ThyssenKrupp Magazin Werkstoffe - ThyssenKrupp Elevator AG
ThyssenKrupp Magazin Werkstoffe - ThyssenKrupp Elevator AG
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magazin<br />
Das TK<br />
Denken, nachdenken,<br />
ausdenken – <strong>ThyssenKrupp</strong><br />
formt aus Rohstoffen<br />
viele <strong>Werkstoffe</strong>, in jeder nur<br />
denkbaren Form. Die<br />
Faszination im Konzern für<br />
neue <strong>Werkstoffe</strong> kann man<br />
nicht nur sehen, sondern<br />
spüren, mit eigenen<br />
Händen. Weltweit.
Wir denken <strong>Werkstoffe</strong> weiter<br />
Von Prof. Dr. Ekkehard D. Schulz,<br />
Vorsitzender des Vorstands der <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>AG</strong><br />
Welche Aufgabe der Wissenschaftler hat, darüber wurde zu<br />
allen Zeiten diskutiert. War er nur auf der Suche nach der<br />
Wahrheit oder wollte er im Kern doch die Welt verändern?<br />
Brachte er der Menschheit Segen oder war er der endgültig entfesselte<br />
Prometheus, der zügellos die Wissenschaft nutzte, um zur Bedrohung<br />
zu werden? <strong>ThyssenKrupp</strong> kommt als führender Technologiekonzern<br />
zwangsläufig mit der Naturwissenschaft in Berührung. Den Anspruch,<br />
die Welt verändern zu wollen, erheben wir nicht. Wohl aber stellen wir<br />
uns der Erwartung unserer Stakeholder. In Richtung Zukunft führt unser<br />
Weg, mit allem kreativen Potenzial, das unsere Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter nutzbringend einsetzen.<br />
Die neue Ausgabe des <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>Magazin</strong>s führt Ihnen praktische<br />
Ergebnisse solch innovativen Denkens vor. Der Umgang mit<br />
<strong>Werkstoffe</strong>n gehörte und gehört noch immer zur Kernkompetenz unseres<br />
Konzerns, angefangen bei den Gründern von Krupp, Thyssen und<br />
Hoesch. Auch durch ihre Erfindungen und ihr unternehmerisches Wirken<br />
blieb die Welt nicht so, wie sie war.<br />
Das Tempo des Wandels wurde sicher schneller. Denker unserer<br />
Zeit beobachten scharfsichtig die wahrnehmbaren Veränderungen –<br />
und ziehen daraus ihre Schlüsse. „Der rasche Wandel ist vor allem eine<br />
Folge der Wissenschaft“, hat vor mehr als drei Jahrzehnten der Philosoph<br />
und Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker festgestellt. Bei aller<br />
Wahrheit dieser Aussage: Aus Sicht von <strong>ThyssenKrupp</strong> ist der Wandel<br />
vor allem eine Folge veränderter Kundenwünsche. Der Kunde und seine<br />
Bedürfnisse stehen am Ausgangspunkt aller unserer Überlegungen.<br />
Denn Kundeninteressen zu erkennen, ist eine Verpflichtung für uns alle<br />
und gleichzeitig die Basis zukunftsorientierten Handelns.<br />
Dass wir hier auf dem richtigen Weg sind, zeigt die ganze Vielfalt<br />
im Umgang mit <strong>Werkstoffe</strong>n. Stahl bildet bei den <strong>Werkstoffe</strong>n zweifellos<br />
noch immer den Schwerpunkt. Doch Stahl hat ein ungeahntes Potenzial.<br />
Im Autozuliefererbereich etwa ist es unseren Ingenieuren gelungen,<br />
mit dem „NewSteelBody“ eine extrem leichte Karosserie zu bauen.<br />
Ähnliches gilt für neuartige „Gebaute Nockenwellen“ mit großer Gewichtsreduzierung.<br />
Oder nehmen Sie das immer breiter werdende Angebotsfeld<br />
von Edelstahl: Auch hier denken wir diesen Werkstoff weiter,<br />
in der Anwendung im Haushalt, in der Lebensmittelherstellung, im Baubereich,<br />
nicht zu vergessen in einer der sehr schnellen Sportarten, dem<br />
Bobfahren. Sogar eine der nachhaltigsten Applikationen stammt aus<br />
unserem Haus: Edelstahlcontainer, in denen das so genannte „Kulturschutzgut<br />
Deutschlands“, Millionen verfilmte Schriftstücke, in einem<br />
Stollen im Schauinsland bei Freiburg für mindestens 500 Jahre verwahrt<br />
werden.<br />
Doch wir begnügen uns nicht mit dem Werkstoff Stahl. Magnesium,<br />
einem spannenden Werkstoff, dessen Erforschung für Kundeninteressen<br />
erst am Anfang steht, widmen sich unsere Ingenieure, Aluminium<br />
nicht weniger – hervorragend geeignet für die Anwendung in der<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
EDITORIAL 1<br />
Automobilproduktion. Mit neuer Vakuumtechnik erhalten wir <strong>Werkstoffe</strong>,<br />
die höchsten Anforderungen in der Luft- und Raumfahrt gerecht<br />
werden.<br />
Der Kunde ist König – und übt damit den wichtigsten Einfluss auf<br />
unseren Umgang mit <strong>Werkstoffe</strong>n aus. <strong>ThyssenKrupp</strong> Services bietet<br />
dafür eine Plattform: Ein Werkstoff-Auswahlprogramm präsentiert dem<br />
Kunden in Sekundenschnelle Vorschläge, welcher Werkstoff für ihn am<br />
besten geeignet ist. Über den direkten Werkstoff hinaus haben wir viel<br />
zu bieten. Blohm + Voss beispielsweise verfügt über „Oil Tools“, Werkzeuge,<br />
um tonnenschwere, aus spezifischen Materialien bestehende<br />
Teile auf Ölplattformen zu bewegen. Der Werkstoff war hier Ausgangspunkt,<br />
um das passende Werkzeug zu entwickeln. Im Schiffbau verhält<br />
es sich nicht anders: Mit einer neuartigen Laserschweißtechnik können<br />
wir meterlange Paneele mit engsten Toleranzen bearbeiten.<br />
Sind das Beispiele für die Arbeit des entfesselten Prometheus?<br />
Wohl kaum, im Gegenteil. <strong>ThyssenKrupp</strong> bekennt sich zu einem Grundsatz:<br />
dem Prinzip Verantwortung. Dem werden wir gerecht. Deshalb suchen<br />
wir den Kontakt zu jungen Werkstoffforschern in Universitäten und<br />
Instituten und unterstützen sie bei ihren Projekten.<br />
Das Prinzip Verantwortung hat seine nachhaltigen Seiten. Wenn<br />
wir in diesem Jahr Edelstahlprofile für den Besucherturm des Kölner<br />
Doms liefern, vereint sich die Technik mit der Kultur. Andere gelungene<br />
Beispiele für diese Annäherung finden Sie in dieser neuen <strong>Magazin</strong>-<br />
Ausgabe. Lassen Sie sich informiert und unterhaltend mitnehmen, auf<br />
der Reise durch die Welt der <strong>Werkstoffe</strong> bei <strong>ThyssenKrupp</strong>.<br />
Prof. Dr. Ekkehard D. Schulz,<br />
Vorsitzender des Vorstands der<br />
<strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>AG</strong>
2 INHALT<br />
12 Wunderkerzen<br />
machen ihrem Namen<br />
in jeder Weise Ehre<br />
4 In ihrem pfeilschnellen<br />
Bob ist Susi<br />
Erdmann Weltspitze<br />
32 Werkzeuge<br />
für Bohrrohre greifen<br />
sehr sensibel zu<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004<br />
4 Für rasende Fahrten geeignet<br />
Kufen aus Stahl im Eiskanal<br />
12 Mit Sterneneffekt getaucht<br />
Das Eisenpulver in der Wunderkerze<br />
20 Am gesägten Berg verlegt<br />
Schwellen für die Zahnradbahn in Montserrat<br />
30 Aus Komponenten gefertigt<br />
Gebaute Nockenwellen für moderne Motoren<br />
32 Auf Präzision getrimmt<br />
Oil Tools für tonnenschwere Bohrrohre<br />
38 Als Blickfang dienend<br />
Die Kultur des Kabinendesigns von Aufzügen<br />
42 Auf glänzendes Profil bedacht<br />
Die Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner<br />
48 Bei der Stahlherstellung erzeugt<br />
LiDonit, eine stabilisierte Schlacke für den Straßenbau<br />
54 Von Leichtigkeit durchdrungen<br />
Der NewSteelBody als Schaustück feinster Stahlwerkstoffe<br />
58 Für Innovationen werbend<br />
„Wir brauchen Menschen, die sich für <strong>Werkstoffe</strong> begeistern“<br />
Interview mit Prof. Dr. Ulrich Middelmann<br />
20 Zum Kloster<br />
Montserrat fährt die Bahn<br />
auf neuen Schwellen<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
62 In der „Hall of Fame“ gelandet<br />
Edward G. Budd, der Erfinder der Ganzstahlkarosserie<br />
68 In leichtem Gewand gestylt<br />
Die neue Aluminium-Karosserie des Lamborghini Gallardo<br />
74 Auf Pucksicherheit geprüft<br />
Die Bandenumrandung aus Kunststoff im Düsseldorfer Eisstadion<br />
76 Für Kunden erfunden<br />
Das Werkstoff-Auswahlprogramm von Jochen Adams<br />
84 Beim Vollanschluss unerreicht<br />
Laserschweißtechnik in der Schiffbaufertigung<br />
88 In der Hochreinheit unübertroffen<br />
Superlegierungen aus dem Vacuum Induction Melting Ofen<br />
92 Gegen Korrosion geschützt<br />
Anwendungen von Edelstahl im Alltag der Menschen<br />
94 Auf die Zukunft gerichtet<br />
Magnesium wird von Forschern als Werkstoff entdeckt<br />
100 Auf Jahrhunderte angelegt<br />
Container für Kulturschutzgut im Barbarastollen in Oberried<br />
110 Glossar<br />
112 Impressum<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
68 Der Lamborghini<br />
Gallardo trägt verdeckt<br />
Aluminium zur Schau<br />
58 „Der Umgang<br />
mit <strong>Werkstoffe</strong>n fördert<br />
die Kreativität“,<br />
sagt Prof. Dr. Ulrich<br />
Middelmann<br />
38 Das Kabinendesign<br />
von Fahrstühlen<br />
verrät viel über Land<br />
und Leute<br />
INHALT 3<br />
42 Dombaumeisterin<br />
Barbara Schock-Werner<br />
verbaut Edelstahl<br />
am Mahnmal Gottes<br />
in Köln
4 BOBFAHREN<br />
Susi Erdmann ist die<br />
amtierende Weltmeisterin im<br />
Zweierbob. Auch sie profitiert<br />
vom Know-how des Bob-<br />
Spezialisten Klaus Nowak.<br />
Er hat für sie neue Kufen<br />
entwickelt, in der Hoffnung,<br />
dass sie weiterhin in den<br />
Eiskanälen der Welt nur<br />
schwer zu schlagen ist.<br />
Das Gefühl ist mulmig. Schon das Erlebnis, einen Bobschlitten mit Tempo 150<br />
schnell wie einen Pfeil an einem vorbeirauschen zu sehen – Wahnsinn! Aber<br />
dann selbst im Gefährt zu sitzen, einen Helm auf dem Kopf, der jeden Millimeter<br />
des Hauptes fast liebevoll umfasst, um durch heftige Stöße ja keinen Schaden zu<br />
erleiden, das ist gar nicht mehr lustig. Denn was wird einen bei dieser Schussfahrt erwarten,<br />
außer dem garantierten „ultimativen Kick“?<br />
Welch ein Glück, dass man im Bob Platz nehmen darf und drei junge Männer das<br />
Gefährt anschieben. Nicht irgendwie, sondern mit aller Macht. Schön, die ersten<br />
zwanzig Meter im Eiskanal erinnern an eine Sight-Seeing-Tour, man blickt in die Landschaft,<br />
auf die schönen Hügel im beschaulichen Winterberg im Sauerland. Doch nur<br />
wenige Sekunden, bis der Bob in die erste Kurve einbiegt – die rasende Fahrt beginnt,<br />
unaufhaltsam, schnell und immer schneller werdend, ohne dass der von allem nichts<br />
ahnende Bobmitfahrer auch nur merkt, durch welche Kurve er gerade mit einer solchen<br />
Wucht schießt, als wolle ihm der Atem stocken.<br />
„Bobfahren ist kein Kinderspiel.“ Dies sagt einer mit ernster Stimme, aber deutlich<br />
glänzenden Augen, die eines auf Anhieb deutlich machen: Klaus Nowak ist von<br />
diesem Sport begeistert, und zwar restlos. Selbst in seinem kleinen Büro, mitten im<br />
weitläufigen Wittener Werksgelände der Edelstahl Witten-Krefeld GmbH, die zu Thys-<br />
Edelstahl<br />
pfeilschnell im<br />
Eiskanal<br />
Wer im Bob an der Weltspitze fahren<br />
will, braucht bestes Material für<br />
den Schlitten. Klaus Nowak von der<br />
Edelstahl Witten-Krefeld GmbH<br />
zählt zu den „Kufenpäpsten“ im<br />
eiskalten Rennsport<br />
Von Heribert Klein | Fotos Walter Schmitz<br />
senKrupp Steel gehört, springt der Bob-Funke über. Da<br />
sitzt er wie der Fahrlehrer, der die Theorie des Autofahrens<br />
erklärt, an seinem Computer und nimmt den Gast mit auf<br />
die Reise unter und durch den Bobschlitten, was sonst für<br />
Fremde so gut wie ausgeschlossen ist. Denn ein Bob ist<br />
ein Hightech-Produkt, in das der Konstrukteur außer den<br />
Bobpiloten niemanden hineinschauen lässt. Aus guten<br />
Gründen, denn wer die Weltspitze der Bobfahrer und –fahrerinnen<br />
betrachtet, sieht die Unterschiede nicht im Bereich<br />
von Sekunden, sondern von Hundertstel-Sekunden,<br />
das heißt im Abstand von Zentimetern, nicht von Metern.<br />
TECHNIK-FREAK FÜR DAS BOB-TUNING<br />
„Kufenpapst“ wurde Nowak hin und wieder genannt. Um<br />
damit auszudrücken, er sei einer der Top-Spezialisten, die<br />
sich mit diesem schwierigen Phänomen der Kufen und<br />
des Bobschlittens bestens auskennen. Dabei ist er<br />
zunächst einmal im Wittener Werk für die mechanische In-<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
BOBFAHREN 5
6 BOBFAHREN<br />
Mit Fliehkräften im Randbereich<br />
Wer einen Bob steuern<br />
will, braucht sehr viel Gefühl<br />
in den Fingerspitzen. Nur<br />
so findet er zur Ideallinie und<br />
schießt mit gesteigertem<br />
Drive auf Kufen in die Kurve.
BOBFAHREN 7
8 BOBFAHREN
standsetzung einschließlich der Kraftfahrzeug-Technik und Hydraulik zuständig – angesichts<br />
der riesig daherkommenden Anlagen auf dem Werksgelände eine verantwortungsvolle<br />
Aufgabe. Doch wie das Leben so spielt: irgendwann, Ende der achtziger<br />
Jahre, kam er (und damit auch das Unternehmen) mit dem Bobsport in<br />
Berührung. „Ich bin ein Technik-Freak“ umschreibt er die Basis, um seit Jahren mit<br />
größter Leidenschaft einen Teil seines Lebens dem „Tuning“ von Bobs, wie er es<br />
nennt, zu widmen. Der Techniker, der unterdessen fünfunddreißig Berufsjahre im<br />
Edelstahlwerk auf dem Buckel hat, wurde rasch berühmt. So berühmt, dass er mehrere<br />
Jahre lang die Schweizer Bob-Nationalmannschaft technisch betreute und ausrüstete<br />
– die Edelstahl Witten-Krefeld als Sponsor der Teams im Rücken. Denn was<br />
spricht mehr für ein Unternehmen als ein Mitarbeiter, der seinen Arbeitgeber als Erstes<br />
herausstellt und sich selbst ganz und gar nicht in den Mittelpunkt des Geschehens<br />
rückt?<br />
GRENZERLEBNIS MIT EXTREMEN QUERBESCHLEUNIGUNGEN<br />
Wo er es doch mit Fug und Recht könnte. Susi Erdmann beispielsweise, die amtierende<br />
Zweierbob-Weltmeisterin, hat von Nowak gerade brandneue Kufen bekommen.<br />
Welche Legierung genau die Kufen ausweisen, verschweigt auch die blonde athletische<br />
Rennsportlerin. „Wenn man keine exzellenten Kufen hat, die bestens laufen, hat<br />
man keine Chance“, sagt die groß gewachsene Sportlerin, die von dieser Kombination<br />
aus Geschwindigkeit und Fliehkräften fast schon rauschhaft gefangen ist. Fast,<br />
denn das Lenken des Bobs ist mindestens so sensibel wie seine Herstellung. „Man<br />
lenkt mit den Fingerspitzen“, meint Susi Erdmann, „die Fingerspitzen spüren am ge-<br />
Auf Spitzenmaterial an die Spitze<br />
Die Bobbahn in Königssee<br />
kennt Susi Erdmann bis ins<br />
kleinste Detail. Hier, in ihrem<br />
heimatlichen Eiskanal,<br />
beweist sie einmal mehr,<br />
wie ungeheuer schnell sie<br />
reagieren kann. Die neuen<br />
Kufen aus geschmiedeten<br />
Stählen tragen dazu<br />
bei, dass sie noch bessere<br />
Zeiten fährt.<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
Ohne intensive mentale<br />
Vorbereitung steigt Susi Erdmann<br />
nie als Pilotin in den Bob.<br />
Denn ihre Fähigkeit, die Leidenschaft<br />
für schnelle Fahrten<br />
zu kontrollieren, ist Teil ihres<br />
Erfolgs an der Weltspitze.<br />
BOBFAHREN 9<br />
nauesten, ob der Bob die Ideallinie trifft und er mit gesteigertem<br />
Drive aus der Kurve rausfährt. Man muss halt ungeheuer<br />
schnell reagieren können.“<br />
Wohlgemerkt im Eiskanal. Denn Fliehkräfte im<br />
Randbereich sind das eine, sie machen diese talwärts rasende<br />
Fahrt zum unvergesslichen Erlebnis. Doch das<br />
„Rumhirnen“ im Edelstahlwerk, wie es Nowak nennt, das<br />
ist die andere Seite dieser berauschenden Sportart.<br />
Nowak, ein Mann jenseits der fünfzig, geht gern mit<br />
jungen Leuten um. Kann er doch das, was er sich als<br />
Techniker ausgedacht, verändert, neu hergestellt und<br />
selbst getestet hat, zusammen mit Topfahrern im Eiskanal<br />
ausprobieren. Am liebsten mit ihnen im Bob vor Ort: Es<br />
wundert nicht, dass Stefan Drescher, siebenundzwanzig<br />
Jahre alt und derzeit als Mitglied im B-Kader der deutschen<br />
Bobfahrer ein besonderer Schützling von Klaus<br />
Nowak, von ihm das beste Material erhält, was er momentan<br />
hat. Doch der Konstrukteur will selbst spüren, wie<br />
sich Innovationen im Bob auswirken. Also steigt er als<br />
Bremser in Dreschers Gefährt – viermal nacheinander rast<br />
er durch den Eiskanal in Winterberg, nachher mit größter<br />
Genugtuung darüber, dass das neue Material sage und<br />
schreibe zwei Zehntelsekunden Zeit Vorsprung bedeutet.
10 BOBFAHREN<br />
Im Bobschlitten verbirgt sich Hochtechnologie. Klaus Nowak ist höchst daran interessiert, um mit neuen <strong>Werkstoffe</strong>n,<br />
ihrer Bearbeitung und ihrem Einsatz Pilotinnen wie Susi Erdmann den Platz an der Spitze zu sichern.<br />
Im Edelstahl-Chassis durch die Kurve<br />
Die Symbiose mutet merkwürdig an. Einerseits ein Bob, dem jeder Fahrkomfort<br />
fehlt. Ungedämmt hocken die Bob-Reisenden über den Kufen auf dem blanken<br />
Boden, eng in die Haube (aus Kohlefaser) gepfercht wie Heringe in der Dose. Doch<br />
Fahrkomfort, wer sucht dies schon bei dem Grenzerlebnis, das dem Körper mit heftigsten<br />
Querbeschleunigungen, abseits des Alltags, geboten wird, tatsächlich am<br />
Rand zum Rauschgefühl?<br />
„Ich bin kein Typ, der normale Stähle beim Bob verwendet“, grenzt Nowak seine<br />
Tuning-Arbeit von der Serienherstellung der schnellen Schlitten ab (auch für Skeleton<br />
und Rodeln betreibt er „Tuning“). Das sei eine ambitionierte Aufgabe, „denn Stähle,<br />
die hochlegiert sind, sind schwierig in den Griff zu kriegen, was die Bearbeitung betrifft.<br />
Für Susi Erdmann habe ich geschmiedete amagnetische Stähle eingesetzt, um<br />
ihr neue Kufen zu bauen. Sie leiten bei der Fahrt sehr schlecht die Wärme, was von<br />
Vorteil ist.“<br />
MIT DER HAUBE IN DEN WINDKANAL<br />
Drücken wir es mal formal aus: Der Baustahl ST 37-2 (allgemeiner Baustahl, Zugfestigkeit<br />
360 Newton pro Millimeter) ist für den Bob-Gebrauch nicht unbedingt Nowaks<br />
Werkstoff. Dann bevorzugt der Freund des Schraubens, weniger des Schweißens<br />
(wegen der oft nicht definierbaren Spannungszustände), schon eher hochlegierte<br />
Stähle in der Art einer Sorte (um ein ganz schlichtes Beispiel zu nennen) wie<br />
X 7 Cr 13. „Man muss sehr viel Erfahrung mit den <strong>Werkstoffe</strong>n haben“, fährt er fort,<br />
„denn ein widerspenstiger Stahl strebt in alle möglichen Richtungen, man muss ihn<br />
beginnen zu richten, der Präzision wegen. Das Ergebnis aber ist außergewöhnlich.“<br />
Da steht er, neben seinem „Lehrling“ Stefan Drescher, in einer kleinen Werkstatt<br />
in Winterberg – eine Art Heiligtum, in das kein Fremder Zutritt hat. Stück für Stück wird<br />
der Bob auseinander genommen, langsam wird sichtbar, welche Hochtechnologie<br />
sich im Inneren des Edelstahl-Geräts verbirgt. Mit vorsichtiger<br />
Hand präsentiert Nowak seine neueste gefräste<br />
Blattfeder, hergestellt aus verzugsarmem, ausscheidungshärtendem<br />
Stahl, dazu den Lenkkopf, Kufenblätter,<br />
Stabilisatoren und all das, was sonst noch zur technischen<br />
Hexerei gehört.<br />
Hexerei? Bei aller Emotion, die Nowak verbreitet: In<br />
seiner zurückhaltenden, fast introvertierten Art ist er<br />
zunächst ein Analytiker, der absolut nichts dem Zufall<br />
überlässt. Nicht bei der Haube (die er sogar im Windkanal<br />
Die Datenanalyse von <strong>Werkstoffe</strong>n und Bobfahrten am<br />
Computer ist für Klaus Nowak und seinen Schützling<br />
Stefan Drescher eine Selbstverständlichkeit. Ohne den<br />
technischen Aufwand gibt es keinen Erfolg.<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
Der Techniker Klaus Nowak ist sich sicher, dass auch Stefan Drescher immer mehr in die Weltspitze hineinfahren wird.<br />
Denn mittlerweile kennt der Bob-Pilot ganz genau seinen Schlitten und dessen technische Raffinessen.<br />
eines Automobilherstellers testen kann), nicht bei den Kufen und sonstigen Bob-Feinteilen.<br />
An den physikalischen Gegebenheiten rüttelt er nicht: „Bei einer harten Bahn<br />
mit engen Kurvenkombinationen brauche ich weiche Elemente im Bob, diese führen<br />
zu besseren Ergebnissen.“<br />
Das eng beschriebene technische Reglement des internationalen Bobverbands<br />
kennt er auswendig, doch was er noch besser kennt: die Toleranzbereiche des Reglements,<br />
die Neuentwicklungen zulassen. Hier, so scheint es, sieht Nowak sein eigentliches<br />
Arbeitsfeld, bei der Kreation neuer <strong>Werkstoffe</strong>, deren Bearbeitung und Einsatz<br />
– über deren letzte Einzelheiten er den Mantel des Schweigens deckt. Von Stefan Drescher<br />
abgesehen. „Stefan kennt jetzt genau sein Gerät. Er kann Lenkköpfe einbauen,<br />
Vorderachsen wechseln, Vorspannungen messen, kurzum, er weiß, mit welchem Material<br />
er fährt. Auf dem Weg zur Weltspitze ist dies unbedingt notwendig. Ich bin sicher,<br />
er wird in wenigen Jahren an der Weltspitze sein.“<br />
MIT BLATTFEDERN INS ZIEL<br />
Um dann, fragt sich verzagt der Bob-Amateur, wie von der Tarantel gestochen auf<br />
dem Edelstahl-Chassis durch den Eiskanal zu rasen? Bob-Piloten sind nicht verzagt,<br />
Stefan Drescher nicht, noch weniger Susi Erdmann. „Alles, was schnell fährt, finde ich<br />
toll“, stellt sie mit ihrer fröhlichen Unbekümmertheit fest. „Zum Beispiel Go-Kart-Fahren:<br />
Einmal im Jahr setzen wir uns in die Karts, weil es zum Trainingsprogramm<br />
gehört. Ich bin begeistert, wie schnell man damit fahren kann – was natürlich durch<br />
den Bob noch übertroffen wird.“<br />
Wer in eine solche Stahl-Kohlefaser-Hülse einsteigt, sollte wissen, dass es sich<br />
um einen Hochleistungs- und Rennsport handelt. Verdienen könne man nicht sehr viel,<br />
bemerkt die Weltmeisterin Erdmann. Andere Sportarten sieht sie im Vergleich zum Bobfahren<br />
sehr im Vorteil. Sponsoren hielten sich beim Bobsport mit Geldern lieber zurück,<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
BOBFAHREN 11<br />
und dann brauche man gemessen daran eine „gigantische“<br />
technische Unterstützung mit dem neuesten und<br />
besten Material. „Trotzdem fahre ich noch immer mit größter<br />
Begeisterung, möglichst bis zum Jahr 2006, den Olympischen<br />
Spielen in Turin.“<br />
Klaus Nowak an der Seite, mag man hinzufügen,<br />
jener Mann, der irgendwie für Originalität, Seriosität und<br />
technisches Maximum steht. Immer auf der Suche nach<br />
Weiterentwicklung, nach Blattfedern, die er im Unternehmen<br />
mit einer Zweitausend-Tonnen-Presse kalt biegen<br />
kann und dadurch widrige Veränderungen vermeidet. So<br />
fällt am Ende das gleißende Licht, das im Eiskanal, übertragen<br />
gesagt, mit dem Namen Nowak verbunden wird,<br />
auf ihn und sein Unternehmen zurück. Denn auch daraus<br />
macht er kein Hehl: Ohne all die technischen Möglichkeiten<br />
bei Edelstahl Witten-Krefeld käme Nowak nicht zu den<br />
Ergebnissen, die er sich ausdenkt.<br />
Hätten mehr Menschen die Chance, selbst im Bob<br />
zu sitzen – die Faszination über diese (noch immer) Randsportart<br />
würde in höchste Höhen wachsen. Denn eines ist<br />
sicher: Wer nach einer Minute das Ziel erreicht, pfeilschnell<br />
in einem Hightech-Gefährt, der steigt aus, schüttelt<br />
sich, bringt seine etwas aus den Fugen geratenen<br />
Knochen wieder ins Lot und sagt sich: Wann beginnt die<br />
nächste Fahrt? So hat es Klaus Nowak, der ungekrönte<br />
„Kufen-Papst“ vorausgesagt. Recht hat er. 7
12 WUNDERKERZE<br />
Eisenpulver für goldene Sterne<br />
Von Sebastian Groß | Fotos Michael Wissing
WUNDERKERZE 13
14 WUNDERKERZE
WUNDERKERZE 15<br />
Stahldrähte im komponierten Brei
16 WUNDERKERZE<br />
Wunderkerzen mit Sternen-Bukett
WUNDERKERZE 17
18 WUNDERKERZE<br />
STICHWORT<br />
Schon der Name legt nahe, dass es bei der „Wunderkerze“ nicht<br />
mit rechten Dingen zugehen kann. Wie gern würde man da wissen,<br />
was genau sich hinter dieser „Wondercandle“ verbirgt. Am<br />
ehesten können die Poeten vielleicht noch weiterhelfen. Die Gnome beispielsweise<br />
in Goethes „Faust“: „Felschirurgen“ nennen sie sich,<br />
Wesen, die im Alltag „die hohen Berge schröpfen“, der Metallgewinnung<br />
wegen. Und genau die sollen im Laboratorium der Kerze das funkelnde<br />
Licht entlockt haben, das Faust so begeisterte, dass er nur noch<br />
ausrufen konnte: „Da sprühen Funken in der Nähe, / Wie ausgestreuter<br />
goldner Sand“.<br />
Georg Alef ist kein Poet, sondern ein fröhlicher Mann aus dem<br />
Rheinland, genau genommen aus Eitorf an der Sieg. In der pyrotechnischen<br />
Fabrik Weco entwickelt und erforscht er zusammen mit seinen<br />
Kollegen Feuerwerkskörper. Als Spezialisten für Großfeuerwerke, besonders<br />
für Musikfeuerwerke, haben sie es schon in Montreal zum Titel<br />
„Weltmeisters“ gebracht – der Lohn für eine grandiose Kombination<br />
von Musik und Feuerwerk.<br />
DIE WUNDERKERZE IST EIN SEHR KOMPLIZIERTES PRODUKT<br />
In der nüchtern wirkenden Produktionshalle in Eitorf ist von diesem<br />
betörenden Glanz wenig zu spüren. Alefs raschen Schritten folgend,<br />
führt die Besichtigung zum „Taucher“. Kein Gnom oder „Gezwergenfürst“,<br />
sondern ein absoluter Fachmann, dessen Tätigkeit darin besteht,<br />
ein ums andere Mal dünne verkupferte Stahldrähte, von denen<br />
vierhundert kerzengerade auf einem Brett sitzen, kurz in eine mausgraue<br />
Masse unterzutauchen, sie herauszuziehen, noch einmal kurz<br />
„abzudippen“ und sie dann in einem Metallregal zum Zwischentrocknen<br />
zu lagern. Hexerei? Mitnichten. Die Wunderkerze, siebzehn Zentimeter<br />
lang, ist wohl die schlichteste Art der Hexerei. Ein paar Sekunden Fun-<br />
kensterne, leises Knistern, sanftes Rauchen – fertig ist das Erlebnis.<br />
Wunderkerzenland ist abgebrannt.<br />
Was für ein grandioser Irrtum. „Für mich ist die Wunderkerze<br />
eines der kompliziertesten Systeme, das ich kenne“, stellt Alef, der<br />
Fachmann, fest. Leise Zusatzfrage: Was dies alles denn mit dem Thema<br />
Werkstoff zu tun habe? Viel, sehr viel, um mit Alefs Worten zu antworten.<br />
Denn was in der Wunderkerze vor allem verbrennt? Eisenpulver<br />
und so genannter Nadelschleifstaub, fein gemahlenes Eisen, dessen<br />
Körnung kaum noch mit dem Auge zu erkennen ist. Dieses brennt zusammen<br />
mit Bariumnitrat (als Sauerstoffträger) in einer Art hauseigenem<br />
Hochofenprozess ab, funkenstiebend, mehr oder weniger.<br />
DIE WUNDERKERZE IST EIN FASZINIERENDER GEGENSTAND<br />
Die Nachfrage, ob das denn alle Ingredienzen der Wunderkerze seien,<br />
beantwortet Alef eher zögernd. Es ist ihm noch zu entlocken, dass in der<br />
breiigen Tauchmasse zwei Sorten Aluminium, Dextrin (ein Abbauprodukt<br />
der Stärke) und Mehl als Bindemittel enthalten seien. Mehr will er<br />
nicht sagen, denn die genaue Rezeptur bleibt Geschäftsgeheimnis,<br />
über dessen Geheimhaltung mit Argusaugen gewacht wird.<br />
„Das Produkt ist sehr sensibel“, klärt Georg Alef weiter auf. Was<br />
insofern verständlich sei, als die Verbindung zwischen oxidierenden und<br />
metallischen Stoffen (etwa dem Aluminium) zu heftigen Reaktionen<br />
führen könne. Im schlimmsten Fall würde der Wunderkerzen-Brei aufkochen<br />
und sich am Ende selbst entzünden.<br />
Es ist so eines der Aha-Erlebnisse, das Erforschen dieses unscheinbaren<br />
Gegenstands, das bei Weco in englischer Fassung natürlich<br />
nicht Wondercandle, sondern „Electric Sparklers“ heißt – Referenz<br />
an einen funkelnden Geist, der auf einer intelligent ausgedachten Mischung<br />
beruht. Die sich wer ausgedacht hat? Da streikt des Pyrotech-<br />
Gemahlenes Eisen mit richtiger Körnung<br />
Wunderkerzen herzustellen,<br />
ist ein schwieriger Vorgang. Die<br />
Tauchmasse muss stimmen,<br />
in der Mischung aus Eisenpulver,<br />
Nadelschleifstaub und allen<br />
anderen Materialien. Nur dann<br />
lässt die Wunderkerze die<br />
Funken stieben.<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
nikers Auskunftslaune. Das wisse keiner, sagt Alef. Selbst sein Vorgesetzter<br />
Lutz Kegler, der Leiter der Weco-Forschung und -Entwicklung,<br />
der im Februar nach 35 Jahren und 32 Wochen in Ruhestand geht und<br />
zu den Experten seines Fachs zählt – er weiß es auch nicht. Seit dem<br />
neunzehnten Jahrhundert seien Wunderkerzen bekannt, weiß er zu berichten.<br />
Mit dem Einsatz von Erdalkalimetallen sei vermutlich auch die<br />
Wunderkerze zum Leben erwacht. Auch er hat in seiner langen Berufszeit<br />
immer wieder erlebt, wie sensibel die Produktion der Wunderkerze<br />
ist. Beispiel Eisenpulver: Glühender Stahl ins kalte Wasser gespritzt, ergibt<br />
einen Härtungseffekt, der Stahl platzt auseinander, was zu einem<br />
kantigen Korn führt. „Beim Erhitzen in der Wunderkerze gibt es wiederum<br />
Spannungsrisse. Der Funke wird abgesprengt, brennt, heizt sich auf<br />
und zerplatzt erneut in Teile, was zum Sterneneffekt führt.“ Doch in der<br />
Konsistenz des Eisenpulvers, darin lag oft das Problem, meint Kegler.<br />
Ist es zu weich, gibt dies nur Fäden, „das war nix“. Spröde muss das<br />
Pulver sein, damit es noch einmal auseinander platzt.<br />
Die exakt konzipierte Mixtur aus einer feinen und einer gröberen<br />
Körnung lässt ein äußeres und ein inneres Bukett entstehen – was entscheidend<br />
für jene hohe Qualität von Wunderkerzen ist, die wie im Fall<br />
von Weco mit der Hand getaucht werden.<br />
Es ist ein stilles Geschäft, dem der Taucher nachgeht. Mit geübtem,<br />
sicherem Griff nimmt er das Holzbrett, lässt es in den Kerzenbrei<br />
hinab und zieht es im selben Rhythmus wieder heraus. Nach dem Zwischentrocknen<br />
wiederholt er den Vorgang noch einmal. Die Masse darf<br />
nicht unausgewogen, mit Bläschen oder sonstigen Unebenheiten aufgebracht<br />
werden – der Wunderkerzennutzer hätte seine liebe Not. Tropfen<br />
bilden sich, Brandflecken hinterlassen bleibende Spuren auf dem<br />
Teppich oder auf dem Parkettboden, nicht weniger auf der Hand, am<br />
Arm, auf der Hose oder im Hemd. Vorbei wäre das Wunder dieser<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
WUNDERKERZE STICHWORT 19<br />
freundlich brennenden, funkelnagelneuen Kerze. Vermaledeit sei der<br />
Traum vom Sternenglanz, der zum Albtraum wird.<br />
„Welch Schauspiel! Aber ach! Ein Schauspiel nur!“ würde Faust<br />
dazu sagen. Es ist auch nicht die aufwändige Technik, die im Falle der<br />
Wunderkerzenherstellung zum Staunen führt. Es sieht alles so harmlos<br />
aus, man wähnt sich eher in Fausts Laboratorium (Zweiter Teil) „im<br />
Sinne des Mittelalters, mit weitläufigen unbehülflichen Apparaten zu<br />
phantastischen Zwecken“. Immer wieder sei mit der Zusammensetzung<br />
der Wunderkerze experimentiert worden, sagt Alef. Zeitweise versuchte<br />
man es mit Metalliclacken, mit denen die Wunderkerzen beschichtet<br />
wurden. „Das sah gut aus, doch die Herstellung war zu aufwändig.“<br />
Magnesium kam auch schon zum Einsatz, doch auch das führte zu keinem<br />
zufrieden stellenden Ergebnis.<br />
DIE WUNDERKERZE IST EIN BRENNENDES SYMBOL<br />
Also ließen die Weco-Wunderleute die Rezeptur so, wie sie war und<br />
ist. Das Eisenpulver und sein „güldener“ Glanz genügt, um noch<br />
immer die Menschheit für Wunderkerzen zu begeistern (übrigens mit<br />
derzeit steigender Tendenz). Sogar beim Verschweißen von Eisenbahnschienen,<br />
weiß Alef zu berichten, würden Eisenbrenner eingesetzt,<br />
um die Thermitmischungen zu entzünden – „ein richtiger industrieller<br />
Anzünder“.<br />
Längst ist die Wunderkerze zum Symbol geworden. Für die Funken,<br />
die von Herzen zu Herzen gehen, für den Menschen, der ein<br />
wenig Licht ins Dunkel bringt, aber auch für das Burnout-Syndrom,<br />
bei dem der arbeitende Mensch wahrhaft euphorisch die letzten Funken<br />
aus sich herausschlägt, bevor er erlischt. So bleibt sie am Ende<br />
doch geheimnisvoll, die wunderliche Kerze, deren Erfinder wir noch<br />
nicht einmal kennen. 7
20 Y-SCHWELLEN
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
Y-SCHWELLEN STICHWORT 21<br />
Schwellen für den gesägten Berg<br />
Zum Kloster Montserrat fährt wieder eine Zahnradbahn hoch – auf Y-Schwellen mit Dreieicksform<br />
Von Heribert Klein | Fotos Bernd Jonkmanns<br />
Was wäre das Kloster Montserrat ohne die Engel! Den Gebirgsstock, 30 Kilometer<br />
nordwestlich von Barcelona gelegen, hätte es so, wie er heute aus<br />
der Ferne zu sehen ist, nie gegeben. Denn in grauer Vorzeit ging die Mär,<br />
er sei so steil, dass kein Mensch jemals den Fuß auf das 1200 Meter hohe Massiv<br />
gesetzt habe. Erst Engel hätten mittels einer Säge den Felsen angesägt, um Platz zu<br />
schaffen für einen Palast, dessen Glanz das katalanische Land ringsumher erleuchtete.<br />
Was den Namen Montserrat einfühlsam erklärt, bedeutet er doch nichts anderes<br />
als „gesägter Berg“.<br />
Lassen wir die Legende zunächst Legende sein. Im Mittelalter war das entlegene,<br />
von Menschen kaum einnehmbare Massiv Ort eines Klosters, dessen Mönche<br />
nach der Gründung durch Abt Oliva de Ripoll zu Beginn des 11. Jahrhunderts nach<br />
der „Regula Benedicti“ lebten, nach der Regel des heiligen Benedikt von Nursia.<br />
Durch den Rückzug in die Einsamkeit, in die „Wüste“, wurden sie zu „monachoi“, zu<br />
Mönchen – genau dadurch aber erregten sie das Interesse der Menschen, die zu<br />
ihnen zogen, ihrer Lebensweise wegen.<br />
DER AUFSTIEG WAR UND BLEIBT UNWEGSAM<br />
Geändert hat sich daran nichts. Der Berg ist die Silhouette Katalaniens, der Jahr für<br />
Jahr gut und gern 2,5 Millionen Menschen folgen, hinauf zum Kloster (meist mit dem<br />
Auto), zur Basilika, zur „Schwarzen Madonna“. Was wie ein Eiland aus den flachen<br />
Wassern sich zu erheben scheint, ist (aus geologischer Sicht) ein Gebirgsstock aus<br />
einem Sockel aus eozänen Konglomerat- und Sandsteinschichten (rund 60 Millionen<br />
Jahre alt) und einem darüber liegenden Block aus oligozänem Sedimentgestein, gebildet<br />
aus Schottern, beeinflusst von Wind und Wetter und deswegen so eigenartig<br />
Eine neue Ära beginnt für<br />
Montserrat, in der Nähe von<br />
Barcelona gelegen. Erstmals<br />
seit 1957 fährt eine<br />
Schmalspurbahn den steilen<br />
Berg hoch. Die <strong>ThyssenKrupp</strong><br />
GfT Gleistechnik GmbH<br />
hat dafür, präzis ausgedrückt,<br />
„gleislagestabile Schwellen“<br />
geliefert.
22 Y-SCHWELLEN
Y-SCHWELLEN 23<br />
Einsiedelei für Millionen Menschen<br />
Der Klosterberg ist die<br />
Silhouette Katalaniens. Der<br />
Legende nach haben Engel<br />
mit einer Säge Hand an<br />
den Felsen gelegt, um Platz zu<br />
schaffen für einen glänzenden<br />
Palast, der das Land hell<br />
erleuchtet.
24 Y-SCHWELLEN
und unnachahmlich geformt. Unwegsam ist der steile Aufstieg geblieben. Mit dem<br />
Unterschied, dass er anders als früher komfortabel verläuft, zockelt doch eine moderne<br />
Bahn auf schmaler Spur hinauf und herunter. Dazu hat es viele Jahre gedauert,<br />
denn 1957 wurde die ursprüngliche Zahnradbahn stillgelegt. Beendet war die<br />
Fahrt, die 1892 im Ort Monistrol begonnen hatte und am Kloster endete.<br />
GENÜGEND PLATZ AM MONTSERRAT IST MANGELWARE<br />
Als sei die Bahn aus dem Dornröschenschlaf erwacht: Wenige Monate sind es her,<br />
dass die Triebwagen wieder fahren. Nicht irgendwie, sondern „auf gleislagestabilen<br />
Schwellen“. So spricht nur der Fachmann, und der heißt in diesem Fall Manfred<br />
Mahn, Verkaufsleiter bei der <strong>ThyssenKrupp</strong> GfT Gleistechnik GmbH, einem Unternehmen<br />
von <strong>ThyssenKrupp</strong> Services. Sein Büro in Hannover, im Stadtteil Vahrenwald,<br />
hat wenig Entrücktes von der Einsiedelei in Montserrat. Und doch besteht eine<br />
direkte Verbindung zwischen Mahn und Montserrat: Die Bahn zum Kloster, 8624<br />
Meter lang, brauchte neue Schwellen, knapp 5000 Schwellen wurden von der GfT<br />
Gleistechnik nach Katalanien geliefert. Nun ist Bahn nicht gleich Bahn, und Schwelle<br />
nicht gleich Schwelle. Die Strecke zum Kloster würde wohl kaum einen Hochgeschwindigkeitszug<br />
vertragen. Eher stellt man sich angesichts des meditativen Ortes<br />
eine beschauliche Eisenbahn vor, die sich auf leisen Sohlen gemächlich dem Orato-<br />
Schwellen mit<br />
eigener Geometrie<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
rium in luftiger Höhe nähert. „Für solche Zwecke ist die Y-<br />
Stahlschwelle genau passend. Denn deren Dreiecksform<br />
ist auch für Schmalspurbahnen mit engen Radien besonders<br />
gut geeignet und im Vergleich zu Betonschwellen<br />
sind die Y-Schwellen leiser.“<br />
Ausreichend Platz am Montserrat – das ist wahrhaft<br />
Mangelware. Allein die Überlegung, schwere Betonschwellen,<br />
gut zwei Meter lang, über zweihundert Kilogramm<br />
schwer, dort einzubauen, scheitert. Der Höhenunterschied<br />
ist enorm: 539 Meter sind auf den wenigen<br />
Kilometern zu überwinden. Schwere Maschinen wären<br />
kaum einzusetzen, die Räume sind zu eng. Die Y-Schwelle<br />
dagegen, 1,50 Meter lang und nur hundertzwanzig Kilogramm<br />
schwer, ist mit sehr viel geringerem Aufwand zu<br />
verlegen. Die schmalere Breite wird ergänzt durch einen<br />
anderen Vorteil: „Wir können die Y-Schwelle auf Altsubstanz<br />
legen und müssen nicht ein verkrustetes, lange<br />
liegendes und deswegen konsolidiertes Schotterbett verändern.<br />
Wir nutzen dieses vorhandene Planum zum Auf-<br />
Montserrat zieht Jahr für<br />
Jahr gut und gern zweieinhalb<br />
Millionen Besucher an.<br />
Mit der Schmalspurbahn können<br />
sie nun komfortabel zum<br />
Kloster hinauffahren, in engen<br />
Radien auf leisen Schwellen.<br />
Y-SCHWELLEN 25
26 STICHWORT<br />
Y-SCHWELLEN<br />
bau eines neuen Schotterbettes, was erst durch die geringe Bauhöhe der Schwelle<br />
von 95 Millimetern möglich wird “, berichtet Mahn aus mittlerweile langer Erfahrung<br />
mit der Y-Schwelle.<br />
Das Material in Verbindung mit der geometrischen Form – darin besteht das Besondere<br />
der „Schläfer“ („Y-Sleepers“), wie die Schwellen in Angelsachsen genannt<br />
werden. Vor knapp 20 Jahren wurden die „Schläfer“ von der Salzgitter-Tochter Peiner<br />
Träger ausgedacht und entwickelt, <strong>ThyssenKrupp</strong> GfT beteiligte sich am Nachdenken,<br />
beiden gehört je zur Hälfte das Patent dieser Innovation. 1997 hat das Eisenbahnbundesamt<br />
die Y-Klasse zugelassen, neben Stahltrog-, Beton- und Holzschwellen.<br />
Potenziell sieht Mahn dafür einen mehr als ausreichenden Markt, denn das Streckennetz<br />
der Bahn hat in Deutschland eine Länge von circa 33.000 Streckenkilometern,<br />
von denen zwei Drittel für den Einsatz der Y-Schwelle geeignet sind. Die Schwelle wird<br />
heute überwiegend im Geschwindigkeitsbereich bis 120 km/h eingesetzt.<br />
In Montserrat besteht dafür natürlich keine Notwendigkeit. Wer sein Auto in Monistrol-Vila<br />
abstellt (Parkplätze bestehen für tausend Fahrzeuge und hundert Busse)<br />
und die neue Zahnradbahn besteigt, eilt mit einer Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h<br />
zur Endstation, über Brücken, durch Tunnel, mit wunderbarem Blick auf die Ebene am<br />
Fuß des Gebirgsmassivs, dem sich die Bahn Zahn um Zahn zu entschwinden scheint.<br />
Zeit und Zeitlosigkeit spielen, im Umkreis aller Klöster, eine wichtige Rolle – was ist im<br />
Das Kloster ist die<br />
Endstation der Bahn, die<br />
unten in Monistrol beginnt.<br />
Über Brücken und durch<br />
Tunnel gleitet die Zahnradbahn<br />
immer höher, mit<br />
wunderbarem Blick auf<br />
die Ebene am Fuß des<br />
Gebirgsstocks.<br />
Die Heimat der Schwarzen Madonna<br />
Gleisbau anders? Mahn stellt fest: „Wenn grundsätzlich<br />
Fehler beim Oberbau gemacht werden, merkt man dies<br />
erst nach vielen Jahren. Oberbau ist eine konservative<br />
Technik, die ihre Zeit braucht. Deswegen liegt die Abschreibungszeit<br />
beim Oberbau auch bei durchschnittlich<br />
fünfundzwanzig Jahren.“ Schwellen lägen ja im Schotter,<br />
einem grobkörnigen Gestein. Dieses müsse für Wasser<br />
durchlässig sein, „das Gleis muss atmen können“.<br />
DREIEICKSFORMEN WIE IM FACHWERKBAU<br />
Lückenlos verschweißte Gleise auch in engen Bögen verlegen<br />
zu können, ist ein weiterer Vorteil der Y-Schwelle.<br />
Mahn braucht gar nicht die Informationsbroschüre mit<br />
wirklich allen Details zu dieser Schwelle zur Hand zu nehmen:<br />
Der passionierte Techniker (der für die GfT Gleistechnik<br />
auch die Komplettlösung für die Herstellung des<br />
„Lückenlosen Gleises“ auf der Festen Fahrbahn im nördlich<br />
gelegenen Los A der Schnellfahrstrecke Köln-Frankfurt<br />
verantwortete) beherrscht auswendig sämtliche rele-<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
Y-SCHWELLEN 27
28 Y-SCHWELLEN<br />
vanten Daten dieses Schwellensystems. Vor allem die<br />
Form des Dreiecks, klärt er auf, führe zu den bekannten<br />
Vorteilen: „Die Dreiecksform, wie sie aus dem Fachwerkbau<br />
bekannt ist, hat gegenüber der Parallelogrammform<br />
des normalen Gleises den Vorteil, dass sie die seitlichen<br />
Kräfte, die auf das Gleis wirken, wesentlich besser aufnimmt.“<br />
Rahmensteifigkeit und Querverschiebewiderstand<br />
– zwei Faktoren, die aus Mahns Sicht entscheidende<br />
Wettbewerbsvorteile haben, vom geringeren<br />
Schotterbedarf, dem niedrigeren Transportgewicht, einer<br />
langen Lebensdauer, hervorragenden Recyclingeigenschaften<br />
und größtmöglicher Flexibilität des Werkstoffs<br />
Stahl bei der Verwendung für Sonderbauarten abgesehen.<br />
Zuviel auf einmal? Das bestreitet Mahn entschieden.<br />
„Ich sehe mich trotz meiner Herkunft von der Technik her<br />
in erster Linie als Verkäufer, der gemeinsam mit der Fertigung<br />
die Wünsche der Kunden erfüllen muss. Meine<br />
lange Erfahrung kommt mir da nur entgegen.“ Erfahrung<br />
gerade mit Y-Schwellen: Die Auftraggeber in Monserrat<br />
Ein Symbol für Glück und Ruhe<br />
konnten sich schon in der Schweiz von der Funktionsfähigkeit des Y-Systems überzeugen.<br />
Denn bei der Furka-Oberalp Bahn wurden auf dem Abschnitt von Andermatt<br />
nach Oberalp erstmals Y-Stahlschwellen mit Zahnstangen eingebaut, genauso, wie<br />
sie in Montserrat zum Zuge kamen.<br />
Es dürfte nach Mahns Ansicht ganz und gar nicht das letzte Projekt dieser Art<br />
sein, im Gegenteil. Die Expansion nach Osteuropa, seine Erkundungen vor Ort in Ländern<br />
wie Ungarn, Polen, Tschechien, neben der Aussicht auf entsprechende Aufträge<br />
aus dem innerdeutschen Streckennetz stimmen ihn optimistisch.<br />
DER MENSCH AUF DEM WEG IN DIE INNERE WELT<br />
Dennoch dürfte die Strecke in Montserrat dank ihres Panoramablicks, ihrer Fahrt in<br />
klimatisierten Wagen hoch über Stock und Stein, Täler und Höhen, ein Ausnahmefall<br />
sein. Montserrat bleibt ein Symbol für Eigenständigkeit, Unangreifbarkeit, Festigkeit,<br />
für Religion und für Musik. Seit Jahrhunderten sind die Menschen dorthin gepilgert,<br />
sehnsuchtsvoll, enthusiastisch wie Wilhelm von Humboldt oder auch Friedrich Schiller.<br />
Montserrat, schrieb er einst, sauge den Menschen von der äußeren Welt weg in<br />
die innere Welt hinein. Nicht nur das: Goethe wünschte Montserrat jedem Menschen,<br />
davon überzeugt, „ganz allein der Mensch kann auf seinem eigenen Montserrat Glück<br />
und Ruhe finden“. 7<br />
Das Kloster Montserrat<br />
wurde von Benediktinern<br />
gegründet. Noch heute<br />
leben hier Mönche dieses<br />
Ordens in einer traumhaft<br />
schönen Umgebung.<br />
Während der Fahrt mit<br />
der Zahnradbahn wird<br />
deutlich, weshalb sich<br />
wunderbare Legenden um<br />
Montserrat ranken.<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
Y-SCHWELLEN 29
30 NOCKENWELLE<br />
Wer sagt, er müsse sich mit der Nockenwelle nicht beschäftigen,<br />
dem kann man nur zurufen: Stimmt! Aber es würde sich dennoch<br />
lohnen. Denn in den vergangenen Jahren hat sich bei<br />
diesem in Verbrennungsmotoren so wichtigen Bauteil viel getan. Ganz<br />
vorn mit dabei: Das Unternehmen <strong>ThyssenKrupp</strong> Presta. Es hat sich in<br />
wenigen Jahren einen guten Namen erworben mit der Fertigung „Gebauter<br />
Nockenwellen“ – sehr exakt auf ihren Verwendungszweck ausgerichtete<br />
Bauteile, die aus dem modernen Motorenbau nicht mehr wegzudenken<br />
sind. Eine Nockenwelle werkelt in nahezu jedem Fahrzeug mit<br />
Verbrennungsmotor. Viertakt-Benzin- und Dieselaggregate brauchen sie<br />
wie die Luft zum Atmen, sonst gelangt das Treibstoff-Sauerstoff-<br />
Gemisch nicht in den Brennraum und das Abgas nicht wieder hinaus.<br />
Nur knatternde Zweitakter verzichten in ihrem Gehäuse auf so ein präzise<br />
gefertigtes Schmuckstück.<br />
Fragt man Autofahrer nach ihren Wünschen an das moderne Gefährt,<br />
rangieren zwei Antworten weit oben: Das Auto soll ökonomisch<br />
und ökologisch sein. Neben allen Faktoren, die dabei eine Rolle spielen,<br />
kommt natürlich dem Motor eine große Bedeutung zu: Verbraucht er<br />
wenig, freut sich der Besitzer. Die Fortschritte in der Motorentechnik<br />
während der vergangenen Jahre waren immens – Diesel- und Benzindirekteinspritzung<br />
sind nur zwei große Schlagworte, die das umreißen,<br />
was in und um die Brennräume herum stattgefunden hat. Und zum<br />
Drumherum gehört die Nockenwelle. Denn alle Elemente eines Motors<br />
sorgen im Zusammenspiel dafür, dass der ganze Motor noch präziser<br />
und effizienter läuft und der Kraftstoff besser genutzt wird.<br />
Ein Verbrennungsmotor funktioniert so: Durch ein Ventil wird ein<br />
Gas-Luft-Gemisch in einen runden Raum geleitet, den Zylinder. Dieser<br />
Atmen mit der Welle<br />
Eine Spezialität für moderne Motoren liefert<br />
<strong>ThyssenKrupp</strong> Presta: Gebaute Nockenwellen<br />
Von Rüdiger Abele | Foto Andreas Böttcher<br />
wird zu einer Seite durch einen beweglichen Schieber abgeschlossen,<br />
den Kolben. Beim Entzünden des Gases dehnt es sich schlagartig aus,<br />
drückt den Kolben weg, dessen Gleitbewegung durch eine Mechanik in<br />
eine Drehung der Kurbelwelle umgesetzt wird, die wiederum an die<br />
Räder geleitet wird: Das Gefährt rollt. Das verbrannte Gasgemisch wird<br />
durch ein weiteres Ventil aus dem Zylinder herausgeleitet. An den Ventilen<br />
kommt die Nockenwelle ins Spiel. Im Takt des Motors steuert sie die<br />
Öffnung der Ventile: „Auf“ bedeutet – Gemisch hinein, „zu“ meint soviel<br />
wie Abgas hinaus. Somit braucht man mindestens zwei Ventile je Zylinder,<br />
doch für eine bessere Verbrennung haben sich längst vier Stück<br />
durchgesetzt („Vierventiler“). Da etwa ein Automotor selten nur einen<br />
Zylinder hat, sondern in den häufigsten Fällen vier, hat er 16 Ventile, die<br />
zu steuern sind, in einem entsprechenden Sechszylinder sind es schon<br />
24 Ventile – die Rechnung lässt sich entsprechend fortsetzen.<br />
SCHMIEDESTAHL TRIFFT PRÄZISIONSSTAHL<br />
Zurück zur Nockenwelle: Sie besteht aus einem Rohr, an dem die Nocken<br />
angebracht sind, die in ihrer Form einem längs geschnittenen Hühnerei<br />
ähnlich sind. Sie rotiert kontinuierlich über dem Ventilstößel; an ihrer<br />
höchsten Stelle drückt sie das Ventil zu, an allen übrigen Punkten der Rotationsbahn<br />
ist es leicht bis ganz offen und lässt den Zylinder atmen. Je<br />
Brennraum ist mindestens eine Nocke für mindestens zwei Ventile zuständig<br />
und sorgt dann für Zu- und Abluft.<br />
Der besseren Steuerung wegen sind heute zwei Nockenwellen je Motor<br />
schon weit verbreitet (die eine für die Einlass-, die andere für die Auslassventile),<br />
manches Aggregat hat schon vier Wellen. „Die steigende<br />
Zahl freut uns natürlich“, sagt Hermann Weissenhorn, der für Nocken-<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
wellen zuständige Geschäftsbereichsleiter bei <strong>ThyssenKrupp</strong> Presta.<br />
Zumal deren Spezialität der „Gebauten Nockenwelle“ von den Motorenbauern<br />
dieser Welt sehr gut angenommen wird. „Gebaut“ heißt: Die<br />
Nockenwelle wird nicht in Form geschmiedet oder aus flüssigem Metall<br />
gegossen, sondern aus einzelnen, separat gefertigten Komponenten zusammengesetzt:<br />
dem Rohr mit aufgeschobenen, aber äußerst fest sitzenden<br />
Nocken sowie den Lager- und Antriebselementen. Dabei können<br />
die Materialien sehr gezielt für ihren Einsatz und entsprechend des Kostenrahmens<br />
ausgewählt werden: Die Nocken beispielsweise aus sehr<br />
verschleißfestem Schmiedestahl oder Sintermaterial und das Rohr aus<br />
einem einfacheren Präzisionsstahl.<br />
ROHR UND NOCKEN GEHÖREN IRGENDWANN ZUSAMMEN<br />
Dieses funktioniert mit dem Presta-Verfahren folgendermaßen: Ein blankes<br />
Stahlrohr von exakter Länge wird mit dem Endstück versehen, etwa<br />
einem Zahnrad, das später dem Nockenwellen-Antrieb dient. Jetzt wird<br />
es genutzt, um das Rohr jederzeit in der Fertigung exakt auszurichten –<br />
das ist wichtig, damit die Nocken in die richtige Richtung zeigen und die<br />
Ventile sich nicht aus dem Takt bewegen. Ein Motor bringt das Rohr auf<br />
eine sehr hohe Drehzahl, um an der Stelle, wo in wenigen Augenblicken<br />
die Nocken sitzen, die „Rollierung“ anbringen zu lassen: Ein eher stumpfes<br />
Werkzeug drückt in den Rohrstahl, verdrängt gezielt Material nach<br />
außen, so dass feine, nebeneinander liegende Ringe entstehen, die im<br />
Durchmesser um einige Zehntelmillimeter größer sind als das Rohr. Das<br />
genügt, um die Nocke ganz fest zu fixieren: Das Rohr wird gestoppt und<br />
die vorgefertigte Nocke auf die Rollierung gepresst, in exakt der vorgegebenen<br />
Winkellage. Zerstörungsfrei sind Nocke und Rohr nun nicht<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
Die „Gebaute Nockenwelle“<br />
hat einen großen Vorteil: Sie wird<br />
aus einzelnen, separat gefertigten<br />
Komponenten zusammengesetzt.<br />
Die <strong>Werkstoffe</strong> werden sehr gezielt<br />
für den Einsatz ausgewählt .<br />
NOCKENWELLE 31<br />
mehr zu trennen. Wieder rotiert das Rohr für die nächste Rollierung, wird<br />
die zweite Nocke aufgesteckt – so lange, bis die gewünschte Zahl erreicht<br />
ist. Zwischendurch werden auch Lagerstellen aufgeschoben.<br />
Eine erste Qualitätsprüfung schließt sich an, bevor die Welle geschliffen<br />
wird – <strong>ThyssenKrupp</strong> Presta liefert die Nockenwellen einbaufertig<br />
an seine Kunden. Eine weitere, genauere Prüfung folgt, dann werden<br />
die Nockenwellen sicher verpackt und über den Globus expediert,<br />
um schon bald in einem Motor für das richtige Maß an Atmung zu sorgen.<br />
Das Bauen einer Presta-Nockenwelle findet vollautomatisch in Fertigungszellen<br />
statt, blitzschnell und mit sehr engen Taktzeiten. Für einen<br />
Personenwagen mit Vierzylinder-Motor ist sie etwa 60 Zentimeter lang<br />
und wiegt ein Kilogramm.<br />
„Bei optimaler Gestaltung lässt sich mit der Gebauten Nockenwelle<br />
im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren bis zu 30 Prozent an Gewicht<br />
sparen“, sagt Hermann Weissenhorn. Dadurch laufe der Motor geschmeidiger,<br />
sei der Kraftstoffverbrauch niedriger.<br />
<strong>ThyssenKrupp</strong> Presta, ein traditionsreiches Unternehmen, ist im Geschäft<br />
mit Nockenwellen noch nicht lange vertreten. Alles begann 1986 mit dem<br />
Entschluss, in diesem Feld zu starten. „Erst einmal haben wir sechs Jahre<br />
lang Grundlagenentwicklung betrieben und uns mit Materialien beschäftigt“,<br />
erinnert sich Weissenhorn. Schließlich stand das Verfahren – und der<br />
erste Großauftrag kam von Ford, die Lieferung begann 1995. Seitdem<br />
ging es steil aufwärts. Im Jahr 2003 wurden mehr als 12 Millionen<br />
Nockenwellen für die großen Autohersteller der Welt gefertigt, in zwei Jahren<br />
sollen es mehr als 16,5 Millionen Stück sein. Und dies alles bei höchster<br />
Präzision, bei Toleranzen im Bereich von hundertstel Millimetern. „Was<br />
wir machen, ist Präzision wie bei einer Rolex-Uhr“, sagt Weissenhorn. 7
32 OIL TOOLS
Foto Gettyimages<br />
Der Vergleich mit dem rohen Ei scheint von weit hergeholt und<br />
liegt dennoch zum Greifen nahe: Ein Bohrrohr auf einer dieser gigantischen<br />
Bohrinseln anzufassen, es zu drehen, zu heben, zu<br />
wenden, ist ein diffiziler Akt. Ungeachtet der Lasten, die zu bewältigen<br />
sind. Was aber bei genauem Hinsehen wenig besagt, denn 1380 Tonnen<br />
Last sind für die speziellen Werkzeuge, so genannte Oil Tools, normalerweise<br />
kein Problem. Dies stellt Jens Lutzhöft fest, Fertigungsleiter<br />
der Blohm + Voss Repair GmbH, Oil Tool Division – einem Unternehmen,<br />
das zu <strong>ThyssenKrupp</strong> Technologies gehört. Mit hanseatischer<br />
Nüchternheit präsentiert er in der Werkshalle auf dem Werftgelände in<br />
Hamburg die aufwändig hergestellten Werkzeuge, die von außen betrachtet<br />
nach nichts aussehen. Kaum vorstellbar, dass ein solcher<br />
„Power Slip“ ein Bohrrohr, 750 Tonnen schwer, umfassen und halten<br />
kann.<br />
Was dieses mit dem Thema Werkstoff zu tun hat? „Sehr viel“,<br />
meint Lutzhöft, „denn ein Bohrrohr anzufassen, ist höchst sensibel. Der<br />
Rohrdurchmesser kann bis zu einem Meter betragen, das Rohr selbst<br />
hat aber eine vergleichbar dünne Wandstärke. Das Werkzeug muss<br />
genau darauf adjustiert sein, andernfalls kollabiert das Rohr.“<br />
WELTMARKTFÜHRER BEI OIL TOOLS<br />
Der Markt, besser gesagt, die Anforderungen der Kunden haben sich<br />
zweifellos verändert. Die Zeiten, dass wie früher Bohrrohre, von welchem<br />
Durchmesser auch immer, mit der Hand bewegt und verschraubt<br />
wurden, gehören immer mehr der Vergangenheit an. Der Gefahr, dass<br />
schwere Teile auf einer Bohrinsel herabfallen und Menschen gefährden<br />
können, versucht man durch den verstärkten Einsatz von ferngesteuerten<br />
Werkzeugen zu entgehen.<br />
Was einfach klingt, in Wahrheit aber schwierig zu realisieren ist.<br />
Denn die Vorschriften sind streng, sie unterliegen zum Beispiel dem<br />
American Petroleum Institute, der Klassifikationsgesellschaft American<br />
Bureau of Shipping, Det Norske Veritas, Lloyd´s Register und auch dem<br />
Germanischen Lloyd. Der weltweite Einsatz der Oil Tools von Blohm +<br />
Voss macht es notwendig, dass man die Sicherheitsstandards, in welchem<br />
Land auch immer, erfüllen kann. Im Übrigen gehört es zum<br />
Marktwert des, wie Lutzhöft feststellt, „Weltmarktführers bei solchen<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
Von Benedikt Breith | Fotos Blohm + Voss<br />
OIL TOOLS 33<br />
Werkzeuge<br />
für große Lasten<br />
auf Bohrinseln<br />
<strong>Elevator</strong>en von Blohm + Voss Repair haben eine<br />
Hebekraft von bis zu vierzehnhundert Tonnen<br />
Ein Bohrrohr zu umfassen,<br />
ist höchst sensibel. Die „Oil Tools“<br />
müssen aus speziellen <strong>Werkstoffe</strong>n<br />
gebaut sein, um auch Rohre mit<br />
einem Meter Durchmesser,<br />
aber sehr dünnen Wandstärken<br />
anzupacken, ohne sie zu zerstören.
34 OIL TOOLS<br />
Ein „Power Slip“ muss<br />
genau auf die Bohrrohre<br />
adjustiert sein. Andernfalls<br />
kollabiert das Rohr.<br />
Festigkeit und Streckgrenzen<br />
müssen für diese Zwecke<br />
sehr hoch sein.<br />
Werkzeugen“, sämtliche vorhandenen Sicherheitsstandards einzuhalten.<br />
Den Werkstoff für die Werkzeuge so verändern, dass die Lasten<br />
schwer und schwerer werden können, war eine der Herausforderungen<br />
für Lutzhöft und seine Mitarbeiter auf dem Werftgelände. Die frühere<br />
Spezifikation, wo hochfester Werkstoff abgegossen wurde, reicht nun<br />
nicht mehr. Festigkeit und Streckgrenzen waren zu erhöhen, „im Grunde<br />
genommen mit neuen Chrom-Nickel-Legierungen, aus denen kann<br />
man noch viel Potenzial herauskitzeln“, umschreibt der Fertigungsleiter<br />
die Gegebenheiten. Dies sei für den Vergütungsprozess relevant, über<br />
den sich auch die mechanischen Kenngrößen verändern ließen.<br />
GENAUER EINBLICK IN KRITISCHE BEREICHE<br />
Die Bilder, die er am Computer einspielt, machen einen spielerischen<br />
Eindruck, und der Detailblick in das Innere solcher Tools vermittelt<br />
eine eigene Ästhetik. Farbige Ansichten sagen dem Fachmann<br />
auf einen Blick, in welchen Bereichen sich die kritischen<br />
Spannungen befinden. Was wiederum jene Zone verdeutlicht,<br />
auf die der Blick des Ingenieurs besonders gerichtet werden<br />
muss. Andernfalls? Der eine oder andere „<strong>Elevator</strong>“ (so der<br />
Fachbegriff für die Werkzeuge, die über Verbindungsmuffen Lasten<br />
von Bohrrohren beim Absenken oder Anheben aufnehmen),<br />
der in der weitläufigen Werkshalle aufgebaut ist, zeigt durchaus auch<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
Blessuren, Oberflächenrisse, die mit sehr viel Aufwand geschlossen<br />
werden müssen. Zumal wenn es sich um einen Prototypen handelt, der<br />
mit einer Überlast bis hin zur Zerreißung des Materials geprüft wird – mit<br />
einer 4000-Tonnen-Presse, deren Anblick allein Achtung, wenn nicht<br />
gar Ehrfurcht erzeugt. Ohne diese Art von Belastungstests verlässt<br />
nichts die Halle. „Unsere <strong>Elevator</strong>en, Zangen und <strong>Elevator</strong>enbügel müssen<br />
vor der Auslieferung einen Überlasttest mit anderthalbfacher Nutzlast<br />
bestehen“, sagt Lutzhöft. „Die Ölgesellschaften wollen lückenlos<br />
Zertifikate für alle Last tragenden Teile sehen. Dafür brauchen wir dieses<br />
Qualitätssystem.“<br />
Die angelsächsische Sprache hat für das, was die Mitarbeiter herstellen,<br />
einen anschaulichen Begriff: „Pipe Handling Equipment“ heißt<br />
es dort, eine Umschreibung für ein Portfolio, das mittlerweile rund 200<br />
Werkzeuge umfasst, die ein Eigengewicht von mehr als zwei Tonnen<br />
haben können.<br />
Aller durch Computer gesteuerten Technik zum Trotz hat die Herstellung<br />
der Werkzeuge für die Öl- und Gasförderung viel mit Handarbeit<br />
zu tun. Deswegen sind die Mitarbeiter in den dafür eingerichteten<br />
Werkshallen absolute Spezialisten, eine Art Manufakturisten, die sich<br />
mit den <strong>Werkstoffe</strong>n genauso auskennen müssen wie mit dem Wärmebehandeln,<br />
der Festigkeit, den Kerbschlagwerten und Dehnungen. Das<br />
Geschäft ist lukrativ. Sofern es gelingt, ganze Systeme zu verkaufen,<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
Belastungstests<br />
für alle Fälle<br />
OIL TOOLS 35
36 OIL TOOLS
mit Power Slip und <strong>Elevator</strong>en, ist ein solcher Auftrag gut 2,5 Millionen<br />
Euro wert. Sicher herrsche bei solchen Aufträgen meist hoher Termindruck.<br />
Großkunden wie beispielsweise die amerikanische Gesellschaft<br />
GlobalSantaFe haben extreme Vorstellungen von Werkzeugen, die<br />
tatsächlich in eine bisher nicht bekannte Dimension vorstoßen und <strong>Elevator</strong>en<br />
mit fast 1400 Tonnen Hebekraft verlangen. Dies freilich in kürzester<br />
Zeit, denn Zeit ist Geld. Sieben Monate, das sollte genügen. Bedenkt<br />
man aber, dass drei Monate notwendig sind, um den passenden<br />
Werkstoff herzustellen, vier Wochen für die weitere Vorbereitung, dann<br />
bleibt für die Fertigung des Prototypen nicht mehr viel übrig. „Dies geht<br />
an die Grenze des Machbaren“, meint Lutzhöft. Er sagt dies aber auch<br />
gar nicht klagend, sondern stellt mit dem ihm eigenen Understatement<br />
sichtlich stolz fest: „Es gelingt uns trotzdem, den Kunden zufrieden zu<br />
stellen. Denn auf der Basis uns bekannter <strong>Werkstoffe</strong> finden wir in kurzer<br />
Zeit innovative Lösungen.“<br />
SERVICE UND WARTUNG STEHEN AUCH IM MITTELPUNKT<br />
Von Hamburg aus, jener Stadt, für die schon immer die weite Welt das<br />
Feld war, machen die <strong>Elevator</strong>en von Blohm + Voss Repair ihre Kunden-Reise<br />
zum Zielpunkt in Amerika, Skandinavien, Großbritannien,<br />
Singapur, China, Indien, Südamerika, Kanada. Es sind Präzisionsgeräte,<br />
die schwierigsten Anforderungen gerecht werden müssen. Vom<br />
Werkstoff angefangen, muss aber auch alles bei einem solchen Greifwerkzeug<br />
funktionieren. Andernfalls ist wieder die ganze Kompetenz<br />
von Fachleuten wie Jens Lutzhöft gefragt, die neben der Herstellung<br />
von <strong>Elevator</strong>en eines mindestens genauso in den Mittelpunkt rücken –<br />
den Service und die Wartung. 7<br />
Die Ölgesellschaften<br />
haben immer größere Erwartungen<br />
an die Werkzeuge – dem muss<br />
Blohm + Voss Repair gerecht<br />
werden. <strong>Elevator</strong>en und Power Slip<br />
stoßen in neue Dimensionen<br />
vor, gebaut aus innovativen <strong>Werkstoffe</strong>n,<br />
die auch bei härtester<br />
Belastung nicht zerbersten.<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
Qualitätswerkzeug<br />
für Handarbeiter<br />
OIL TOOLS 37
38 KABINENDESIGN
Von Sybille Wilhelm | Fotos <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>Elevator</strong><br />
Ohne Aufzüge gäbe es keine Hochhäuser. Doch damit nicht genug:<br />
Die Erfindung des Fahrstuhls stellte das Haus auch gleich auf<br />
den Kopf. Während die Armen früher im kalten Dachstübchen<br />
hausen mussten – worüber zum Beispiel Spitzwegs „armer Poet“ Zeugnis<br />
ablegt –, waren die unteren Etagen den feinen Herrschaften vorbehalten.<br />
Doch dann kam vor rund 150 Jahren die bewegliche Fahrkabine<br />
und revolutionierte die vertikale Haushierarchie. Der Gesinderaum von<br />
einst wurde um das Jahr 1900 zunächst in amerikanischen Hotels,<br />
wenig später auch in Europa zum teuren Zimmer mit Aussicht. Aus der<br />
Personalkammer wurde das Penthouse.<br />
Da es sich weder damals noch heute schickt, die Mitfahrenden<br />
neugierig zu betrachten, weiß man meist nicht so recht, wohin man<br />
stattdessen blicken soll. Da empfiehlt es sich, die Innenausstattung des<br />
Aufzugs genauer in Augenschein zu nehmen: Die verrät nämlich viel<br />
über den Architekten, den Zeitgeschmack und das Land, in dem man<br />
sich gerade befindet. Anders ausgedrückt: Es gibt sie, die Kultur des<br />
Kabinendesigns.<br />
IN JEDER KABINE GLÄNZT EINE NEUE WELT<br />
Ist der gesamte Aufzug eher klein und die Decke niedrig, befindet man<br />
sich wahrscheinlich gerade in Spanien, Osteuropa oder Asien. „In diesen<br />
Ländern hat man kein Problem damit, dichter neben anderen Leuten<br />
zu stehen“, erläutert Dr. Rembert Horstmann, Leiter der Zentralabteilung<br />
Kommunikation und Marketing bei <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>Elevator</strong>. In<br />
westlichen Ländern hingegen baut man die Aufzüge heutzutage so großzügig<br />
wie möglich, damit ein jeder Fahrende seinen persönlichen<br />
Schutzraum hat – so ähnlich wie im Bus, bei denen der eine Fahrgast<br />
dem anderen instinktiv nicht zu dicht auf die Pelle rücken will, wenn viele<br />
Plätze frei sind.<br />
Sind die Seitenwände aus Edelstahl gefertigt, ist man in der Moderne<br />
des Aufzugsbaus angekommen. Denn früher wurden die Fahr-<br />
Die Kultur<br />
fährt immer mit<br />
Das Fahrstuhl-Design verrät vieles<br />
über Land und Leute<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
Eckige Fahrstühle sind<br />
praktisch, runde dagegen ein<br />
Genuss. Mittlerweile verstecken<br />
Architekten die Aufzüge<br />
nicht länger, sondern bauen<br />
sie als Kleinod im<br />
Gesamtkunstwerk ein.<br />
KABINENDESIGN 39
40 KABINENDESIGN<br />
stühle überwiegend aus Holz gebaut – ein Material, das heute fast nur<br />
noch in Spanien und Amerika Anhänger findet. Allerdings sind die mobilen<br />
Holzräume heute aus Gründen des Brandschutzes nicht mehr<br />
opportun: Aufzüge sollen aus so wenig brennbarem Material wie möglich<br />
bestehen. Nicht zuletzt deshalb sind sieben von zehn Aufzügen aus<br />
dem Hause <strong>ThyssenKrupp</strong> innen mit dem hochwertigen korrosionsbeständigen<br />
Edelstahl ausgestattet.<br />
Mit dem edlen Stahl hat es noch eine weitere Bewandtnis: Die Aufzüge<br />
von <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>Elevator</strong> werden für den mittleren bis gehobenen<br />
Markt gebaut, und die Kunden wollen, dass die Kabinen dies auch<br />
ausstrahlen: „Zwar wirkt Edelstahl nicht gerade warm und gemütlich, ist<br />
aber dafür elegant und hochwertig“, sagt Bernd Scherzinger, Leiter der<br />
Vertriebszentrale in Neuhausen bei Stuttgart. Darüber hinaus ist das Material<br />
langlebig und pflegeleichter, als es die früher beliebten lackierten<br />
Bleche oder gar die Resopalplatten der siebziger Jahre waren.<br />
Der derzeitige „Renner“ ist aus Designer-Sicht der Edelstahl „Korn<br />
220“, der gebürstet und geschliffen satt und samtig glänzt, sowie der<br />
Edelstahl mit Leinenstruktur, auf dem selbst Fettfinger kaum Spuren<br />
hinterlassen. Auch in Rautenmuster oder mit einer Lederstruktur kann<br />
man den Edelstahl bestellen.<br />
Kommt es dem Bauherren mehr aufs Prestige und weniger aufs<br />
Putzen an, kann er den exklusiven, spiegelpolierten Edelstahl ordern und<br />
ihn je nach Geschmack mit geätzten Mustern verzieren lassen. Beliebt<br />
sind diese prunkvolleren Edelstähle eher im asiatischen Raum. In westlichen<br />
Industrieländern wird eine großflächige Spiegelwand im Aufzug<br />
höchstens auf der gegenüberliegenden Seite des Eingangs angebracht:<br />
Damit soll es Rollstuhlfahrern leichter gemacht werden, rückwärts aus<br />
dem Aufzug zu rangieren. Kunden vor allem aus dem arabischen Raum<br />
mögen Fahrkabinen, die noch mehr als „nur“ in Edelstahl glänzen: Dort<br />
funkeln die Bleche öfter mal in Kupfer, Messing oder Gold. „In Ländern<br />
wie Deutschland gibt es in aller Regel keine goldenen Aufzüge“, sagt<br />
Bernd Scherzinger. „Das wäre in unseren Breitengraden zu prunkvoll.“<br />
<strong>ThyssenKrupp</strong> gilt zwar als der größte Produzent von Edelstahl auf<br />
der ganzen Welt, ist aber zum Glück nicht allein auf den Aufzugsbau angewiesen.<br />
Denn „dort werden nur Apothekermengen verarbeitet“, erläutert<br />
Rembert Horstmann. „Das, was man vom Aufzug sieht, erweckt<br />
den Eindruck, er besteht nur aus Edelstahl.“ Den Edelstahl, der auf der<br />
ganzen Welt im Jahr insgesamt in der Aufzugsbranche verbaut wird,<br />
kann <strong>ThyssenKrupp</strong> in rund zwei Wochen produzieren.<br />
DIE ZUKUNFT LEBT VON DER TRANSPARENZ<br />
Andere Trends deuten sich im Kabinendesign an. Seit ein paar Jahren<br />
liebt der Geschmack beim Fahrstuhlbau Durchsichtiges. Etwa jeder fünfte<br />
Aufzug, den <strong>ThyssenKrupp</strong> baut, besteht mittlerweile aus Glas. „Das<br />
verlangt auch ganz andere optische Maßstäbe an das Schachtgerüst“,<br />
erläutert Scherzinger. Bei „normalen“ Aufzügen gilt nämlich buchstäblich:<br />
All das, was man als Aufzugfahrer nicht sieht, muss nicht schön,<br />
sondern nur praktisch sein. Also sind die Kabinenbleche rückseitig beispielsweise<br />
mit Dämmmaterial verklebt, der Schacht besteht aus<br />
schmucklosem Beton und hinter wenigen Millimetern Edelstahl kommt<br />
gleich ein Stahlblech. Darüber hinaus sind alle Kabinen mit Fangsystemen<br />
ausgerüstet, die das aus Hollywood-Streifen bekannte Absturz-<br />
Szenario – das übrigens frei erfunden ist, denn seit 1853 sind Aufzüge<br />
absturzsicher konstruiert – unmöglich machen. Auch Glasaufzüge haben<br />
all diese Sicherheits-Elemente, die ein Aufzug braucht, doch dort sind<br />
sie eben so unsichtbar wie möglich – was natürlich kostspieliger ist.<br />
Gläserne Aufzüge werden meist als architektonische Blickfänge<br />
verwendet. Außerdem kann der König Kunde im Kaufhaus majestätisch<br />
Einblick in Vergangenheit und Gegenwart
durch die Halle schweben – und noch das ein oder andere entdecken,<br />
das er kaufen kann. In Bahnhöfen oder Flughäfen ist die Transparenz jedoch<br />
vor allem der Sicherheit geschuldet: Zum einen sollen Passagiere<br />
vor unbeobachteten Gewalttaten geschützt werden. Zum anderen soll<br />
das Verstecken etwa von Bomben unmöglich gemacht werden.<br />
Die Glasaufzüge haben sogar noch einen ganz anderen Vorteil:<br />
„Niemand kommt auf die Idee, aus Langeweile an die Wände zu kritzeln“,<br />
sagt Bernd Scherzinger. „Denn er fühlt sich beobachtet.“ Den<br />
gleichen psychologischen Effekt erzielt im Übrigen auch ein einfacher<br />
Spiegel. „Selbst wenn der Täter sich bloß selbst sieht, fühlt er sich beobachtet<br />
und nimmt davon Abstand, etwas zu zerstören.“<br />
Der Aufzug steht nach langen Jahren als unbeachteter Lastenträger<br />
heute auch bei den Architekten hoch im Kurs. War er früher ein notwendiges<br />
Übel, das es möglichst zu verstecken galt, ist er heute oft ein<br />
architektonisches Kleinod, das sich in die Baukunst einpassen soll. So<br />
verzichten manche Architekten auf die Platz sparende Form des Rechtoder<br />
Vierecks und wählen ein verschwenderisches Rund. Der Übergang<br />
von der Empfangshalle zum Aufzug soll heute möglichst harmonisch<br />
sein – etwa durch die Wahl des gleichen Bodenbelags wie zum Beispiel<br />
Marmor oder Fliesen. Oder aber es wird ein nicht allzu dominanter Standarduntergrund<br />
gewählt.<br />
Die Aufzugsdecke besticht ebenfalls meist durch schlichte Eleganz.<br />
Licht und Luft soll sie spenden und ansonsten recht unauffällig sein.<br />
Allerdings lohnt sich ein Blick nach oben: Dort gibt es von der klassischen<br />
Lampe über Halogenspots oder einer Kassettendecke bis hin zur<br />
indirekten Beleuchtung oder mit Lasern geschnittenen Mustern im<br />
Deckenblech fast nichts, womit nicht auch große Räume illuminiert werden.<br />
Oft sind über den Köpfen auch Ventilatoren versteckt – in Asien beispielsweise<br />
ein Muss, um überhaupt das feuchtwarme Klima zu ertra-<br />
Facelifting schafft Emotionen:<br />
Im Stuttgarter SI-Centrum<br />
und im Ana Grand Hotel in Wien<br />
(Fotos ganz links) sehen die<br />
Fahrkabinen viel älter aus als<br />
sie wirklich sind. In Banken<br />
dagegen signalisieren moderne<br />
Fahrstühle von Beginn an<br />
nüchterne Professionalität.<br />
KABINENDESIGN 41<br />
gen. Immer aber sind im Türbereich Luftschlitze. „Ersticken kann man<br />
also nicht, selbst wenn man mal stecken bleibt“, räumt Bernd Scherzinger<br />
mit einem weiteren Vorurteil gegen Aufzüge auf.<br />
Ebenfalls unauffällig und praktisch sind die Fußleisten und der<br />
„Handlauf“. Die Stangen auf Hüfthöhe aus Holz oder Edelstahl sind zwar<br />
auch fürs gelegentliche Festhalten oder Abstützen gedacht, aber vor<br />
allem sollen sie Einkaufswagen und andere Dinge davon abhalten,<br />
gegen die Aufzugswand zu schlagen. Holz wirkt hier edel, ist aber empfindlicher<br />
als Edelstahl.<br />
DIE ÄSTHETIK REICHT BIS INS KLEINSTE TEIL<br />
Ohne das sichtbare Herzstück schließlich geht beim Aufzug gar nichts:<br />
Das so genannte Bedienpaneel bestimmt, wohin die Reise gehen soll.<br />
Das heute am häufigsten verwendete System ist der Druckknopf, der<br />
sich in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts etablierte.<br />
Damals machte er den Berufsstand des Fahrstuhlführers überflüssig,<br />
weil der „Selbstfahrer“ den komplizierten technischen Vorgang im<br />
Hintergrund ganz einfach selbst bedienen konnte.<br />
Doch bald gerät der Knopf wohl selbst unter Druck. Die nächste<br />
Aufzugsgeneration wird mit Hilfe von so genannten Touchscreens bedient.<br />
Dabei berührt der Fahrgast bloß noch ein Feld auf einem kleinen<br />
Bildschirm und der muss sich nicht mehr im Aufzug befinden. Denn<br />
mittlerweile gibt es derlei Bediensysteme an einer zentralen Stelle auf<br />
der Etage, die die intelligentesten Fahrwege für die einzelnen Aufzüge<br />
heraussuchen. Das spart Energie, Zeit und auch Platz im Gebäude. Einmal<br />
mehr wird diese Zielauswahlsteuerung Teil jener Kabinen-Ästhetik,<br />
die auch in Zukunft mit welchen Materialien und mit welchem Design<br />
auch immer eines spiegeln wird: die Kultur des Landes, in welchem der<br />
Aufzug die Fahrgäste befördert. 7
42 DOMBAUMEISTERIN
Schätzungsweise neun Millionen Menschen im Jahr besuchen ihn,<br />
den Dom zu Köln. Stets mit dem Gefühl des Erstaunens über das<br />
schier nicht enden wollende Gebirge aus Steinen, das geradezu<br />
den Himmel berühren möchte.<br />
Gerieben freilich hat sich die Menschheit durch alle Zeiten an dieser,<br />
wie es der Dichter Heinrich Heine in seinen „Stänkerreimen“ ausdrückte,<br />
„Bastille des Geistes“. Ihm gefiel der Dom nicht. Er war ihm ein<br />
„kolossaler Gesell“, „er ragt verteufelt schwarz empor / Das ist der Dom<br />
von Köllen“.<br />
An der Schwärze seines Äußeren hat sich wahrhaftig nichts geändert.<br />
Auch nicht daran, dass der Dom, bautechnisch betrachtet, eine<br />
Baustelle ist und bleibt. Wer wüsste dies besser als Barbara Schock-<br />
Werner, die erste Frau, die seit dem 1. Januar 1999 im herausragenden<br />
Amt der Dombaumeisterin arbeitet?<br />
Baustelle hin, Baustelle her, natürlich hat die Dombaumeisterin<br />
zuerst klare Prinzipien: „Der Dom ist ein Mahnmal für Gott.“ Kein Mahnmal<br />
für Kriegszerstörung oder für den zerstörenden Einfluss schädlicher<br />
Stoffe in der Umwelt, auch kein Museum, sondern eine Kirche. Punkt.<br />
So ist es, und so bleibt es.<br />
Umso leichter lässt sich auf dieser unumstößlichen Basis der<br />
Dom als Baustelle mit unterschiedlichsten Anforderungen betrachten.<br />
Ein wunderbares Areal für <strong>Werkstoffe</strong>, zum Beispiel auch Stahl. Dazu<br />
hat Frau Schock-Werner eine klare Auffassung: „Stahl ist ein besonderes<br />
Produkt. Gerade in den höher gelegenen Teilen setzen wir gern Edelstahl<br />
ein, denn nur dieser ist der dauerhaften harten Beanspruchung<br />
bei Wind und Wetter gewachsen.“ Mit Edelstahl-Winkeln wird das Segment<br />
<strong>ThyssenKrupp</strong> Steel in diesem Jahr einen sprichwörtlich stabili-<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
DOMBAUMEISTERIN 43<br />
Edelstahl für das Mahnmal Gottes<br />
Der Kölner Dom ist Deutschlands bekannteste Attraktion.<br />
Barbara Schock-Werner ist die Baumeisterin am Dom – „eine richtig tolle Aufgabe“<br />
Von Heribert Klein | Fotos Barbara Klemm<br />
sierenden Beitrag leisten: Die Besucherumgänge am Südturm in luftiger<br />
Höhe von rund hundert Metern, Tag für Tag von Tausenden frequentiert,<br />
bedürfen neuer Stahlträger. Diese wird Steel liefern. „Die Witterung<br />
hat auch diese tragenden Winkel zerstört“, sagt lakonisch die<br />
Dombaumeisterin. Andererseits, die Beanspruchung ist groß, denn die<br />
zahlreichen Besucher nehmen die allein konditionelle Herausforderung<br />
gern an und stapfen Stufe für Stufe zu diesem Besucherumgang – der<br />
ungestörte Blick über die Weite von Köln, hinüber zum Horizont, der sich<br />
in der Ferne zu verlieren scheint, lohnt den körperlichen Aufwand. Die<br />
Frage, weshalb durchweg nur noch Edelstahl im und am Dom verwendet<br />
wird, wenn tragende Teile ersetzt werden müssen, lenkt Frau<br />
Schock-Werner ins Grundsätzliche: „Ziel jeder unserer Maßnahmen ist<br />
es, uns möglichst überflüssig zu machen. Anders gesagt: Das Material<br />
soll so lange wie möglich halten.“<br />
DIE WITTERUNG HAT TR<strong>AG</strong>ENDE WINKEL ZERSTÖRT<br />
Damit ist eine Weisheit bestätigt, die so alt ist wie der Dom selbst: Sollte<br />
er denn jemals vollendet sein, ist der Beginn der Ewigkeit gekommen.<br />
Das kann dauern. Also begnügt man sich mit der Nichtvollendung,<br />
und macht daraus gleich eine Theorie, wie sie der Dichter Heine<br />
entwickelt hat: „Er ward nicht vollendet – und das ist gut, / Denn die<br />
Nichtvollendung / Macht ihn zum Denkmal von Deutschlands Kraft /<br />
Und protestantischer Sendung.“<br />
Mit dieser Art von Poesie kann die Baumeisterin wenig anfangen.<br />
Als sie vor wenigen Jahren, zur Überraschung vieler Außenstehender,<br />
in ihr Amt gewählt wurde, ordnete man sie gleich ein: katholisch,<br />
schwindelfrei, weiblich, tatkräftig, temperamentvoll, willensstark, ein<br />
Das Ziel der Dombaumeisterin<br />
ist nachhaltig: Das Material am<br />
Dom soll so lange wie möglich<br />
halten. Ein Netz aus Edelstahl<br />
bietet am Südturm den Besuchern<br />
Schutz – und gewährt dennoch<br />
Ein- und Ausblicke
44 DOMBAUMEISTERIN<br />
Wirbelwind, der die Hosen an hat. In ihrem Hosenanzug wirkt sie elegant,<br />
stilvoll, in ihrem kleinen Büro in einem Gebäude auf der Kölner<br />
Domplatte. Schreibtisch, Besuchertisch und Schränke strahlen den Charme<br />
von Möbelstücken aus, die die Vergangenheit überdauern. Doch<br />
der Computer auf dem Schreibtisch macht gleich deutlich, dass Barbara<br />
Schock-Werner nicht in der Vergangenheít lebt. Überhaupt nicht.<br />
„Wir leben in der Gegenwart und sind deswegen modern. Das möchte<br />
ich auch nach außen hin zeigen. Ich erfülle hier eine Funktion, ich verwende<br />
Materialien unserer Zeit – und werde in einigen Jahren auch<br />
wieder verschwinden, wenn das Alter gekommen ist.“<br />
An Beispielen mangelt es ihr nicht. In der neu hergerichteten<br />
Schatzkammer seien mit Absicht moderne Materialien zum Einsatz gekommen,<br />
Edelstahl etwa, dem sie wegen der Eleganz, der Ästhetik und<br />
der Geradlinigkeit viel abgewinnen kann.<br />
Wie es nun mal mit den ästhetischen Kategorien ist: Sie sagen viel<br />
über denjenigen oder diejenige aus, die sie kundtun. Sicher ist der Dom<br />
für die Leiterin der Dombauhütte sehr viel mehr als eine schnöde Baustelle.<br />
Ihre Funktion würde sie dementsprechend auch nie als Job bezeichnen,<br />
dann schon eher als „richtig tolle Aufgabe“. Bei der es, wie<br />
sie ehrlich zugibt, mitunter Tage gibt, in denen sie den Eindruck habe,<br />
Normalität sei die Ausnahme – Abstrusitäten, Eigenarten, Verrücktheiten<br />
dagegen die Regel. Und dennoch: Sie sucht nicht die Konfrontation,<br />
sondern das Gespräch, den Ausgleich zwischen den unterschiedlichen<br />
Interessen.<br />
DIE DOMBAUMEISTERIN BEHERRSCHT VIELES<br />
Ein Glück nur, dass der Dom sich selbst gehört, keinem anderen. Der<br />
Dom ist, rechtlich gesehen, auf sich selbst eingetragen – weshalb auch<br />
niemand Besitzansprüche erheben kann. Was man erreichen kann,<br />
sind Patenschaften oder fürsorgliches Wirken, wie sie sich etwa das<br />
Domkapitel oder der Dombauverein zueigen macht.<br />
Wer im Brennpunkt solch unterschiedlicher Interessenlagen steht,<br />
bedarf der persönlichen Robustheit. Die würde der Dombaumeisterin<br />
niemand absprechen, schon von der Herkunft her. Heute Mitte fünfzig,<br />
wuchs sie in Stuttgart auf. Die schwäbische Handwerkerfamilie hinterließ<br />
Spuren: „Das deutsche Bildungswesen durchlief ich sozusagen diagonal.<br />
Mittlere Reife, danach Bauzeichnerlehre, weil ich mich schon<br />
immer einerseits für die Kunst, andererseits für die Mathematik interessierte.<br />
Dem folgte ein Architekturstudium an der Fachhochschule in<br />
Stuttgart.“ Um die Diagonale weiterzuführen: zwischendurch absolvierte<br />
sie auch ein Praktikum auf dem Bau als Maurer, später bei einem Zimmermann.<br />
Das Prüfstück verschweigt sie nicht: ein zweizügiger Kamin,<br />
Tragende Winkel<br />
aus Stahl
DOMBAUMEISTERIN 45<br />
Die Besucherumgänge am<br />
Südturm, in einer Höhe<br />
von hundert Metern, brauchen<br />
neue Stahlträger. Die Edelstahlprofile<br />
von <strong>ThyssenKrupp</strong> Steel<br />
werden Wind und Wetter<br />
gewachsen sein.
46 DOMBAUMEISTERIN
von ihr selbst gemauert. Und all das hat sie prädestiniert – um in die<br />
Fußstapfen von Meister Gerhard zu treten, dem mittelalterlichen ersten<br />
Baumeister, der wiederum vom mittelalterlichsten aller Denker, dem<br />
Gelehrten Albertus Magnus, beeinflusst wurde?<br />
Dombaumeisterin in Köln zu sein, ist keine schöngeistige Arbeit.<br />
Es ist, wenn man so will, die Anwendung der Kenntnis der antiken Sieben<br />
Freien Künste – dem „Trivium” (der Grammatik, Rhetorik, Dialektik)<br />
und dem „Quadrivium” (Geometrie, Arithmetik, Astronomie, Musik).<br />
Himmlische Harmonie, in einem sehr irdischen Haus, das aber dank<br />
seiner Geometrie im Großen wie im Kleinen die Menschen bewegt. Wer<br />
ließe sich nicht dadurch beeindrucken, verloren in einem Raum zu stehen,<br />
dessen Inhalt 400.000 Kubikmeter misst? Da geht es Frau<br />
Schock-Werner nicht anders als jedem der Besucher, die durch den<br />
Dom schreiten, schlendern oder schlurfen.<br />
Ist es Arbeit an einer gigantischen Fassade, in einer Art Potemkinscher<br />
Kirche? Nein, das würde die Meisterin der Dombauhütte strikt<br />
bestreiten. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse kommen zum Einsatz,<br />
bei der Steinkonservierung (zum Beispiel mit dem Acryl-Volltränkungsverfahren,<br />
bei dem Steine mit dem Kunstharz Methyl-Methacrylat<br />
getränkt werden, was wiederum im Inneren der Steine polymerisiert).<br />
Gern würde sie auch mit Metallurgen zusammenarbeiten, um Erkenntnisse<br />
darüber zu gewinnen, welche Legierungen bei verwendeten<br />
Stählen besonders witterungsbeständig sind. Platz für entsprechende<br />
Versuche hoch oben an den Türmen des Steinhauses gibt es genügend.<br />
Die Verwendung von Edelstahl ist jedenfalls heute unverzichtbar,<br />
wenn neue Stahlprofile oder –träger gebraucht werden.<br />
Dem Detail in einer groß, ja gigantisch angelegten Konzeption gerecht<br />
zu werden, darin sieht die Dombaumeisterin ihre Aufgabe. Überreich<br />
an Details, die vom Fundament bis zu den Turmspitzen reicht, wird<br />
die Restaurierung nie zu einem Ende kommen. Eine frustrierende Aus-<br />
Die Meisterin für den<br />
„kolossalen Gesell“<br />
Der Dom wird nie<br />
vollendet sein. Denn ein Raum<br />
mit vierhunderttausend<br />
Kubikmetern Inhalt instand<br />
zu halten, ist eine Aufgabe<br />
ohne Ende. Wenn jemals die<br />
Vollendung erreicht sein sollte,<br />
beginnt die Ewigkeit. Das<br />
aber kann dauern.<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
DOMBAUMEISTERIN 47<br />
sicht? Auch da ordnet sie sich in eine lange währende Tradition ein. Im<br />
direkten wie im übertragenen Sinn: „Kirche in säkularer Welt, das ist für<br />
mich das Bild dieses Doms, und es ist auch das Bild der Kirche in unserer<br />
Gegenwart. An dieser Kirche will ich mitarbeiten.“<br />
DIE DOMBAUMEISTERIN STEHT MITTEN IM LEBEN<br />
Eine Sisyphus-Aufgabe ist es jedenfalls nicht. Der Fortschritt ist durchaus<br />
sichtbar. Die Kriegsschäden etwa geraten mehr und mehr aus dem<br />
Blickfeld. Ein im Krieg angeschossener Strebebogen im Chorbereich<br />
wurde durch einen neuen ersetzt, in diesem Jahr wird die so genannte<br />
Plombe verschlossen – eine Flickstelle, die 1944 notdürftig mit Ziegeln<br />
schnell vermauert wurde. „Eine sehr komplizierte Stelle mit aufwändiger<br />
Gliederung und anspruchsvollen Skulpturen, deren Restaurierung<br />
wir aber jetzt zum Abschluss bringen.“<br />
Sisyphus, heißt es bei Camus, müsse ein glücklicher Mensch<br />
sein, finde er doch den Sinn im Nicht-Sinn. Ihre unbekümmerte, fast<br />
schon rheinisch unbeschwerte Art mag Frau Schock-Werner vor solcher<br />
nihilistischer Sinngebung bewahren. Gegen den Begriff konservativ hat<br />
sie nichts, schon von Berufs wegen, als Sachverständige in Fragen des<br />
Bewahrens und Erhaltens. Aber ihr Denken ist immer in die Zukunft gerichtet,<br />
was ihre Neugierde erklärt in Fragen der Werkstoffforschung,<br />
der Steinkonservierung. Im Übrigen, wenn man wie sie einen Betrieb<br />
wie die Dombauhütte mit mehr als 80 Angestellten, etlichen Millionen<br />
Jahres-Budget und einer beträchtlichen Außenwirkung leitet, darf man<br />
kein Traumtänzer sein, sondern muss mitten im Leben stehen.<br />
Das tut sie mit Verve, mit größter Überzeugung, dass die Aufgabe,<br />
Dombaumeisterin in Köln zu sein, ein Traumberuf ist, arbeitet sie<br />
doch an einem Haus, das die Brücke zur Ewigkeit schlägt und nicht, wie<br />
Goethe eher süffisant schrieb, einem „Märchen vom Turme zu Babel an<br />
den Ufern des Rheins“ gleicht. 7
48 LiDONIT<br />
Von Sebastian Groß | Fotos Rainer Kaysers<br />
Sprachlich sollte man in diesem Fall schon genau werden. Denn<br />
anfallen heißt nicht abfallen. „Schlacke ist kein Abfall, sondern<br />
wird bei der Stahlproduktion erzeugt.“ Die korrekte Formulierung<br />
stammt von Michael Joost, zuständiger Mitarbeiter in der Unternehmensentwicklung<br />
der DSU Gesellschaft für Dienstleistungen und Umwelttechnik,<br />
die zu <strong>ThyssenKrupp</strong> Services gehört und den Asphalt-<br />
Spezialisten DEUT<strong>AG</strong> als zweiten Gesellschafter hat.<br />
Was demnach anfällt, ist ein Fall für sich, der unterdessen einen<br />
eigenen Namen hat: LiDonit. Das Wort stammt nicht aus kryptischen<br />
Lautquellen, sondern gründet in ganz einfacher Herkunft. Joost, ein<br />
ausgebildeter Aufbereiter, vermittelt nicht den Eindruck, als sei er der<br />
Verkäufer eines Gegenstands, den er nur vom Hörensagen her kennt.<br />
Wenn er zum Ausdruck bringt, bei dem neuen Produkt stecke der Teufel<br />
im Detail, glaubt man ihm dieses auf Anhieb. Denn er kann auf<br />
Nachfrage auch über das letzte verborgene LiDonit-Detail aufklären.<br />
Beginnend beim Namen: „LiDonit ist ein eingetragenes Wortzeichen,<br />
das sich von den österreichischen Stahlwerken in Linz und Donawitz<br />
sowie dem danach benannten Stahlherstellungsprozess mit dem griechischen<br />
Wort für Stein (lithos) ableitet.“ Fortfahrend bei dem, was das<br />
Wortzeichen inhaltlich bedeutet: „LiDonit ist ein synthetischer Mineralstoff,<br />
der aus der calciumsilikatreichen Schmelze bei der Stahlerzeugung<br />
gewonnen wird.“<br />
WIE DER MINERALSTOFF ZUM LEBEN ERWACHT<br />
Die abstrakte Erklärung in seinem Büro in Duisburg-Ruhrort wird greifbar,<br />
als er mit Helm, Schutzbrille, geeigneten Schuhen und Schutzjacke<br />
dorthin eilt, wo der wundersame Mineralstoff zum Leben erwacht: im<br />
Stahlwerk II der <strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl <strong>AG</strong> in Duisburg-Beeckerwerth.<br />
Ein Abstich ist und bleibt ein Erlebnis. Denn die Urkräfte des Feuers,<br />
das im gefüllten Oxygenstahlkonverter mit Hilfe eingeblasenen<br />
Sauerstoffs einen einzigartigen Flammenrausch entfacht und nebenbei<br />
flüssiges Roheisen, Schrott und Zusätze zum Brodeln und Kochen<br />
bringt – der Vorgang scheint zurückzulenken zu den vulkanischen Aus-<br />
Edelsplitt, der<br />
unter die<br />
Räder kommt<br />
LiDonit ® heißt die stabilisierte Schlacke,<br />
die bei der Stahlherstellung erzeugt wird.<br />
Ihre Wirkung ist nachhaltig, denn sie<br />
wird beim Straßenbau verwendet
LiDonit ist am Ende ein körniges<br />
Material, das nach<br />
dem Erkalten von großen<br />
Brechern „runtergeknackt“<br />
wird. Bagger haben zuvor<br />
das Beet geräumt, in denen<br />
die Schlacke aus Kübelwagen<br />
entleert wurde.<br />
LiDONIT 49
50 LiDONIT
LiDONIT 51<br />
Mineralstoff mit Potenzial<br />
Beim Abkippen aus dem<br />
Konverter wird die Schlacke<br />
vom Rohstahl getrennt.<br />
Eingeblasener Sauerstoff<br />
verwirbelt Quarzsand zusammen<br />
mit der Schlacke zu einem<br />
hochwertigen Rohstoff. Im Beet<br />
kühlt LiDonit eine Woche lang<br />
ab, um dann in aufbereiteter<br />
Form als Fertigprodukt<br />
gelagert zu werden.
52 LiDONIT<br />
brüchen in grauer Vorzeit, als die Erde langsam in Jahren und Jahrtausenden<br />
zu ihrer (erkalteten) Form fand.<br />
Doch es ist eben nicht nur die kostbare Rohstahlmasse, die im<br />
Konverter entsteht, sondern die oft genug verächtlich „Abfall“ genannte<br />
Schlacke. „Beim Abkippen wird jetzt der Rohstahl von der Schlacke<br />
getrennt“, erläutert Joost den Kipp-Vorgang, bei dem der Konverter<br />
sich einmal nach links, dann nach rechts neigt. 27 Tonnen der rötlichgelb<br />
siedenden Schlacke werden in den bereitgestellten Kübel abgegossen<br />
– der nur wenige Augenblicke später langsam weiter rollt: zur<br />
derzeit weltweit einzigen Anlage, in der, präzis ausgedrückt, die Linz-<br />
Donawitz-Schlacke stabilisiert wird.<br />
WESHALB LIDONIT EIN WERTVOLLER MINERALSTOFF IST<br />
Es ist schon erstaunlich, die spätere, endgültige Form von LiDonit zu<br />
sehen – ein körniges Material, das in großen Brechern, wie man sie aus<br />
herkömmlichen Steinbrüchen kennt, auf eine unterschiedlich große<br />
Körnung „runtergeknackt“ wird, wie der Fachmann sagen würde. Was<br />
immer noch nicht ahnen lässt, wo der synthetische Mineralstoff am<br />
Ende tatsächlich verwendet wird: als zentraler Bestandteil einer Asphaltdeckschicht,<br />
mit denen Straßen gebaut werden. „Die stabilisierten<br />
Schlacken weisen eine sehr hohe Griffigkeit und eine nicht weniger<br />
hohe Festigkeit aus“, sagt DSU-Mann Joost. „Im Sinne der nachhaltigen<br />
Verwendung ist LiDonit ein idealer Stoff, der für Straßenbauer genauso<br />
interessant sein müsste wie für Umweltpolitiker“, fährt Joost fort.<br />
Denn nicht nur der Stahl, sondern auch die Schlacke sei für sich genommen<br />
ein Produkt mit Wertschöpfungspotenzial – was erwarte man<br />
mehr von <strong>Werkstoffe</strong>n in heutiger Zeit?<br />
Zwei Bereiche von <strong>ThyssenKrupp</strong> arbeiten in diesem Fall Hand in<br />
Hand. Carl-Heinz-Schütz, ein promovierter Ingenieur, der als Direktor<br />
für den Bereich Rohstahl, Division Metallurgie/Grobblech verantwortlich<br />
ist, verhehlt nicht seine Genugtuung über diese Verwendung von<br />
Schlacke mit<br />
hoher Griffigkeit<br />
Schlacke. Der Mann Ende fünfzig, der sich (kahlköpfig) durch Probleme<br />
im beruflichen Alltag keine grauen Haare mehr wachsen lässt, vermittelt<br />
jene Souveränität, die man mit den rhythmisch langfristig und<br />
übersichtlich geregelten Vorgängen im Stahlwerk verbindet. In der<br />
Ruhe liegt wie immer die Kraft – was in diesem Fall ganz und gar nicht<br />
ein durchschlagendes Argument gegen Schnelligkeit ist. Schütz berichtet,<br />
dass die Stahl-Leute gern die Idee Ende der neunziger Jahre<br />
aufnahmen, Edelsplitte zu produzieren, „unter Einsatz einer Lanze, die<br />
Sauerstoff und Quarzsand in die noch flüssige Schlacke einbläst“. Das<br />
Silicium verdünne die Schlacke. „Je geringer das Verhältnis von<br />
Calcium- zu Siliciumoxid, desto dünnflüssiger die Schlacke. Durch die<br />
Beimischung von Quarzsand werden freie Kalkanteile in den Calciumsilikaten<br />
gebunden.“<br />
Sehenden Auges diesen Vorgang zu betrachten, verbietet sich.<br />
Die Einblaslanze erzeugt einen solch grell-weißen Lichtreflex, dass nur<br />
Farbfilter die Augen vor dauerhafter Schädigung schützen können.<br />
Knapp eine Viertelstunde vergeht – fertig ist die LiDonit-Masse angerichtet.<br />
Und dann?<br />
Die Idee für diesen Mineralstoff habe, sagt Joost, in der Absicht<br />
gelegen, kalkreiche Schlacken, die sonst nicht als Straßenbaustoff zu<br />
verwenden seien, trotzdem sinnvoll weiterzuverarbeiten. „Damit geben<br />
wir verstärkt Mineralstoffe in den natürlichen Kreislauf zurück.<br />
Schlacken mit hohen freien Kalkanteilen, die wegen der Volumeninstabilität<br />
für den Straßenbau normalerweise nicht zu gebrauchen sind,<br />
werden auf diese Weise richtig interessant.“<br />
200.000 Tonnen LiDonit könnte das Stahlwerk II im Stabilisierungsverfahren<br />
bereitstellen. Die Nachfrage, weiß Joost zu berichten,<br />
steigt. Derzeit verlassen 120.000 Tonnen stabilisierter LD-Schlacke<br />
glühend heiß jährlich das Werk, um wenige hundert Meter entfernt aus<br />
dem flüssigen Zustand in einen festen zu wechseln. Dazu sind Beete<br />
angelegt, nicht in Manier des Kleingärtners, dessen „home“ sein<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
LiDonit ist ein Beispiel<br />
dafür, dass die DSU innovative<br />
Produkte entwickelt. Die Nachfrage<br />
nach dieser Schlacke ist<br />
steigend, denn von ihr profitiert<br />
der Deutschen liebstes Kind –<br />
das Auto auf den Straßen<br />
LiDONIT 53<br />
„castle“ ist. Die Beete (auch Tröge genannt) verbreiten keine Ästhetik,<br />
sondern reine Funktionalität. Trotzdem, allein das Farbspiel würde<br />
jeden Schrebergärtner begeistern. Denn die Schlacke im Kübelwagen<br />
fließt in das schwarze Beet, auf schon vorhandene, merklich abgekühlte<br />
Schlacke, die bereits im Trog vor sich hin abkühlt. Mehrere Tage wird<br />
ein ums andere Mal der Kübelwagen entleert. Eine Woche muss die<br />
Masse abkühlen, um kristallin zu erstarren. Die Qualität erkennt man<br />
schon daran, dass die Oberfläche von LiDonit nicht wie grobe Schollen<br />
im Eismeer herausstechen. LiDonit erstarrt völlig eben und ausgeglichen<br />
– nach einer Woche rücken die Bagger an, um das Beet zu entleeren.<br />
Muldenkipper übernehmen den Transport zum Brecher, von dort<br />
geht die Reise der stabilisierten Schlacke zum Straßenbauer. Gemischt<br />
mit Bitumen, Faser- und Mineralstoffen entsteht das Material, das dem<br />
liebsten Kind der Deutschen, dem Auto, Griffigkeit (Grip) und Festigkeit<br />
gegen schwere Lasten garantiert.<br />
WARUM LIDONIT UNSERE UMWELT SCHONT<br />
„Schlackenmanagement“ lautet das Angebot, das Michael Joost und<br />
die DSU als Dienstleister unterbreiten. Auch wenn die LiDonit-Herstellung<br />
Geld kostet – Joost sieht große, von vielen bisher gar nicht erkannte<br />
Potenziale in diesem Mineralstoff. Noch so eine Devise: „LiDonit<br />
schont unsere Umwelt. Der Einsatz des Stoffes schont natürliche Ressourcen.“<br />
Ob dieses vor allem Politikern, die ihr Dasein dem vorsichtigen<br />
Umgang mit den natürlichen Ressourcen verschrieben haben,<br />
schon bekannt ist – wo doch andernfalls Naturgestein in Steinbrüchen<br />
herausgebrochen und herbeigeschafft werden müsste?<br />
Die Zeiten, dass neue Deponien genehmigt werden, sieht er<br />
schwinden. Umso mehr sieht er die LiDonit-Zeit kommen. Von wegen<br />
Schlacke als schnöder Abfall! „Edelsplitt“ nennt Michael Joost den Stoff<br />
LiDonit, den die DSU im wahrsten Sinn des Wortes unter die Leute,<br />
noch mehr aber unter die Räder bringen will. 7
54 NEWSTEELBODY
Das Auto der<br />
Zukunft ist voller<br />
Leichtigkeit<br />
Der NewSteelBody von <strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl ist<br />
ein Schaustück für feinste Stahlwerkstoffe<br />
Von Rüdiger Abele | Fotos <strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl<br />
Der virtuose Umgang mit<br />
dem Werkstoff Stahl macht den<br />
NewSteelBody so leicht und<br />
stabil. Die vorderen Längsträger<br />
beispielsweise werden mit<br />
Hilfe von Wasser in Form<br />
gebracht und enthalten Stähle<br />
unterschiedlicher Festigkeit.<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
NEWSTEELBODY 55<br />
Stabil und leicht – so soll die Rohkarosserie eines modernen Autos<br />
sein. Dabei kommt modernen Leichtbau-<strong>Werkstoffe</strong>n, die bei<br />
hoher Festigkeit gut umformbar sind, eine große Bedeutung zu –<br />
Materialien, wie sie <strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl zahlreich im Programm hat.<br />
Das Unternehmen sorgte auf der größten Automesse der Welt, der IAA<br />
2003 in Frankfurt, für eine Überraschung: Präsentiert wurde die Rohkarosserie<br />
eines Minivans, die genauso stabil ist wie das Referenzmodell,<br />
der bewährte und beliebte Opel Zafira, dabei aber um 24 Prozent<br />
leichter und kaum teurer – nicht nur für Techniker war dies eine kleine<br />
Sensation. Denn wenn der „NewSteelBody“, so der Name des Projekts,<br />
eines Tages in der Großserie zu finden ist, hat der Autokäufer davon<br />
großen Nutzen: Zum Beispiel verbraucht sein modernes Gefährt, weil es<br />
leichter ist, pro Kilogramm Autogewicht weniger Treibstoff.<br />
HOCHFESTER STAHL MIT MODERNER FERTIGUNG<br />
„Wir wollen mit dem NewSteelBody zeigen, was heutzutage möglich<br />
ist“, sagt Dr.-Ing. Markus Weber, Bereichsleiter in der Division Auto von<br />
<strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl in Duisburg. Und stellt klar: „In den Automobilbau<br />
steigt <strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl damit aber nicht ein.“ Der NewSteelBody<br />
verstehe sich vielmehr als ein fachliches Angebot an die Fahrzeughersteller,<br />
auf die Kompetenz des Werkstofflieferanten zuzugreifen. „Denn<br />
kaum jemand ist so nah dran am Stahl wie wir.“<br />
Wichtig für das Konzept des NewSteelBody ist, dass er mit verfügbaren<br />
Technologien und Materialien hergestellt werden kann. So<br />
präsentiert er sich als ein Mix aus verschiedenen Ideen: hochfeste Stähle,<br />
die für manche Strukturen, bei denen Innovation gefragt ist, mit modernen<br />
Fertigungsverfahren verarbeitet, an anderen Stellen hingegen<br />
mit herkömmlichen Methoden in Form gebracht werden. „Die intelligente<br />
Mischung lässt den NewSteelBody bei absolut vertretbaren Kosten<br />
so leicht sein“, weiß der Projektleiter Bernhard Osburg. Der New-<br />
SteelBody koste gerade mal zwei Prozent mehr als eine herkömmliche
56 NEWSTEELBODY<br />
Struktur. „Ganz wichtig ist dabei die fachgerechte Konstruktion. Nur so<br />
lassen sich die Vorteile des Stahls optimal ausnutzen“, umreißt er das<br />
virtuose Spiel mit dem Material, das am besten durch eine Zahl charakterisiert<br />
wird: Hauchdünne 0,9 Millimeter messen beispielsweise die<br />
Wände einiger Hohlprofile des NewSteelBody.<br />
Eine unübliche Offenheit zeigte Opel für das Projekt: Der Hersteller<br />
stellte die gesamten Konstruktionsdaten des Zafira aus dem Computer<br />
Aided Design (CAD) zur Verfügung. „Das ist sehr selten, denn<br />
damit wird das gesamte Auto transparent“, freut Osburg sich über das<br />
Vertrauen. Doch die Daten sind sehr wichtig, denn sie geben die technischen<br />
Werte für die Steifigkeit und auch das Crashverhalten des New-<br />
SteelBody vor – absolut realitätsnah. Damit ging das Team von<br />
<strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl ans Werk und konstruierte am Computer die Karosseriestruktur.<br />
Per Rechner wurden auch, wie bei jedem neuen Auto,<br />
Crashversuche nach neuesten Normen simuliert, um die Stabilität zu<br />
prüfen. Am Ende stand ein fertig aufgebauter Viertelschnitt des New-<br />
SteelBody in lebensechter Größe, wie er auf der IAA gezeigt wurde und<br />
nun für Kundenpräsentationen genutzt wird. Osburg ist zuversichtlich:<br />
Hochfest und formvollendet<br />
„In fünf Jahren könnte er in der Großserie sein.“ Diese Zeit brauche es<br />
einfach, um sich in die Entwicklung eines Neuwagens einzuklinken.<br />
Wobei, ein Vorteil des Konzepts, der NewSteelBody nicht nur bei einer<br />
vollständigen Neukonstruktion genutzt werden kann: Bei ihm heißt es<br />
bewusst nicht „ganz oder gar nicht“, denn auch einzelne Komponenten<br />
können nach und nach in die Serienfertigung einfließen.<br />
UMFASSENDES WISSEN ÜBER NEUE WERKSTOFFE<br />
Etwa die Hälfte der Rohkarosserie besteht aus Pressteilen, die andere<br />
Hälfte ist aus geschlossenen, dünnwandigen Hohlprofilen hergestellt.<br />
Ein fertigungstechnisches Schmankerl-Verfahren kam für die vorderen<br />
und hinteren Längsträger sowie den Dachrahmen des NewSteelBody<br />
zum Einsatz: Deren dünnwandige Rohre werden zunächst in annähernd<br />
endgültigen Maßen vorgefertigt und kommen dann in eine Presse, in<br />
der sie mit Wasser unter sehr hohem Druck von innen heraus in ihre<br />
endgültige Form gepresst werden – Innenhochdruckumformung nennt<br />
es der Fachmann. Die hinteren Längsträger bestehen darüber hinaus<br />
aus „Tailored Tubes“ („maßgeschneiderte Rohre“), die aus Stählen un-<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
terschiedlicher Festigkeit zusammengefügt sind, je nach Belastung.<br />
Und die vorderen Längsträger sind aus konischen Tailored Tubes hergestellt,<br />
werden also wie eine Fanfarentrompete immer weiter im<br />
Durchmesser – bei überall gleicher Wandstärke. Diese Form lässt die<br />
Träger bei einem Crash die Verformungsenergie viel besser aufnehmen<br />
im Vergleich zu zylindrischen Stahlprofilen.<br />
Um so mit den Materialeigenschaften der hochfesten Stähle umgehen<br />
zu können, müssen die Techniker sie sehr gut kennen. So wissen<br />
sie zum Beispiel, dass mancher Stahl durch Verformung härter wird<br />
– so wird er nicht nur in Form gebracht, sondern gleichzeitig fester. „Die<br />
Gefügestruktur ändert sich“, erläutert Markus Weber und zieht den Vergleich<br />
zu einer Büroklammer: Bewegt man ein Drahtende hin und her,<br />
reißt es schließlich ab – nicht, weil das Metall weich geworden ist, sondern<br />
weil es durch die Verformung hart wurde und schließlich unter der<br />
Belastung bricht. Hochfeste Stähle im Auto sollen natürlich bei einem<br />
Aufprall nicht brechen. Deshalb sind die Bauteile so ausgelegt, dass sie<br />
aufgrund der Fertigung nicht an ihre Stabilitätsgrenze kommen, sondern<br />
immer noch eine Restelastizität bleibt, die im Fall des Unfalles Ver-<br />
Der Weg aus dem<br />
Computer in die Großserie<br />
ist für den NewSteelBody<br />
nicht weit: In fünf Jahren<br />
könnte er über die Straßen<br />
rollen. Denn als praxisnahes<br />
Vorbild dient ein aktueller<br />
Minivan.<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
NEWSTEELBODY 57<br />
formungsenergie aufnimmt. „Dieses umfassende Wissen über unsere<br />
neuen <strong>Werkstoffe</strong> haben viele Autohersteller schlicht und einfach<br />
nicht“, sagt Weber ganz sachlich, „aber wir geben es gern weiter.“ Der<br />
NewSteelBody sei ein transparentes System: Wer an einer Verwendung<br />
interessiert ist, erhält von <strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl sämtliche Daten und<br />
technischen Einzelheiten. „Wir öffnen uns den Autoherstellern“, sagt<br />
Weber. Von den Kunden sei das sehr positiv angenommen worden.<br />
DÜNNWANDIGE PROFILE IN FORM GEBRACHT<br />
Und die Zukunft des NewSteelBody? Neue <strong>Werkstoffe</strong> werden eine<br />
weitere Verbesserung bringen, etwa noch stabilere Stähle („höherfest“).<br />
Auch erwarten beide Fachleute von <strong>ThyssenKrupp</strong>, dass beispielsweise<br />
die Verformung und Festigkeit dieser Stähle in einem noch<br />
günstigeren Verhältnis stehen werden. Oder dass dünnwandige Profile<br />
noch besser in Form gebracht werden können. Was auch immer es<br />
sein mag: Der NewSteelBody wird seinen Anteil daran haben, dass<br />
das Auto von morgen leichter ist als heute. Aber mindestens so stabil<br />
und sicher wie heute. 7
58 INTERVIEW
Wir brauchen junge<br />
Menschen, die sich für<br />
<strong>Werkstoffe</strong> begeistern<br />
Interview mit Prof. Dr. Ulrich Middelmann,<br />
stellvertretender Vorstandsvorsitzender der <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>AG</strong><br />
Fotos Claudia Kempf<br />
Die <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>AG</strong>, Herr Professor Middelmann, ist Deutschlands<br />
größter Werkstoff- und Industriegüterkonzern. Liegt in der Werkstoffkompetenz<br />
das eigentliche Kapital des Unternehmens?<br />
Tatsache ist, dass sich unsere Werkstoffkompetenz durch den gesamten<br />
Konzern hindurchzieht, beginnend bei der Entwicklung und Produktion<br />
im Segment Steel. Nehmen Sie weiterhin nur den Automobilbereich:<br />
Auf einer metallurgischen Basis haben wir weitestgehende<br />
Kompetenzen entwickelt, was die Umformung von Außenhautteilen<br />
betrifft. Durch das Hydroforming können wir Stahlhohlkörper unter<br />
Hochdruck in komplizierte Formen bringen. Oder nehmen Sie Kurbelwellen:<br />
Auch die zeugen von einer sehr hohen Werkstoffkompetenz.<br />
Ähnliches gilt für Stoßdämpfer oder Nockenwellen. Um es zusammenfassend<br />
zu sagen: Das Auto ist bestes Beispiel für unsere Art, innovativ<br />
mit <strong>Werkstoffe</strong>n umzugehen und es unterstreicht unsere Kompetenz<br />
auf diesem Gebiet.<br />
Sie nennen den Werkstoff Stahl als Beispiel. Arbeiten Sie aber nicht mit<br />
einer Vielzahl unterschiedlichster <strong>Werkstoffe</strong>?<br />
Es ist richtig, dass wir mit vielen <strong>Werkstoffe</strong>n zu tun haben. Neue kommen<br />
hinzu, Magnesium ist so ein Beispiel – in Freiberg/Sachsen wurde<br />
ein erstes Flachprodukt abgegossen. Wenn es uns gelingt, produktionstechnisch<br />
Magnesium-Flachprodukte kostengünstig herzustellen,<br />
wäre dies ein Durchbruch für uns. Denn für den gesamten Bereich<br />
Leichtbau könnten wir dann ein Full-Service-Konzept anbieten. Gerade<br />
im Sinne nachhaltigen Produzierens wäre dies ein Vorzeigeprodukt.<br />
Dennoch müssen Sie grundsätzlich in unserem Konzern eines sehen:<br />
Wir haben eine fest umrissene Werkstoffpyramide. In dieser Hierarchie<br />
befinden sich unten die Massenstähle, auf ihnen bauen die so genannten<br />
Qualitätsstähle auf, denen die Gruppen der rostfreien Edelstähle<br />
und die Nickelbasislegierungen bei <strong>ThyssenKrupp</strong> VDM mit einem Nickel-Gehalt<br />
von mehr als dreißig Prozent folgen. Ganz oben in der Spitze<br />
der Pyramide sind die Titanlegierungen angesiedelt.<br />
Wie hat man sich die Wertproportionen dieser Pyramide vorzustellen?<br />
Die Proportionen sind klar definiert. Der Wert einer Tonne VDM-Stahl beispielsweise<br />
liegt bei 15.000 Euro, der Titan-Wert liegt noch höher. Der Ni-<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
INTERVIEW 59<br />
rosta-Preis bewegt sich pro Tonne zwischen 1500 und 2500 Euro, der<br />
Wert von normal beschichtetem Qualitätsstahl beträgt rund 500 Euro.<br />
Dies ist, wenn Sie so wollen, der Werkstoff-Fächer. Der Qualität müssen<br />
Sie aber die Quantität gegenüberstellen. Da stellt sich die Pyramide auf<br />
den Kopf, vom Qualitätsstahl stellen wir 15 Millionen Tonnen her, von den<br />
rostfreien Stählen 2,5 Millionen Tonnen, bei den VDM-Stählen sind es<br />
rund 29.000 Tonnen.<br />
Insofern hat der Werkstoff Stahl Potenzial, womöglich ungeahntes Potenzial?<br />
Beim Segment Steel heißt der Slogan: Wir denken Stahl weiter. Innovationen<br />
sind zwingend notwendig, schon wegen der rasanten technologischen<br />
Veränderungen und der damit einhergehenden Veränderung<br />
der Produktanforderungen. Der Lebenszyklus auch unserer Produkte wird<br />
dadurch immer kürzer. Da gibt es in der Tat auf Dauer eine Vielzahl neuer<br />
Potenziale, die man ständig erschließen muss. Im Mittelpunkt der Aktivitäten<br />
steht dabei der Kunde als Partner. Deshalb wird frühzeitig die Entwicklungsarbeit<br />
mit den Vertriebsbelangen verzahnt.<br />
Welche Aufgabe hat dann der Werkstoffforscher im Unternehmen?<br />
Der Forscher ist der Treiber der Innovationen, aber eines muss auch ihm<br />
klar sein: Unternehmerisches Agieren orientiert sich am Markt. Was der<br />
Kunde haben will, versuchen wir ihm in einem Wertschöpfungsprozess an<br />
die Hand zu geben. Damit müssen wir Geld verdienen. In erster Linie bestimmt<br />
also der Kunde, was gemacht wird. Dies müssen jede Mitarbeiterin<br />
und jeder Mitarbeiter im Konzern verinnerlichen. Danach muss stringent<br />
gehandelt werden.<br />
Ist dieses Denken Teil einer neuen Unternehmenskultur bei Thyssen<br />
Krupp?<br />
Lassen Sie mich den entscheidenden Unterschied aufzeigen: In der Vergangenheit<br />
haben die Ingenieure häufig erst einmal gefragt, worin ihre<br />
Kompetenz besteht, dann wurde eine Vielzahl von <strong>Werkstoffe</strong>n entwickelt<br />
mit einer Vielzahl von Eigenschaften. Für diese <strong>Werkstoffe</strong> wurden dann<br />
Anwendungsgebiete gesucht. Die Erfahrung zeigt, dass dieser Weg weniger<br />
erfolgreich ist als die umgekehrte Denkweise: Erst werden die Kun-
60 INTERVIEW<br />
denbedürfnisse erforscht, darauf aufbauend wird durch eine Kombination<br />
der vorhandenen Kompetenzen die spezifische Lösung entwickelt, mit<br />
einem zu rechtfertigenden Aufwand. Aber ich mahne an: Hinter unserem<br />
unternehmerischen Handeln muss zwingend ein wirtschaftliches Ergebnis<br />
stehen, das Wertbeiträge schafft. All die modernen Produktionsanlagen,<br />
die wir haben, sind in erster Linie ein Instrument, um Gewinne zu erwirtschaften.<br />
Nur dann übrigens werden nachhaltig Arbeitsplätze<br />
geschaffen und erhalten.<br />
Wo bleibt da die Achtung vor der Kompetenz der Ingenieure?<br />
Die stelle ich gar nicht in Abrede. Aber nicht nur die Entscheider in unserem<br />
Konzern müssen wachgerüttelt werden. Jahrzehnte lang haben die<br />
Stahlkonzerne viel zu sehr der Technologie den Vorrang gegeben. Ingenieure<br />
und Techniker besitzen jedoch eine eigene Mentalität. Sie wollen die<br />
Ergebnisse ihrer Arbeit mit Stolz publizieren. So war der Informationsaustausch<br />
in der überschaubaren Branche grenzenlos. Jeder wusste vom<br />
anderen, was er Neues entwickelt hat. Das können wir uns nicht mehr<br />
leisten. Wir arbeiten global unter äußerst harten Wettbewerbsbedingungen.<br />
Die Kunst besteht darin, über echte Innovationen zu schweigen. Entscheidend<br />
ist es, Kunden für unsere innovativen Produkte zu gewinnen.<br />
Wenn ich Sie recht verstehe, muss der Ingenieur demnach genauso Verkäufer<br />
sein?<br />
Nicht unbedingt, doch von den Ingenieuren muss ich erwarten, dass sie<br />
die Machbarkeit der Vermarktung ihrer Neuentwicklungen immer im Blick<br />
behalten. Ich orientiere mich in diesem Punkt am originären Unternehmertum<br />
der Vergangenheit. Die Beziehung Produkt – Markt – Profitabilität<br />
– Verantwortung konzentrierte sich auf einen sehr kleinen Kreis von<br />
handelnden Personen. In Großkonzernen ist dieser Regelkreis anonymisiert.<br />
Der eine forscht, der andere produziert, wieder ein anderer verkauft,<br />
jeder sieht nur sein funktionales Ressort. Damit geht das unternehmerische<br />
Zusammenspiel häufig verloren. Das darf nicht so bleiben, wir müssen<br />
zurückkehren zum Verständnis von Regelkreisläufen. Alle Verantwortlichen<br />
müssen homogen denken mit klar definierten wirtschaftlichen und<br />
technischen Zielen vor Augen.<br />
Sie sind Schirmherr eines Werkstoff-Innovationspreises, der von<br />
<strong>ThyssenKrupp</strong> und der Ruhr-Universität Bochum vergeben wird. Ist das<br />
ein Beispiel dafür, dass Sie die Werkstoffforschung aus dem Konzern verlagern<br />
wollen in die Forschungsabteilungen von Hochschulen?<br />
Technik und <strong>Werkstoffe</strong> haben Prof. h.c. (CHN) Dr. Ulrich Middelmann durch<br />
sein Berufsleben begleitet. Der 58-Jährige, seit 2001 stellvertretender<br />
Vorstandsvorsitzender der <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>AG</strong> und Vorstandsvorsitzender<br />
der <strong>ThyssenKrupp</strong> Steel <strong>AG</strong>, studierte Maschinenbau in Darmstadt und<br />
Wirtschaftswissenschaften in Aachen. Er promovierte 1976 an der<br />
Ruhruniversität Bochum und erhielt im September 2003 die Berufung zum<br />
Honorarprofessor der Universität Tongji in Shanghai. 1977 ging er zur<br />
Krupp Stahl <strong>AG</strong> in Bochum. 1992 wurde er zum Vorstandsmitglied der<br />
Fried. Krupp <strong>AG</strong> Hoesch-Krupp, Essen/Dortmund, berufen. Im Zuge der<br />
Fusion der Thyssen <strong>AG</strong> und der Fried. Krupp <strong>AG</strong> wurde er 1999<br />
Vorstandsmitglied der <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>AG</strong>.<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
Die Antwort ist mehrschichtig. Zunächst arbeiten wir eng mit einer Reihe<br />
von nationalen und internationalen Universitäten zusammen, um rechtzeitig<br />
unseren Führungsnachwuchs zu rekrutieren. <strong>ThyssenKrupp</strong> beschäftigt<br />
allein in Deutschland insgesamt 8.837 Mitarbeiter mit einem<br />
Hochschulabschluss, darunter sind 6.430 Ingenieure. Da die Neigung<br />
der jungen Menschen, ein technisches Studium aufzunehmen, stark<br />
rückläufig ist, arbeiten wir mit der Ruhr-Universität Bochum an Programmen,<br />
den jungen Menschen die Attraktivität des Ingenieurberufs zu verdeutlichen.<br />
Darüber hinaus wollen wir die besonderen Leistungsträger,<br />
die diesen Studiengang begonnen haben, identifizieren. Hier ist der Werkstoff-Innovationspreis<br />
ein hervorragendes Instrument. Ich stehe mit den<br />
Verantwortlichen der Ruhr-Universität seit Jahren im Gespräch, um eine<br />
Reform der Ingenieurausbildung voran zu treiben. Die angehenden Ingenieure<br />
brauchen dringend kaufmännische Kompetenz. Als ausgebildeter<br />
Maschinenbauingenieur, der auch das Fach Wirtschaftswissenschaften<br />
studiert hat, weiß ich, wovon ich rede. Zwanzig Prozent der Studienzeit<br />
sollte zusätzlich kaufmännischen Inhalten gewidmet werden. Der Absolvent<br />
muss danach wissen, wie ein Unternehmen funktioniert, was Vertrieb<br />
bedeutet, Produktion, Beschaffung der Einsatzstoffe, Rechnungslegung<br />
und vieles mehr. Er sollte kalkulieren können, wissen, was hinter<br />
Projekt-Management steckt, was es mit Wertmanagement auf sich hat.<br />
Dann hat er auch verinnerlicht, dass sein Handeln letztlich dazu dient, den<br />
Wert eines Unternehmens zu sichern und zu mehren.<br />
Über das Mittel des Innovationspreises finden Sie dann zu dem dringend<br />
gesuchten Ingenieur-Nachwuchs, den es in Deutschland kaum gibt?<br />
Der Werkstoffpreis ist in der Tat ein geeignetes Medium, um mit jungen<br />
Menschen in Kontakt zu kommen, die für uns interessant sind. Wir suchen<br />
jedenfalls nicht primär erst unter den diplomierten Ingenieuren. Wir<br />
brauchen kreative Mitarbeiter, wie gesagt mit einem Feeling für Technik<br />
und kaufmännisches Denken. Über diesen Preis treten wir frühzeitig in<br />
einen interaktiven Dialog mit der Universität.<br />
Wo bleibt am Ende die Freiheit von Forschung und Lehre in der Universität,<br />
wenn Sie mit einer Universität kooperieren?<br />
Die Freiheit von Forschung und Lehre ist eine wichtige Funktion der Universität,<br />
die von uns respektiert wird. Jedoch kann eine Universität angesichts<br />
der leeren Kassen von Bund und Ländern nicht mehr ungehemmt<br />
zweckfrei forschen. Die öffentlichen Hände kürzen die Budgets. Daher<br />
wird der Wettbewerb unter den Unis härter. Sie müssen sich zunehmend<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
INTERVIEW 61<br />
einem Ranking unterwerfen und möglichst attraktiv werden. Dann erhalten<br />
sie Mittel von Dritten. Kurz gesagt, die Universitäts-Mitarbeiter müssen<br />
Kontakt zu denen suchen, die ihnen Leistungen in geeigneter Weise<br />
finanziell honorieren. Dadurch wird Forschung und Lehre mitfinanziert.<br />
Die <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>AG</strong> unterhält ja viele Kooperationen zu anderen Hochschulen<br />
und Schulen. Die Mitglieder des Vorstands suchen den direkten<br />
Kontakt. Sind dies aber nicht doch unzureichende Versuche, für einen<br />
Hochtechnologiekonzern geeignete Mitarbeiter zu finden, die es – angefangen<br />
in den Schulen – immer weniger gibt?<br />
Ich stimme Ihnen darin zu, dass sich das gesamte Klima ändern müsste.<br />
Die Misere ist ungemein groß. Schüler begeistern sich immer weniger für<br />
Technik. Junge Leute lernen kaum noch Mathematik mit dem Argument,<br />
das verstehen wir nicht. Erst recht wächst dann die Phobie vor einem Ingenieurstudium,<br />
das sich in großer Tiefe mit Mathematik, Physik, Mechanik,<br />
Thermodynamik oder auch Chemie auseinandersetzt. Diese Technik-<br />
Skepsis wird durch verschlechterte politische Rahmenbedingungen<br />
verstärkt. So werden energieintensive Betriebe derzeit in Deutschland in<br />
ihrem Entfaltungsbereich durch unterschiedlichste Gesetzesvorhaben<br />
stark eingeschränkt und möglicherweise verdrängt. Dabei wird von der<br />
Politik verschwiegen, dass im nächsten logischen Schritt die Verarbeitungsindustrie<br />
in einem Zyklus von sieben bis zehn Jahren dem Weggang<br />
folgen wird. Ich habe den Eindruck, dass Juristen und Soziologen die Diskussion<br />
beherrschen. Mit ihnen und ihren Denkansätzen lässt sich jedoch<br />
keine Volkswirtschaft über Wasser halten.<br />
Wo bleibt Ihr Optimismus?<br />
Als Realist analysiere ich erst einmal die Fakten. Da müsste ich schwarz<br />
sehen für die technische Entwicklung in Deutschland. Aber ein Unternehmer<br />
muss auch die Eigenschaft Optimismus pflegen. Positiv stimmt<br />
mich, dass die Bundesregierung 2004 als Jahr der Technik geadelt hat.<br />
<strong>ThyssenKrupp</strong> beteiligt sich besonders aktiv an den verschiedenen Aktionen,<br />
die von der Bundesforschungsministerin Bulmahn initiiert werden.<br />
Denn wir müssen dringend für Technik und Innovationen werben, immer<br />
wieder. Wir müssen jungen Menschen vorführen, dass der Umgang mit<br />
<strong>Werkstoffe</strong>n Kreativität, handwerkliches Geschick und fundiertes technisches<br />
Know-how fordert und die Mitarbeit an technischen Problemlösungen<br />
ein hohes Maß an persönlicher und beruflicher Befriedigung bringt.<br />
Die Fragen stellte Heribert Klein<br />
Forscher sind die Treiber der Innovationen
62 EDWARD. G. BUDD
Ein Unternehmer mit Visionen<br />
Von Carsten Knop | Fotos Hagley Museum and Library<br />
Er wurde mit einer<br />
bahnbrechenden Erfindung<br />
bekannt: Zu Beginn des<br />
vergangenen Jahrhunderts<br />
ersetzte Edward G. Budd<br />
konventionelle <strong>Werkstoffe</strong> mit<br />
modernen Materialien. In<br />
Amerika wurde er zum Vater<br />
der Ganzstahlkarosserie<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
Sein Name steht heute in Amerika in der „Hall of Fame“, in Anerkennung<br />
seiner Verdienste um die amerikanische Autoindustrie.<br />
Doch bis es so weit war, dauerte es lang, genau genommen sehr<br />
lang. Denn die Anfänge – sie sahen anders aus. Überschriften wie die<br />
folgende wollten Unternehmenschefs in der Wirtschaftspresse nicht<br />
lesen, auch der amerikanische Stahlverarbeiter und Automobilzulieferer<br />
Edward G. Budd nicht: „Pionier ohne Profit“, hatte das amerikanische<br />
Wirtschaftsmagazin Fortune im Februar 1937 über Budd geschrieben.<br />
Die Redakteure hatten sich die Bilanzen der Edward G.<br />
Budd Manufacturing Company besorgt und dabei zusammengezählt,<br />
dass Budd mit seinem Unternehmen in den vorangegangenen elf Jahren<br />
einen Verlust von insgesamt 3,3 Millionen Dollar gemacht hatte.<br />
Das las sich nicht gut. Wer sich aber von der wenig verheißungsvollen<br />
Überschrift nicht zum Weiterlesen anregen lassen konnte, verpasste<br />
die Beschreibung einer interessanten Zwischenstation auf einem langen<br />
Erfolgsweg. Denn Budd, vorübergehend tatsächlich ein Pionier<br />
ohne Gewinn, hatte die Verluste als wahrer Unternehmer bewusst in<br />
Kauf genommen. Er wollte seine Firma mit neuen Produkten am eigenen<br />
Schopf aus der Wirtschaftskrise ziehen. Das dauerte damals zwar<br />
länger als gedacht. Doch es sicherte in schwieriger Zeit die Arbeitsplätze<br />
tausender Mitarbeiter.<br />
EIN ERFINDER, DER SEINEN EIGENEN WEG GING<br />
Die Zeiten haben sich längst geändert. Heute würde in einer vergleichbaren<br />
Situation eher von einem „visionären Unternehmer“ gesprochen<br />
werden. Vielleicht wäre auch von einem mutigen Gründer die Rede, der<br />
so etwas wie einen Garagenbetrieb zu einem Weltkonzern machte. Was<br />
sich seither nicht geändert hat: Unternehmer brauchen für ihren Erfolg<br />
Kapitalgeber, die das kalkulierbare Risiko nicht scheuen. Budd war in dieser<br />
glücklichen Lage. Es war ihm, der mit seinem Unternehmen mitten in<br />
der Wirtschaftskrise 1934 finanziell mit dem Rücken zur Wand gestanden<br />
EDWARD. G. BUDD 63<br />
Aus bescheidenen Anfängen<br />
in Philadelphia stieg Budd<br />
mit seinem Unternehmen unter<br />
anderem zum Anbieter<br />
modernster Edelstahlzüge auf.<br />
Sie verkürzten die Reisezeit<br />
zwischen Chicago und Denver<br />
um zehn Stunden.
64 EDWARD. G. BUDD
EDWARD. G. BUDD 65<br />
hatte, mit Hilfe der New Yorker Bank Ladenburg gelungen, seine Bilanz<br />
wieder auf gesunde Füße zu stellen. In den zwei Jahrzehnten zuvor hatte<br />
Budd die Automobilindustrie mit einiger Ausdauer davon überzeugt, dass<br />
eine Ganzstahlkarosserie in jeder Hinsicht Autos aus Holz überlegen war.<br />
Jetzt konnte er sich mit frischem Kapital daran machen, Eisenbahnen die<br />
Vorzüge aus Edelstahl gefertigter Waggons zu zeigen.<br />
HOLZ, DAS DEM STAHL WEICHEN MUSSTE<br />
Budd war sein gesamtes Arbeitsleben lang stur, wenn es darum ging,<br />
konventionelle Materialien durch moderne <strong>Werkstoffe</strong> zu ersetzen. Er<br />
schlug seinen eigenen Weg ein – und das ging, wie sich nach einigen<br />
Lehr- und Arbeitsjahren in anderen Unternehmen gezeigt hatte, nur in<br />
seiner eigenen Firma. Als Fortune den Bericht über Budd schrieb, war<br />
sein Unternehmen schon ein Vierteljahrhundert alt. Gerade einmal<br />
250.000 Dollar hatten dem Praktiker Budd, der nach der High School-<br />
Zeit niemals ein College oder eine Universität besucht hatte, zur Gründung<br />
im Jahr 1912 zur Verfügung gestanden. Die Firma war damit so<br />
arm, dass das erste Presswerk in dem einstöckigen Fabrikgebäude in<br />
Philadelphia keinen Platz fand und zunächst zwar nicht in einer Garage,<br />
wohl aber in einem Zirkuszelt betrieben werden musste. Wichtiger als<br />
das knappe Geld war hingegen, dass es Budd gelungen war, die hellsten<br />
Köpfe bei seinem vorherigen Arbeitgeber Hale & Kilburn abzuwerben<br />
und mit ihnen gemeinsam den Neuanfang zu wagen. Das galt vor<br />
allem für den Ingenieur Joseph Ledwinka, der aus Wien stammte und<br />
mit seinen Erfindungen für Budd unverzichtbar wurde. Zudem halfen<br />
Die Möglichkeiten des<br />
neuen Werkstoffs Stahl wurden<br />
anfangs wenig genutzt. Die<br />
ersten Ganzstahlkarosserien<br />
waren noch sehr von ihren<br />
Vorbildern aus Holz geprägt –<br />
Revolutionen brauchen<br />
eben ihre Zeit.<br />
Mit Stahl zum großen Erfolg
66 EDWARD. G. BUDD<br />
die schon bestehenden Kontakte zur Autoindustrie, um an Aufträge zu<br />
kommen. Der erste Kunde für die Ganzstahlkarosserie des jungen Unternehmens<br />
war kein Geringerer als der Chef des Autoherstellers General<br />
Motors, Charles Nash. Der Durchbruch für Budd kam aber erst mit<br />
dem Auftrag der Gebrüder Dodge, die sich 1914 als Autohersteller<br />
selbständig gemacht hatten und nicht mehr nur Zulieferer für Henry<br />
Ford sein wollten. John und Horace Dodge hatten in den beiden Jahren<br />
zuvor viel Gutes von den Ganzstahlkarosserien aus Philadelphia gehört,<br />
nicht zuletzt auch davon, dass sie 10 Dollar billiger waren als die Konkurrenz<br />
aus Holz. Sie bestellten 5000 Stück – doch mit diesem Auftrag<br />
war das provisorische Zelt für Budd keine Lösung mehr. Es folgte ein<br />
Umzug, und nur ein Jahr später kam aus dem Hause Dodge die nächste<br />
Bestellung über die zehnfache Menge von Karosserien. Bei Budd erhöhte<br />
sich die Mitarbeiterzahl sprunghaft auf 2000. Nur zwei Jahre<br />
zuvor hatte das Unternehmen lediglich 800 Mitarbeiter beschäftigt.<br />
Inzwischen verließ in jeder Minute ein Karosseriesatz das Werk.<br />
Mit der Hilfe von neuen Schweißmaschinen ließ sich der Takt bald auf<br />
zwei Sätze je Minute erhöhen.<br />
So ging es weiter. Knapp zehn Jahre später verließen Millionen<br />
Karosserien die Bänder; die Kunden hießen Ford, Chrysler und Studebaker.<br />
Budd selbst war bei seinen Mitarbeitern nicht nur wegen der sicheren<br />
Arbeitsplätze beliebt. Der in einer kleinen Stadt aufgewachsene<br />
Unternehmer, der mit 17 als Lehrling in einem Maschinenbaubetrieb<br />
angefangen hatte, war zugänglich, ließ sich häufiger in den Fabrikhallen<br />
sehen als im Büro, kannte die meisten Beschäftigten persönlich. Er<br />
spendierte seinen Mitarbeitern schon kurz nach der Gründung des Unternehmens,<br />
mitten im Ersten Weltkrieg, eine kostenlose Lebensversicherung,<br />
mied nach Möglichkeit aber glanzvolle öffentliche Auftritte.<br />
Budd handelte lieber, weniger wollte er mit seinen Errungenschaften<br />
glänzen. In einer eigenen Werksklinik arbeitete ein nur für die Budd<br />
Company tätiger Werksarzt. Frauen verdienten bei ihm stets genauso<br />
viel wie Männer. Und vom Tag der Gründung an waren seine Mitarbeiter<br />
am Erfolg des Unternehmens beteiligt. Edward Budd verstand mehr<br />
Die Fabriken von<br />
Edward G. Budd galten<br />
stets als sehr<br />
fortschrittlich. Davon<br />
zeugen auch die mehr<br />
als hundert Patente von<br />
Budd – im Automobil-<br />
und im Eisenbahnbau.<br />
Karosserien<br />
im Minutentakt<br />
von dauerhafter Mitarbeitermotivation als die meisten seiner Zeitgenossen.<br />
STAHLAUTOS, DIE DURCH STABILITÄT GLÄNZTEN<br />
Vor allem war Budd erfolgreich. Seine potentiellen Abnehmer waren<br />
meist mit dem Bau von Kutschen groß geworden, und die waren eben<br />
aus Holz. Zwar besaß Budd so viele Patente, dass auf Jahrzehnte kein<br />
Autohersteller Ganzstahlkarossen pressen lassen konnte, ohne sein<br />
Unternehmen zu fragen. Doch war es Budd wichtiger, die Welt von seinem<br />
Konzept zu überzeugen als die Industrie mit überhöhten Lizenzgebühren<br />
zu gängeln und damit den Siegeszug des fortschrittlichen Materials<br />
Stahl zu bremsen. Das ist bis heute ein auch in anderen<br />
Branchen häufig genutztes Vermarktungskonzept geblieben. Bei seiner<br />
Überzeugungsarbeit war Budd zudem ein Freund spektakulärer Werbeaktionen:<br />
Hin und wieder ließ er seine Stahlautos sogar Klippen herunterstürzen<br />
und forderte seine Holzwettbewerber dazu auf, das Gleiche<br />
mit ihren Produkten zu versuchen. Auch ein Elefant musste herhalten,<br />
um die Stabilität eines Budd-Stahldachs zu beweisen.<br />
EIN UNTERNEHMER, DER DEN WEG NACH EUROPA W<strong>AG</strong>TE<br />
Budd war niemals ängstlich, wenn es um den zügigen Ausbau der Unternehmensaktivitäten<br />
ging. Den Schritt, mit einem eigenen Werk in die<br />
amerikanische Autometropole Detroit zu gehen, wagte er eher zu früh<br />
als zu spät. Und nach Europa zog es ihn schon 1924. Damals zeigte<br />
Citroën Interesse an seinen Produkten. So entstand unter anderem die<br />
Ambi-Budd Presswerk GmbH in Berlin, die in den Jahren darauf zu<br />
einem Lieferanten der Frankfurter Adler-Werke, an der Ambi-Budd beteiligt<br />
war, aber auch von Porsche, BMW oder Mercedes-Benz werden<br />
sollte. Der Kübelwagen von Volkswagen hatte bis zur Zerstörung des<br />
Berliner Werks bei einem Bombenangriff kurz vor Kriegsende ebenfalls<br />
eine Stahlkarosse von Ambi-Budd. Das deutsche Unternehmen war damals<br />
natürlich schon längst nicht mehr mit dem amerikanischen Mutterkonzern<br />
verbunden. Leider hatte die Expansion nach Europa in den<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
EDWARD. G. BUDD 67<br />
frühen dreißiger Jahren Budd nicht dabei helfen können, die Wirtschaftskrise<br />
besser zu überwinden. Im Gegenteil, der zeitgleiche Abschwung<br />
in Amerika und Europa traf Budd nun mit doppelter Härte.<br />
Plötzlich fand sich das Unternehmen mitten in eben jenen elf Verlustjahren<br />
wieder, die Fortune-Redakteure 1937 so akkurat zusammengezählt<br />
hatten. Doch Budd hielt durch. Er konnte 1934 nicht nur die<br />
Schwierigkeiten mit seinen Banken lösen. Im selben Jahr nahm auch<br />
der erste ausschließlich aus Edelstahl gebaute Eisenbahnzug seinen<br />
Dienst auf, der unter Eisenbahnfreunden legendäre Chicago, Burlington<br />
& Quincy „Zephyr“. Der aerodynamische, silbern glänzende Zug bestach<br />
mit einem niedrigeren Gewicht bei höherer Stabilität, einem<br />
neuen Dieselmotor von General Motors, neu entwickelten Sitzen, einer<br />
neuen Beleuchtung – und wurde trotz Wirtschaftskrise zu einem großen<br />
Erfolg, der zahlreiche Eisenbahngesellschaften dazu veranlasste, fortan<br />
vergleichbare Züge einzusetzen. Besonders die von den Budd-Ingenieuren<br />
entwickelte Schweißmethode für Edelstahl war revolutionär.<br />
Gleichwohl wurde Budd zunächst für die hohen Kosten der modernen<br />
Züge kritisiert. Er sagte darauf nur: „Ich bin an den Kosten nicht interessiert,<br />
es ist der Wert und der Nutzen, der zählt. Wir benutzen schließlich<br />
auch Diamanten, um Stahl zu schneiden.“ Doch blieb es zunächst<br />
noch für einige Zeit das Problem des Pioniers ohne Profit, beweisen zu<br />
können, dass sich Züge mit klangvollen Namen wie „Super Chief“,<br />
„Champion“, „Flying Yankee“, „Silver Meteor“, „Empire State Express“<br />
oder „El Capitan“ von der Budd Manufacturing Company mit Gewinn<br />
bauen ließen. In den Jahren des Zweiten Weltkriegs brauchte sich Budd<br />
um die Auslastung seiner Fabriken ohnehin keine Sorgen mehr zu machen.<br />
Das Unternehmen wurde wieder in die Rüstungsproduktion eingebunden.<br />
Budd überlebte den Krieg, starb aber 1946 im Alter von 75<br />
Jahren. Damals übernahm sein Sohn Edward G. Budd Jr. die Leitung<br />
des Unternehmens. 1985, knapp 40 Jahre nach seinem Tod, wurde der<br />
Name des Pioniers der Ganzstahlkarosserie in die „Hall of Fame“, also<br />
in die Ehrenliste der Größen der amerikanischen Autoindustrie, in Dearborn<br />
im Bundesstaat Michigan aufgenommen. 7
68 GALLARDO<br />
Das Design ist Leitlinie:<br />
Luc Donckerwolke, der Designer<br />
des Lamborghini Gallardo,<br />
schuf eine Skulptur auf Rädern.<br />
<strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz hat sie<br />
mit einer Aluminium-Karosserie<br />
zum Leben erweckt.<br />
In Sant’ Agata wird sie mit<br />
allerlei feinen Dingen gefüllt.
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
GALLARDO 69<br />
Von Rüdiger Abele | Fotos <strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz, Lamborghini<br />
Man nehme am besten 384 Aluminiumblech-, strangpressprofil-<br />
und -gussteile, 864 Stanznieten, 181 Schrauben, jage die<br />
Nieten an verordneter Position in das Leichtmetall, ziehe 115<br />
Meter Schweißnaht, drehe die Schrauben am vorgesehenen Ort fest<br />
und füge an passender Stelle noch Klebstoff hinzu: Fertig ist die Rohkarosserie<br />
eines Lamborghini Gallardo. Wenn – ja, wenn das so einfach<br />
wäre. Denn Aluminium zu verarbeiten, ist kompliziert. Doch die<br />
<strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz GmbH in Heilbronn hat in ihrer langen Geschichte<br />
soviel Know-how im Karosseriebau angesammelt, dass Lamborghini<br />
ihr die komplette Fertigung der Rohkarosserie des flotten Flitzers anvertraut<br />
hat – schließlich wirkte Drauz ja schon bei den Alu-Karossen<br />
der Modelle Audi A2 und A8 mit. Beweis für die Qualität von Drauz:<br />
Die kunstvollen Lamborghini-Metallgebilde gelangen bei Audi direkt in<br />
die hochmoderne Lackierstraße.<br />
SCHMACKHAFTE ZUTATEN FÜR EINE AUTOMOBILE DELIKATESSE<br />
Vor dem Ausflug in die Produktion bei <strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz sei der Blick<br />
auf das fertige Produkt gestattet: Ein Hochleistungsportwagen ist der<br />
Lamborghini Gallardo, gerade mal 1,16 Meter hoch, ein Fahrzeug, dem<br />
man seine Rasanz abnimmt, auch ohne die technischen Daten zu kennen.<br />
Sie seien dennoch genannt, weil sie äußerst schmackhafte Zutaten<br />
dieser automobilen Delikatesse sind: Der Motor schöpft aus zehn<br />
Zylindern mit insgesamt 5,0 Liter Hubraum satte 500 PS (368 kW), die<br />
den fahrbereit rund 1600 Kilogramm leichten Sportwagen innerhalb<br />
von 4,2 Sekunden die 100-km/h-Marke erreichen lassen. Der Vortrieb<br />
endet erst jenseits von 300 km/h. Noch Fragen?<br />
Italienischer<br />
Sportwagen im<br />
leichten Kleid<br />
<strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz fertigt die Aluminiumkarosserie<br />
des Lamborghini Gallardo
70 GALLARDO<br />
Auf einem schnöden Wagen<br />
kommt der Lamborghini zunächst<br />
(obendrein höhergelegt) ins<br />
Rollen. Zur Rohkarosserie gehören<br />
fast vierhundert Aluminiumteile,<br />
die mit Stanznieten, Schrauben<br />
sowie mit Schweißnaht und Klebstoff<br />
zusammengefügt werden.<br />
Vielleicht die nach dem Design. Denn die Form der Karosserie hat<br />
natürlich Folgen für die Fertigung, wie bei <strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz deutlich<br />
wird. Der aus Belgien stammende Lamborghini-Hausdesigner Luc<br />
Donckerwolke schuf den Gallardo als Skulptur auf Rädern – und war sich<br />
dieses Auftrags offenbar sehr bewusst. Denn in der Karosserie spiegelt<br />
sich große künstlerische Freiheit wieder, die fertigungstechnisch eine<br />
Vielzahl an Herausforderungen birgt: nicht praktisch und glatt wie die Karosserie<br />
von Großserienautos, sondern exaltiert und extravagant, mit<br />
scharfen Linien und schnittigen Vertiefungen. Che bella machina!<br />
HÖCHSTE QUALITÄT IST EINE SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT<br />
So wundert es nicht, dass die Gallardo-Karosserie zu 95 Prozent in<br />
Handarbeit entsteht, zumal nur eine relativ kleine Stückzahl gebaut<br />
wird. In der hellen, blitzsauberen Werkhalle von <strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz<br />
tummeln sich rund 100 Mitarbeiter, um dem Aluminium die schnittige<br />
Endform beizubringen, dazugesellt haben sich zwei Roboter für Spezialaufgaben.<br />
Es gilt die Devise: Höchste Qualität ist zu produzieren. Deshalb<br />
wurden die Männer und Maschinen, bevor 2003 die Produktion<br />
anlief, fast anderthalb Jahre lang gründlich trainiert. Auch deswegen,<br />
weil Aluminium seine Eigenheiten hat und in vielerlei Hinsicht nicht vergleichbar<br />
ist mit Stahl. Mancher Mitarbeiter, der den Stahl-Karosseriebau<br />
von der Pike auf gelernt hat, musste sich stark umstellen.<br />
Teil um Teil wird so zusammengefügt – doch mittels Schweißen<br />
nur, wenn es konstruktiv absolut notwendig ist. Dieses Fügeverfahren<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
Genauigkeit heißt die Devise<br />
Schon die Zeichnungen<br />
lassen erkennen, dass an<br />
<strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz<br />
große Herausforderungen in<br />
der Fertigungstechnik<br />
gestellt werden. Um die<br />
Karosserie für den Lamborghini<br />
Gallardo vollenden zu<br />
können, ist auch eine Menge<br />
Handarbeit nötig.<br />
GALLARDO 71
72 GALLARDO<br />
ist in der Aluminiumfertigung nicht unbedingt beliebt: Zum einen muss<br />
das Werkstück immer so ausgerichtet sein, das die Naht zugänglich ist<br />
– und deshalb sieht man bei <strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz zahlreiche maßgeschneiderte<br />
Drehvorrichtungen, um die Teile entsprechend auszurichten.<br />
Zum anderen breitet sich die entstehende große Hitze aufgrund der<br />
vorzüglichen Wärmeleiteigenschaften des Leichtmetalls großflächig im<br />
Material aus, lässt es ausdehnen – um beim Abkühlen mitunter nicht in<br />
die ursprüngliche Form zurückzugehen. Das aber darf nicht sein bei Toleranzen<br />
von einem Millimeter im gesamten Rahmen des Gallardo und<br />
sogar nur zwei Zehntelmillimeter bei sichtbaren Teilen, etwa dem Abstand<br />
zwischen Tür und Rahmen. Deshalb berücksichtigen die Ingenieure<br />
die besonderen Materialeigenschaften des Aluminiums schon bei<br />
der Karosserie-Konstruktion und legen auch fest, wie die Teile zusammengefügt<br />
werden. Nieten etwa produzieren keinen Wärmeverzug, man<br />
nimmt sie, wo immer es geht, oder auch Schrauben – deshalb trägt der<br />
Lamborghini Gallardo so viele davon an unsichtbaren Stellen in sich.<br />
Der Monteur bedient sich eines Handgeräts oder nutzt eine entsprechende<br />
Anlage, um die Stanznieten in die Materialverbindung, wie der<br />
Ingenieur sagt, einzupressen. Ein nachdrückliches „Pock“ ist zu vernehmen<br />
– der Niet sitzt, und schon landet der nächste an vorbestimmter<br />
Stelle. Viele „Pocks“ lassen eine wunderbar gepunktete Linie entstehen,<br />
die hohe Festigkeit verleiht.<br />
Für den Lamborghini Gallardo entsteht zunächst der untere Rahmen,<br />
je nach Konstruktions-Vorgabe geschweißt oder genietet. Und<br />
zwar aus drei Sektionen: Vorderwagen und Hinterwagen werden mit<br />
Lamborghini-Hausdesigner<br />
Luc Donckerwolke hat wiederum<br />
eine Vision wirklich werden<br />
lassen, mit Ecken und Kanten,<br />
Einschnitten und Wölbungen.<br />
Roboter und feinfühlige<br />
Sensoren sorgen dafür, dass<br />
die Rohkarosse zur Formvollendung<br />
findet.<br />
Ein schickes Kleid aus Aluminium<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
dem Boden verbunden und geben ein erstes Gefühl, dass hier ein Auto<br />
entsteht. Ein wunderbares Beispiel, wie auf die Materialeigenschaften<br />
von Aluminium eingegangen wird, sind die FDS-Spezialschrauben<br />
(„Flow Drill Screw“), mit denen die Bodenbleche befestigt werden und<br />
um die sich einer der beiden Roboter kümmert: An seinem Arm ist ein<br />
Schraubautomat befestigt, dem per Luft die Schraube zugeschossen<br />
wird. Er lässt ihre Spitze auf dem nicht vorgebohrten Blech rotieren, so<br />
dass dort eine Temperatur von rund 200 Grad Celsius entsteht. Dabei<br />
wird das Aluminium weich, die Schraube dringt ein, furcht sich dabei ihr<br />
Gewinde, und die dosierende Steuerelektronik sorgt für ein Anzieh-<br />
Drehmoment von exakt sieben Newtonmeter.<br />
DIE ROHKAROSSERIE WIRD PENIBEL KONTROLLIERT<br />
Am Rahmen befestigen die Blechspezialisten die Außenhaut, Kotflügel<br />
für Kotflügel, Panel für Panel wird die schnittige Linie des Lamborghini<br />
erkennbar. Wiederum wird viel genietet, aber auch Schweißbrenner<br />
entzünden am Leichtmetall ihr verbindendes Feuer. Was er an Naht hinterlässt,<br />
wird zunächst grob mit einer Feile egalisiert. Für den letzten<br />
Feinschliff sorgen Karosseriespezialisten: Schmirgelnd wird jede noch<br />
so feine Unebenheit geglättet, fährt der Mann fühlend mit den Handschuhen<br />
darüber, nimmt noch einen Hauch Aluminium weg. Schließlich<br />
ist da, wo eben noch die Naht gut sichtbar war, eine absolut ebenmäßige<br />
Oberfläche.<br />
Nach all den Fertigungsschritten wird jede Rohkarosserie geprüft,<br />
ob sämtliche Maße so sind, wie Lamborghini es wünscht. Dazu<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
Der Lamborghini-Gallardo<br />
ist ein Star auf den Straßen,<br />
Streets und Stradas dieser<br />
Welt. Fünfhundert Pferdestärken<br />
stehen bereit, um in knapp<br />
vier Sekunden auf Tempo<br />
100 zu kommen, mit leichter<br />
Karosserie.<br />
GALLARDO 73<br />
wird der künftige Sportwagen für kurze Zeit höher gelegt und gelangt<br />
in den „Lehrenwagen“, der den genauen Abmaßen entspricht. Weicht<br />
etwas ab, wird es gerichtet – doch an dieser Stelle der Produktion<br />
kommt das kaum noch vor. Eine Rohkarosserie wird jeden Tag noch<br />
rigoroser untersucht: Im Messraum tastet ein feinfühliger Sensor<br />
während vier Stunden rund Tausend Punkte ab und vergleicht sie mit<br />
den Computerdaten.<br />
Der Lamborghini-Torso ist noch nicht fertig. Das „Finishing“<br />
steht auf dem Programm: Die Karosserie wird mit feinem und feinstem<br />
Schleifmittel komplett geglättet. Das Ganze passiert in einem abgeteilten<br />
Raum, der erstens von bestem Licht erleuchtet ist und zweitens<br />
eine Feinstaubabsaugung hat. Wer hier arbeitet, ist ein absoluter<br />
Fachmann: Das Gespür und das Augenmaß, wo noch ein Hauch Metall<br />
wegzunehmen ist oder wo mit dem Hammer ganz leicht geklopft<br />
werden muss, um die dann wirklich perfekte Oberfläche zu bekommen,<br />
entwickelt nicht jeder. Und man lernt: Glatt ist noch nicht glatt<br />
genug. Denn erst die Lackierung offenbart gnadenlos jede noch so<br />
feine Unebenheit.<br />
Damit hat <strong>ThyssenKrupp</strong> Drauz seinen Teil am Lamborghini<br />
Gallardo getan: Makellose Rohkarosserien zu fertigen, die per Lastwagen<br />
erst zu Audi in die Lackierstraße und dann nach Sant’Agata in Italien<br />
gelangen. Dort bekommt der Gallardo all das, was einen italienischen<br />
Supersportwagen ausmacht – damit er mit seiner Technik und<br />
seinem hübschen Aluminiumkleid auf den Straßen, Streets und Stradas<br />
dieser Welt brilliert. 7
74 EISSTADION<br />
Eishockey – die schnellste und eine<br />
der härtesten Mannschaftssportarten der<br />
Welt. Hautnah beim Spiel dabei zu sein,<br />
ist für die Fans das größte Erlebnis<br />
Von Benedikt Breith | Fotos Andreas Möltgen<br />
Der Reiz liegt in der Schnelligkeit. In einer solchen Schnelligkeit,<br />
dass sie für den Menschen nicht nachvollziehbar ist. Nicht weniger<br />
liegt der Reiz aber in der prickelnden Gefahr. Einer solchen<br />
Gefahr, dass der Mensch sie sucht – wohl wissend, dass er sicher ist.<br />
Wir reden vom Eisstadion, konkret vom Stadion der Düsseldorfer Eislauf<br />
Gesellschaft (DEG) – seit Jahren und Jahrzehnten bekannt für die Stimmung<br />
der Fans, die durch die Kreativität der Sprüche, der Gesänge, der<br />
überschäumenden, aber nicht ausufernden Emotion immer wieder auf<br />
sich aufmerksam gemacht haben. Aus gutem Grund, denn Spieler und<br />
Fans leben in diesem Stadion in unmittelbarer Nähe. Bei einem Spiel,<br />
dessen Schnelligkeit die Faszination und das größte Gefahrenpotenzial<br />
ausmacht.<br />
KUNSTSTOFF ALS SCHUTZ FÜR DIE ZUSCHAUER<br />
Denn der Puck – der Stein der Weisen im Eishockey, der über Triumph<br />
und Enttäuschung entscheidet, erreicht, amtlich festgestellt, eine Aufprallgeschwindigkeit<br />
von 50 Metern in der Sekunde, was einer Stundengeschwindigkeit<br />
von 180 Kilometern in der Stunde entspricht. Für<br />
Eine Stadionbande für die Emotionen<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
die Zuschauer kann dies lebensgefährlich sein. Also wird Vorsorge getroffen.<br />
Im Fall des Düsseldorfer Stadions von <strong>ThyssenKrupp</strong> Services:<br />
Das Segment lieferte vor kurzem eine neuartige Bandenumrandung<br />
aus einem Werkstoff, den man natürlich nicht als Erstes mit Thyssen-<br />
Krupp assoziiert: Kunststoff. „Als Handelsorganisation besteht unsere<br />
Angebotspalette aus einem breiten Portfolio von <strong>Werkstoffe</strong>n“, fasst<br />
Werner Eschbach, Vorstandsmitglied der <strong>ThyssenKrupp</strong> Schulte GmbH,<br />
einem Unternehmen von <strong>ThyssenKrupp</strong> Services, die Gegebenheiten<br />
zusammen. Er ist zuständig für die Kunststoffsparte, ein Fachmann, der<br />
alles in allem seit mehr als fünfundzwanzig Jahren in diesem Metier<br />
tätig ist. „Man muss von dem Material, das man verkauft, begeistert<br />
sein“, lautet seine Überzeugung. Nur so könne man in einem mittelständisch<br />
geprägten Markt, wie er bei Kunststoffen herrsche, erfolgreich<br />
tätig sein.<br />
Der Auftrag für die neue Bande im Eisstadion der DEG trägt sicher<br />
nicht zur gewaltigen Umsatzsteigerung des Kunststoffhandels bei<br />
(worin aber <strong>ThyssenKrupp</strong> Services Weltmarktführer ist). Doch es ist ein<br />
Referenzprojekt, das jeden überzeugt. Pucksicherheit, Transparenz,<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
Das Produkt „Margard ® “,<br />
ist schlagzäher als Glas. So<br />
schnell der Puck auch auf die<br />
Bande trifft, die Zuschauer<br />
stehen sicher und können<br />
ungestört dem schnellen Spiel<br />
auf dem Eis zuschauen, mit<br />
größter Begeisterung.<br />
EISSTADION 75<br />
Lichtdurchlässigkeit – dem sind die „Margard ® “-Polycarbonatplatten in<br />
jeder Weise gewachsen. Dies ist nicht nur eine werbewirksame Aussage,<br />
sondern das Ergebnis von extremen Prüfungen. Ein Prüfungszeugnis<br />
listet genau auf, wem alles der transparente Werkstoff trotzen<br />
musste: Dreißig Mal wurde der Puck auf das Polycarbonat geschossen,<br />
im Auftreffwinkel von 90 Grad, insgesamt vierundzwanzig Mal dann<br />
noch in einem Winkel von 45 Grad, bei gemessenen Aufprallgeschwindigkeiten<br />
von 50 Metern in der Sekunde.<br />
EINE BANDE MIT GROSSER PUCKSICHERHEIT<br />
Das war nicht alles: „Das Verglasungselement wurde 24 Stunden vor<br />
der Prüfung in einer Klimakammer auf 0 Grad vorklimatisiert, da in Eissporthallen<br />
in Bodenhöhe derartige Temperaturen vorherrschen und<br />
entscheidenden Einfluss auf die Schlagfestigkeit der Verglasung ausüben.“<br />
Das Ergebnis weist lakonisch aus: „Keine Veränderungen am<br />
Einbauelement. Das geprüfte Einbauelement überstand die Beanspruchung<br />
ohne Schäden. Es erwies sich somit als pucksicher gemäß den<br />
vorgenannten Prüfbedingungen.“
76 EISSTADION<br />
Frei war damit der Weg, den Fans in Düsseldorf neue Transparenz und<br />
ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewähren. Das ist schon ein eigenartiges<br />
Gefühl. Hinter der Bande zu stehen, umgeben von einem ohrenbetäubenden<br />
Stimmengewirr, einer bunten Mischung aus Musik, Geschrei,<br />
anfeuernden Parolen und verächtlichen Sprüchen. Getrennt<br />
durch die kaum wahrnehmbare durchsichtige Bande, wähnt man sich<br />
umso mehr mitten im Spiel. Nicht zuletzt, weil einem die Pucks nur so<br />
um die Ohren fliegen – und vor der Bande gar keinen Halt machen, zur<br />
Begeisterung des Zuschauers, dem sie ins Gesicht donnern – gottlob<br />
nur scheinbar, dank der Schlagzähigkeit und Pucksicherheit des Polycarbonats.<br />
DURCHSICHTIGE SCHÖNHEIT IN EISKALTER UMGEBUNG<br />
Interessiert dies den Fan? Herzlich wenig. Doch wie es im Leben ist: Um<br />
Transparenz herzustellen, bedarf es großer Mühe. Eschbach argumentiert<br />
auch ganz grundsätzlich: „Wir sind Dienstleister und setzen uns auf<br />
den Stuhl des Kunden, um herauszufinden, was der Kunde braucht.<br />
Dieses liefern wir ihm.“ Rasch zieht er eine ganze Palette von Produkten<br />
hervor, die sich mit einem für ihn genauso wichtigen Werkstoff be-<br />
Der Puck bleibt sicher auf dem Eis<br />
schäftigen: Acryl – er vergisst nicht, die wunderbare Ästhetik von Acryl<br />
zu loben. Luxusmöbel aus Acryl, hoch kreative Kunstwerke aus Plexiglas®,<br />
„transparente Schönheiten“ genannte Lichtskulpturen, in der<br />
Licht und Plexiglas einander begegnen und miteinander in einen Dialog<br />
eintreten. „Die Marke Plexiglas® signalisiert Verlässlichkeit, Qualität<br />
und Innovationsfähigkeit.“<br />
Es bildet, folgt man Eschbachs Darstellung, die ideale Ergänzung<br />
zum Polycarbonat (das 1953 von dem Bayer-Forscher H. Schell erstmalig<br />
hergestellt und schon 1958 in industriellem Maßstab umgesetzt<br />
wurde, dasselbe gelang auch D.W. Fox, der zur selben Zeit das Polycarbonat<br />
für General Electric entdeckte). Schier unbegrenzt sind die Anwendungen,<br />
als Überdachung von Wintergärten, als Material für in die<br />
Zukunft gerichtete Badewannenformen, als Tonnengewölbe, als<br />
Schutzschild und Visier, als Fahrzeugverglasung und schützende Geräteverblendung.<br />
Gemessen daran kommt die Bande im Düsseldorfer Stadion<br />
schlicht daher. Wie sollte es anders sein? Es geht hier nicht (was sonst<br />
aus Eschbachs Sicht auch ein interessantes Anwendungsgebiet ist) um<br />
die Verwendung von Kunststoffen in der Luft- und Raumfahrt. Gefragt<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
ist hier eine Barriere, die trennt und dennoch alle miteinander vereint.<br />
Eine Schutzwand, die dennoch Emotionen durchlässt, dank der Lichtdurchlässigkeit<br />
im wahrsten Sinn des Wortes, gleichzeitig aber vor den<br />
Folgen der Härte und den Gefahren eines mitreißenden Eishockeyspiels<br />
jeden Besucher schützt. Zu fatal wären die Folgen, wenn ein Puck den<br />
ungehemmten Weg zu einem Zuschauer finden würde.<br />
Vergessen wir nicht den weit reichenden thermischen Einsatzbereich,<br />
der für Polycarbonat bei vierzig Grad unter Null beginnt und bei<br />
hundertfünfzehn Grad über Null endet. Und vergessen wir auch nicht<br />
die guten bis sehr guten Verarbeitungsmöglichkeiten. Denn das so genannte<br />
„Halbzeug aus PC“ (dazu zählt das Material der Stadionbande)<br />
lässt sich kalt biegen und warm formen, kalt und warm abkanten,<br />
sägen, bohren, fräsen, nageln und schrauben, ohne zu splittern. Obendrein<br />
ist es beständig gegen Chemikalien, gegen Benzin, Öle und aromatenfreie<br />
Fette.<br />
TRANSPARENZ LIEGT VOLL IM TREND<br />
Seine Begeisterung über diesen Werkstoff verhehlt Werner Eschbach<br />
nicht. Der Kunststoffhandel bewege sich in einem Wachstumsmarkt,<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
Die Anforderungen an<br />
die Stadionbande sind hoch.<br />
Sie muss wie eine Schutzwand<br />
sein, doch sie muss vor allem<br />
die Emotionen begeisterter<br />
Fans passieren lassen. Unter<br />
den harten Bedingungen, wie<br />
sie im Eisstadion herrschen,<br />
wurden die Polycarbonatplatten<br />
geprüft – und dann zum Einbau<br />
genehmigt.<br />
EISSTADION 77<br />
umschreibt er die Lage aus der Sicht des Dienstleisters. „Hier sind wir<br />
extrem gut und breit aufgestellt, die Wertschöpfung ist überdurchschnittlich.“<br />
Transparenz herzustellen, liegt im Trend. Zumal bei einem Konzern<br />
wie <strong>ThyssenKrupp</strong>, der sich mit voller Absicht an die Spitze der<br />
Transparenz stellt (bei der Corporate Governance). Diesen Vergleich<br />
würde Eschbach natürlich nicht machen, aber die Parallele hält er für<br />
interessant. Um gleich hinterher zu schieben, dass die neue und hoch<br />
transparente Bande ein richtig tolles Beispiel dafür ist, wie Thyssen<br />
Krupp Schulte interessante Aufträge mit einer breiten Öffentlichkeitswirkung<br />
an sich ziehen kann.<br />
Übrigens ohne Einfluss auf den Ausgang des Spiels. Denn das<br />
Ergebnis des 156. rheinischen Derbys zwischen den DEG Metro Stars<br />
und den Kölner Haien ging kurz vor Weihnachten so aus, wie es der in<br />
Düsseldorf arbeitende, aber aus Köln stammende Werner Eschbach<br />
vielleicht doch, dem Herzen folgend, ein wenig goutierte: 3 : 0 für die<br />
Haie aus der Domstadt. Gesehen haben es mehr als zehntausend Besucher,<br />
durch und über die neue Bande hinweg, die jeden Blick passieren<br />
ließ, aber jeden Puck aufhielt. 7
78 WERKSTOFFAUSWAHL
<strong>Werkstoffe</strong> aus<br />
Metall – und<br />
ein Mann, der<br />
sie alle kennt<br />
Von Heribert Klein | Fotos Claudia Kempf<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
WERKSTOFFAUSWAHL 79<br />
Jochen Adams arbeitet bei <strong>ThyssenKrupp</strong><br />
Schulte. Er gilt als Erfinder eines Werkstoff-<br />
Auswahlprogramms – für Kunden die<br />
ideale Datenbank, um in kürzester Zeit das<br />
richtige Material zu finden<br />
Was er denn sei, welche Funktion er genau ausübe – darüber<br />
lässt er nicht den Hauch eines Zweifels aufkommen. Jochen<br />
Adams, so weist es seine Visitenkarte aus, ist „Leiter Zentraler<br />
Technischer Verkauf/Qualitätsmanagement“ bei <strong>ThyssenKrupp</strong> Schulte,<br />
einem Unternehmen von <strong>ThyssenKrupp</strong> Services. Der Titel klingt<br />
sperriger, als Adams wirkt. Denn dahinter verbirgt sich ein Mann, dessen<br />
ganzes Berufsleben vom Wissen, dem Interesse und der Leidenschaft<br />
für die metallischen <strong>Werkstoffe</strong> geprägt ist.<br />
„Hier gibt es viel zu tun“, sagt er in seinem Büro sitzend, das<br />
überquillt vor Akten, Blättern und Ordnern. Zu jedem Thema aus der<br />
Werkstoffkunde fallen ihm tausend weiterführende Gedanken ein. Dieser<br />
Prokurist namens Adams scheint ein wandelndes Lexikon zu sein,<br />
ein Mensch, der sehr wohl den Computer zu nutzen weiß, der aber mindestens<br />
genauso auf dem Prinzip beharrt: „Man muss viel lesen, um zu<br />
wissen, wo etwas steht.“ Dies alles im Sinne eines Dienstleisters für die<br />
Niederlassungen von <strong>ThyssenKrupp</strong> Schulte in allen Fragen, die metallische<br />
<strong>Werkstoffe</strong> betreffen.<br />
EINE DATENBANK ENTSTEHT ZUERST IM KOPF<br />
Diplom-Ingenieur Adams gilt als der „Erfinder“ und Betreiber eines praxisorientierten<br />
Werkstoffauswahlprogramms. Dahinter verbirgt sich<br />
eine mittlerweile schon gigantisch anmutende Datenbank, auf deren<br />
Grundlage Adams jedem Kunden die exakt auf seine Bedürfnisse zutreffende<br />
Stahlsorte anbieten kann „Wir haben jeden Stahl genommen<br />
und seine Eigenschaften analysiert, wobei nicht die Grenzwerte einer<br />
Norm für uns entscheidend waren, sondern die realistischen Daten unserer<br />
Auswertungen. Insofern haben wir wirklich gemessene Ergebnisse,<br />
die wir an unsere Kunden weitergeben können.“ Er hält sich zugute,<br />
dass er weiß, wovon er spricht, wenn er Ratschläge gibt. Von Haus aus<br />
ist er Metallkundler, 1967 fing er bei Thyssen Röhrenwerke an, wechselte<br />
dann 1970 zum Grobblechwalzwerk nach Duisburg-Süd in den<br />
Bereich des Qualitätswesens. „Man muss in seinem Leben viel Glück<br />
haben, um zum Erfolg zu kommen“, stellt er fest. Dass er, um nur ein<br />
Beispiel zu nennen, in dem Grobblechwalzwerk einen Stapel Prüfergebnisblätter<br />
von Stählen vorfand, an denen keiner außer ihm selbst Interesse<br />
hatte, war so ein Glücksfall.
80 WERKSTOFFAUSWAHL<br />
Den Kunden genau im Blick<br />
Jochen Adams hat<br />
die Eigenschaften von jedem<br />
Stahl analysiert und im<br />
Computer gespeichert. Die<br />
erfassten Daten sind für die<br />
Kunden von wesentlichem<br />
Nutzen. Sie können die Daten<br />
käuflich erwerben.
WERKSTOFFAUSWAHL 81
82 WERKSTOFFAUSWAHL<br />
Suche nach der optimalen Lösung<br />
Adams machte sich die Mühe, alles, was er sah, was ihm vor die<br />
Augen kam, zu studieren, Werte zu berechnen, die Ergebnisse zu vergleichen<br />
– um alle diese Fakten nach und nach in einer Datenbank zu<br />
erfassen. Die Lebenserfahrung freilich hat ihn gelehrt, alle Vorteile der<br />
Computertechnik zu nutzen, ohne Gefahr zu laufen, sie überzubewerten.<br />
Für ihn bleibt unumstößlich: „Der Computer kann nicht alles ersetzen,<br />
aber man kann auch den Computer nicht ganz und gar ersetzen.“<br />
Wie dieses in der Praxis funktioniert, führt er mit der ihm eigenen<br />
Leidenschaft vor. Oft steht er im Gespräch auf, eilt zu einem seiner<br />
Schränke, deren Inhalt er – für einen Außenstehenden kaum nachvollziehbar<br />
– Blatt für Blatt zu kennen scheint. Zielsicher zieht er einen Ordner<br />
heraus. Die Bemerkung „Ich kann Ihnen alles schwarz auf weiß zeigen“<br />
ist in Adams Fall keine Koketterie, sondern Ausdruck von<br />
Seriosität – die er in Streitfällen so zu nutzen weiß, dass der Hinweis auf<br />
diese oder jene Literaturstelle einen Disput fast immer beendet. „Solche<br />
Erfahrungen sind bei Auseinandersetzungen überaus hilfreich“<br />
sagt er, „vorausgesetzt, man hat all die technischen Berichte gelesen<br />
und weiß, wo man jedes Detail finden kann.“<br />
DETAILKENNTNISSE BEENDEN AM EINFACHSTEN DEN DISPUT<br />
Im Normalfall sucht der Kunde bei Jochen Adams die ideale Stahl-<br />
Lösung. Mit den heutigen Möglichkeiten kann dieser ihn umgehend bedienen.<br />
Angenommen, der Hersteller von Nutzfahrzeugen sucht nach<br />
einem Vergütungsschaubild, gibt alle möglichen Eigenschaften wie<br />
Härtbarkeit, Streckgrenze, Abkantradius, Schweißeignung, Blechdicke<br />
vor – dann kann er mit Hilfe des Computers in wenigen Augenblicken<br />
einen Stahl oder eine Auswahl geeigneter Sorten präsentieren, die<br />
zudem, was in der Regel zum Wichtigsten gehört, auch noch verfügbar<br />
sind. „Was nutzt der schönste Stahl, wenn ich ihn dem Kunden nicht liefern<br />
kann?“ fragt Adams, diesmal in der Rolle des Händlers, über die<br />
Funktion des Metallkundlers hinaus. Doch findet er zu allen Parametern<br />
passend ein Ergebnis in seinem Computer, hellt sich Adams Miene auf.<br />
„Volltreffer.“ Der insofern nicht unwichtig ist, als er zu neuem Umsatz<br />
bei <strong>ThyssenKrupp</strong> Schulte führt und Adams einmal mehr zur Prosperität<br />
des Unternehmens auf seine Art beiträgt. Eine langweilige Tätigkeit?<br />
Überhaupt nicht, meint Adams, es habe keinen Tag in seinem langen<br />
Berufsleben gegeben, an dem er ungern in den Betrieb gegangen<br />
sei, nicht zuletzt wegen der ständig neuen Herausforderungen.<br />
DIE ANGABEN ENTSPRECHEN DEN ERFAHRUNGEN<br />
Und dann wird er noch lebendiger als sonst. „Zusammen mit den Kunden<br />
suche ich anwendungsorientierte Lösungen. Aber mit Forschung<br />
hat dies nichts zu tun.“ Trotzdem, die Grenzen verschwimmen. Bringt<br />
er die <strong>Werkstoffe</strong> „TS-ThermoCut 1, TS-ThermoCut 2“ ins Spiel, wird<br />
schnell deutlich, dass man ihn auch hier guten Gewissens als Erfinder<br />
bezeichnen kann. Denn diese beiden Stähle für thermische Trennverfahren<br />
– insbesondere das Laserschneiden – hat er entwickelt. Auch<br />
die farbige Broschüre, welche die Eigenschaften der Neuheiten darstellt,<br />
spiegelt das Wissen und den Anspruch der Person Adams. Nicht<br />
nur die Einzelheiten betreffend, die übersichtlich dargestellten Informationen<br />
über die chemische Zusammensetzung, thermische Trennverfahren,<br />
Laserstrahlschneiden, Laserstrahlschweißen oder Kalt-Umformen.<br />
Die Feststellung „Die Angaben, mit denen wir Sie beraten<br />
wollen, entsprechen unseren Erfahrungen“ könnte von ihm stammen.<br />
Seit langem beschäftigt sich Jochen Adams besonders auch mit<br />
Problemfällen bei den <strong>Werkstoffe</strong>n. Von Natur aus ein Pragmatiker, auf<br />
der Basis gesicherten Wissens, holt er den einen oder anderen Gegenstand,<br />
legt ihn auf den Tisch und erklärt, worin denn das eigentliche<br />
und nicht das vermeintliche Problem besteht. Der Fahrzeugbauer etwa,<br />
der nicht mit dem vorgeschriebenen Radius von 10 Millimeter, sondern<br />
schon mit 1 Millimeter abkantet, woraufhin die Kante bricht: „Das kann<br />
so nicht funktionieren.“ Oder der Hersteller einer Maschine, die Fleisch<br />
in Vakuumfolie einschweißt: Die Maschine rostet an allen möglichen<br />
Ecken und Enden. Was, wie der Hersteller und Betreiber der Maschine<br />
ganz sicher zu wissen meint, am falschen Werkstoff liegt. Was aber, wie<br />
Adams noch sicherer weiß, in Wirklichkeit daran liegt, dass die Maschi-<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
Jochen Adams ist ein<br />
Pragmatiker, der ein Leben<br />
lang Erfahrungen im Umgang<br />
mit Stahl gesammelt hat. Sein<br />
Werkstoff-Auswahlprogramm<br />
dient nur einem – dem Rat<br />
suchenden Kunden.<br />
ne mit Reinigern arbeitet, die nicht sauber weggespült werden – und<br />
dadurch aggressiv auf das Metall einwirken.<br />
Oder jemand fertigt einen Druckbehälter für Hausgasanschlüsse,<br />
indem er hierzu einen Rundstahl ausdreht. Da steigt die Stimmlage<br />
von Adams, weggeblasen ist seine Lockerheit, man hört nun Wörter<br />
wie „unglaubliche Fehler, eine ziemliche Katastrophe“. Weshalb? „Da<br />
wird ein Druckbehälter aus Rundstahl gebaut, indem dieser ausgedreht<br />
wird. Ich habe gleich gesagt, das geht nicht – weil Rundstähle<br />
dieser Dicke im Inneren nicht immer gasdicht sind und somit Gas ausströmen<br />
kann. Unglaublich!“ Wer aber gibt schon gern Fehler zu? Keiner,<br />
das hat Adams in vielen Jahren erfahren. Umso beharrlicher hat<br />
er die Grundlage geschaffen, Fehler dort zu orten, wo sie entstehen –<br />
wo auch immer dies ist. Selbst wenn es im eigenen Unternehmen<br />
wäre: Adams ist ein zu ehrlicher Vertreter seiner Zunft, als dass er mit<br />
der Wahrheit hinter dem Berg hielte. Besteht doch ein wesentlicher Teil<br />
seines beruflichen Erfolgs darin, ein System entwickelt und aufgebaut<br />
zu haben, das sowohl der Fehlerermittlung als auch der Fehlervermeidung<br />
dient.<br />
ERFAHRUNGEN MUSS JEDER MENSCH FÜR SICH SAMMELN<br />
Und wenn er einmal in den Ruhestand geht, wer übernimmt dieses Erbe<br />
eines intensiven Berufslebens? Adams setzt seine ganze Hoffnung auf<br />
drei Techniker, die mit ihm zusammenarbeiten und die in seine Fußstapfen<br />
treten sollen. Die Voraussetzungen stehen nicht schlecht, denn<br />
Adams wird alle seine erworbenen Kenntnisse weitergeben. Soviel, so<br />
gut. Doch eine Restunsicherheit bleibt: Erfahrungen muss jeder<br />
Mensch für sich selbst sammeln. Und Erfahrungen sind Bestandteil von<br />
Adams’ Werkstoffauswahlprogramm für unlegierte, legierte und hochlegierte<br />
Stähle. Kaum vorstellbar, dass einer (wie Adams) irgendwann<br />
nicht mehr wird sagen können: Lesen Sie nach bei der Literaturstelle<br />
hier, im Jahr 1968, oder jener aus dem Jahr 1978 oder studieren Sie<br />
dieses Werkstoffblatt von 1989. Keine Frage, dass Jochen Adams noch<br />
lange dringend gebraucht wird. 7<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
WERKSTOFFAUSWAHL 83<br />
DAS WERKSTOFF-AUSWAHLPROGRAMM AUF EINEN BLICK<br />
Das Programm empfiehlt – entsprechend den vom<br />
Nutzer ausgewählten Anforderungen – den geeigneten<br />
Werkstoff für die jeweilige Anwendung.<br />
In drei Schritten zum richtigen Werkstoff:<br />
1. Branche auswählen<br />
2. Eigenschaften bestimmen<br />
3. Merkmale festlegen<br />
Auf die Branchenauswahl folgt die Anzeige von bis zu drei<br />
vorausgewählten Eigenschaften, die für diese Branche<br />
besonders relevant sind. Der Nutzer kann diese Eigenschaften<br />
bestätigen oder selbst neue auswählen. Zu jeder Eigenschaft<br />
können dann die erforderlichen Merkmale exakt festgelegt<br />
werden. Bei der Auswahl überprüft das Programm auch die<br />
geforderte Verfügbarkeit des <strong>Werkstoffe</strong>s.<br />
Präzise Auswahlmöglichkeiten<br />
Bei den Eigenschaften werden 37 Gruppen wie zum Beispiel<br />
Schwingfestigkeit, Kaltumformbarkeit, Wärmeleitfähigkeit,<br />
Wetterbeständigkeit, Walzverfahren, Streckgrenze, Zugfestigkeit,<br />
Bruchdehnung, Schweißeignung, Abkantradius,<br />
Elastizitätsmodul, Oberflächenbehandlung etc. unterschieden.<br />
Jede der Eigenschaften lässt sich mit einem Wert präzisieren;<br />
dafür sind bis zu 50 Merkmale je Eigenschaft hinterlegt.<br />
Umfangreiche Inhalte<br />
Die Programmdatenbank enthält rund 500 Stähle inclusive<br />
der 32 gebräuchlichsten hochlegierten Stähle. Die Daten<br />
basieren auf gemessenen – und in Werkszeugnissen<br />
dokumentierten – Werkstoffanalysen aus der Stahlproduktion.<br />
Die Informationen werden laufend an den aktuellen Stand<br />
von Normung und Technik angepaßt.<br />
Für zahlreiche Stähle sind Werkstoffblätter abrufbar. Für<br />
wärmebehandlungsfähige Stähle stehen Zeit-Temperatur-<br />
Umwandlungs-Schaubilder zur Verfügung.<br />
Für Stahlsorten, die in Bauteilen mit schwingender<br />
Beanspruchung eingesetzt werden, sind Wöhlerkurven zur<br />
Beurteilung der Dauerfestigkeit hinterlegt.<br />
Alle Suchergebnisse sowie die hinterlegten ZTU-Schaubilder,<br />
Wöhlerkurven und Werkstoffblätter können ausgedruckt<br />
werden.
84 LASER
Für das Laserschweißen<br />
sind spezielle Stähle mit einer<br />
spezifischen Zusammensetzung<br />
notwendig. Bei diesen<br />
<strong>Werkstoffe</strong>n mit einer Blechdicke<br />
zwischen drei und<br />
zwölf Millimetern ist die<br />
Genaufertigung mit dem Laser<br />
unübertroffen.<br />
Von Benedikt Breith | Fotos Blohm + Voss<br />
Was, gesellschaftspolitisch gesehen, so wünschenswert<br />
ist, wird in diesem Fall so klein wie<br />
möglich gehalten: die Toleranz. Denn die „Genaufertigung“,<br />
wie der Fachmann sagt, ist das Ziel wie<br />
das Kennzeichen einer Technik, die sich des Lasers bedient,<br />
um die Toleranzbereiche ganz eng zu halten.<br />
Der Fachmann heißt Alfred Kahl, Leiter der Schiffbaufertigung<br />
in Hamburg bei Blohm + Voss, einem Unternehmen<br />
von <strong>ThyssenKrupp</strong> Technologies. Er ist ein nüchtern<br />
wirkender Ingenieur, der beim Thema Lasertechnik<br />
nicht in Überschwang gerät, wohl aber alle die Vorteile der<br />
Laserstrahltechnologie bis ins kleinste Detail zu benennen<br />
weiß. Dem Normalbürger kämen gleich mediale Assoziationen<br />
in den Sinn. Wie war das noch in einem James-<br />
Bond-Film? Hatte da nicht einer Laser benutzt, um Flugzeuge<br />
zerstören zu wollen, ja um die Herrschaft über die<br />
Welt zu erringen?<br />
Kahl bleibt, seinem Naturell entsprechend, lieber bei<br />
erdgebundenen Gedanken. Nun gut, nicht ganz, denn die<br />
Lasertechnologie – sie dient am Ende auch dazu, ein<br />
Schiff zu bauen, das sicher über die Meere der Welt<br />
schwimmt. Was wiederum zu dem zurückkehrt, worüber<br />
Kahl sehr gerne spricht: die Präzision beim Schiffbau.<br />
Allein die Halle mit der Lasertechnologie, durch die<br />
er den Gast führt, zeigt die riesigen Dimensionen, um die<br />
es hier geht. Was in gewisser Weise umgekehrt proportio-<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
Der Laser<br />
richtet es perfekt<br />
Die neue Schweißtechnik von Blohm + Voss<br />
in Hamburg ist von der Qualität her Weltspitze<br />
LASER 85<br />
nal zu der Millimeter-Arbeit steht, die der Laser leistet. „Für uns sind beim Einsatz von<br />
Lasern Blechdicken zwischen drei und zwölf Millimetern relevant“, stellt Kahl fest. „Bei<br />
größeren Dicken setzen wir den Laser nicht mehr ein.“<br />
Präzision und räumliche Größe gehen in der Schiffbauhalle 3 von Blohm + Voss<br />
eine bestaunenswerte Symbiose ein. Denn was sind 150 Meter Länge gegen einen<br />
Fügespalt von maximal 0,3 Millimetern? Nichts. Oder doch eben ungeheuer viel, und<br />
dies bei Deckelementen, die im Höchstfall 12 Meter lang und 4 Meter breit auf der Laseranlage<br />
zusammengeschweißt werden können. Der große Aufwand für diese Hightech-Anlage<br />
lohne sich für das Ergebnis, meint Kahl. „Allein der Aufwand für Richtstunden<br />
liegt im Schnitt bei dreißigtausend Stunden. Durch den Lasereinsatz sparen<br />
wir ungefähr die Hälfte und können gleich in die nächste Verarbeitungsstufe gehen,<br />
ohne langwierige Richtarbeiten.“<br />
KUNSTVOLLE LASERTECHNIK FÜR FILIGRANE NÄHTE<br />
Wer vor einem Schiff steht, ist beeindruckt von der Größe. Haus-, turmhoch mutet die<br />
Mega Yacht oder das schnelle Kreuzfahrtschiff an, beide prinzipiell mit demselben Ziel:<br />
leicht und deswegen schnell fahren und manövrieren zu können. Was wesentliche Einflüsse<br />
auf die <strong>Werkstoffe</strong> hat, die verwendet werden müssen: Leicht und dennoch<br />
hochfest müssen sie sein, die Materialien mit sehr geringen Blech- und Profildicken.<br />
Wer unter die Hülle eines solchermaßen schwimmenden Wunderwerks blickt,<br />
erkennt auf Anhieb das weit verzweigte Netz von Schotten und Querwänden, die in<br />
einem Tragwerk miteinander verbunden sind, in einem kompliziert hergestellten, aber<br />
einfach angeordneten Geflecht von Längs- und Querbauteilungen.<br />
Nicht gebaut nach dem Prinzip „Villa Kunterbunt“, im Gegenteil. Wenn die beiden<br />
CO2-Laser ihre Maßarbeit, hell wie die Sonne beginnen, herrscht eine solche Präzision<br />
vor, wie sie nur sensorgesteuerte Maschinen, nicht mehr aber menschliche
86 LASER
Lasereintrag ohne Toleranz<br />
Hände erzeugen können. Nicht, dass der Mensch überflüssig würde, aber seine Funktion<br />
reduziert sich auf die Überwachung des Vorgangs, der sich vor seinen Augen im<br />
Leitstand abspielt.<br />
Um es, mit Kahls Worten, technisch exakt zu definieren: „Wir verwenden spezielle<br />
Stähle mit spezifisch chemischer Zusammensetzung. Der Lasereintrag findet bei<br />
diesen Stählen hoch komprimiert auf engstem Raum statt.“ Will sagen: die Schrumpfungen<br />
sind kaum merkbar, die Abkühlgeschwindigkeiten extrem hoch, die Aufhärtungen<br />
verschwindend gering. Der hoch konzentrierte Laserstrahl führt zu einer minimalen<br />
thermischen Belastung, was gleichfalls den Verzug der Bleche minimiert.<br />
Kahl mangelt es nicht an eindrucksvollen Vergleichsstücken, die er dem Besucher<br />
vorführt. Herkömmlich geschweißte Profile und Nähte, gleich neben einer Lasernaht<br />
– da liegt dann doch der Vergleich nahe, dass im einen Fall mehr der Grobschlächter,<br />
im andern Fall der Feinchirurg am Werk war. So uneben und<br />
unausgeglichen die Schweißnaht nach alter Methode, so filigran wirkt die kunstvolle<br />
Naht nach neuer Laser-Art.<br />
DAS MODERNSTE FERTIGUNGSZENTRUM FÜR DIE VORMONT<strong>AG</strong>E<br />
Neu? Kahl räumt ein, dass der Schiffbau Jahre gebraucht habe, um die Lasertechnologie,<br />
in der Automobilherstellung längst eingesetzt, für seine Zwecke anzuwenden.<br />
Forschungsinstitute und Universitäten leisteten die Pionierarbeit der Entwicklung,<br />
Blohm + Voss machte sich die Ergebnisse zugute und baute, sagt Kahl, „das zurzeit<br />
im Schiffbau modernste Fertigungszentrum für die Vormontage“. Schnelligkeit geht<br />
dort einher mit Genauigkeit, unbeeindruckt von großen Lasten. „Die maximale Bauteilgröße<br />
von 4 x 12 Meter hat ein Gewicht von rund 9 Tonnen“, sagt Kahl. Man solle<br />
sich vorstellen: Die Werkstückträger wögen 16 Tonnen, die aufliegenden Bauteile<br />
nochmals 10 Tonnen. Zum Aufbau der Laseranlage gehöre eine fliegende Optik bei<br />
feststehendem Portal und drei bewegliche Werkstückträger sowie ein Spann- und Positionierportal.<br />
Die Laserstrahlquellen selbst seien dagegen fest montiert. Einen Effekt<br />
stellt Kahl besonders heraus: die Qualität des Schweißens von Profilen auf die be-<br />
Die I-Naht am T-Stoß, simultan<br />
lasergeschweißt – so kommt das<br />
Profil zur Stahlplatte. Der<br />
Tiefschweißeffekt erreicht einen<br />
Vollanschluss zwischen Platte<br />
und Stegelement. „Eine haltbarere<br />
Schweißnaht gibt es nicht“, sagt<br />
Alfred Kahl, der Leiter der<br />
Schiffbaufertigung bei Blohm + Voss<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
LASER 87<br />
schichteten Stahlplatten. Der Fachmann wüsste sofort: I-<br />
Naht am T-Stoß, simultan laserstrahlgeschweißt, darum<br />
geht es. Fotos und Grafiken, die Kahl zum Beweis in die<br />
Hand nimmt, zeigen überdeutlich den Unterschied zu konventionellen<br />
Kehlnähten. Während mit dieser Methode nur<br />
die Eckpunkte verbunden werden, wirken die Laser sehr<br />
viel intensiver auf die <strong>Werkstoffe</strong> ein. „Wir erreichen mit<br />
dem Tiefschweißeffekt einen Vollanschluss zwischen Platte<br />
und Stegelement. Eine haltbarere Schweißnaht gibt es<br />
nicht. Der Germanische Lloyd hat uns diese Technik zertifiziert.“<br />
Chirurgische Präzision bei Produkten, deren Fläche<br />
ein ganzes Feld bedecken kann – darin besteht der Reiz<br />
der Lasertechnologie im Schiffbau. Womit, Kahls Worten<br />
folgend, der Leichtbau endgültig Einzug gehalten hat in<br />
den Bau von „schnellen Schiffen“. Stellt man sich vor,<br />
dass pro Schiff potenziell Laserschweißnähte in einer<br />
Länge von zweihundert Kilometern und Flächen von sechzigtausend<br />
Quadratmetern entstehen, erkennt man die<br />
gewaltigen Dimensionen.<br />
„Der Laser wird es schon richten“, mag man ausrufen.<br />
Doch was heißt „richten“? Hier muss nichts mehr<br />
warm- oder flammgerichtet werden, denn Winkelschrumpfung,<br />
Beulung und Biegung gehören der Vergangenheit<br />
an. Wenn der Laser seine komprimierte, gleißend<br />
helle Arbeit auf den Paneelen erledigt hat, passt alles<br />
haargenau. Nur mit den Toleranzen – da versteht der<br />
Laser keinen Spaß. Denn große Toleranzen und Genaufertigung,<br />
das geht nicht zusammen. Partout nicht. 7
88 VIM-OFEN<br />
Höchstreine<br />
Superlegierungen<br />
sind das Ziel<br />
Der Vakuum-Induktions-Schmelzofen (VIM)<br />
von <strong>ThyssenKrupp</strong> VDM in Unna ist in<br />
Europa erste Adresse – für <strong>Werkstoffe</strong> mit<br />
extremen Eigenschaften<br />
Von Dieter Vogt | Illustrationen Tobias Wandres<br />
Es gibt Edleres als die Edelmetalle, die Hals und Handgelenk der<br />
Damen schmücken. Feiner und anspruchsvoller sind die sehr reinen<br />
metallischen Legierungen, die nicht zur Abendgarderobe getragen<br />
werden. Die meisten haben unbekannte Namen und werden nie<br />
so prominent wie Gold und Silber sein. Es sind Hochleistungswerkstoffe,<br />
die an kritischen Nahtstellen der Technik wichtige Aufgaben erfüllen.<br />
Und meistens im Verborgenen: in Autokatalysatoren, Flugtriebwerken,<br />
Fernsehapparaten, Rauchgasentschwefelungsanlagen.<br />
ZWEIHUNDERTSECHZIG KREATIONEN IM ANGEBOT<br />
Gießerstraße, Formerstraße: Adressen am Rande der Stadt Unna, geprägt<br />
von der Stahlindustrie. Den blauen Werkhallen sieht man nicht an,<br />
dass sie Europas erste Adresse für besondere Legierungen sind. Das<br />
Schmelzwerk Unna ist die Spezialitätenküche der <strong>ThyssenKrupp</strong> VDM<br />
GmbH. Legierungen entstehen durch Verschmelzung verschiedener<br />
Metalle; manchmal sind es nur zwei, manchmal ein Dutzend. Es geht<br />
darum, bestimmte Eigenschaften der Elemente zu optimieren oder ganz<br />
neue hervorzubringen. Die Hauptforderungen lauten immer wieder:<br />
mechanischen, thermischen oder chemischen Belastungen standzuhalten,<br />
mitunter allen dreien. Das Schmelzwerk Unna hat nicht weniger<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
Erst seit kurzem ist die<br />
Anlage in Unna in Betrieb.<br />
Gleichsam unter Weltraumbedingungen<br />
wird das<br />
Material im Ofen eingeschmolzen.<br />
Der Vakuumprozess im Ofen<br />
stellt sicher, dass die Legierungen<br />
frei von unerwünschten<br />
Verunreinigungen sind.<br />
VIM-OFEN 89
90 VIM-OFEN<br />
als 260 Legierungen anzubieten, und wenn Forschung und Entwicklung<br />
nicht zum Stillstand kommen, wird sich die Zahl noch vergrößern. Die<br />
Schwermetalle Nickel und Kobalt herrschen als Basiselemente vor.<br />
Der Standort Unna, 1972 von den Vereinigten Deutschen Metallwerken<br />
eröffnet, hat sich in drei Jahrzehnten nicht weniger gewandelt<br />
als die übrige Welt. Der jüngste Schritt in die Zukunft liegt gerade erst<br />
ein paar Wochen zurück. Unna erhielt für rund 15 Millionen Euro einen<br />
Vakuum-Induktions-Schmelzofen, unter Fachleuten „VIM-Ofen“ genannt,<br />
was für Vacuum Induction Melting steht. Das schlichte Wort Ofen<br />
taugt nicht recht zur Beschreibung dieser 30 Meter langen und 12 Meter<br />
hohen Anlage mit einer Anschlussleistung von 7000 kVA (Kilo Volt-Ampere).<br />
Die Metallkonstruktion ist über Treppen und Plattformen begehbar.<br />
Im hochgelegenen Steuerstand lässt sich der automatische<br />
Schmelz- und Abgussprozess auf Bildschirmen verfolgen und beeinflussen.<br />
Der eigentliche Ofen, Kern der Anlage, kann mit festem oder<br />
flüssigem Material beschickt werden. Er fasst maximal 30 Tonnen und<br />
ist damit größer als alle vergleichbaren Öfen in Europa. Bei Temperaturen<br />
bis zu 1750 Grad Celsius wird das Material gleichsam unter Weltraumbedingungen<br />
eingeschmolzen. Das Vakuum ermöglicht Legierungen,<br />
die frei von Sauerstoff, Stickstoff und anderen unerwünschten<br />
Verunreinigungen sind. Wie eine gute legierte Suppe muss das<br />
Schmelzbad gerührt werden, wofür ein elektromagnetisches Rührwerk<br />
sorgt. Nach dem Abguss landet die Schmelze in transportablen Kokillen<br />
und erkaltet. Aber die entstehenden Metallblöcke sind noch nicht<br />
der Feinheit letzter Schluss. Manche <strong>Werkstoffe</strong> müssen dreimal durchs<br />
Feuer: Das heißt, in Unna warten noch zwei Umschmelzanlagen darauf,<br />
den Werkstoff weiter zu säubern, zu homogenisieren, zu veredeln. Die<br />
Endprodukte sind höchstreine Superlegierungen. Sie werden zum Beispiel<br />
für Turbinenschaufeln in Strahltriebwerken gebraucht, wo sie bei<br />
hohen Temperaturen und extremen Fliehkräften eine lange Lebensdauer<br />
erreichen müssen.<br />
LEGIERUNGEN MIT EXOTISCH KLINGENDEN NAMEN<br />
Legierungen sind für Physiker das, was Rassepferde für Züchter sind.<br />
Liest man die lange Liste ihrer Schöpfungen, so stößt man auf exotisch<br />
klingende Namen: Nicorros, Nimofer, Pernifer, Conicro, Cunifer, Magnifer.<br />
Bei genauem Hinsehen sind es freilich nur schlichte Kunstworte, zusammengesetzt<br />
aus den chemischen Zeichen der beteiligten Metalle.<br />
Ni ist Nickel, Cro ist Chrom, Fer ist Eisen. Die Legierung Nicrofer 5219<br />
besteht aus nicht weniger als elf Elementen, darunter Eisen und Molybdän,<br />
doch sind Nickel mit 52 % und Chrom mit 19 % die wichtigsten.<br />
Was sich im Schmelzwerk Unna in all den Jahren nicht geändert hat, ist<br />
die sorgsame Kennzeichnung des Materials: vor und nach dem Feuer.<br />
Es darf keine Verwechslungen geben. Unter den Metallblöcken, die in<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
der Schmelzhalle und im Hof lagern, ist kein einziges Stück ohne Namensschild.<br />
Was aus der Gießrinne der Öfen fließt, wird zu Bändern,<br />
Stangen, Drähten, Blechen und Folien verarbeitet. Das geschieht nicht<br />
gleich in Unna. Einige <strong>Werkstoffe</strong> verlassen das Gelände in Spezialtransportern<br />
als glühende Blöcke – sie nehmen einen Teil der ungeheuren<br />
Wärmeenergie mit, der sie ihre Entstehung verdanken. Die Weiterverarbeitung<br />
ist ein Wettlauf gegen die Temperatur. Im Werk<br />
Duisburg werden die Chromstahl-Blöcke zu 8 bis 9 Meter langen Platten<br />
gewalzt. Auch das ist nur ein Übergang. Weiter geht es nach Ruhrort<br />
zum Schleifen und dann ins Werk Bochum, wo sie zu vier Millimeter<br />
dicken Bändern verarbeitet werden – bei einer Resttemperatur von<br />
immer noch 300 Grad.<br />
EIN WERKSTOFF, DER DIE AUTOWELT REVOLUTIONIERT<br />
Das Endprodukt Aluchrom 7AI YHF ist eine Neuentwicklung, hervorgegangen<br />
aus einem Forschungsprojekt des Bundes und ausgezeichnet<br />
mit dem Umweltschutzpreis des BDI. Aus dem Werkstoff, dem so<br />
fremdartige Elemente wie Yttrium und Hafnium zulegiert sind, werden<br />
30-40 Mikrometer dünne Folien hergestellt. Sie sind Schlüsselbausteine<br />
moderner Metall-Katalysatoren für Automotoren, die dem klassischen<br />
Trägerwerkstoff Keramik einiges voraushaben. Wegen ihrer<br />
schnellen Erwärmung sind sie schon in der Startphase voll wirksam.<br />
Die <strong>Werkstoffe</strong> mit den<br />
härtesten Anforderungen<br />
müssen dreimal durchs<br />
Feuer, erst dann erreichen<br />
sie die Höchstreinheit. Was<br />
am Ende die Gießrinne der<br />
Öfen freigibt, wird zu Folien,<br />
Blechen, Stangen, Bändern<br />
und Drähten verarbeitet.<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
Legierungen aus feinster Schmelze<br />
VIM-OFEN 91<br />
Was Unna zusammenbraut, ist vom Feinsten, und das in gar nicht geringen<br />
Mengen. Im Jahr 2002 wurden mehr als 32.000 Tonnen Nickelbasislegierungen<br />
geliefert, je ein Drittel nach Deutschland, nach Europa,<br />
nach Amerika. In der Nickelsparte, die Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
mit Münzprägungen ihren Aufschwung nahm, ist <strong>ThyssenKrupp</strong> VDM<br />
führend auf dem Weltmarkt. Hinzu kommen gut 5000 Tonnen Sonderedelstähle<br />
im Jahr. Auch beim Fernsehabend ist Unna dabei. Hochwertige<br />
Schattenmasken in Bildröhren sind aus der Speziallegierung<br />
Pernifer 36 gefertigt. Sie gleichen einem Sieb mit Löchern im Abstand<br />
von 20 Mikrometern, eine Größenordnung, die für das menschliche<br />
Auge praktisch nicht mehr wahrnehmbar ist. Das Material dehnt sich<br />
bei hohen Temperaturen kaum aus und ermöglicht so die Erzeugung<br />
scharfer Farbbildpunkte auf dem Schirm. Pernifer 42 dient als Trägermaterial<br />
für integrierte Schaltungen. Conicro 5010 W heißt ein hitzefester<br />
Werkstoff für die Schubdüsen der Ariane-Rakete.<br />
Werksleiter Dr.-Ing. Jürgen Loh, ein kompetenter Führer durch<br />
das staunenswerte Labyrinth der Hochleistungswerkstoffe, malt die<br />
Möglichkeiten der Zukunft aus. Crofer 22 APU ist eine ganz neue Eisen-<br />
Chrom-Legierung, die sich durch Hitzebeständigkeit, Leitfähigkeit und<br />
einen niedrigen Ausdehnungskoeffizienten auszeichnet. Ein idealer<br />
Werkstoff für die Serienfertigung von Brennstoffzellen. Das ist der revolutionäre<br />
Antrieb, der einmal die Autowelt auf den Kopf stellen soll. 7
92 STAINLESS<br />
Ein Werkstoff<br />
für die Zukunft<br />
Edelstahl hat eine lange Tradition,<br />
die ungebrochen ist. Anwendungen findet<br />
man überall im Leben<br />
Von Christa Klein<br />
Der Membran-<br />
Hohlspiegel aus Nirosta<br />
erreicht durch seine<br />
präzis gefertigte Oberflächenform<br />
einen sehr hohen<br />
Wirkungsgrad in der Nutzung<br />
der Sonnenenergie<br />
Für Operateure ist<br />
Edelstahl der ideale<br />
Werkstoff, dank der<br />
klinischen Reinheit<br />
und Sterilität der<br />
Operationsbestecke<br />
Der Architekt<br />
Frank O`Gehry hat<br />
dem Edelstahl ein<br />
bleibendes Denkmal<br />
gesetzt, am Neuen<br />
Zollhof in Düsseldorf<br />
Der praktische<br />
Nutzen von Edelstahl<br />
liegt auf dem Tisch,<br />
als glänzendes<br />
Besteck fürs Essen<br />
Aus einer wegweisenden Erfindung wurde eine weltberühmte<br />
Marke: NIROSTA ® hieß die Abkürzung für NIcht ROstender STAhl.<br />
Das Patent wurde schon im Jahr 1912 der damaligen Firma Fried.<br />
Krupp erteilt, zur Herstellung von rostbeständigem Stahl. Zehn Jahre<br />
später, 1922, begann der Vertrieb von Edelstahl Rostfrei unter der Marke<br />
NIROSTA ® . Aber auch das Haus Thyssen begann ungefähr zur selben<br />
Zeit mit der Herstellung nichtrostender Stähle. Unter Beteiligung von<br />
Thyssen wurde 1927 die „Deutsche Edelstahlwerke <strong>AG</strong>“ gegründet.<br />
Der eigentliche Siegeszug der nichtrostenden metallischen <strong>Werkstoffe</strong><br />
begann in der damaligen Zeit – und setzte sich bis heute ungebrochen<br />
fort. <strong>ThyssenKrupp</strong> Stainless zählt weltweit zu den wenigen Anbietern,<br />
die über ein komplettes Lieferprogramm verfügen aus Edelstahl<br />
Rostfrei, Nickelbasislegierungen und Titan. Vor allem der rostfreie Edelstahl<br />
ist zum Faszinosum geworden, das im Alltag in unterschiedlichster<br />
Weise anzutreffen ist. Gebrauchsgüter, Anwendungen in der Industrie<br />
oder auch in der Architektur nutzen die Möglichkeit, NIROSTA ® maßgeschneidert<br />
einsetzen zu können. Allein die Oberfläche des Edelstahls<br />
entfaltet eine eigene Ästhetik, die im Haushalt oft anzutreffen ist. Der Einsatz<br />
des Werkstoffs in der Medizin, in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie<br />
macht sich dagegen einen anderen Vorteil der nichtrostenden<br />
und hitzebeständigen Erzeugnisse zugute: die Korrosionsbeständigkeit,<br />
die mit einem Höchstmaß an Reinheit und Sauberkeit einhergeht.<br />
Für viele ist der Edelstahl längst zum Symbol geworden – als die<br />
Welt spiegelnder und reflektierender Werkstoff, der Eleganz und praktischen<br />
Nutzen perfekt miteinander verbindet. Wäre sonst schon im Jahr<br />
1929 das spektakuläre Dach des Chrysler-Buildings in Manhattan mit<br />
rostfreiem Stahl verkleidet und dadurch weltberühmt geworden?<br />
Der Edelstahl wird auch in Zukunft die Phantasie beflügeln, bei den<br />
Designern und den Architekten, genauso aber bei den Werkstoffspezialisten,<br />
welche die Anwendungsmöglichkeiten immer wieder erweitern.<br />
Denn wenn diesem Werkstoff etwas gehört, dann die Zukunft.<br />
„Form follows function“,<br />
auch beim Edelstahl-Stuhl,<br />
der die Sicherheit mit<br />
der Ästhetik verbindet<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
Selbst aggressiven<br />
Waschmitteln trotzt die<br />
Korrosionsbeständigkeit<br />
des Edelstahls, wenn<br />
er in Waschmaschinen<br />
zum Einsatz kommt<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
Die Herstellung<br />
komplizierter Formen<br />
von Edelstahl-<br />
Anwendungen im<br />
Haushalt ist selbst<br />
bei der automatischen<br />
Fertigung kein Problem<br />
Die chemische<br />
Verfahrenstechnik<br />
braucht Edelstahl,<br />
der durch Festigkeit<br />
und große<br />
Formbarkeit besticht<br />
Für die Lebensmittelhersteller<br />
ist Hygiene<br />
unabdingbar, die<br />
der Edelstahl besser<br />
als jeder andere<br />
Werkstoff bieten kann<br />
Wer Alessi-Gegenstände<br />
genießt, erinnert sich<br />
gern an Aldo Rossi, den<br />
Designer, der die<br />
angewandte Kunst in<br />
den Haushalt brachte<br />
Stabilität und Leichtigkeit<br />
von nichtrostendem<br />
Edelstahl nutzen die<br />
Automobilhersteller bei<br />
der Anwendung<br />
dieses Werkstoffs<br />
Für Köche<br />
sind Edelstahltöpfe<br />
besonders geeignet,<br />
durch die dauernde<br />
Hitzebeständigkeit<br />
STAINLESS 93<br />
Mit Edelstahl<br />
umzugehen, ist eine<br />
Kunst. Manche Designer<br />
formen mit dem Werkstoff<br />
regelrechte Kunstwerke
94 M<strong>AG</strong>NESIUM<br />
Magnesium ist ein<br />
anspruchsvoller Werkstoff,<br />
der der Hitze länger standhält.<br />
Magnesiumblech ist viel<br />
schwieriger entflammbar<br />
als andere Bauteile in einem<br />
Fahrzeug.
Das Leichtgewicht<br />
unter den <strong>Werkstoffe</strong>n<br />
Magnesium hat Zukunft – sofern die Magnesiumbleche<br />
im Preis konkurrenzfähig werden<br />
Von Sybille Wilhelm | Fotos Thomas Balzer<br />
M<strong>AG</strong>NESIUM 95
96 M<strong>AG</strong>NESIUM<br />
Ein nachhaltiger Werkstoff<br />
Magnesium in<br />
Karosserien einzusetzen,<br />
ist von Vorteil. Denn<br />
das Leichtmetall ist insofern<br />
nachhaltig, als das<br />
Gewicht eines Automobils<br />
geringer wird.
M<strong>AG</strong>NESIUM 97
98 M<strong>AG</strong>NESIUM<br />
Als Mineral ist der Werkstoff ein Geheimtipp gegen Kater: Wird Magnesium<br />
nach einer durchzechten Nacht rechtzeitig eingenommen,<br />
werden die Kopfschmerzen am folgenden Tag deutlich gemildert.<br />
Ohne Magnesium würde im menschlichen Organismus<br />
ohnehin nichts funktionieren. Die rund 25 Gramm im Körper eines erwachsenen<br />
Menschen sind für mehr als 300 biochemische Reaktionen<br />
verantwortlich. Der Mineralstoff unterstützt die Muskel- und Nervenfunktionen,<br />
hält den Herzrhythmus stabil und stärkt die Knochen.<br />
In der Medizin ist Magnesium seit Jahrhunderten bekannt; Verbindungen<br />
wie etwa das Bittersalz werden seit jeher als Heilmittel eingesetzt.<br />
Vor etwa 250 Jahren erkannte dann der englische Chemiker<br />
Joseph Black auch den Elementcharakter des Metalls. Magnesium<br />
bekam die Ordnungszahl 12 in der Periodentafel und kurz darauf die<br />
Abkürzung Mg.<br />
Dass Magnesium überdies ein Werkstoff mit einzigartigen Eigenschaften<br />
ist, wurde hingegen erst vor rund 80 Jahren entdeckt. Denn<br />
kein anderes bekanntes Metall ist so leicht wie Magnesium. Selbst ein<br />
vergleichbares Aluminiumblech wiegt ein Drittel mehr. Damit bietet der<br />
mit Abstand leichteste metallische Konstruktionswerkstoff die Möglichkeit<br />
der Diversifikation in technische Bereiche, die durch Stahl nicht abgedeckt<br />
werden.<br />
FERTIGUNG IN HÖCHSTER QUALITÄT<br />
Bei <strong>Werkstoffe</strong>n kommt es im Wesentlichen auf drei Dinge an: spezifische,<br />
das heißt auf die Dichte bezogene Steifigkeit und Festigkeit,<br />
außerdem noch gute Formbarkeit und Fügbarkeit, erläutert Bernhard<br />
Engl, Geschäftsführer der zu <strong>ThyssenKrupp</strong> Stahl gehörenden Magnesium<br />
Flachprodukte GmbH mit Sitz in der sächsischen Universitätsstadt<br />
Freiberg. Im Vergleich zu anderen <strong>Werkstoffe</strong>n schneidet Magnesium<br />
bei diesen Faktoren in vielen Anwendungen besonders gut ab:<br />
zum Beispiel bei großflächigen Bauteilen und dann vor allem, wenn<br />
das Leichtmetall als Blech zum Einsatz kommt. Es spricht also viel<br />
dafür, den Werkstoff Magnesium in Karosserien einzusetzen, sagt<br />
Bernhard Engl.<br />
Denn dort verbaut, würde der Werkstoff helfen, die Umwelt zu<br />
schonen. Einer amerikanischen Studie zufolge könnte der Einsatz von<br />
Magnesium hat<br />
besondere Eigenschaften.<br />
Kein anderes bekanntes<br />
Metall ist so leicht wie<br />
Magnesium. Schon dies<br />
spricht sehr für diesen<br />
Werkstoff und<br />
seine Erforschung.<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
Magnesiumblechen einen Personenkraftwagen rund 100 Kilogramm<br />
leichter machen. Das würde bedeuten, dass man die Autoabgase reduzieren<br />
und mit der gleichen Menge Benzin weiter als bisher fahren<br />
könnte.<br />
Doch Magnesium ist kein ganz einfacher Werkstoff. Es hat einen<br />
relativ niedrigen Schmelz- und Siedepunkt. Erhitzt man es an der Luft,<br />
verbrennt es von rund 500 Grad an mit der charakteristischen blendend<br />
weißen Flamme zu Magnesiumoxid. Gefährlich aber erscheint Magnesium<br />
nur für diejenigen, die zu wenig darüber wissen – davon ist Bernhard<br />
Engl, promovierter Werkstoff- und Umformingenieur, überzeugt.<br />
Der Schmelz- und Verarbeitungsvertrieb in Freiberg weiß selbstredend<br />
um die heftige Reaktion von Magnesium und Hitze, das Team hat deshalb<br />
umfangreiche Vorkehrungen getroffen. Flüssiges Magnesium wird<br />
nur in einer Atmosphäre aus Schutzgas verarbeitet, und die ist gleich<br />
mit einem dreifachen Sicherungssystem ausgerüstet.<br />
Magnesium ist nämlich nur flüssig ein problematischer Werkstoff;<br />
ein Magnesiumblech hingegen ist schwerer entflammbar als andere<br />
Bauteile im Fahrzeug. Auch wenn einzelne Komponenten in einem Auto<br />
aus Magnesium sind, stellt das Material keine Gefahr dar, sagt Bernhard<br />
Engl. Die Feuerwehr kämpft im Falle eines Brandes zunächst mit<br />
den wesentlich schneller entflammbaren Stoffen.<br />
Dass es bis heute so wenige Teile aus Magnesium im Auto gibt,<br />
hat denn auch einen anderen Grund als die Sensibilität, die man bei<br />
dessen Verarbeitung an den Tag legen muss. Magnesiumbleche sind<br />
noch zu teuer. Nur etwa ein Prozent des weltweit produzierten Magnesiums<br />
wird für Bleche eingesetzt. Und das, obwohl es mehr als genug<br />
Magnesium auf der Welt gibt. Zwar kommt „Mg“ nicht einfach irgendwo<br />
in elementarer Form vor, sondern nur in Verbindungen. Aber dafür<br />
findet man es überall, etwa in der Erdrinde oder in dem Mineral Dolomit,<br />
aus dem die Dolomiten gebildet sind.<br />
Und auch im Meer: Wird das Meerwasser entsalzt, um daraus<br />
Trinkwasser zu gewinnen, fällt Magnesiumchlorid in großen Mengen an.<br />
Würde man aus diesen Abfällen Magnesium gewinnen, hätte man<br />
sogar zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Zum einen könnten die<br />
anfallenden Lagerkosten für den „Müll“ gespart werden. Zum anderen<br />
gibt es keine Entsorgungsprobleme mit den Blechen: Das verarbeitete<br />
Ein Rohstoff<br />
ohne Mengenproblem<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
M<strong>AG</strong>NESIUM 99<br />
Magnesium ist ein wahres Recyclingwunder und kann wieder eingeschmolzen<br />
werden.<br />
Ein Mengenproblem für den Rohstoff Magnesium gibt es nicht,<br />
bestätigt Bernhard Engl. Aber die Preisgestaltung macht Schätzungen<br />
über den Einsatz von Magnesiumblechen in Automobilen so unsicher.<br />
Gleichwohl ist dies eine der wichtigsten Aufgaben der Freiberger Forschungsgruppe:<br />
Bernhard Engl und sein Team müssen herausbekommen,<br />
wie günstig <strong>ThyssenKrupp</strong> Magnesiumbleche anbieten könnte.<br />
Und da sein Unternehmen die Weltmarktpreise für den Werkstoff nicht<br />
beeinflussen kann, muss es in der Fabrikhalle Ideen entwickeln und die<br />
Abläufe intelligent optimieren. So hat <strong>ThyssenKrupp</strong> zusammen mit der<br />
Technischen Universität Freiberg eine Gießwalztechnik entwickelt und<br />
zum Patent angemeldet, mit der die Magnesiumbleche in höchster<br />
Qualität industriell gefertigt werden können und gleichzeitig der bisherige<br />
Preis von Magnesiumblechen unterboten werden kann.<br />
ANWENDUNG MIT VIELEN MÖGLICHKEITEN<br />
„Dass das geht, wissen wir schon. Und auch, dass die Bleche in ihren<br />
Maßen und ihrer Beschaffenheit sofort einsatzfähig wären. Denn die<br />
Bleche sind mit zu erreichenden 1,3 mm ziemlich dünn, aber trotzdem<br />
stabil.“ Die ersten tiefgezogenen Versuchsbauteile, die Bernhard Engl<br />
vorweisen kann, beweisen, dass Magnesiumbauteile nicht unbedingt<br />
gegossen werden müssen: Von der technischen Seite steht der Verwendung<br />
von Magnesiumblechen also nichts mehr im Weg.<br />
Das Problem ist jetzt noch der Absatz, denn die Kunden entscheiden<br />
schließlich, ob die Magnesiumbleche im stofflichen Leichtbau akzeptiert<br />
und im Preis gegenüber den anderen <strong>Werkstoffe</strong>n konkurrenzfähig<br />
werden können. Doch genau diese Frage gestaltet sich bislang<br />
schwierig: Man müsste wissen, wie viele Bleche beispielsweise ein Autohersteller<br />
bereit wäre abzunehmen und wie viel er dafür zahlen würde.<br />
Sobald allerdings die Automobilbranche die Vorteile realisieren<br />
kann, könnten die ersten Hersteller Magnesiumbleche aus dem Hause<br />
<strong>ThyssenKrupp</strong> in die Serienproduktion übernehmen. Und der Einsatz<br />
der neuen Blechkonkurrenz in Auto und Luftfahrtindustrie zeichnet sich<br />
durch Vielfalt aus: Ob Haube, Dach, Instrumententräger oder Sitzschale<br />
– das Leichtgewicht hat noch eine große Zukunft vor sich. 7
100 OBERRIED<br />
In Oberried, südlich<br />
von Freiburg im Breisgau,<br />
liegt der Barbarastollen.<br />
Hier wird das Kulturschutzgut<br />
Deutschlands<br />
in Edelstahlbehältern<br />
verwahrt. Das weißblaue<br />
Zeichen in<br />
dreifacher Wiederholung<br />
gibt es fünf Mal in der<br />
Welt und nur ein Mal<br />
in Deutschland. Es<br />
weist darauf hin, dass<br />
das Kulturgut in<br />
Oberried unter Sonderschutz<br />
steht.<br />
Lagerstollen<br />
mit dem Segen<br />
der Barbara<br />
Von Heribert Klein | Fotos Walter Schmitz<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
OBERRIED 101
102 OBERRIED<br />
Archiviert für immer und ewig<br />
Der Werkstoff der Container<br />
stammt von <strong>ThyssenKrupp</strong> Nirosta<br />
in Dillenburg. Die Spezialbehälter<br />
müssen im Stollen hohen<br />
Anforderungen gerecht werden.<br />
Denn von äußeren Einflüssen<br />
sollen die eingelagerten Mikrofilme<br />
unbehelligt bleiben.
OBERRIED 103
104 OBERRIED
OBERRIED 105<br />
Sicher vor Wind und Wetter<br />
Wenn die Container am Stolleneingang<br />
angekommen sind,<br />
stehen sie zum letzten Mal im<br />
Tageslicht. Die aufwändige<br />
Schweiß- und Verschlusstechnik<br />
garantiert die totale Abdichtung<br />
tief drinnen im Stollen, bei einer<br />
Temperatur von zehn Grad Celsius<br />
über Null.
106 OBERRIED<br />
Umgeben von Gneis und Granit<br />
Die Edelstahlcontainer sind<br />
ein Schatzhaus für die Kultur des<br />
gesamten Landes. Mehr als<br />
siebenhundert Millionen Dokumente<br />
lagern verfilmt in den blitzenden<br />
Hüllen, die luftdicht klimatisiert,<br />
von keinem Laut gestört, die<br />
Gegenwart überleben.
OBERRIED 107
108 OBERRIED<br />
Nichts, aber auch gar nichts weist darauf hin, dass sich mitten im Wald, tief in<br />
der Erde, ein einzigartiges Schatzhaus des deutschen Geistes verbirgt. Der<br />
Eingang liegt irgendwo im Forst. Das dreifach angebrachte weiß-blaue Zeichen<br />
hinter der Gittertür ist unscheinbar, nichts weist darauf hin, dass hier Kulturgut<br />
unter Sonderschutz steht. Der Besucher wähnt sich im Kyffhäuser, jenem Höhlenlabyrinth,<br />
in dem Rotbart Kaiser Barbarossa haust und seiner Wiederkehr harrt. In<br />
Wirklichkeit aber stapft der Besucher hinein in den Barbarastollen in Oberried bei<br />
Freiburg im Breisgau, den, wie es genau heißt, „Zentralen Bergungsort der Bundesrepublik<br />
Deutschland“. Roland Stachowiak von der Zentralstelle für Zivilschutz hat<br />
vielleicht wegen der schulterlangen Haare Ähnlichkeit mit dem mittelalterlichen Rotbart,<br />
doch im Barbarastollen wird der Verwaltungsbeamte, zuständig für den „Schutz<br />
von Kulturgut“, zum Fremdenführer, der mit Helm und gelber Jacke vorangeht, fünfhundert<br />
Meter weit, bei einer Temperatur von 10 Grad Celsius und einer relativen<br />
Luftfeuchtigkeit von fünfundsiebzig Prozent.<br />
„Hinter dieser Stahltür beginnt der eigentliche Lagerstollen“, stellt Stachowiak<br />
fest. Kaum hat er das Zahlenschloss eingestellt, braucht er zwei kräftige Arme, um die<br />
Stahltür (vor drei Jahrzehnten von Thyssen Industrie gebaut), gut und gern einen halben<br />
Meter dick, zu öffnen. Ein paar Schritte genügen – schon gibt die Schatzkammer,<br />
insgesamt hundert Meter lang, ihre Schätze preis.<br />
KULTUR IM SCHALBETON HINTER STAHLTÜREN<br />
Sie ist freilich von ganz eigenwilliger Art. Wer hier unschätzbare Relikte längst vergangener<br />
Zeiten zu sehen hofft, sieht sich enttäuscht. Rund dreizehnhundert Edelstahlbehälter<br />
sind doppelstöckig aufgereiht, fest verschlossen, unterschieden nur<br />
durch eine Kennnummer. Filme sind in den Containern enthalten, mikroverfilmte Archivalien<br />
mit Unikatswert und, wie es die Vorschrift sagt, „mit besonderer Aussagekraft<br />
zur deutschen Geschichte und Kultur“. 24.320 Meter Film fasst der Großbehälter<br />
aus V-2-A-Edelstahl, insgesamt sind es also knapp 32 Millionen Filmmeter, die<br />
dort unten im Schauinsland-Gebirge lagern, mit mehr als siebenhundert Millionen<br />
Dokumenten.<br />
Das Projekt wirkt skurril oder doch gespenstisch? Stachowiak ist vom Ernst der<br />
Angelegenheit überzeugt, restlos. „Die Haager Konvention von 1954 ist ein völkerrechtliches<br />
Kulturschutzabkommen. 1967 ist die Bundesrepublik Deutschland der<br />
Konvention beigetreten. 1975 fand hier im Barbarastollen die erste Einlagerung statt.<br />
Der Stollen selbst wurde mit Schalbeton ausgekleidet und mit Drucktüren abgesichert.<br />
An die Stahlbehälter wurden von Beginn an sehr hohe Anforderungen gestellt,<br />
schließlich sollen die Mikrofilme ja von äußeren Einflüssen in den Containern unbe-<br />
Was im Barbarastollen<br />
untergebracht wird, soll nach<br />
der Haager Konvention von<br />
1954 kulturell aussagekräftig<br />
sein. Roland Stachowiak<br />
von der Zentralstelle für den<br />
Zivilschutz wacht darüber, dass<br />
die Kulturdokumente ordnungsgemäß<br />
die letzte Ruhe finden.<br />
Das Endlager<br />
für die Geschichte<br />
helligt bleiben.“ Wer nun genau wissen will, was es mit<br />
diesen Containern auf sich hat, muss weit reisen. In Haiger<br />
bei Dillenburg findet er die Firma Ucon, den Lieferanten<br />
der Behälter. Klaus Kettner, dort für den Verkauf der<br />
Umformtechnik zuständig, kennt offenbar auch das letzte<br />
Detail dieses, wie er sagt, höchst anspruchsvollen zylindrischen<br />
Behälters. „Von <strong>ThyssenKrupp</strong> Nirosta in Dillenburg<br />
beziehen wir den fertigen Zuschnitt. Das Material<br />
muss tiefziehfähig sein, mit einer hohen Vergütung. Wir<br />
müssen, bei einer Tiefe von 350 Millimeter für jede Seite,<br />
einen relativ tiefen Corpus beim Ober- und Unterteil ziehen.<br />
Wichtig ist, dass beim Ziehvorgang ohne Glühen das<br />
Material nicht bricht. Hierfür haben wir spezielle Werkzeuge<br />
gebaut, über die nur wir verfügen. Nicht zuletzt wegen<br />
dieser Exklusivität sind wir seit vielen Jahren die Lieferanten<br />
der Container für den Barbarastollen in Oberried.“<br />
Dass sie luftdicht und entsprechend klimatisiert im<br />
Stollen gelagert werden, versteht sich von selbst. Kein<br />
Laut dringt hierher, nichts von der draußen lärmenden<br />
Welt. Früher wusste, von Eingeweihten abgesehen, kaum<br />
einer etwas von dem verborgenen kulturellen Schatz.<br />
„Schöpferische Landschaft“ hat die Gegend um Todtnau<br />
der Philosoph Martin Heidegger (1889 – 1976) genannt,<br />
beeindruckt von der strengen Einfachheit der tief verschneiten<br />
Flächen, „all das schiebt sich und drängt sich<br />
und schwingt durch das tägliche Dasein dort oben“. Wo<br />
besser kann sich die Kultur ausruhen, der DIN-Norm entsprechend,<br />
wie Stachowiak erklärt, mindestens für fünfhundert<br />
Jahre? Es könnten aber auch fünfzehnhundert<br />
Jahre sein, welche die Mikrofilme überdauern. „Wir jedenfalls<br />
werden es nicht mehr überprüfen können“, stellt<br />
er lakonisch fest.<br />
Für die Ungestörtheit wurden von Beginn an Vorkehrungen<br />
getroffen. Auch wenn nach Stachowiaks Worten<br />
von „Atombombensicherheit“ hier keine Rede sein<br />
kann: der aus Granit und Gneis bestehende Fels ist schon<br />
resistent. Obendrein gilt noch immer ein Überflugverbot<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
für Militärmaschinen, und auch Panzer dürfen sich dem Stollen nicht näher als fünf Kilometer<br />
nähern. Von all dem abgesehen: „Wir legen Wert auf größtmögliche Qualität<br />
bei den Behältern“, lautet die Maxime des Bergungsort-Beauftragten.<br />
Fürwahr, allein die Darstellung der Verschlusstechnik, wie sie Klaus Kettner erklärt,<br />
lässt die Qualität ahnen. Die Container müssen hochdruckbelastbar sein, die<br />
Edelstahlflansche werden innen und außen verschweißt, in sie ist jeweils eine Nut eingearbeitet,<br />
in diese hinein wird ein Kupferring gelegt. „Früher war dies ein Gummiring,<br />
doch der war zu weich und wurde porös“, erinnert sich Kettner. Also probierte man es<br />
mit Ringen aus Kautschuk, die aber rissen durch das Quetschen und lösten sich auf.<br />
„Heute verwenden wir reine Kupferdichtungen. Diese werden gerundet, an beiden<br />
Endstellen geschweißt, es entsteht ein leichter Wulst, der wird kalibriert. Die Schweißnaht<br />
muss absolut präzis auf den Durchmesser passen, der im Ursprungsmaterial ist.<br />
Nur so ist die totale Abdichtung gewährleistet.“ Am Ende werde alles verschraubt, in<br />
der Regel für Jahrhunderte. Sollte allerdings mal ein Container geöffnet werden,<br />
müsse der Ring erneuert werden, denn dieser werde durch das Öffnen zerstört. „Das<br />
alles ist ein relativ komplizierter Produktionsvorgang, der viel handwerkliches Geschick<br />
erfordert.“<br />
Zu sehen ist davon nichts tief im Berginnern. Nur, dass die heute eingelagerten<br />
Container sich von den Vorgängern insofern unterscheiden, als diese sehr viele<br />
Schweißnähte aufwiesen. Die Nachfolger lassen nichts davon erkennen. Die Unversehrtheit<br />
des Äußeren lässt sich auf das Innere übertragen. Sechzehn Filmrollen à<br />
1520 Meter können auf den „Tortenböden“ in einem Edelstahlbehälter gelagert werden,<br />
für immer und ewig. Nur zur Ansicht liegen auf einigen wenigen Containern Farbkopien<br />
von den Dokumenten, die archiviert sind. Wenn in fernen Zeiten ein Zeitgenosse<br />
Genaueres über den Frieden von Venedig 1174, das Titelblatt zur Goldenen<br />
Bulle König Wenzels um 1400, die Grundrechte des Deutschen Volkes vom Reichsverweser<br />
Johann oder ein „Ausschreiben“ von Friedrich August I. vom 27. Juni 1694<br />
wissen will: im Barbarastollen wird er fündig werden.<br />
CONTAINER FÜR DAS VOLK DER DICHTER UND DENKER<br />
Stellt sich die Sinnfrage. Gerade einmal drei Millionen Euro stellt das Bundesinnenministerium<br />
pro Jahr für diese Art von Archivierung bereit. Verschwindend wenig „für<br />
das Volk der Dichter und Denker“, wie Stachowiak gar nicht süffisant feststellt. Es bestehe<br />
doch geradezu eine Verpflichtung, Kulturgüter für zukünftige Generationen mit<br />
aller Sorgfalt zu verwahren. Solches müsse langfristig durchdacht werden und dürfe<br />
keinesfalls kurzfristigen monetären Überlegungen (wenn Geld fehlt) zum Opfer fallen.<br />
„Ich versuche seit Jahren klar zu machen, was hier auf dem Spiel steht, aber die Re-<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
OBERRIED 109<br />
sonanz lässt sehr zu wünschen übrig, bei den mit Kulturgutschutz<br />
beauftragten Ministerien in Bund und Ländern“,<br />
sagt Stachowiak mit leicht resignierendem Ton. Wo<br />
doch dieser Stollen ein in Deutschland einzigartiges Projekt<br />
ist. Das weiß-blaue Zeichen in dreifacher Wiederholung<br />
ist weltweit nur fünf Mal vergeben worden – ein einziges<br />
Mal in Deutschland, allein dies erklärt den Stollen<br />
unter dem Schauinsland-Gebirge zum Unikat.<br />
SCHUTZGUT FÜR TAUSEND JAHRE<br />
Ob digitale Archivierung dies alles einmal überflüssig machen<br />
wird? Stachowiak widerspricht nachdrücklich. Zusammen<br />
mit dem Fraunhofer-Institut für physikalische<br />
Messtechnik werde daran gearbeitet, digitale Daten auf<br />
analogen Farbfilm zu bringen. Denn die digitalen Datenträger<br />
hielten sich nicht lange, Filme dagegen sehr wohl.<br />
Das Internet biete davon abgesehen die aktuelle Nutzung<br />
von verfilmten Archivalien an, wenn man die Idee in die<br />
Tat umsetze. Durch die Entgelte für die elektronische Webdarstellung<br />
ließe sich ein ziemlicher Teil der Kosten der Archivierung<br />
in Oberried amortisieren.<br />
So wird denn der Barbarastollen auf ferne Zeiten<br />
gebraucht werden. Mehr und mehr, glaubt man Roland<br />
Stachowiak. Die Firma Ucon mag sich darüber freuen,<br />
dass vom Jahr 2004 an noch mehr Container gebraucht<br />
werden, denn mit der Verfilmung auch von wichtigen Bibliotheksbeständen<br />
steigt die Zahl einzulagernder Behälter.<br />
Schon weist der Fachmann für den Schutz von Kulturgut<br />
darauf hin, dass ein zweiter Lagerstollen in<br />
absehbarer Zeit erschlossen und ausgebaut werden<br />
müsse. Um der Zukunft willen, welche die Vergangenheit<br />
bewahrt: im Dunkeln, vorbildlich klimatisiert, erdbebensicher,<br />
von Edelstahl rundherum umgeben. Fünfhundert,<br />
tausend, zweitausend und mehr Jahre lang. Beruhigend<br />
zu wissen, dass hier kein Barbarossa herumirrt, der am<br />
Ende den Stollen verlässt und sein Unwesen unter der<br />
Menschheit treibt. 7
110 GLOSSAR<br />
<strong>Werkstoffe</strong> mit einem Blick gesehen<br />
Was sie voneinander unterscheidet und wie viele dennoch zusammenhängen<br />
Erz. Erze sind Mineralien, in denen nutzbares<br />
Metall so stark angereichert vorkommt,<br />
dass sie sich zur Metallgewinnung eignen.<br />
Bestandteile der Erze sind aber nicht nur die<br />
nutzbaren Metalle oder ihre chemischen<br />
Verbindungen, sondern auch andere Minerale<br />
(z.B. Kalk oder Quarz). Sie werden als<br />
„taubes Gestein“ oder als „Gangart“ bezeichnet.<br />
Eisenerze. Die wichtigsten Eisenerze sind<br />
Eisen-Sauerstoff-Verbindungen wie Magneteisenstein,<br />
Rot-und Brauneisenstein (Pyrit und<br />
Eisenkies zählen zu den Eisen-Schwefel-Verbindungen).<br />
Aus ihnen wird im Hochofen<br />
durch Reduktion mit Kohlenstoff Eisen gewonnen.<br />
Dazu setzt man in der Regel Koks ein.<br />
Die Eisenoxide werden ferner mit Zuschlägen<br />
wie Sand oder Kalkstein versetzt, damit diese<br />
mit dem restlichen „tauben Gestein“ eine<br />
Schlacke bilden, die sich gut vom Roheisen<br />
trennen lässt.<br />
Roheisen. Das Roheisen, das den Hochofen<br />
verlässt, ist sehr hart und spröde. Es lässt<br />
sich mechanisch nicht verformen. Der Grund<br />
liegt darin, dass im Roheisen, welches zu 90<br />
% aus Eisen besteht, auch noch bis zu 5 %<br />
Kohlenstoff sowie andere Elemente wie beispielsweise<br />
Mangan (2 %), Silicium (1 %),<br />
Phosphor (0.3 %) und Schwefel (0.4 %) enthalten<br />
sind.<br />
Schlacke. Als Schlacke bezeichnet man das<br />
Gemisch, das sich beim Hochofenprozess aus<br />
dem „tauben Gestein“ und den Zuschlägen<br />
bildet. Es besteht unter anderem aus Kieselsäure,<br />
Metalloxiden und Kalk. Die Schlacke<br />
schwimmt auf Grund ihrer geringeren Dichte<br />
auf dem flüssigen Roheisen und erstarrt nach<br />
dem Abkühlen zu einer glasigen Masse.<br />
Schlacke wird zu Hochofenzement oder Düngemittel<br />
verarbeitet. Als so genannte stabilisierte<br />
Schlacke (die durch die Mischung zwischen<br />
Sauerstoff und Quarzsand zu LiDonit verarbeitet<br />
wird) kommt sie im Straßenbau als<br />
Deckschichtbelag mit hoher Griffigkeit und<br />
Belastungsfähigkeit zum Einsatz.<br />
Stahl. Stahl ist ein Sammelbegriff für eine<br />
sehr große Gruppe von Eisenwerkstoffen,<br />
die durch ihre Festigkeit, ihre gute Verarbeitbarkeit<br />
und Zähigkeit zu den wertvollen<br />
<strong>Werkstoffe</strong>n zählen. Entfernt man weitestgehend<br />
die Verunreinigungen aus dem Roheisen<br />
und senkt den Kohlenstoffgehalt auf<br />
höchstens 2 %, erhält man ein schmiedbares<br />
Eisen – eben den Stahl. Der Kohlenstoff ist<br />
wichtigstes Legierungselement des Stahls.<br />
Er beeinflusst schon in geringen Mengen die<br />
Verformbarkeit und Härtbarkeit des Stahls.<br />
Man unterscheidet heute zwischen rund 2000<br />
Sorten Stahl. Die Einteilung der Stahlsorten<br />
richtet sich nach ihrer chemischen Zusammensetzung<br />
und nach ihren Gebrauchseigenschaften:<br />
Es gibt entsprechend der<br />
chemischen Zusammensetzung unlegierte<br />
und legierte Stähle sowie im Hinblick auf<br />
die Gebrauchseigenschaften Grundstähle,<br />
Qualitätsstähle und Edelstähle.<br />
Edelstahl. 1912 wurde der Firma Fried. Krupp<br />
erstmals in der Welt ein Patent zur Herstellung<br />
von rostbeständigem Stahl erteilt. Von diesem<br />
Zeitpunkt an wurde Edelstahl Rostfrei in die<br />
gesamte Welt geliefert. Seit 1922 wird Edelstahl<br />
Rostfrei unter der Marke NIROSTA ® vertrieben<br />
– eine Abkürzung für Nicht Rostender<br />
Stahl. Beim Edelstahl werden die physikalischen<br />
und chemischen Eigenschaften durch<br />
andere Legierungsmetalle, die Stahlveredler,<br />
verbessert. Chrom trägt zur Korrosionsbeständigkeit<br />
bei und steigert die Härte. Zusammen<br />
mit Nickel verbessert es die Korrosionsbeständigkeit<br />
(Nirosta-Stahl). Molybdän und Wolfram<br />
vergrößern die Hitzebeständigkeit, so dass der<br />
Stahl auch bei Rotglut noch fest bleibt. Vanadium<br />
erhöht zum Beispiel die Festigkeit, Mangan<br />
vermindert die Abnutzung von Stahlwerkzeugen.<br />
Je nach Kohlenstoffgehalt und<br />
zulegierten Metallen weisen die verschiedenen<br />
Edelstähle je unterschiedliche Eigenschaften<br />
auf. <strong>ThyssenKrupp</strong> Stainless bietet sämtliche<br />
nichtrostende metallische <strong>Werkstoffe</strong> an: Edelstahl<br />
Rostfrei, Nickelbasislegierungen und<br />
Titan.<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
Titan. Als 22. Element im Periodensystem<br />
der chemischen Elemente kommt Titan<br />
häufig in der Erdkruste vor (mit einem<br />
Prozentanteil von 0,6 Prozent liegt es insgesamt<br />
an 9. Stelle). Es ist in der Natur sehr<br />
verteilt und jeweils nur in kleinen Konzentrationen<br />
anzutreffen.<br />
Besonders findet man Titan in eisenhaltigen<br />
Erzen. In den frühen fünfziger Jahren wurde<br />
eine Technik entwickelt, um Titan aus Erz als<br />
Basiswerkstoff zu gewinnen. Heute unterscheidet<br />
man zwei Kategorien: Reintitan (zu<br />
mehr als 99 Prozent bestehend aus Titan,<br />
ergänzt um die Begleitelemente wie etwa<br />
Sauerstoff, Kohlenstoff und Eisen. Die andere<br />
Kategorie bilden Titanlegierungen mit<br />
Anteilen dieses Werkstoffs zwischen 2 und<br />
20 Prozent. Die Anwendungsmöglichkeiten<br />
von Titan sind sehr vielfältig. Man findet<br />
Titan in der Medizintechnik, im Automobilbau,<br />
in der Schmuckherstellung. Die entscheidenden<br />
Gründe für die vielfältige Anwendung<br />
von Titan sind leicht zu benennen:<br />
hervorragende Korrosionsbeständigkeit,<br />
hohe Festigkeit bei niedriger Dichte, optimale<br />
mechanische und thermische Belastbarkeit<br />
und Körperverträglichkeit. Somit<br />
ist Titan alles andere als ein exotischer<br />
Werkstoff.<br />
Aluminium. Aluminium ist ein silberweißes<br />
Leichtmetall, das durch eine sich an Luft<br />
bildende Oxidschicht an der Oberfläche besonders<br />
korrosionsbeständig ist. In reiner<br />
Form als Metall kommt es wegen seiner<br />
großen Sauerstoffaffinität nicht vor.<br />
In Verbindungen ist es das am meisten auftretende<br />
Metall der Erde, circa 8 % der<br />
Erdrinde bestehen daraus. Trotz der Häufigkeit<br />
wurde es als Metall erst 1827 entdeckt,<br />
da seine Darstellung technisch sehr<br />
aufwändig ist. Drei Eigenschaften machen<br />
es zu einem wichtigen technischen Werkstoff:<br />
Einmal wird sein günstiges Verhältnis<br />
von Festigkeit zur Dichte (geringes Gewicht<br />
bei starker Festigkeit) in der Luftfahrt und in<br />
der Fahrzeugtechnik genutzt.<br />
GLOSSAR 111<br />
Magnesium. Magnesium ist ein silberglänzendes<br />
(unedles) Leichtmetall. In grellweißem<br />
Licht verbrennt es zu Magnesiumoxid.<br />
An der Luft bildet es eine undurchlässige<br />
Schicht von Magnesiumoxid und schützt so<br />
das Magnesium vor weiterer Oxidation. In<br />
der Natur existiert es in mineralischen Magnesiumverbindungen,<br />
zum Beispiel im Magnesit<br />
und Dolomit oder in gelöster Form im<br />
Meerwasser. Magnesium und Magnesium-<br />
Legierungen werden mittlerweile vielseitig als<br />
<strong>Werkstoffe</strong> genutzt.<br />
Polycarbonat. Polycarbonat ist ein so genannter<br />
Thermoplast und zählt zu der Gruppe<br />
der technischen Kunststoffe. 1953 wurde es<br />
erstmals von H. Schell bei Bayer hergestellt,<br />
1958 ging es in die industrielle Fertigung.<br />
Ähnlich entdeckte D.W. Fox, ein Mitarbeiter<br />
von General Electric, das Polycarbonat. General<br />
Electric stellte es ebenfalls industriell<br />
danach her. Konkret gehört das Polycarbonat<br />
zur Gruppe der Polyester. Zu seinen besonderen<br />
Eigenschaften zählen die glasklare<br />
Transparenz und die außerordentlich hohe<br />
Schlagzähigkeit. Es lässt sich nageln und<br />
schrauben ohne die Gefahr des Zersplitterns<br />
– dies bei Temperaturen von -40 Grad bis<br />
+115 Grad. Es eignet sich gut für Sichtschutzverkleidungen<br />
im industriellen Einsatzbereich,<br />
zum Beispiel in Kraftfahrzeugen als<br />
Seiten- und Heckscheiben. Das Polycarbonat<br />
hat eine lange Lebensdauer bei hoher und<br />
dauerhafter Farbechtheit. Es ist beständig<br />
gegen Benzin, Öle und Fette, die elektrischen<br />
Isoliereigenschaften sind sehr gut. Polycarbonat<br />
ist bruchsicherer als Glas und lässt<br />
sich auf Grund des niedrigen spezifischen<br />
Gewichts leichter handhaben. ckl
112 PUBLIKATIONEN<br />
Das <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>Magazin</strong><br />
Nachhaltigkeit war das Thema, das dem<br />
<strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>Magazin</strong>, das vor Jahresfrist<br />
erschien, inhaltlich den roten Faden gab. Viele<br />
Beispiele wurden vorgestellt, die nachweisen,<br />
wie nachhaltig und damit zukunftsorientiert<br />
<strong>ThyssenKrupp</strong> arbeitet. Mit Wasserdruck lässt<br />
sich härtester Stahl formen, der neue Stahl FR<br />
30 ist eine halbe Stunde lang feuerresistent,<br />
das Konzept des so genannten TWIN-Aufzugs<br />
(zwei übereinander fahrende Aufzüge in einem<br />
Schacht) revolutioniert die Vorstellung von<br />
Fahrstühlen, neue Spundwände stabilisieren<br />
Deiche auf lange Zeit. <strong>ThyssenKrupp</strong> beweist<br />
mit all diesen Beispielen eines: Der Konzern<br />
entwickelt Produkte, die bei der Produktion<br />
Ressourcen, Energie und damit insgesamt<br />
Kosten sparen – <strong>ThyssenKrupp</strong> bekennt sich<br />
damit zur Nachhaltigkeit.<br />
Impressum<br />
Die <strong>Magazin</strong>e können Sie<br />
unter www.thyssenkrupp.com in<br />
der Service-Navigation unter<br />
„Publikationen“ bestellen.<br />
„Wer etwas bewegen will, muss sich selbst bewegen“, lautete das Motto<br />
des <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>Magazin</strong>s, das im Sommer des Jahres 2003 erschien.<br />
Vorstandsvorsitzender Prof. Dr. Ekkehard D. Schulz brachte es auf den Punkt:<br />
„Wir bringen Bewegung ins Denken.“ Was damit gemeint ist, lässt sich in<br />
20 Geschichten in dieser <strong>Magazin</strong>-Ausgabe nachlesen. Fahrtreppen in<br />
Toledo, Mega Yachten von Blohm + Voss, eine Wasser-Achterbahn mit<br />
stählernen Pylonen von <strong>ThyssenKrupp</strong>, Großwälzlager von Rothe Erde, die<br />
auf höchstem Niveau den richtigen Dreh finden – der Konzern beweist ein<br />
ums andere Mal, wie innovativ er aufgestellt ist. In Asturien wurde ein<br />
neuer Fahrsteig entwickelt, der seine Geschwindigkeit ändert; in England<br />
lieferte der Konzern Schienen für eine Hochgeschwindigkeitstrasse und<br />
restaurierte die legendäre Forth Rail Bridge in Schottland. Dank spezieller<br />
Kenntnisse und Fähigkeiten wird <strong>ThyssenKrupp</strong> ein unverzichtbarer<br />
Systempartner der Automobilhersteller, dank Simultaneous Engineering,<br />
das Kosten und Zeit spart. Zum wichtigsten Partner wurde der Konzern<br />
aber auch in anderer Art: als Partner der Tournee der Gruppe PUR. Wer<br />
wissen will, was hinter Hartmut Engler, dem Sänger der Kultband, steckt – in<br />
diesem <strong>Magazin</strong> erfährt er viel darüber.<br />
Herausgeber: <strong>ThyssenKrupp</strong> <strong>AG</strong>, Dr. Jürgen Claassen, August-Thyssen-Straße 1, 40211 Düsseldorf, Telefon: +49 211-824-0<br />
Projektleitung: Dr. Heribert Klein (verantwortlich für den redaktionellen Inhalt) • Art Director: Peter Breul<br />
Projektleitung bei <strong>ThyssenKrupp</strong>: Barbara Scholten<br />
Anschrift der Redaktion: Redaktionsbüro Dr. Heribert Klein, Wichernweg 8, 65549 Limburg,<br />
Telefon: +49 6431 47610, Fax: +49 6431 408916, e-Mail: H.Klein@teliko.net<br />
Autoren: Rüdiger Abele, Benedikt Breith, Sebastian Groß, Christa Klein, Carsten Knop, Sybille Wilhelm, Dieter Vogt<br />
Schluß- und Bildredaktion: Christa Klein • Layout: Esther Rodriguez<br />
Verlag: F.A.Z.-Institut für Management-, Markt- und Medieninformationen GmbH,<br />
Mainzer Landstraße 195, 60326 Frankfurt am Main, Telefon: +49 69–75 91-0, Fax: +49 69–75 91-1966<br />
Geschäftsführung: Dr. Gero Kalt, Volker Sach, Peter Steinke<br />
Litho: Goldbeck Sytem-Litho, Frankfurt am Main<br />
Druck: SocietätsDruck, Mörfelden<br />
Der Inhalt der Beiträge gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder. Nachdruck nur mit Quellenangabe und Belegexemplar<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |