrückt: Es gibt sie, die Kultur des<br />

Kabinendesigns.<br />

IN JEDER KABINE GLÄNZT EINE NEUE WELT<br />

Ist der gesamte Aufzug eher klein und die Decke niedrig, befindet man<br />

sich wahrscheinlich gerade in Spanien, Osteuropa oder Asien. „In diesen<br />

Ländern hat man kein Problem damit, dichter neben anderen Leuten<br />

zu stehen“, erläutert Dr. Rembert Horstmann, Leiter der Zentralabteilung<br />

Kommunikation und Marketing bei <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>Elevator</strong>. In<br />

westlichen Ländern hingegen baut man die Aufzüge heutzutage so großzügig<br />

wie möglich, damit ein jeder Fahrende seinen persönlichen<br />

Schutzraum hat – so ähnlich wie im Bus, bei denen der eine Fahrgast<br />

dem anderen instinktiv nicht zu dicht auf die Pelle rücken will, wenn viele<br />

Plätze frei sind.<br />

Sind die Seitenwände aus Edelstahl gefertigt, ist man in der Moderne<br />

des Aufzugsbaus angekommen. Denn früher wurden die Fahr-<br />

Die Kultur<br />

fährt immer mit<br />

Das Fahrstuhl-Design verrät vieles<br />

über Land und Leute<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

Eckige Fahrstühle sind<br />

praktisch, runde dagegen ein<br />

Genuss. Mittlerweile verstecken<br />

Architekten die Aufzüge<br />

nicht länger, sondern bauen<br />

sie als Kleinod im<br />

Gesamtkunstwerk ein.<br />

KABINENDESIGN 39


40 KABINENDESIGN<br />

stühle überwiegend aus Holz gebaut – ein Material, das heute fast nur<br />

noch in Spanien und Amerika Anhänger findet. Allerdings sind die mobilen<br />

Holzräume heute aus Gründen des Brandschutzes nicht mehr<br />

opportun: Aufzüge sollen aus so wenig brennbarem Material wie möglich<br />

bestehen. Nicht zuletzt deshalb sind sieben von zehn Aufzügen aus<br />

dem Hause <strong>ThyssenKrupp</strong> innen mit dem hochwertigen korrosionsbeständigen<br />

Edelstahl ausgestattet.<br />

Mit dem edlen Stahl hat es noch eine weitere Bewandtnis: Die Aufzüge<br />

von <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>Elevator</strong> werden für den mittleren bis gehobenen<br />

Markt gebaut, und die Kunden wollen, dass die Kabinen dies auch<br />

ausstrahlen: „Zwar wirkt Edelstahl nicht gerade warm und gemütlich, ist<br />

aber dafür elegant und hochwertig“, sagt Bernd Scherzinger, Leiter der<br />

Vertriebszentrale in Neuhausen bei Stuttgart. Darüber hinaus ist das Material<br />

langlebig und pflegeleichter, als es die früher beliebten lackierten<br />

Bleche oder gar die Resopalplatten der siebziger Jahre waren.<br />

Der derzeitige „Renner“ ist aus Designer-Sicht der Edelstahl „Korn<br />

220“, der gebürstet und geschliffen satt und samtig glänzt, sowie der<br />

Edelstahl mit Leinenstruktur, auf dem selbst Fettfinger kaum Spuren<br />

hinterlassen. Auch in Rautenmuster oder mit einer Lederstruktur kann<br />

man den Edelstahl bestellen.<br />

Kommt es dem Bauherren mehr aufs Prestige und weniger aufs<br />

Putzen an, kann er den exklusiven, spiegelpolierten Edelstahl ordern und<br />

ihn je nach Geschmack mit geätzten Mustern verzieren lassen. Beliebt<br />

sind diese prunkvolleren Edelstähle eher im asiatischen Raum. In westlichen<br />

Industrieländern wird eine großflächige Spiegelwand im Aufzug<br />

höchstens auf der gegenüberliegenden Seite des Eingangs angebracht:<br />

Damit soll es Rollstuhlfahrern leichter gemacht werden, rückwärts aus<br />

dem Aufzug zu rangieren. Kunden vor allem aus dem arabischen Raum<br />

mögen Fahrkabinen, die noch mehr als „nur“ in Edelstahl glänzen: Dort<br />

funkeln die Bleche öfter mal in Kupfer, Messing oder Gold. „In Ländern<br />

wie Deutschland gibt es in aller Regel keine goldenen Aufzüge“, sagt<br />

Bernd Scherzinger. „Das wäre in unseren Breitengraden zu prunkvoll.“<br />

<strong>ThyssenKrupp</strong> gilt zwar als der größte Produzent von Edelstahl auf<br />

der ganzen Welt, ist aber zum Glück nicht allein auf den Aufzugsbau angewiesen.<br />

Denn „dort werden nur Apothekermengen verarbeitet“, erläutert<br />

Rembert Horstmann. „Das, was man vom Aufzug sieht, erweckt<br />

den Eindruck, er besteht nur aus Edelstahl.“ Den Edelstahl, der auf der<br />

ganzen Welt im Jahr insgesamt in der Aufzugsbranche verbaut wird,<br />

kann <strong>ThyssenKrupp</strong> in rund zwei Wochen produzieren.<br />

DIE ZUKUNFT LEBT VON DER TRANSPARENZ<br />

Andere Trends deuten sich im Kabinendesign an. Seit ein paar Jahren<br />

liebt der Geschmack beim Fahrstuhlbau Durchsichtiges. Etwa jeder fünfte<br />

Aufzug, den <strong>ThyssenKrupp</strong> baut, besteht mittlerweile aus Glas. „Das<br />

verlangt auch ganz andere optische Maßstäbe an das Schachtgerüst“,<br />

erläutert Scherzinger. Bei „normalen“ Aufzügen gilt nämlich buchstäblich:<br />

All das, was man als Aufzugfahrer nicht sieht, muss nicht schön,<br />

sondern nur praktisch sein. Also sind die Kabinenbleche rückseitig beispielsweise<br />

mit Dämmmaterial verklebt, der Schacht besteht aus<br />

schmucklosem Beton und hinter wenigen Millimetern Edelstahl kommt<br />

gleich ein Stahlblech. Darüber hinaus sind alle Kabinen mit Fangsystemen<br />

ausgerüstet, die das aus Hollywood-Streifen bekannte Absturz-<br />

Szenario – das übrigens frei erfunden ist, denn seit 1853 sind Aufzüge<br />

absturzsicher konstruiert – unmöglich machen. Auch Glasaufzüge haben<br />

all diese Sicherheits-Elemente, die ein Aufzug braucht, doch dort sind<br />

sie eben so unsichtbar wie möglich – was natürlich kostspieliger ist.<br />

Gläserne Aufzüge werden meist als architektonische Blickfänge<br />

verwendet. Außerdem kann der König Kunde im Kaufhaus majestätisch<br />

Einblick in Vergangenheit und Gegenwart


durch die Halle schweben – und noch das ein oder andere entdecken,<br />

das er kaufen kann. In Bahnhöfen oder Flughäfen ist die Transparenz jedoch<br />

vor allem der Sicherheit geschuldet: Zum einen sollen Passagiere<br />

vor unbeobachteten Gewalttaten geschützt werden. Zum anderen soll<br />

das Verstecken etwa von Bomben unmöglich gemacht werden.<br />

Die Glasaufzüge haben sogar noch einen ganz anderen Vorteil:<br />

„Niemand kommt auf die Idee, aus Langeweile an die Wände zu kritzeln“,<br />

sagt Bernd Scherzinger. „Denn er fühlt sich beobachtet.“ Den<br />

gleichen psychologischen Effekt erzielt im Übrigen auch ein einfacher<br />

Spiegel. „Selbst wenn der Täter sich bloß selbst sieht, fühlt er sich beobachtet<br />

und nimmt davon Abstand, etwas zu zerstören.“<br />

Der Aufzug steht nach langen Jahren als unbeachteter Lastenträger<br />

heute auch bei den Architekten hoch im Kurs. War er früher ein notwendiges<br />

Übel, das es möglichst zu verstecken galt, ist er heute oft ein<br />

architektonisches Kleinod, das sich in die Baukunst einpassen soll. So<br />

verzichten manche Architekten auf die Platz sparende Form des Rechtoder<br />

Vierecks und wählen ein verschwenderisches Rund. Der Übergang<br />

von der Empfangshalle zum Aufzug soll heute möglichst harmonisch<br />

sein – etwa durch die Wahl des gleichen Bodenbelags wie zum Beispiel<br />

Marmor oder Fliesen. Oder aber es wird ein nicht allzu dominanter Standarduntergrund<br />

gewählt.<br />

Die Aufzugsdecke besticht ebenfalls meist durch schlichte Eleganz.<br />

Licht und Luft soll sie spenden und ansonsten recht unauffällig sein.<br />

Allerdings lohnt sich ein Blick nach oben: Dort gibt es von der klassischen<br />

Lampe über Halogenspots oder einer Kassettendecke bis hin zur<br />

indirekten Beleuchtung oder mit Lasern geschnittenen Mustern im<br />

Deckenblech fast nichts, womit nicht auch große Räume illuminiert werden.<br />

Oft sind über den Köpfen auch Ventilatoren versteckt – in Asien beispielsweise<br />

ein Muss, um überhaupt das feuchtwarme Klima zu ertra-<br />

Facelifting schafft Emotionen:<br />

Im Stuttgarter SI-Centrum<br />

und im Ana Grand Hotel in Wien<br />

(Fotos ganz links) sehen die<br />

Fahrkabinen viel älter aus als<br />

sie wirklich sind. In Banken<br />

dagegen signalisieren moderne<br />

Fahrstühle von Beginn an<br />

nüchterne Professionalität.<br />

KABINENDESIGN 41<br />

gen. Immer aber sind im Türbereich Luftschlitze. „Ersticken kann man<br />

also nicht, selbst wenn man mal stecken bleibt“, räumt Bernd Scherzinger<br />

mit einem weiteren Vorurteil gegen Aufzüge auf.<br />

Ebenfalls unauffällig und praktisch sind die Fußleisten und der<br />

„Handlauf“. Die Stangen auf Hüfthöhe aus Holz oder Edelstahl sind zwar<br />

auch fürs gelegentliche Festhalten oder Abstützen gedacht, aber vor<br />

allem sollen sie Einkaufswagen und andere Dinge davon abhalten,<br />

gegen die Aufzugswand zu schlagen. Holz wirkt hier edel, ist aber empfindlicher<br />

als Edelstahl.<br />

DIE ÄSTHETIK REICHT BIS INS KLEINSTE TEIL<br />

Ohne das sichtbare Herzstück schließlich geht beim Aufzug gar nichts:<br />

Das so genannte Bedienpaneel bestimmt, wohin die Reise gehen soll.<br />

Das heute am häufigsten verwendete System ist der Druckknopf, der<br />

sich in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts etablierte.<br />

Damals machte er den Berufsstand des Fahrstuhlführers überflüssig,<br />

weil der „Selbstfahrer“ den komplizierten technischen Vorgang im<br />

Hintergrund ganz einfach selbst bedienen konnte.<br />

Doch bald gerät der Knopf wohl selbst unter Druck. Die nächste<br />

Aufzugsgeneration wird mit Hilfe von so genannten Touchscreens bedient.<br />

Dabei berührt der Fahrgast bloß noch ein Feld auf einem kleinen<br />

Bildschirm und der muss sich nicht mehr im Aufzug befinden. Denn<br />

mittlerweile gibt es derlei Bediensysteme an einer zentralen Stelle auf<br />

der Etage, die die intelligentesten Fahrwege für die einzelnen Aufzüge<br />

heraussuchen. Das spart Energie, Zeit und auch Platz im Gebäude. Einmal<br />

mehr wird diese Zielauswahlsteuerung Teil jener Kabinen-Ästhetik,<br />

die auch in Zukunft mit welchen Materialien und mit welchem Design<br />

auch immer eines spiegeln wird: die Kultur des Landes, in welchem der<br />

Aufzug die Fahrgäste befördert. 7


42 DOMBAUMEISTERIN


Schätzungsweise neun Millionen Menschen im Jahr besuchen ihn,<br />

den Dom zu Köln. Stets mit dem Gefühl des Erstaunens über das<br />

schier nicht enden wollende Gebirge aus Steinen, das geradezu<br />

den Himmel berühren möchte.<br />

Gerieben freilich hat sich die Menschheit durch alle Zeiten an dieser,<br />

wie es der Dichter Heinrich Heine in seinen „Stänkerreimen“ ausdrückte,<br />

„Bastille des Geistes“. Ihm gefiel der Dom nicht. Er war ihm ein<br />

„kolossaler Gesell“, „er ragt verteufelt schwarz empor / Das ist der Dom<br />

von Köllen“.<br />

An der Schwärze seines Äußeren hat sich wahrhaftig nichts geändert.<br />

Auch nicht daran, dass der Dom, bautechnisch betrachtet, eine<br />

Baustelle ist und bleibt. Wer wüsste dies besser als Barbara Schock-<br />

Werner, die erste Frau, die seit dem 1. Januar 1999 im herausragenden<br />

Amt der Dombaumeisterin arbeitet?<br />

Baustelle hin, Baustelle her, natürlich hat die Dombaumeisterin<br />

zuerst klare Prinzipien: „Der Dom ist ein Mahnmal für Gott.“ Kein Mahnmal<br />

für Kriegszerstörung oder für den zerstörenden Einfluss schädlicher<br />

Stoffe in der Umwelt, auch kein Museum, sondern eine Kirche. Punkt.<br />

So ist es, und so bleibt es.<br />

Umso leichter lässt sich auf dieser unumstößlichen Basis der<br />

Dom als Baustelle mit unterschiedlichsten Anforderungen betrachten.<br />

Ein wunderbares Areal für <strong>Werkstoffe</strong>, zum Beispiel auch Stahl. Dazu<br />

hat Frau Schock-Werner eine klare Auffassung: „Stahl ist ein besonderes<br />

Produkt. Gerade in den höher gelegenen Teilen setzen wir gern Edelstahl<br />

ein, denn nur dieser ist der dauerhaften harten Beanspruchung<br />

bei Wind und Wetter gewachsen.“ Mit Edelstahl-Winkeln wird das Segment<br />

<strong>ThyssenKrupp</strong> Steel in diesem Jahr einen sprichwörtlich stabili-<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

DOMBAUMEISTERIN 43<br />

Edelstahl für das Mahnmal Gottes<br />

Der Kölner Dom ist Deutschlands bekannteste Attraktion.<br />

Barbara Schock-Werner ist die Baumeisterin am Dom – „eine richtig tolle Aufgabe“<br />

Von Heribert Klein | Fotos Barbara Klemm<br />

sierenden Beitrag leisten: Die Besucherumgänge am Südturm in luftiger<br />

Höhe von rund hundert Metern, Tag für Tag von Tausenden frequentiert,<br />

bedürfen neuer Stahlträger. Diese wird Steel liefern. „Die Witterung<br />

hat auch diese tragenden Winkel zerstört“, sagt lakonisch die<br />

Dombaumeisterin. Andererseits, die Beanspruchung ist groß, denn die<br />

zahlreichen Besucher nehmen die allein konditionelle Herausforderung<br />

gern an und stapfen Stufe für Stufe zu diesem Besucherumgang – der<br />

ungestörte Blick über die Weite von Köln, hinüber zum Horizont, der sich<br />

in der Ferne zu verlieren scheint, lohnt den körperlichen Aufwand. Die<br />

Frage, weshalb durchweg nur noch Edelstahl im und am Dom verwendet<br />

wird, wenn tragende Teile ersetzt werden müssen, lenkt Frau<br />

Schock-Werner ins Grundsätzliche: „Ziel jeder unserer Maßnahmen ist<br />

es, uns möglichst überflüssig zu machen. Anders gesagt: Das Material<br />

soll so lange wie möglich halten.“<br />

DIE WITTERUNG HAT TR<strong>AG</strong>ENDE WINKEL ZERSTÖRT<br />

Damit ist eine Weisheit bestätigt, die so alt ist wie der Dom selbst: Sollte<br />

er denn jemals vollendet sein, ist der Beginn der Ewigkeit gekommen.<br />

Das kann dauern. Also begnügt man sich mit der Nichtvollendung,<br />

und macht daraus gleich eine Theorie, wie sie der Dichter Heine<br />

entwickelt hat: „Er ward nicht vollendet – und das ist gut, / Denn die<br />

Nichtvollendung / Macht ihn zum Denkmal von Deutschlands Kraft /<br />

Und protestantischer Sendung.“<br />

Mit dieser Art von Poesie kann die Baumeisterin wenig anfangen.<br />

Als sie vor wenigen Jahren, zur Überraschung vieler Außenstehender,<br />

in ihr Amt gewählt wurde, ordnete man sie gleich ein: katholisch,<br />

schwindelfrei, weiblich, tatkräftig, temperamentvoll, willensstark, ein<br />

Das Ziel der Dombaumeisterin<br />

ist nachhaltig: Das Material am<br />

Dom soll so lange wie möglich<br />

halten. Ein Netz aus Edelstahl<br />

bietet am Südturm den Besuchern<br />

Schutz – und gewährt dennoch<br />

Ein- und Ausblicke


44 DOMBAUMEISTERIN<br />

Wirbelwind, der die Hosen an hat. In ihrem Hosenanzug wirkt sie elegant,<br />

stilvoll, in ihrem kleinen Büro in einem Gebäude auf der Kölner<br />

Domplatte. Schreibtisch, Besuchertisch und Schränke strahlen den Charme<br />

von Möbelstücken aus, die die Vergangenheit überdauern. Doch<br />

der Computer auf dem Schreibtisch macht gleich deutlich, dass Barbara<br />

Schock-Werner nicht in der Vergangenheít lebt. Überhaupt nicht.<br />

„Wir leben in der Gegenwart und sind deswegen modern. Das möchte<br />

ich auch nach außen hin zeigen. Ich erfülle hier eine Funktion, ich verwende<br />

Materialien unserer Zeit – und werde in einigen Jahren auch<br />

wieder verschwinden, wenn das Alter gekommen ist.“<br />

An Beispielen mangelt es ihr nicht. In der neu hergerichteten<br />

Schatzkammer seien mit Absicht moderne Materialien zum Einsatz gekommen,<br />

Edelstahl etwa, dem sie wegen der Eleganz, der Ästhetik und<br />

der Geradlinigkeit viel abgewinnen kann.<br />

Wie es nun mal mit den ästhetischen Kategorien ist: Sie sagen viel<br />

über denjenigen oder diejenige aus, die sie kundtun. Sicher ist der Dom<br />

für die Leiterin der Dombauhütte sehr viel mehr als eine schnöde Baustelle.<br />

Ihre Funktion würde sie dementsprechend auch nie als Job bezeichnen,<br />

dann schon eher als „richtig tolle Aufgabe“. Bei der es, wie<br />

sie ehrlich zugibt, mitunter Tage gibt, in denen sie den Eindruck habe,<br />

Normalität sei die Ausnahme – Abstrusitäten, Eigenarten, Verrücktheiten<br />

dagegen die Regel. Und dennoch: Sie sucht nicht die Konfrontation,<br />

sondern das Gespräch, den Ausgleich zwischen den unterschiedlichen<br />

Interessen.<br />

DIE DOMBAUMEISTERIN BEHERRSCHT VIELES<br />

Ein Glück nur, dass der Dom sich selbst gehört, keinem anderen. Der<br />

Dom ist, rechtlich gesehen, auf sich selbst eingetragen – weshalb auch<br />

niemand Besitzansprüche erheben kann. Was man erreichen kann,<br />

sind Patenschaften oder fürsorgliches Wirken, wie sie sich etwa das<br />

Domkapitel oder der Dombauverein zueigen macht.<br />

Wer im Brennpunkt solch unterschiedlicher Interessenlagen steht,<br />

bedarf der persönlichen Robustheit. Die würde der Dombaumeisterin<br />

niemand absprechen, schon von der Herkunft her. Heute Mitte fünfzig,<br />

wuchs sie in Stuttgart auf. Die schwäbische Handwerkerfamilie hinterließ<br />

Spuren: „Das deutsche Bildungswesen durchlief ich sozusagen diagonal.<br />

Mittlere Reife, danach Bauzeichnerlehre, weil ich mich schon<br />

immer einerseits für die Kunst, andererseits für die Mathematik interessierte.<br />

Dem folgte ein Architekturstudium an der Fachhochschule in<br />

Stuttgart.“ Um die Diagonale weiterzuführen: zwischendurch absolvierte<br />

sie auch ein Praktikum auf dem Bau als Maurer, später bei einem Zimmermann.<br />

Das Prüfstück verschweigt sie nicht: ein zweizügiger Kamin,<br />

Tragende Winkel<br />

aus Stahl


DOMBAUMEISTERIN 45<br />

Die Besucherumgänge am<br />

Südturm, in einer Höhe<br />

von hundert Metern, brauchen<br />

neue Stahlträger. Die Edelstahlprofile<br />

von <strong>ThyssenKrupp</strong> Steel<br />

werden Wind und Wetter<br />

gewachsen sein.


46 DOMBAUMEISTERIN


von ihr selbst gemauert. Und all das hat sie prädestiniert – um in die<br />

Fußstapfen von Meister Gerhard zu treten, dem mittelalterlichen ersten<br />

Baumeister, der wiederum vom mittelalterlichsten aller Denker, dem<br />

Gelehrten Albertus Magnus, beeinflusst wurde?<br />

Dombaumeisterin in Köln zu sein, ist keine schöngeistige Arbeit.<br />

Es ist, wenn man so will, die Anwendung der Kenntnis der antiken Sieben<br />

Freien Künste – dem „Trivium” (der Grammatik, Rhetorik, Dialektik)<br />

und dem „Quadrivium” (Geometrie, Arithmetik, Astronomie, Musik).<br />

Himmlische Harmonie, in einem sehr irdischen Haus, das aber dank<br />

seiner Geometrie im Großen wie im Kleinen die Menschen bewegt. Wer<br />

ließe sich nicht dadurch beeindrucken, verloren in einem Raum zu stehen,<br />

dessen Inhalt 400.000 Kubikmeter misst? Da geht es Frau<br />

Schock-Werner nicht anders als jedem der Besucher, die durch den<br />

Dom schreiten, schlendern oder schlurfen.<br />

Ist es Arbeit an einer gigantischen Fassade, in einer Art Potemkinscher<br />

Kirche? Nein, das würde die Meisterin der Dombauhütte strikt<br />

bestreiten. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse kommen zum Einsatz,<br />

bei der Steinkonservierung (zum Beispiel mit dem Acryl-Volltränkungsverfahren,<br />

bei dem Steine mit dem Kunstharz Methyl-Methacrylat<br />

getränkt werden, was wiederum im Inneren der Steine polymerisiert).<br />

Gern würde sie auch mit Metallurgen zusammenarbeiten, um Erkenntnisse<br />

darüber zu gewinnen, welche Legierungen bei verwendeten<br />

Stählen besonders witterungsbeständig sind. Platz für entsprechende<br />

Versuche hoch oben an den Türmen des Steinhauses gibt es genügend.<br />

Die Verwendung von Edelstahl ist jedenfalls heute unverzichtbar,<br />

wenn neue Stahlprofile oder –träger gebraucht werden.<br />

Dem Detail in einer groß, ja gigantisch angelegten Konzeption gerecht<br />

zu werden, darin sieht die Dombaumeisterin ihre Aufgabe. Überreich<br />

an Details, die vom Fundament bis zu den Turmspitzen reicht, wird<br />

die Restaurierung nie zu einem Ende kommen. Eine frustrierende Aus-<br />

Die Meisterin für den<br />

„kolossalen Gesell“<br />

Der Dom wird nie<br />

vollendet sein. Denn ein Raum<br />

mit vierhunderttausend<br />

Kubikmetern Inhalt instand<br />

zu halten, ist eine Aufgabe<br />

ohne Ende. Wenn jemals die<br />

Vollendung erreicht sein sollte,<br />

beginnt die Ewigkeit. Das<br />

aber kann dauern.<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

DOMBAUMEISTERIN 47<br />

sicht? Auch da ordnet sie sich in eine lange währende Tradition ein. Im<br />

direkten wie im übertragenen Sinn: „Kirche in säkularer Welt, das ist für<br />

mich das Bild dieses Doms, und es ist auch das Bild der Kirche in unserer<br />

Gegenwart. An dieser Kirche will ich mitarbeiten.“<br />

DIE DOMBAUMEISTERIN STEHT MITTEN IM LEBEN<br />

Eine Sisyphus-Aufgabe ist es jedenfalls nicht. Der Fortschritt ist durchaus<br />

sichtbar. Die Kriegsschäden etwa geraten mehr und mehr aus dem<br />

Blickfeld. Ein im Krieg angeschossener Strebebogen im Chorbereich<br />

wurde durch einen neuen ersetzt, in diesem Jahr wird die so genannte<br />

Plombe verschlossen – eine Flickstelle, die 1944 notdürftig mit Ziegeln<br />

schnell vermauert wurde. „Eine sehr komplizierte Stelle mit aufwändiger<br />

Gliederung und anspruchsvollen Skulpturen, deren Restaurierung<br />

wir aber jetzt zum Abschluss bringen.“<br />

Sisyphus, heißt es bei Camus, müsse ein glücklicher Mensch<br />

sein, finde er doch den Sinn im Nicht-Sinn. Ihre unbekümmerte, fast<br />

schon rheinisch unbeschwerte Art mag Frau Schock-Werner vor solcher<br />

nihilistischer Sinngebung bewahren. Gegen den Begriff konservativ hat<br />

sie nichts, schon von Berufs wegen, als Sachverständige in Fragen des<br />

Bewahrens und Erhaltens. Aber ihr Denken ist immer in die Zukunft gerichtet,<br />

was ihre Neugierde erklärt in Fragen der Werkstoffforschung,<br />

der Steinkonservierung. Im Übrigen, wenn man wie sie einen Betrieb<br />

wie die Dombauhütte mit mehr als 80 Angestellten, etlichen Millionen<br />

Jahres-Budget und einer beträchtlichen Außenwirkung leitet, darf man<br />

kein Traumtänzer sein, sondern muss mitten im Leben stehen.<br />

Das tut sie mit Verve, mit größter Überzeugung, dass die Aufgabe,<br />

Dombaumeisterin in Köln zu sein, ein Traumberuf ist, arbeitet sie<br />

doch an einem Haus, das die Brücke zur Ewigkeit schlägt und nicht, wie<br />

Goethe eher süffisant schrieb, einem „Märchen vom Turme zu Babel an<br />

den Ufern des Rheins“ gleicht. 7


48 LiDONIT<br />

Von Sebastian Groß | Fotos Rainer Kaysers<br />

Sprachlich sollte man in diesem Fall schon genau werden. Denn<br />

anfallen heißt nicht abfallen. „Schlacke ist kein Abfall, sondern<br />

wird bei der Stahlproduktion erzeugt.“ Die korrekte Formulierung<br />

stammt von Michael Joost, zuständiger Mitarbeiter in der Unternehmensentwicklung<br />

der DSU Gesellschaft für Dienstleistungen und Umwelttechnik,<br />

die zu <strong>ThyssenKrupp</strong> Services gehört und den Asphalt-<br />

Spezialisten DEUT<strong>AG</strong> als zweiten Gesellschafter hat.<br />

Was demnach anfällt, ist ein Fall für sich, der unterdessen einen<br />

eigenen Namen hat: LiDonit. Das Wort stammt nicht aus kryptischen<br />

Lautquellen, sondern gründet in ganz einfacher Herkunft. Joost, ein<br />

ausgebildeter Aufbereiter, vermittelt nicht den Eindruck, als sei er der<br />

Verkäufer eines Gegenstands, den er nur vom Hörensagen her kennt.<br />

Wenn er zum Ausdruck bringt, bei dem neuen Produkt stecke der Teufel<br />

im Detail, glaubt man ihm dieses auf Anhieb. Denn er kann auf<br />

Nachfrage auch über das letzte verborgene LiDonit-Detail aufklären.<br />

Beginnend beim Namen: „LiDonit ist ein eingetragenes Wortzeichen,<br />

das sich von den österreichischen Stahlwerken in Linz und Donawitz<br />

sowie dem danach benannten Stahlherstellungsprozess mit dem griechischen<br />

Wort für Stein (lithos) ableitet.“ Fortfahrend bei dem, was das<br />

Wortzeichen inhaltlich bedeutet: „LiDonit ist ein synthetischer Mineralstoff,<br />

der aus der calciumsilikatreichen Schmelze bei der Stahlerzeugung<br />

gewonnen wird.“<br />

WIE DER MINERALSTOFF ZUM LEBEN ERWACHT<br />

Die abstrakte Erklärung in seinem Büro in Duisburg-Ruhrort wird greifbar,<br />

als er mit Helm, Schutzbrille, geeigneten Schuhen und Schutzjacke<br />

dorthin eilt, wo der wundersame Mineralstoff zum Leben erwacht: im<br />

Stahlwerk II der <strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl <strong>AG</strong> in Duisburg-Beeckerwerth.<br />

Ein Abstich ist und bleibt ein Erlebnis. Denn die Urkräfte des Feuers,<br />

das im gefüllten Oxygenstahlkonverter mit Hilfe eingeblasenen<br />

Sauerstoffs einen einzigartigen Flammenrausch entfacht und nebenbei<br />

flüssiges Roheisen, Schrott und Zusätze zum Brodeln und Kochen<br />

bringt – der Vorgang scheint zurückzulenken zu den vulkanischen Aus-<br />

Edelsplitt, der<br />

unter die<br />

Räder kommt<br />

LiDonit ® heißt die stabilisierte Schlacke,<br />

die bei der Stahlherstellung erzeugt wird.<br />

Ihre Wirkung ist nachhaltig, denn sie<br />

wird beim Straßenbau verwendet


LiDonit ist am Ende ein körniges<br />

Material, das nach<br />

dem Erkalten von großen<br />

Brechern „runtergeknackt“<br />

wird. Bagger haben zuvor<br />

das Beet geräumt, in denen<br />

die Schlacke aus Kübelwagen<br />

entleert wurde.<br />

LiDONIT 49


50 LiDONIT


LiDONIT 51<br />

Mineralstoff mit Potenzial<br />

Beim Abkippen aus dem<br />

Konverter wird die Schlacke<br />

vom Rohstahl getrennt.<br />

Eingeblasener Sauerstoff<br />

verwirbelt Quarzsand zusammen<br />

mit der Schlacke zu einem<br />

hochwertigen Rohstoff. Im Beet<br />

kühlt LiDonit eine Woche lang<br />

ab, um dann in aufbereiteter<br />

Form als Fertigprodukt<br />

gelagert zu werden.


52 LiDONIT<br />

brüchen in grauer Vorzeit, als die Erde langsam in Jahren und Jahrtausenden<br />

zu ihrer (erkalteten) Form fand.<br />

Doch es ist eben nicht nur die kostbare Rohstahlmasse, die im<br />

Konverter entsteht, sondern die oft genug verächtlich „Abfall“ genannte<br />

Schlacke. „Beim Abkippen wird jetzt der Rohstahl von der Schlacke<br />

getrennt“, erläutert Joost den Kipp-Vorgang, bei dem der Konverter<br />

sich einmal nach links, dann nach rechts neigt. 27 Tonnen der rötlichgelb<br />

siedenden Schlacke werden in den bereitgestellten Kübel abgegossen<br />

– der nur wenige Augenblicke später langsam weiter rollt: zur<br />

derzeit weltweit einzigen Anlage, in der, präzis ausgedrückt, die Linz-<br />

Donawitz-Schlacke stabilisiert wird.<br />

WESHALB LIDONIT EIN WERTVOLLER MINERALSTOFF IST<br />

Es ist schon erstaunlich, die spätere, endgültige Form von LiDonit zu<br />

sehen – ein körniges Material, das in großen Brechern, wie man sie aus<br />

herkömmlichen Steinbrüchen kennt, auf eine unterschiedlich große<br />

Körnung „runtergeknackt“ wird, wie der Fachmann sagen würde. Was<br />

immer noch nicht ahnen lässt, wo der synthetische Mineralstoff am<br />

Ende tatsächlich verwendet wird: als zentraler Bestandteil einer Asphaltdeckschicht,<br />

mit denen Straßen gebaut werden. „Die stabilisierten<br />

Schlacken weisen eine sehr hohe Griffigkeit und eine nicht weniger<br />

hohe Festigkeit aus“, sagt DSU-Mann Joost. „Im Sinne der nachhaltigen<br />

Verwendung ist LiDonit ein idealer Stoff, der für Straßenbauer genauso<br />

interessant sein müsste wie für Umweltpolitiker“, fährt Joost fort.<br />

Denn nicht nur der Stahl, sondern auch die Schlacke sei für sich genommen<br />

ein Produkt mit Wertschöpfungspotenzial – was erwarte man<br />

mehr von <strong>Werkstoffe</strong>n in heutiger Zeit?<br />

Zwei Bereiche von <strong>ThyssenKrupp</strong> arbeiten in diesem Fall Hand in<br />

Hand. Carl-Heinz-Schütz, ein promovierter Ingenieur, der als Direktor<br />

für den Bereich Rohstahl, Division Metallurgie/Grobblech verantwortlich<br />

ist, verhehlt nicht seine Genugtuung über diese Verwendung von<br />

Schlacke mit<br />

hoher Griffigkeit<br />

Schlacke. Der Mann Ende fünfzig, der sich (kahlköpfig) durch Probleme<br />

im beruflichen Alltag keine grauen Haare mehr wachsen lässt, vermittelt<br />

jene Souveränität, die man mit den rhythmisch langfristig und<br />

übersichtlich geregelten Vorgängen im Stahlwerk verbindet. In der<br />

Ruhe liegt wie immer die Kraft – was in diesem Fall ganz und gar nicht<br />

ein durchschlagendes Argument gegen Schnelligkeit ist. Schütz berichtet,<br />

dass die Stahl-Leute gern die Idee Ende der neunziger Jahre<br />

aufnahmen, Edelsplitte zu produzieren, „unter Einsatz einer Lanze, die<br />

Sauerstoff und Quarzsand in die noch flüssige Schlacke einbläst“. Das<br />

Silicium verdünne die Schlacke. „Je geringer das Verhältnis von<br />

Calcium- zu Siliciumoxid, desto dünnflüssiger die Schlacke. Durch die<br />

Beimischung von Quarzsand werden freie Kalkanteile in den Calciumsilikaten<br />

gebunden.“<br />

Sehenden Auges diesen Vorgang zu betrachten, verbietet sich.<br />

Die Einblaslanze erzeugt einen solch grell-weißen Lichtreflex, dass nur<br />

Farbfilter die Augen vor dauerhafter Schädigung schützen können.<br />

Knapp eine Viertelstunde vergeht – fertig ist die LiDonit-Masse angerichtet.<br />

Und dann?<br />

Die Idee für diesen Mineralstoff habe, sagt Joost, in der Absicht<br />

gelegen, kalkreiche Schlacken, die sonst nicht als Straßenbaustoff zu<br />

verwenden seien, trotzdem sinnvoll weiterzuverarbeiten. „Damit geben<br />

wir verstärkt Mineralstoffe in den natürlichen Kreislauf zurück.<br />

Schlacken mit hohen freien Kalkanteilen, die wegen der Volumeninstabilität<br />

für den Straßenbau normalerweise nicht zu gebrauchen sind,<br />

werden auf diese Weise richtig interessant.“<br />

200.000 Tonnen LiDonit könnte das Stahlwerk II im Stabilisierungsverfahren<br />

bereitstellen. Die Nachfrage, weiß Joost zu berichten,<br />

steigt. Derzeit verlassen 120.000 Tonnen stabilisierter LD-Schlacke<br />

glühend heiß jährlich das Werk, um wenige hundert Meter entfernt aus<br />

dem flüssigen Zustand in einen festen zu wechseln. Dazu sind Beete<br />

angelegt, nicht in Manier des Kleingärtners, dessen „home“ sein<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

LiDonit ist ein Beispiel<br />

dafür, dass die DSU innovative<br />

Produkte entwickelt. Die Nachfrage<br />

nach dieser Schlacke ist<br />

steigend, denn von ihr profitiert<br />

der Deutschen liebstes Kind –<br />

das Auto auf den Straßen<br />

LiDONIT 53<br />

„castle“ ist. Die Beete (auch Tröge genannt) verbreiten keine Ästhetik,<br />

sondern reine Funktionalität. Trotzdem, allein das Farbspiel würde<br />

jeden Schrebergärtner begeistern. Denn die Schlacke im Kübelwagen<br />

fließt in das schwarze Beet, auf schon vorhandene, merklich abgekühlte<br />

Schlacke, die bereits im Trog vor sich hin abkühlt. Mehrere Tage wird<br />

ein ums andere Mal der Kübelwagen entleert. Eine Woche muss die<br />

Masse abkühlen, um kristallin zu erstarren. Die Qualität erkennt man<br />

schon daran, dass die Oberfläche von LiDonit nicht wie grobe Schollen<br />

im Eismeer herausstechen. LiDonit erstarrt völlig eben und ausgeglichen<br />

– nach einer Woche rücken die Bagger an, um das Beet zu entleeren.<br />

Muldenkipper übernehmen den Transport zum Brecher, von dort<br />

geht die Reise der stabilisierten Schlacke zum Straßenbauer. Gemischt<br />

mit Bitumen, Faser- und Mineralstoffen entsteht das Material, das dem<br />

liebsten Kind der Deutschen, dem Auto, Griffigkeit (Grip) und Festigkeit<br />

gegen schwere Lasten garantiert.<br />

WARUM LIDONIT UNSERE UMWELT SCHONT<br />

„Schlackenmanagement“ lautet das Angebot, das Michael Joost und<br />

die DSU als Dienstleister unterbreiten. Auch wenn die LiDonit-Herstellung<br />

Geld kostet – Joost sieht große, von vielen bisher gar nicht erkannte<br />

Potenziale in diesem Mineralstoff. Noch so eine Devise: „LiDonit<br />

schont unsere Umwelt. Der Einsatz des Stoffes schont natürliche Ressourcen.“<br />

Ob dieses vor allem Politikern, die ihr Dasein dem vorsichtigen<br />

Umgang mit den natürlichen Ressourcen verschrieben haben,<br />

schon bekannt ist – wo doch andernfalls Naturgestein in Steinbrüchen<br />

herausgebrochen und herbeigeschafft werden müsste?<br />

Die Zeiten, dass neue Deponien genehmigt werden, sieht er<br />

schwinden. Umso mehr sieht er die LiDonit-Zeit kommen. Von wegen<br />

Schlacke als schnöder Abfall! „Edelsplitt“ nennt Michael Joost den Stoff<br />

LiDonit, den die DSU im wahrsten Sinn des Wortes unter die Leute,<br />

noch mehr aber unter die Räder bringen will. 7


54 NEWSTEELBODY


Das Auto der<br />

Zukunft ist voller<br />

Leichtigkeit<br />

Der NewSteelBody von <strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl ist<br />

ein Schaustück für feinste Stahlwerkstoffe<br />

Von Rüdiger Abele | Fotos <strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl<br />

Der virtuose Umgang mit<br />

dem Werkstoff Stahl macht den<br />

NewSteelBody so leicht und<br />

stabil. Die vorderen Längsträger<br />

beispielsweise werden mit<br />

Hilfe von Wasser in Form<br />

gebracht und enthalten Stähle<br />

unterschiedlicher Festigkeit.<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

NEWSTEELBODY 55<br />

Stabil und leicht – so soll die Rohkarosserie eines modernen Autos<br />

sein. Dabei kommt modernen Leichtbau-<strong>Werkstoffe</strong>n, die bei<br />

hoher Festigkeit gut umformbar sind, eine große Bedeutung zu –<br />

Materialien, wie sie <strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl zahlreich im Programm hat.<br />

Das Unternehmen sorgte auf der größten Automesse der Welt, der IAA<br />

2003 in Frankfurt, für eine Überraschung: Präsentiert wurde die Rohkarosserie<br />

eines Minivans, die genauso stabil ist wie das Referenzmodell,<br />

der bewährte und beliebte Opel Zafira, dabei aber um 24 Prozent<br />

leichter und kaum teurer – nicht nur für Techniker war dies eine kleine<br />

Sensation. Denn wenn der „NewSteelBody“, so der Name des Projekts,<br />

eines Tages in der Großserie zu finden ist, hat der Autokäufer davon<br />

großen Nutzen: Zum Beispiel verbraucht sein modernes Gefährt, weil es<br />

leichter ist, pro Kilogramm Autogewicht weniger Treibstoff.<br />

HOCHFESTER STAHL MIT MODERNER FERTIGUNG<br />

„Wir wollen mit dem NewSteelBody zeigen, was heutzutage möglich<br />

ist“, sagt Dr.-Ing. Markus Weber, Bereichsleiter in der Division Auto von<br />

<strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl in Duisburg. Und stellt klar: „In den Automobilbau<br />

steigt <strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl damit aber nicht ein.“ Der NewSteelBody<br />

verstehe sich vielmehr als ein fachliches Angebot an die Fahrzeughersteller,<br />

auf die Kompetenz des Werkstofflieferanten zuzugreifen. „Denn<br />

kaum jemand ist so nah dran am Stahl wie wir.“<br />

Wichtig für das Konzept des NewSteelBody ist, dass er mit verfügbaren<br />

Technologien und Materialien hergestellt werden kann. So<br />

präsentiert er sich als ein Mix aus verschiedenen Ideen: hochfeste Stähle,<br />

die für manche Strukturen, bei denen Innovation gefragt ist, mit modernen<br />

Fertigungsverfahren verarbeitet, an anderen Stellen hingegen<br />

mit herkömmlichen Methoden in Form gebracht werden. „Die intelligente<br />

Mischung lässt den NewSteelBody bei absolut vertretbaren Kosten<br />

so leicht sein“, weiß der Projektleiter Bernhard Osburg. Der New-<br />

SteelBody koste gerade mal zwei Prozent mehr als eine herkömmliche


56 NEWSTEELBODY<br />

Struktur. „Ganz wichtig ist dabei die fachgerechte Konstruktion. Nur so<br />

lassen sich die Vorteile des Stahls optimal ausnutzen“, umreißt er das<br />

virtuose Spiel mit dem Material, das am besten durch eine Zahl charakterisiert<br />

wird: Hauchdünne 0,9 Millimeter messen beispielsweise die<br />

Wände einiger Hohlprofile des NewSteelBody.<br />

Eine unübliche Offenheit zeigte Opel für das Projekt: Der Hersteller<br />

stellte die gesamten Konstruktionsdaten des Zafira aus dem Computer<br />

Aided Design (CAD) zur Verfügung. „Das ist sehr selten, denn<br />

damit wird das gesamte Auto transparent“, freut Osburg sich über das<br />

Vertrauen. Doch die Daten sind sehr wichtig, denn sie geben die technischen<br />

Werte für die Steifigkeit und auch das Crashverhalten des New-<br />

SteelBody vor – absolut realitätsnah. Damit ging das Team von<br />

<strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl ans Werk und konstruierte am Computer die Karosseriestruktur.<br />

Per Rechner wurden auch, wie bei jedem neuen Auto,<br />

Crashversuche nach neuesten Normen simuliert, um die Stabilität zu<br />

prüfen. Am Ende stand ein fertig aufgebauter Viertelschnitt des New-<br />

SteelBody in lebensechter Größe, wie er auf der IAA gezeigt wurde und<br />

nun für Kundenpräsentationen genutzt wird. Osburg ist zuversichtlich:<br />

Hochfest und formvollendet<br />

„In fünf Jahren könnte er in der Großserie sein.“ Diese Zeit brauche es<br />

einfach, um sich in die Entwicklung eines Neuwagens einzuklinken.<br />

Wobei, ein Vorteil des Konzepts, der NewSteelBody nicht nur bei einer<br />

vollständigen Neukonstruktion genutzt werden kann: Bei ihm heißt es<br />

bewusst nicht „ganz oder gar nicht“, denn auch einzelne Komponenten<br />

können nach und nach in die Serienfertigung einfließen.<br />

UMFASSENDES WISSEN ÜBER NEUE WERKSTOFFE<br />

Etwa die Hälfte der Rohkarosserie besteht aus Pressteilen, die andere<br />

Hälfte ist aus geschlossenen, dünnwandigen Hohlprofilen hergestellt.<br />

Ein fertigungstechnisches Schmankerl-Verfahren kam für die vorderen<br />

und hinteren Längsträger sowie den Dachrahmen des NewSteelBody<br />

zum Einsatz: Deren dünnwandige Rohre werden zunächst in annähernd<br />

endgültigen Maßen vorgefertigt und kommen dann in eine Presse, in<br />

der sie mit Wasser unter sehr hohem Druck von innen heraus in ihre<br />

endgültige Form gepresst werden – Innenhochdruckumformung nennt<br />

es der Fachmann. Die hinteren Längsträger bestehen darüber hinaus<br />

aus „Tailored Tubes“ („maßgeschneiderte Rohre“), die aus Stählen un-<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


terschiedlicher Festigkeit zusammengefügt sind, je nach Belastung.<br />

Und die vorderen Längsträger sind aus konischen Tailored Tubes hergestellt,<br />

werden also wie eine Fanfarentrompete immer weiter im<br />

Durchmesser – bei überall gleicher Wandstärke. Diese Form lässt die<br />

Träger bei einem Crash die Verformungsenergie viel besser aufnehmen<br />

im Vergleich zu zylindrischen Stahlprofilen.<br />

Um so mit den Materialeigenschaften der hochfesten Stähle umgehen<br />

zu können, müssen die Techniker sie sehr gut kennen. So wissen<br />

sie zum Beispiel, dass mancher Stahl durch Verformung härter wird<br />

– so wird er nicht nur in Form gebracht, sondern gleichzeitig fester. „Die<br />

Gefügestruktur ändert sich“, erläutert Markus Weber und zieht den Vergleich<br />

zu einer Büroklammer: Bewegt man ein Drahtende hin und her,<br />

reißt es schließlich ab – nicht, weil das Metall weich geworden ist, sondern<br />

weil es durch die Verformung hart wurde und schließlich unter der<br />

Belastung bricht. Hochfeste Stähle im Auto sollen natürlich bei einem<br />

Aufprall nicht brechen. Deshalb sind die Bauteile so ausgelegt, dass sie<br />

aufgrund der Fertigung nicht an ihre Stabilitätsgrenze kommen, sondern<br />

immer noch eine Restelastizität bleibt, die im Fall des Unfalles Ver-<br />

Der Weg aus dem<br />

Computer in die Großserie<br />

ist für den NewSteelBody<br />

nicht weit: In fünf Jahren<br />

könnte er über die Straßen<br />

rollen. Denn als praxisnahes<br />

Vorbild dient ein aktueller<br />

Minivan.<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

NEWSTEELBODY 57<br />

formungsenergie aufnimmt. „Dieses umfassende Wissen über unsere<br />

neuen <strong>Werkstoffe</strong> haben viele Autohersteller schlicht und einfach<br />

nicht“, sagt Weber ganz sachlich, „aber wir geben es gern weiter.“ Der<br />

NewSteelBody sei ein transparentes System: Wer an einer Verwendung<br />

interessiert ist, erhält von <strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl sämtliche Daten und<br />

technischen Einzelheiten. „Wir öffnen uns den Autoherstellern“, sagt<br />

Weber. Von den Kunden sei das sehr positiv angenommen worden.<br />

DÜNNWANDIGE PROFILE IN FORM GEBRACHT<br />

Und die Zukunft des NewSteelBody? Neue <strong>Werkstoffe</strong> werden eine<br />

weitere Verbesserung bringen, etwa noch stabilere Stähle („höherfest“).<br />

Auch erwarten beide Fachleute von <strong>ThyssenKrupp</strong>, dass beispielsweise<br />

die Verformung und Festigkeit dieser Stähle in einem noch<br />

günstigeren Verhältnis stehen werden. Oder dass dünnwandige Profile<br />

noch besser in Form gebracht werden können. Was auch immer es<br />

sein mag: Der NewSteelBody wird seinen Anteil daran haben, dass<br />

das Auto von morgen leichter ist als heute. Aber mindestens so stabil<br />

und sicher wie heute. 7


58 INTERVIEW


Wir brauchen junge<br />

Menschen, die sich für<br />

<strong>Werkstoffe</strong> begeistern<br />

Interview mit Prof. Dr. Ulrich Middelmann,<br />

stellvertretender Vorstandsvorsitzender der <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>AG</strong><br />

Fotos Claudia Kempf<br />

Die <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>AG</strong>, Herr Professor Middelmann, ist Deutschlands<br />

größter Werkstoff- und Industriegüterkonzern. Liegt in der Werkstoffkompetenz<br />

das eigentliche Kapital des Unternehmens?<br />

Tatsache ist, dass sich unsere Werkstoffkompetenz durch den gesamten<br />

Konzern hindurchzieht, beginnend bei der Entwicklung und Produktion<br />

im Segment Steel. Nehmen Sie weiterhin nur den Automobilbereich:<br />

Auf einer metallurgischen Basis haben wir weitestgehende<br />

Kompetenzen entwickelt, was die Umformung von Außenhautteilen<br />

betrifft. Durch das Hydroforming können wir Stahlhohlkörper unter<br />

Hochdruck in komplizierte Formen bringen. Oder nehmen Sie Kurbelwellen:<br />

Auch die zeugen von einer sehr hohen Werkstoffkompetenz.<br />

Ähnliches gilt für Stoßdämpfer oder Nockenwellen. Um es zusammenfassend<br />

zu sagen: Das Auto ist bestes Beispiel für unsere Art, innovativ<br />

mit <strong>Werkstoffe</strong>n umzugehen und es unterstreicht unsere Kompetenz<br />

auf diesem Gebiet.<br />

Sie nennen den Werkstoff Stahl als Beispiel. Arbeiten Sie aber nicht mit<br />

einer Vielzahl unterschiedlichster <strong>Werkstoffe</strong>?<br />

Es ist richtig, dass wir mit vielen <strong>Werkstoffe</strong>n zu tun haben. Neue kommen<br />

hinzu, Magnesium ist so ein Beispiel – in Freiberg/Sachsen wurde<br />

ein erstes Flachprodukt abgegossen. Wenn es uns gelingt, produktionstechnisch<br />

Magnesium-Flachprodukte kostengünstig herzustellen,<br />

wäre dies ein Durchbruch für uns. Denn für den gesamten Bereich<br />

Leichtbau könnten wir dann ein Full-Service-Konzept anbieten. Gerade<br />

im Sinne nachhaltigen Produzierens wäre dies ein Vorzeigeprodukt.<br />

Dennoch müssen Sie grundsätzlich in unserem Konzern eines sehen:<br />

Wir haben eine fest umrissene Werkstoffpyramide. In dieser Hierarchie<br />

befinden sich unten die Massenstähle, auf ihnen bauen die so genannten<br />

Qualitätsstähle auf, denen die Gruppen der rostfreien Edelstähle<br />

und die Nickelbasislegierungen bei <strong>ThyssenKrupp</strong> VDM mit einem Nickel-Gehalt<br />

von mehr als dreißig Prozent folgen. Ganz oben in der Spitze<br />

der Pyramide sind die Titanlegierungen angesiedelt.<br />

Wie hat man sich die Wertproportionen dieser Pyramide vorzustellen?<br />

Die Proportionen sind klar definiert. Der Wert einer Tonne VDM-Stahl beispielsweise<br />

liegt bei 15.000 Euro, der Titan-Wert liegt noch höher. Der Ni-<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

INTERVIEW 59<br />

rosta-Preis bewegt sich pro Tonne zwischen 1500 und 2500 Euro, der<br />

Wert von normal beschichtetem Qualitätsstahl beträgt rund 500 Euro.<br />

Dies ist, wenn Sie so wollen, der Werkstoff-Fächer. Der Qualität müssen<br />

Sie aber die Quantität gegenüberstellen. Da stellt sich die Pyramide auf<br />

den Kopf, vom Qualitätsstahl stellen wir 15 Millionen Tonnen her, von den<br />

rostfreien Stählen 2,5 Millionen Tonnen, bei den VDM-Stählen sind es<br />

rund 29.000 Tonnen.<br />

Insofern hat der Werkstoff Stahl Potenzial, womöglich ungeahntes Potenzial?<br />

Beim Segment Steel heißt der Slogan: Wir denken Stahl weiter. Innovationen<br />

sind zwingend notwendig, schon wegen der rasanten technologischen<br />

Veränderungen und der damit einhergehenden Veränderung<br />

der Produktanforderungen. Der Lebenszyklus auch unserer Produkte wird<br />

dadurch immer kürzer. Da gibt es in der Tat auf Dauer eine Vielzahl neuer<br />

Potenziale, die man ständig erschließen muss. Im Mittelpunkt der Aktivitäten<br />

steht dabei der Kunde als Partner. Deshalb wird frühzeitig die Entwicklungsarbeit<br />

mit den Vertriebsbelangen verzahnt.<br />

Welche Aufgabe hat dann der Werkstoffforscher im Unternehmen?<br />

Der Forscher ist der Treiber der Innovationen, aber eines muss auch ihm<br />

klar sein: Unternehmerisches Agieren orientiert sich am Markt. Was der<br />

Kunde haben will, versuchen wir ihm in einem Wertschöpfungsprozess an<br />

die Hand zu geben. Damit müssen wir Geld verdienen. In erster Linie bestimmt<br />

also der Kunde, was gemacht wird. Dies müssen jede Mitarbeiterin<br />

und jeder Mitarbeiter im Konzern verinnerlichen. Danach muss stringent<br />

gehandelt werden.<br />

Ist dieses Denken Teil einer neuen Unternehmenskultur bei Thyssen<br />

Krupp?<br />

Lassen Sie mich den entscheidenden Unterschied aufzeigen: In der Vergangenheit<br />

haben die Ingenieure häufig erst einmal gefragt, worin ihre<br />

Kompetenz besteht, dann wurde eine Vielzahl von <strong>Werkstoffe</strong>n entwickelt<br />

mit einer Vielzahl von Eigenschaften. Für diese <strong>Werkstoffe</strong> wurden dann<br />

Anwendungsgebiete gesucht. Die Erfahrung zeigt, dass dieser Weg weniger<br />

erfolgreich ist als die umgekehrte Denkweise: Erst werden die Kun-


60 INTERVIEW<br />

denbedürfnisse erforscht, darauf aufbauend wird durch eine Kombination<br />

der vorhandenen Kompetenzen die spezifische Lösung entwickelt, mit<br />

einem zu rechtfertigenden Aufwand. Aber ich mahne an: Hinter unserem<br />

unternehmerischen Handeln muss zwingend ein wirtschaftliches Ergebnis<br />

stehen, das Wertbeiträge schafft. All die modernen Produktionsanlagen,<br />

die wir haben, sind in erster Linie ein Instrument, um Gewinne zu erwirtschaften.<br />

Nur dann übrigens werden nachhaltig Arbeitsplätze<br />

geschaffen und erhalten.<br />

Wo bleibt da die Achtung vor der Kompetenz der Ingenieure?<br />

Die stelle ich gar nicht in Abrede. Aber nicht nur die Entscheider in unserem<br />

Konzern müssen wachgerüttelt werden. Jahrzehnte lang haben die<br />

Stahlkonzerne viel zu sehr der Technologie den Vorrang gegeben. Ingenieure<br />

und Techniker besitzen jedoch eine eigene Mentalität. Sie wollen die<br />

Ergebnisse ihrer Arbeit mit Stolz publizieren. So war der Informationsaustausch<br />

in der überschaubaren Branche grenzenlos. Jeder wusste vom<br />

anderen, was er Neues entwickelt hat. Das können wir uns nicht mehr<br />

leisten. Wir arbeiten global unter äußerst harten Wettbewerbsbedingungen.<br />

Die Kunst besteht darin, über echte Innovationen zu schweigen. Entscheidend<br />

ist es, Kunden für unsere innovativen Produkte zu gewinnen.<br />

Wenn ich Sie recht verstehe, muss der Ingenieur demnach genauso Verkäufer<br />

sein?<br />

Nicht unbedingt, doch von den Ingenieuren muss ich erwarten, dass sie<br />

die Machbarkeit der Vermarktung ihrer Neuentwicklungen immer im Blick<br />

behalten. Ich orientiere mich in diesem Punkt am originären Unternehmertum<br />

der Vergangenheit. Die Beziehung Produkt – Markt – Profitabilität<br />

– Verantwortung konzentrierte sich auf einen sehr kleinen Kreis von<br />

handelnden Personen. In Großkonzernen ist dieser Regelkreis anonymisiert.<br />

Der eine forscht, der andere produziert, wieder ein anderer verkauft,<br />

jeder sieht nur sein funktionales Ressort. Damit geht das unternehmerische<br />

Zusammenspiel häufig verloren. Das darf nicht so bleiben, wir müssen<br />

zurückkehren zum Verständnis von Regelkreisläufen. Alle Verantwortlichen<br />

müssen homogen denken mit klar definierten wirtschaftlichen und<br />

technischen Zielen vor Augen.<br />

Sie sind Schirmherr eines Werkstoff-Innovationspreises, der von<br />

<strong>ThyssenKrupp</strong> und der Ruhr-Universität Bochum vergeben wird. Ist das<br />

ein Beispiel dafür, dass Sie die Werkstoffforschung aus dem Konzern verlagern<br />

wollen in die Forschungsabteilungen von Hochschulen?<br />

Technik und <strong>Werkstoffe</strong> haben Prof. h.c. (CHN) Dr. Ulrich Middelmann durch<br />

sein Berufsleben begleitet. Der 58-Jährige, seit 2001 stellvertretender<br />

Vorstandsvorsitzender der <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>AG</strong> und Vorstandsvorsitzender<br />

der <strong>ThyssenKrupp</strong> Steel <strong>AG</strong>, studierte Maschinenbau in Darmstadt und<br />

Wirtschaftswissenschaften in Aachen. Er promovierte 1976 an der<br />

Ruhruniversität Bochum und erhielt im September 2003 die Berufung zum<br />

Honorarprofessor der Universität Tongji in Shanghai. 1977 ging er zur<br />

Krupp Stahl <strong>AG</strong> in Bochum. 1992 wurde er zum Vorstandsmitglied der<br />

Fried. Krupp <strong>AG</strong> Hoesch-Krupp, Essen/Dortmund, berufen. Im Zuge der<br />

Fusion der Thyssen <strong>AG</strong> und der Fried. Krupp <strong>AG</strong> wurde er 1999<br />

Vorstandsmitglied der <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>AG</strong>.<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


Die Antwort ist mehrschichtig. Zunächst arbeiten wir eng mit einer Reihe<br />

von nationalen und internationalen Universitäten zusammen, um rechtzeitig<br />

unseren Führungsnachwuchs zu rekrutieren. <strong>ThyssenKrupp</strong> beschäftigt<br />

allein in Deutschland insgesamt 8.837 Mitarbeiter mit einem<br />

Hochschulabschluss, darunter sind 6.430 Ingenieure. Da die Neigung<br />

der jungen Menschen, ein technisches Studium aufzunehmen, stark<br />

rückläufig ist, arbeiten wir mit der Ruhr-Universität Bochum an Programmen,<br />

den jungen Menschen die Attraktivität des Ingenieurberufs zu verdeutlichen.<br />

Darüber hinaus wollen wir die besonderen Leistungsträger,<br />

die diesen Studiengang begonnen haben, identifizieren. Hier ist der Werkstoff-Innovationspreis<br />

ein hervorragendes Instrument. Ich stehe mit den<br />

Verantwortlichen der Ruhr-Universität seit Jahren im Gespräch, um eine<br />

Reform der Ingenieurausbildung voran zu treiben. Die angehenden Ingenieure<br />

brauchen dringend kaufmännische Kompetenz. Als ausgebildeter<br />

Maschinenbauingenieur, der auch das Fach Wirtschaftswissenschaften<br />

studiert hat, weiß ich, wovon ich rede. Zwanzig Prozent der Studienzeit<br />

sollte zusätzlich kaufmännischen Inhalten gewidmet werden. Der Absolvent<br />

muss danach wissen, wie ein Unternehmen funktioniert, was Vertrieb<br />

bedeutet, Produktion, Beschaffung der Einsatzstoffe, Rechnungslegung<br />

und vieles mehr. Er sollte kalkulieren können, wissen, was hinter<br />

Projekt-Management steckt, was es mit Wertmanagement auf sich hat.<br />

Dann hat er auch verinnerlicht, dass sein Handeln letztlich dazu dient, den<br />

Wert eines Unternehmens zu sichern und zu mehren.<br />

Über das Mittel des Innovationspreises finden Sie dann zu dem dringend<br />

gesuchten Ingenieur-Nachwuchs, den es in Deutschland kaum gibt?<br />

Der Werkstoffpreis ist in der Tat ein geeignetes Medium, um mit jungen<br />

Menschen in Kontakt zu kommen, die für uns interessant sind. Wir suchen<br />

jedenfalls nicht primär erst unter den diplomierten Ingenieuren. Wir<br />

brauchen kreative Mitarbeiter, wie gesagt mit einem Feeling für Technik<br />

und kaufmännisches Denken. Über diesen Preis treten wir frühzeitig in<br />

einen interaktiven Dialog mit der Universität.<br />

Wo bleibt am Ende die Freiheit von Forschung und Lehre in der Universität,<br />

wenn Sie mit einer Universität kooperieren?<br />

Die Freiheit von Forschung und Lehre ist eine wichtige Funktion der Universität,<br />

die von uns respektiert wird. Jedoch kann eine Universität angesichts<br />

der leeren Kassen von Bund und Ländern nicht mehr ungehemmt<br />

zweckfrei forschen. Die öffentlichen Hände kürzen die Budgets. Daher<br />

wird der Wettbewerb unter den Unis härter. Sie müssen sich zunehmend<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

INTERVIEW 61<br />

einem Ranking unterwerfen und möglichst attraktiv werden. Dann erhalten<br />

sie Mittel von Dritten. Kurz gesagt, die Universitäts-Mitarbeiter müssen<br />

Kontakt zu denen suchen, die ihnen Leistungen in geeigneter Weise<br />

finanziell honorieren. Dadurch wird Forschung und Lehre mitfinanziert.<br />

Die <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>AG</strong> unterhält ja viele Kooperationen zu anderen Hochschulen<br />

und Schulen. Die Mitglieder des Vorstands suchen den direkten<br />

Kontakt. Sind dies aber nicht doch unzureichende Versuche, für einen<br />

Hochtechnologiekonzern geeignete Mitarbeiter zu finden, die es – angefangen<br />

in den Schulen – immer weniger gibt?<br />

Ich stimme Ihnen darin zu, dass sich das gesamte Klima ändern müsste.<br />

Die Misere ist ungemein groß. Schüler begeistern sich immer weniger für<br />

Technik. Junge Leute lernen kaum noch Mathematik mit dem Argument,<br />

das verstehen wir nicht. Erst recht wächst dann die Phobie vor einem Ingenieurstudium,<br />

das sich in großer Tiefe mit Mathematik, Physik, Mechanik,<br />

Thermodynamik oder auch Chemie auseinandersetzt. Diese Technik-<br />

Skepsis wird durch verschlechterte politische Rahmenbedingungen<br />

verstärkt. So werden energieintensive Betriebe derzeit in Deutschland in<br />

ihrem Entfaltungsbereich durch unterschiedlichste Gesetzesvorhaben<br />

stark eingeschränkt und möglicherweise verdrängt. Dabei wird von der<br />

Politik verschwiegen, dass im nächsten logischen Schritt die Verarbeitungsindustrie<br />

in einem Zyklus von sieben bis zehn Jahren dem Weggang<br />

folgen wird. Ich habe den Eindruck, dass Juristen und Soziologen die Diskussion<br />

beherrschen. Mit ihnen und ihren Denkansätzen lässt sich jedoch<br />

keine Volkswirtschaft über Wasser halten.<br />

Wo bleibt Ihr Optimismus?<br />

Als Realist analysiere ich erst einmal die Fakten. Da müsste ich schwarz<br />

sehen für die technische Entwicklung in Deutschland. Aber ein Unternehmer<br />

muss auch die Eigenschaft Optimismus pflegen. Positiv stimmt<br />

mich, dass die Bundesregierung 2004 als Jahr der Technik geadelt hat.<br />

<strong>ThyssenKrupp</strong> beteiligt sich besonders aktiv an den verschiedenen Aktionen,<br />

die von der Bundesforschungsministerin Bulmahn initiiert werden.<br />

Denn wir müssen dringend für Technik und Innovationen werben, immer<br />

wieder. Wir müssen jungen Menschen vorführen, dass der Umgang mit<br />

<strong>Werkstoffe</strong>n Kreativität, handwerkliches Geschick und fundiertes technisches<br />

Know-how fordert und die Mitarbeit an technischen Problemlösungen<br />

ein hohes Maß an persönlicher und beruflicher Befriedigung bringt.<br />

Die Fragen stellte Heribert Klein<br />

Forscher sind die Treiber der Innovationen


62 EDWARD. G. BUDD


Ein Unternehmer mit Visionen<br />

Von Carsten Knop | Fotos Hagley Museum and Library<br />

Er wurde mit einer<br />

bahnbrechenden Erfindung<br />

bekannt: Zu Beginn des<br />

vergangenen Jahrhunderts<br />

ersetzte Edward G. Budd<br />

konventionelle <strong>Werkstoffe</strong> mit<br />

modernen Materialien. In<br />

Amerika wurde er zum Vater<br />

der Ganzstahlkarosserie<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

Sein Name steht heute in Amerika in der „Hall of Fame“, in Anerkennung<br />

seiner Verdienste um die amerikanische Autoindustrie.<br />

Doch bis es so weit war, dauerte es lang, genau genommen sehr<br />

lang. Denn die Anfänge – sie sahen anders aus. Überschriften wie die<br />

folgende wollten Unternehmenschefs in der Wirtschaftspresse nicht<br />

lesen, auch der amerikanische Stahlverarbeiter und Automobilzulieferer<br />

Edward G. Budd nicht: „Pionier ohne Profit“, hatte das amerikanische<br />

Wirtschaftsmagazin Fortune im Februar 1937 über Budd geschrieben.<br />

Die Redakteure hatten sich die Bilanzen der Edward G.<br />

Budd Manufacturing Company besorgt und dabei zusammengezählt,<br />

dass Budd mit seinem Unternehmen in den vorangegangenen elf Jahren<br />

einen Verlust von insgesamt 3,3 Millionen Dollar gemacht hatte.<br />

Das las sich nicht gut. Wer sich aber von der wenig verheißungsvollen<br />

Überschrift nicht zum Weiterlesen anregen lassen konnte, verpasste<br />

die Beschreibung einer interessanten Zwischenstation auf einem langen<br />

Erfolgsweg. Denn Budd, vorübergehend tatsächlich ein Pionier<br />

ohne Gewinn, hatte die Verluste als wahrer Unternehmer bewusst in<br />

Kauf genommen. Er wollte seine Firma mit neuen Produkten am eigenen<br />

Schopf aus der Wirtschaftskrise ziehen. Das dauerte damals zwar<br />

länger als gedacht. Doch es sicherte in schwieriger Zeit die Arbeitsplätze<br />

tausender Mitarbeiter.<br />

EIN ERFINDER, DER SEINEN EIGENEN WEG GING<br />

Die Zeiten haben sich längst geändert. Heute würde in einer vergleichbaren<br />

Situation eher von einem „visionären Unternehmer“ gesprochen<br />

werden. Vielleicht wäre auch von einem mutigen Gründer die Rede, der<br />

so etwas wie einen Garagenbetrieb zu einem Weltkonzern machte. Was<br />

sich seither nicht geändert hat: Unternehmer brauchen für ihren Erfolg<br />

Kapitalgeber, die das kalkulierbare Risiko nicht scheuen. Budd war in dieser<br />

glücklichen Lage. Es war ihm, der mit seinem Unternehmen mitten in<br />

der Wirtschaftskrise 1934 finanziell mit dem Rücken zur Wand gestanden<br />

EDWARD. G. BUDD 63<br />

Aus bescheidenen Anfängen<br />

in Philadelphia stieg Budd<br />

mit seinem Unternehmen unter<br />

anderem zum Anbieter<br />

modernster Edelstahlzüge auf.<br />

Sie verkürzten die Reisezeit<br />

zwischen Chicago und Denver<br />

um zehn Stunden.


64 EDWARD. G. BUDD


EDWARD. G. BUDD 65<br />

hatte, mit Hilfe der New Yorker Bank Ladenburg gelungen, seine Bilanz<br />

wieder auf gesunde Füße zu stellen. In den zwei Jahrzehnten zuvor hatte<br />

Budd die Automobilindustrie mit einiger Ausdauer davon überzeugt, dass<br />

eine Ganzstahlkarosserie in jeder Hinsicht Autos aus Holz überlegen war.<br />

Jetzt konnte er sich mit frischem Kapital daran machen, Eisenbahnen die<br />

Vorzüge aus Edelstahl gefertigter Waggons zu zeigen.<br />

HOLZ, DAS DEM STAHL WEICHEN MUSSTE<br />

Budd war sein gesamtes Arbeitsleben lang stur, wenn es darum ging,<br />

konventionelle Materialien durch moderne <strong>Werkstoffe</strong> zu ersetzen. Er<br />

schlug seinen eigenen Weg ein – und das ging, wie sich nach einigen<br />

Lehr- und Arbeitsjahren in anderen Unternehmen gezeigt hatte, nur in<br />

seiner eigenen Firma. Als Fortune den Bericht über Budd schrieb, war<br />

sein Unternehmen schon ein Vierteljahrhundert alt. Gerade einmal<br />

250.000 Dollar hatten dem Praktiker Budd, der nach der High School-<br />

Zeit niemals ein College oder eine Universität besucht hatte, zur Gründung<br />

im Jahr 1912 zur Verfügung gestanden. Die Firma war damit so<br />

arm, dass das erste Presswerk in dem einstöckigen Fabrikgebäude in<br />

Philadelphia keinen Platz fand und zunächst zwar nicht in einer Garage,<br />

wohl aber in einem Zirkuszelt betrieben werden musste. Wichtiger als<br />

das knappe Geld war hingegen, dass es Budd gelungen war, die hellsten<br />

Köpfe bei seinem vorherigen Arbeitgeber Hale & Kilburn abzuwerben<br />

und mit ihnen gemeinsam den Neuanfang zu wagen. Das galt vor<br />

allem für den Ingenieur Joseph Ledwinka, der aus Wien stammte und<br />

mit seinen Erfindungen für Budd unverzichtbar wurde. Zudem halfen<br />

Die Möglichkeiten des<br />

neuen Werkstoffs Stahl wurden<br />

anfangs wenig genutzt. Die<br />

ersten Ganzstahlkarosserien<br />

waren noch sehr von ihren<br />

Vorbildern aus Holz geprägt –<br />

Revolutionen brauchen<br />

eben ihre Zeit.<br />

Mit Stahl zum großen Erfolg


66 EDWARD. G. BUDD<br />

die schon bestehenden Kontakte zur Autoindustrie, um an Aufträge zu<br />

kommen. Der erste Kunde für die Ganzstahlkarosserie des jungen Unternehmens<br />

war kein Geringerer als der Chef des Autoherstellers General<br />

Motors, Charles Nash. Der Durchbruch für Budd kam aber erst mit<br />

dem Auftrag der Gebrüder Dodge, die sich 1914 als Autohersteller<br />

selbständig gemacht hatten und nicht mehr nur Zulieferer für Henry<br />

Ford sein wollten. John und Horace Dodge hatten in den beiden Jahren<br />

zuvor viel Gutes von den Ganzstahlkarosserien aus Philadelphia gehört,<br />

nicht zuletzt auch davon, dass sie 10 Dollar billiger waren als die Konkurrenz<br />

aus Holz. Sie bestellten 5000 Stück – doch mit diesem Auftrag<br />

war das provisorische Zelt für Budd keine Lösung mehr. Es folgte ein<br />

Umzug, und nur ein Jahr später kam aus dem Hause Dodge die nächste<br />

Bestellung über die zehnfache Menge von Karosserien. Bei Budd erhöhte<br />

sich die Mitarbeiterzahl sprunghaft auf 2000. Nur zwei Jahre<br />

zuvor hatte das Unternehmen lediglich 800 Mitarbeiter beschäftigt.<br />

Inzwischen verließ in jeder Minute ein Karosseriesatz das Werk.<br />

Mit der Hilfe von neuen Schweißmaschinen ließ sich der Takt bald auf<br />

zwei Sätze je Minute erhöhen.<br />

So ging es weiter. Knapp zehn Jahre später verließen Millionen<br />

Karosserien die Bänder; die Kunden hießen Ford, Chrysler und Studebaker.<br />

Budd selbst war bei seinen Mitarbeitern nicht nur wegen der sicheren<br />

Arbeitsplätze beliebt. Der in einer kleinen Stadt aufgewachsene<br />

Unternehmer, der mit 17 als Lehrling in einem Maschinenbaubetrieb<br />

angefangen hatte, war zugänglich, ließ sich häufiger in den Fabrikhallen<br />

sehen als im Büro, kannte die meisten Beschäftigten persönlich. Er<br />

spendierte seinen Mitarbeitern schon kurz nach der Gründung des Unternehmens,<br />

mitten im Ersten Weltkrieg, eine kostenlose Lebensversicherung,<br />

mied nach Möglichkeit aber glanzvolle öffentliche Auftritte.<br />

Budd handelte lieber, weniger wollte er mit seinen Errungenschaften<br />

glänzen. In einer eigenen Werksklinik arbeitete ein nur für die Budd<br />

Company tätiger Werksarzt. Frauen verdienten bei ihm stets genauso<br />

viel wie Männer. Und vom Tag der Gründung an waren seine Mitarbeiter<br />

am Erfolg des Unternehmens beteiligt. Edward Budd verstand mehr<br />

Die Fabriken von<br />

Edward G. Budd galten<br />

stets als sehr<br />

fortschrittlich. Davon<br />

zeugen auch die mehr<br />

als hundert Patente von<br />

Budd – im Automobil-<br />

und im Eisenbahnbau.<br />

Karosserien<br />

im Minutentakt<br />

von dauerhafter Mitarbeitermotivation als die meisten seiner Zeitgenossen.<br />

STAHLAUTOS, DIE DURCH STABILITÄT GLÄNZTEN<br />

Vor allem war Budd erfolgreich. Seine potentiellen Abnehmer waren<br />

meist mit dem Bau von Kutschen groß geworden, und die waren eben<br />

aus Holz. Zwar besaß Budd so viele Patente, dass auf Jahrzehnte kein<br />

Autohersteller Ganzstahlkarossen pressen lassen konnte, ohne sein<br />

Unternehmen zu fragen. Doch war es Budd wichtiger, die Welt von seinem<br />

Konzept zu überzeugen als die Industrie mit überhöhten Lizenzgebühren<br />

zu gängeln und damit den Siegeszug des fortschrittlichen Materials<br />

Stahl zu bremsen. Das ist bis heute ein auch in anderen<br />

Branchen häufig genutztes Vermarktungskonzept geblieben. Bei seiner<br />

Überzeugungsarbeit war Budd zudem ein Freund spektakulärer Werbeaktionen:<br />

Hin und wieder ließ er seine Stahlautos sogar Klippen herunterstürzen<br />

und forderte seine Holzwettbewerber dazu auf, das Gleiche<br />

mit ihren Produkten zu versuchen. Auch ein Elefant musste herhalten,<br />

um die Stabilität eines Budd-Stahldachs zu beweisen.<br />

EIN UNTERNEHMER, DER DEN WEG NACH EUROPA W<strong>AG</strong>TE<br />

Budd war niemals ängstlich, wenn es um den zügigen Ausbau der Unternehmensaktivitäten<br />

ging. Den Schritt, mit einem eigenen Werk in die<br />

amerikanische Autometropole Detroit zu gehen, wagte er eher zu früh<br />

als zu spät. Und nach Europa zog es ihn schon 1924. Damals zeigte<br />

Citroën Interesse an seinen Produkten. So entstand unter anderem die<br />

Ambi-Budd Presswerk GmbH in Berlin, die in den Jahren darauf zu<br />

einem Lieferanten der Frankfurter Adler-Werke, an der Ambi-Budd beteiligt<br />

war, aber auch von Porsche, BMW oder Mercedes-Benz werden<br />

sollte. Der Kübelwagen von Volkswagen hatte bis zur Zerstörung des<br />

Berliner Werks bei einem Bombenangriff kurz vor Kriegsende ebenfalls<br />

eine Stahlkarosse von Ambi-Budd. Das deutsche Unternehmen war damals<br />

natürlich schon längst nicht mehr mit dem amerikanischen Mutterkonzern<br />

verbunden. Leider hatte die Expansion nach Europa in den<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

EDWARD. G. BUDD 67<br />

frühen dreißiger Jahren Budd nicht dabei helfen können, die Wirtschaftskrise<br />

besser zu überwinden. Im Gegenteil, der zeitgleiche Abschwung<br />

in Amerika und Europa traf Budd nun mit doppelter Härte.<br />

Plötzlich fand sich das Unternehmen mitten in eben jenen elf Verlustjahren<br />

wieder, die Fortune-Redakteure 1937 so akkurat zusammengezählt<br />

hatten. Doch Budd hielt durch. Er konnte 1934 nicht nur die<br />

Schwierigkeiten mit seinen Banken lösen. Im selben Jahr nahm auch<br />

der erste ausschließlich aus Edelstahl gebaute Eisenbahnzug seinen<br />

Dienst auf, der unter Eisenbahnfreunden legendäre Chicago, Burlington<br />

& Quincy „Zephyr“. Der aerodynamische, silbern glänzende Zug bestach<br />

mit einem niedrigeren Gewicht bei höherer Stabilität, einem<br />

neuen Dieselmotor von General Motors, neu entwickelten Sitzen, einer<br />

neuen Beleuchtung – und wurde trotz Wirtschaftskrise zu einem großen<br />

Erfolg, der zahlreiche Eisenbahngesellschaften dazu veranlasste, fortan<br />

vergleichbare Züge einzusetzen. Besonders die von den Budd-Ingenieuren<br />

entwickelte Schweißmethode für Edelstahl war revolutionär.<br />

Gleichwohl wurde Budd zunächst für die hohen Kosten der modernen<br />

Züge kritisiert. Er sagte darauf nur: „Ich bin an den Kosten nicht interessiert,<br />

es ist der Wert und der Nutzen, der zählt. Wir benutzen schließlich<br />

auch Diamanten, um Stahl zu schneiden.“ Doch blieb es zunächst<br />

noch für einige Zeit das Problem des Pioniers ohne Profit, beweisen zu<br />

können, dass sich Züge mit klangvollen Namen wie „Super Chief“,<br />

„Champion“, „Flying Yankee“, „Silver Meteor“, „Empire State Express“<br />

oder „El Capitan“ von der Budd Manufacturing Company mit Gewinn<br />

bauen ließen. In den Jahren des Zweiten Weltkriegs brauchte sich Budd<br />

um die Auslastung seiner Fabriken ohnehin keine Sorgen mehr zu machen.<br />

Das Unternehmen wurde wieder in die Rüstungsproduktion eingebunden.<br />

Budd überlebte den Krieg, starb aber 1946 im Alter von 75<br />

Jahren. Damals übernahm sein Sohn Edward G. Budd Jr. die Leitung<br />

des Unternehmens. 1985, knapp 40 Jahre nach seinem Tod, wurde der<br />

Name des Pioniers der Ganzstahlkarosserie in die „Hall of Fame“, also<br />

in die Ehrenliste der Größen der amerikanischen Autoindustrie, in Dearborn<br />

im Bundesstaat Michigan aufgenommen. 7


68 GALLARDO<br />

Das Design ist Leitlinie:<br />

Luc Donckerwolke, der Designer<br />

des Lamborghini Gallardo,<br />

schuf eine Skulptur auf Rädern.<br />

<strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz hat sie<br />

mit einer Aluminium-Karosserie<br />

zum Leben erweckt.<br />

In Sant’ Agata wird sie mit<br />

allerlei feinen Dingen gefüllt.


Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

GALLARDO 69<br />

Von Rüdiger Abele | Fotos <strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz, Lamborghini<br />

Man nehme am besten 384 Aluminiumblech-, strangpressprofil-<br />

und -gussteile, 864 Stanznieten, 181 Schrauben, jage die<br />

Nieten an verordneter Position in das Leichtmetall, ziehe 115<br />

Meter Schweißnaht, drehe die Schrauben am vorgesehenen Ort fest<br />

und füge an passender Stelle noch Klebstoff hinzu: Fertig ist die Rohkarosserie<br />

eines Lamborghini Gallardo. Wenn – ja, wenn das so einfach<br />

wäre. Denn Aluminium zu verarbeiten, ist kompliziert. Doch die<br />

<strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz GmbH in Heilbronn hat in ihrer langen Geschichte<br />

soviel Know-how im Karosseriebau angesammelt, dass Lamborghini<br />

ihr die komplette Fertigung der Rohkarosserie des flotten Flitzers anvertraut<br />

hat – schließlich wirkte Drauz ja schon bei den Alu-Karossen<br />

der Modelle Audi A2 und A8 mit. Beweis für die Qualität von Drauz:<br />

Die kunstvollen Lamborghini-Metallgebilde gelangen bei Audi direkt in<br />

die hochmoderne Lackierstraße.<br />

SCHMACKHAFTE ZUTATEN FÜR EINE AUTOMOBILE DELIKATESSE<br />

Vor dem Ausflug in die Produktion bei <strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz sei der Blick<br />

auf das fertige Produkt gestattet: Ein Hochleistungsportwagen ist der<br />

Lamborghini Gallardo, gerade mal 1,16 Meter hoch, ein Fahrzeug, dem<br />

man seine Rasanz abnimmt, auch ohne die technischen Daten zu kennen.<br />

Sie seien dennoch genannt, weil sie äußerst schmackhafte Zutaten<br />

dieser automobilen Delikatesse sind: Der Motor schöpft aus zehn<br />

Zylindern mit insgesamt 5,0 Liter Hubraum satte 500 PS (368 kW), die<br />

den fahrbereit rund 1600 Kilogramm leichten Sportwagen innerhalb<br />

von 4,2 Sekunden die 100-km/h-Marke erreichen lassen. Der Vortrieb<br />

endet erst jenseits von 300 km/h. Noch Fragen?<br />

Italienischer<br />

Sportwagen im<br />

leichten Kleid<br />

<strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz fertigt die Aluminiumkarosserie<br />

des Lamborghini Gallardo


70 GALLARDO<br />

Auf einem schnöden Wagen<br />

kommt der Lamborghini zunächst<br />

(obendrein höhergelegt) ins<br />

Rollen. Zur Rohkarosserie gehören<br />

fast vierhundert Aluminiumteile,<br />

die mit Stanznieten, Schrauben<br />

sowie mit Schweißnaht und Klebstoff<br />

zusammengefügt werden.<br />

Vielleicht die nach dem Design. Denn die Form der Karosserie hat<br />

natürlich Folgen für die Fertigung, wie bei <strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz deutlich<br />

wird. Der aus Belgien stammende Lamborghini-Hausdesigner Luc<br />

Donckerwolke schuf den Gallardo als Skulptur auf Rädern – und war sich<br />

dieses Auftrags offenbar sehr bewusst. Denn in der Karosserie spiegelt<br />

sich große künstlerische Freiheit wieder, die fertigungstechnisch eine<br />

Vielzahl an Herausforderungen birgt: nicht praktisch und glatt wie die Karosserie<br />

von Großserienautos, sondern exaltiert und extravagant, mit<br />

scharfen Linien und schnittigen Vertiefungen. Che bella machina!<br />

HÖCHSTE QUALITÄT IST EINE SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT<br />

So wundert es nicht, dass die Gallardo-Karosserie zu 95 Prozent in<br />

Handarbeit entsteht, zumal nur eine relativ kleine Stückzahl gebaut<br />

wird. In der hellen, blitzsauberen Werkhalle von <strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz<br />

tummeln sich rund 100 Mitarbeiter, um dem Aluminium die schnittige<br />

Endform beizubringen, dazugesellt haben sich zwei Roboter für Spezialaufgaben.<br />

Es gilt die Devise: Höchste Qualität ist zu produzieren. Deshalb<br />

wurden die Männer und Maschinen, bevor 2003 die Produktion<br />

anlief, fast anderthalb Jahre lang gründlich trainiert. Auch deswegen,<br />

weil Aluminium seine Eigenheiten hat und in vielerlei Hinsicht nicht vergleichbar<br />

ist mit Stahl. Mancher Mitarbeiter, der den Stahl-Karosseriebau<br />

von der Pike auf gelernt hat, musste sich stark umstellen.<br />

Teil um Teil wird so zusammengefügt – doch mittels Schweißen<br />

nur, wenn es konstruktiv absolut notwendig ist. Dieses Fügeverfahren<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

Genauigkeit heißt die Devise<br />

Schon die Zeichnungen<br />

lassen erkennen, dass an<br />

<strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz<br />

große Herausforderungen in<br />

der Fertigungstechnik<br />

gestellt werden. Um die<br />

Karosserie für den Lamborghini<br />

Gallardo vollenden zu<br />

können, ist auch eine Menge<br />

Handarbeit nötig.<br />

GALLARDO 71


72 GALLARDO<br />

ist in der Aluminiumfertigung nicht unbedingt beliebt: Zum einen muss<br />

das Werkstück immer so ausgerichtet sein, das die Naht zugänglich ist<br />

– und deshalb sieht man bei <strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz zahlreiche maßgeschneiderte<br />

Drehvorrichtungen, um die Teile entsprechend auszurichten.<br />

Zum anderen breitet sich die entstehende große Hitze aufgrund der<br />

vorzüglichen Wärmeleiteigenschaften des Leichtmetalls großflächig im<br />

Material aus, lässt es ausdehnen – um beim Abkühlen mitunter nicht in<br />

die ursprüngliche Form zurückzugehen. Das aber darf nicht sein bei Toleranzen<br />

von einem Millimeter im gesamten Rahmen des Gallardo und<br />

sogar nur zwei Zehntelmillimeter bei sichtbaren Teilen, etwa dem Abstand<br />

zwischen Tür und Rahmen. Deshalb berücksichtigen die Ingenieure<br />

die besonderen Materialeigenschaften des Aluminiums schon bei<br />

der Karosserie-Konstruktion und legen auch fest, wie die Teile zusammengefügt<br />

werden. Nieten etwa produzieren keinen Wärmeverzug, man<br />

nimmt sie, wo immer es geht, oder auch Schrauben – deshalb trägt der<br />

Lamborghini Gallardo so viele davon an unsichtbaren Stellen in sich.<br />

Der Monteur bedient sich eines Handgeräts oder nutzt eine entsprechende<br />

Anlage, um die Stanznieten in die Materialverbindung, wie der<br />

Ingenieur sagt, einzupressen. Ein nachdrückliches „Pock“ ist zu vernehmen<br />

– der Niet sitzt, und schon landet der nächste an vorbestimmter<br />

Stelle. Viele „Pocks“ lassen eine wunderbar gepunktete Linie entstehen,<br />

die hohe Festigkeit verleiht.<br />

Für den Lamborghini Gallardo entsteht zunächst der untere Rahmen,<br />

je nach Konstruktions-Vorgabe geschweißt oder genietet. Und<br />

zwar aus drei Sektionen: Vorderwagen und Hinterwagen werden mit<br />

Lamborghini-Hausdesigner<br />

Luc Donckerwolke hat wiederum<br />

eine Vision wirklich werden<br />

lassen, mit Ecken und Kanten,<br />

Einschnitten und Wölbungen.<br />

Roboter und feinfühlige<br />

Sensoren sorgen dafür, dass<br />

die Rohkarosse zur Formvollendung<br />

findet.<br />

Ein schickes Kleid aus Aluminium<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


dem Boden verbunden und geben ein erstes Gefühl, dass hier ein Auto<br />

entsteht. Ein wunderbares Beispiel, wie auf die Materialeigenschaften<br />

von Aluminium eingegangen wird, sind die FDS-Spezialschrauben<br />

(„Flow Drill Screw“), mit denen die Bodenbleche befestigt werden und<br />

um die sich einer der beiden Roboter kümmert: An seinem Arm ist ein<br />

Schraubautomat befestigt, dem per Luft die Schraube zugeschossen<br />

wird. Er lässt ihre Spitze auf dem nicht vorgebohrten Blech rotieren, so<br />

dass dort eine Temperatur von rund 200 Grad Celsius entsteht. Dabei<br />

wird das Aluminium weich, die Schraube dringt ein, furcht sich dabei ihr<br />

Gewinde, und die dosierende Steuerelektronik sorgt für ein Anzieh-<br />

Drehmoment von exakt sieben Newtonmeter.<br />

DIE ROHKAROSSERIE WIRD PENIBEL KONTROLLIERT<br />

Am Rahmen befestigen die Blechspezialisten die Außenhaut, Kotflügel<br />

für Kotflügel, Panel für Panel wird die schnittige Linie des Lamborghini<br />

erkennbar. Wiederum wird viel genietet, aber auch Schweißbrenner<br />

entzünden am Leichtmetall ihr verbindendes Feuer. Was er an Naht hinterlässt,<br />

wird zunächst grob mit einer Feile egalisiert. Für den letzten<br />

Feinschliff sorgen Karosseriespezialisten: Schmirgelnd wird jede noch<br />

so feine Unebenheit geglättet, fährt der Mann fühlend mit den Handschuhen<br />

darüber, nimmt noch einen Hauch Aluminium weg. Schließlich<br />

ist da, wo eben noch die Naht gut sichtbar war, eine absolut ebenmäßige<br />

Oberfläche.<br />

Nach all den Fertigungsschritten wird jede Rohkarosserie geprüft,<br />

ob sämtliche Maße so sind, wie Lamborghini es wünscht. Dazu<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

Der Lamborghini-Gallardo<br />

ist ein Star auf den Straßen,<br />

Streets und Stradas dieser<br />

Welt. Fünfhundert Pferdestärken<br />

stehen bereit, um in knapp<br />

vier Sekunden auf Tempo<br />

100 zu kommen, mit leichter<br />

Karosserie.<br />

GALLARDO 73<br />

wird der künftige Sportwagen für kurze Zeit höher gelegt und gelangt<br />

in den „Lehrenwagen“, der den genauen Abmaßen entspricht. Weicht<br />

etwas ab, wird es gerichtet – doch an dieser Stelle der Produktion<br />

kommt das kaum noch vor. Eine Rohkarosserie wird jeden Tag noch<br />

rigoroser untersucht: Im Messraum tastet ein feinfühliger Sensor<br />

während vier Stunden rund Tausend Punkte ab und vergleicht sie mit<br />

den Computerdaten.<br />

Der Lamborghini-Torso ist noch nicht fertig. Das „Finishing“<br />

steht auf dem Programm: Die Karosserie wird mit feinem und feinstem<br />

Schleifmittel komplett geglättet. Das Ganze passiert in einem abgeteilten<br />

Raum, der erstens von bestem Licht erleuchtet ist und zweitens<br />

eine Feinstaubabsaugung hat. Wer hier arbeitet, ist ein absoluter<br />

Fachmann: Das Gespür und das Augenmaß, wo noch ein Hauch Metall<br />

wegzunehmen ist oder wo mit dem Hammer ganz leicht geklopft<br />

werden muss, um die dann wirklich perfekte Oberfläche zu bekommen,<br />

entwickelt nicht jeder. Und man lernt: Glatt ist noch nicht glatt<br />

genug. Denn erst die Lackierung offenbart gnadenlos jede noch so<br />

feine Unebenheit.<br />

Damit hat <strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz seinen Teil am Lamborghini<br />

Gallardo getan: Makellose Rohkarosserien zu fertigen, die per Lastwagen<br />

erst zu Audi in die Lackierstraße und dann nach Sant’Agata in Italien<br />

gelangen. Dort bekommt der Gallardo all das, was einen italienischen<br />

Supersportwagen ausmacht – damit er mit seiner Technik und<br />

seinem hübschen Aluminiumkleid auf den Straßen, Streets und Stradas<br />

dieser Welt brilliert. 7


74 EISSTADION<br />

Eishockey – die schnellste und eine<br />

der härtesten Mannschaftssportarten der<br />

Welt. Hautnah beim Spiel dabei zu sein,<br />

ist für die Fans das größte Erlebnis<br />

Von Benedikt Breith | Fotos Andreas Möltgen<br />

Der Reiz liegt in der Schnelligkeit. In einer solchen Schnelligkeit,<br />

dass sie für den Menschen nicht nachvollziehbar ist. Nicht weniger<br />

liegt der Reiz aber in der prickelnden Gefahr. Einer solchen<br />

Gefahr, dass der Mensch sie sucht – wohl wissend, dass er sicher ist.<br />

Wir reden vom Eisstadion, konkret vom Stadion der Düsseldorfer Eislauf<br />

Gesellschaft (DEG) – seit Jahren und Jahrzehnten bekannt für die Stimmung<br />

der Fans, die durch die Kreativität der Sprüche, der Gesänge, der<br />

überschäumenden, aber nicht ausufernden Emotion immer wieder auf<br />

sich aufmerksam gemacht haben. Aus gutem Grund, denn Spieler und<br />

Fans leben in diesem Stadion in unmittelbarer Nähe. Bei einem Spiel,<br />

dessen Schnelligkeit die Faszination und das größte Gefahrenpotenzial<br />

ausmacht.<br />

KUNSTSTOFF ALS SCHUTZ FÜR DIE ZUSCHAUER<br />

Denn der Puck – der Stein der Weisen im Eishockey, der über Triumph<br />

und Enttäuschung entscheidet, erreicht, amtlich festgestellt, eine Aufprallgeschwindigkeit<br />

von 50 Metern in der Sekunde, was einer Stundengeschwindigkeit<br />

von 180 Kilometern in der Stunde entspricht. Für<br />

Eine Stadionbande für die Emotionen<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


die Zuschauer kann dies lebensgefährlich sein. Also wird Vorsorge getroffen.<br />

Im Fall des Düsseldorfer Stadions von <strong>ThyssenKrupp</strong> Services:<br />

Das Segment lieferte vor kurzem eine neuartige Bandenumrandung<br />

aus einem Werkstoff, den man natürlich nicht als Erstes mit Thyssen-<br />

Krupp assoziiert: Kunststoff. „Als Handelsorganisation besteht unsere<br />

Angebotspalette aus einem breiten Portfolio von <strong>Werkstoffe</strong>n“, fasst<br />

Werner Eschbach, Vorstandsmitglied der <strong>ThyssenKrupp</strong> Schulte GmbH,<br />

einem Unternehmen von <strong>ThyssenKrupp</strong> Services, die Gegebenheiten<br />

zusammen. Er ist zuständig für die Kunststoffsparte, ein Fachmann, der<br />

alles in allem seit mehr als fünfundzwanzig Jahren in diesem Metier<br />

tätig ist. „Man muss von dem Material, das man verkauft, begeistert<br />

sein“, lautet seine Überzeugung. Nur so könne man in einem mittelständisch<br />

geprägten Markt, wie er bei Kunststoffen herrsche, erfolgreich<br />

tätig sein.<br />

Der Auftrag für die neue Bande im Eisstadion der DEG trägt sicher<br />

nicht zur gewaltigen Umsatzsteigerung des Kunststoffhandels bei<br />

(worin aber <strong>ThyssenKrupp</strong> Services Weltmarktführer ist). Doch es ist ein<br />

Referenzprojekt, das jeden überzeugt. Pucksicherheit, Transparenz,<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

Das Produkt „Margard ® “,<br />

ist schlagzäher als Glas. So<br />

schnell der Puck auch auf die<br />

Bande trifft, die Zuschauer<br />

stehen sicher und können<br />

ungestört dem schnellen Spiel<br />

auf dem Eis zuschauen, mit<br />

größter Begeisterung.<br />

EISSTADION 75<br />

Lichtdurchlässigkeit – dem sind die „Margard ® “-Polycarbonatplatten in<br />

jeder Weise gewachsen. Dies ist nicht nur eine werbewirksame Aussage,<br />

sondern das Ergebnis von extremen Prüfungen. Ein Prüfungszeugnis<br />

listet genau auf, wem alles der transparente Werkstoff trotzen<br />

musste: Dreißig Mal wurde der Puck auf das Polycarbonat geschossen,<br />

im Auftreffwinkel von 90 Grad, insgesamt vierundzwanzig Mal dann<br />

noch in einem Winkel von 45 Grad, bei gemessenen Aufprallgeschwindigkeiten<br />

von 50 Metern in der Sekunde.<br />

EINE BANDE MIT GROSSER PUCKSICHERHEIT<br />

Das war nicht alles: „Das Verglasungselement wurde 24 Stunden vor<br />

der Prüfung in einer Klimakammer auf 0 Grad vorklimatisiert, da in Eissporthallen<br />

in Bodenhöhe derartige Temperaturen vorherrschen und<br />

entscheidenden Einfluss auf die Schlagfestigkeit der Verglasung ausüben.“<br />

Das Ergebnis weist lakonisch aus: „Keine Veränderungen am<br />

Einbauelement. Das geprüfte Einbauelement überstand die Beanspruchung<br />

ohne Schäden. Es erwies sich somit als pucksicher gemäß den<br />

vorgenannten Prüfbedingungen.“


76 EISSTADION<br />

Frei war damit der Weg, den Fans in Düsseldorf neue Transparenz und<br />

ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewähren. Das ist schon ein eigenartiges<br />

Gefühl. Hinter der Bande zu stehen, umgeben von einem ohrenbetäubenden<br />

Stimmengewirr, einer bunten Mischung aus Musik, Geschrei,<br />

anfeuernden Parolen und verächtlichen Sprüchen. Getrennt<br />

durch die kaum wahrnehmbare durchsichtige Bande, wähnt man sich<br />

umso mehr mitten im Spiel. Nicht zuletzt, weil einem die Pucks nur so<br />

um die Ohren fliegen – und vor der Bande gar keinen Halt machen, zur<br />

Begeisterung des Zuschauers, dem sie ins Gesicht donnern – gottlob<br />

nur scheinbar, dank der Schlagzähigkeit und Pucksicherheit des Polycarbonats.<br />

DURCHSICHTIGE SCHÖNHEIT IN EISKALTER UMGEBUNG<br />

Interessiert dies den Fan? Herzlich wenig. Doch wie es im Leben ist: Um<br />

Transparenz herzustellen, bedarf es großer Mühe. Eschbach argumentiert<br />

auch ganz grundsätzlich: „Wir sind Dienstleister und setzen uns auf<br />

den Stuhl des Kunden, um herauszufinden, was der Kunde braucht.<br />

Dieses liefern wir ihm.“ Rasch zieht er eine ganze Palette von Produkten<br />

hervor, die sich mit einem für ihn genauso wichtigen Werkstoff be-<br />

Der Puck bleibt sicher auf dem Eis<br />

schäftigen: Acryl – er vergisst nicht, die wunderbare Ästhetik von Acryl<br />

zu loben. Luxusmöbel aus Acryl, hoch kreative Kunstwerke aus Plexiglas®,<br />

„transparente Schönheiten“ genannte Lichtskulpturen, in der<br />

Licht und Plexiglas einander begegnen und miteinander in einen Dialog<br />

eintreten. „Die Marke Plexiglas® signalisiert Verlässlichkeit, Qualität<br />

und Innovationsfähigkeit.“<br />

Es bildet, folgt man Eschbachs Darstellung, die ideale Ergänzung<br />

zum Polycarbonat (das 1953 von dem Bayer-Forscher H. Schell erstmalig<br />

hergestellt und schon 1958 in industriellem Maßstab umgesetzt<br />

wurde, dasselbe gelang auch D.W. Fox, der zur selben Zeit das Polycarbonat<br />

für General Electric entdeckte). Schier unbegrenzt sind die Anwendungen,<br />

als Überdachung von Wintergärten, als Material für in die<br />

Zukunft gerichtete Badewannenformen, als Tonnengewölbe, als<br />

Schutzschild und Visier, als Fahrzeugverglasung und schützende Geräteverblendung.<br />

Gemessen daran kommt die Bande im Düsseldorfer Stadion<br />

schlicht daher. Wie sollte es anders sein? Es geht hier nicht (was sonst<br />

aus Eschbachs Sicht auch ein interessantes Anwendungsgebiet ist) um<br />

die Verwendung von Kunststoffen in der Luft- und Raumfahrt. Gefragt<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


ist hier eine Barriere, die trennt und dennoch alle miteinander vereint.<br />

Eine Schutzwand, die dennoch Emotionen durchlässt, dank der Lichtdurchlässigkeit<br />

im wahrsten Sinn des Wortes, gleichzeitig aber vor den<br />

Folgen der Härte und den Gefahren eines mitreißenden Eishockeyspiels<br />

jeden Besucher schützt. Zu fatal wären die Folgen, wenn ein Puck den<br />

ungehemmten Weg zu einem Zuschauer finden würde.<br />

Vergessen wir nicht den weit reichenden thermischen Einsatzbereich,<br />

der für Polycarbonat bei vierzig Grad unter Null beginnt und bei<br />

hundertfünfzehn Grad über Null endet. Und vergessen wir auch nicht<br />

die guten bis sehr guten Verarbeitungsmöglichkeiten. Denn das so genannte<br />

„Halbzeug aus PC“ (dazu zählt das Material der Stadionbande)<br />

lässt sich kalt biegen und warm formen, kalt und warm abkanten,<br />

sägen, bohren, fräsen, nageln und schrauben, ohne zu splittern. Obendrein<br />

ist es beständig gegen Chemikalien, gegen Benzin, Öle und aromatenfreie<br />

Fette.<br />

TRANSPARENZ LIEGT VOLL IM TREND<br />

Seine Begeisterung über diesen Werkstoff verhehlt Werner Eschbach<br />

nicht. Der Kunststoffhandel bewege sich in einem Wachstumsmarkt,<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

Die Anforderungen an<br />

die Stadionbande sind hoch.<br />

Sie muss wie eine Schutzwand<br />

sein, doch sie muss vor allem<br />

die Emotionen begeisterter<br />

Fans passieren lassen. Unter<br />

den harten Bedingungen, wie<br />

sie im Eisstadion herrschen,<br />

wurden die Polycarbonatplatten<br />

geprüft – und dann zum Einbau<br />

genehmigt.<br />

EISSTADION 77<br />

umschreibt er die Lage aus der Sicht des Dienstleisters. „Hier sind wir<br />

extrem gut und breit aufgestellt, die Wertschöpfung ist überdurchschnittlich.“<br />

Transparenz herzustellen, liegt im Trend. Zumal bei einem Konzern<br />

wie <strong>ThyssenKrupp</strong>, der sich mit voller Absicht an die Spitze der<br />

Transparenz stellt (bei der Corporate Governance). Diesen Vergleich<br />

würde Eschbach natürlich nicht machen, aber die Parallele hält er für<br />

interessant. Um gleich hinterher zu schieben, dass die neue und hoch<br />

transparente Bande ein richtig tolles Beispiel dafür ist, wie Thyssen<br />

Krupp Schulte interessante Aufträge mit einer breiten Öffentlichkeitswirkung<br />

an sich ziehen kann.<br />

Übrigens ohne Einfluss auf den Ausgang des Spiels. Denn das<br />

Ergebnis des 156. rheinischen Derbys zwischen den DEG Metro Stars<br />

und den Kölner Haien ging kurz vor Weihnachten so aus, wie es der in<br />

Düsseldorf arbeitende, aber aus Köln stammende Werner Eschbach<br />

vielleicht doch, dem Herzen folgend, ein wenig goutierte: 3 : 0 für die<br />

Haie aus der Domstadt. Gesehen haben es mehr als zehntausend Besucher,<br />

durch und über die neue Bande hinweg, die jeden Blick passieren<br />

ließ, aber jeden Puck aufhielt. 7


78 WERKSTOFFAUSWAHL


<strong>Werkstoffe</strong> aus<br />

Metall – und<br />

ein Mann, der<br />

sie alle kennt<br />

Von Heribert Klein | Fotos Claudia Kempf<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

WERKSTOFFAUSWAHL 79<br />

Jochen Adams arbeitet bei <strong>ThyssenKrupp</strong><br />

Schulte. Er gilt als Erfinder eines Werkstoff-<br />

Auswahlprogramms – für Kunden die<br />

ideale Datenbank, um in kürzester Zeit das<br />

richtige Material zu finden<br />

Was er denn sei, welche Funktion er genau ausübe – darüber<br />

lässt er nicht den Hauch eines Zweifels aufkommen. Jochen<br />

Adams, so weist es seine Visitenkarte aus, ist „Leiter Zentraler<br />

Technischer Verkauf/Qualitätsmanagement“ bei <strong>ThyssenKrupp</strong> Schulte,<br />

einem Unternehmen von <strong>ThyssenKrupp</strong> Services. Der Titel klingt<br />

sperriger, als Adams wirkt. Denn dahinter verbirgt sich ein Mann, dessen<br />

ganzes Berufsleben vom Wissen, dem Interesse und der Leidenschaft<br />

für die metallischen <strong>Werkstoffe</strong> geprägt ist.<br />

„Hier gibt es viel zu tun“, sagt er in seinem Büro sitzend, das<br />

überquillt vor Akten, Blättern und Ordnern. Zu jedem Thema aus der<br />

Werkstoffkunde fallen ihm tausend weiterführende Gedanken ein. Dieser<br />

Prokurist namens Adams scheint ein wandelndes Lexikon zu sein,<br />

ein Mensch, der sehr wohl den Computer zu nutzen weiß, der aber mindestens<br />

genauso auf dem Prinzip beharrt: „Man muss viel lesen, um zu<br />

wissen, wo etwas steht.“ Dies alles im Sinne eines Dienstleisters für die<br />

Niederlassungen von <strong>ThyssenKrupp</strong> Schulte in allen Fragen, die metallische<br />

<strong>Werkstoffe</strong> betreffen.<br />

EINE DATENBANK ENTSTEHT ZUERST IM KOPF<br />

Diplom-Ingenieur Adams gilt als der „Erfinder“ und Betreiber eines praxisorientierten<br />

Werkstoffauswahlprogramms. Dahinter verbirgt sich<br />

eine mittlerweile schon gigantisch anmutende Datenbank, auf deren<br />

Grundlage Adams jedem Kunden die exakt auf seine Bedürfnisse zutreffende<br />

Stahlsorte anbieten kann „Wir haben jeden Stahl genommen<br />

und seine Eigenschaften analysiert, wobei nicht die Grenzwerte einer<br />

Norm für uns entscheidend waren, sondern die realistischen Daten unserer<br />

Auswertungen. Insofern haben wir wirklich gemessene Ergebnisse,<br />

die wir an unsere Kunden weitergeben können.“ Er hält sich zugute,<br />

dass er weiß, wovon er spricht, wenn er Ratschläge gibt. Von Haus aus<br />

ist er Metallkundler, 1967 fing er bei Thyssen Röhrenwerke an, wechselte<br />

dann 1970 zum Grobblechwalzwerk nach Duisburg-Süd in den<br />

Bereich des Qualitätswesens. „Man muss in seinem Leben viel Glück<br />

haben, um zum Erfolg zu kommen“, stellt er fest. Dass er, um nur ein<br />

Beispiel zu nennen, in dem Grobblechwalzwerk einen Stapel Prüfergebnisblätter<br />

von Stählen vorfand, an denen keiner außer ihm selbst Interesse<br />

hatte, war so ein Glücksfall.


80 WERKSTOFFAUSWAHL<br />

Den Kunden genau im Blick<br />

Jochen Adams hat<br />

die Eigenschaften von jedem<br />

Stahl analysiert und im<br />

Computer gespeichert. Die<br />

erfassten Daten sind für die<br />

Kunden von wesentlichem<br />

Nutzen. Sie können die Daten<br />

käuflich erwerben.


WERKSTOFFAUSWAHL 81


82 WERKSTOFFAUSWAHL<br />

Suche nach der optimalen Lösung<br />

Adams machte sich die Mühe, alles, was er sah, was ihm vor die<br />

Augen kam, zu studieren, Werte zu berechnen, die Ergebnisse zu vergleichen<br />

– um alle diese Fakten nach und nach in einer Datenbank zu<br />

erfassen. Die Lebenserfahrung freilich hat ihn gelehrt, alle Vorteile der<br />

Computertechnik zu nutzen, ohne Gefahr zu laufen, sie überzubewerten.<br />

Für ihn bleibt unumstößlich: „Der Computer kann nicht alles ersetzen,<br />

aber man kann auch den Computer nicht ganz und gar ersetzen.“<br />

Wie dieses in der Praxis funktioniert, führt er mit der ihm eigenen<br />

Leidenschaft vor. Oft steht er im Gespräch auf, eilt zu einem seiner<br />

Schränke, deren Inhalt er – für einen Außenstehenden kaum nachvollziehbar<br />

– Blatt für Blatt zu kennen scheint. Zielsicher zieht er einen Ordner<br />

heraus. Die Bemerkung „Ich kann Ihnen alles schwarz auf weiß zeigen“<br />

ist in Adams Fall keine Koketterie, sondern Ausdruck von<br />

Seriosität – die er in Streitfällen so zu nutzen weiß, dass der Hinweis auf<br />

diese oder jene Literaturstelle einen Disput fast immer beendet. „Solche<br />

Erfahrungen sind bei Auseinandersetzungen überaus hilfreich“<br />

sagt er, „vorausgesetzt, man hat all die technischen Berichte gelesen<br />

und weiß, wo man jedes Detail finden kann.“<br />

DETAILKENNTNISSE BEENDEN AM EINFACHSTEN DEN DISPUT<br />

Im Normalfall sucht der Kunde bei Jochen Adams die ideale Stahl-<br />

Lösung. Mit den heutigen Möglichkeiten kann dieser ihn umgehend bedienen.<br />

Angenommen, der Hersteller von Nutzfahrzeugen sucht nach<br />

einem Vergütungsschaubild, gibt alle möglichen Eigenschaften wie<br />

Härtbarkeit, Streckgrenze, Abkantradius, Schweißeignung, Blechdicke<br />

vor – dann kann er mit Hilfe des Computers in wenigen Augenblicken<br />

einen Stahl oder eine Auswahl geeigneter Sorten präsentieren, die<br />

zudem, was in der Regel zum Wichtigsten gehört, auch noch verfügbar<br />

sind. „Was nutzt der schönste Stahl, wenn ich ihn dem Kunden nicht liefern<br />

kann?“ fragt Adams, diesmal in der Rolle des Händlers, über die<br />

Funktion des Metallkundlers hinaus. Doch findet er zu allen Parametern<br />

passend ein Ergebnis in seinem Computer, hellt sich Adams Miene auf.<br />

„Volltreffer.“ Der insofern nicht unwichtig ist, als er zu neuem Umsatz<br />

bei <strong>ThyssenKrupp</strong> Schulte führt und Adams einmal mehr zur Prosperität<br />

des Unternehmens auf seine Art beiträgt. Eine langweilige Tätigkeit?<br />

Überhaupt nicht, meint Adams, es habe keinen Tag in seinem langen<br />

Berufsleben gegeben, an dem er ungern in den Betrieb gegangen<br />

sei, nicht zuletzt wegen der ständig neuen Herausforderungen.<br />

DIE ANGABEN ENTSPRECHEN DEN ERFAHRUNGEN<br />

Und dann wird er noch lebendiger als sonst. „Zusammen mit den Kunden<br />

suche ich anwendungsorientierte Lösungen. Aber mit Forschung<br />

hat dies nichts zu tun.“ Trotzdem, die Grenzen verschwimmen. Bringt<br />

er die <strong>Werkstoffe</strong> „TS-ThermoCut 1, TS-ThermoCut 2“ ins Spiel, wird<br />

schnell deutlich, dass man ihn auch hier guten Gewissens als Erfinder<br />

bezeichnen kann. Denn diese beiden Stähle für thermische Trennverfahren<br />

– insbesondere das Laserschneiden – hat er entwickelt. Auch<br />

die farbige Broschüre, welche die Eigenschaften der Neuheiten darstellt,<br />

spiegelt das Wissen und den Anspruch der Person Adams. Nicht<br />

nur die Einzelheiten betreffend, die übersichtlich dargestellten Informationen<br />

über die chemische Zusammensetzung, thermische Trennverfahren,<br />

Laserstrahlschneiden, Laserstrahlschweißen oder Kalt-Umformen.<br />

Die Feststellung „Die Angaben, mit denen wir Sie beraten<br />

wollen, entsprechen unseren Erfahrungen“ könnte von ihm stammen.<br />

Seit langem beschäftigt sich Jochen Adams besonders auch mit<br />

Problemfällen bei den <strong>Werkstoffe</strong>n. Von Natur aus ein Pragmatiker, auf<br />

der Basis gesicherten Wissens, holt er den einen oder anderen Gegenstand,<br />

legt ihn auf den Tisch und erklärt, worin denn das eigentliche<br />

und nicht das vermeintliche Problem besteht. Der Fahrzeugbauer etwa,<br />

der nicht mit dem vorgeschriebenen Radius von 10 Millimeter, sondern<br />

schon mit 1 Millimeter abkantet, woraufhin die Kante bricht: „Das kann<br />

so nicht funktionieren.“ Oder der Hersteller einer Maschine, die Fleisch<br />

in Vakuumfolie einschweißt: Die Maschine rostet an allen möglichen<br />

Ecken und Enden. Was, wie der Hersteller und Betreiber der Maschine<br />

ganz sicher zu wissen meint, am falschen Werkstoff liegt. Was aber, wie<br />

Adams noch sicherer weiß, in Wirklichkeit daran liegt, dass die Maschi-<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


Jochen Adams ist ein<br />

Pragmatiker, der ein Leben<br />

lang Erfahrungen im Umgang<br />

mit Stahl gesammelt hat. Sein<br />

Werkstoff-Auswahlprogramm<br />

dient nur einem – dem Rat<br />

suchenden Kunden.<br />

ne mit Reinigern arbeitet, die nicht sauber weggespült werden – und<br />

dadurch aggressiv auf das Metall einwirken.<br />

Oder jemand fertigt einen Druckbehälter für Hausgasanschlüsse,<br />

indem er hierzu einen Rundstahl ausdreht. Da steigt die Stimmlage<br />

von Adams, weggeblasen ist seine Lockerheit, man hört nun Wörter<br />

wie „unglaubliche Fehler, eine ziemliche Katastrophe“. Weshalb? „Da<br />

wird ein Druckbehälter aus Rundstahl gebaut, indem dieser ausgedreht<br />

wird. Ich habe gleich gesagt, das geht nicht – weil Rundstähle<br />

dieser Dicke im Inneren nicht immer gasdicht sind und somit Gas ausströmen<br />

kann. Unglaublich!“ Wer aber gibt schon gern Fehler zu? Keiner,<br />

das hat Adams in vielen Jahren erfahren. Umso beharrlicher hat<br />

er die Grundlage geschaffen, Fehler dort zu orten, wo sie entstehen –<br />

wo auch immer dies ist. Selbst wenn es im eigenen Unternehmen<br />

wäre: Adams ist ein zu ehrlicher Vertreter seiner Zunft, als dass er mit<br />

der Wahrheit hinter dem Berg hielte. Besteht doch ein wesentlicher Teil<br />

seines beruflichen Erfolgs darin, ein System entwickelt und aufgebaut<br />

zu haben, das sowohl der Fehlerermittlung als auch der Fehlervermeidung<br />

dient.<br />

ERFAHRUNGEN MUSS JEDER MENSCH FÜR SICH SAMMELN<br />

Und wenn er einmal in den Ruhestand geht, wer übernimmt dieses Erbe<br />

eines intensiven Berufslebens? Adams setzt seine ganze Hoffnung auf<br />

drei Techniker, die mit ihm zusammenarbeiten und die in seine Fußstapfen<br />

treten sollen. Die Voraussetzungen stehen nicht schlecht, denn<br />

Adams wird alle seine erworbenen Kenntnisse weitergeben. Soviel, so<br />

gut. Doch eine Restunsicherheit bleibt: Erfahrungen muss jeder<br />

Mensch für sich selbst sammeln. Und Erfahrungen sind Bestandteil von<br />

Adams’ Werkstoffauswahlprogramm für unlegierte, legierte und hochlegierte<br />

Stähle. Kaum vorstellbar, dass einer (wie Adams) irgendwann<br />

nicht mehr wird sagen können: Lesen Sie nach bei der Literaturstelle<br />

hier, im Jahr 1968, oder jener aus dem Jahr 1978 oder studieren Sie<br />

dieses Werkstoffblatt von 1989. Keine Frage, dass Jochen Adams noch<br />

lange dringend gebraucht wird. 7<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

WERKSTOFFAUSWAHL 83<br />

DAS WERKSTOFF-AUSWAHLPROGRAMM AUF EINEN BLICK<br />

Das Programm empfiehlt – entsprechend den vom<br />

Nutzer ausgewählten Anforderungen – den geeigneten<br />

Werkstoff für die jeweilige Anwendung.<br />

In drei Schritten zum richtigen Werkstoff:<br />

1. Branche auswählen<br />

2. Eigenschaften bestimmen<br />

3. Merkmale festlegen<br />

Auf die Branchenauswahl folgt die Anzeige von bis zu drei<br />

vorausgewählten Eigenschaften, die für diese Branche<br />

besonders relevant sind. Der Nutzer kann diese Eigenschaften<br />

bestätigen oder selbst neue auswählen. Zu jeder Eigenschaft<br />

können dann die erforderlichen Merkmale exakt festgelegt<br />

werden. Bei der Auswahl überprüft das Programm auch die<br />

geforderte Verfügbarkeit des <strong>Werkstoffe</strong>s.<br />

Präzise Auswahlmöglichkeiten<br />

Bei den Eigenschaften werden 37 Gruppen wie zum Beispiel<br />

Schwingfestigkeit, Kaltumformbarkeit, Wärmeleitfähigkeit,<br />

Wetterbeständigkeit, Walzverfahren, Streckgrenze, Zugfestigkeit,<br />

Bruchdehnung, Schweißeignung, Abkantradius,<br />

Elastizitätsmodul, Oberflächenbehandlung etc. unterschieden.<br />

Jede der Eigenschaften lässt sich mit einem Wert präzisieren;<br />

dafür sind bis zu 50 Merkmale je Eigenschaft hinterlegt.<br />

Umfangreiche Inhalte<br />

Die Programmdatenbank enthält rund 500 Stähle inclusive<br />

der 32 gebräuchlichsten hochlegierten Stähle. Die Daten<br />

basieren auf gemessenen – und in Werkszeugnissen<br />

dokumentierten – Werkstoffanalysen aus der Stahlproduktion.<br />

Die Informationen werden laufend an den aktuellen Stand<br />

von Normung und Technik angepaßt.<br />

Für zahlreiche Stähle sind Werkstoffblätter abrufbar. Für<br />

wärmebehandlungsfähige Stähle stehen Zeit-Temperatur-<br />

Umwandlungs-Schaubilder zur Verfügung.<br />

Für Stahlsorten, die in Bauteilen mit schwingender<br />

Beanspruchung eingesetzt werden, sind Wöhlerkurven zur<br />

Beurteilung der Dauerfestigkeit hinterlegt.<br />

Alle Suchergebnisse sowie die hinterlegten ZTU-Schaubilder,<br />

Wöhlerkurven und Werkstoffblätter können ausgedruckt<br />

werden.


84 LASER


Für das Laserschweißen<br />

sind spezielle Stähle mit einer<br />

spezifischen Zusammensetzung<br />

notwendig. Bei diesen<br />

<strong>Werkstoffe</strong>n mit einer Blechdicke<br />

zwischen drei und<br />

zwölf Millimetern ist die<br />

Genaufertigung mit dem Laser<br />

unübertroffen.<br />

Von Benedikt Breith | Fotos Blohm + Voss<br />

Was, gesellschaftspolitisch gesehen, so wünschenswert<br />

ist, wird in diesem Fall so klein wie<br />

möglich gehalten: die Toleranz. Denn die „Genaufertigung“,<br />

wie der Fachmann sagt, ist das Ziel wie<br />

das Kennzeichen einer Technik, die sich des Lasers bedient,<br />

um die Toleranzbereiche ganz eng zu halten.<br />

Der Fachmann heißt Alfred Kahl, Leiter der Schiffbaufertigung<br />

in Hamburg bei Blohm + Voss, einem Unternehmen<br />

von <strong>ThyssenKrupp</strong> Technologies. Er ist ein nüchtern<br />

wirkender Ingenieur, der beim Thema Lasertechnik<br />

nicht in Überschwang gerät, wohl aber alle die Vorteile der<br />

Laserstrahltechnologie bis ins kleinste Detail zu benennen<br />

weiß. Dem Normalbürger kämen gleich mediale Assoziationen<br />

in den Sinn. Wie war das noch in einem James-<br />

Bond-Film? Hatte da nicht einer Laser benutzt, um Flugzeuge<br />

zerstören zu wollen, ja um die Herrschaft über die<br />

Welt zu erringen?<br />

Kahl bleibt, seinem Naturell entsprechend, lieber bei<br />

erdgebundenen Gedanken. Nun gut, nicht ganz, denn die<br />

Lasertechnologie – sie dient am Ende auch dazu, ein<br />

Schiff zu bauen, das sicher über die Meere der Welt<br />

schwimmt. Was wiederum zu dem zurückkehrt, worüber<br />

Kahl sehr gerne spricht: die Präzision beim Schiffbau.<br />

Allein die Halle mit der Lasertechnologie, durch die<br />

er den Gast führt, zeigt die riesigen Dimensionen, um die<br />

es hier geht. Was in gewisser Weise umgekehrt proportio-<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

Der Laser<br />

richtet es perfekt<br />

Die neue Schweißtechnik von Blohm + Voss<br />

in Hamburg ist von der Qualität her Weltspitze<br />

LASER 85<br />

nal zu der Millimeter-Arbeit steht, die der Laser leistet. „Für uns sind beim Einsatz von<br />

Lasern Blechdicken zwischen drei und zwölf Millimetern relevant“, stellt Kahl fest. „Bei<br />

größeren Dicken setzen wir den Laser nicht mehr ein.“<br />

Präzision und räumliche Größe gehen in der Schiffbauhalle 3 von Blohm + Voss<br />

eine bestaunenswerte Symbiose ein. Denn was sind 150 Meter Länge gegen einen<br />

Fügespalt von maximal 0,3 Millimetern? Nichts. Oder doch eben ungeheuer viel, und<br />

dies bei Deckelementen, die im Höchstfall 12 Meter lang und 4 Meter breit auf der Laseranlage<br />

zusammengeschweißt werden können. Der große Aufwand für diese Hightech-Anlage<br />

lohne sich für das Ergebnis, meint Kahl. „Allein der Aufwand für Richtstunden<br />

liegt im Schnitt bei dreißigtausend Stunden. Durch den Lasereinsatz sparen<br />

wir ungefähr die Hälfte und können gleich in die nächste Verarbeitungsstufe gehen,<br />

ohne langwierige Richtarbeiten.“<br />

KUNSTVOLLE LASERTECHNIK FÜR FILIGRANE NÄHTE<br />

Wer vor einem Schiff steht, ist beeindruckt von der Größe. Haus-, turmhoch mutet die<br />

Mega Yacht oder das schnelle Kreuzfahrtschiff an, beide prinzipiell mit demselben Ziel:<br />

leicht und deswegen schnell fahren und manövrieren zu können. Was wesentliche Einflüsse<br />

auf die <strong>Werkstoffe</strong> hat, die verwendet werden müssen: Leicht und dennoch<br />

hochfest müssen sie sein, die Materialien mit sehr geringen Blech- und Profildicken.<br />

Wer unter die Hülle eines solchermaßen schwimmenden Wunderwerks blickt,<br />

erkennt auf Anhieb das weit verzweigte Netz von Schotten und Querwänden, die in<br />

einem Tragwerk miteinander verbunden sind, in einem kompliziert hergestellten, aber<br />

einfach angeordneten Geflecht von Längs- und Querbauteilungen.<br />

Nicht gebaut nach dem Prinzip „Villa Kunterbunt“, im Gegenteil. Wenn die beiden<br />

CO2-Laser ihre Maßarbeit, hell wie die Sonne beginnen, herrscht eine solche Präzision<br />

vor, wie sie nur sensorgesteuerte Maschinen, nicht mehr aber menschliche


86 LASER


Lasereintrag ohne Toleranz<br />

Hände erzeugen können. Nicht, dass der Mensch überflüssig würde, aber seine Funktion<br />

reduziert sich auf die Überwachung des Vorgangs, der sich vor seinen Augen im<br />

Leitstand abspielt.<br />

Um es, mit Kahls Worten, technisch exakt zu definieren: „Wir verwenden spezielle<br />

Stähle mit spezifisch chemischer Zusammensetzung. Der Lasereintrag findet bei<br />

diesen Stählen hoch komprimiert auf engstem Raum statt.“ Will sagen: die Schrumpfungen<br />

sind kaum merkbar, die Abkühlgeschwindigkeiten extrem hoch, die Aufhärtungen<br />

verschwindend gering. Der hoch konzentrierte Laserstrahl führt zu einer minimalen<br />

thermischen Belastung, was gleichfalls den Verzug der Bleche minimiert.<br />

Kahl mangelt es nicht an eindrucksvollen Vergleichsstücken, die er dem Besucher<br />

vorführt. Herkömmlich geschweißte Profile und Nähte, gleich neben einer Lasernaht<br />

– da liegt dann doch der Vergleich nahe, dass im einen Fall mehr der Grobschlächter,<br />

im andern Fall der Feinchirurg am Werk war. So uneben und<br />

unausgeglichen die Schweißnaht nach alter Methode, so filigran wirkt die kunstvolle<br />

Naht nach neuer Laser-Art.<br />

DAS MODERNSTE FERTIGUNGSZENTRUM FÜR DIE VORMONT<strong>AG</strong>E<br />

Neu? Kahl räumt ein, dass der Schiffbau Jahre gebraucht habe, um die Lasertechnologie,<br />

in der Automobilherstellung längst eingesetzt, für seine Zwecke anzuwenden.<br />

Forschungsinstitute und Universitäten leisteten die Pionierarbeit der Entwicklung,<br />

Blohm + Voss machte sich die Ergebnisse zugute und baute, sagt Kahl, „das zurzeit<br />

im Schiffbau modernste Fertigungszentrum für die Vormontage“. Schnelligkeit geht<br />

dort einher mit Genauigkeit, unbeeindruckt von großen Lasten. „Die maximale Bauteilgröße<br />

von 4 x 12 Meter hat ein Gewicht von rund 9 Tonnen“, sagt Kahl. Man solle<br />

sich vorstellen: Die Werkstückträger wögen 16 Tonnen, die aufliegenden Bauteile<br />

nochmals 10 Tonnen. Zum Aufbau der Laseranlage gehöre eine fliegende Optik bei<br />

feststehendem Portal und drei bewegliche Werkstückträger sowie ein Spann- und Positionierportal.<br />

Die Laserstrahlquellen selbst seien dagegen fest montiert. Einen Effekt<br />

stellt Kahl besonders heraus: die Qualität des Schweißens von Profilen auf die be-<br />

Die I-Naht am T-Stoß, simultan<br />

lasergeschweißt – so kommt das<br />

Profil zur Stahlplatte. Der<br />

Tiefschweißeffekt erreicht einen<br />

Vollanschluss zwischen Platte<br />

und Stegelement. „Eine haltbarere<br />

Schweißnaht gibt es nicht“, sagt<br />

Alfred Kahl, der Leiter der<br />

Schiffbaufertigung bei Blohm + Voss<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

LASER 87<br />

schichteten Stahlplatten. Der Fachmann wüsste sofort: I-<br />

Naht am T-Stoß, simultan laserstrahlgeschweißt, darum<br />

geht es. Fotos und Grafiken, die Kahl zum Beweis in die<br />

Hand nimmt, zeigen überdeutlich den Unterschied zu konventionellen<br />

Kehlnähten. Während mit dieser Methode nur<br />

die Eckpunkte verbunden werden, wirken die Laser sehr<br />

viel intensiver auf die <strong>Werkstoffe</strong> ein. „Wir erreichen mit<br />

dem Tiefschweißeffekt einen Vollanschluss zwischen Platte<br />

und Stegelement. Eine haltbarere Schweißnaht gibt es<br />

nicht. Der Germanische Lloyd hat uns diese Technik zertifiziert.“<br />

Chirurgische Präzision bei Produkten, deren Fläche<br />

ein ganzes Feld bedecken kann – darin besteht der Reiz<br />

der Lasertechnologie im Schiffbau. Womit, Kahls Worten<br />

folgend, der Leichtbau endgültig Einzug gehalten hat in<br />

den Bau von „schnellen Schiffen“. Stellt man sich vor,<br />

dass pro Schiff potenziell Laserschweißnähte in einer<br />

Länge von zweihundert Kilometern und Flächen von sechzigtausend<br />

Quadratmetern entstehen, erkennt man die<br />

gewaltigen Dimensionen.<br />

„Der Laser wird es schon richten“, mag man ausrufen.<br />

Doch was heißt „richten“? Hier muss nichts mehr<br />

warm- oder flammgerichtet werden, denn Winkelschrumpfung,<br />

Beulung und Biegung gehören der Vergangenheit<br />

an. Wenn der Laser seine komprimierte, gleißend<br />

helle Arbeit auf den Paneelen erledigt hat, passt alles<br />

haargenau. Nur mit den Toleranzen – da versteht der<br />

Laser keinen Spaß. Denn große Toleranzen und Genaufertigung,<br />

das geht nicht zusammen. Partout nicht. 7


88 VIM-OFEN<br />

Höchstreine<br />

Superlegierungen<br />

sind das Ziel<br />

Der Vakuum-Induktions-Schmelzofen (VIM)<br />

von <strong>ThyssenKrupp</strong> VDM in Unna ist in<br />

Europa erste Adresse – für <strong>Werkstoffe</strong> mit<br />

extremen Eigenschaften<br />

Von Dieter Vogt | Illustrationen Tobias Wandres<br />

Es gibt Edleres als die Edelmetalle, die Hals und Handgelenk der<br />

Damen schmücken. Feiner und anspruchsvoller sind die sehr reinen<br />

metallischen Legierungen, die nicht zur Abendgarderobe getragen<br />

werden. Die meisten haben unbekannte Namen und werden nie<br />

so prominent wie Gold und Silber sein. Es sind Hochleistungswerkstoffe,<br />

die an kritischen Nahtstellen der Technik wichtige Aufgaben erfüllen.<br />

Und meistens im Verborgenen: in Autokatalysatoren, Flugtriebwerken,<br />

Fernsehapparaten, Rauchgasentschwefelungsanlagen.<br />

ZWEIHUNDERTSECHZIG KREATIONEN IM ANGEBOT<br />

Gießerstraße, Formerstraße: Adressen am Rande der Stadt Unna, geprägt<br />

von der Stahlindustrie. Den blauen Werkhallen sieht man nicht an,<br />

dass sie Europas erste Adresse für besondere Legierungen sind. Das<br />

Schmelzwerk Unna ist die Spezialitätenküche der <strong>ThyssenKrupp</strong> VDM<br />

GmbH. Legierungen entstehen durch Verschmelzung verschiedener<br />

Metalle; manchmal sind es nur zwei, manchmal ein Dutzend. Es geht<br />

darum, bestimmte Eigenschaften der Elemente zu optimieren oder ganz<br />

neue hervorzubringen. Die Hauptforderungen lauten immer wieder:<br />

mechanischen, thermischen oder chemischen Belastungen standzuhalten,<br />

mitunter allen dreien. Das Schmelzwerk Unna hat nicht weniger<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


Erst seit kurzem ist die<br />

Anlage in Unna in Betrieb.<br />

Gleichsam unter Weltraumbedingungen<br />

wird das<br />

Material im Ofen eingeschmolzen.<br />

Der Vakuumprozess im Ofen<br />

stellt sicher, dass die Legierungen<br />

frei von unerwünschten<br />

Verunreinigungen sind.<br />

VIM-OFEN 89


90 VIM-OFEN<br />

als 260 Legierungen anzubieten, und wenn Forschung und Entwicklung<br />

nicht zum Stillstand kommen, wird sich die Zahl noch vergrößern. Die<br />

Schwermetalle Nickel und Kobalt herrschen als Basiselemente vor.<br />

Der Standort Unna, 1972 von den Vereinigten Deutschen Metallwerken<br />

eröffnet, hat sich in drei Jahrzehnten nicht weniger gewandelt<br />

als die übrige Welt. Der jüngste Schritt in die Zukunft liegt gerade erst<br />

ein paar Wochen zurück. Unna erhielt für rund 15 Millionen Euro einen<br />

Vakuum-Induktions-Schmelzofen, unter Fachleuten „VIM-Ofen“ genannt,<br />

was für Vacuum Induction Melting steht. Das schlichte Wort Ofen<br />

taugt nicht recht zur Beschreibung dieser 30 Meter langen und 12 Meter<br />

hohen Anlage mit einer Anschlussleistung von 7000 kVA (Kilo Volt-Ampere).<br />

Die Metallkonstruktion ist über Treppen und Plattformen begehbar.<br />

Im hochgelegenen Steuerstand lässt sich der automatische<br />

Schmelz- und Abgussprozess auf Bildschirmen verfolgen und beeinflussen.<br />

Der eigentliche Ofen, Kern der Anlage, kann mit festem oder<br />

flüssigem Material beschickt werden. Er fasst maximal 30 Tonnen und<br />

ist damit größer als alle vergleichbaren Öfen in Europa. Bei Temperaturen<br />

bis zu 1750 Grad Celsius wird das Material gleichsam unter Weltraumbedingungen<br />

eingeschmolzen. Das Vakuum ermöglicht Legierungen,<br />

die frei von Sauerstoff, Stickstoff und anderen unerwünschten<br />

Verunreinigungen sind. Wie eine gute legierte Suppe muss das<br />

Schmelzbad gerührt werden, wofür ein elektromagnetisches Rührwerk<br />

sorgt. Nach dem Abguss landet die Schmelze in transportablen Kokillen<br />

und erkaltet. Aber die entstehenden Metallblöcke sind noch nicht<br />

der Feinheit letzter Schluss. Manche <strong>Werkstoffe</strong> müssen dreimal durchs<br />

Feuer: Das heißt, in Unna warten noch zwei Umschmelzanlagen darauf,<br />

den Werkstoff weiter zu säubern, zu homogenisieren, zu veredeln. Die<br />

Endprodukte sind höchstreine Superlegierungen. Sie werden zum Beispiel<br />

für Turbinenschaufeln in Strahltriebwerken gebraucht, wo sie bei<br />

hohen Temperaturen und extremen Fliehkräften eine lange Lebensdauer<br />

erreichen müssen.<br />

LEGIERUNGEN MIT EXOTISCH KLINGENDEN NAMEN<br />

Legierungen sind für Physiker das, was Rassepferde für Züchter sind.<br />

Liest man die lange Liste ihrer Schöpfungen, so stößt man auf exotisch<br />

klingende Namen: Nicorros, Nimofer, Pernifer, Conicro, Cunifer, Magnifer.<br />

Bei genauem Hinsehen sind es freilich nur schlichte Kunstworte, zusammengesetzt<br />

aus den chemischen Zeichen der beteiligten Metalle.<br />

Ni ist Nickel, Cro ist Chrom, Fer ist Eisen. Die Legierung Nicrofer 5219<br />

besteht aus nicht weniger als elf Elementen, darunter Eisen und Molybdän,<br />

doch sind Nickel mit 52 % und Chrom mit 19 % die wichtigsten.<br />

Was sich im Schmelzwerk Unna in all den Jahren nicht geändert hat, ist<br />

die sorgsame Kennzeichnung des Materials: vor und nach dem Feuer.<br />

Es darf keine Verwechslungen geben. Unter den Metallblöcken, die in<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


der Schmelzhalle und im Hof lagern, ist kein einziges Stück ohne Namensschild.<br />

Was aus der Gießrinne der Öfen fließt, wird zu Bändern,<br />

Stangen, Drähten, Blechen und Folien verarbeitet. Das geschieht nicht<br />

gleich in Unna. Einige <strong>Werkstoffe</strong> verlassen das Gelände in Spezialtransportern<br />

als glühende Blöcke – sie nehmen einen Teil der ungeheuren<br />

Wärmeenergie mit, der sie ihre Entstehung verdanken. Die Weiterverarbeitung<br />

ist ein Wettlauf gegen die Temperatur. Im Werk<br />

Duisburg werden die Chromstahl-Blöcke zu 8 bis 9 Meter langen Platten<br />

gewalzt. Auch das ist nur ein Übergang. Weiter geht es nach Ruhrort<br />

zum Schleifen und dann ins Werk Bochum, wo sie zu vier Millimeter<br />

dicken Bändern verarbeitet werden – bei einer Resttemperatur von<br />

immer noch 300 Grad.<br />

EIN WERKSTOFF, DER DIE AUTOWELT REVOLUTIONIERT<br />

Das Endprodukt Aluchrom 7AI YHF ist eine Neuentwicklung, hervorgegangen<br />

aus einem Forschungsprojekt des Bundes und ausgezeichnet<br />

mit dem Umweltschutzpreis des BDI. Aus dem Werkstoff, dem so<br />

fremdartige Elemente wie Yttrium und Hafnium zulegiert sind, werden<br />

30-40 Mikrometer dünne Folien hergestellt. Sie sind Schlüsselbausteine<br />

moderner Metall-Katalysatoren für Automotoren, die dem klassischen<br />

Trägerwerkstoff Keramik einiges voraushaben. Wegen ihrer<br />

schnellen Erwärmung sind sie schon in der Startphase voll wirksam.<br />

Die <strong>Werkstoffe</strong> mit den<br />

härtesten Anforderungen<br />

müssen dreimal durchs<br />

Feuer, erst dann erreichen<br />

sie die Höchstreinheit. Was<br />

am Ende die Gießrinne der<br />

Öfen freigibt, wird zu Folien,<br />

Blechen, Stangen, Bändern<br />

und Drähten verarbeitet.<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

Legierungen aus feinster Schmelze<br />

VIM-OFEN 91<br />

Was Unna zusammenbraut, ist vom Feinsten, und das in gar nicht geringen<br />

Mengen. Im Jahr 2002 wurden mehr als 32.000 Tonnen Nickelbasislegierungen<br />

geliefert, je ein Drittel nach Deutschland, nach Europa,<br />

nach Amerika. In der Nickelsparte, die Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

mit Münzprägungen ihren Aufschwung nahm, ist <strong>ThyssenKrupp</strong> VDM<br />

führend auf dem Weltmarkt. Hinzu kommen gut 5000 Tonnen Sonderedelstähle<br />

im Jahr. Auch beim Fernsehabend ist Unna dabei. Hochwertige<br />

Schattenmasken in Bildröhren sind aus der Speziallegierung<br />

Pernifer 36 gefertigt. Sie gleichen einem Sieb mit Löchern im Abstand<br />

von 20 Mikrometern, eine Größenordnung, die für das menschliche<br />

Auge praktisch nicht mehr wahrnehmbar ist. Das Material dehnt sich<br />

bei hohen Temperaturen kaum aus und ermöglicht so die Erzeugung<br />

scharfer Farbbildpunkte auf dem Schirm. Pernifer 42 dient als Trägermaterial<br />

für integrierte Schaltungen. Conicro 5010 W heißt ein hitzefester<br />

Werkstoff für die Schubdüsen der Ariane-Rakete.<br />

Werksleiter Dr.-Ing. Jürgen Loh, ein kompetenter Führer durch<br />

das staunenswerte Labyrinth der Hochleistungswerkstoffe, malt die<br />

Möglichkeiten der Zukunft aus. Crofer 22 APU ist eine ganz neue Eisen-<br />

Chrom-Legierung, die sich durch Hitzebeständigkeit, Leitfähigkeit und<br />

einen niedrigen Ausdehnungskoeffizienten auszeichnet. Ein idealer<br />

Werkstoff für die Serienfertigung von Brennstoffzellen. Das ist der revolutionäre<br />

Antrieb, der einmal die Autowelt auf den Kopf stellen soll. 7


92 STAINLESS<br />

Ein Werkstoff<br />

für die Zukunft<br />

Edelstahl hat eine lange Tradition,<br />

die ungebrochen ist. Anwendungen findet<br />

man überall im Leben<br />

Von Christa Klein<br />

Der Membran-<br />

Hohlspiegel aus Nirosta<br />

erreicht durch seine<br />

präzis gefertigte Oberflächenform<br />

einen sehr hohen<br />

Wirkungsgrad in der Nutzung<br />

der Sonnenenergie<br />

Für Operateure ist<br />

Edelstahl der ideale<br />

Werkstoff, dank der<br />

klinischen Reinheit<br />

und Sterilität der<br />

Operationsbestecke<br />

Der Architekt<br />

Frank O`Gehry hat<br />

dem Edelstahl ein<br />

bleibendes Denkmal<br />

gesetzt, am Neuen<br />

Zollhof in Düsseldorf<br />

Der praktische<br />

Nutzen von Edelstahl<br />

liegt auf dem Tisch,<br />

als glänzendes<br />

Besteck fürs Essen<br />

Aus einer wegweisenden Erfindung wurde eine weltberühmte<br />

Marke: NIROSTA ® hieß die Abkürzung für NIcht ROstender STAhl.<br />

Das Patent wurde schon im Jahr 1912 der damaligen Firma Fried.<br />

Krupp erteilt, zur Herstellung von rostbeständigem Stahl. Zehn Jahre<br />

später, 1922, begann der Vertrieb von Edelstahl Rostfrei unter der Marke<br />

NIROSTA ® . Aber auch das Haus Thyssen begann ungefähr zur selben<br />

Zeit mit der Herstellung nichtrostender Stähle. Unter Beteiligung von<br />

Thyssen wurde 1927 die „Deutsche Edelstahlwerke <strong>AG</strong>“ gegründet.<br />

Der eigentliche Siegeszug der nichtrostenden metallischen <strong>Werkstoffe</strong><br />

begann in der damaligen Zeit – und setzte sich bis heute ungebrochen<br />

fort. <strong>ThyssenKrupp</strong> Stainless zählt weltweit zu den wenigen Anbietern,<br />

die über ein komplettes Lieferprogramm verfügen aus Edelstahl<br />

Rostfrei, Nickelbasislegierungen und Titan. Vor allem der rostfreie Edelstahl<br />

ist zum Faszinosum geworden, das im Alltag in unterschiedlichster<br />

Weise anzutreffen ist. Gebrauchsgüter, Anwendungen in der Industrie<br />

oder auch in der Architektur nutzen die Möglichkeit, NIROSTA ® maßgeschneidert<br />

einsetzen zu können. Allein die Oberfläche des Edelstahls<br />

entfaltet eine eigene Ästhetik, die im Haushalt oft anzutreffen ist. Der Einsatz<br />

des Werkstoffs in der Medizin, in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie<br />

macht sich dagegen einen anderen Vorteil der nichtrostenden<br />

und hitzebeständigen Erzeugnisse zugute: die Korrosionsbeständigkeit,<br />

die mit einem Höchstmaß an Reinheit und Sauberkeit einhergeht.<br />

Für viele ist der Edelstahl längst zum Symbol geworden – als die<br />

Welt spiegelnder und reflektierender Werkstoff, der Eleganz und praktischen<br />

Nutzen perfekt miteinander verbindet. Wäre sonst schon im Jahr<br />

1929 das spektakuläre Dach des Chrysler-Buildings in Manhattan mit<br />

rostfreiem Stahl verkleidet und dadurch weltberühmt geworden?<br />

Der Edelstahl wird auch in Zukunft die Phantasie beflügeln, bei den<br />

Designern und den Architekten, genauso aber bei den Werkstoffspezialisten,<br />

welche die Anwendungsmöglichkeiten immer wieder erweitern.<br />

Denn wenn diesem Werkstoff etwas gehört, dann die Zukunft.<br />

„Form follows function“,<br />

auch beim Edelstahl-Stuhl,<br />

der die Sicherheit mit<br />

der Ästhetik verbindet<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


Selbst aggressiven<br />

Waschmitteln trotzt die<br />

Korrosionsbeständigkeit<br />

des Edelstahls, wenn<br />

er in Waschmaschinen<br />

zum Einsatz kommt<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

Die Herstellung<br />

komplizierter Formen<br />

von Edelstahl-<br />

Anwendungen im<br />

Haushalt ist selbst<br />

bei der automatischen<br />

Fertigung kein Problem<br />

Die chemische<br />

Verfahrenstechnik<br />

braucht Edelstahl,<br />

der durch Festigkeit<br />

und große<br />

Formbarkeit besticht<br />

Für die Lebensmittelhersteller<br />

ist Hygiene<br />

unabdingbar, die<br />

der Edelstahl besser<br />

als jeder andere<br />

Werkstoff bieten kann<br />

Wer Alessi-Gegenstände<br />

genießt, erinnert sich<br />

gern an Aldo Rossi, den<br />

Designer, der die<br />

angewandte Kunst in<br />

den Haushalt brachte<br />

Stabilität und Leichtigkeit<br />

von nichtrostendem<br />

Edelstahl nutzen die<br />

Automobilhersteller bei<br />

der Anwendung<br />

dieses Werkstoffs<br />

Für Köche<br />

sind Edelstahltöpfe<br />

besonders geeignet,<br />

durch die dauernde<br />

Hitzebeständigkeit<br />

STAINLESS 93<br />

Mit Edelstahl<br />

umzugehen, ist eine<br />

Kunst. Manche Designer<br />

formen mit dem Werkstoff<br />

regelrechte Kunstwerke


94 M<strong>AG</strong>NESIUM<br />

Magnesium ist ein<br />

anspruchsvoller Werkstoff,<br />

der der Hitze länger standhält.<br />

Magnesiumblech ist viel<br />

schwieriger entflammbar<br />

als andere Bauteile in einem<br />

Fahrzeug.


Das Leichtgewicht<br />

unter den <strong>Werkstoffe</strong>n<br />

Magnesium hat Zukunft – sofern die Magnesiumbleche<br />

im Preis konkurrenzfähig werden<br />

Von Sybille Wilhelm | Fotos Thomas Balzer<br />

M<strong>AG</strong>NESIUM 95


96 M<strong>AG</strong>NESIUM<br />

Ein nachhaltiger Werkstoff<br />

Magnesium in<br />

Karosserien einzusetzen,<br />

ist von Vorteil. Denn<br />

das Leichtmetall ist insofern<br />

nachhaltig, als das<br />

Gewicht eines Automobils<br />

geringer wird.


M<strong>AG</strong>NESIUM 97


98 M<strong>AG</strong>NESIUM<br />

Als Mineral ist der Werkstoff ein Geheimtipp gegen Kater: Wird Magnesium<br />

nach einer durchzechten Nacht rechtzeitig eingenommen,<br />

werden die Kopfschmerzen am folgenden Tag deutlich gemildert.<br />

Ohne Magnesium würde im menschlichen Organismus<br />

ohnehin nichts funktionieren. Die rund 25 Gramm im Körper eines erwachsenen<br />

Menschen sind für mehr als 300 biochemische Reaktionen<br />

verantwortlich. Der Mineralstoff unterstützt die Muskel- und Nervenfunktionen,<br />

hält den Herzrhythmus stabil und stärkt die Knochen.<br />

In der Medizin ist Magnesium seit Jahrhunderten bekannt; Verbindungen<br />

wie etwa das Bittersalz werden seit jeher als Heilmittel eingesetzt.<br />

Vor etwa 250 Jahren erkannte dann der englische Chemiker<br />

Joseph Black auch den Elementcharakter des Metalls. Magnesium<br />

bekam die Ordnungszahl 12 in der Periodentafel und kurz darauf die<br />

Abkürzung Mg.<br />

Dass Magnesium überdies ein Werkstoff mit einzigartigen Eigenschaften<br />

ist, wurde hingegen erst vor rund 80 Jahren entdeckt. Denn<br />

kein anderes bekanntes Metall ist so leicht wie Magnesium. Selbst ein<br />

vergleichbares Aluminiumblech wiegt ein Drittel mehr. Damit bietet der<br />

mit Abstand leichteste metallische Konstruktionswerkstoff die Möglichkeit<br />

der Diversifikation in technische Bereiche, die durch Stahl nicht abgedeckt<br />

werden.<br />

FERTIGUNG IN HÖCHSTER QUALITÄT<br />

Bei <strong>Werkstoffe</strong>n kommt es im Wesentlichen auf drei Dinge an: spezifische,<br />

das heißt auf die Dichte bezogene Steifigkeit und Festigkeit,<br />

außerdem noch gute Formbarkeit und Fügbarkeit, erläutert Bernhard<br />

Engl, Geschäftsführer der zu <strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl gehörenden Magnesium<br />

Flachprodukte GmbH mit Sitz in der sächsischen Universitätsstadt<br />

Freiberg. Im Vergleich zu anderen <strong>Werkstoffe</strong>n schneidet Magnesium<br />

bei diesen Faktoren in vielen Anwendungen besonders gut ab:<br />

zum Beispiel bei großflächigen Bauteilen und dann vor allem, wenn<br />

das Leichtmetall als Blech zum Einsatz kommt. Es spricht also viel<br />

dafür, den Werkstoff Magnesium in Karosserien einzusetzen, sagt<br />

Bernhard Engl.<br />

Denn dort verbaut, würde der Werkstoff helfen, die Umwelt zu<br />

schonen. Einer amerikanischen Studie zufolge könnte der Einsatz von<br />

Magnesium hat<br />

besondere Eigenschaften.<br />

Kein anderes bekanntes<br />

Metall ist so leicht wie<br />

Magnesium. Schon dies<br />

spricht sehr für diesen<br />

Werkstoff und<br />

seine Erforschung.<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


Magnesiumblechen einen Personenkraftwagen rund 100 Kilogramm<br />

leichter machen. Das würde bedeuten, dass man die Autoabgase reduzieren<br />

und mit der gleichen Menge Benzin weiter als bisher fahren<br />

könnte.<br />

Doch Magnesium ist kein ganz einfacher Werkstoff. Es hat einen<br />

relativ niedrigen Schmelz- und Siedepunkt. Erhitzt man es an der Luft,<br />

verbrennt es von rund 500 Grad an mit der charakteristischen blendend<br />

weißen Flamme zu Magnesiumoxid. Gefährlich aber erscheint Magnesium<br />

nur für diejenigen, die zu wenig darüber wissen – davon ist Bernhard<br />

Engl, promovierter Werkstoff- und Umformingenieur, überzeugt.<br />

Der Schmelz- und Verarbeitungsvertrieb in Freiberg weiß selbstredend<br />

um die heftige Reaktion von Magnesium und Hitze, das Team hat deshalb<br />

umfangreiche Vorkehrungen getroffen. Flüssiges Magnesium wird<br />

nur in einer Atmosphäre aus Schutzgas verarbeitet, und die ist gleich<br />

mit einem dreifachen Sicherungssystem ausgerüstet.<br />

Magnesium ist nämlich nur flüssig ein problematischer Werkstoff;<br />

ein Magnesiumblech hingegen ist schwerer entflammbar als andere<br />

Bauteile im Fahrzeug. Auch wenn einzelne Komponenten in einem Auto<br />

aus Magnesium sind, stellt das Material keine Gefahr dar, sagt Bernhard<br />

Engl. Die Feuerwehr kämpft im Falle eines Brandes zunächst mit<br />

den wesentlich schneller entflammbaren Stoffen.<br />

Dass es bis heute so wenige Teile aus Magnesium im Auto gibt,<br />

hat denn auch einen anderen Grund als die Sensibilität, die man bei<br />

dessen Verarbeitung an den Tag legen muss. Magnesiumbleche sind<br />

noch zu teuer. Nur etwa ein Prozent des weltweit produzierten Magnesiums<br />

wird für Bleche eingesetzt. Und das, obwohl es mehr als genug<br />

Magnesium auf der Welt gibt. Zwar kommt „Mg“ nicht einfach irgendwo<br />

in elementarer Form vor, sondern nur in Verbindungen. Aber dafür<br />

findet man es überall, etwa in der Erdrinde oder in dem Mineral Dolomit,<br />

aus dem die Dolomiten gebildet sind.<br />

Und auch im Meer: Wird das Meerwasser entsalzt, um daraus<br />

Trinkwasser zu gewinnen, fällt Magnesiumchlorid in großen Mengen an.<br />

Würde man aus diesen Abfällen Magnesium gewinnen, hätte man<br />

sogar zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Zum einen könnten die<br />

anfallenden Lagerkosten für den „Müll“ gespart werden. Zum anderen<br />

gibt es keine Entsorgungsprobleme mit den Blechen: Das verarbeitete<br />

Ein Rohstoff<br />

ohne Mengenproblem<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

M<strong>AG</strong>NESIUM 99<br />

Magnesium ist ein wahres Recyclingwunder und kann wieder eingeschmolzen<br />

werden.<br />

Ein Mengenproblem für den Rohstoff Magnesium gibt es nicht,<br />

bestätigt Bernhard Engl. Aber die Preisgestaltung macht Schätzungen<br />

über den Einsatz von Magnesiumblechen in Automobilen so unsicher.<br />

Gleichwohl ist dies eine der wichtigsten Aufgaben der Freiberger Forschungsgruppe:<br />

Bernhard Engl und sein Team müssen herausbekommen,<br />

wie günstig <strong>ThyssenKrupp</strong> Magnesiumbleche anbieten könnte.<br />

Und da sein Unternehmen die Weltmarktpreise für den Werkstoff nicht<br />

beeinflussen kann, muss es in der Fabrikhalle Ideen entwickeln und die<br />

Abläufe intelligent optimieren. So hat <strong>ThyssenKrupp</strong> zusammen mit der<br />

Technischen Universität Freiberg eine Gießwalztechnik entwickelt und<br />

zum Patent angemeldet, mit der die Magnesiumbleche in höchster<br />

Qualität industriell gefertigt werden können und gleichzeitig der bisherige<br />

Preis von Magnesiumblechen unterboten werden kann.<br />

ANWENDUNG MIT VIELEN MÖGLICHKEITEN<br />

„Dass das geht, wissen wir schon. Und auch, dass die Bleche in ihren<br />

Maßen und ihrer Beschaffenheit sofort einsatzfähig wären. Denn die<br />

Bleche sind mit zu erreichenden 1,3 mm ziemlich dünn, aber trotzdem<br />

stabil.“ Die ersten tiefgezogenen Versuchsbauteile, die Bernhard Engl<br />

vorweisen kann, beweisen, dass Magnesiumbauteile nicht unbedingt<br />

gegossen werden müssen: Von der technischen Seite steht der Verwendung<br />

von Magnesiumblechen also nichts mehr im Weg.<br />

Das Problem ist jetzt noch der Absatz, denn die Kunden entscheiden<br />

schließlich, ob die Magnesiumbleche im stofflichen Leichtbau akzeptiert<br />

und im Preis gegenüber den anderen <strong>Werkstoffe</strong>n konkurrenzfähig<br />

werden können. Doch genau diese Frage gestaltet sich bislang<br />

schwierig: Man müsste wissen, wie viele Bleche beispielsweise ein Autohersteller<br />

bereit wäre abzunehmen und wie viel er dafür zahlen würde.<br />

Sobald allerdings die Automobilbranche die Vorteile realisieren<br />

kann, könnten die ersten Hersteller Magnesiumbleche aus dem Hause<br />

<strong>ThyssenKrupp</strong> in die Serienproduktion übernehmen. Und der Einsatz<br />

der neuen Blechkonkurrenz in Auto und Luftfahrtindustrie zeichnet sich<br />

durch Vielfalt aus: Ob Haube, Dach, Instrumententräger oder Sitzschale<br />

– das Leichtgewicht hat noch eine große Zukunft vor sich. 7


100 OBERRIED<br />

In Oberried, südlich<br />

von Freiburg im Breisgau,<br />

liegt der Barbarastollen.<br />

Hier wird das Kulturschutzgut<br />

Deutschlands<br />

in Edelstahlbehältern<br />

verwahrt. Das weißblaue<br />

Zeichen in<br />

dreifacher Wiederholung<br />

gibt es fünf Mal in der<br />

Welt und nur ein Mal<br />

in Deutschland. Es<br />

weist darauf hin, dass<br />

das Kulturgut in<br />

Oberried unter Sonderschutz<br />

steht.<br />

Lagerstollen<br />

mit dem Segen<br />

der Barbara<br />

Von Heribert Klein | Fotos Walter Schmitz<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


OBERRIED 101


102 OBERRIED<br />

Archiviert für immer und ewig<br />

Der Werkstoff der Container<br />

stammt von <strong>ThyssenKrupp</strong> Nirosta<br />

in Dillenburg. Die Spezialbehälter<br />

müssen im Stollen hohen<br />

Anforderungen gerecht werden.<br />

Denn von äußeren Einflüssen<br />

sollen die eingelagerten Mikrofilme<br />

unbehelligt bleiben.


OBERRIED 103


104 OBERRIED


OBERRIED 105<br />

Sicher vor Wind und Wetter<br />

Wenn die Container am Stolleneingang<br />

angekommen sind,<br />

stehen sie zum letzten Mal im<br />

Tageslicht. Die aufwändige<br />

Schweiß- und Verschlusstechnik<br />

garantiert die totale Abdichtung<br />

tief drinnen im Stollen, bei einer<br />

Temperatur von zehn Grad Celsius<br />

über Null.


106 OBERRIED<br />

Umgeben von Gneis und Granit<br />

Die Edelstahlcontainer sind<br />

ein Schatzhaus für die Kultur des<br />

gesamten Landes. Mehr als<br />

siebenhundert Millionen Dokumente<br />

lagern verfilmt in den blitzenden<br />

Hüllen, die luftdicht klimatisiert,<br />

von keinem Laut gestört, die<br />

Gegenwart überleben.


OBERRIED 107


108 OBERRIED<br />

Nichts, aber auch gar nichts weist darauf hin, dass sich mitten im Wald, tief in<br />

der Erde, ein einzigartiges Schatzhaus des deutschen Geistes verbirgt. Der<br />

Eingang liegt irgendwo im Forst. Das dreifach angebrachte weiß-blaue Zeichen<br />

hinter der Gittertür ist unscheinbar, nichts weist darauf hin, dass hier Kulturgut<br />

unter Sonderschutz steht. Der Besucher wähnt sich im Kyffhäuser, jenem Höhlenlabyrinth,<br />

in dem Rotbart Kaiser Barbarossa haust und seiner Wiederkehr harrt. In<br />

Wirklichkeit aber stapft der Besucher hinein in den Barbarastollen in Oberried bei<br />

Freiburg im Breisgau, den, wie es genau heißt, „Zentralen Bergungsort der Bundesrepublik<br />

Deutschland“. Roland Stachowiak von der Zentralstelle für Zivilschutz hat<br />

vielleicht wegen der schulterlangen Haare Ähnlichkeit mit dem mittelalterlichen Rotbart,<br />

doch im Barbarastollen wird der Verwaltungsbeamte, zuständig für den „Schutz<br />

von Kulturgut“, zum Fremdenführer, der mit Helm und gelber Jacke vorangeht, fünfhundert<br />

Meter weit, bei einer Temperatur von 10 Grad Celsius und einer relativen<br />

Luftfeuchtigkeit von fünfundsiebzig Prozent.<br />

„Hinter dieser Stahltür beginnt der eigentliche Lagerstollen“, stellt Stachowiak<br />

fest. Kaum hat er das Zahlenschloss eingestellt, braucht er zwei kräftige Arme, um die<br />

Stahltür (vor drei Jahrzehnten von Thyssen Industrie gebaut), gut und gern einen halben<br />

Meter dick, zu öffnen. Ein paar Schritte genügen – schon gibt die Schatzkammer,<br />

insgesamt hundert Meter lang, ihre Schätze preis.<br />

KULTUR IM SCHALBETON HINTER STAHLTÜREN<br />

Sie ist freilich von ganz eigenwilliger Art. Wer hier unschätzbare Relikte längst vergangener<br />

Zeiten zu sehen hofft, sieht sich enttäuscht. Rund dreizehnhundert Edelstahlbehälter<br />

sind doppelstöckig aufgereiht, fest verschlossen, unterschieden nur<br />

durch eine Kennnummer. Filme sind in den Containern enthalten, mikroverfilmte Archivalien<br />

mit Unikatswert und, wie es die Vorschrift sagt, „mit besonderer Aussagekraft<br />

zur deutschen Geschichte und Kultur“. 24.320 Meter Film fasst der Großbehälter<br />

aus V-2-A-Edelstahl, insgesamt sind es also knapp 32 Millionen Filmmeter, die<br />

dort unten im Schauinsland-Gebirge lagern, mit mehr als siebenhundert Millionen<br />

Dokumenten.<br />

Das Projekt wirkt skurril oder doch gespenstisch? Stachowiak ist vom Ernst der<br />

Angelegenheit überzeugt, restlos. „Die Haager Konvention von 1954 ist ein völkerrechtliches<br />

Kulturschutzabkommen. 1967 ist die Bundesrepublik Deutschland der<br />

Konvention beigetreten. 1975 fand hier im Barbarastollen die erste Einlagerung statt.<br />

Der Stollen selbst wurde mit Schalbeton ausgekleidet und mit Drucktüren abgesichert.<br />

An die Stahlbehälter wurden von Beginn an sehr hohe Anforderungen gestellt,<br />

schließlich sollen die Mikrofilme ja von äußeren Einflüssen in den Containern unbe-<br />

Was im Barbarastollen<br />

untergebracht wird, soll nach<br />

der Haager Konvention von<br />

1954 kulturell aussagekräftig<br />

sein. Roland Stachowiak<br />

von der Zentralstelle für den<br />

Zivilschutz wacht darüber, dass<br />

die Kulturdokumente ordnungsgemäß<br />

die letzte Ruhe finden.<br />

Das Endlager<br />

für die Geschichte<br />

helligt bleiben.“ Wer nun genau wissen will, was es mit<br />

diesen Containern auf sich hat, muss weit reisen. In Haiger<br />

bei Dillenburg findet er die Firma Ucon, den Lieferanten<br />

der Behälter. Klaus Kettner, dort für den Verkauf der<br />

Umformtechnik zuständig, kennt offenbar auch das letzte<br />

Detail dieses, wie er sagt, höchst anspruchsvollen zylindrischen<br />

Behälters. „Von <strong>ThyssenKrupp</strong> Nirosta in Dillenburg<br />

beziehen wir den fertigen Zuschnitt. Das Material<br />

muss tiefziehfähig sein, mit einer hohen Vergütung. Wir<br />

müssen, bei einer Tiefe von 350 Millimeter für jede Seite,<br />

einen relativ tiefen Corpus beim Ober- und Unterteil ziehen.<br />

Wichtig ist, dass beim Ziehvorgang ohne Glühen das<br />

Material nicht bricht. Hierfür haben wir spezielle Werkzeuge<br />

gebaut, über die nur wir verfügen. Nicht zuletzt wegen<br />

dieser Exklusivität sind wir seit vielen Jahren die Lieferanten<br />

der Container für den Barbarastollen in Oberried.“<br />

Dass sie luftdicht und entsprechend klimatisiert im<br />

Stollen gelagert werden, versteht sich von selbst. Kein<br />

Laut dringt hierher, nichts von der draußen lärmenden<br />

Welt. Früher wusste, von Eingeweihten abgesehen, kaum<br />

einer etwas von dem verborgenen kulturellen Schatz.<br />

„Schöpferische Landschaft“ hat die Gegend um Todtnau<br />

der Philosoph Martin Heidegger (1889 – 1976) genannt,<br />

beeindruckt von der strengen Einfachheit der tief verschneiten<br />

Flächen, „all das schiebt sich und drängt sich<br />

und schwingt durch das tägliche Dasein dort oben“. Wo<br />

besser kann sich die Kultur ausruhen, der DIN-Norm entsprechend,<br />

wie Stachowiak erklärt, mindestens für fünfhundert<br />

Jahre? Es könnten aber auch fünfzehnhundert<br />

Jahre sein, welche die Mikrofilme überdauern. „Wir jedenfalls<br />

werden es nicht mehr überprüfen können“, stellt<br />

er lakonisch fest.<br />

Für die Ungestörtheit wurden von Beginn an Vorkehrungen<br />

getroffen. Auch wenn nach Stachowiaks Worten<br />

von „Atombombensicherheit“ hier keine Rede sein<br />

kann: der aus Granit und Gneis bestehende Fels ist schon<br />

resistent. Obendrein gilt noch immer ein Überflugverbot<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


für Militärmaschinen, und auch Panzer dürfen sich dem Stollen nicht näher als fünf Kilometer<br />

nähern. Von all dem abgesehen: „Wir legen Wert auf größtmögliche Qualität<br />

bei den Behältern“, lautet die Maxime des Bergungsort-Beauftragten.<br />

Fürwahr, allein die Darstellung der Verschlusstechnik, wie sie Klaus Kettner erklärt,<br />

lässt die Qualität ahnen. Die Container müssen hochdruckbelastbar sein, die<br />

Edelstahlflansche werden innen und außen verschweißt, in sie ist jeweils eine Nut eingearbeitet,<br />

in diese hinein wird ein Kupferring gelegt. „Früher war dies ein Gummiring,<br />

doch der war zu weich und wurde porös“, erinnert sich Kettner. Also probierte man es<br />

mit Ringen aus Kautschuk, die aber rissen durch das Quetschen und lösten sich auf.<br />

„Heute verwenden wir reine Kupferdichtungen. Diese werden gerundet, an beiden<br />

Endstellen geschweißt, es entsteht ein leichter Wulst, der wird kalibriert. Die Schweißnaht<br />

muss absolut präzis auf den Durchmesser passen, der im Ursprungsmaterial ist.<br />

Nur so ist die totale Abdichtung gewährleistet.“ Am Ende werde alles verschraubt, in<br />

der Regel für Jahrhunderte. Sollte allerdings mal ein Container geöffnet werden,<br />

müsse der Ring erneuert werden, denn dieser werde durch das Öffnen zerstört. „Das<br />

alles ist ein relativ komplizierter Produktionsvorgang, der viel handwerkliches Geschick<br />

erfordert.“<br />

Zu sehen ist davon nichts tief im Berginnern. Nur, dass die heute eingelagerten<br />

Container sich von den Vorgängern insofern unterscheiden, als diese sehr viele<br />

Schweißnähte aufwiesen. Die Nachfolger lassen nichts davon erkennen. Die Unversehrtheit<br />

des Äußeren lässt sich auf das Innere übertragen. Sechzehn Filmrollen à<br />

1520 Meter können auf den „Tortenböden“ in einem Edelstahlbehälter gelagert werden,<br />

für immer und ewig. Nur zur Ansicht liegen auf einigen wenigen Containern Farbkopien<br />

von den Dokumenten, die archiviert sind. Wenn in fernen Zeiten ein Zeitgenosse<br />

Genaueres über den Frieden von Venedig 1174, das Titelblatt zur Goldenen<br />

Bulle König Wenzels um 1400, die Grundrechte des Deutschen Volkes vom Reichsverweser<br />

Johann oder ein „Ausschreiben“ von Friedrich August I. vom 27. Juni 1694<br />

wissen will: im Barbarastollen wird er fündig werden.<br />

CONTAINER FÜR DAS VOLK DER DICHTER UND DENKER<br />

Stellt sich die Sinnfrage. Gerade einmal drei Millionen Euro stellt das Bundesinnenministerium<br />

pro Jahr für diese Art von Archivierung bereit. Verschwindend wenig „für<br />

das Volk der Dichter und Denker“, wie Stachowiak gar nicht süffisant feststellt. Es bestehe<br />

doch geradezu eine Verpflichtung, Kulturgüter für zukünftige Generationen mit<br />

aller Sorgfalt zu verwahren. Solches müsse langfristig durchdacht werden und dürfe<br />

keinesfalls kurzfristigen monetären Überlegungen (wenn Geld fehlt) zum Opfer fallen.<br />

„Ich versuche seit Jahren klar zu machen, was hier auf dem Spiel steht, aber die Re-<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

OBERRIED 109<br />

sonanz lässt sehr zu wünschen übrig, bei den mit Kulturgutschutz<br />

beauftragten Ministerien in Bund und Ländern“,<br />

sagt Stachowiak mit leicht resignierendem Ton. Wo<br />

doch dieser Stollen ein in Deutschland einzigartiges Projekt<br />

ist. Das weiß-blaue Zeichen in dreifacher Wiederholung<br />

ist weltweit nur fünf Mal vergeben worden – ein einziges<br />

Mal in Deutschland, allein dies erklärt den Stollen<br />

unter dem Schauinsland-Gebirge zum Unikat.<br />

SCHUTZGUT FÜR TAUSEND JAHRE<br />

Ob digitale Archivierung dies alles einmal überflüssig machen<br />

wird? Stachowiak widerspricht nachdrücklich. Zusammen<br />

mit dem Fraunhofer-Institut für physikalische<br />

Messtechnik werde daran gearbeitet, digitale Daten auf<br />

analogen Farbfilm zu bringen. Denn die digitalen Datenträger<br />

hielten sich nicht lange, Filme dagegen sehr wohl.<br />

Das Internet biete davon abgesehen die aktuelle Nutzung<br />

von verfilmten Archivalien an, wenn man die Idee in die<br />

Tat umsetze. Durch die Entgelte für die elektronische Webdarstellung<br />

ließe sich ein ziemlicher Teil der Kosten der Archivierung<br />

in Oberried amortisieren.<br />

So wird denn der Barbarastollen auf ferne Zeiten<br />

gebraucht werden. Mehr und mehr, glaubt man Roland<br />

Stachowiak. Die Firma Ucon mag sich darüber freuen,<br />

dass vom Jahr 2004 an noch mehr Container gebraucht<br />

werden, denn mit der Verfilmung auch von wichtigen Bibliotheksbeständen<br />

steigt die Zahl einzulagernder Behälter.<br />

Schon weist der Fachmann für den Schutz von Kulturgut<br />

darauf hin, dass ein zweiter Lagerstollen in<br />

absehbarer Zeit erschlossen und ausgebaut werden<br />

müsse. Um der Zukunft willen, welche die Vergangenheit<br />

bewahrt: im Dunkeln, vorbildlich klimatisiert, erdbebensicher,<br />

von Edelstahl rundherum umgeben. Fünfhundert,<br />

tausend, zweitausend und mehr Jahre lang. Beruhigend<br />

zu wissen, dass hier kein Barbarossa herumirrt, der am<br />

Ende den Stollen verlässt und sein Unwesen unter der<br />

Menschheit treibt. 7


110 GLOSSAR<br />

<strong>Werkstoffe</strong> mit einem Blick gesehen<br />

Was sie voneinander unterscheidet und wie viele dennoch zusammenhängen<br />

Erz. Erze sind Mineralien, in denen nutzbares<br />

Metall so stark angereichert vorkommt,<br />

dass sie sich zur Metallgewinnung eignen.<br />

Bestandteile der Erze sind aber nicht nur die<br />

nutzbaren Metalle oder ihre chemischen<br />

Verbindungen, sondern auch andere Minerale<br />

(z.B. Kalk oder Quarz). Sie werden als<br />

„taubes Gestein“ oder als „Gangart“ bezeichnet.<br />

Eisenerze. Die wichtigsten Eisenerze sind<br />

Eisen-Sauerstoff-Verbindungen wie Magneteisenstein,<br />

Rot-und Brauneisenstein (Pyrit und<br />

Eisenkies zählen zu den Eisen-Schwefel-Verbindungen).<br />

Aus ihnen wird im Hochofen<br />

durch Reduktion mit Kohlenstoff Eisen gewonnen.<br />

Dazu setzt man in der Regel Koks ein.<br />

Die Eisenoxide werden ferner mit Zuschlägen<br />

wie Sand oder Kalkstein versetzt, damit diese<br />

mit dem restlichen „tauben Gestein“ eine<br />

Schlacke bilden, die sich gut vom Roheisen<br />

trennen lässt.<br />

Roheisen. Das Roheisen, das den Hochofen<br />

verlässt, ist sehr hart und spröde. Es lässt<br />

sich mechanisch nicht verformen. Der Grund<br />

liegt darin, dass im Roheisen, welches zu 90<br />

% aus Eisen besteht, auch noch bis zu 5 %<br />

Kohlenstoff sowie andere Elemente wie beispielsweise<br />

Mangan (2 %), Silicium (1 %),<br />

Phosphor (0.3 %) und Schwefel (0.4 %) enthalten<br />

sind.<br />

Schlacke. Als Schlacke bezeichnet man das<br />

Gemisch, das sich beim Hochofenprozess aus<br />

dem „tauben Gestein“ und den Zuschlägen<br />

bildet. Es besteht unter anderem aus Kieselsäure,<br />

Metalloxiden und Kalk. Die Schlacke<br />

schwimmt auf Grund ihrer geringeren Dichte<br />

auf dem flüssigen Roheisen und erstarrt nach<br />

dem Abkühlen zu einer glasigen Masse.<br />

Schlacke wird zu Hochofenzement oder Düngemittel<br />

verarbeitet. Als so genannte stabilisierte<br />

Schlacke (die durch die Mischung zwischen<br />

Sauerstoff und Quarzsand zu LiDonit verarbeitet<br />

wird) kommt sie im Straßenbau als<br />

Deckschichtbelag mit hoher Griffigkeit und<br />

Belastungsfähigkeit zum Einsatz.<br />

Stahl. Stahl ist ein Sammelbegriff für eine<br />

sehr große Gruppe von Eisenwerkstoffen,<br />

die durch ihre Festigkeit, ihre gute Verarbeitbarkeit<br />

und Zähigkeit zu den wertvollen<br />

<strong>Werkstoffe</strong>n zählen. Entfernt man weitestgehend<br />

die Verunreinigungen aus dem Roheisen<br />

und senkt den Kohlenstoffgehalt auf<br />

höchstens 2 %, erhält man ein schmiedbares<br />

Eisen – eben den Stahl. Der Kohlenstoff ist<br />

wichtigstes Legierungselement des Stahls.<br />

Er beeinflusst schon in geringen Mengen die<br />

Verformbarkeit und Härtbarkeit des Stahls.<br />

Man unterscheidet heute zwischen rund 2000<br />

Sorten Stahl. Die Einteilung der Stahlsorten<br />

richtet sich nach ihrer chemischen Zusammensetzung<br />

und nach ihren Gebrauchseigenschaften:<br />

Es gibt entsprechend der<br />

chemischen Zusammensetzung unlegierte<br />

und legierte Stähle sowie im Hinblick auf<br />

die Gebrauchseigenschaften Grundstähle,<br />

Qualitätsstähle und Edelstähle.<br />

Edelstahl. 1912 wurde der Firma Fried. Krupp<br />

erstmals in der Welt ein Patent zur Herstellung<br />

von rostbeständigem Stahl erteilt. Von diesem<br />

Zeitpunkt an wurde Edelstahl Rostfrei in die<br />

gesamte Welt geliefert. Seit 1922 wird Edelstahl<br />

Rostfrei unter der Marke NIROSTA ® vertrieben<br />

– eine Abkürzung für Nicht Rostender<br />

Stahl. Beim Edelstahl werden die physikalischen<br />

und chemischen Eigenschaften durch<br />

andere Legierungsmetalle, die Stahlveredler,<br />

verbessert. Chrom trägt zur Korrosionsbeständigkeit<br />

bei und steigert die Härte. Zusammen<br />

mit Nickel verbessert es die Korrosionsbeständigkeit<br />

(Nirosta-Stahl). Molybdän und Wolfram<br />

vergrößern die Hitzebeständigkeit, so dass der<br />

Stahl auch bei Rotglut noch fest bleibt. Vanadium<br />

erhöht zum Beispiel die Festigkeit, Mangan<br />

vermindert die Abnutzung von Stahlwerkzeugen.<br />

Je nach Kohlenstoffgehalt und<br />

zulegierten Metallen weisen die verschiedenen<br />

Edelstähle je unterschiedliche Eigenschaften<br />

auf. <strong>ThyssenKrupp</strong> Stainless bietet sämtliche<br />

nichtrostende metallische <strong>Werkstoffe</strong> an: Edelstahl<br />

Rostfrei, Nickelbasislegierungen und<br />

Titan.<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |


Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />

Titan. Als 22. Element im Periodensystem<br />

der chemischen Elemente kommt Titan<br />

häufig in der Erdkruste vor (mit einem<br />

Prozentanteil von 0,6 Prozent liegt es insgesamt<br />

an 9. Stelle). Es ist in der Natur sehr<br />

verteilt und jeweils nur in kleinen Konzentrationen<br />

anzutreffen.<br />

Besonders findet man Titan in eisenhaltigen<br />

Erzen. In den frühen fünfziger Jahren wurde<br />

eine Technik entwickelt, um Titan aus Erz als<br />

Basiswerkstoff zu gewinnen. Heute unterscheidet<br />

man zwei Kategorien: Reintitan (zu<br />

mehr als 99 Prozent bestehend aus Titan,<br />

ergänzt um die Begleitelemente wie etwa<br />

Sauerstoff, Kohlenstoff und Eisen. Die andere<br />

Kategorie bilden Titanlegierungen mit<br />

Anteilen dieses Werkstoffs zwischen 2 und<br />

20 Prozent. Die Anwendungsmöglichkeiten<br />

von Titan sind sehr vielfältig. Man findet<br />

Titan in der Medizintechnik, im Automobilbau,<br />

in der Schmuckherstellung. Die entscheidenden<br />

Gründe für die vielfältige Anwendung<br />

von Titan sind leicht zu benennen:<br />

hervorragende Korrosionsbeständigkeit,<br />

hohe Festigkeit bei niedriger Dichte, optimale<br />

mechanische und thermische Belastbarkeit<br />

und Körperverträglichkeit. Somit<br />

ist Titan alles andere als ein exotischer<br />

Werkstoff.<br />

Aluminium. Aluminium ist ein silberweißes<br />

Leichtmetall, das durch eine sich an Luft<br />

bildende Oxidschicht an der Oberfläche besonders<br />

korrosionsbeständig ist. In reiner<br />

Form als Metall kommt es wegen seiner<br />

großen Sauerstoffaffinität nicht vor.<br />

In Verbindungen ist es das am meisten auftretende<br />

Metall der Erde, circa 8 % der<br />

Erdrinde bestehen daraus. Trotz der Häufigkeit<br />

wurde es als Metall erst 1827 entdeckt,<br />

da seine Darstellung technisch sehr<br />

aufwändig ist. Drei Eigenschaften machen<br />

es zu einem wichtigen technischen Werkstoff:<br />

Einmal wird sein günstiges Verhältnis<br />

von Festigkeit zur Dichte (geringes Gewicht<br />

bei starker Festigkeit) in der Luftfahrt und in<br />

der Fahrzeugtechnik genutzt.<br />

GLOSSAR 111<br />

Magnesium. Magnesium ist ein silberglänzendes<br />

(unedles) Leichtmetall. In grellweißem<br />

Licht verbrennt es zu Magnesiumoxid.<br />

An der Luft bildet es eine undurchlässige<br />

Schicht von Magnesiumoxid und schützt so<br />

das Magnesium vor weiterer Oxidation. In<br />

der Natur existiert es in mineralischen Magnesiumverbindungen,<br />

zum Beispiel im Magnesit<br />

und Dolomit oder in gelöster Form im<br />

Meerwasser. Magnesium und Magnesium-<br />

Legierungen werden mittlerweile vielseitig als<br />

<strong>Werkstoffe</strong> genutzt.<br />

Polycarbonat. Polycarbonat ist ein so genannter<br />

Thermoplast und zählt zu der Gruppe<br />

der technischen Kunststoffe. 1953 wurde es<br />

erstmals von H. Schell bei Bayer hergestellt,<br />

1958 ging es in die industrielle Fertigung.<br />

Ähnlich entdeckte D.W. Fox, ein Mitarbeiter<br />

von General Electric, das Polycarbonat. General<br />

Electric stellte es ebenfalls industriell<br />

danach her. Konkret gehört das Polycarbonat<br />

zur Gruppe der Polyester. Zu seinen besonderen<br />

Eigenschaften zählen die glasklare<br />

Transparenz und die außerordentlich hohe<br />

Schlagzähigkeit. Es lässt sich nageln und<br />

schrauben ohne die Gefahr des Zersplitterns<br />

– dies bei Temperaturen von -40 Grad bis<br />

+115 Grad. Es eignet sich gut für Sichtschutzverkleidungen<br />

im industriellen Einsatzbereich,<br />

zum Beispiel in Kraftfahrzeugen als<br />

Seiten- und Heckscheiben. Das Polycarbonat<br />

hat eine lange Lebensdauer bei hoher und<br />

dauerhafter Farbechtheit. Es ist beständig<br />

gegen Benzin, Öle und Fette, die elektrischen<br />

Isoliereigenschaften sind sehr gut. Polycarbonat<br />

ist bruchsicherer als Glas und lässt<br />

sich auf Grund des niedrigen spezifischen<br />

Gewichts leichter handhaben. ckl


112 PUBLIKATIONEN<br />

Das <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>Magazin</strong><br />

Nachhaltigkeit war das Thema, das dem<br />

<strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>Magazin</strong>, das vor Jahresfrist<br />

erschien, inhaltlich den roten Faden gab. Viele<br />

Beispiele wurden vorgestellt, die nachweisen,<br />

wie nachhaltig und damit zukunftsorientiert<br />

<strong>ThyssenKrupp</strong> arbeitet. Mit Wasserdruck lässt<br />

sich härtester Stahl formen, der neue Stahl FR<br />

30 ist eine halbe Stunde lang feuerresistent,<br />

das Konzept des so genannten TWIN-Aufzugs<br />

(zwei übereinander fahrende Aufzüge in einem<br />

Schacht) revolutioniert die Vorstellung von<br />

Fahrstühlen, neue Spundwände stabilisieren<br />

Deiche auf lange Zeit. <strong>ThyssenKrupp</strong> beweist<br />

mit all diesen Beispielen eines: Der Konzern<br />

entwickelt Produkte, die bei der Produktion<br />

Ressourcen, Energie und damit insgesamt<br />

Kosten sparen – <strong>ThyssenKrupp</strong> bekennt sich<br />

damit zur Nachhaltigkeit.<br />

Impressum<br />

Die <strong>Magazin</strong>e können Sie<br />

unter www.thyssenkrupp.com in<br />

der Service-Navigation unter<br />

„Publikationen“ bestellen.<br />

„Wer etwas bewegen will, muss sich selbst bewegen“, lautete das Motto<br />

des <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>Magazin</strong>s, das im Sommer des Jahres 2003 erschien.<br />

Vorstandsvorsitzender Prof. Dr. Ekkehard D. Schulz brachte es auf den Punkt:<br />

„Wir bringen Bewegung ins Denken.“ Was damit gemeint ist, lässt sich in<br />

20 Geschichten in dieser <strong>Magazin</strong>-Ausgabe nachlesen. Fahrtreppen in<br />

Toledo, Mega Yachten von Blohm + Voss, eine Wasser-Achterbahn mit<br />

stählernen Pylonen von <strong>ThyssenKrupp</strong>, Großwälzlager von Rothe Erde, die<br />

auf höchstem Niveau den richtigen Dreh finden – der Konzern beweist ein<br />

ums andere Mal, wie innovativ er aufgestellt ist. In Asturien wurde ein<br />

neuer Fahrsteig entwickelt, der seine Geschwindigkeit ändert; in England<br />

lieferte der Konzern Schienen für eine Hochgeschwindigkeitstrasse und<br />

restaurierte die legendäre Forth Rail Bridge in Schottland. Dank spezieller<br />

Kenntnisse und Fähigkeiten wird <strong>ThyssenKrupp</strong> ein unverzichtbarer<br />

Systempartner der Automobilhersteller, dank Simultaneous Engineering,<br />

das Kosten und Zeit spart. Zum wichtigsten Partner wurde der Konzern<br />

aber auch in anderer Art: als Partner der Tournee der Gruppe PUR. Wer<br />

wissen will, was hinter Hartmut Engler, dem Sänger der Kultband, steckt – in<br />

diesem <strong>Magazin</strong> erfährt er viel darüber.<br />

Herausgeber: <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>AG</strong>, Dr. Jürgen Claassen, August-Thyssen-Straße 1, 40211 Düsseldorf, Telefon: +49 211-824-0<br />

Projektleitung: Dr. Heribert Klein (verantwortlich für den redaktionellen Inhalt) • Art Director: Peter Breul<br />

Projektleitung bei <strong>ThyssenKrupp</strong>: Barbara Scholten<br />

Anschrift der Redaktion: Redaktionsbüro Dr. Heribert Klein, Wichernweg 8, 65549 Limburg,<br />

Telefon: +49 6431 47610, Fax: +49 6431 408916, e-Mail: H.Klein@teliko.net<br />

Autoren: Rüdiger Abele, Benedikt Breith, Sebastian Groß, Christa Klein, Carsten Knop, Sybille Wilhelm, Dieter Vogt<br />

Schluß- und Bildredaktion: Christa Klein • Layout: Esther Rodriguez<br />

Verlag: F.A.Z.-Institut für Management-, Markt- und Medieninformationen GmbH,<br />

Mainzer Landstraße 195, 60326 Frankfurt am Main, Telefon: +49 69–75 91-0, Fax: +49 69–75 91-1966<br />

Geschäftsführung: Dr. Gero Kalt, Volker Sach, Peter Steinke<br />

Litho: Goldbeck Sytem-Litho, Frankfurt am Main<br />

Druck: SocietätsDruck, Mörfelden<br />

Der Inhalt der Beiträge gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder. Nachdruck nur mit Quellenangabe und Belegexemplar<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |

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