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ThyssenKrupp Magazin Werkstoffe - ThyssenKrupp Elevator AG

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108 OBERRIED<br />

Nichts, aber auch gar nichts weist darauf hin, dass sich mitten im Wald, tief in<br />

der Erde, ein einzigartiges Schatzhaus des deutschen Geistes verbirgt. Der<br />

Eingang liegt irgendwo im Forst. Das dreifach angebrachte weiß-blaue Zeichen<br />

hinter der Gittertür ist unscheinbar, nichts weist darauf hin, dass hier Kulturgut<br />

unter Sonderschutz steht. Der Besucher wähnt sich im Kyffhäuser, jenem Höhlenlabyrinth,<br />

in dem Rotbart Kaiser Barbarossa haust und seiner Wiederkehr harrt. In<br />

Wirklichkeit aber stapft der Besucher hinein in den Barbarastollen in Oberried bei<br />

Freiburg im Breisgau, den, wie es genau heißt, „Zentralen Bergungsort der Bundesrepublik<br />

Deutschland“. Roland Stachowiak von der Zentralstelle für Zivilschutz hat<br />

vielleicht wegen der schulterlangen Haare Ähnlichkeit mit dem mittelalterlichen Rotbart,<br />

doch im Barbarastollen wird der Verwaltungsbeamte, zuständig für den „Schutz<br />

von Kulturgut“, zum Fremdenführer, der mit Helm und gelber Jacke vorangeht, fünfhundert<br />

Meter weit, bei einer Temperatur von 10 Grad Celsius und einer relativen<br />

Luftfeuchtigkeit von fünfundsiebzig Prozent.<br />

„Hinter dieser Stahltür beginnt der eigentliche Lagerstollen“, stellt Stachowiak<br />

fest. Kaum hat er das Zahlenschloss eingestellt, braucht er zwei kräftige Arme, um die<br />

Stahltür (vor drei Jahrzehnten von Thyssen Industrie gebaut), gut und gern einen halben<br />

Meter dick, zu öffnen. Ein paar Schritte genügen – schon gibt die Schatzkammer,<br />

insgesamt hundert Meter lang, ihre Schätze preis.<br />

KULTUR IM SCHALBETON HINTER STAHLTÜREN<br />

Sie ist freilich von ganz eigenwilliger Art. Wer hier unschätzbare Relikte längst vergangener<br />

Zeiten zu sehen hofft, sieht sich enttäuscht. Rund dreizehnhundert Edelstahlbehälter<br />

sind doppelstöckig aufgereiht, fest verschlossen, unterschieden nur<br />

durch eine Kennnummer. Filme sind in den Containern enthalten, mikroverfilmte Archivalien<br />

mit Unikatswert und, wie es die Vorschrift sagt, „mit besonderer Aussagekraft<br />

zur deutschen Geschichte und Kultur“. 24.320 Meter Film fasst der Großbehälter<br />

aus V-2-A-Edelstahl, insgesamt sind es also knapp 32 Millionen Filmmeter, die<br />

dort unten im Schauinsland-Gebirge lagern, mit mehr als siebenhundert Millionen<br />

Dokumenten.<br />

Das Projekt wirkt skurril oder doch gespenstisch? Stachowiak ist vom Ernst der<br />

Angelegenheit überzeugt, restlos. „Die Haager Konvention von 1954 ist ein völkerrechtliches<br />

Kulturschutzabkommen. 1967 ist die Bundesrepublik Deutschland der<br />

Konvention beigetreten. 1975 fand hier im Barbarastollen die erste Einlagerung statt.<br />

Der Stollen selbst wurde mit Schalbeton ausgekleidet und mit Drucktüren abgesichert.<br />

An die Stahlbehälter wurden von Beginn an sehr hohe Anforderungen gestellt,<br />

schließlich sollen die Mikrofilme ja von äußeren Einflüssen in den Containern unbe-<br />

Was im Barbarastollen<br />

untergebracht wird, soll nach<br />

der Haager Konvention von<br />

1954 kulturell aussagekräftig<br />

sein. Roland Stachowiak<br />

von der Zentralstelle für den<br />

Zivilschutz wacht darüber, dass<br />

die Kulturdokumente ordnungsgemäß<br />

die letzte Ruhe finden.<br />

Das Endlager<br />

für die Geschichte<br />

helligt bleiben.“ Wer nun genau wissen will, was es mit<br />

diesen Containern auf sich hat, muss weit reisen. In Haiger<br />

bei Dillenburg findet er die Firma Ucon, den Lieferanten<br />

der Behälter. Klaus Kettner, dort für den Verkauf der<br />

Umformtechnik zuständig, kennt offenbar auch das letzte<br />

Detail dieses, wie er sagt, höchst anspruchsvollen zylindrischen<br />

Behälters. „Von <strong>ThyssenKrupp</strong> Nirosta in Dillenburg<br />

beziehen wir den fertigen Zuschnitt. Das Material<br />

muss tiefziehfähig sein, mit einer hohen Vergütung. Wir<br />

müssen, bei einer Tiefe von 350 Millimeter für jede Seite,<br />

einen relativ tiefen Corpus beim Ober- und Unterteil ziehen.<br />

Wichtig ist, dass beim Ziehvorgang ohne Glühen das<br />

Material nicht bricht. Hierfür haben wir spezielle Werkzeuge<br />

gebaut, über die nur wir verfügen. Nicht zuletzt wegen<br />

dieser Exklusivität sind wir seit vielen Jahren die Lieferanten<br />

der Container für den Barbarastollen in Oberried.“<br />

Dass sie luftdicht und entsprechend klimatisiert im<br />

Stollen gelagert werden, versteht sich von selbst. Kein<br />

Laut dringt hierher, nichts von der draußen lärmenden<br />

Welt. Früher wusste, von Eingeweihten abgesehen, kaum<br />

einer etwas von dem verborgenen kulturellen Schatz.<br />

„Schöpferische Landschaft“ hat die Gegend um Todtnau<br />

der Philosoph Martin Heidegger (1889 – 1976) genannt,<br />

beeindruckt von der strengen Einfachheit der tief verschneiten<br />

Flächen, „all das schiebt sich und drängt sich<br />

und schwingt durch das tägliche Dasein dort oben“. Wo<br />

besser kann sich die Kultur ausruhen, der DIN-Norm entsprechend,<br />

wie Stachowiak erklärt, mindestens für fünfhundert<br />

Jahre? Es könnten aber auch fünfzehnhundert<br />

Jahre sein, welche die Mikrofilme überdauern. „Wir jedenfalls<br />

werden es nicht mehr überprüfen können“, stellt<br />

er lakonisch fest.<br />

Für die Ungestörtheit wurden von Beginn an Vorkehrungen<br />

getroffen. Auch wenn nach Stachowiaks Worten<br />

von „Atombombensicherheit“ hier keine Rede sein<br />

kann: der aus Granit und Gneis bestehende Fels ist schon<br />

resistent. Obendrein gilt noch immer ein Überflugverbot<br />

Das TK <strong>Magazin</strong> | 1 | 2004 |

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