ThyssenKrupp Magazin Werkstoffe - ThyssenKrupp Elevator AG
ThyssenKrupp Magazin Werkstoffe - ThyssenKrupp Elevator AG
ThyssenKrupp Magazin Werkstoffe - ThyssenKrupp Elevator AG
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
nikers Auskunftslaune. Das wisse keiner, sagt Alef. Selbst sein Vorgesetzter<br />
Lutz Kegler, der Leiter der Weco-Forschung und -Entwicklung,<br />
der im Februar nach 35 Jahren und 32 Wochen in Ruhestand geht und<br />
zu den Experten seines Fachs zählt – er weiß es auch nicht. Seit dem<br />
neunzehnten Jahrhundert seien Wunderkerzen bekannt, weiß er zu berichten.<br />
Mit dem Einsatz von Erdalkalimetallen sei vermutlich auch die<br />
Wunderkerze zum Leben erwacht. Auch er hat in seiner langen Berufszeit<br />
immer wieder erlebt, wie sensibel die Produktion der Wunderkerze<br />
ist. Beispiel Eisenpulver: Glühender Stahl ins kalte Wasser gespritzt, ergibt<br />
einen Härtungseffekt, der Stahl platzt auseinander, was zu einem<br />
kantigen Korn führt. „Beim Erhitzen in der Wunderkerze gibt es wiederum<br />
Spannungsrisse. Der Funke wird abgesprengt, brennt, heizt sich auf<br />
und zerplatzt erneut in Teile, was zum Sterneneffekt führt.“ Doch in der<br />
Konsistenz des Eisenpulvers, darin lag oft das Problem, meint Kegler.<br />
Ist es zu weich, gibt dies nur Fäden, „das war nix“. Spröde muss das<br />
Pulver sein, damit es noch einmal auseinander platzt.<br />
Die exakt konzipierte Mixtur aus einer feinen und einer gröberen<br />
Körnung lässt ein äußeres und ein inneres Bukett entstehen – was entscheidend<br />
für jene hohe Qualität von Wunderkerzen ist, die wie im Fall<br />
von Weco mit der Hand getaucht werden.<br />
Es ist ein stilles Geschäft, dem der Taucher nachgeht. Mit geübtem,<br />
sicherem Griff nimmt er das Holzbrett, lässt es in den Kerzenbrei<br />
hinab und zieht es im selben Rhythmus wieder heraus. Nach dem Zwischentrocknen<br />
wiederholt er den Vorgang noch einmal. Die Masse darf<br />
nicht unausgewogen, mit Bläschen oder sonstigen Unebenheiten aufgebracht<br />
werden – der Wunderkerzennutzer hätte seine liebe Not. Tropfen<br />
bilden sich, Brandflecken hinterlassen bleibende Spuren auf dem<br />
Teppich oder auf dem Parkettboden, nicht weniger auf der Hand, am<br />
Arm, auf der Hose oder im Hemd. Vorbei wäre das Wunder dieser<br />
Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |<br />
WUNDERKERZE STICHWORT 19<br />
freundlich brennenden, funkelnagelneuen Kerze. Vermaledeit sei der<br />
Traum vom Sternenglanz, der zum Albtraum wird.<br />
„Welch Schauspiel! Aber ach! Ein Schauspiel nur!“ würde Faust<br />
dazu sagen. Es ist auch nicht die aufwändige Technik, die im Falle der<br />
Wunderkerzenherstellung zum Staunen führt. Es sieht alles so harmlos<br />
aus, man wähnt sich eher in Fausts Laboratorium (Zweiter Teil) „im<br />
Sinne des Mittelalters, mit weitläufigen unbehülflichen Apparaten zu<br />
phantastischen Zwecken“. Immer wieder sei mit der Zusammensetzung<br />
der Wunderkerze experimentiert worden, sagt Alef. Zeitweise versuchte<br />
man es mit Metalliclacken, mit denen die Wunderkerzen beschichtet<br />
wurden. „Das sah gut aus, doch die Herstellung war zu aufwändig.“<br />
Magnesium kam auch schon zum Einsatz, doch auch das führte zu keinem<br />
zufrieden stellenden Ergebnis.<br />
DIE WUNDERKERZE IST EIN BRENNENDES SYMBOL<br />
Also ließen die Weco-Wunderleute die Rezeptur so, wie sie war und<br />
ist. Das Eisenpulver und sein „güldener“ Glanz genügt, um noch<br />
immer die Menschheit für Wunderkerzen zu begeistern (übrigens mit<br />
derzeit steigender Tendenz). Sogar beim Verschweißen von Eisenbahnschienen,<br />
weiß Alef zu berichten, würden Eisenbrenner eingesetzt,<br />
um die Thermitmischungen zu entzünden – „ein richtiger industrieller<br />
Anzünder“.<br />
Längst ist die Wunderkerze zum Symbol geworden. Für die Funken,<br />
die von Herzen zu Herzen gehen, für den Menschen, der ein<br />
wenig Licht ins Dunkel bringt, aber auch für das Burnout-Syndrom,<br />
bei dem der arbeitende Mensch wahrhaft euphorisch die letzten Funken<br />
aus sich herausschlägt, bevor er erlischt. So bleibt sie am Ende<br />
doch geheimnisvoll, die wunderliche Kerze, deren Erfinder wir noch<br />
nicht einmal kennen. 7