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hinnerk Februar / März 2022

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Gesellschaft<br />

INTERVIEW<br />

HARALD GLÖÖCKLER:<br />

„Nicht SO schwul wie der. Ja geht’s noch?“<br />

Der Designer und Künstler ist<br />

weltweit bekannt. Für uns fand<br />

der queere Star an einem Wintermontag<br />

Zeit für ein stimmungsaufhellendes,<br />

entspanntes Telefonat.<br />

Man glaubt es kaum, aber auch innerhalb<br />

der LGBTIQ*-Community gibt es<br />

Menschen, die sich an manchen Tagen<br />

an Ihrem Auftreten stören. Warum<br />

provoziert Queerness immer noch?<br />

Warum folgen Menschen einem Menschen,<br />

den sie nicht mögen? Da geht es ja<br />

schon mal los. Mir ist es egal, wie meine<br />

Mitmenschen rumlaufen. Wenn eine ihren<br />

BH über dem Pullover tragen will, soll sie es<br />

tun, ich bewerte das nicht – auch nicht rote<br />

oder grüne Haare. Wir sind alle Individuen,<br />

die sich anders ausdrücken und das auch<br />

sollen. Das Einzige, wo ich mal etwas sagen<br />

würde, ist bei der Körperpflege, wenn eine<br />

oder einer sich nicht mehr pflegt, da würde<br />

ich dann schon anmerken: Wäre es nicht an<br />

der Zeit, dich mal wieder zu waschen? Viele<br />

haben eine verzerrte Selbstwahrnehmung.<br />

Wir alle altern, aber was bedeutet denn in<br />

Würde altern? Wer legt das WIE fest? Wir<br />

sind geistige Wesen, die eine körperliche<br />

Zeit erleben, und da kann man den Körper<br />

renovieren wie ein Haus! Ich lebe seit 40<br />

Jahren mit der Gay-Szene, gerade<br />

da erlebe ich viel Intoleranz. Da höre<br />

ich: Ich bin ja auch schwul, aber<br />

nicht SO schwul wie der. Ja geht’s<br />

noch? Wie kann man von außen<br />

Toleranz erwarten, wenn man innerhalb<br />

der Szene nicht tolerant ist.<br />

Aber am Ende des Tages bekomme<br />

ich so viele Nachrichten von jungen<br />

Menschen, so ab 15 Jahren, die sich<br />

für mein Auftreten bedanken, das<br />

ihnen Mut machte, so zu sein, wie<br />

sie sind. Toleranz braucht auch einen<br />

gewissen Grad an Intelligenz und<br />

die nehmen nicht alle in Anspruch.<br />

(kichert)<br />

Sie sind ein Frühaufsteher. Wie<br />

motivieren Sie sich jeden Tag,<br />

fleißig zu sein?<br />

Zum einen ist da schon mal mein<br />

Hund, der raus will! Aber: Wenn man<br />

sich erst motivieren muss … Das<br />

gibt es bei mir nicht. Wenn man<br />

sich etwas vornimmt, etwas geplant<br />

hat, dann fällt einem das Aufstehen<br />

leicht. Ich diskutiere nicht mit mir.<br />

Das ist ja oft das Problem vieler Menschen,<br />

dass sie ständig ihre Entscheidungen<br />

hinterfragen, hadern, zögern.<br />

Viele Menschen fühlen sich heute<br />

einsam, wie bekämpfen Sie solche<br />

Gefühle?<br />

Ach, verbunden sind wir eigentlich nicht.<br />

Man befindet sich auf Social Media in<br />

einem Pool, aber verbunden ist man nicht.<br />

Irgendwie ist das doch ein voyeuristischer<br />

Kram. Natürlich gibt es aber auch dort<br />

ein paar interessante Kontakte, aber das<br />

sind auch in der realen Welt interessante<br />

Menschen, die machen keine Show. Ich<br />

sehe aus, wie auf Instagram, aber manche<br />

sehen auf Instagram aus wie Sonnenschein<br />

und live wie ein Gewitter. (lächelt) Das<br />

große Problem ist das ständige Vergleichen,<br />

dieser Wettbewerb, der Neid erzeugt.<br />

Vergleichen macht keinen Sinn! Man muss<br />

sich auf sich konzentrieren, sich selbst gut<br />

genug sein. Unsere Welt ist emotionslos<br />

geworden, manchmal denke ich mir, das<br />

Einzige, was immer funktioniert, ist Neid.<br />

Thema „Ich bin ein Star – Holt mich<br />

hier raus!“ Warum?<br />

Zum Teil liegt es an Corona, am Lockdown.<br />

Ich saß 2020 in meinem Garten und<br />

dachte mir: Jetzt sitze ich hier, sauber weggesperrt,<br />

dabei brauche ich Öffentlichkeit,<br />

etwas zu tun. Ich bin nicht gerne in der<br />

Defensive, ich brauche ein Projekt! Dann<br />

kam die zweite Anfrage für den Dschungel.<br />

Übrigens die zweite, die erste kam 2010<br />

für die englische Variante, aber da hatte<br />

ich keine Zeit. Und damals auch ein paar<br />

Einwände …<br />

Aber wovor sollte ich da Angst haben? Ich<br />

bin ein Kind vom Land, da hat man keine<br />

Angst vor Ratten. Meine Tante hatte eine<br />

Mühle, da lagen manchmal sterbende Ratten<br />

rum, wenn man, wie damals üblich, mit<br />

Gift gegen sie vorgegangen ist. Furchtbar.<br />

Ich habe mir, als ich das Buch „Prince<br />

Pompöös“ schrieb, überlegt: Was hast du<br />

schon alles erlebt? Was willst du noch<br />

erleben? Ich predige den Leuten immer,<br />

ihre Komfortzone zu verlassen, also war ich<br />

mal dran! An sich finde ich dieses Dschungelcamp<br />

eine tolle Doku. Manchmal waren<br />

die Protagonisten nicht immer … Aber ich<br />

kann ja auch nicht das Opernhaus oder ein<br />

Restaurant boykottieren, nur weil da mal<br />

Menschen sind, die sich nicht benehmen<br />

können. Ohne Lockdown wäre ich nicht<br />

rein ins Dschungelcamp! Zusammen mit<br />

RTL habe ich jetzt gerade eine Tapetenkollektion<br />

entworfen, auch dank des Camps.<br />

Ich bin raus aus der Defensive!<br />

Worauf freuen Sie sich gerade?<br />

Gerade natürlich auf die Weihnachtszeit.<br />

Zudem arbeite ich gerade an einem<br />

Bildband, der im <strong>März</strong> auf der Buchmesse<br />

in Leipzig präsentiert werden<br />

soll. Da werden auch Bilder von mir<br />

von Henning von Berg zu sehen sein.<br />

Wir kennen uns schon sehr lange<br />

und ich sagte zu ihm: Lange muss<br />

man nicht mehr warten, dann ist<br />

der Zug abgefahren! (kichert) Also<br />

darauf freue ich mich. Und auf das<br />

Dschungelcamp. Auf meine Luxury<br />

Tiny Houses – die ich gerade fertig<br />

entworfen habe. Und jeden Tag über<br />

all die Leute, die ich treffe. Ich lasse<br />

mich jeden Tag NEU auf Leute und<br />

Situationen ein. Ich gehe nicht mit<br />

Gedanken von gestern auf Leute zu.<br />

Wenn Sie mir gestern ein Ave Maria<br />

singen und es ist fürchterlich, würde<br />

ich mich trotzdem darauf einlassen,<br />

dass Sie es noch mal singen. Denn<br />

heute habe ich es ja noch nicht von<br />

Ihnen gehört! (lacht)<br />

*Interview: Michael Rädel<br />

www.haraldgloeoeckler.de

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