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Robin Lane Fox: Die Entdeckung der<br />

Medizin. Eine Kulturgeschichte von Homer<br />

bis Hippokrates. Aus dem Englischen von<br />

Susanne Held. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart<br />

<strong>2021</strong>. 448 S., ISBN: 978-3-608-96479-0<br />

(Gebunden mit Schutzumschlag), 35,- €<br />

In einem negativen Punkt sind sich die Dichter<br />

und die griechische ärztliche Nachwelt einig:<br />

Sie deuten nie auch nur an, dass ein Heiler<br />

oder Arzt sich – wie es heutzutage üblich ist –<br />

darum bemühen sollte, das Leben älterer<br />

Menschen zu verlängern. In der frühen griechischen<br />

Dichtung wurde hohes Alter verabscheut,<br />

und zwar von niemandem inbrünstiger als von<br />

den Göttern selbst. Im köstlichen nach-homerischen<br />

Hymnos zu ihren Ehren (möglicherweise<br />

bereits um 680 v. Chr. entstanden) eröffnet Aphrodite,<br />

die Göttin von Liebe und Sex, gegenüber<br />

dem sterblichen Anchises, den sie gerade verführt<br />

hat, eine erbarmungslose Wahrheit (Hom. hym.<br />

Aphrod. 227–240).<br />

Als die Dämmerung (Eos) Tithonos verführte, so<br />

erzählt ihm Aphrodite, machte sie ihn unsterblich,<br />

vergaß aber, dafür zu sorgen, dass er nicht<br />

alterte. Sie hörte auf, mit ihm zu schlafen, »sobald<br />

die allerersten grauen Haare von seinem<br />

blonden Haupt und seinem vornehmen Kinn zu<br />

wallen begannen«. Als das Alter, »das in jeder<br />

Weise zu hassende, ihn zu bedrängen begann«,<br />

sperrte Eos Tithonos in ein getrenntes Schlafzimmer<br />

weg. Aphrodite stellt unverblümt fest, dass<br />

auch sie von der Erkenntnis abgestoßen ist, dass<br />

bald das Alter über Anchises, ihre neueste sterbliche<br />

Eroberung, kommen wird, ist das Alter doch<br />

»erbarmungslos, verderblich, ermüdend, und die<br />

Götter hassen es«. Allerdings war sie – gemäß<br />

den Regeln von Sex zwischen einer sterblichen<br />

Person und einer griechischen Gottheit – nach<br />

ihrem One-Night-Stand mit Anchises schwanger.<br />

Das Ergebnis sollte der kleine Aeneas sein“ (Kap.<br />

3 Reisende Ärzte; vgl. auch II,15).<br />

LGBB <strong>04</strong> / <strong>2021</strong> · JAHRGANG LXV<br />

Wer schon eines der zahlreichen Bücher von Robin<br />

Lane Fox gelesen hat – er gilt als einer der<br />

bedeutendsten lebenden britischen Althistoriker,<br />

ist ein begeisterter Gärtner und als „Garden Master“<br />

für die ausgedehnten Gartenanlagen des<br />

New College der Universität Oxford zuständig –<br />

der weiß, dass er sehr lebendig, bisweilen gar<br />

unterhaltsam, jedenfalls faktenreich und packend<br />

schreiben kann. das gilt auch für dieses Buch,<br />

das zunächst nach einer spannenden Medizingeschichte<br />

im alten Griechenland aussieht. Robin<br />

Lane Fox beginnt nämlich im Kapitel Homerisches<br />

Heilen mit den Besonderheiten des ärztlichen<br />

Handelns bei Homer:<br />

„Leser mit medizinischen Kenntnissen bewundern<br />

noch heute, was sie als Homers »anatomische<br />

Topographie« bezeichnen, und sie fühlen<br />

sich bemüßigt, sie klinisch zu analysieren. Diese<br />

Studienrichtung nahm ihren Anfang im Italien<br />

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