Paul Dräger zu:* Homer, Ilias. Übertragen von Raoul Schrott ...
Paul Dräger zu:* Homer, Ilias. Übertragen von Raoul Schrott ...
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<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>: *<br />
<strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong>.<br />
<strong>Übertragen</strong> <strong>von</strong> <strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>. Kommentiert <strong>von</strong> Peter Mauritsch.<br />
München: Carl Hanser Verlag, 2008. XL, 631 S. ISBN 978-3-446-<br />
23046-0, geb., € 34,90.<br />
Unter Einbe<strong>zu</strong>g <strong>von</strong>:<br />
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>s Heimat. Der Kampf um Troia und seine realen<br />
Hintergründe. München: Carl Hanser Verlag, 2008. 432 S. ISBN<br />
978-3-446-23021-1, geb., € 24,90.<br />
Mit einem Kritischen Anhang (unten S. 59-68):<br />
Weiterführende naturkundliche Argumentation (<strong>zu</strong>r Alternative<br />
‚Troas : Kilikien’) <strong>zu</strong> <strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
Wer das Dichten will verstehen,<br />
muß ins Land der Dichtung gehen [...]<br />
Goethe<br />
(Fortset<strong>zu</strong>ng des Zitats s. unten S. 59 vor dem Kritischen Anhang)<br />
„Die Überset<strong>zu</strong>ng eines griechischen Gedichtes kann nur ein Philologe<br />
machen. Wohlmeinende Dilettanten versuchen es immer wieder,<br />
aber bei un<strong>zu</strong>reichender Sprachkenntnis kann nur Un<strong>zu</strong>reichendes<br />
herauskommen“ (Wilamowitz). 1<br />
Neue <strong>Homer</strong>-Überset<strong>zu</strong>ngen gibt es nicht alle Tage – der Rezensent, sowohl<br />
in diesem Geschäft wie auch als <strong>Homer</strong>iker (s. unten Anm. 34)<br />
nicht gerade unerfahren, bemüht sich schon seit langem, die in einem<br />
deutschen Weltverlag erschienenen approximativen Überset<strong>zu</strong>ngen eines<br />
Archäologen 2 durch philologisch-semantisch exakte ab<strong>zu</strong>lösen. Im<br />
* Eine Kurzfassung dieser Rezension ist am 13. August 2009 in BMCR erschienen, s.<br />
http://bmcr.brynmawr.edu/2009/2009-08-30.html<br />
1 Ulrich <strong>von</strong> Wilamowitz-Moellendorff: Was ist übersetzen? (1891), in: Reden und Vorträge,<br />
4. Aufl., Berlin 1925/ND Dublin, Zürich 1967, (S. 1-36) S. 1f.; s. auch unten<br />
Anm. 83 und 87.<br />
2 <strong>Homer</strong>. <strong>Ilias</strong>. Neue Überset<strong>zu</strong>ng, Nachwort und Register <strong>von</strong> Roland Hampe, Stuttgart<br />
1979; <strong>Homer</strong>. Odyssee. Übersetzt <strong>von</strong> Roland Hampe, Stuttgart 1979. Hampes<br />
„deutsche Hexameter“ lehnen sich im Widerspruch <strong>zu</strong> seiner Aussage und trotz aller<br />
Polemik gegen Schadewaldt (S. 564f.) stark an dessen rhythmisierte Prosa an: <strong>Homer</strong>.<br />
<strong>Ilias</strong>. Neue Übertragung <strong>von</strong> Wolfgang Schadewaldt, 1. Aufl., Frankfurt am Main (insel<br />
taschenbuch 153) 1975 (S. 426: „weitgehende Rhythmisierung [...] in ungebundenen<br />
freien Rhythmen“; vgl. unten S. 28 mit Anm. 49).
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
abgelaufenen Jahr 2008 gab es gleich zwei <strong>Ilias</strong>-Überset<strong>zu</strong>ngen: die hier<br />
besprochene des Komparatisten und Schriftstellers <strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong> „in<br />
einer flexiblen Rhythmik“ (S. XXXV, s. da<strong>zu</strong> unten S. 27f.) sowie die in<br />
Jamben abgefasste des 6. <strong>Ilias</strong>-Buches durch Joachim Latacz im vierten<br />
Band des neuen Baslers <strong>Ilias</strong>-Gesamtkommentars (BK). 3<br />
<strong>Schrott</strong>s Buch zerfällt in drei Hauptteile: Teil I: „Zur <strong>Ilias</strong> / Zu dieser<br />
Fassung“ (S. V-XL) – Teil II: ‚Übertragung’ der <strong>Ilias</strong>, gerahmt <strong>von</strong> Inhaltsangaben<br />
der ‚Kypria’ (einschließlich der ‚Übertragung’ eines Fragments)<br />
und der ‚Aithiopis’: p. 1-523 – Teil III: „Anhang“ (p. 525-621) und<br />
„Inhalt“ (p. 623-631). – Wir betrachten <strong>zu</strong>nächst kurz Teil I und Teil III,<br />
um uns danach auf das Kernstück des Buches, die sogenannte „Übertragung“<br />
der <strong>Ilias</strong>, <strong>zu</strong> konzentrieren. Bewusst nicht vermieden sind dabei<br />
gelegentliche Be<strong>zu</strong>gnahmen auf <strong>Schrott</strong>s vorangegangene Monographie,<br />
4 in der eine im deutschsprachigen Raum während des ganzen<br />
Jahres 2008 <strong>zu</strong> z.T. sensationell aufgemachten Feuilleton-Ehren gelangte,<br />
auch in der vorliegenden ‚Übertragung’ <strong>zu</strong>grunde gelegte [S. V-<br />
XXIX] absurde Entstehungshypothese der <strong>Ilias</strong>, die sogenannte ‚Kilikien-These’,<br />
aufgestellt wird. Deren Kernpunkt ist die ‚Entdeckung’, das<br />
‚wahre’ Troia der uns vorliegenden <strong>Ilias</strong> sei nicht das an den Dardanellen<br />
im Nordwesten der heutigen Türkei <strong>von</strong> Calvert / Schliemann (1863<br />
/ ab 1871) ausgegrabene und dann seit 1988 unter der Leitung <strong>von</strong><br />
Manfred Korfmann, seit 2006 unter derjenigen <strong>von</strong> Ernst Pernicka (beide<br />
Universität Tübingen) in großem Rahmen international und interdisziplinär<br />
weiter erforschte Areal (heute: Hisarlık), sondern das ca. 800<br />
km Luftlinie entfernte, im Süden der heutigen Türkei im Binnenland gelegene<br />
Káratepe (‚Schwarzberg’, spät-hethitisch Azatiwada) und das<br />
rund 100 km Luftlinie da<strong>von</strong> entfernt im Südwesten <strong>zu</strong>m Meer hin um<br />
das spät-hetithische Adanija (heute die Millionenstadt Adana) gelegene<br />
Areal im später ‚Kilikien’ (hethitisch: Kiz<strong>zu</strong>watna; assyrisch: Hillaku)<br />
genannten Gebiet; <strong>Homer</strong>, der seine kilikische Heimat mit ihrer Zeitgeschichte<br />
in die alte Troia-Sage hinein„projiziert“ (so auch in der ‚Übertragung’:<br />
S. XI), also gewissermaßen Azatiwada (Káratepe) ins Dardanellen-Troia<br />
hineingeschmuggelt habe, 5 sei ein griechischer Schreiber und<br />
3 <strong>Homer</strong>s <strong>Ilias</strong>. Gesamtkommentar (Basler Kommentar / BK). Hg. <strong>von</strong> Anton Bierl und<br />
Joachim Latacz. Band IV: Sechster Gesang (Z). Faszikel I: Text und Überset<strong>zu</strong>ng <strong>von</strong><br />
Martin West (Text) und Joachim Latacz (Überset<strong>zu</strong>ng), Berlin 2008 (Sammlung wissenschaftlicher<br />
Commentare) [zitiert BK IV 1; die vorhergehenden Bände analog].<br />
4 Gemäß Homepage des Verlages erschien die Monographie im März 2008, die <strong>Ilias</strong>-<br />
‚Übertragung’ im September 2008; die These wurde <strong>zu</strong>erst in der ‚Frankfurter Allgemeinen<br />
Zeitung’ vom 22. Dezember 2007 („<strong>Homer</strong>s Geheimnis ist gelüftet“) verbreitet.<br />
5 Das Haupt-Gegenargument sei schon hier genannt: Das ‚Hineinschmuggeln’ müsste<br />
kilikische Spuren im Text hinterlassen haben, damit die Intention überhaupt erkenn-<br />
2
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
Eunuch in einer auf dem heutigen Káratepe gelegenen assyrischen Residenz-Kanzlei<br />
gewesen, der – mit Ortskenntnissen der Troas ausgestattet<br />
– seine Epen unter Verwertung des alten Troia-Sagenstoffes vornehmlich<br />
aus orientalischen Quellen, wie dem Gilgamesch-Epos, aus<br />
diversen orientalischen Erzählungen und Dokumenten sowie aus zeitgeschichtlichen<br />
assyrischen Ereignisabläufen kompiliert habe. 6 Aufgebaut<br />
wird diese Nonsens-These auf der Annahme, die Insel Zypern sei<br />
Namensgeberin der ‚Zypriotischen Geschichten’ (so versteht <strong>Schrott</strong><br />
fälschlich das griechische ‚Kypria’), und mit diesen sei die ganze Troia-<br />
Geschichte in das Zypern gegenüberliegende Kilikien gelangt („<strong>Homer</strong>s<br />
Heimat“ S. 84-93; vgl. schon S. 13, 16f., 18f.).<br />
Diese Spekulation lässt sich mit einem einzigen Satz erledigen: Nach<br />
uralter Vermutung erhielten die Kyprien ihren Titel (der im Griechischen<br />
lediglich ‚Kyprisches’ bedeutet) <strong>von</strong> jemandem, der die Dominanz<br />
der (auf Kypros geborenen) Kypris = Aphrodite (man zähle einmal ihre<br />
Erwähnungen bereits in Proklos’ Kurz-Paraphrase!) im Kausalgefüge<br />
erkannt hat; 7 die Insel Zypern hat also – ebenso wie Kilikien – mit dem<br />
Troia-Stoff gar nichts <strong>zu</strong> tun (die einzige Erwähnung Zyperns in der <strong>Ilias</strong><br />
[11,21] besagt, die Kunde des bevorstehenden Achaier-Heeres<strong>zu</strong>ges<br />
gegen Troia sei [sogar] bis nach Kypros gedrungen [!]; Kilikien kommt in<br />
der <strong>Ilias</strong> überhaupt nicht vor; die ‚Kilikes’ in 6,397. 415 leben im Umkreis<br />
der südlichen Troas, s. die Kommentare). – Gegen diese ganze Kilikien-Phantasterei<br />
ist <strong>von</strong> Fachwissenschaftlern in den deutschsprachigen<br />
Medien <strong>von</strong> Skepsis bis <strong>zu</strong>r Verhöhnung im Jahre 2008 bereits<br />
ausgiebig – aus Platzmangel allerdings nur oberflächlich – protestiert<br />
worden. In der vorliegenden Besprechung der <strong>Ilias</strong>-‚Übertragung’ wird<br />
bar würde (sonst wäre sie ja keine Intention) – doch solche Spuren sind in Wahrheit in<br />
der gesamten <strong>Ilias</strong> nicht <strong>zu</strong> finden, sondern werden <strong>von</strong> <strong>Schrott</strong> hineinphantasiert. Im<br />
Gegenteil: Alles an der uns vorliegenden <strong>Ilias</strong> ist ‚Dardanellen-troianisch’; ein Hineinschmuggeln<br />
anderer Gebiete (welcher auch immer: Kilikien oder Baltikum, s. sogleich)<br />
wäre für keinen Hörer / Leser in Antike oder Neuzeit jemals erkennbar gewesen, so<br />
dass eine ‚Projektion’ eben nicht beabsichtigt gewesen sein kann, die These mithin völlig<br />
aus der Luft gegriffen ist – wie die vorhergehende, erstmals 2002 publizierte ‚Veni,<br />
vidi, vinci-Schwachsinns-These’, Troia habe im Baltikum gelegen (Omero nel Baltico.<br />
Saggio sulla geografia omerica by Felice Vinci, 5th edition, Rome 2008.<br />
6 Vgl. dagegen die „Stellungnahme der Ausstellungsleitung <strong>zu</strong> den Thesen <strong>von</strong> <strong>Raoul</strong><br />
<strong>Schrott</strong>“ (Handzettel der Ausstellung ‚HOMER. Der Mythos <strong>von</strong> Troia in Dichtung und<br />
Kunst’, Antikenmuseum Basel, 16.03. – 17.08.2008) sowie abschließend und <strong>zu</strong>sammenfassend<br />
J. Schlömann, ‚Süddeutsche Zeitung’ vom 8. März 2008.<br />
7 Jac. Perizonius, Cl. Aeliani [...] varia historia, Leiden 1701, <strong>zu</strong> Varia historia 9,15<br />
(<strong>von</strong> Kannicht, der die Erklärung fast 300 Jahre später [1979, engl. 1982] für sich und<br />
Karl Schefold beansprucht, <strong>zu</strong>nächst übergangen; in Richard Kannicht: ‚Paradeigmata’<br />
[Aufsätze <strong>zu</strong>r griechischen Poesie], Heidelberg 1996, S. 58 Anm. 19 jedoch ergänzt),<br />
s. Joachim Latacz: Kypria, Der Neue <strong>Paul</strong>y 6, Stuttgart 1999, Sp. 983f.<br />
3
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
dieser Protest u.a. durch eine bislang unbeachtet gebliebene (naturkundliche)<br />
Ebene der Gegenargumentation ergänzt, die <strong>zu</strong>dem unten in<br />
einem Anhang (S. 59-68) weitergeführt und vertieft werden wird.<br />
Zu Teil I: Dieser separat paginierte Teil (S. V-XL) des Buches könnte als<br />
‚Einführung’ bezeichnet werden. Er ist zweigeteilt: Der erste Unterabschnitt<br />
(1: „Zur <strong>Ilias</strong>“, S. V-XXX) gibt <strong>Schrott</strong>s <strong>Ilias</strong>-Konzeption wieder,<br />
der zweite (2: „Zu dieser Fassung“, S. XXXI-XL) legt Rechenschaft über<br />
seine ‚Übertragungs’-Methode ab. – (1) bietet die Unterabschnitte: (a)<br />
„Fabel“ (S. V.: falsche Datierung 8 der <strong>Ilias</strong> auf „um 660 vor unserer<br />
Zeit“, 9 so auch „<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 12; S. VI: fragliche Zuweisung der<br />
<strong>Ilias</strong>-Haupthandlung: „im zehnten 10 Jahr der Belagerung“, auch S. VIII;<br />
<strong>zu</strong>r – wenn man schon den ganzen Epischen Kyklos einbezieht – falschen<br />
Zuweisung des Troianischen Pferdes erst an die Odyssee, S. VII,<br />
s. unten S. 7 <strong>zu</strong>r Aithiopis] – (b) „Autor“ (S. VII: falsche Anset<strong>zu</strong>ng Hesi-<br />
8 Die neuerdings modisch gewordene Marotte der Spätdatierung (<strong>zu</strong>letzt Ernst<br />
Heitsch: Zur Genese unserer <strong>Ilias</strong>. Ein Beispiel, Rheinisches Museum 151, 2008, [S.<br />
225-244] hier: S. 226-228 Anm. 3; Wolfgang Kullmann: Poesie, Mythos und Realität<br />
im Schiffskatalog der <strong>Ilias</strong>, Hermes 137, 2009, [S. 1-20] S. 5 mit Anm. 18; S. 15 [„<strong>zu</strong>r<br />
heute gängigen Datierung der <strong>Ilias</strong> in das Ende der 1. Hälfte des 7. Jahrhunderts“])<br />
beruht letztlich allein auf einem Aufsatz Walter Burkerts <strong>zu</strong> den Versen <strong>Ilias</strong> 9,382-<br />
384 (Das hunderttorige Theben und die Datierung der <strong>Ilias</strong>, Wiener Studien 89, 1976,<br />
S. 5-21 = Kleine Schriften I, Göttingen 2001, S. 59-71; darauf fußend auch Martin L.<br />
West: The Date of the Iliad, Museum Helveticum 52, 1995, S. 203-219); doch hat die<br />
Ägyptologie die Idee, in <strong>Ilias</strong> 9,381 sei das ägyptische Theben gemeint, spätestens seit<br />
1979 <strong>zu</strong>rückgewiesen, s. Wolfgang Helck: Die Beziehungen Ägyptens <strong>zu</strong> Vorderasien<br />
im 3. und 2. Jahrtausend v. Chr., Darmstadt 1979, S. 232 (in 2., <strong>von</strong> Rosemarie<br />
Drenkhahn durchges. und bearb. Neuaufl.: Die Beziehungen Ägyptens und Vorderasiens<br />
<strong>zu</strong>r Ägäis bis ins 7. Jahrhundert v. Chr., Darmstadt 1995); Peter W. Haider:<br />
Griechenland – Nordafrika, Darmstadt 1988, S. 211-215; Heinz J. Thissen: Ägyptologische<br />
Randbemerkungen. I. Der Name ‚Theben’ der ägyptischen Stadt, Rheinisches<br />
Museum 154, 2002, (S. 46-61), hier: S. 46-54; <strong>zu</strong>r (irrigen) Spätdatierung s. auch Joachim<br />
Latacz: Frühgriechische Epik und Lyrik in Ionien, in: Frühes Ionien. Eine Bestandsaufnahme.<br />
Hg. <strong>von</strong> Justus Cobet [u.a.], Mainz 2007, S. 681-700, hier: S. 693<br />
Anm. 33; s. jetzt auch Edzard Visser in:<br />
http://www.pegasusonlinezeitschrift.de/2008_2/erga_2_2008_visser.html.<br />
9 „vor unserer Zeit“ ist als Ären-Angabe unsinnig, da es ‚vor der Gegenwart’ bedeuten<br />
würde. Innerhalb der vor allem in der Vor- und Frühgeschichte gängigen Abkür<strong>zu</strong>ng<br />
„v.u.Z.“ bedeutet das „Z.“ natürlich nicht „Zeit“, sondern „Zeitrechnung“.<br />
10 Das wird in der <strong>Ilias</strong> nicht ganz klar (trotzdem spricht Heitsch [wie Anm. 8] ab S.<br />
225 apodiktisch vom ‚zehnten Jahr’ und schreibt (wie Kullmann [wie Anm. 8]) gegen<br />
internationale Vereinbarung (s. J. Latacz, Troia und <strong>Homer</strong>, 5 2005, 352 [‚Einführung’,<br />
Anm. 2]) immer noch falsch „Troja“; <strong>Schrott</strong> richtig „Troia“), s. E. Aumüller: Das neunte<br />
Jahr (<strong>Ilias</strong> B 134 – 295 – 328), Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft<br />
21, 1996/97, S. 39-47; BK I 2 S. 12 spricht vorsichtiger <strong>von</strong> „51-Tage-Episode<br />
aus dem 9./10. Jahr des zehnjährigen Troianischen Krieges (auch Prolegomena S.<br />
155; II 2 S. 259); vgl. J. Latacz: Streit um Adelsideale, DAMALS 4/2001, S. 16 („Und<br />
diese 51 Tage, die er in die Wende vom 9. <strong>zu</strong>m 10. Kriegsjahr fallen läßt“); dens.: Troia<br />
und <strong>Homer</strong>, Leipzig 5 2005, S. 11 (= Vorwort: „Nun bricht das zehnte Belagerungsjahr<br />
an, und immer noch hält Troia stand“).<br />
4
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
ods vor <strong>Homer</strong> [s. unten Anm. 63], auch „<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 58, 103f.;<br />
Mauritsch <strong>zu</strong> 2,6) – (c) „Zeit“ (S. VIII: falsche Dauer der <strong>Ilias</strong>-Handlung<br />
„50 Tage“) – (d) „Ort“ (S. IX-XII: falsche Kilikien-These, s. oben S. 2f.) –<br />
(e) „Zeitgeschichtliche Vorbilder“ (dasselbe) – (f) „Bühne“ – (g) „Kampf“ –<br />
(h) „Gesellschaft und Gabenökonomie“ – (i) „Sprache und Schrift“ (S.<br />
XX: fälschlich nur eine Zäsur des Hexameters) – (k) „Narration, Dramaturgie<br />
und Bildlichkeit“ – (l) „Text“ – (m) „Kompositionsweise“ (fälschliche<br />
These <strong>von</strong> der <strong>Ilias</strong> als Abbild kilikisch-assyrischer Auseinanderset<strong>zu</strong>ngen)<br />
– (n) „Vortrag“. – Fazit: Die vorgetragene <strong>Ilias</strong>-Konzeption ist<br />
aus meist unverstandenen Forschungsfragmenten und eigenen Phantasien<br />
<strong>zu</strong>sammengebastelt und dementsprechend völlig abstrus (die um<br />
660 entstandene <strong>Ilias</strong> stelle eine ‚Einwebung’ zwischen den beiden<br />
„bunten Erzählteppichen“ der „zypriotischen Erzählungen“ und der<br />
‚Aithiopis’ dar, in welcher der „judäisch-kilikische Aufstand gegen die<br />
Assyrer um 700“ thematisiert werde [V]; <strong>Homer</strong> habe sich „des troianischen<br />
Sagenstoffes bedient, um die Konflikte zwischen Kilikern und ihren<br />
assyrischen Machthabern aufarbeiten <strong>zu</strong> können“ [XXV]; der Name<br />
‚<strong>Homer</strong>os’ sei eine „levantinische Bezeichnung für eine Sängergilde –<br />
bene homerim“, und die Herkunft dieses Namens lasse sich dank einer<br />
spätantik überlieferten nordsyrischen Stadt namens [H]Omeros „geographisch<br />
fixieren“ [VIII]; der kilikische <strong>Homer</strong> gebe Helenas Entführer<br />
Alexandros den Beinamen Paris, um damit auf den kilikischen „Herrschersitz<br />
Pahri“ <strong>zu</strong> verweisen [XII], usw.); eine wissenschaftliche Auseinanderset<strong>zu</strong>ng<br />
damit ist ebenso unmöglich wie überflüssig; Laien, die<br />
das Buch gutgläubig erwerben, werden nicht in die gegenwärtige <strong>Homer</strong>-Forschung<br />
eingeführt, sondern in eine Phantasiewelt entrückt.<br />
Einzelne Punkte dieser Münchhauseniade (oder dieses Wahns) werden<br />
bei Wege noch <strong>zu</strong>r Sprache kommen.<br />
Zu (2): „Zu dieser Fassung“ (S. XXXI-XL): Unterabschnitte (a) „Wörtlichkeit<br />
und Sinngehalt – (b) Interpretation – (c) Hexameter – (d) Sprache –<br />
(e) Epitheta – (f) Dramatik“. Immerhin legt <strong>Schrott</strong> hier, wie es für einen<br />
Übersetzer, der ernst- bzw. überhaupt wahrgenommen werden will, unabdingbar<br />
ist, sich selbst und vor allem den potentiellen Lesern Rechenschaft<br />
über seine ‚Übertragungs’-Methode ab; doch was er hier auf<br />
zehn Seiten <strong>zu</strong> seiner Fassung sagt, besteht letztlich aus radikalem <strong>Homer</strong>-Verriss<br />
und arroganter Selbstbespiegelung: „die für <strong>Homer</strong> typische<br />
unbeholfene Ausdrucksweise subjektive Denkprozesse betreffend“; <strong>Homer</strong>s<br />
Formulierungen sind „<strong>zu</strong> umständlich, statt knapp und direkt“;<br />
„die Phrasen bleiben schemenhaft und blaß“, usw.: XXXVI; <strong>Homer</strong>s<br />
Übersetzer <strong>von</strong> Voß bis Hampe haben nur <strong>Homer</strong>-„Travestien“ <strong>zu</strong>stande<br />
5
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
gebracht: XXXI f.; <strong>Schrott</strong> hingegen „versucht [...] <strong>Homer</strong> <strong>von</strong> seinem<br />
Ufer ab<strong>zu</strong>holen, um ihn ins Heute <strong>zu</strong> bringen“: XXXIII; die vorliegende<br />
Fassung „adaptiert die homerische Diktion in einem modernen Duktus,<br />
der vom hohen Ton bis <strong>zu</strong>m lakonisch Hingeworfenen und Derben eine<br />
weitaus größere Ausdrucksweise umfaßt“. Alles in allem heißt das: <strong>Homer</strong><br />
war ein Stümper, alle seine bisherigen Übersetzer desgleichen, und<br />
es brauchte <strong>Schrott</strong>, um <strong>Homer</strong> <strong>zu</strong>m Dichter und sein Werk mittels vorliegender<br />
‚Übertragung’ <strong>zu</strong> Dichtung <strong>zu</strong> machen. Die Ursache der unüberbietbaren<br />
Naivität, die hinter diesem ‚Ins-Heute-Bringen-Wollen’<br />
steht, ist das kardinale Unverständnis für die Dimension des Geschichtlichen<br />
in Kunst und Kultur überhaupt, wie wir sie z.B. auch im<br />
sogenannten Regietheater erleben: Die Vergangenheit muss sterben,<br />
damit die Eitelkeit der Gegenwart sich brüsten kann. Ganz im Schlepptau<br />
dieser irregeleiteten Ideologie redet hier einer, der <strong>Homer</strong>s Poesie offenkundig<br />
nicht einmal im Ansatz verstanden hat. <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung’<br />
gerät folgerichtig <strong>zu</strong>r Karikatur. – Genaue Stellenangaben für literarische<br />
Zeugnisse fehlen durchgehend (S. V, XI, XXIV, XXIX, XL: Platon;<br />
S. XV: Longinus).<br />
Zu Teil II (‚Übertragung’, S. 1-523): Erwarten würde man hier eigentlich<br />
nur die Überset<strong>zu</strong>ng der <strong>Ilias</strong>. <strong>Schrott</strong> lässt dieser aber eine ‚Inhaltsangabe’<br />
der ‚Kypria’ einschließlich der ‚Übertragung’ eines sieben Verse<br />
umfassenden Fragmentes (F 1 EGF/PEG, mit bereits hier falschen Wiedergaben<br />
11) vorausgehen (S. 1-13: „Kypria. Die zypriotischen Geschichten.<br />
Der troianische Krieg – Erster Teil“) und eine solche der ‚Aithiopis’<br />
folgen (S. 519-523: „<strong>Homer</strong>. 12 Aithiopis. Die aithiopische Geschichte.<br />
Der troianische Krieg – Dritter Teil“, S. 519-523); beide habe er aus<br />
Proklos, Apollodorus (!), Athenaeus (!), aus „dem“ (!) Pindar-Scholiasten<br />
und „dem“ (!) <strong>Homer</strong>-Scholiasten „kollationiert“ (S. 11; 523; gemeint:<br />
11 In V. 2 des Originals heißt es nicht „die weite und breite brust der erde“, sondern<br />
‚die Breite der schwer belasteten Brust der Erde’: Die Pointe (‚schwer belastet’, daher<br />
‚fast schon erdrückt’) ist zerstört; das gleiche Pointen-Unverständnis in V. 4: Zeus ‚erlöst’<br />
(<strong>Schrott</strong>) die Erde nicht, sondern er ‚erleichtert’ (κoυ��σαι) sie; wenn man die Bedeutung<br />
griechischer Wörter schon nicht (größtenteils) auswendig kennt – was für einen<br />
Übersetzer aus dem Griechischen, wie für jeden Übersetzer aus jeder beliebigen<br />
Sprache, die Grundvorausset<strong>zu</strong>ng ist –, dann sollte man sie wenigstens in <strong>Homer</strong>-<br />
Lexika nachschlagen (wofür man allerdings wiederum gut Griechisch können muss).<br />
12 Die ‚Aithiopis’ wird gemeinhin, was <strong>Schrott</strong> S. 523 selbst übernimmt, Arktinos <strong>von</strong><br />
Milet (und nicht <strong>Homer</strong>) <strong>zu</strong>geschrieben. – Die Bezeichnung des Priamos als „Vasall der<br />
Assyrer“ (S. 522, 2. Zeile, im Zusammenhang mit der Hilfeleistung durch den aithiopischen<br />
„General Memnon“, vgl. schon S. XII) ist ebenso wie die des angeblichen Kyprien-Verfassers<br />
Stasinos als eines „zypriotischen Magistraten (eine Art Schreiber also)“<br />
(S. 11) ein Ausläufer <strong>von</strong> <strong>Schrott</strong>s Kilikien-These (<strong>zu</strong>m wahren Sinn des Werktitels der<br />
‚Kyprien’ s. oben S. 3).<br />
6
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
‚kombiniert’: Die Unvertrautheit mit textkritischer Terminologie ist evident).<br />
Diese Einbettung in die Troia-Gesamtgeschichte ist für den nichtprofessionellen<br />
Leser durchaus nützlich (die Zuweisung einzelner Erzählungsbestandteile<br />
an bestimmte Bücher der beiden Epen ist freilich<br />
ebenso Phantasie 13 wie die im Zusammenhang schon mit seinem Buch<br />
„<strong>Homer</strong>s Heimat“ vertretene Proton-Pseudos-These über Zypern als<br />
Vermittlungsort der Troia-Mythen nach Kilikien; 14 da<strong>zu</strong> s. oben S. 3).<br />
Dann aber sollte diesem Leser das Verhältnis zwischen <strong>Ilias</strong> und den<br />
Epen des ‚Epischen Kyklos’ auch erklärt werden. Stattdessen versorgt<br />
<strong>Schrott</strong> den Leser mit Fehlinformationen: <strong>Homer</strong> „schiebt“ seine Geschichte<br />
nicht „zwischen den Kypria und der Aithiopis ein“ (S. VIII),<br />
sondern ‚Kypria’ und ‚Aithiopis’ sind nachhomerische Ergän<strong>zu</strong>ngsprodukte,<br />
die durch Versifikation der vorhomerischen mündlichen Troia-<br />
Gesamtgeschichte die vor- bzw. nach-iliadischen Ereignisse nachtragen<br />
(eine klare Vorstellung vom Verhältnis <strong>von</strong> <strong>Ilias</strong> und Odyssee <strong>zu</strong>m Epischen<br />
Kyklos ist nicht vorhanden). Statt diese Nachträge aber nun wenigstens<br />
vollständig <strong>zu</strong> präsentieren ([Aithiopis], Kleine <strong>Ilias</strong>, Iliupersis,<br />
Nostoi, [Odyssee], Telegonia), hört <strong>Schrott</strong> bei der mit dem Tod Achills<br />
endenden ‚Aithiopis’ auf; das Geschehen bis <strong>zu</strong>r Zerstörung Troias<br />
bleibt ausgeklammert: <strong>zu</strong>m einen die <strong>Ilias</strong> parva (Herbeiholung des Philoktet<br />
und des Neoptolemos, Bau des hölzernen Pferdes, Raub des Palladions<br />
aus Troia durch Odysseus und Diomedes, Schein-Rück<strong>zu</strong>g<br />
nach Tenedos, Aufnahme des Pferdes: Proklos S. 74f. PEG; Apollodor,<br />
Epitome 5,8-17); <strong>zu</strong>m anderen das Ilii excidium (Laokoon, Sinon, Eroberung<br />
Troias, Tod des Priamos durch Neoptolemos, Vergewaltigung der<br />
Kassandra durch Aias, Tötung des Astyanax, Abschlachtung der Polyxena<br />
am Grab Achills: Proklos S. 88f. PEG; Apollodor, Epitome 5,18-<br />
25). Sollte er beide nicht kennen? Dem Leser – <strong>zu</strong>mindest dem mit dem<br />
Mythos weniger vertrauten – tun sich dadurch jedenfalls in <strong>Schrott</strong>s<br />
Nacherzählung einerseits unüberwindliche Verständnislücken auf, z.B.<br />
lässt Agamemnon in dieser Nacherzählung die griechischen Könige an<br />
„ihre geleisteten Eide“ erinnern (S. 6); diese Eide wie auch die da<strong>zu</strong>gehörige<br />
Hochzeit Helenas (bei der der vermeintliche Vater Tyndareos alle<br />
Bewerber um die Hand der Zeus-Tochter ihre im Bedarfsfall vielleicht<br />
notwendig werdende Hilfeleistung <strong>zu</strong>sichern und beschwören lässt – der<br />
13 <strong>Schrott</strong> stellt sich damit auf eine Stufe mit dem unsäglichen Machwerk „Die Kyprien.<br />
Ein hellenisches Epos in zwölf [!] Gesängen. Neu geschaffen <strong>von</strong> Thassilo <strong>von</strong><br />
Scheffer, München 1934, 2. Aufl. Wiesbaden 1947“ (<strong>von</strong> Scheffer S. VIII: es handele<br />
sich „um eine vollkommene Neuschöpfung, also um eine deutsche Originaldichtung“).<br />
– Zu einer anderen Gemeinsamkeit s. unten Anm. 85.<br />
14 „<strong>Homer</strong>s Heimat“, S. 84-93 (falsche Ableitung des Titels ‚Kypria’ S. 85 Anm. 6); dieselbe<br />
lückenhafte Kyprien-Paraphrase schon dort S. 45f., 92 (Helenas Hochzeit und<br />
Eide fehlen; da<strong>zu</strong> s. sogleich); <strong>zu</strong>r Aithiopis siehe z.B. S. 86f.<br />
7
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
sich dann nur Odysseus <strong>zu</strong> entziehen wissen wird 15 ) hat <strong>Schrott</strong> jedoch<br />
<strong>zu</strong>vor mit keinem Wort erwähnt. Andererseits wird der Leser weiterhin<br />
ungenau informiert, z,B. S. VII: „[...] und vom Troianischen Pferd und<br />
dem Fall Ilios’ berichtet erst die Odyssee“ (vom Pferd berichtete bereits<br />
der Stoff der Kleinen <strong>Ilias</strong>, <strong>von</strong> Troias Fall derjenige der Iliupersis; die<br />
Odyssee enthält in 8,492-520 nur einen Rückblick).<br />
Bevor wir <strong>zu</strong>r <strong>Ilias</strong>-‚Übertragung’ kommen, rasch noch ein paar Bemerkungen<br />
<strong>zu</strong>m hinteren Teil des Rahmens:<br />
Teil III („Anhang“, S. 525-631), bestehend aus neunzigseitigem „Kommentar“<br />
als Kernstück, fünfseitiger Zusammenstellung „Figuren der <strong>Ilias</strong>“<br />
sowie neunseitigem Inhaltsverzeichnis.<br />
Die Haupttendenz des Kommentars (S. 527-621, da<strong>von</strong> S. 527f. der Ansatz<br />
eines Literaturverzeichnisses: 12 Titel, schlecht bibliographiert),<br />
verfasst vom Grazer Althistoriker 16 Peter Mauritsch, liegt, wie unten im<br />
Zusammenhang mit der im Gegensatz <strong>zu</strong>r Dezenz des Originals stehenden<br />
Anal-/Fäkal- bzw. Sexualsprache des ‚Übersetzers’ deutlich werden<br />
wird, erstaunlicherweise darin, dass er <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung’ ständig<br />
am Original ‚korrigiert’ (s. unten S. 42-45), sich also gewissermaßen<br />
kontraproduktiv <strong>zu</strong> seinem ihn enthusiastisch lobenden Auftraggeber<br />
(vgl. S. IV) verhält. Offenbar halten ‚Überträger’ und Verlag die Publikation<br />
einer ‚Übertragung’ und deren permanente Widerlegung in ein und<br />
demselben Buch für besonders originell. Statt dieses Unfugs hätte<br />
<strong>Schrott</strong> Mauritschs Richtigstellungen <strong>von</strong> vornherein übernehmen und<br />
dem Kommentar lediglich Sacherklärungen u. dgl. überlassen sollen.<br />
Wo Mauritsch solche gibt, sind sie dann allerdings nicht immer <strong>zu</strong>verlässig;<br />
17 an manchen Stellen vermisst man eine solche überhaupt; 18 <strong>zu</strong>-<br />
15 Apollodor, Bibl. 3,132; Epit. 3,6; <strong>Ilias</strong> 2,339-341; Hesiod F 204,(40)-(49); Stesichoros<br />
F 190 PMG; <strong>zu</strong>m Wert der Bibliotheke als genetisch älteste, d.h. auch vorhomerische<br />
Quelle für den griechischen Mythos s. Apollodor: Bibliotheke. Götter- und Heldensagen.<br />
Hg., übers. und komm. <strong>von</strong> P. <strong>Dräger</strong>, Düsseldorf und Zürich 2005, besonders S.<br />
882-891.<br />
16 So seine Homepage; vielleicht daher distanzierend <strong>zu</strong> 2,855: „(Pylaimenes) erlangte<br />
in Philologenkreisen einige Berühmtheit“ (meine Hervorhebung).<br />
17 Z.B. 2,715: Gatte der Alkestis ist Admetos, nicht Pelias (der ist ihr Vater); 2,816-877<br />
werden im Troer-Katalog nur 10 Kontingente gezählt (im Gegensatz <strong>zu</strong> den 16 im BK II<br />
2 S. 264 und dem komparativen Kommentar bei <strong>Dräger</strong>, Apollodor (wie Anm. 15) S.<br />
642; der Schiffskatalog S. 541 ist dagegen aus BK II 2 S. 146 [vgl. den komparativen<br />
bei <strong>Dräger</strong>, Apollodor S. 629f.] übernommen); 13,286 „gleich auf den feind <strong>zu</strong> stoßen“<br />
liegt bei migemenai keine „sexuelle Konnotation“ vor; 14,296 handelt es sich nicht um<br />
das Verbergen einer inzestuösen Beziehung zwischen Zeus und Hera. Auch der Kommentator<br />
weiß nicht zwischen Fichte (2,742f., Kaineus) und Tanne (�λ�τη: Apoll. Rhod.<br />
1,64; nach Akusilaos 2 F 22 ist der Vater Elatos) <strong>zu</strong> unterscheiden, s. unten S. 59-61.<br />
8
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
dem fehlen Quellenangaben <strong>zu</strong> wörtlichen Zitaten (z.B. 7,141; 17,210).<br />
Doch bietet er, die später folgende Gesamt-Inhaltsangabe (S. 623-631)<br />
ergänzend, auch Übersichten über größere Abschnitte der einzelnen<br />
Gesänge, nur leider für viele Gesänge unvollständig 19 und fehlerhaft. 20<br />
Im Übrigen enthält der Kommentar <strong>von</strong> Mauritsch dieselben Untugenden<br />
wie die ‚Übertragung’ seines Landsmannes <strong>Schrott</strong>: Er ist durchsetzt<br />
mit Austriazismen 21 und Verstößen gegen die deutsche Grammatik<br />
und Interpunktion 22 sowie übersät mit Druckfehlern. 23<br />
18 Z.B. 7,468 (<strong>zu</strong> Iason, Euneos, Hypsipyle, <strong>zu</strong>mal diese auch im Figuren-Index fehlen);<br />
<strong>zu</strong> 17,411 (<strong>Schrott</strong>: „dem tod seines geliebten.“ [gemeint: „Geliebten“: Irritations-<br />
Effekt der Kleinschreibung! s. unten S. 24-26] statt [so <strong>Homer</strong>]: ‚dass ihm der bei weitem<br />
liebste Gefährte <strong>zu</strong>grunde gegangen war’, <strong>von</strong> <strong>Schrott</strong> also offenkundig als Anspielung<br />
auf das später homoerotisch umgedeutete Verhältnis Achill / Patroklos verstanden,<br />
s. da<strong>zu</strong> Peter Mauritsch: Sexualität im frühen Griechenland. Untersuchungen<br />
<strong>zu</strong> Norm und Abweichung in den homerischen Epen, Wien 1992, S. 115-120, wo<br />
aber das Non liquet verursacht worden ist durch das Fehlen gerade der entscheidenden<br />
Stellen und Argumente, die hinwieder J. Latacz bringt, <strong>Homer</strong>-Ausstellungs-Katalog<br />
2008 [s. Anm. 47], S. 131 Anm. 24 <strong>zu</strong> <strong>Ilias</strong> 11,787 [Menoitios <strong>zu</strong> Patroklos: ‚der Ältere<br />
aber bist du’]: „Es gehört <strong>zu</strong> den Kuriositäten der jahrtausendealten <strong>Ilias</strong>-Rezeption,<br />
daß diese Stelle offensichtlich immer wieder überlesen oder jedenfalls verdrängt<br />
wurde, so daß sich auch heute noch hartnäckig der Irrglaube hält, Patroklos sei der<br />
Jüngere der beiden und Achilleus’ ‚Liebling’ gewesen. Von einer homoerotischen Beziehung<br />
der beiden verlautet bei <strong>Homer</strong> kein Wort. In 9.663-668 schläft Achilleus auf<br />
der einen Seite seines Zeltes [gemeint: Blockhütte] mit einer aus Lesbos stammenden<br />
Diomede, Patroklos auf der anderen Seite mit einer aus Skyros stammenden Iphis. In<br />
24.675 schläft Achilleus (wieder) mit Briseis. Der Anlaß des ganzen Epos, Achilleus’<br />
Trauer um die ihm entrissene Briseis, wäre ohne Sinn, wenn Achill und Patroklos für<br />
<strong>Homer</strong> mehr als nur Freunde wären“); Erklärungen des Kommentators vermisst man<br />
z.B. auch <strong>zu</strong> Hermes’ Beinamen δι�κτορος ᾿Αργεϊ��ντης (24,378: „der gott, der heras tugendwächter<br />
argos getötet hatte“; aber 24,432: „dessen szepter atreús dann an sich<br />
gebracht hat“; δι�κτορος beim 1. Vorkommen 2,103 weder übersetzt noch kommentiert)<br />
bzw. �ριο�νιος (24,440: „der den bruderzwist der atreíden ausgelöst hatte“; beim<br />
1. Vorkommen 20,72 <strong>zu</strong>sammen mit σ�κος übersetzt als „der sich tüchtig aufs glück<br />
verließ“, doch ohne Komm.; anders z.B. <strong>zu</strong> 2,158 Atrytone; 4,515 Tritogeneia).<br />
19 Es fehlen die Abschnitte 1,188-246; 304-611; 2,569-580; 3,1-145; 4,1-84; 5,166-<br />
240; 470-518; 590-710; 792-834; 11,804-848; 13,795-837; 23,257-261.<br />
20 Fehlerhafte Versangaben z.B. 1,147-303; 2,635-630; 2,843-850; 5,311-35130 [sic];<br />
5,835ff.; 6[1],160; 8,78-172; 9,308-429; 13,13-38; 16,35 (statt „13,35“); 19,137f.<br />
(„136f.“); 20,1-79; 21,24-138; 514-611; 22,398 (lies 397); Buchangabe [2]3,262-652.<br />
21 Z.B. „einlangen“ (statt „anlangen“: 9,182-224; 12,34-59); transitives „erinnern“<br />
(15,401f.; 22,360); „Bewerbe“ (statt „Wettbewerbe“: 23,259); „vergessen auf“ (15,491ff.;<br />
719-725; vgl. unten S. 52f. <strong>zu</strong> <strong>Schrott</strong>s Stil).<br />
22 Z.B. 8,198ff. („für Widerstand“; 8,213-265 („nachdem der [...] schickt“, s. unten S.<br />
52); 11,274 und 15,605f. („kosten“ mit Dativ: „kostete [...] einem Gegner“ – oder<br />
Austriazismus?); 2,356 und 23,474 (falsche deutsche Konjunktive). – Interpunktion<br />
z.B. 1,2; 1,101-187; 2,127; 2,393; 2,570; 4,85-219; 5,241-310; 748; 8,134f.; 12,163;<br />
309-328; 23,677; 24,53; 198.<br />
23 Z.B. S. 527; 1,200; 2,783; 861 („ersaufen“, ‚Übertragung’ „ersäufen“); 877; 3,201;<br />
3,409 (dolē statt doulē); 4,8f. (Alalkomenis statt -eis); 4,35f.; 4,101f. (lykogenēs statt<br />
lyke-); 5,151; 5,640ff.; 6,23; 8,53-77; 8,291 (lies „23,704f.“); 11,675; 718; 740; 13,286;<br />
14,291; 16,95; 173; 17,243; 19,136f. (doppelt falsches apeireisi statt apereisi’); 327;<br />
22,127; 478; 23,13 (Thetis ohne Genetiv-Apostroph).<br />
9
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
Der Abschnitt „Figuren der <strong>Ilias</strong>“ (S. 617-621) stellt eine Auswahl der<br />
über 700 namentlich genannten Figuren des Epos vor, qualifiziert nach<br />
vier Kategorien: (1) Figuren „auf achaischer [gemeint: ‚achaiischer’ oder<br />
‚achäischer’] Seite“ (A) – (2) einer älteren Generation angehörende Figuren<br />
(äG) – (3) Figuren auf troianischer Seite (Tr) – (4) troianische Bundesgenossen<br />
(trB). Hier gehört allerdings <strong>zu</strong>mindest der Theben-Kämpfer<br />
Adrestos 1 (Groß- und Schwiegervater des Troia-Kämpfers Diomedes)<br />
nicht auf die (in der <strong>Ilias</strong> agierende) achaiische Seite (S. 617: „(A)“),<br />
sondern wie z.B. Atreus, der Vater Agamemnons, <strong>zu</strong>r älteren Generation<br />
(äG). Was aber das Paradoxeste ist (und eine unverzeihliche Gedankenlosigkeit<br />
innerhalb einer vorgeblich wissenschaftlichen Arbeit darstellt):<br />
Anders als selbstverständlich im analogen Kapitel „Zum Figurenbestand<br />
der <strong>Ilias</strong>“ des Basler Gesamtkommentars (Prolegomena, S. 133-143; da<strong>zu</strong><br />
der „Figuren-Index“, S. 173-207) sind im hier vorliegenden Figuren-<br />
Index die Götter völlig ausgeklammert – obwohl dem Hauptverantwortlichen<br />
des Buches, <strong>Schrott</strong>, klar ist, dass „<strong>Homer</strong> [...] auf seiner Bühne<br />
zwei Ebenen ins Spiel (bringt). Im Schnürboden oben sieht man die Unsterblichen<br />
auf ihrem Olymp agieren - während unten die Kämpfenden<br />
jenen Handlungsraum aus<strong>zu</strong>nützen versuchen, der ihnen <strong>von</strong> den [...]<br />
Göttern gelassen wird“ (S. XV) – eine Einsicht, die für die Anlage des<br />
Buches keine Konsequenzen zeitigt: Der Leser muss sich die notwendigen<br />
Informationen über diejenigen Figuren, die strukturell die zweite<br />
der beiden Handlungsebenen des Plots bilden (<strong>von</strong> Zeus und Hera bis<br />
<strong>zu</strong> Thetis, Charis, Iris usw.), aus anderen Quellen <strong>zu</strong>sammensuchen.<br />
Hier beginnt bereits das kardinale Manko, das sich durch das ganze<br />
Buch hindurchzieht und an der Berechtigung des implizit ständig erhobenen<br />
wissenschaftlichen Anspruchs erste prinzipielle Zweifel weckt:<br />
die Undurchdachtheit. Wissenschaft bedeutet neben der selbstverständlichen<br />
Stringenz einer exakt belegten Argumentation auch die Fähigkeit<br />
<strong>zu</strong>r Errichtung eines lückenlos verfugten Gesamtbauwerks (Buches).<br />
Diese sucht man, wie sich zeigen wird, in der Fahrigkeit des hier vorliegenden<br />
Zusammenbastelns angelesener Informationsfragmente (‚Patchwork’<br />
im wahrsten Wortsinn) auf allen Ebenen vergebens. – Nur nebenbei<br />
(aber signifikant): Verweise wie „unten 12,127-194“ (S. 621 s.v. Polypóitēs)<br />
sind bei der Stellung des Figuren-Index am Ende des Bandes<br />
formal unsinnig; Druckfehler gibt es z.B. s.v. Nestor; Patroklos.<br />
Die ausführliche neunseitige Inhaltsangabe der <strong>Ilias</strong> (S. 623-631) fasst<br />
die 24 <strong>Ilias</strong>-Gesänge nützlich <strong>zu</strong>sammen, jeweils mit übersetztem anti-<br />
10
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
ken Titel und moderner Zeitbestimmung 24 („I. Buch: Die Seuche. Der<br />
Groll / 1.-21. Tag“ [S. 15 allerdings: „DIE PEST. DER GROLL“], bis<br />
„XXIV. Buch: Hektors Auslösung / 29. Abend bis 50. Tag“ – was bei<br />
<strong>Schrott</strong> stets in „51“ <strong>zu</strong> ändern ist, s. oben S. 5). Doch wie die ‚Übertragung’<br />
ist auch diese Inhaltsangabe überschwemmt <strong>von</strong> umgangssprachlichen<br />
Ausdrücken („Ruhe am Olymp, aufmüpfig [Wahrig: „ugs.“], verarzten,<br />
ins Gewissen reden, aushecken, <strong>zu</strong>r Höchst-/Hochform auflaufen,<br />
Leiche herrichten“) und die Kulturdifferenz nivellierenden Fremdwörtern<br />
(„Kampfmoral, Armee, massakrieren, formieren, Amoklauf,<br />
Ratsdebatte, kampieren, Kompromißvorschlag, Kompensationsgeschenke,<br />
Offerte, appellieren, kontrollieren, ausspionieren, triumphieren, isolieren,<br />
attackieren, intervenieren, Generalangriff, Patt, plädieren“ [<strong>zu</strong><br />
Verben auf -ieren s. unten S. 51]), da<strong>zu</strong> Grammatik- (IV, Kongruenz:<br />
„die Fortführung des Kampfes und die Zerstörung Troias wird beschlossen“),<br />
Interpunktions- (XXII) und Druckfehlern (XI: „Aiais“). Der falsche<br />
„50. Tag“ (XXIV) erscheint erneut, doch <strong>zu</strong>m letzten Mal.<br />
Damit schließen wir die Besprechung der Rahmenteile I und III ab und<br />
kommen <strong>zu</strong>m Kernstück des Buches (= Teil II), <strong>zu</strong>r <strong>Ilias</strong>-‚Übertragung’<br />
(S. 13-517): Als erstes (bezeichnendes) Beispiel sei das (erweiterte) Proömium<br />
(<strong>Ilias</strong> 1,1-10) vorgeführt, <strong>zu</strong>nächst in der flüssig lesbaren, <strong>zu</strong>m<br />
Klassiker gewordenen Überset<strong>zu</strong>ng Schadewaldts (s. oben Anm. 2), <strong>zu</strong>mal<br />
dessen ‚rhythmisierte Prosa’ nicht nur am ehesten mit <strong>Schrott</strong>s ‚flexiblen<br />
Rhythmen (s. unten S. 27f.) vergleichbar ist, sondern offensichtlich<br />
auch terminologisch Pate gestanden hat (meine Pentadenzählung):<br />
„Den Zorn singe, Göttin, des Peleus-Sohns Achilleus,<br />
Den verderblichen, der zehntausend Schmerzen über die Achaier<br />
brachte<br />
Und viele kraftvolle Seelen dem Hades vorwarf<br />
Von Helden, sie selbst aber <strong>zu</strong>r Beute schuf den Hunden<br />
(5) Und den Vögeln <strong>zu</strong>m Mahl, und es erfüllte sich des Zeus<br />
Ratschluß –<br />
Von da beginnend, wo sich <strong>zu</strong>erst im Streit entzweiten<br />
Der Atreus-Sohn, der Herr der Männer, und der göttliche Achilleus.<br />
Wer <strong>von</strong> den Göttern brachte sie aneinander, im Streit <strong>zu</strong><br />
kämpfen?<br />
24 Wohl gemäß J. Latacz (<strong>Homer</strong>. Der erste Dichter des Abendlands, 4., überarbeitete<br />
und durchgehend aktualisierte Aufl., Düsseldorf 2003, S. 132-150), wobei unklar ist,<br />
was <strong>von</strong> <strong>Schrott</strong>/Mauritsch und was <strong>von</strong> Latacz stammt).<br />
11
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
Der Sohn der Leto und des Zeus. Denn der, dem Könige zürnend,<br />
(10) Erregte eine Krankheit im Heer, eine schlimme, und es starben<br />
die Völker,“ | [...]<br />
Da auch Schadewaldt meinen semantischen Ansprüchen nicht immer<br />
genügt (s. unten S. 19f. <strong>zu</strong> µ�νιν – χολωθε�ς; ο�λοµ�νην – �λ�κοντo; da<strong>zu</strong><br />
dreimaliges „Sohn“ bei nur einmaligem υ��ς; „göttliche“ – „Göttern“ für<br />
δ�ος – θε�ν), sei der besseren Vergleichsmöglichkeit wegen die ‚philologische’<br />
Arbeits-Version des Rezensenten angefügt:<br />
‚Den Groll singe, Göttin, des Peleiaden Achilleus,<br />
den, der <strong>zu</strong>grunde gehen soll!, der unzählige Schmerzen für die<br />
Achaier schuf<br />
und viele kraftvolle Leben dem Hades hinschleuderte,<br />
<strong>von</strong> Helden, sie selbst aber <strong>zu</strong>r Beute machte für Hunde<br />
(5) und für Raubvögel <strong>zu</strong>m Festmahl – Zeus’ Wille aber erfüllte<br />
sich –,<br />
<strong>von</strong> da an, seitdem <strong>zu</strong>allererst auseinander traten, 25 zerstritten, die<br />
beiden:<br />
der Atride, der Herr der Männer, und der vortreffliche Achilleus.<br />
Wer denn also unter den Göttern hetzte die beiden im Streit<br />
<strong>zu</strong>m Kämpfen <strong>zu</strong>sammen?<br />
Letos und Zeus’ Sohn. Denn der, dem König zürnend,<br />
(10) erregte eine Krankheit über das Lager hin, eine schlimme, und<br />
<strong>zu</strong>grunde gingen die Leute,’ | [...]<br />
Dasselbe in <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung 26 (S. 15; pentadische Verszahlen immer<br />
<strong>von</strong> mir eingefügt, denn <strong>Schrott</strong> zählt nur in unübersichtlichen<br />
25er-Schritten):<br />
25 δια-στ�την ist offenbar bewusst pointiert gewählt: Es stellt die Voraussage der konkreten<br />
Aktion 1,304f. dar: ‚nachdem die beiden so mit gegenseitigen kräftigen (�ντιβ�οισι)<br />
Worten gekämpft hatten, / standen sie auf (�ν-στ�την) und lösten die Versammlung<br />
bei den Schiffen der Achaier auf’ (danach: ‚Achill ging dorthin, Agamemnon hierhin’:<br />
Dies ist das gerade<strong>zu</strong> demonstrativ visualisierte ‚Auseinandertreten’, das danach<br />
werkstrukturell realisiert wird durch die hier beginnende Zweiteilung in einen Achilleus-<br />
und einen Agamemnon-Strang, vgl. die Graphik, <strong>Homer</strong>-Katalog [wie Anm. 47],<br />
S. 119): Was bis hierhin vorausgeht, ist Vorgeschichte, fast wie ein Euripideischer Prolog.<br />
26 Der 1.-4. Gesang waren (ohne Vers-Zählung) in leicht variierter Fassung schon vorher<br />
im selben Verlag publiziert worden: <strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: Sieben Prämissen einer neuen<br />
Überset<strong>zu</strong>ng der <strong>Ilias</strong>, in: Akzente. Zeitschrift für Literatur Heft 3/2006, (S. 193-218),<br />
hier S. 202-218: Erster Gesang; Zweiter Gesang, ebd. Heft 4/2006, S. 333-356; Dritter<br />
Gesang, ebd. S. 453-465: Vierter Gesang (1), ebd. Heft 1/2007, S. 58-72 (gemäß 2006,<br />
S. 201 war eine Vorab-Veröffentlichung der einzelnen Gesänge der Reihe nach geplant);<br />
aus pragmatischen Gründen nenne ich schon hier die Anschluss-Artikel der<br />
12
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
„mēnin áeide, theá, peleiádeo achilēos<br />
ouloménen, hé myrí’ achaioīs álge’ étheken<br />
<strong>von</strong> der bitternis sing, göttin - <strong>von</strong> achilleús, dem sohn des peleús<br />
seinem verfluchten groll, der den griechen unsägliches leid brachte<br />
und die seelen zahlloser krieger hinab in das haus des hades<br />
sandte<br />
die blutvollen leben dann nur noch fleisch an dem die hunde<br />
fraßen<br />
(5) den vögeln ein festmahl - und wie zeus’ wille sich dadurch erfüllte<br />
...<br />
sing, muse, und beginn mit dem moment wo der göttliche achilleús<br />
sich in einem streit mit seinem kriegsherrn agamemnon entzweite.<br />
doch welcher der götter hatte sie gegeneinander aufgehetzt?<br />
es war apollon, zeus’ sohn mit leto: vor lauter ärger über agamemnon<br />
(10) hatte er im lager eine pest ausbrechen lassen die das heer dahinraffte;“<br />
Als – wie sich unten S. 56f. herausstellen wird: dekuvrierendes – Motto<br />
für <strong>Schrott</strong>s Art der ‚Übertragung’ sei programmatisch der erste Satz<br />
seiner Monographie „<strong>Homer</strong>s Heimat“ vorangestellt (Vorwort, S. 11): 27<br />
„Die <strong>Ilias</strong> umfaßt 15 693 Hexameter; um sie ins Deutsche <strong>zu</strong> übertragen,<br />
wälzt man Kommentare, Wörterbücher und Studien <strong>zu</strong> den<br />
einzelnen Stellen und vergleicht die vielen Überset<strong>zu</strong>ngen anderer,<br />
um auf den Sinn der Zeilen <strong>zu</strong> kommen und stimmige deutsche<br />
Sätze für sie <strong>zu</strong> finden.“<br />
Was ist denn nun der <strong>von</strong> <strong>Schrott</strong> offenbar vor allem aus den „vielen<br />
Überset<strong>zu</strong>ngen anderer“ erschlossene „Sinn“ <strong>zu</strong>mindest der ersten beiden<br />
„Zeilen“ (terminologisch falsch für ‚Verse’)? Im griechischen Original<br />
ist er klar: Der anonyme Sänger (Aoide) fordert die Göttin (Muse) auf,<br />
Diskussion <strong>Schrott</strong>-Latacz: J. Latacz: <strong>Homer</strong> übersetzen. Zu <strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>s neuer <strong>Ilias</strong>-Fassung,<br />
Akzente Heft 4, 2006, S. 357-383; <strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: Replik auf den Kommentar<br />
<strong>von</strong> Joachim Latacz in Heft 4, ebd., Heft 5/2006, S. 466-479.<br />
27 Abgesehen <strong>von</strong> kleingeschriebenem „nachdem“ eine der wenigen Seiten ohne Druck-<br />
oder Interpunktionsfehler; <strong>zu</strong> <strong>Schrott</strong>s Arbeitsweise s. z.B. S. 186 Anm. 8, wo <strong>Ilias</strong><br />
XXIII 826 als „XXII 82“ erscheint: Was mag erst bei Kontrolle der für den Durchschnittsleser<br />
(und Rez.) nur schwer nachprüfbaren orientalischen Literatur herauskommen?<br />
In der Bibliographie S. 415-425 werden im Übrigen Zeitschriften-Aufsätze<br />
grundsätzlich ohne Angabe der Seitenzahlen zitiert.<br />
13
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
vom (um <strong>zu</strong>nächst traditionell <strong>zu</strong> übersetzen:) „verderblichen“ 28 (Schadewaldt)<br />
/ „unheilbringenden“ (Hampe) / „ganz unsel’gen“ (Latacz) /<br />
„verfluchten“ (<strong>Schrott</strong>) Groll des Peleus-Sohnes Achilleus <strong>zu</strong> singen, d.h.<br />
ihn, den Sänger, <strong>zu</strong> inspirieren.<br />
Dagegen ist bei <strong>Schrott</strong>s Schreibweise „<strong>von</strong> der bitternis sing, göttin -<br />
<strong>von</strong> achilleús, dem sohn des peleús / seinem verfluchten groll“ der Sinn<br />
für jeden Normalleser unverständlich:<br />
(1) Zunächst versteht man: Eine Göttin soll <strong>von</strong> „der bitternis“ singen.<br />
Frage: <strong>von</strong> was für einer Bitternis?<br />
(2) Auf Klärung hoffend liest man weiter: „<strong>von</strong> achilleús, dem sohn des<br />
peleús“. Frage: In welchem Zusammenhang steht diese Angabe <strong>zu</strong> der<br />
„bitternis“?<br />
Möglichkeit 1: in gar keinem. In diesem Fall bleibt „<strong>von</strong> der bitternis“<br />
ungeklärt in der Luft hängen, und es wird statt einer Klärung ein zweiter<br />
Sangesgegenstand angekündigt: „<strong>von</strong> achilleús, dem sohn des peleús“.<br />
Die Göttin soll also (a) <strong>von</strong> einer Bitternis singen, (b) <strong>von</strong> Achilleus.<br />
Möglichkeit 2: „<strong>von</strong> achilleús, dem sohn des peleús“ ist die Fortset<strong>zu</strong>ng<br />
des „<strong>von</strong> der bitternis“. Dafür muss man allerdings den Gedankenstrich<br />
ignorieren (bei <strong>Schrott</strong>s systemloser Interpunktion unproblematisch)<br />
und verbinden: „<strong>von</strong> der bitternis [...] <strong>von</strong> achilleús, dem sohn des peleús“<br />
(soll die Göttin singen). Das „<strong>von</strong> achilleús“ stünde für ‚des achilleús’<br />
(= Kinder- oder ‚Prekariatssprache’, bei <strong>Schrott</strong> ebenfalls nichts<br />
Ungewöhnliches: ‚der Hut vom Vater’ – statt ‚der Hut des Vaters’’).<br />
(3) Dann aber liest man – aufgrund fehlender Interpunktion am Vers-<br />
Ende fließend in „Zeile“ 2 hinübergeleitet –: „seinem verfluchten groll“.<br />
Frage: wessen verfluchtem Groll? Stünde hinter „peleu/s Komma oder<br />
Doppelpunkt, könnte man „seinem verfluchten groll“ als erklärende Apposition<br />
<strong>zu</strong> ‚achilleús bitternis’ verstehen. Das würde bedeuten: Die Bitternis<br />
(des Achilleus) soll erklärend nuanciert werden durch ein zweites<br />
Gefühlswort: ‚Groll’.<br />
28 <strong>Schrott</strong> mokiert sich S. XXXII (und wiederholt dies in Interviews wie z.B. im März<br />
2009 auf 3sat trotz Widerlegung) über Rupés Überset<strong>zu</strong>ng <strong>von</strong> nouson [...] kaken 1,10<br />
als „verderbliche Seuche“ wegen der seiner Meinung nach passivischen Bedeutung<br />
<strong>von</strong> „verderblich“ (wie heute etwa in ‚(leicht)verderbliche Lebensmittel’) und fragt: „Eine<br />
Seuche mit Verfallsdatum?“; so schon in Sieben Prämissen (wie Anm. 26) S. 193.<br />
Doch s. <strong>zu</strong>r weit häufigeren aktivischen Bedeutung (~ ‚verderbenbringend’) Latacz: <strong>Homer</strong><br />
übersetzen (wie Anm. 26) S. 363-366; den im heutigen Hochdeutsch z.B. ganz geläufigen<br />
aktivischen ‚verderblichen Einfluss’ würde man sich passivisch gemäß<br />
<strong>Schrott</strong>s eigener These (Replik [wie Anm. 26] S. 467-469: „Das Verfallsdatum <strong>von</strong><br />
Überset<strong>zu</strong>ngen“) so schnell wie möglich für die Wirkung seiner ‚Übertragung’ auf unsere<br />
Sprachkultur wünschen ...<br />
14
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
(4) Es steht aber keine interpunktionelle Lesehilfe hinter V. 1. Also wird<br />
jedem unvoreingenommenen deutschsprachigen Leser das in bestem<br />
Ruhrpott-Slang (‚dem Vadda seine Tauben’) stehende Verständnis nahegelegt:<br />
Die Göttin soll <strong>von</strong> der Bitternis <strong>von</strong> Achilleus seinem verfluchten<br />
Groll singen (‚der Dativ ist dem Genetiv sein Tod’).<br />
Natürlich kann <strong>Schrott</strong> das so nicht gemeint haben. Aber er verhindert<br />
diese Auffassung nicht. Er sieht nicht, wie verständnisbehindernd, ja<br />
sinnvernichtend seine fehlende bzw. Privat-Interpunktion wirkt (s. unten<br />
S. 26 weitere Beispiele). Die Interpunktion ist <strong>von</strong> den Alexandrinern<br />
erfunden worden, um den in der Mündlichkeit durch Phrasierung<br />
vermittelten Sinn auch aus der toten Schriftlichkeit wenigstens approximativ<br />
hör- und verstehbar <strong>zu</strong> machen. Bei <strong>Schrott</strong>, der diese ihre<br />
Funktion entweder nicht versteht oder verachtet, erhält sie dagegen Beliebigkeits-Charakter<br />
und muss so als reine Manieriertheit erscheinen,<br />
die ein ‚Aha!!! Poesie!’ beim ehrfurchtsvollen Leser evozieren soll. Das<br />
Ergebnis ist katastrophal: Die ‚Übertragung’ schon des monumentalen<br />
ersten <strong>Ilias</strong>-Verses ist gänzlich missglückt. Dass sie <strong>Homer</strong> sprachlich<br />
unsäglich verschandelt, ist schon schlimm genug. Viel schlimmer aber<br />
noch: Sie lässt den Leser das vom Dichter gemeinte Thema gar nicht<br />
erst erkennen, <strong>zu</strong>mal das Thema-Wort (µ�νιν, „Groll“), das erste Wort<br />
der europäischen Literatur überhaupt, verflachend seiner Wucht beraubt<br />
wird durch das semantisch inadäquate „bitternis“ 29 (erst in V. 2<br />
folgt nachklappernd das im Original donnerkeilartig herniederfahrende<br />
Anfangswort „groll“; <strong>zu</strong> dessen emotionalem Bedeutungskern s. BK I 2,<br />
S. 12f.); der Eröffnungs-Paukenschlag des Originals – ‚GROLL singe,<br />
Göttin, (den Groll) des Peleus-Sohnes ACHILLEUS!’ – wird zerhackt<br />
(„<strong>von</strong> der bitternis sing, göttin - <strong>von</strong> achilleús, dem sohn des peleús /<br />
seinem verfluchten groll“) und bis <strong>zu</strong>r Unkenntlichkeit entstellt. Im Text<br />
steht kein alltags-griechisches �δ� µοι, � θε�, περ� τ�ς το� ᾿Αχιλλ�ως µ�νιδος,<br />
sondern hier ist ein Gestaltungswille am Werk, der eine bewusste<br />
Erhöhung vom Banalen ins Hochpoetische bewirkt. <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung’<br />
ist nicht nur ein Musterbeispiel für mangelndes Poetizitätsverständnis,<br />
sondern stellt sich auch als mangelnde Fähigkeit dar, einen<br />
Sachverhalt unmittelbar verständlich in der Muttersprache aus<strong>zu</strong>drü-<br />
29 Gemäß Duden, Bd. 8, s.v. homoionym mit ‚Verdrossenheit, Unlust, Unbehagen,<br />
Mißbehagen, Mißmut’; wenig besser der Vorabdruck, Prämissen (wie Anm. 26) S. 202,<br />
wo es mit synonymer Wiederholung des Thema-Wortes heißt: „sing, göttin, vom groll<br />
des achilleus, peleus’ sohn / seinem verfluchten zorn“; vgl. 6,45 das unglaubliche „da<br />
schlang ádrestos die arme um menélaos’ sein knie“ (der Genetiv-Apostroph ist gemäß<br />
<strong>Schrott</strong>s Ruhrpott-Slang ‚die Sorge um Klaus seine Tauben’ falsch; wenn schon<br />
falsch, dann wenigstens richtig falsch!).<br />
15
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
cken (<strong>Schrott</strong>s anhaltende Deutschlernversuche allein – s. unten S. 53f.<br />
– erklären das nicht). Jeder gutwillige Leser, der hinter dieser ‚Übertragung’<br />
einen um maximale Text- und Sinntreue bemühten Experten erwartet<br />
(<strong>zu</strong> einem solchen erklärt sich <strong>Schrott</strong> ja auch selbst, s. unten S.<br />
57), wird das resultierende Gestammel unweigerlich auf <strong>Homer</strong> übertragen.<br />
Damit hätte <strong>Homer</strong> bereits verloren. (Es sei ausdrücklich betont,<br />
dass wir mit dieser ‚Zerpflückungs-Analyse’ <strong>Schrott</strong>s Methode, mit<br />
den Überset<strong>zu</strong>ngen seiner Vorgänger um<strong>zu</strong>gehen (s. Anm. 28; 36), nur<br />
auf seine eigene ‚Übertragung’ anwenden – nur dass wir im Gegensatz<br />
<strong>zu</strong> <strong>Schrott</strong>s Zitierweise richtig zitieren.)<br />
Um <strong>Homer</strong> wieder in sein Recht <strong>zu</strong> setzen: <strong>Schrott</strong> hätte nur wie fast alle<br />
seine Vorgänger dem Duktus der griechischen Wörter <strong>zu</strong> folgen brauchen.<br />
Der Eingangssatz der <strong>Ilias</strong> ist gebaut wie eine archaische Tempelfront:<br />
links eine dorische Säule (GROLL) – rechts eine dorische Säule<br />
(ACHILLEUS), darüber der Giebel, in dessen Tympanon eingraviert ist<br />
SINGE, GÖTTIN! ‚Achilleus’ voran geht erklärend ‚des Peleiaden’; auf<br />
‚den Groll’ folgt qualifizierend im Enjambement gleichfalls als Anfangswort<br />
im zweiten Vers ‚den verderblichen’; <strong>zu</strong>r Semantik s. unten S. 20).<br />
Im Original steht also ein im wahrsten Sinne monumentaler (Wort-)Bau<br />
vor uns:<br />
SINGE, GÖTTIN,<br />
Den GROLL des Peleiaden ACHILLEUS,<br />
den verderblichen<br />
<strong>Schrott</strong> nennt sich nicht nur „Dichter“ (s. „<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 11: „mir<br />
auch als Dichter“) und redet im einleitenden Abschnitt dieser ‚Übertragung’<br />
(S. V-XL) ständig <strong>von</strong> „Poesie“, sondern ist auch ‚Komparatist’ (s.<br />
unten mit Anm. 46), also Literaturwissenschaftler. Wie kann jemand<br />
mit Anspruch auf solche Doppelkompetenz so gänzlich blind sein für<br />
poetisches Bauen (s. Lämmert, Bauformen des Erzählens; detailliert René<br />
Nünlist: Poetologische Bildersprache in der frühgriechischen Dichtung<br />
[‚Bauwesen, Hausbau’], Stuttgart/Leipzig 1998, S. 103-107)?<br />
Anhand des ersten <strong>von</strong> 15 693 <strong>Ilias</strong>-Versen wäre damit das Urteil über<br />
diese Art <strong>von</strong> „Übertragung“ im Grundsatz schon gesprochen. Diese Basis<br />
wäre freilich all<strong>zu</strong> schmal. Wir fahren also fort, konzentrieren uns<br />
jedoch auf Prinzipielles.<br />
16
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
(1) Verkennung der Autonomie des Originals:<br />
Die „Achaier“ des Originals werden bei <strong>Schrott</strong> didaktisch aufdringlich<br />
<strong>zu</strong> beliebigen „griechen“ (V. 2); die „göttin“ aus V. 1 wird in V. 6 <strong>zu</strong>r im<br />
Original nicht vorhandenen „muse“; der „Atride“ (V. 7) <strong>zu</strong> „agamemnon“;<br />
30 „Letos und Zeus’ Sohn“ (V. 9) umständlich erklärend und belehrend<br />
<strong>zu</strong> „es war apollon, zeus’ sohn mit leto“, und der „König“ (V. 9)<br />
wieder <strong>zu</strong> „agamemnon“. Diese explizit modernisierende Belehrungs-Intention<br />
– <strong>Schrott</strong>s erklärtes Arbeitsprinzip 31 – ist <strong>Homer</strong> natürlich fremd<br />
und daher mit allen aus ihr entsprungenen Wiedergaben 32 für etwas,<br />
30 Warum wird ᾿Ατρε�δης durch „agamemnon“ ersetzt? <strong>Schrott</strong>s (‚kontextbezogene’: s.<br />
unten S. 31-35) Ausdeutung würde doch in seinem Sinn passen (Prämissen [wie Anm.<br />
26] S. 200): „Agamemnon als ‚Sohn des Atreus’ <strong>zu</strong> bezeichnen, bringt immer seine<br />
brutale und zerrissene Familiengeschichte mit ein und erklärt damit <strong>zu</strong>sätzlich seine<br />
impulsiv aggressive Art. Das Epitheton tippt damit einen dem Publikum bekannten<br />
Hintergrund an, einen anderen Mythos – gleichsam als Vorform <strong>von</strong> Intertextualität“<br />
(dass das freilich reine Phantasie ist, zeigt Latacz, <strong>Homer</strong> übersetzen [wie Anm. 26] S.<br />
376).<br />
31 S. XXXIV: „Diese Fassung schreibt deshalb gewissermaßen als Metaversion mit, was<br />
wir jetzt [!] über den Text und seine Hintergründe wissen“; so schon Sieben Prämissen<br />
(wie Anm. 26) S. 197; programmatisch: Replik (wie Anm. 26) S. 475. Nach diesem<br />
Prinzip müssten wir z.B. in Goethes ‚Iphigenie’ I 1 („Wenn du [... / ...] / die Gattin ihm,<br />
Elektren und den Sohn, / die schönen Schätze, wohl erhalten hast ... [...]“) nach<br />
„Elektren“ gleich zeigefingerhebend in den Goetheschen Originaltext einen Plusvers<br />
einfügen: ‚(Elektra also, Agamemnons zweite Tochter, und Orest)’. Sollen wir in Zukunft<br />
die klassischen Texte der Weltliteratur durch Anbiederung an ein vermeintlich<br />
denkunfähiges Publikum tatsächlich in dieser Weise systematisch zerstören? Kein<br />
noch so schönklingendes theoretisches Räsonnement über die angebliche Notwendigkeit,<br />
„<strong>Homer</strong> <strong>von</strong> seinem Ufer ab<strong>zu</strong>holen, um ihn ins Heute <strong>zu</strong> bringen“ (S. XXXIII; vgl.<br />
etwa „Aspekte“ 5/2008, S. 474f. über eine „andere [!] Form der Texttreue“ [...] die „unsere<br />
heutigen Kenntnisse – <strong>von</strong> Wortetymologien über die Realien bis <strong>zu</strong>m archäologischen<br />
oder mythologischen Hintergrund – einarbeitet“) kann derartig demolierende<br />
Eingriffe in Original-Texte rechtfertigen. Was sich als joviale Fürsorge für den heutigen<br />
Leser ausgibt, ist in Wahrheit nicht nur Schändung des Autors, sondern auch Entmündigung<br />
des Lesers. Bei Goethe würde <strong>Schrott</strong> davor vielleicht noch <strong>zu</strong>rückschrecken.<br />
Antike Dichter aber sind für ihn schon seit der ‚Erfindung der Poesie’ (1997) abschussreifes<br />
und ausweidbares Freiwild (<strong>zu</strong>r ‚Erfindung der Poesie’ s. Leopold Federmair,<br />
Der große Poesie-Schwindel. Über <strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>s Erfindungen, in: Merkur<br />
6/2001, S. 495-508; <strong>zu</strong> <strong>Schrott</strong>s ‚Gilgamesh-Epos’ [2001] s. Stefan Maul, Sei ihm ein<br />
Rücken, ein Hügel. Vom Umgang des gelehrigen Lyrikers <strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong> mit der englischen<br />
Ausgabe eines babylonischen Epos, in: Literaturen 1/2, 2002, S. 62-64).<br />
32 Siehe z.B. 1,43: „der gott des lichts“ (für ‚Phoibos Apollon’; erneut so erläutert im<br />
Komm. Mauritschs: wo<strong>zu</strong>, wenn doch schon die ‚Metaversion’ einen Kommentar ersetzen<br />
soll? Wohin diese verkrampfte Methode überdies im Hinblick auf die Sachpräzision<br />
führen kann, beklagt Mauritsch selbst, z.B. im Komm. <strong>zu</strong> 4,105ff.: „bogen – in die<br />
Beschreibung der Herstellung des Bogens ist in der Überset<strong>zu</strong>ng Kommentarwissen<br />
[meine Hervorhebung] eingeflossen, er wird so – anders als im Text – <strong>zu</strong>m Kompositbogen“);<br />
aufgenommen 1,64, mit Farbwort-Spiel: „warum der sonst so lichte apollon in<br />
solch dunklen zorn geriet“ (statt hom. ‚warum Phoibos Apollon so sehr in Zorn geriet’);<br />
1,73: „mit der er (Kalchas) nun alles ins rechte licht <strong>zu</strong> rücken versuchte“ (statt hom.<br />
‚der aber, für sie auf das Rechte sinnend, fing an <strong>zu</strong> reden und sagte’); 1,268: „mischwesen<br />
aus pferd und mensch“ (im Original nur �ηρσ�ν; im Komm. da<strong>zu</strong>: „nicht im<br />
17
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
was „Übertragung“ sein will, einfach falsch: Für Belehrung bzw. Erklärung<br />
hat die alexandrinische Philologie bereits im 3. Jh. v. Chr. in Aufnahme<br />
offenbar uralter interlinearer Scholiasten-Erläuterungen ja gerade<br />
die Kommentare (Hypomnemata) erfunden; der Zweck dieser Erfindung<br />
ist es, den Wortlaut des Originaltextes in seiner Authentizität belassen<br />
<strong>zu</strong> können (implizit ja auch hier so: Wo<strong>zu</strong> sonst Mauritschs<br />
„Kommentar“?). Vermischung <strong>von</strong> Originaltext und Kommentar bedeutet<br />
Tod des Originals. Da ein Literaturwissenschaftler diese Elementarfakten<br />
eines literaturwissenschaftlichen Grundstudiums kennen dürfte,<br />
bleibt nur die Erklärung, dass er sie unter dem Vorwand, „das Original<br />
möglichst fußnotenfrei <strong>zu</strong>gänglich“ machen <strong>zu</strong> wollen (S. XXXIV), autokratisch<br />
vom Tisch wischt. Damit glaubt er dem Leser offenbar einen<br />
Gefallen <strong>zu</strong> tun. Er täuscht sich. Verfälschungen und Verunreinigungen<br />
des Originals, machten sie Schule, entzögen uns durch banalisierende<br />
Destruktion gerade das Authentische des Kunstwerks und machten uns<br />
dadurch unendlich viel ärmer. Zu solcher Simplifikation der Weltliteratur<br />
werden wir uns durch <strong>Schrott</strong> sicher nicht erlösen lassen.<br />
(2) Pointen-Verkennung:<br />
Weiter – um vergleichend nur noch das inhaltlich, stilistisch und semantisch<br />
Wichtigste <strong>zu</strong> nennen: (a) Bei <strong>Schrott</strong> „sandte“ der Groll „die<br />
seelen zahlloser krieger“ (so in Enallage und mit Auflösung des Hyperbatons<br />
statt ‚viele kraftvolle Leben [...] / <strong>von</strong> Helden’) <strong>zu</strong>m Hades, und<br />
„die blutvollen leben“ 33 sind dann (mit unterschlagenem Hauptprädikat<br />
Text; erläuternde Überset<strong>zu</strong>ng <strong>von</strong> phēres, das als älterer Name der Kentauren aufgefaßt<br />
wird“); 1,351: „thétis, die göttin der see“ (statt hom. ‚seine / liebe Mutter’, vgl.<br />
Komm.); 1,423-425 „strom am rande der welt [...] mit den brandgesichtern“ (Okeanos<br />
/ Aithiopen, vgl. Komm.); 2,107: „an seinen neffen agamemnon“ (hom. ‚ Agamemnon’;<br />
2,158 „die ungestüme tochter des herrn der stürme“ (Atrytone, vgl. Komm.,<br />
auch 10,284): 4,8 „meine athene, die ihre hand / über boiotien hält“ (Alalkomenis,<br />
vgl. Komm.); 4,101f. „herrn des lichts / [...] diesem wolfgott“ (beides für λυκηγεν�ς, vgl.<br />
Komm. <strong>zu</strong> falschem / erfundenem griechischen ghost-word lykogenēs; <strong>zu</strong>r Bedeutung<br />
<strong>von</strong> λυκηγεν�ς s. überdies LfgrE s.v.: „The context [...] points to ‚Lycian-born’“); 4,394f.<br />
(„angeführt <strong>von</strong> maíon haimonídes und autóphonos’ sohn polýphontes“ [falscher Akzent];<br />
ohne Meta-Version Zusatzvers im Zeigefinger-Gestus: „alles mörderische und<br />
blutdürstige figuren, wie schon ihr name sagt“; der Komm., der nur Autophonos und<br />
Polyphontes übersetzt, erkennt die Etymologie <strong>von</strong> Haimonides offenbar nicht);<br />
4,440f. (Deimos, Phobos, Eris; vgl. Komm.), usw. Diese integrierte Erläuterungs-Manie<br />
geht bis <strong>zu</strong>r Einfügung ganzer Verse, s. z.B. 5,765 (<strong>zu</strong> transkribiertem ageleíen): „sie<br />
(Athene) versteht ja etwas vom plündern, wie ich sehe ...“, womit das vorher lediglich<br />
lateinisch transkribierte griechische �γελε�ην ‚erläutert’ werden soll – was freilich kein<br />
des Griechischen unkundiger Leser der ‚Übertragung’ verstehen kann und auch Mauritschs<br />
Komm. ihm nicht wirklich klar macht: Hier führt die ganze zweigeteilte ‚Erläuterungsmethode’<br />
sich selbst ad absurdum.<br />
33 <strong>Schrott</strong>s „leben“ (4) stammt wohl aus Latacz (der es als Einziger richtig für das <strong>von</strong><br />
Voss bis Schadewaldt traditionell mit „Seele“ übersetzte ψυχ� verwendet – ψυχ� be-<br />
18
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
τε�χε [‚machte’] in syntaktischer Isolierung) „nur noch fleisch an dem die<br />
hunde fraßen“ (3f.). Die Pointe des Originals ist damit verkannt: Der<br />
Groll ‚schleuderte viele Leben’ <strong>von</strong> Helden [�ρωες, nicht einfach ‚Kriegern’]<br />
dem Hades hin’, ‚sie selbst [4 α�το�ς, nämlich die (toten) Helden,<br />
also die leblosen Körper, d.h. Leichname, nicht „die blutvollen leben“]<br />
aber machte er <strong>zu</strong>r Beute für Hunde’ (/ ‚und für Raubvögel <strong>zu</strong>m Festmahl’<br />
34 ). Der Gegensatz ‚Das Lebendige geht <strong>zu</strong>m Hades, <strong>zu</strong>rück bleibt<br />
das Tote’ (ein Glaubensdogma, an das später nicht nur Platon anknüpfen<br />
wird) bleibt unerkannt. (b) Das nach „Groll“ zweite Thema-Wort (2<br />
„singe“) wird mit besagtem erklärenden Zusatz ermüdend wiederholt (6<br />
„sing, muse, und beginn“). (c) Der Namen-Vers 7 (‚der Atride, der Herr<br />
der Männer, und der vortreffliche Achilleus’) ist im Original planvoll als<br />
monumental-geschlossene Einheit mit ‚sprechendem’ Chiasmus gestaltet<br />
und macht damit die polare Ent-Zweiung der beiden Protagonisten<br />
im wahrsten Wortsinn augenfällig. <strong>Schrott</strong> ‚überträgt’, auf zwei Verse<br />
aufgeteilt, unter Zerstörung der Parataxe und Vertauschung der Reihenfolge<br />
beider Namen (6f.): „wo der der göttliche achilleús / sich in einem<br />
Streit mit seinem kriegsherrn agamemnon entzweite“: Dass der<br />
Dichter hier den Graben zwischen diesen beiden Männern, also den<br />
Grundkonflikt des Werks, mit Worten ‚malt’ – diesseits steht der Atride,<br />
jenseits Achilleus –: Der „Dichter“ [„<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 11] <strong>Schrott</strong> sieht<br />
es nicht. Aus Bedeutsamem macht er Banales. Hat er keinerlei poetisches<br />
Gespür? (d) Das in der Frage des <strong>Ilias</strong>-Dichters vorkommende „im<br />
Streit“ (8, �ριδι) verliert durch Weglassung seinen assoziativen Be<strong>zu</strong>g<br />
<strong>zu</strong>m Participium coniunctum „zerstritten“ (6, �ρ�σαντε). (e) Der die Vorstufe<br />
<strong>zu</strong> Achills „Groll“ (1 µ�νιν) bildende, mit einem homoionymen Ausdruck<br />
eingeführte „Zorn“ (9 χολωθε�ς) Apollons ist verwässert <strong>zu</strong> „lauter<br />
ärger“ (9) – womit es <strong>zu</strong>m Aufbau einer Kausalkette gar nicht erst<br />
kommt (auf menschlicher Ebene ist der „Groll“ Achills gleichsam präfi-<br />
deutet bei <strong>Homer</strong> nie ‚Seele’), doch vermutlich <strong>von</strong> <strong>Schrott</strong> unverstanden, denn es<br />
steht statt in V. 3 erst in V. 4, während in V. 3 dann doch das falsche „seelen“ auftaucht;<br />
<strong>zu</strong>r Bedeutung <strong>von</strong> ψυχ� s. B. Snell: Die Entdeckung des Geistes, 4., neubearb.<br />
Aufl. Göttingen 1975, S. 18f.; Th. Jahn: Zum Wortfeld Seele–Geist in der Sprache<br />
<strong>Homer</strong>s, München 1987, S. 38; BK <strong>zu</strong> 1,3 (I 2 S. 16f.: „1. Lebensprinzip / wertvoller<br />
Besitz im lebenden Menschen“).<br />
34 Zu Zenodots richtigem δα�τα (statt Aristarchs π�σι) s. außer den Kommentaren (einschließlich<br />
BK) jetzt auch Ulrich <strong>von</strong> Wilamowitz-Moellendorff: <strong>Homer</strong>s <strong>Ilias</strong> (Vorlesung<br />
WS 1887/1888 Göttingen). Hg. und komm. <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong>, 2., ergänzte Aufl., Hildesheim<br />
2008, S. 190 (schon Wilamowitz, <strong>Homer</strong>ische Untersuchungen, Berlin 1884,<br />
20; 385f. – zitiert in BK I 2 S. 19); Latacz übersetzt, allerdings im Widerspruch <strong>zu</strong><br />
Wests Text (π�σι), <strong>zu</strong> Recht „<strong>zu</strong>m Bankett“ (offensichtlich musste man Wests Text für<br />
den BK unverändert übernehmen, so dass die Diskrepanzen im Text-/Überset<strong>zu</strong>ngs-<br />
Faszikel bestehen bleiben, dann aber im Komm.-Faszikel behandelt werden, vgl. da<strong>zu</strong><br />
BK I 1 S. XX Anm. 10).<br />
19
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
guriert durch den göttlichen „Zorn“ Apollons). 35 (f) Das Spannung erzeugende<br />
Hyperbaton (10 „eine Krankheit [...] eine schlimme“; vgl. 1f.<br />
µ�νιν [...] | ο�λοµ�νην) findet sich in dem reduzierten, durch nichts gerechtfertigten<br />
simplen (Fremdwort) „eine pest“ wieder. (g) Gänzlich verloren<br />
ist schließlich der (allerdings auch <strong>von</strong> anderen Übersetzern und<br />
Kommentatoren nicht gesehene) etymologisch-semantische Zusammenhang<br />
zwischen V. 2 (ο�λοµ�νην) und V. 10 (�λ�κοντο): „<strong>zu</strong>grunde gehen“<br />
soll der Groll, doch „<strong>zu</strong>grunde gingen“ die Leute (<strong>Schrott</strong> „verfluchte /<br />
dahinraffte“; Rupé „<strong>zu</strong>m Verhängnis / es sanken“; 36 Schadewaldt „verderblichen<br />
/ starben“; Hampe „Unheilbringenden / starben“; Latacz<br />
„ganz unsel’gen / <strong>zu</strong>grunde ging“).<br />
(3) Betonung und Aussprache <strong>von</strong> Eigennamen:<br />
Im Widerspruch <strong>zu</strong> aller Tradition steht auch die Betonung der Eigennamen<br />
in der ‚Übertragung’, die S. XL folgendermaßen begründet wird:<br />
„Die Schreibweise der Namen richtet sich nach dem Altgriechischen,<br />
nicht nach ihrer latinisierten oder eingedeutschten Form. Dies ist auch<br />
für die Betonungsakzente [! Tautologie] maßgeblich, die dort entfallen,<br />
wo die Namen in ihrer richtigen Aussprache geläufig sind“. So erklären<br />
sich zwar einerseits monströs geschriebenes „achilleús“ und „peleús“<br />
(später auch „héphaistos“), andererseits „agamemnon“ und „apollon“<br />
(später auch „hera“); aber dann hätte z.B. auch „letó“ statt „leto“ geschrieben<br />
werden müssen. 37 – Im Übrigen bedeutet der Akzent (Akut)<br />
auf dem -u- in Achilleús und Peleús noch lange nicht, dass <strong>Schrott</strong> die<br />
griechische Akzentuierung verstanden hätte (‚Bei Diphthongen setze<br />
35 Der Titel meines Buches „Die Argonautika des Apollonios Rhodios: Das zweite Zorn-<br />
Epos der griechischen Literatur“ (München 2001) ist nur deshalb so gewählt, weil<br />
„Groll-Epos“ m.E. doch etwas sonderbar klänge; s. dort S. 1 Anm. 2; S. 67 Anm. 189<br />
<strong>zu</strong>r Unterscheidung <strong>von</strong> µ�νις – χ�λος bzw. Groll – Zorn und Ähnlichem; s. auch Latacz,<br />
<strong>Homer</strong> (wie Anm. 24) S. 91f. und BK I 2 S. 13.<br />
36 <strong>Schrott</strong> mokiert sich S. XXXII über Hans Rupés Tusculum-Überset<strong>zu</strong>ng (s. auch<br />
oben Anm. 28), macht sie aber durch fehlerhaftes Zitieren (richtiger zitiert in: Sieben<br />
Prämissen [wie Anm. 26] S. 193) <strong>zu</strong>nächst einmal schlechter, als sie ist, um sie danach<br />
herunterputzen <strong>zu</strong> können (V. 10 beginnt bei Rupé nicht mit metrisch falschem<br />
„Er sandte“, sondern richtig mit „Sandte“, und hinter „Heer“ setzt Rupé ein – <strong>von</strong><br />
<strong>Schrott</strong> ‚vergessenes’ – Komma; V. 45 steht bei Rupé nicht wie bei <strong>Schrott</strong> doppelt falsches<br />
„der Bogen und ringsverschlossene Köcher“, sondern „den Bogen und ringsverschlossenen<br />
Köcher“, teilweise bereits 2006 moniert <strong>von</strong> Latacz, <strong>Homer</strong> übersetzen<br />
[wie Anm. 26] S. 363, <strong>von</strong> <strong>Schrott</strong> – trotz seiner explizit anerkennenden Replik (wie<br />
Anm. 26) – hier in der ‚Übertragung, zwei Jahre später, nicht einmal beachtet; da<strong>zu</strong><br />
kommt falsche Datierung Rupés („in den 1960er Jahren“, statt richtig 1922, ebenfalls<br />
bereits moniert <strong>von</strong> Latacz a.O.; so sieht offenbar die ‚neue <strong>Schrott</strong>sche Wissenschaftlichkeit’<br />
aus: Texte werden fehlerhaft zitiert, Berichtigungen dieser Fehler werden ignoriert).<br />
37 Stets falsch betont (statt „epeiós“) wird „epeíos“ (23,664, 690, 694, 838, 839); 9,668<br />
muss es „enyeús“ heißen.<br />
20
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
den Akzent auf den zweiten Vokal!’): 38 Wer <strong>Schrott</strong> live (wie der Rez. in<br />
Trier im Sommer 2008), im Fernsehen (wie der Rez. im März 2009 in<br />
3sat) oder Radio gehört hat, weiß, dass er nicht weiß, dass die uns geläufige<br />
(wenn auch eigentlich falsche) 39 Aussprache der griechischen<br />
Personennamen-Endung -eus im Deutschen ‚-ois’ lautet (wie ‚Alois’);<br />
<strong>Schrott</strong> dagegen denkt, er müsse das als ‚Achille-us’ (wie lateinisch réus<br />
‚Angeklagter’) aussprechen (vgl. 6,436 „<strong>von</strong> idomeneos“; spricht er vielleicht<br />
auch ‚Ze-ús’ statt ‚Zois’ und ‚Odysse-ús’ statt ‚Odyssois’ aus?<br />
Schon hier stellt sich die Frage der professionellen elementaren Altgriechisch-Sprachkompetenz).<br />
– Zu weiteren Eigenwilligkeiten (Kleinschreibung,<br />
besonders in Verbindung mit rudimentärer Interpunktion; durch<br />
Rhythmik bedingte Elisionen) siehe, um den Gedankengang nicht all<strong>zu</strong><br />
lange <strong>zu</strong> unterbrechen, unten S. 24-28 beim nächsten Text-Beispiel).<br />
(4) (Verunglückte) Transkriptionen aus dem Griechischen:<br />
<strong>Schrott</strong>s Übertragung vorangestellt sind zwei aus dem Original transkribierte<br />
Verse (1,1f.); solche Paare sind insgesamt ca. 110 Mal eingestreut;<br />
allein der Musen-Anruf <strong>zu</strong> Beginn des Schiffskatalogs wird sogar<br />
einer Tetrade gewürdigt (2,484-487), alles kursiv gesetzt. Außer einem<br />
weiteren Buchanfang (2,1f.) und einem zweiten (2,761f.) der sechs Musen-Anrufe<br />
der <strong>Ilias</strong> handelt es sich stets um eine Rede-Einleitung (siehe<br />
unten mein nächstes Text-Beispiel 1,573f.). Statistisch gesehen, entfielen<br />
so auf jeden Gesang vier bis fünf transkribierte Doppelverse (im<br />
Deutschen mitunter auf drei Zeilen erweitert, z.B. 5,765f.). Die Wirklichkeit<br />
sieht anders aus: Spitzenreiter mit zweistelligem Vorkommen<br />
sind die Bücher 5 (17 Stellen) und 8 (11 Stellen); am anderen Ende der<br />
Skala stehen die Bücher 10 und 23 (je eine Stelle) bzw. die Bücher 6, 9<br />
(trotz seiner Reden-Tetras!) und 12, die gänzlich <strong>von</strong> solchen erratischen<br />
Einsprengseln verschont sind. Wie bei anderen Eigenheiten dieser<br />
‚Übertragung’ noch häufiger, lassen sich Verteilungsprinzip, Zweck<br />
und Sinn dieser Arabesken (trotz S. XL: „Das Druckbild der Zitate ist<br />
symbolisch <strong>zu</strong> verstehen“ [?]) nicht erkennen (in <strong>Schrott</strong>s Sprache: Es<br />
ist eine gschupfte Spielerei) – ganz abgesehen da<strong>von</strong>, dass derartiges<br />
Pseudo-Griechisch auch für den Fachmann nur schwer lesbar ist, <strong>zu</strong>mal<br />
in Kursive (z.B. 1,518f.), und häufig auch fehlerhaft wiedergegeben<br />
wird: 40 Soll – wenn schon keine Kenntnis der griechischen Sprache vor-<br />
38 In Sieben Prämissen sowie Zweiter Gesang (beide wie Anm. 26) steht er (neben anderen<br />
Errata) noch regelmäßig auf dem ersten Vokal, z.T. fehlerhaft auch noch in der<br />
‚Übertragung’ (s. unten Anm. 40).<br />
39 Vgl. Latacz, <strong>Homer</strong> (wie Anm. 24) S. 205 (4. Aufl.: S. 209).<br />
40 Z.B. 1,207 (páusousa falsch akzentuiert); 1,362 (kláieis falsch akzentuiert; fehlendes<br />
Fragezeichen am Vers-Ende); 1,451 (argyrotox ohne Apostroph; ámphibébekas mit<br />
21
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
<strong>zu</strong>liegen scheint (siehe unten S. 54) – wenigstens Kenntnis der griechischen<br />
Buchstaben vorgetäuscht werden? 41 Falls dies <strong>zu</strong>trifft, ist der<br />
Versuch gründlich misslungen. Die unkorrigiert gebliebene Fehlerhaftigkeit<br />
zeigt genau das Gegenteil: dass wirkliche Griechisch-Kenntnis<br />
nicht vorliegen kann. Damit ist die Ursache für <strong>Schrott</strong>s Unverständnis<br />
der <strong>Homer</strong>ischen Poesie gefunden. Ohne gründliche Kenntnis der Originalsprache<br />
kann eine adäquate Überset<strong>zu</strong>ng eines Textes aus welcher<br />
Sprache auch immer nie <strong>zu</strong>stande kommen.<br />
Die nächste Passage habe ich ausgewählt, weil <strong>Schrott</strong> (S. XXXVII f.:<br />
„Epitheta“) auch mit ihr, ohne sie explizit <strong>zu</strong> nennen, <strong>zu</strong> argumentieren<br />
versucht); enthält sie doch alle Untugenden seiner ‚Übertragung’ nicht<br />
nur in nuce, sondern auch in cumulo, 1,565-585 (Streit Zeus/Hera);<br />
aus bestimmten Gründen (Rhythmik, s. unten S. 27f.) übersetze ich<br />
nicht selbst, sondern zitiere gleich Schadewaldt:<br />
(565) „Aber setz dich nieder in Schweigen und gehorche meinem<br />
Wort!<br />
Kaum werden dir sonst helfen, so viele da Götter sind im Olympos,<br />
Wenn ich dir nahe komme und die unberührbaren Hände an dich<br />
lege!’<br />
So sprach er. Da fürchtete sich die Kuhäugige, die Herrin<br />
Here,<br />
Und sie setzte sich schweigend nieder und bändigte ihr Herz.<br />
(570) Und aufgebracht waren im Haus des Zeus die Götter, die<br />
Uranionen.<br />
Doch unter ihnen begann Hephaistos, der kunstberühmte, mit den<br />
Reden,<br />
zwei Akzenten); 1,518 (échthodopēsaí mit drei Akzenten); 1,519 (epeéssin falsch akzentuiert);<br />
1,540 (lies symphrássato); 1,541 (lies emeū); 1,573 (oud ohne Apostroph); 2,1<br />
(hippokorýstai falsch akzentuiert); 2,2 (héudon falsch akzentuiert); 2,158 (de ohne Akzent);<br />
5,383 (dómat ohne Apostroph); 8,358 (oūtós statt hoūtós); 11,186 hektori ohne<br />
Akzent; 11,187 (agamemnona ohne Akzent); 11,200 hektor ohne Akzent; 13,48 (mnesaménó<br />
2. Akzent statt Längezeichen); 14,195 (onogen statt ánogen; 14,244 (zwei Akzente<br />
auf aieígenetáon); 15,15 (hektora ohne Akzent); 18,361 (falscher Akzent auf tòn);<br />
19,9 (damásthé 2. Akzent statt Längenzeichen); 20,17 (mermrízeis statt mermerízeis);<br />
20,332 und 21,358 (ōde statt hōde); 24,34 (hektor ohne Akzent).<br />
41 Die Transkriptionen der ersten beiden Gesänge stammen wohl <strong>von</strong> Latacz, danach<br />
<strong>von</strong> Visser, schließlich <strong>von</strong> Mauritsch (s. S. IV, XXXIV; genauer [alle wie Anm. 26]: Sieben<br />
Prämissen S. 201; Replik S. 479; vgl. Latacz, <strong>Homer</strong> übersetzen S. 362); sie<br />
wurden allerdings teilweise fehlerhaft gedruckt (s. oben Anm. 40). Dass der ‚Überträger’<br />
<strong>Schrott</strong> diese Druckfehler in den Fahnen nicht korrigiert hat, lässt nur den<br />
Schluss <strong>zu</strong>, dass er kein Griechisch kann („oūtós“ statt „hoūtós“ und „ōde“ statt „hōde“<br />
enthüllen, dass er – aber auch das Verlags-Lektorat – nicht einmal die Bedeutung<br />
des Spiritus asper kennt).<br />
22
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
Seiner Mutter <strong>zu</strong> Gefallen, der weißarmigen Here:<br />
‚Wirklich! heillose Dinge sind das und nicht mehr erträglich!<br />
Wenn ihr zwei der Sterblichen wegen derart streitet<br />
(575) Und vor den Göttern ein Gezänk aufführt! Und gar keine<br />
Freude<br />
Wird mehr sein an dem guten Mahl, wenn das Gemeinere obsiegt!<br />
Der Mutter rede ich <strong>zu</strong>, wenn sie es auch selbst erkennt,<br />
Unserem Vater <strong>zu</strong> Gefallen <strong>zu</strong> sein, dem Zeus, daß nicht wieder<br />
Der Vater streite und uns das Mahl <strong>zu</strong>sammenwerfe.<br />
(580) Denn ist er gewillt, der Olympier, der blitzeschleudernde,<br />
Uns <strong>von</strong> den Sitzen <strong>zu</strong> stoßen – er ist ja der bei weitem Stärkste.<br />
Aber gehe du ihn an mit freundlichen Worten!<br />
Gleich wird uns dann der Olympier wieder gnädig sein!’“<br />
So sprach er und sprang auf, und den doppelt gebuchteten<br />
Becher<br />
(585) Legte er seiner Mutter in die Hände und sagte <strong>zu</strong> ihr:“<br />
Dasselbe in <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung’ (S. 32f.): 42<br />
(565) „bleib nur still sitzen auf deinem thron und tu, was<br />
ich dir sag;<br />
ich warne dich: die andren götter werden dir keine hilfe sein;<br />
muß ich denn wirklich erst aufstehen und dir ein paar<br />
langen?<br />
da weiteten sich heras augen nun, diesmal aber vor angst;<br />
sie biß sich auf die <strong>zu</strong>nge, ihre ellenbogen weiß am sessel -<br />
(570) und die himmelsgötter waren wie vor den kopf geschlagen.<br />
einzig der für seine geschicktheit bekannte héphaistos ergriff<br />
das wort und kam seiner mutter hera gedankenschnell <strong>zu</strong> hilfe:<br />
ē dé loígia érga tad’ éssetai, oud et’ anektá<br />
ei dé sphó héneka thnetōn eridaíneton hōde<br />
was für ein schwarzer tag! 43 nicht aus<strong>zu</strong>halten daß ihr euch<br />
42 Leicht variiert (vgl. unten Anm. 51) gegenüber Sieben Prämissen (wie Anm. 26) S.<br />
217.<br />
43 Kurz vorher (1,518) wurde dieselbe, gleichfalls transkribierte Wendung „ē dé loígia<br />
érg’“ ‚übersetzt’ mit „himmelherrgottnocheinmal!“ Schier unglaublichen Einfallsreichtum<br />
bzw. Phantastik entwickelt <strong>Schrott</strong> bei Wiedergabe der Interjektionen, z.B. (nur<br />
sporadisch Notiertes) � µοι [�γ�] (11,404 „verdammt!“; 24,201 „bist du verrückt!“), �<br />
π�πον (6,55 „du weichei“), besonders und unter Zuhilfenahme <strong>von</strong> Austriazismen bei �<br />
π�ποι (2,157 „ojoijoi!“; 5,714 „was ein desaster“; 8,201 „was ist bloß los“; 352 „was für<br />
eine katastrophe!“; 427 „wenns so ist“; 14,49 / 17,629 / 23,782 „verdammt“; 15,185<br />
23
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
wie zwei dohlen streitet, bloß wegen ein paar sterblicher -<br />
(575) und alles in einen ehekrieg ausartet daß einem beim<br />
essen<br />
der appetit vergeht vor dem, was da jetzt in der luft liegt ...<br />
der mutter werde ich gut <strong>zu</strong>reden - sie weiß es ja am besten<br />
daß sie <strong>zu</strong> unsrem vater nett sein muß, damit er nicht wieder<br />
in seine schimpfereien ausbricht und uns dieses fest verdirbt.<br />
(580) denn hat ers wirklich drauf angelegt, unser blitzeschleuderer<br />
haut er uns <strong>von</strong> unseren hockern - der ist ja weit stärker als<br />
wir.<br />
nein - sei lieber nett <strong>zu</strong> ihm und schmier ihm honig ums<br />
maul:<br />
du wirst sehen, bald ist er wieder unser grundgütiger alter<br />
zeus!<br />
sagte es, stand auf, reichte ihr einen schönen becher mit zwei<br />
henkeln<br />
(585) und redete dann weiter ganz besänftigend auf seine mutter<br />
hera ein:“<br />
(5) Kleinschreibung/rudimentäre Interpunktion:<br />
Zunächst <strong>zu</strong>m Äußeren, das hier exemplarisch kenntlicher wird als<br />
oben S. 13 im Proömium (1,1-10). Nicht nur ein Verstoß gegen jede<br />
deutsche Rechtschreibung, auch pädagogisch-didaktisch, d.h. mit Blick<br />
auf Schüler und Studenten als erwünschtes und sicher angestrebtes<br />
Zielpublikum, sondern grundsätzlich für das Verständnis gerade<strong>zu</strong> katastrophal<br />
ist die Marotte ‚durchgängige Kleinschreibung’, negativ verstärkt<br />
durch die nur rudimentär vorhandene Interpunktion. Der erste<br />
Grund für die Kleinschreibung ist wohl biographisch bedingt, d.h.<br />
durch <strong>Schrott</strong>s Schulbesuch in Tunesien, mit den Unterrichtssprachen<br />
Französisch und Arabisch. 44 Wenn <strong>Schrott</strong> aber als sich selbst so nennender<br />
Dichter (Lyriker) und Schriftsteller (Romancier) dieser Manie<br />
frönt, mag das mit seiner – gleichfalls biographisch bedingten – Vorliebe<br />
„ich glaubs einfach nicht!“: 15,286 „was sagt man da<strong>zu</strong>! ich glaube es einfach nicht“;<br />
16,745 „schau schau!“; 20,293 „eijeijei!“; 344 „ja gibts denn das?“; 21,54 „na, wen haben<br />
wir denn da?“; 229 „schande über dich“; 420 „bist du blind?“; 22,373 „da schau<br />
her!“; 23,103 „ach!“; mitunter wird es gar nicht wiedergegeben, z.B. 22,297). Analoges<br />
gilt auch für δαιµ�νιος (1,561; 6,326; 486; 521; 13,810; 24,194).<br />
44 Vgl. das Interview <strong>Schrott</strong>s mit dem Bayerischen Rundfunk (http://bronline.de/alpha/forum/vor0603/20060313.shtml),<br />
über seine Schulzeit in Zürich:<br />
„Dort bin ich kurz in die Schule gegangen“; in Tunis: „Lesen und schreiben gelernt<br />
habe ich quasi zweigeteilt: vormittags Französisch und nachmittags Arabisch“ (S. 2); s.<br />
auch Anm. 46.<br />
24
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
für den Dadaismus 45 <strong>zu</strong>sammenhängen. Dass <strong>Schrott</strong> aber als habilitierter<br />
„Komparatist“ bzw. „Sprachwissenschaftler“ 46 konsequent kleinschreibt,<br />
zeugt <strong>zu</strong>nächst einmal <strong>von</strong> Unkenntnis der Geschichte der<br />
deutschen Rechtschreibung (s. die Zusammenfassung <strong>von</strong> Lutz Götze:<br />
‚Zur Geschichte der Rechtschreibung’, in: Wahrig. Die deutsche Rechtschreibung,<br />
Gütersloh/München 2006, S. 33-39): Die Unterscheidung<br />
Groß- / Kleinschreibung hatte Hieronymus Freyer 1722 („Anweisung<br />
<strong>zu</strong>r Teutschen Orthographie“) empfohlen, Johann Christoph Gottsched<br />
1748 und Johann Christoph Adelung 1774-1786 hatten sie übernommen<br />
(Götze S. 34: „Seit Gottsched ist <strong>zu</strong>dem die Großschreibung der<br />
Substantive Norm“); Jacob Grimm wollte durchgehende Kleinschreibung,<br />
setzte sich aber damit nicht durch; Konrad Duden machte dann<br />
1880 diese Unterscheidung verbindlich, die auch die neueste ‚Reform’<br />
und ‚Reform’ der ‚Reform’ so belassen haben (allerdings mit vielen Fehlern<br />
und Inkonsequenzen); einig waren sich alle Reformer jedenfalls<br />
darin, im Deutschen „das vertraute Schriftbild nicht all<strong>zu</strong>sehr an<strong>zu</strong>tasten<br />
und den Bedürfnissen sowohl der Schreiber- als auch der Lesergruppe<br />
Rechnung tragen <strong>zu</strong> müssen“ (Meyers Neues Lexikon s.v. Rechtschreibung).<br />
Ignoriert <strong>Schrott</strong> aber die deutsche Schreibgeschichte (<strong>von</strong><br />
der griechischen ganz <strong>zu</strong> schweigen: <strong>Homer</strong> schrieb in Kapitalis 47 – im<br />
Gegensatz <strong>zu</strong>r unter Laien verbreiteten Meinung), bleibt als Erklärung<br />
nur eine Manieriertheit, die poetische ‚Erhabenheit’ und ‚Anderssein gegenüber<br />
der Masse’ signalisieren soll: Es ist bloße äußerliche (formale)<br />
45 Siehe da<strong>zu</strong> im Interview (wie Anm. 44) S. 1 (<strong>Schrott</strong>s Wohnung im Hause <strong>von</strong> Max<br />
Ernst); S. 9f. (der Interviewer [„die Hochstapelei war ja auch ein Mittel, das die Dadaisten<br />
gerne angewandt haben, um den Literatur- und Kunstbetrieb <strong>zu</strong> persiflieren“] über<br />
<strong>Schrott</strong> als „Sekretär <strong>von</strong> Philippe Soupault [1897-1990], dem letzten waschechten<br />
Dadaisten“); in der „Habilitationsschrift Innsbruck“ (s. Anm. 46) S. 138: „Die Dokumentationen<br />
über Dada, die ich vorlegte“ (<strong>Schrott</strong>s Dissertation [Innsbruck 1988] trägt<br />
den Titel ‚Dada 1921 – 1922 in Tirol’).<br />
46 Das wird nie so richtig klar, vgl. in dem in Anm. 44 genannten Interview: „Weil ich<br />
ja auch komparatistisch ausgebildet bin“ (S. 7); „Daß ich Sprachwissenschaftler bin,<br />
ist nicht ganz richtig, ich bin einfach habilitiert am Institut für vergleichende Literaturwissenschaften<br />
an der Universität in Innsbruck“ (S. 8f.). Und so verzeichnet der österreichische<br />
Zentralkatalog als „Habilitationsschrift Innsbruck“ folgendes dem Rez.<br />
vorliegendes Sammelsurium: <strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>, Fragmente einer Sprache der Dichtung,<br />
Graz 1997, wo sich <strong>Schrott</strong> S. 118f. (Teil III: „Biographisches“) auch über „diese weltweit<br />
einzigartige Großschreibung des Deutschen“ auslässt: „Und auch die Kleinschreibung<br />
der Zeilen [scil. bei meinen ersten literarischen Versuchen] kam wohl daher, daß<br />
dies in den 70ern noch gang und gäbe war [...] Von der Schule [wohl in Tunis: s. oben<br />
Anm. 44] her war für mich die Kleinschreibung das Normale“.<br />
47 Siehe das Beispiel <strong>von</strong> Rudolf Wachter im Troia-Katalog (Troia – Traum und<br />
Wirklichkeit. Begleitband <strong>zu</strong>r Ausstellung in Stuttgart, Braunschweig und Bonn, hg,<br />
<strong>von</strong> M. Korfmann, Latacz [u.a.], Stuttgart 2001), S. 80 Abb. 84; vgl. im <strong>Homer</strong>-Katalog<br />
(<strong>Homer</strong>. Der Mythos <strong>von</strong> Troia in Dichtung und Kunst, hg. <strong>von</strong> Joachim Latacz [u.a.],<br />
München 2008), S. 68 Abb. 7.<br />
25
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
Nachahmung ‚großer Dichter’, 48 vielleicht in Anlehnung an den Dadaismus.<br />
Es geht aber um die Einheitlichkeit der Schriftkultur, gerade in<br />
einem Buch, das sich an eine möglichst große Leserschaft richtet und<br />
<strong>Homer</strong> breit <strong>zu</strong>gänglich machen will – und dann ist die Benut<strong>zu</strong>ng<br />
durchgängiger Kleinschreibung ein Kardinalfehler, denn sie erschwert<br />
permanent das Verständnis nicht nur unerträglich, sondern ist auch<br />
ein radikales Abschreckungsmittel.<br />
Aber noch mehr: Wie gerade die Kleinschreibung in Verbindung mit der<br />
rudimentären Interpunktion auch <strong>zu</strong> Verständnisschwierigkeiten führen<br />
kann, zeigen außer obiger (1,1f.: s. S. 14f.) ungezählte andere Stellen<br />
(/ = Vers- bzw. Zeilen-Ende), z.B. „rüstet euch - denn einmal im<br />
kampf wirds keine pausen geben“ (2,386); „ihre grate / schrofen<br />
[österr.: ‚Felsklippen’] und die tiefen rinnen im klaren, endlos <strong>von</strong> oben<br />
/ herabsackenden äther“ (8,557f.); „hörst du auf uns länger schwierigkeiten<br />
<strong>zu</strong> machen“ (10,453); „gleißte seine rüstung so auf / das licht<br />
dieses dritten tages der schlacht bis <strong>zu</strong>m himmel / widerspiegelnd“<br />
(11,43-45); „wie ein zottliger [statt α�θωνα, ‚glänzender’] löwe / den bauern<br />
am land mit ihren Hunden / vom rinderpferch verjagen“ (11,548f.)<br />
oder „wir müssen <strong>zu</strong> ihm / versuchen den leichnam <strong>zu</strong> achilleús <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>bringen“<br />
(17,120f.). Ein schlichtes Komma wäre jeweils hilfreich<br />
gewesen. Doch hat <strong>Schrott</strong> offensichtlich nicht begriffen, dass ein geschriebener<br />
Text nicht ein gesprochener Text ist, der beim live-Deklamieren,<br />
im Fernsehen, Radio oder auf CD nach entsprechender Einstudierung<br />
vielleicht richtig phrasiert wird; aber die Interpunktion ist ja<br />
seit den Alexandrinern gerade <strong>zu</strong> dem Zweck eingeführt worden, um einen<br />
geschriebenen Text wenigstens approximativ hör- bzw. verstehbar<br />
<strong>zu</strong> machen. Dass <strong>Schrott</strong> durch weitgehende Ignorierung ausgerechnet<br />
dieser Verständnishilfe seine eigene Intention, <strong>Homer</strong> „ins Heute <strong>zu</strong><br />
bringen“ (s. Anm. 31), eklatant konterkariert, bemerkt er offensichtlich<br />
nicht (der naheliegenden Vermutung, dass er das System der deutschen<br />
Interpunktion grundsätzlich ohnehin nicht beherrscht, gehen wir hier<br />
nicht weiter nach).<br />
(6) Elisionen:<br />
Jeder Übersetzer, einschließlich unserer Klassiker, <strong>von</strong> Voss (1793, <strong>Ilias</strong>)<br />
bis Latacz (2000-2008) arbeitet, um einen bestimmten Rhythmus <strong>zu</strong><br />
erzielen, mitunter auch nur der Euphonie wegen, in Übereinstimmung<br />
48 Vgl. etwa „Unterm Sternbild des Hercules. Antikes in der Lyrik der Gegenwart.“ Hg.<br />
<strong>von</strong> Bernd Seidensticker und Peter Habermehl, Frankfurt am Main 1996, z.B. S. 137,<br />
142, 177f. usw.<br />
26
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
mit dem originalen <strong>Homer</strong> und seiner dichtersprachlichen Vorgänger-<br />
Tradition mit Elisionen; selbst das Nebeneinander elidierter und nichtelidierter<br />
grammatisch identischer Formen ist natürlich <strong>zu</strong>lässig (s. Duden,<br />
Wahrig). In der Meinung, er ‚übertrage’ rhythmisch (S. XXXV, doch<br />
s. sogleich), verfährt auch <strong>Schrott</strong> so (in obiger Passage z.B. 565 „ich<br />
[...] sag“ neben 566 „ich warne“; 578 „unsrem vater“ neben 581 „<strong>von</strong><br />
unseren hockern“ usw.). Auch 580 „hat ers [...] drauf angelegt“ (statt „er<br />
es darauf“; 11,53) mag man noch durchgehen lassen (wenn auch besser<br />
mit Apostroph: „er’s“, s. Duden s.v. Apostroph, K 14: „Wie du’s haben<br />
willst“). Doch solche Synizese zweier Wörter ohne das übliche Anzeigen<br />
der Elision durch Apostroph führt häufig <strong>zu</strong> optisch ungewöhnlichen<br />
Junkturen (z.B. 10,361 „unds“; 10,536 „sinds“; 11,407 „überläufts“;<br />
11,843 „sahs“; 15,708 „bei dems“; 17,536 „ders“), bis <strong>zu</strong> monströsen,<br />
verständnis-schädigenden Auswüchsen wie z.B. „aufn schultern“<br />
(2,259), „ergriff [...] wieders wort“ (2,433), „ers nest“ (12,222), „bis sies<br />
müde sind“ (18,281), „nochs werkzeug“ (18,409), „daß einems herz“<br />
(19,229), „erst wenns schicksal“ (20,337), „ausm“ (21,492), „ihms“<br />
(21,551), „mir schlägts herz“ (22,451). Solche – über das seit <strong>Homer</strong><br />
selbst rhythmusbedingt Übliche hinausgehenden – Elisions-Exzesse bilden<br />
ein abscheuliches Lesehindernis.<br />
(7) Rhythmik:<br />
Sucht man nach einer Erklärung für all diese Verschrobenheiten, ist<br />
diese allenfalls kryptisch S. XXXV <strong>zu</strong> finden (S. XXXIV f. „Hexameter“<br />
[der übrigens für <strong>Schrott</strong> laut S. XXXIX aus einem „Block <strong>von</strong> drei Daktylen“<br />
besteht]), wo <strong>Schrott</strong> sich <strong>zu</strong> seiner „Fassung“ unter hochgegriffenem<br />
Vergleich mit Beethovens Eroica folgendermaßen äußert:<br />
„Das schwebende Klangereignis, das die antike griechische<br />
Poesie ist, läßt sich durch unseren starr fixierenden Hexameter<br />
ebensowenig wiedergeben wie die symphonische Dynamik <strong>von</strong><br />
Beethovens Eroica durch die Monotonie eines Metronoms. Um ähnlich<br />
abwechslungsreich <strong>zu</strong> erklingen, bedient diese Fassung sich<br />
einer flexiblen Rhythmik, die jedoch weder ungebunden noch frei<br />
ist. Ihre formale Strenge gewinnt sie den typographischen Präsentationsmustern<br />
der Verse ab: um sich dennoch singen <strong>zu</strong> lassen<br />
und mit ihren Tempowechseln der Musikalität des Originals<br />
wenigstens etwas näher<strong>zu</strong>kommen.“<br />
Also sollen die Zeilen typographisch wie Verse aussehen und sich in<br />
verschiedenen Tempi singen lassen? Man versuche es einmal! Der Rez.<br />
27
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
weiß nicht so recht, ob er eine solche ‚Definition’ nur ‚unverständlich’<br />
oder gleich hanebüchenen Unsinn nennen soll; letztlich zeigt sie, dass<br />
der „Dichter“ („<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 11) und ‚Übersetzer’ <strong>Schrott</strong> grundsätzlich<br />
nicht begriffen <strong>zu</strong> haben scheint, was Rhythmus ist, s. Duden,<br />
Fremdwörterbuch s.v.: „geregelter, harmonischer Wechsel <strong>von</strong> langen<br />
und kurzen, betonten und unbetonten Silben, besonders in der Versdichtung“;<br />
Wahrig, Fremdwörterlexikon s.v.: „Absichtlich gestaltete, in<br />
gleichen zeitlichen Abständen wiederkehrende Gliederung <strong>von</strong> Elementen<br />
der Tonstärke, -höhe und Bewegung in Tanz, Musik und Sprache“;<br />
ferner daselbst: „freie Rhythmen: reimlose, durch kein bestimmtes Versmaß<br />
und nicht an eine Strophenform gebundene, stark rhythmisch bewegte<br />
Verszeilen“ (was auch immer der Autor dieser Definition sich unter<br />
‚stark rhythmisch bewegt’ vorstellt). Die ‚Wikipedia’ stellt unter<br />
‚Verslehre’ zwar fest („Unregelmäßige Verse“): „Auch die moderne Lyrik<br />
verzichtet häufig auf die klassischen poetischen Mittel <strong>von</strong> Reim und<br />
Versmaß und verwendet den freien Vers, der im 19. Jahrhundert in<br />
Frankreich als vers libre entwickelt wurde. Durch den völligen Verzicht<br />
auf die Regeln der Metrik nähert sich der freie Vers der Prosa an.“ Der<br />
Rez. vermag jedoch in <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung’ weder <strong>von</strong> einer ‚ungebundenen’<br />
noch ‚freien flexiblen Rhythmik’ noch <strong>von</strong> einem ‚freien Vers’<br />
etwas <strong>zu</strong> erkennen – ganz im Gegensatz <strong>zu</strong> Schadewaldts Rhythmisierung,<br />
auf deren Charakteristika („in ungebundenen, freien Rhythmen“)<br />
49 <strong>Schrott</strong> offensichtlich in seiner Negierung („Rhythmik, die jedoch<br />
weder ungebunden noch frei ist“) anspielt. Rhythmus ist aber nun<br />
einmal eine der integrativen Grundkonstituenten antiker Dichtung. Infolgedessen<br />
bedeutet seine Ignorierung in einer ‚Übertragung’ antiker<br />
Dichtungen letztlich eine Entpoetisierung der Original-Intention des<br />
Dichters – es sei denn, man übersetzt bewusst resignierend <strong>von</strong> vornherein<br />
in Prosa, wie z.B. Schadewaldt, Odyssee („ein erhebliches Opfer<br />
gebracht“: Erstauflage 1958, S. 323), oder bemüht sich (wie der Rez. in<br />
seinen Überset<strong>zu</strong>ngen), Semantik, Stilfiguren, Wortstellung etc. des Originals<br />
nach<strong>zu</strong>bilden). Daher – wenn schon nicht Schadewaldts rhythmisierte<br />
Prosa – denn doch lieber Rupés, selbst Voss’ Hexameter (Vorlage<br />
Rupés) oder Latacz’ Jamben! 50<br />
49 Siehe oben Anm. 2; ähnlich verschwommen bei <strong>Schrott</strong>, Sieben Prämissen (wie<br />
Anm. 26) S. 196: „flexiblere Rhythmen [...] innerhalb typographischer Grenzen nun“;<br />
Replik (wie Anm. 26) S. 469 „flexible (und nicht ungebunden freie!) Rhythmik“; vgl.<br />
auch Latacz’ Überset<strong>zu</strong>ngsvorwort, BK I 1 S. XVII-XX sowie dens.: <strong>Homer</strong> übersetzen<br />
(wie Anm. 26) S. 367-369.<br />
50 Vgl. ‚Die Zeit’ vom 11. September 2008: „Und tatsächlich: Während <strong>Schrott</strong>s Überset<strong>zu</strong>ng,<br />
die auf Verse verzichtet, oft wie eine nacherzählende Lesebuchversion daherkommt,<br />
entfalten Latacz’ Verse große Sprachmagie.“<br />
28
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
(8) Typographisches Absetzen <strong>von</strong> Reden:<br />
Unser letztes Textbeispiel zeigt auch, dass die Reden (ab 1,17) durch<br />
Einrücken abgesetzt sind (oben 1,565; 573), vermutlich nach dem –<br />
narratologischen Gründen verpflichteten – Vorbild des Basler Gesamtkommentars<br />
(erwähnt <strong>von</strong> Mauritsch S. 528; doch vgl. oben Anm. 41).<br />
Doch geht <strong>Schrott</strong> noch einen bzw. zwei Schritte weiter, indem er in Reden<br />
mitgeteilte Reden erneut absetzt, so dass es bis <strong>zu</strong> dreifacher treppenförmiger<br />
Abstufung kommt (I-III, S. 36f.), z.B. 2,8 (I: Zeus redet <strong>zu</strong>m<br />
Traumgott); 2,28 (II: Agamemnon teilt in einer Rede an die Heeresversammlung<br />
die Rede des Traumgottes mit); 2,65 (III: In seiner <strong>von</strong> Agamemnon<br />
an die Heeresversammlung mitgeteilten Rede gibt der Traumgott<br />
vor, eine Botschaft <strong>von</strong> Zeus <strong>zu</strong> überbringen); ähnlich z.B. 2,223;<br />
4,178; 6,164; 9,254; 11,786. Nur ist das an sich didaktisch löbliche<br />
Verfahren methodisch wie so oft nicht konsequent durchgehalten, und<br />
zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen sind nicht alle der 666 Reden der<br />
<strong>Ilias</strong> eingerückt, sondern auch ohne Einrückung in einfache Anführungszeichen<br />
gesetzt (z.B. die Reden in Reden 6,460f.; 7,89f.; 7,301f.;<br />
16,839f.; 23,576-578; doch fehlt dann z.B. 22,498); <strong>zu</strong>m anderen sind<br />
‚postmodern’ ( ~ ‚beliebig’) aus abhängigen Aussagen wörtliche Reden<br />
geworden, die dann kursiv gedruckt sind (z.B. 2,152-154; 11,47;<br />
23,130; 24,608f.; ohne Kursivierung z.B. 6,208-210); überhaupt wird<br />
die Wirkung der Kursive (ab 1,41), vor allem bei Gegensätzen, wie in der<br />
Basler Überset<strong>zu</strong>ng durch <strong>zu</strong> starke Anwendung aufgehoben (z.B.<br />
1,132-183, S. 19f.), und das Kursivieren <strong>von</strong> Wortteilen (z.B. 2,115)<br />
sollte wissenschaftlichen Abhandlungen vorbehalten bleiben. Da<strong>zu</strong><br />
kommt, dass in Reden mitunter Exempla eingerückt sind (z.B. in der<br />
Phoinix-Rede 9,434-605 die Meleagros-Erzählung 9,529-599; andererseits<br />
nicht in der Nestor-Rede 11,655-803 die Episode 671-761). Zudem<br />
hätte bei Einrückung direkter Reden <strong>zu</strong>r Vermeidung unnötiger Verwirrung<br />
auf das zwecks Absatz-Gliederung übliche Einrücken der ersten<br />
Zeile (s. 1,8, oben S. 13; vgl. <strong>Schrott</strong> S. 31) verzichtet werden müssen.<br />
(9) Trivialisierung und Infantilisierung der Diktion:<br />
Doch verlassen wir die Formalien und kommen <strong>zu</strong>m Wesentlichen, dem<br />
– sich auch im Stilistischen manifestierenden – Inhaltlichen! Da fällt<br />
<strong>zu</strong>nächst einmal eine unsägliche Trivialisierung bzw. Infantilisierung<br />
der Diktion in dieser – im Original bei allem Übermut die Grenzen wahrenden<br />
– Szene auf, die – <strong>zu</strong>mal in ihrer Vulgarisierung – über 24 Bücher<br />
nur schwer aus<strong>zu</strong>halten ist: „muß ich denn wirklich [...] dir ein<br />
29
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
paar langen“, 51 „alles in einen ehekrieg ausartet daß einem beim essen<br />
der appetit vergeht“, „haut er uns <strong>von</strong> unseren hockern“, „schmier ihm<br />
honig ums maul“; 52 da<strong>zu</strong> eine – im wahrsten Sinne – hemdsärmelige,<br />
stil-unangemessene ‚Jovialisierung’: „<strong>zu</strong> unsrem vater“, „unser blitzeschleuderer“<br />
und „unser grundgütiger alter zeus“. Das ist nicht <strong>Homer</strong>ischer<br />
Olymp, sondern <strong>Schrott</strong>sche bzw. Ekel-Alfred-Wohnküche.<br />
(10) Rede-Ein- und -Ausleitungsformeln:<br />
Weiter: Obige Passage enthält die Ausleitung der Rede des Zeus (568),<br />
Einleitung der Rede des Hephaistos (571) und ihre Ausleitung (584),<br />
verbunden mit Einleitung seiner Anschluss-Rede (585). Mit dieser aus<br />
der Oral poetry stammenden, noch heute <strong>von</strong> serbokroatischen Guslaren<br />
angewandten Technik bezeichnet <strong>Homer</strong> trotz inzwischen erfundener<br />
Schriftlichkeit bekanntlich nur Anfang und Ende der Figuren-Rede;<br />
kann er doch nicht bei jeder neuen Figur ihre Sprache irgendwie nachahmen<br />
(dann wäre er Stimmen-Imitator wie die heutigen Fernseh-<br />
Comedians), sondern bleibt in seinem normalen Singsang und bezeichnet<br />
nur Anfang und Ende der Figuren-Rede durch Eingangs- und Abschluss-Formeln,<br />
die die Funktion der heutigen Anführungszeichen haben.<br />
53 Doch aus diesen macht <strong>Schrott</strong> Folgendes: 568 (<strong>Homer</strong>: ‚So<br />
sprach er’) wird gar nicht übersetzt; 571 (<strong>Homer</strong>: ‚begann <strong>zu</strong> reden’) „ergriff<br />
/ das wort und kam seiner mutter hera gedankenschnell <strong>zu</strong> hilfe“<br />
(571f.), 584 (<strong>Homer</strong>: ‚So nun sprach er’) „sagte es“, 585 (<strong>Homer</strong>: ‚und<br />
sagte <strong>zu</strong> ihr’) „und redete dann weiter ganz besänftigend auf seine mutter<br />
hera ein“. Formal korrekt ist nur 584; bereits Interpretation ist 585;<br />
ganz inakzeptabel wird es 571: „gedankenschnell“ ist offensichtlich<br />
zweite Überset<strong>zu</strong>ng des 571 stehenden κλυτοτ�χνης (‚berühmt durch<br />
seine Kunstfertigkeit’, <strong>Schrott</strong>: „der für seine geschicktheit bekannte“, s.<br />
unten S. 32), während das eigentlich dorthin (572) gehörige λευκ�λενος<br />
(Schadewaldt „der weißarmigen“) offenkundig nach 569 („ihre ellenbogen<br />
weiß am sessel“; <strong>Homer</strong>: ‚und saß ruhig da, das eigene Herz bezwingend’)<br />
vorgezogen worden war. 54 <strong>Schrott</strong> also glaubt, die – als altes Erb-<br />
51 In Sieben Prämissen (wie Anm. 26) S. 217 hieß es wörtlicher: „handgreiflich werden“<br />
(<strong>Homer</strong>: ‚falls ich meine unsäglichen Hände an dich lege’) und (drastischer): „was da<br />
durch die Luft fliegt“ (<strong>Homer</strong>: ‚wenn das Schlechtere siegt’).<br />
52 Verteidigt in Sieben Prämissen S. 197; Replik S. 474 („Drastik und Verstoß gegen<br />
das Dekorum“, s. unten S. 45f.); <strong>zu</strong>r Umgangssprache s. z.B. schon S. XXIX der ‚Übertragung’:<br />
„Ging so zwar das Wissen um den Autor verschütt“.<br />
53 Siehe BK Prolegomena (S. 159-171: „<strong>Homer</strong>ische Poetik in Stichwörtern“) S. 168 s.v.<br />
REDE-EINLEITUNG und -ABSCHLUSS. – Z.B. Hemingways „Er sagte: ‚[...]’ – Sie sagte:<br />
‚[...]’ – Er sagte: ‚[...]’ – Sie sagte: ‚[...]’“ ist natürlich eine Manieriertheit, da er ja<br />
schreibt; bei einem mündlichen Sänger ist es das nicht.<br />
54 Vom Komm. nicht bemerkt, der <strong>zu</strong> 572 gar nichts und <strong>zu</strong> 569 nur schreibt: „Heras<br />
Epitheton ‚weißellbogig’ wird hier im Text nicht erwähnt“; vgl. noch 1,595 (<strong>Homer</strong>: ‚So<br />
30
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
gut aus der improvisatorischen Mündlichkeitsphase stammenden – stehenden<br />
Wendungen als stehende Wendungen wieder<strong>zu</strong>geben sei heutigen<br />
Lesern nicht <strong>zu</strong>mutbar. Hoffentlich verfällt der Verlag nicht auf die<br />
Idee, ihn auch noch die Bibel „ins Heute übertragen“ <strong>zu</strong> lassen! Kaum<br />
aus<strong>zu</strong>denken, welche kabarettistischen Sprachverkrampfungen dann<br />
aus stehenden Wendungen wie ‚Gott der Herr aber sprach’ entstünden<br />
und uns <strong>zu</strong> Lachanfällen zwängen ...<br />
(11) Verkennung der Epitheta-Funktion:<br />
Damit sind wir nach den Formelversen der Ein- und Ausleitung einer<br />
Rede beim formelhaften Beiwort (seit Gottfried Hermann: Epitheton ornans),<br />
55 das in <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragungs’-Methode als „kontextgebunden“<br />
und „dynamisch“ eine zentrale Rolle spielt und auf das er viel Mühe<br />
und Phantasie verwendet. 56 Zu welchen Verkrampfungen die Umset<strong>zu</strong>ng<br />
dieses Fehlverständnisses führt, sei an den beiden in obiger Passage<br />
vorkommenden Epitheta (568 βο�πις; 571 κλυτοτ�χνης) gezeigt.<br />
(a) βο�πις, ein generisches, in der zeitgenössischen Kunst als ‚großäugig’<br />
gedeutetes Schönheits-Epitheton Heras, 57 ‚überträgt’ <strong>Schrott</strong> 1,568 mit<br />
„da weiteten sich heras augen nun, diesmal aber vor angst“ und kommentiert<br />
es S. XXXVII („Zu dieser Fassung“: „Epitheta“): „In der überwiegenden<br />
Anzahl der Fälle zeigt sich, daß <strong>Homer</strong> sie [die Epitheta] kontextbezogen<br />
verwendet. [...] Staucht Zeus seine Gattin Hera <strong>zu</strong>sammen,<br />
indem er sie das erste Mal [1,551] aus der Fassung bringt, ihr beim<br />
zweiten Mal [1,568] aber - nachdem er ihr Schläge androht - Angst einjagt,<br />
heißt es jedesmal stereotyp: ‚und die kuhäugige Hera erwiderte<br />
ihm’ [das ist falsch! <strong>Homer</strong> sagt in 1,568 ausdrücklich: ‚So sprach er.<br />
Und in Furcht geriet die großäugige Herrin Hera’; <strong>von</strong> ‚erwidern’ ist hier<br />
gerade nicht die Rede, <strong>Schrott</strong> versteht seinen Selbstwiderspruch nicht].<br />
Auf die Situation bezogen erhält dieses starre Bild jedoch jedesmal ei-<br />
sprach er, und es lächelte die Göttin, die weißarmige Hera’, <strong>Schrott</strong>: „hera lächelte,<br />
streckte ihren vor edler blässe weißen arm aus“, da<strong>zu</strong> der Komm.: „unschwer als Interpretation<br />
des Epithetons leukōlenos ‚mit weißen armen, weißellbogig’ erkennbar“;<br />
mit „edler Blässe“ gibt <strong>Schrott</strong> allerdings <strong>zu</strong> verstehen, dass ihm wohl vermittelt worden<br />
ist, die Blässe sei Zeichen des Adels, da vornehme Frauen nicht in der beißenden<br />
Sonne arbeiten mussten; ähnlich 21,377: „mit den so hehren weißen armen“).<br />
55 Gottfried Hermann: De iteratis apud <strong>Homer</strong>um, Leipzig 1840 (Opuscula VIII 11-23);<br />
vgl. unten Anm. 62.<br />
56 <strong>Ilias</strong> S. XXXVII f. („Epitheta“); schon vorher immer wieder mit denselben ermüdenden<br />
Beispielen: Sieben Prämissen S. 199f.; Replik (wie Anm. 26) S. 475-479; „<strong>Homer</strong>s<br />
Heimat“ S. 109-111; dagegen Latacz, <strong>Homer</strong> übersetzen (wie Anm. 26) S. 372-382.<br />
57 Vgl. BK <strong>zu</strong> 1,551, mit Verweis auf LfgrE; Prolegomena S. 162 s.v. Epitheton. Überset<strong>zu</strong>ngen:<br />
(mit π�τνια) „hoheitblickende“ (Voss); „farrenäugige“ (Rupé); „kuhäugige“<br />
(Schadewaldt); „rinderäugige“ (Hampe); „mit den großen Augen“ (Latacz).<br />
31
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
nen anderen Gesichtsausdruck: <strong>zu</strong>erst macht sie ihm noch ungläubig<br />
große Augen; dann weiten sich diese vor Angst.“ Ohne auf diese Umdeutung<br />
ein<strong>zu</strong>gehen, bemerkt der Kommentar in gespielter Objektivität,<br />
d.h. philologischer Unbedarftheit, <strong>zu</strong> 551 („worauf ihm seine gattin hera<br />
ihre treuherzigsten kuhaugen machte“): „oft der Hera beigeschriebenes<br />
Epitheton; wie weit die Griechen den Blick <strong>von</strong> Kühen als treuherzig<br />
empfanden, entzieht sich unserer Kenntnis“, und <strong>zu</strong> 568 („da weiteten<br />
sich heras augen nun, diesmal aber vor angst“): „eine weitere Facette<br />
<strong>von</strong> Heras ‚Kuhäugigkeit im Text.“ – 20,309 z.B. ist dieselbe Hera bei<br />
<strong>Schrott</strong> „kalten augs“ (Komm. [fälschlich <strong>zu</strong> 20,308] korrigierend: „Hera<br />
ist weiterhin boōpis ‚kuhäugig’“).<br />
(b) κλυτοτ�χνης (‚berühmt durch seine Kunstfertigkeit’), ein distinktives<br />
Epitheton nur für den Schmiedegott, 58 ‚überträgt’ <strong>Schrott</strong> 1,571f. nicht<br />
nur traditionell mit „der für seine geschicktheit bekannte“, sondern<br />
auch mit „gedankenschnell“; darauf (bzw. auf 607 περικλυτ�ς, ‚ringsum<br />
berühmt’) bezieht sich offenkundig S. XXXVII f.: „Dem antrainierten Assoziationsvermögen<br />
jedes Dichters gemäß ruft <strong>Homer</strong> jene Epitheta<br />
wach, die für seine jeweilige Aussage <strong>von</strong> Bedeutung sind. Selbst wenn<br />
diese Konnotationen nicht unmittelbar im Vers realisiert werden, so<br />
klingen sie doch spätestens in der nächsten oder übernächsten Zeile [!]<br />
mit [...]; steht Hephaistos seiner Mutter geschickt <strong>zu</strong>r Seite [1,585], wird<br />
er kurz darauf als gewandter Handwerker betitelt [607f., Schadewaldt:<br />
„der ringsberühmte Hinkende, / [...] mit kundigem Sinn“; <strong>Schrott</strong>: „dem<br />
ideenvollen stammvater derer, die ihr handwerk verstehn“].“ Zur eigenwilligen<br />
Deutung <strong>von</strong> 571 „gedankenschnell“ schweigt der Komm., <strong>zu</strong><br />
607 gibt er die traditionelle Erklärung.<br />
Ein weiteres, immer wieder <strong>von</strong> <strong>Schrott</strong> angeführtes Beispiel 59 für ‚kontextbezogene’<br />
Verwendung eines Epithetons: Der ‚mit den Füßen<br />
schnelle’ (π�δας �κ�ς) bzw. ‚fußschnelle’ (ποδ�κης) bzw. ‚fußstarke’ (ποδ-<br />
�ρκης) Achilleus wird nicht nur körperlich ‚kontextualisiert’ (π�δας �κ�ς<br />
1,58: „da trat achilleús schon mit einem schnellen schritt in ihre mitte“,<br />
ähnlich 19,56; ποδ�ρκης 1,121: „achilleús jedoch stemmte die arme in<br />
die hüfte und hielt dagegen“; π�δας �κ�ς 19,145: „juckte es achilleús <strong>zu</strong><br />
58 Siehe BK, Prolegomena (S. 159-171: „<strong>Homer</strong>ische Poetik in Stichwörtern“) S. 162<br />
s.v. Epitheton; distinktiv wie z.B. ‚fußschnell’ (= Achill), im Gegensatz <strong>zu</strong> ‚generisch’ (s.<br />
oben S. 31 <strong>zu</strong> ‚kuhäugig’) wie ‚z.B. im Rufen gut’ (= Diomedes, Menelaos; Aias, Hektor,<br />
Polites).<br />
59 Sieben Prämissen S. 200 und Replik S. 476 (wie Anm. 26); „<strong>Homer</strong>s Heimat“ S.<br />
109f.; <strong>Ilias</strong> S. XXXVIII; da<strong>zu</strong> Latacz: <strong>Homer</strong> übersetzen (wie Anm. 26), S. 372-380. Zu<br />
keiner der in obigem Absatz angeführten Stellen äußert sich der Komm.<br />
32
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
sehr in den beinen“), sondern auch geistig (z.B. π�δας �κ�ς 1,215:<br />
„achilleús war immerhin einsichtig genug um darauf etwas ein<strong>zu</strong>gehen“;<br />
9,196: „geistesgegenwärtig“; 9,307: „stand ihm darauf gewandt rede<br />
und antwort“; 19,198: „wollte achilleús weiterhin nicht nachgeben“;<br />
ποδ�ρκης 23,193: „geistesschnell“; π�δας �κ�ς 24,559: „war schnell <strong>von</strong><br />
begriff“) – denn das ist gemäß <strong>Schrott</strong>s ‚Entdeckung’ das, was <strong>Homer</strong><br />
eigentlich mit seinem unbeholfen-stereotypen ‚fußschnell’ meint. Wenn<br />
allerdings <strong>Schrott</strong>s Phantasie für eine extravagante Deutung nicht ausreicht,<br />
wird das Epitheton entweder konventionell ‚übertragen’ (z.B.<br />
π�δας �κ�ς 1,84: „worauf der schnellfüßige achilleús kalchas aufrichtig<br />
versicherte“; ποδ�ρκης 21,148: „der schnellfüßige achilleús“), oder Achill<br />
geht seines Epithetons sang- und klanglos verlustig (z.B. π�δας �κ�ς<br />
1,364: „und achilleús, wie er so auf dem strand hockte, sagte heiser“<br />
[oder bedeutet ‚fußschnell’ hier etwa ‚ging schnell in die Hocke’?]; das<br />
geschieht auch ohne Not, d.h. aus Nachlässigkeit: z.B. fehlen 1,141 sowohl<br />
µ�λαιναν als auch δ�αν, obwohl es z.B. dann 1,485 „das schwarz<br />
kalfaterte schiff“ und 15,223 „ins heilige meer“ heißt).<br />
Wie erfindungsreich, ja phantastisch <strong>Schrott</strong> hier <strong>Homer</strong> ‚überträgt’, sei<br />
vollständig an einem in der <strong>Ilias</strong> nicht all<strong>zu</strong> häufig vorkommenden Epitheton<br />
gezeigt, dem siebenmaligen ��ζωνος (seit Voss: „schöngegürtet“):<br />
Kann man <strong>Schrott</strong>s „schlank“ (9,366; 667; 23,261) bei drei Belegen<br />
noch gelten lassen (LfgrE: „die schlanke Taille betonend“), wird es schon<br />
fraglicher bei den nächsten: „breiten busen seiner amme“ (des Astyanax:<br />
6,467) bzw. „am hohen busen einer schönen weberin“ (Vergleich:<br />
23,760); doch vollends <strong>zu</strong> weit gehen die letzten beiden Belege: „briseís<br />
hüften unter ihrem gürtel nachsinnend“ (Achill: 1,429) 60 bzw.<br />
„halbnackt wie sie war, kaum mehr als ihren gürtel / um die hüften“<br />
(Kleopatra, Frau des Meleagros: 9,590). Und für völlige Willkür in Sachen<br />
weiblicher Anatomie stehe ein Beispiel für das in der <strong>Ilias</strong> doppelt<br />
so häufige (14 Mal, ab 1,143) καλλιπ�ρ�ος (ab Schadewaldt: „schönwangig“):<br />
„obwohl ihre runden backen / mir fehlen werden“ (Achill über Briseis;<br />
immerhin vom Komm. korrigiert: „die Doppeldeutigkeit, sonst bei<br />
<strong>Homer</strong> durchaus an<strong>zu</strong>treffen, ergibt sich erst in der Überset<strong>zu</strong>ng; im<br />
Text fehlt auch das ‚fehlen’“; so <strong>Schrott</strong> auch 1,184: „die hat genauso<br />
schöne backen“ [dagegen 1,310 konventionell und ohne „Doppeldeutig-<br />
60 Der Komm. korrigiert wie üblich: „im Text ist er wegen der ‚Frau mit dem schönen<br />
Gürtel’ ergrimmt“; <strong>Schrott</strong> rechtfertigt sich Replik (wie Anm. 26) S. 477: „Und wer bei<br />
‚schöngegürteten Frauen’ nicht an die Taille, sondern nur an den Gürtel denkt ... honi<br />
soit qui mal y pense“ (wobei er sich über den Sinn des französischen Zitats nicht ganz<br />
im Klaren <strong>zu</strong> sein scheint).<br />
33
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
keit“: „mit geröteten wangen“]): <strong>Schrott</strong>s Altmänner-Phantasie? <strong>zu</strong>mindest<br />
(Männer-)Phantasie anregend!<br />
Zu welchen willkürlichen Auswüchsen das führt, zeigen Beispiele wie<br />
die folgenden: 2,230 werden aus den ‚pferdebändigenden (�πποδ�µων)<br />
Troern’ bei <strong>Schrott</strong> in Thersites’ Munde „diese reichen troianischen roßtäuscher“<br />
(vom Komm. ‚korrigiert’ <strong>zu</strong> „rossezähmend, rossebändigend“);<br />
2,278 wird der <strong>zu</strong> einer Rede ansetzende ‚Städtezerstörer (πτολ�πορθος)<br />
Odysseus’ zeugmatisch amplifiziert <strong>zu</strong> „odysseús, der nicht nur eine<br />
stadt / sondern auch sein publikum ein<strong>zu</strong>nehmen wußte“ (Komm.:<br />
„Auflösung des Epithetons ptoliporthos ‚Srädtezerstörer’“); 3,305 lässt<br />
<strong>Schrott</strong> Priamos, der „nach Ilios, der winddurchwehten“ (�νεµ�εσσαν)<br />
<strong>zu</strong>rückkehren will, um nicht den Zweikampf Hektors mit Menelaos ansehen<br />
<strong>zu</strong> müssen, sich klimatisch-gesundheitlich entschuldigen mit<br />
„der wind weht um ilios. ich kehre in mein haus <strong>zu</strong>rück“; 18,196 deutet<br />
<strong>Schrott</strong> ein körperliches Merkmal der ‚windfüßigen schnellen (ποδ�νεµος<br />
�κ�α) Iris’ charakterlich um in „iris [...] wie der wind die worte drehend“,<br />
und das gleiche passiert 21,461 dem ‚Ferntreffer (�κ�εργος) Apollon: „der<br />
stets distanzierte aber selbst aus der ferne tödliche gott“. Und seine<br />
‚Übertragung’ „dickbauchige“ für das stehende Schiffs-Epitheton γλα�υρα�<br />
(‚gewölbte’) begründet <strong>Schrott</strong> abenteuerlich (und unfreiwillig komisch)<br />
damit, dass vorher die Zeugung der beiden Admiräle durch Ares<br />
geschildert war, der heimlich ihre Mutter geschwängert hatte (2,511-<br />
516) ... 61<br />
Mit diesen Phantastereien <strong>Schrott</strong>s sind die <strong>von</strong> den Alexandrinern vorbereiteten,<br />
über 2000 Jahre währenden Versuche der Philologen, hinter<br />
das Wesen der scheinbar paradoxen homerischen Epitheta (‚Achill ist<br />
auch schnellfüßig, wenn er sitzt’) <strong>zu</strong> kommen, gerade<strong>zu</strong> auf den Kopf<br />
gestellt; das gilt insbesondere für die Entdeckung Gottfried Hermanns,<br />
der die Formelhaftigkeit und damit auch die Verwendung des <strong>von</strong> ihm<br />
so genannten Epitheton ornans überzeugend aus der metrischen Bedingtheit<br />
erklärte, d.h. aus der Oral poetry, der Mündlichkeit des Verse-<br />
Machens (was die antiken Philologen noch nicht wissen konnten): Der<br />
improvisierende Sänger hatte jederzeit eine Möglichkeit, alle Stellen eines<br />
Verses aus einem generationenlang tradierten Versvorrat gemäß<br />
syntaktischem Bedürfnis bequem mit Lückenfüllern <strong>zu</strong> besetzen. So gilt<br />
auch für <strong>Schrott</strong>s eigenwillige, aber mit Blick auf die Antike nicht originelle<br />
Methode (der eine gewisse – wenn auch inkonsequente – schöpfe-<br />
61 Replik S. 477 (wie Anm. 26); „<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 112; <strong>Ilias</strong> S. XXXVII; da<strong>zu</strong> Latacz:<br />
<strong>Homer</strong> übersetzen (wie Anm. 26), S. 372-380.<br />
34
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
rische, mitunter <strong>zu</strong> Schmunzeln führende Phantasie nicht ab<strong>zu</strong>sprechen<br />
ist): „Der Jagd nach Möglichkeiten, kontextunverträglichen Epitheta<br />
auf irgendeine ‚raffinierte’ Weise dennoch einen semantisch kontextmodifizierenden<br />
Sinn unter<strong>zu</strong>schieben [Verweis auf die bereits antiken<br />
Versuche], ist damit der Boden entzogen.“ 62<br />
Als weiteres Beispiel für die mangelnde Sorgfalt (oder Unkenntnis der<br />
griechischen Vokabeln?) <strong>Schrott</strong>s bei der ‚Übertragung’ identischer typischer<br />
Epitheta diene ein ‚Farbwort’ (viermaliges πολι�ς, ‚grau’), <strong>zu</strong>mal<br />
<strong>Schrott</strong> auch dieses da<strong>zu</strong> missbraucht, <strong>Homer</strong> <strong>von</strong> seinem angestammten<br />
chronologisch ersten Platz in der griechischen Literatur <strong>zu</strong> verdrängen<br />
und ihn hinter Tyrtaios <strong>zu</strong> stellen: 63<br />
<strong>Ilias</strong> 22,74-76 (Priamos <strong>zu</strong> Hektor):<br />
‚Aber wenn doch sowohl das graue (πολι�ν) Haupt als auch das<br />
graue (πολι�ν) Kinn<br />
als auch die Scham die Hunde schänden <strong>von</strong> einem getöteten<br />
Greis,<br />
ist dieses doch das Erbarmungswürdigste für die elenden Sterblichen.’<br />
(PD)<br />
„[...] an einem niedergemetzelten greis aber<br />
in dessen grauen kopf, grauen bart und runzelige scham<br />
hundeschnauzen sich verbeißen, ist nichts würdiges mehr:<br />
kein mensch hat je einen elendiglicheren anblick geboten!“<br />
(<strong>Schrott</strong>)<br />
<strong>Ilias</strong> 24,516 (Achill <strong>zu</strong> Priamos nach Hektors Tod):<br />
‚sich erbarmend sowohl des grauen (πολι�ν) Hauptes als auch des<br />
grauen (πολι�ν) Kinns’ (PD)<br />
„gerührt <strong>von</strong> seinen weißen haaren, seinem weißen bart“ (<strong>Schrott</strong>).<br />
62 Latacz, BK Prolegomena (S. 39-59: „Formelhaftigkeit und Mündlichkeit“; S. 45-47 [§<br />
11-13] <strong>zu</strong> Hermann) S. 46.<br />
63 „<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 103 Anm. 4 (s. oben S. 4f. <strong>zu</strong> Hesiod); doch s. <strong>zu</strong> πολι�ς und<br />
λευκ�ς, <strong>zu</strong> den <strong>Ilias</strong>-Stellen sowie ihrem Verhältnis <strong>zu</strong> Tyrtaios F 6/7,23 GP = 10,23 W<br />
(und <strong>zu</strong> Pindar, Pythien 4,98f.; 109) ausführlich Rez.: Argo pasimelousa. Der Argonautenmythos<br />
in der griechischen und römischen Literatur. Teil I: Theos aitios, Stuttgart<br />
1993, (S. 162-202), 199-201.<br />
35
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
Der semantische Unterschied zwischen πολι�ς (‚grau’) und λευκ�ς (‚weiß’)<br />
ist aufgehoben, <strong>zu</strong>mal <strong>Schrott</strong> auch letzteres ab 1,480 regelmäßig (traditionell<br />
‚richtig’) mit „weiß“ ‚überträgt. 64<br />
(12) Gleichnisse aus Pflanzen- und Tierwelt:<br />
Doch nicht nur stereotype Epitheta werden in der mündlichen Improvisationsdichtung<br />
der Griechen wiederholt, auch Einzelverse (Iterata), sogar<br />
ganze ‚typische Szenen’ (wie Ankleiden und Rüsten, An- und Ausschirren,<br />
Reise, Ankunft und Begrüßung, Gebet, Opfer, Essen, Schlacht<br />
etc.). Gleichsam eine Zwischenstellung zwischen Iterat-Versen und typischen<br />
Szenen bilden wiederholte, auch aus Pflanzen- und Tierleben entlehnte<br />
Gleichnisse; machen diese doch ausdrücklich einen (den vierten)<br />
der zwölf Punkte aus, auf die <strong>Schrott</strong> seine abstruse Kilikien-These<br />
gründet, „<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 13:<br />
„Als Eckpfeiler dieses <strong>von</strong> <strong>Homer</strong> gewissermaßen modernisierten<br />
und renovierten Erzählgebäudes lassen sich dabei folgende Prämissen<br />
und Schlußfolgerungen anführen: – [1.] Als Heimat <strong>Homer</strong>s<br />
läßt sich das griechische Festland oder die Westküste Kleinasiens<br />
ausscheiden [...] – [4.] Aussagekräftig sind auch die Landschaftsbeschreibungen<br />
der homerischen Gleichnisse. Sie stimmen in ihren<br />
agrarischen und geographischen Spezifika alle mit Kilikien und<br />
kaum je mit der Troas überein“.<br />
Tatsächlich? Ein zweimal vorkommendes Gleichnis aus dem botanischen<br />
Bereich, in dem der Schlachtentod <strong>von</strong> Kriegern mit dem Niederstürzen<br />
eines Baumes parallelisiert wird (<strong>Ilias</strong> 13,389-393: Tod des troianischen<br />
Bundesgenossen Asios durch Idomeneus, = 16,482-486: Tod<br />
des Zeus-Sohnes Sarpedon durch Patroklos), lautet (<strong>zu</strong>nächst in der<br />
Überset<strong>zu</strong>ng des Rez.):<br />
‚und er stürzte, wie wenn eine Traubeneiche (δρ�ς) stürzt oder<br />
Zitterpappel (�χερω�ς)<br />
oder Schwarzkiefer (π�τυς), eine emporragende (βλωθρ�), die in den<br />
Bergen Zimmermänner<br />
64 Vgl. auch oben S. 30 <strong>zu</strong> λευκ�λενος („ihre ellenbogen weiß am sessel“), das anderswo<br />
(1,195) „mit den hellen ellenbogen“ ‚übertragen’ wird; ‚grau’ ist neben πολι�ς auch<br />
γλαυκ�πις (7,17: „mit einem grauen blick“), das wiederum sowohl konventionell als<br />
„die eulenäugige“ (7,43) wie auch ‚kontextbezogen’ als „mit kampflustig aufleuchtenden<br />
augen“ (5,825) wiedergegeben’ wird – Inkonsequenzen bzw. Willkür in <strong>Schrott</strong>s<br />
‚Übertragung’, wohin man blickt.<br />
36
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
herausschlugen mit Äxten, neugeschliffenen, auf dass sie ein<br />
Schiffsbalken sei:<br />
So lag er vor den Pferden und dem Wagen hingestreckt,<br />
brüllend, in den Staub verkrallt, den blutigen.’<br />
13,389-393 in <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung’ (Kursivierungen des Rez.):<br />
„asios kippte um wie eine eiche, weißpappel oder hohe kiefer<br />
die die zimmermänner am berg mit scharfen beilen füllen [lies:<br />
fällen]<br />
um aus dem stamm dann schiffsbalken heraus<strong>zu</strong>arbeiten -<br />
so röchelte er vor dem wagen und seinen schönen pferden<br />
sein leben aus, beide hände in den blutigen staub gekrallt.“<br />
16,482-486 in <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung’:<br />
„und sarpedón krachte um wie eine pappel, eine eiche<br />
oder hohe fichte, die zimmerleute mit scharfen äxten<br />
am berg umhauen um schiffsbohlen draus <strong>zu</strong> machen:<br />
so fiel sarpedón vor seinem wagen der länge nach hin<br />
seine finger in den blutroten staub gekrallt – röchelnd“.<br />
Über die (wie auch bei Hampe) Unterschiedlichkeit der ‚Übertragung’<br />
trotz der im Original identischen Semantik, Stilistik und Syntax der<br />
beiden Stellen sehen wir jetzt hinweg, obwohl <strong>Schrott</strong> die „Wiederholung<br />
wortwörtlich identer Passagen“ (S. XXIII) kennt. Wir konzentrieren<br />
uns aus interdisziplinär-didaktischen Gründen auf das Sachliche,<br />
in diesem Fall Naturwissenschaftliche (Botanische) 65 ; ist doch als Konsequenz<br />
einer verfehlten, sich dem Diktat <strong>von</strong> PISA-Studien und ähnlichem<br />
Unsinn unterwerfenden Bildungspolitik die Biologie in der Ober-<br />
65 Zurückgehend auf Bernhard Herzhoff, dessen einschlägige Arbeiten (zitiert als Lotos,<br />
Phegos, Mohn, Kymindis, Flußkatalog, Rez. Theophrast) hier der Praktikabilität<br />
halber <strong>zu</strong>sammen und chronologisch aufgeführt seien: Lotos. Botanische Beobachtungen<br />
<strong>zu</strong> einem homerischen Pflanzennamen, Hermes 112, 1984, S. 257-271; ΦΗΓΟΣ.<br />
Zur Identifikation eines umstrittenen Baumnamens, Hermes 118, 1990, S. 257-272;<br />
385-404; Kriegerhaupt und Mohnblume – Ein verkanntes <strong>Homer</strong>gleichnis (Θ 306-<br />
308), Hermes 122, 1994, S. 385-403; <strong>Homer</strong>s Vogel Kymindis, Hermes 128, 2000, S.<br />
275-294; Der Flußkatalog der <strong>Ilias</strong> (M 20-23) – ältestes literarisches Beispiel geometrischer<br />
Raumerfassung? In: Antike Naturwissenschaften und ihre Rezeption 18, 2008,<br />
S. 101-138. Da<strong>zu</strong> Rez. <strong>zu</strong>: Théophraste, Recherches sur les plantes. Texte établi et traduit<br />
par Suzanne Amigues, Bd. 1 und 2, Paris 1988, 1989, Gnomon 63, 1991, S. 293-<br />
300; Band 3, Paris 1993, Gnomon 69, 1997, S. 101-106; DNP-Artikel ‚Eiche, Esche,<br />
Hyakinthos (2), Krokus, Lotos, Mohn, Tanne’. – Zusammenfassung: Mohn S. 399; Weiteres<br />
s. unten S. 67f.<br />
37
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
stufe unserer Gymnasien, in die <strong>Schrott</strong> sich <strong>zu</strong> Lesungen seiner ‚Übertragung’<br />
gern einladen lässt, die einzige überlebende Naturwissenschaft.<br />
Die Dreiheit Traubeneiche (δρ�ς, Quercus petraea subsp. iberica) – Zitterpappel/Espe<br />
(�χερω�ς, Populus tremula) – Schwarzkiefer (π�τυς, Pinus<br />
nigra subsp. pallasiana) wird beim ersten Mal nicht nur ohne nötige botanische<br />
Spezifizierung (denn mit der �ηγ�ς, Quercus trojana, Troia-<br />
Eiche, kennt <strong>Homer</strong> eine weitere Eichenart, s. unten S. 39), sondern<br />
auch falsch wiedergegeben („eiche – weißpappel – kiefer“) – statt lebendiger<br />
Feldforschung wohl gemäß totem Lexikon-Wissen. 66 An der zweiten<br />
Passage („pappel – eiche – fichte“), die eigentlich mit der ersten identisch<br />
sein müsste, werden nicht nur die beiden Anfangsglieder ohne<br />
Grund vertauscht (obwohl sie nach Weglassung des falschen „weiß-“<br />
nun ‚rhythmisch’ äquivalent sind: „pappel – eiche“), sondern an dritter<br />
Stelle erscheint plötzlich mit „fichte“ (Picea) ein Baum, den es nicht nur<br />
in Griechenland gar nicht gibt, wie schon das Fehlen einer (alt-)griechischen<br />
Bezeichnung zeigt (vgl. ngr. κ�κκινο �λατο): 67 Auch in der Troas,<br />
erst recht in Kilikien war die Fichte als typisch nordischer, höchstens<br />
bis Bulgarien (Rhodope-Gebirge) <strong>zu</strong> findender Baum gänzlich unbekannt!<br />
Zwar wachsen im Hohen Taurus, allerdings anders als in der<br />
Troas weit <strong>von</strong> der Küste weg, Zitterpappel (Populus tremula), Schwarzkiefer<br />
(Pinus nigra subsp. pallasiana) sowie die unten (S. 41; 59-61)<br />
noch näher <strong>zu</strong> besprechende Tanne (Abies cilicica), doch in weniger<br />
ausgeprägter Form; der charakteristische Baum der Hochlagen ist hier<br />
nämlich die – im Libanon fast ausgerottete – Libanon-Zeder (Cedrus libani,<br />
κ�δρος bei Theophrast, Historia plantarum 3,2,6 [und öfter], der<br />
sie ja ausdrücklich auf Kilikien und Syrien lokal begrenzt). 68<br />
66 Siehe LSJ s.v. �χερω�ς: „white poplar“, daraus wohl Janko, Komm. <strong>zu</strong> 16,482, s. unten<br />
Anm 89. Die in Griechenland und Anatolien in tieferen Lagen nicht seltene Weißpappel<br />
(Populus alba) heißt λε�κη (nicht bei <strong>Homer</strong>); daneben gibt es noch die<br />
Schwarzpappel (Populus nigra, α�γειρος, genauestens beschrieben z.B. <strong>Ilias</strong> 4,482-487<br />
(einziger Beleg). Die <strong>von</strong> den Griechen wunderbar exakt unterschiedene Identität der<br />
Arten wird <strong>von</strong> <strong>Schrott</strong> (auch in „<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 192 mit Anm. 1) wieder aufgehoben.<br />
67 Wenn unter dem Lemma „Fichte“ in deutsch-[alt-]griechischen Lexika π�τυς oder<br />
�λ�τη steht, ist das ebenso falsch wie s.v. π�τυς in griechisch-deutschen Lexika „Fichte,<br />
Föhre“.<br />
68 Mit der in der <strong>Ilias</strong> nur einmal in ganz anderem Zusammenhang (24,192: Priamos’<br />
Schatzkammer; vgl. Odyssee 5,60: Kalypsos Grotte) vorkommenden ‚Zeder’ sind dagegen<br />
Juniperus-Arten (Wacholder) gemeint, namentlich Juniperus foetidissima, die<br />
aber – entgegen ihrem Artnamen (‚sehr stinkend’) – herrlich (nach Kampfer) riechendes<br />
zedernartiges Holz hat (24,191: ‚duftend’); dieser Baum-Wacholder und eine eng verwandte,<br />
selbst für den Fachmann morphologisch da<strong>von</strong> nur schwer <strong>zu</strong> scheidende Art<br />
(Juniperus excelsa) wachsen in ostmediterranen Hochgebirgen (wie dem westlichen<br />
Taurus), aber auch im troianischen Ida (Theophrast 3,12,3); das Holz aller Wacholder-<br />
Arten wurde wegen seines beim Verbrennen weihrauchartigen Duftes geschätzt, bevor<br />
Weihrauch aus Arabien wohl mit dem Aphrodite-Kult nach Griechenland kam (s.<br />
38
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
Nun ist das genannte Baum-Gleichnis (besonders an seinem zweiten<br />
Vorkommen 16,482-486) aber eng mit einem weiteren Baum-Gleichnis<br />
verkettet, das nur ca. 300 Verse später folgt, <strong>Ilias</strong> 16,765-771 (Überset<strong>zu</strong>ng<br />
PD): 69<br />
(765) ‚Und wie der Ost und der Süd beide miteinander streiten<br />
in den Schluchten des Berges, um den tiefen Wald <strong>zu</strong> erschüttern,<br />
sowohl Troia-Eiche (�ηγ�ς) als auch Manna-Esche (µελ�η) als auch<br />
dünnrindige Kornelkirsche (κρ�νεια),<br />
und sie werfen gegeneinander die dünnspitzigen Äste<br />
mit brausendem Schall, und ein Krachen ist, wenn sie zerbrechen:<br />
(770) So hieben Troer und Achaier, gegeneinander springend,<br />
nieder, und nicht gedachten die einen oder anderen der <strong>zu</strong>grunde<br />
richtenden Flucht.’<br />
16,765-771(772) in <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung’:<br />
(765) „[...] wie der ost- und der südwind<br />
wenn sie in den schluchten eines gebirges aneinanderprallen<br />
daß sich dabei die bäume biegen, der ganze dichte wald dort<br />
<strong>von</strong> eichen, eschen und kornelkirschen, und ihre langen äste<br />
gegeneinander gepeitscht werden, in unmenschlichem tosen<br />
(770) bis sie knackend brechen - so schlugen achaier und troianer<br />
aufeinander ein und wurden gefällt: keine der beiden seiten<br />
dachte auch nur einmal an flucht. [...]“<br />
Sappho F 2,4; 44,30 V.). Der Baumname κ�δρος war den Griechen ursprünglich nur<br />
für Juniperus bekannt (s. Theophrast) und wurde erst später auf die ihnen in Syrien<br />
und Kilikien bekannt gewordene Libanon-Zeder übertragen, s. den Index <strong>von</strong> Susanne<br />
Amigues’ Theophrast-Ausgabe, Bd. 5, Paris 2006, S. 296 s.v. κ�δρος; da<strong>zu</strong> ausführlich<br />
und aus Autopsie Russell Meiggs: Trees and Timber in the Ancient Mediterranian<br />
World, Oxford 1984, (S. 410-420, Appendix 3: Confusion of Species: Cedar and Juniper),<br />
S. 411. <strong>Schrott</strong>s Äußerungen („<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 186 mit Anm. 11: „Zeder“ in<br />
<strong>Ilias</strong> 24,192 „nicht nur als assyrisches Statussymbol <strong>zu</strong> verstehen, sondern auch als<br />
Verweis auf diese Landschaft“) sind also unhaltbar, wie er auch den erstaunlichen archäologischen<br />
Befund nicht kennt (s. auch oben Anm. 27 <strong>zu</strong> <strong>Schrott</strong>s Arbeitsweise): In<br />
den phrygischen Palästen und Grabbauten aus Gordion vom 8. Jh. an hat man Holzdecken<br />
und Vertäfelungen aus mehreren Juniperus-Arten (vor allem Juniperus excelsa)<br />
nachgewiesen, was genau <strong>zu</strong> den Aussagen der <strong>Ilias</strong> über die engen Beziehungen<br />
des Hofes in Troia <strong>zu</strong> Phrygien passt (etwa 3,184-190; 16,716-720), s. Meiggs, (S. 458-<br />
461, Appendix 5: A Royal Tomb at Gordium [so-called Midas-Mound]), S. 459; vgl.<br />
auch die Karte im Art. ‚Gordion’, DNP 4, (Sp. 1146-1148), Sp. 1147<br />
69 Zur Verkettung der Gleichnisse s. auch die feinen Beobachtungen <strong>von</strong> Matthias Baltes:<br />
Zur Eigenart und Funktion <strong>von</strong> Gleichnissen im 16. Buch der <strong>Ilias</strong>, in: Antike und<br />
Abendland, 29, 1983, S. 36-48.<br />
39
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
Die Dreiheit der hier genannten Troia-Eiche (�ηγ�ς, Quercus trojana),<br />
Manna- oder Blumen-Esche (µελ�η, Fraxinus ornus) und Kornelkirsche<br />
(κρ�νεια, Cornus mas), in <strong>Schrott</strong>s Übertragung erneut gemäß totem<br />
Lexikonwissen ohne Spezifizierung mit „eichen, eschen und kornelkirschen“<br />
wiedergegeben, ist typisch für das Vegetationsbild des submediterranen<br />
Buschwaldes der tieferen Berglagen. Charakterisiert wird damit<br />
aber ein für die nördliche Troas und die Mittelgebirge südlich des<br />
Marmara-Meeres typisches Waldbild; weder <strong>von</strong> Herzhoff noch <strong>von</strong> einem<br />
anderen Botaniker ist es je in Kilikien oder im kilikischen Taurus<br />
gefunden oder gar in der Literatur erwähnt worden. Das ist auch aus<br />
ökologischen und pflanzengeographischen Gründen völlig undenkbar,<br />
da Kilikien das heißeste, nicht nur mediterrane, sondern sogar eumediterrane<br />
und subtropische Klima der heutigen Türkei hat, gänzlich verschieden<br />
<strong>von</strong> den in der <strong>Ilias</strong> beschriebenen Verhältnissen: Man fliegt<br />
zwar noch im Mai über die Schneefelder des Hochtaurus, landet aber in<br />
Adana zwischen Bananen-, Apfelsinen und Erdnuss-Plantagen; doch<br />
die Entfernung zwischen Gebirge und Küste ist viel größer als die zwischen<br />
Ida und Troia, das <strong>Schrott</strong> ja mit dem Areal <strong>von</strong> Káratepe gleichsetzt<br />
(S. IX-XII; „<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 207-225; s. unten S. 61 mit Anm.<br />
90), obwohl letzteres mit seiner Umgebung eine ausgesprochen wärmeliebende,<br />
xerophile mediterrane Vegetation zeigt – eben völlig anders als<br />
<strong>Homer</strong>s Troas.<br />
Wie planvoll <strong>Homer</strong> die Bäume als Vergleichsobjekte auswählt, zeigt<br />
sich an der Synopse: Inhaltlich bezieht sich der aus Troia-Eiche, Manna-Esche<br />
und Kornelkirsche gebildete Busch- oder Niederwald der tieferen<br />
Berglagen auf das Massensterben des niederen, gemeinen Kampfvolkes.<br />
Im Gegensatz da<strong>zu</strong> bildete die erste Baum-Dreiheit Traubeneiche,<br />
Zitterpappel (Espe) und Schwarzkiefer die Folie für den Tod <strong>von</strong><br />
Einzelkämpfern, insbesondere für den <strong>zu</strong> Tode stürzenden Sarpedon,<br />
einen der bedeutendsten Helden der <strong>Ilias</strong>, weshalb auch das Epitheton<br />
βλωθρ� (‚emporragend’: 16,483) bei der Schwarzkiefer so wichtig war.<br />
Diese weitsichtig projektierte, mit Fernbezügen operierende und daher<br />
Schriftlichkeit voraussetzende Verkettung der Vegetations-Gleichnisse<br />
mit hierarchischer Staffelung der Vegetation nach der Höhenzonierung<br />
im Gebirge wird noch deutlicher bei Einbeziehung des kombinierten<br />
Tier- und Pflanzen-Gleichnisses 5,554-559 (Aineias tötet die Zwillinge<br />
Krethon und Orsilochos):<br />
40
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
‚Diese beiden, so wie zwei Löwen auf des Berges Gipfeln<br />
(555) genährt wurden <strong>von</strong> der Mutter in den Dickichten des tiefen<br />
Waldes;<br />
die beiden nun, raubend Rinder und fette Schafe,<br />
verwüsten die Gehöfte der Menschen, bis sie auch selber beide<br />
unter den Fäusten der Männer getötet werden durch scharfes Erz:<br />
So wurden die beiden unter den Händen des Aineias bezwungen<br />
(559) und fielen nieder, Tannen (�λ�τ�σιν) gleich, hohen. (PD)<br />
(559) „sie schlugen krachend am boden auf wie zwei riesige kiefern“<br />
(<strong>Schrott</strong>).<br />
Parallel <strong>zu</strong>m gestaffelten Tiergleichnis (Löwen – Rinder – Schafe) mit den<br />
Löwen an der Spitze bilden die hohen Tannen (�λ�τη, Abies nordmanniana<br />
subsp. equi-trojani, auch Abies equi-trojani, s. unten S. 62), bei<br />
<strong>Schrott</strong> bezeichnenderweise <strong>zu</strong> „kiefern“ mutiert (auch 14,287, s. unten<br />
S. 61f. im Anhang), den Gipfel, hier allerdings weniger wegen hoher Bedeutung<br />
der Opfer als vielmehr des Tötenden – Aineias ist ja nach Hektor<br />
der größte Held auf troianischer Seite. Eine solche Gleichnis-Verkettung<br />
passt nur in die Troas, nicht nach Kilikien! In Kilikien findet man<br />
allenfalls die azonalen Gesellschaften, etwa die sechs Arten am Skamander-Ufer<br />
(<strong>Ilias</strong> 21,350-352: Ulmen, Weiden, Tamarisken; Scharbockskraut<br />
[Lotos], Binse, Zypergras; s. unten S. 62f. im Anhang); doch<br />
schon das schöne Schnee-Gleichnis (12,278-289) mit dem im Schnee<br />
versinkenden Scharbockskraut (283, λωτ�ς), <strong>von</strong> Herzhoff selbst zweimal<br />
in der Troas beobachtet, wäre in Kilikien nicht denkbar.<br />
Weitere naturkundliche, speziell botanische für eine Troas-Kilikien-Argumentation<br />
unverzichtbare Fakten (die gleichzeitig den <strong>Ilias</strong>-Dichter unverrückbar<br />
in der Troas ansiedeln) werden <strong>zu</strong>gunsten der hier <strong>zu</strong>nächst gebotenen<br />
Konzentration auf das generell Übersetzerische unten im Kritischen<br />
Anhang (S. 59-68) dargelegt.<br />
(13) Vulgarisierung der Diktion: Anal- / Fäkalsprache (Koprologie):<br />
Im Zusammenhang mit der Besprechung des zweiten Beispiels für<br />
<strong>Schrott</strong>s Methode der ‚Übertragung’ (1,565-585) war schon <strong>von</strong> der –<br />
über 24 Bücher hin nur schwer aus<strong>zu</strong>haltenden – ‚unsäglichen Trivialisierung,<br />
Infantilisierung bzw. Vulgarisierung der Diktion’ die Rede (s.<br />
oben S. 29f. mit Anm. 51-52). Zu begründen versucht hatte <strong>Schrott</strong> seinen<br />
Stil in den „Sieben Prämissen einer neuen Überset<strong>zu</strong>ng der <strong>Ilias</strong>“<br />
unter dem Stichwort „Dekorum“ folgendermaßen:<br />
41
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
„bei all dem (scil. „Jammern und Lügen der Menschen“ bzw. „voyeuristischen<br />
Zynismus der Götter“) wahrt das Original jedoch sein<br />
Dekorum [...] Insofern drückt sich in diesem Dekorum die Zensur<br />
und Selbstzensur jeder höfischen Standesdichtung aus. Heute unerheblich<br />
geworden, 70 benennt diese Fassung deshalb dort, wo nur<br />
umschrieben und angedeutet wird, das eigentlich Implizierte etwas<br />
deutlicher. [...] Sie (scil. <strong>Schrott</strong>s Wortwahl) akzentuiert nur genauer<br />
als es Dekorum und Formelsprache <strong>zu</strong>gelassen hätten.“ 71<br />
Ausgerechnet der altertumswissenschaftliche Dilettant <strong>Schrott</strong> will also<br />
„das eigentlich Implizierte“, das die professionelle <strong>Homer</strong>-Philologie seit<br />
den Bemühungen der antiken Scholiasten und der Alexandriner bis <strong>zu</strong><br />
ungezählten Interpretations- und Kommentar-Arbeiten der Neuzeit, also<br />
seit etwa 2500 Jahren, heraus<strong>zu</strong>arbeiten versucht, im Handstreich definitiv<br />
erkannt haben, um es dann ‚genauer <strong>zu</strong> akzentuieren’! Eine derart<br />
naive Überheblichkeit ist schon wieder bewundernswert. Für<br />
<strong>Schrott</strong>s ‚etwas deutlichere Benennung des eigentlich Implizierten’ hier<br />
ein paar Beispiele (wenn vorhanden, schon mit Mauritschs ‚Korrektur’):<br />
Lässt <strong>Homer</strong> Thersites in 2,235 sagen: ‚o Weichlinge, schlimme Schande,<br />
Achaierinnen, nicht mehr Achaier’, legt <strong>Schrott</strong> dem „Revoluzzer<br />
weit niederen Adels“ (Sieben Prämissen S. 198) in den Mund: „und ihr?<br />
bloße weicheier seid ihr! langhaarige waschweiber!!“ (Komm.: „im Text<br />
genügte Thersites noch der Hinweis, die Achaier seien ‚Weichlinge’ und<br />
‚Achaierinnen’, nicht ‚Achaier’ als Beschimpfung“). – Droht Odysseus in<br />
2,262 eben diesem Thersites die Wegnahme <strong>von</strong> ‚Mantel und Hemd und<br />
was deine Scham umhüllt’ an, legt <strong>Schrott</strong> dem Herrscher <strong>von</strong> Ithaka<br />
Gossensprache in den Mund: „den mantel, das hemd und den fetzen<br />
über den eiern“ (Komm.: „im Text ergibt sich die Drastik nur aus der<br />
70 Eine aus mangelnder Deutsch-Kompetenz resultierende erheiternde Selbstverbrennung:<br />
In <strong>Schrott</strong>s falscher Syntax bezieht sich das Partizip „geworden“ nicht, wie er<br />
meint, auf „Zensur und Selbstzensur“, sondern auf „diese Fassung“ (doch s. unten S.<br />
53 <strong>zu</strong> ‚absoluten Partizipien im Nominativ’).<br />
71 Sieben Prämissen (wie Anm. 26) S. 198; s. ebd. S. 381f. schon Lataczs Antwort sowie<br />
<strong>Schrott</strong>s Replik S. 474. In der ‚Einleitung’ <strong>zu</strong>r ‚<strong>Ilias</strong>-‚Übertragung’ ist zwar das<br />
Wort „Dekorum“ (d.h. ‚Dezenz’: ‚Schicklichkeit, Anstand’) gemieden, die Rechtfertigung<br />
aber dieselbe, S. XXXIX: „Sie (scil. die vorliegende Fassung) erfindet dabei nichts hin<strong>zu</strong>:<br />
sie gestaltet nur aus, was bereits im Original angelegt ist. Und sie adaptiert die<br />
homerische Diktion in einem modernen Duktus, der vom hohen Ton bis <strong>zu</strong>m lakonisch<br />
Hingeworfenen und Derben eine weitaus größere Ausdrucksbreite umfaßt.“<br />
<strong>Schrott</strong> – der das Original offensichtlich noch nicht einmal lesen kann – weiß also, was<br />
im Original „angelegt“ ist; ‚ausgestalten’ bedeutet nicht ‚hin<strong>zu</strong>erfinden’, und <strong>Schrott</strong><br />
verfügt über eine „weitaus größere Audrucksbreite“ als <strong>Homer</strong>: Angesichts einer solchen<br />
Dimension <strong>von</strong> unverfroren-krankhafter Selbstüberschät<strong>zu</strong>ng bleibt dem Rez. die<br />
Sprache weg.<br />
42
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
Szene, nicht auch aus der Wortwahl“). – Aus ‚schlimmer (κακ�ς) Krieg’<br />
(<strong>Ilias</strong> 4,82) wird bei <strong>Schrott</strong> „scheiß krieg“. – Sagt Achill über Agamemnon<br />
in 9,377: ‚denn den Verstand hat ihm genommen der ratsinnende<br />
Zeus’, heißt es bei <strong>Schrott</strong> „dem hat doch zeus ins hirn geschissen!“<br />
(Komm.: „im Griechischen ist diese dem Zeus unterstellte Aktion mit<br />
den worten ‚gänzlich genommen hat er ihm die Besinnung’ umschrieben“<br />
[„umschrieben“ ist natürlich Nonsens]). – Sagt Menelaos in 17,19<br />
<strong>zu</strong>m Dardaner Euphorbos, der gerade Patroklos durch einen Schuss in<br />
den Rücken getötet hat: ‚Zeus Vater [sine virgula, ~ Iup-piter], nicht<br />
schön ist es, sich übermäßig <strong>zu</strong> rühmen’, wird daraus bei <strong>Schrott</strong>: „bei<br />
zeus - was bist du doch ein arrogantes arschloch!“ 72 – Fällt bei <strong>Homer</strong><br />
23,775-777 Aias im Wettlauf dorthin, ‚wo <strong>von</strong> Rindern der Mist sich ergossen<br />
hatte, getöteten, stark brüllenden / [...] / und mit Rindermist<br />
füllte sich sowohl Mund als auch Nase’, heißt es bei <strong>Schrott</strong>: „mitten in<br />
die kuhscheiße, die da am boden lag / [...] / er hatte mund und nase<br />
voll <strong>von</strong> den stinkenden kuhklattern“; entsprechend 23,781 <strong>Schrott</strong>:<br />
„spuckte die scheiße aus“, statt <strong>Homer</strong>: ‚den Mist ausspeiend’. – Vgl.<br />
noch: „das einzige worin du gut bist, ist beim sprücheklopfen - / du<br />
klugscheißer bist aber der größte holzklotz im heer!“ (23,483f., Idomeneus<br />
<strong>zu</strong> Aias; <strong>Homer</strong>: ‚Aias, im Zank der Beste, Übelgesinnter, in allem<br />
anderen / stehst du den Argeiern nach, weil du einen schroffen Sinn<br />
hast!’). – Ungewöhnlich vulgär lässt <strong>Schrott</strong> die Götter reden, z.B. in der<br />
Götterschlacht, Ares <strong>zu</strong> Aphrodite: „dich fette zecke“ ([?] 21,395; <strong>Homer</strong>:<br />
‚die du Verwegenheit, unersättliche, besitzt’); Athene <strong>zu</strong> Ares: „bist ein<br />
kolossaler depp!“ (21,410; νηπ�τι᾿, ‚Kindischer’); Poseidon <strong>zu</strong> Apollon:<br />
„du depp“ (21,441; νηπ�τι’); Artemis <strong>zu</strong> Apollon: „du possenreißer“<br />
(21,474; νηπ�τιε); aber auch schon vorher, z.B. Hera <strong>zu</strong> Zeus: „du hinterfotziger<br />
kerl“ (4,25; α�ν�τατε, ‚Schrecklichster’); Athene <strong>zu</strong> Ares: „du<br />
spinnst, du geistesgestörter psychopath! hast zwar ohren / aber kein<br />
hirn dazwischen! wo ist dein verstand? <strong>zu</strong>mindest / dein respekt vor<br />
dem olympischen vater?“ (15,128f.: <strong>Homer</strong>: ‚Rasender, im Geist gestörter,<br />
du bist verloren! Fürwahr, umsonst / hast du Ohren, um <strong>zu</strong> hören,<br />
und dein Verstand ist <strong>zu</strong>grunde gegangen, wie auch die Scham’).<br />
(14) Vulgarisierung der Diktion: Sexualslang:<br />
Diese infantile Anal- bzw. Fäkalsprache wird noch gesteigert durch<br />
<strong>Schrott</strong>s altmännerhaft-lüsternen Sexualslang (mit den Anmerkungen<br />
des Komm.):<br />
72 Ähnlich schon in „<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 206 mit Anm. 7 <strong>zu</strong>r selben Stelle: „als arroganter<br />
Angeber und modisches Weichei gezeichnet“ (als Beleg für die angebliche Herabset<strong>zu</strong>ng<br />
der Nachbarn der Kiliker, hier der Dardaner [die <strong>Schrott</strong> in Adanija lokalisiert]).<br />
43
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
1,540, Hera <strong>zu</strong> Zeus: „mit wem bist du schlitzohr wieder unter einer decke<br />
gesteckt?“ (<strong>Homer</strong>: ‚Wer hat da wieder mir dir, Listensinnender, <strong>von</strong><br />
den Göttern Rat gehalten?’; Komm.: „eine bei Zeus sicher angebrachte –<br />
aber nicht im Text stehende – Anspielung auf seine Amouren“; doch<br />
1,521?). – 2,232f., Thersites <strong>zu</strong> Agamemnon: „brauchst du noch ein<br />
mädchen, das du entjungfern kannst / um es nach lust und laune<br />
durch<strong>zu</strong>ziehn?“ (<strong>Homer</strong>: ‚oder eine neue/junge Frau, dass du dich mit<br />
ihr vereinigst in Liebe, / die du für dich gesondert festhältst’; Komm.:<br />
„die wörtliche Überset<strong>zu</strong>ng des Textes könnte lauten ‚mit ihr <strong>zu</strong> schlafen<br />
in Lust’; und Thersites wirft ihm auch noch vor, das Mädchen allein,<br />
verborgen vor den andern, für sich besitzen <strong>zu</strong> wollen, wobei hier sexuelles<br />
‚Besitzen’ mitschwingen kann, aber der Rahmen – Besitzgier, die<br />
Agamemnon hier vorgeworfen wird – nicht vergessen werden darf“). –<br />
2,355f.: „bevor er nicht / die frau eines troianers vergewaltigt hat: rein<br />
schon aus rache / für die not<strong>zu</strong>cht die man unserer armen helena angetan<br />
hat ...“ (<strong>Homer</strong>: ‚bevor jemand bei einer Gattin der Troer geschlafen<br />
/ und Buße genommen hat für Helenas Aufregungen und Stöhnen’;<br />
Komm.: „das gr. Verbum katakoimaomai bedeutet ‚sich schlafen legen’;<br />
die einzige Andeutung einer Massenvergewaltigung, und darauf läuft die<br />
Szene hinaus, wird in der <strong>Ilias</strong> also mit ‚harmlosen’ Worten dargestellt“).<br />
– 2,515: „der hatte sich heimlich [... / ...] geschlichen [...] / und sie entjungfert“<br />
(<strong>Homer</strong>: ‚der aber legte sich heimlich <strong>zu</strong> ihr’). – 3,406, Helena<br />
<strong>zu</strong> Aphrodite: „leg dich doch selber <strong>zu</strong> ihm (Paris) ins bett!“ (<strong>Homer</strong>:<br />
‚Setze dich <strong>zu</strong> ihm, nachdem du hingegangen bist’). – 3,447f.: „er<br />
streckte den arm nach ihr aus - und seine frau, sie ergriff ihn. / während<br />
sich die beiden (Paris und Helena) liebten, daß die bettpfosten wackelten“<br />
(<strong>Homer</strong>: ‚Sprach es und ging voran <strong>zu</strong>m Lager, und <strong>zu</strong>gleich<br />
folgte die Gattin. / Die beiden nun betteten sich auf dem gurtdurchzogenen<br />
Lager’; Komm.: „der Dichter gibt der Phantasie der Hörer Raum<br />
und erachtet den Moment danach als ausreichend <strong>zu</strong>r Beschreibung<br />
des davor Geschehenen: die beiden ‚ruhten im gurtdurchzogenen<br />
Bett’“). – 8,291: „oder sonst eben irgendeine frau, die du aufs bett werfen<br />
kannst!“ (<strong>Homer</strong>: ‚oder eine Frau, die mit dir das gemeinsame Lager<br />
besteigt’; Komm.: „über den ‚Wert’ <strong>von</strong> Frauen siehe besonders 23,702-<br />
705 [lies: 704f.], wo allerdings deren handwerkliche Fertigkeiten geschätzt<br />
werden“). – 9,336f., Achill: „soll er sie (Agamemnon Briseis) doch<br />
vögeln / und mit ihr glücklich sein“ (<strong>Homer</strong>: ‚bei der liegend / er sich<br />
ergötzen soll!’). – 14,267f., Hera <strong>zu</strong> Hypnos: „komm doch - machs. ich<br />
leg auch noch eine frau drauf / eine knackige; eine der grazien? <strong>zu</strong>m<br />
heiraten für dich?“ (<strong>Homer</strong>: ‚doch komm, und ich werde dir eine der<br />
Chariten, der jüngeren, / <strong>zu</strong>m Heiraten geben und dass sie deine Gattin<br />
44
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
genannt wird’). – 14,299, Zeus <strong>zu</strong> Hera: „ganz ohne wagen? und nur mit<br />
den waffen einer frau?“ (<strong>Homer</strong>: ‚Pferde sind nicht da und Wagen, die<br />
du besteigen könntest’; s. auch unten S. 48f. <strong>zu</strong> Zitaten/Redewendungen).<br />
– 14,313-315, Zeus <strong>zu</strong> Hera [!]: „geh doch später; / und [<strong>zu</strong>m<br />
Zeugma s. unten S. 48] lieber mit mir jetzt ins bett - auch wir haben ja<br />
schon / ewig nicht ...“ [die drei Punkte Gipfel des Takts!] (<strong>Homer</strong>: ‚wir<br />
beide aber, wohlan, wollen uns, in Liebe gelagert, ergötzen’; Komm.:<br />
„diese genaue Zeitangabe fehlt im Text“). – 14,324, Zeus <strong>zu</strong> Hera [!]:<br />
„und (nicht einmal bei) alkméne [...] stand er mir so“ (<strong>Homer</strong>: ‚die Herakles,<br />
den starksinnigen, als Sohn geboren hat’; Komm.: „Beschreibungen<br />
anatomischer Beschaffenheiten und/oder physiologischer Vorgänge<br />
im Intimbereich gibt es im Original weder mit noch ohne qualifizierende<br />
Anmerkungen“). – 15,32, Zeus <strong>zu</strong> Hera [!]: „haben dich etwa die götter<br />
geschickt, damit du mit mir bumst?“ (<strong>Homer</strong>: ‚damit du siehst, ob dir<br />
hilft Liebe und Bett, / auf dem du dich mit mir vereinigt hast, <strong>von</strong> den<br />
Göttern kommend, und mich getäuscht hast’; Komm.: „das Original<br />
spricht in üblich dezenter Wortwahl <strong>von</strong> ‚vereinigen’, und zwar in ‚Lager<br />
und in Liebe’, und gibt auch den Zweck dieser Aktion an: um damit<br />
Zeus <strong>zu</strong> täuschen“). – 18,436f., Thetis <strong>zu</strong> Hephaistos: „er (Peleus)<br />
pfropfte mir auch / einen sohn auf“ (<strong>Homer</strong>: ‚denn er [Zeus] gab, dass<br />
mir ein Sohn geboren wurde und aufwuchs’). 73<br />
<strong>Schrott</strong>s Rechtfertigung für diese Vulgarisierung der <strong>Homer</strong>ischen Dezenz<br />
arbeitet mit Vorstellungen über griechische Literatur, die naive<br />
Selbstprojektion, und über ihre Rezeption, die – nach eigenem Eingeständnis<br />
– „Spekulation“ sind (Replik [wie Anm. 26] S. 474):<br />
„wäre der Text (der <strong>Ilias</strong>) wirklich so grillparzerisch getragen wie<br />
ihn uns die Überset<strong>zu</strong>ngen bisher präsentiert haben, kein Mensch<br />
hätte sich 24 Stück solcher Gesänge angehört [Rez.: wie anders<br />
hätten sie denn dann überliefert werden können?]. Das da<strong>zu</strong><br />
auch Drastik und Verstoß gegen das Dekorum gehören, scheint<br />
73 Siehe noch <strong>zu</strong> 18,368 („während sie [Zeus/Hera] sich über diesen seitensprung in<br />
die haare kriegten“ [so <strong>Schrott</strong>s Umgangs- bzw. Militärsprache; gemeint „gerieten“]<br />
statt ‚So sprachen sie derartiges <strong>zu</strong>einander’ [so <strong>Homer</strong>]) Mauritsch: „Heras Eifersucht<br />
ist notorisch, doch wird sie an dieser Stelle nicht als Grund für ihren Streit genannt.“<br />
Weitere Beispiele s. schon oben S. 33 mit Anm. 60 (1,143 „ihre runden backen“ und<br />
1,429 „briseís hüften unter ihrem gürtel“). Zudem schießt der einschlägig vorbelastete<br />
Komm. (s. oben Anm. 18) mitunter übers Ziel hinaus, z.B. verbiegt er 21,430f.<br />
(<strong>Homer</strong>: ‚wie Aphrodite dem Ares kam als Helferin, meinem Streben (µ�νει) begegnend’<br />
<strong>Schrott</strong>s (im Übrigen falsche) ‚Übertragung’ („wenn sie sich wie aphrodite da / frech<br />
neben ares stellen und mir die brust zeigen!“) folgendermaßen: „Aphrodite stellt sich<br />
im Original bloß entgegen, nicht entblößt“ (das fade Wortspiel „bloß / entblößt“ wohl<br />
unbewusst).<br />
45
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
mir offensichtlich – umsomehr bei den Griechen, die noch solch einen<br />
Pornographen und Krieger-Dichter wie Archilochos als Halbgott<br />
verehrten. Sexuelle Motivik und Anlaß für Obszönität gibt’s ja<br />
auch noch in der Textform des Epos, die wir haben, mehr als genug.“<br />
Sehen wir einmal <strong>von</strong> <strong>Schrott</strong>s Unkenntnis der Genos-Gebundenheit<br />
griechischer Dichtung ab (<strong>Homer</strong>: Epos; Archilochos: Iambos = rituelle<br />
Beschimpfung als Ventil): Falls es Obszönität bei <strong>Homer</strong> tatsächlich gäbe<br />
– es gibt sie aber nicht –: Glaubt <strong>Schrott</strong> allen Ernstes, dass dann<br />
erst er hätte kommen müssen, um sie bewusst <strong>zu</strong> machen? Ohne einen<br />
moralinsauren Standpunkt ein<strong>zu</strong>nehmen: Ist <strong>Schrott</strong>s gerade<strong>zu</strong> begeistert<br />
vorgetragene gossensprachliche Diktion nicht vielmehr eine jeder<br />
Subtilität bare Geschmacksverirrung – und dies bei einem angeblichen<br />
Poesie-Experten und „Dichter“? Wie kann jemand 24 Gesänge <strong>Homer</strong><br />
‚übertragen’ und <strong>von</strong> der einzigartigen Noblesse dieses Dichters (die mit<br />
„Zensur und Selbstzensur“ nicht das Geringste <strong>zu</strong> tun hat), nicht einmal<br />
einen Hauch verspüren?<br />
(15) Sucht nach Erzielung platter Pointen:<br />
Was den sonstigen Stil der ‚Übertragung’ angeht, weiß man nicht so<br />
recht, ob manche Formulierungen pointiert wirken sollen oder ob es<br />
sich um unbeabsichtigte Komik handelt, z.B.: „die frage stehen lassend,<br />
setzte er sich“ (1,68; <strong>Homer</strong>: ‚und nachdem er so gesprochen hatte,<br />
setzte er sich nieder’); „als würde ihm gleich schwarz davor - / und er<br />
sich mit einem drohenden blick <strong>zu</strong>m weissager wandte: / du schwarzseher!“<br />
(1,104-106; <strong>Homer</strong>: ‚seine beiden Augen glichen dem Feuer, dem<br />
leuchtenden. / Zu Kalchas sprach er <strong>zu</strong>allererst, Unheil mit den Augen<br />
blickend: Prophet des Unheils!’); „wer weiß vor wut geworden ist - der<br />
hat auch noch / eure weisheit bitter nötig [.../ ...] / seine weiß um den<br />
schwertknauf geklammerten knöchel“ (1,216-219; <strong>Homer</strong>, ohne dreimaliges<br />
‚weis[s]’: ‚Es ist nötig, Göttin, euer Wort <strong>zu</strong> beachten, / auch wenn<br />
man sehr im Gemüt zürnt [... / ...] / und er hielt auf dem silbernen<br />
Griff die Hand, die schwere’); „auf einen gott / <strong>zu</strong> horchen, will man <strong>von</strong><br />
ihm auch irgendwann erhört werden“ (1,217f.; doch so leider auch alle<br />
Übersetzer außer Latacz: „Wer seinen Göttern folgsam ist [�πιπε�θηται],<br />
dem schenken gern Gehör sie [�κλυον]“); „drum hör auf mich <strong>zu</strong> verhören!“<br />
(1,550; <strong>Homer</strong>: ‚frage du nicht dieses im Einzelnen und erforsche<br />
es nicht!’); „damit jedoch blitzte hera bei zeus, dem gott der wolken,<br />
schnell ab“ (1,560; <strong>Homer</strong>: ‚Und ihr erwidernd, sagte der Wolkenversammler<br />
Zeus’); „hielt zeus’ aigis dabei am arm [.../ ...] unter athenes<br />
46
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
ägide nun“ (2,447/451; <strong>Homer</strong>: ‚die Aigis haltend / –’); „bis sich die<br />
schlange aufbog <strong>zu</strong> einem langen S“ (2,316; <strong>Homer</strong>: ‚sich ringelnd’, �λελιξ�µενος);<br />
„deinem / untergang in die arme und ohne an unsren sohn<br />
<strong>zu</strong> denken / oder an mich arme (�µµορον, ‚unglückliche’) witwe“ (6,407-<br />
409, ohne Homonyme); „unser so wehrhafter paris - seines zeichens<br />
herr / über die blonde helena“ (11,369f.; <strong>Homer</strong>: ‚Jedoch Alexandros,<br />
der Helena Gatte, der schönhaarigen’); „schau schau! wie gelenkig der<br />
eine rolle rückwarts schlägt!“ (16,745; <strong>Homer</strong>: ‚ Nein doch! Fürwahr, ein<br />
sehr behender Mann, wie leicht er hinabtaucht’); „vor dem machst du<br />
am besten einen rückzieher / sonst ziehst du <strong>zu</strong> hades, früher als es<br />
sein muß“ (20,335f.; <strong>Homer</strong>: ‚Doch weiche <strong>zu</strong>rück, sooft du mit ihm <strong>zu</strong>sammentriffst,<br />
/ damit du nicht auch über dein Teil ins Haus des Hades<br />
gelangst!’); usw. – Doch ist das noch steigerungsfähig:<br />
(16) Geschmack- und stillose Kalauereien:<br />
<strong>Homer</strong> völlig unangemessen sind – teils gereimte – geschmack- und stillose<br />
Kalauereien wie: „hochherrscherlicher argeier, du habgierigster geier<br />
<strong>von</strong> allen“ (1,122; <strong>Homer</strong>: ‚Atride, ruhmvollster, habgierigster aller’);<br />
„diese nichtsnutze / sollen ruhig nutznießer ihres Herrschers werden“<br />
(1,410; <strong>Homer</strong>: ‚auf dass alle ihren König genießen’); „daß die moral der<br />
truppen / so am sand ist wie unsre schiffe!“ (2,296f.; <strong>Homer</strong>: ‚dass die<br />
Achaier / verdrießlich sind bei den Schiffen mit den Krähenschnabel-<br />
Bugen’); „paris - du parodie!“ bzw. „paris - du heldenparodie!“ (3,39;<br />
13,769; <strong>Homer</strong>: ∆�σπαρι, ‚Unglücks-Paris’); „hektor?? / hast du nicht<br />
hektisch behauptet“ (5,472f.); „mach ich dich halt beim nächsten mal<br />
kalt“ (11,365); „aber patroklos blieb lieber stehn; er wollt gleich wieder<br />
gehn“ (11,647); „doch eine solche flucherei, die ging an zeus vater glatt<br />
vorbei“ (12,173); „und mich statt dessen an den flug eines vogels halten?<br />
/ der ist mir völlig piepegal; den vogel - den hast du!!“ (12,237f.;<br />
<strong>Homer</strong>: ‚Du befiehlst, den flügelstreckenden Raubvögeln / folgsam <strong>zu</strong><br />
sein, an die ich mich weder kehre noch mich kümmere, / ob [...]’); „gib<br />
mir ein aphrodisiakum <strong>von</strong> dir!“ (14,198; bei <strong>Homer</strong> Hera <strong>zu</strong> Aphrodite:<br />
‚Gib mir jetzt die Liebe und das Verlangen’); „hera - du hehre göttin“<br />
(14,243; <strong>Homer</strong>: ‚Here, würdige [πρ�σβα] Göttin’); „sohn des kopreús, jenes<br />
mistkerls“ (15,639; <strong>Homer</strong>: ‚des Kopreus eigenen Sohn’; der Komm.<br />
verweist <strong>zu</strong> Recht auf kopros ‚Viehhof’, nicht ‚Mist’ [wie in <strong>Schrott</strong>s<br />
Koprologie]); „memme-riónes“ (16,617, ‚Feigling’; <strong>Homer</strong>: ‚Meriones’; vgl.<br />
16,626: „doch pátroklos meinte meriónes mores lehren <strong>zu</strong> müssen“; <strong>Homer</strong>:<br />
‚ihn aber schalt des Menoitios wehrhafter Sohn’); „ein bild <strong>von</strong> einem<br />
mann - aber ein bild des jammers (17,142f., Glaukos <strong>zu</strong> Hektor:<br />
‚an Aussehen Bester, in der Schlacht nun ermangelst du vieles’); „sie<br />
47
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
(Charis) schlang sich ein schimmerndes kopftuch um, das sie noch /<br />
charismatischer aussehen ließ“ (18,382f.; <strong>Homer</strong>: ‚Charis mit dem glänzenden<br />
Stirnband, / die schöne’’); „er (ein Fluss) kann zeus nicht das<br />
wasser reichen!“ (21,193; <strong>Homer</strong>: ‚Aber nicht ist es möglich, mit Zeus<br />
Kronion <strong>zu</strong> kämpfen’); „der metzger des kriegs und seine metze“<br />
(21,426, ‚Hure’; <strong>Homer</strong>: ‚die beiden [Ares/Aphrodite] nun lagen auf der<br />
Erde, der vielnährenden’, Pointe [s. Odyssee 8,266-366] vom drum herumredenden<br />
Komm. nicht erkannt); „sich mit zeus’ weibern, diesen<br />
windsbräuten, rum<strong>zu</strong>schlagen“ (21,499; <strong>Homer</strong>: ‚sich herum<strong>zu</strong>schlagen<br />
mit den Gattinnen des Zeus, des Wolkenversammlers’; pedantischer<br />
Komm.: „diese Bezeichnung nimmt Zeus das Beiwort ‚Wolkenversammler’<br />
und gibt seinen Frauen eine Zusatzbezeichnung“). – Man mag den<br />
Rez. für humorlos, ja für einen ‚Spielverderber’ halten – doch solche gequälten<br />
‚Pointen’ gewinnen noch nicht einmal ein müdes Lächeln ab.<br />
(17) Sucht nach zeugmatischer Ausdrucksweise:<br />
In dieselbe Richtung der gewaltsamen Erzielung <strong>von</strong> Pointen geht die<br />
Sucht nach – wohl für besonders originell gehaltener – zeugmatischer<br />
Ausdrucksweise, z.B. „die nacht sinkt und mit ihr auch unser kampfgeist“<br />
(2,387); „um aineías um- und dessen panzer an sich <strong>zu</strong> bringen“<br />
(5,435); „so fiel iphidámas - und in den schlaf“ (11,241); „seine hinterwäldler<br />
nahmen / die beine in die hand und wir ihnen die ochsen ab“<br />
(11,676f.); „halten wir / hier brav die stellung und diese danaer ganz<br />
schön in schach“ [!] (13,778f.); „geh doch später [scil. <strong>zu</strong> Okeanos und<br />
Tethys]; / und lieber mit mir jetzt ins bett“ (14,313f., Zeus <strong>zu</strong> Hera; s.<br />
oben S. 45); „selbst wenn sie die götter gegen sich und ihre leute /<br />
schiß hatten“ (17,330f.); auch mit falschem Deutsch, z.B. „seit du ihre<br />
griechen / im stich und die arroganten troer hast siegen lassen!“<br />
(21,413f.); vgl. auch „mir alles vor der nase wegschnappen. ich laß<br />
mich <strong>von</strong> dir dran [an der Nase?] / nicht rumführen“ (1,132f.).<br />
(18) Unangebrachte Literatur- und Bibel-Zitate:<br />
In der ersten europäischen Dichtung kann es naturgemäß keine Literatur-<br />
oder Bibel-Zitate geben, allenfalls Wendungen, die später <strong>zu</strong><br />
Sprichwörtern etc. geworden sind. 74 Nach Ansicht des Rez. muss das<br />
auch für eine Überset<strong>zu</strong>ng gelten; doch findet man in <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung’<br />
z.B.: „dunkle tage ziehn herauf für unser land“ (1,254); „agamemnon<br />
der hörte es wohl - doch es fehlte ihm der glaube“ (1,285; Goethe,<br />
74 Z.B. 10,172f.: „aber es steht jetzt alles auf eines schermessers / krummer schneide“,<br />
da<strong>zu</strong> richtig der Komm.: „das erste Vorkommen des sprichwörtlich gewordenen<br />
Ausdrucks“.<br />
48
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
Faust); „wie gewonnen so zerronnen“ (1,300); „dann gewähr mir diese<br />
bitte“ (1,504; eingeschmuggelt in 1,524); „ich wills wissen“ (1,514);<br />
„mein wille geschieht“ (1,563); „den schlaf aller gerechten schlafend“ (2,<br />
19; vgl. AT Spr. 24,15); „voll schweiß, blut und tränen“ (2,40, der<br />
Komm. verweist auf den modernen Kriegshetzer; vgl. 9,491f., s. sogleich);<br />
„die moral der truppen prüfen“ (2,73; vgl. 4,184); „das war volkes<br />
stimme“ (2,278; <strong>Homer</strong>: ‚So sprach die Menge’); „die wider deinen<br />
stachel löcken“ (2,347 [NT Apg. 26,14]; vgl. 6,94, 275, 309); „alle für einen<br />
und einer für alle“ (2,363; <strong>Homer</strong>: ‚dass die Sippe den Sippen helfe,<br />
und die Stämme den Stämmen’); „ein herz und eine seele“ (4,361; NT<br />
Apg. 4,32); „und dann kam die große stunde“ (5,1); „der mann ohne<br />
furcht und tadel“ (6,190: �µ�µων, ‚untadlig’); „die qual der wahl“ (8,430);<br />
„wunders viel vollbracht“ (9,348; Nibelungen-Lied); „ein schwieriges<br />
kind warst du - du hast mich sehr viel schweiß / und tränen gekostet“<br />
(9,491f., s. oben <strong>zu</strong> 2,40); „wie ein geschenk des himmels“ (9,673); „besser<br />
ein ende mit schrecken / als ein schrecken ohne ende“ (15, 511f.;<br />
Schill 1809 auf dem Marktplatz <strong>von</strong> Arneburg/Elbe); „geteiltes leid ist<br />
halbes leid“ (16,19 [Tiedge, Zeitgenosse Goethes]; Komm.: „Das Sprichwort<br />
ist nicht homerisch“); „wie ein pfahl im fleisch“ (16, 548; NT 2 Kor.<br />
12,7); „wollt ihr den totalen krieg?“ (18,304; der österreichische Komm.<br />
schweigt); „falschheit, dein name ist weib“ (19,97 [Verdi, Rigoletto: La<br />
donna è mobile; ‚O wie so trügerisch sind Weiberherzen’; vgl. Shakespeare,<br />
Hamlet I 2: Frailty, thy name is woman, Wieland/Schlegel-<br />
Tieck: „Gebrechlichkeit/Schwachheit, dein Nam’ ist Weib!“]; Komm. unbedarft:<br />
„eine sicherlich bewußte Zusammenstellung <strong>von</strong> Frau und Betrug“);<br />
„wenn man den esel nennt, kommt er gerennt“ (20,200; Komm.:<br />
„dieses Sprichwort findet sich nicht in der <strong>Ilias</strong>“); „wie man hineinruft,<br />
so schallt es <strong>zu</strong>rück“ (20,250); „unschuldslamm“ (21,99: ν�πιε, ‚Kindischer’);<br />
„waffen einer frau“ (14,299; 21,501); „hektors stille größe [...],<br />
seine edle, schöne gestalt“ (22,370, vgl. Komm.); „habichtsnest“ (22,383,<br />
π�λιν �κρην, ‚die Stadt auf der Spitze’); „achillesfersen“ (22,397; „noch<br />
nicht sprichwörtlich“ Komm., der aber die Quelle nicht nennt [Hygin,<br />
Fab. 107,1; vgl. Statius, Ach. 1,269f.]); „wir unglücksraben“ (22,485,<br />
δυσ�µµοροι, ‚wir Unglücklichen’); „dass gnade vor recht ergeht“ (23,611);<br />
„ich bin der größte!“ (23,669; <strong>Homer</strong>: ‚da ich mich rühme, der Beste<br />
[�ριστος] <strong>zu</strong> sein’); „läßt er an ausgestreckter hand verhungern“<br />
(24,531); „sollen wir also am hungertuch nagen??“ (24,618 [Tuch, mit<br />
dem <strong>zu</strong>r Fastenzeit der Altar verhüllt wurde; ‚Schmachtlappen’]).<br />
49
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
(19) Anachronismen:<br />
Das letzte Beispiel leitet über <strong>zu</strong> Vorstellungen, die anachronistisch anderen,<br />
<strong>zu</strong>meist späteren Kulturkreisen entnommen und in die ‚Übertragung’<br />
eingeschmuggelt worden sind, z.B.: „dieses mandeläugige mädchen“<br />
(1,98: �λικ�πιδα); 75 „etappenhengst“ (1,229); „marschallstab“<br />
(2,46); „das letzte stündlein hat dann geschlagen“ (2,380; ähnlich<br />
17,511; 18,464 – alles <strong>zu</strong> ‚Klepsydras Zeiten’, d.h. vor Erfindung der<br />
Uhr); „moloch“ (2,832); „lichtgestalt“ (5,2/3, �κδηλος, ‚herausragend’,<br />
Diomedes); „mit ganzem schmiß auftretendem sohn“ (4,89; <strong>Homer</strong>: ‚sowohl<br />
untadligen als auch kräftigen’, �µ�µον� τε κρατερ�ν τε); „leuchte“<br />
(5,229, �γλα�ς: „lykaons leuchte <strong>von</strong> einem Sohn“; <strong>Homer</strong>: ‚Lykaons<br />
prangender Sohn’); „schäferstündchen“ (5,312; 6,25; 14,444f., <strong>von</strong> heure<br />
du berger, 18. Jh.); „tartschen“ (5,453; 20,279, mittelalterlicher<br />
Schild); „feld der ehre“ (6,124; 17,92 [hin<strong>zu</strong>erfunden]; 24,391 [der<br />
Komm. äußert sich erst <strong>zu</strong>r letzten Stelle: „Euphemismus“ für ‚in dem<br />
Männern ruhmbringenden Kampf’]; schon S. XIII, XVII); „wie ein chamäleon<br />
/ er wird blaß“ 76 (13,279, <strong>Homer</strong>: ‚denn bei dem Schlechten<br />
wandelt sich die Farbe bald so, bald so’); „halten wir / [...] ganz schön<br />
in schach“ (13,778f.); „gebt keinen zoll nach!“ (15,426; als Maßeinheit<br />
ab 16. Jh.); „windsbräuten“ (21,499; ahd. wintes prut, ‚Wirbelwind’; vgl.<br />
oben S. 48); „siamesische zwillinge“ (23,641: δ�δυµοι, ‚Zwillinge’); „mich<br />
schlägt keiner k.o.!“ (23,668); „gänsehaut“ (24,359: τα��ν, ‚erstarrt’;<br />
nicht antik, ab Hans Sachs); „tugendwächter“ (24,378).<br />
(20) Fremdwörter-Missbrauch:<br />
Auch sollten in einer Überset<strong>zu</strong>ng aus dem Altgriechischen Fremdwörter<br />
möglichst gemieden werden, besonders wenn sie aus der Ursprungssprache<br />
selbst (oder dem verwandten Latein) stammen. In <strong>Schrott</strong>s<br />
‚Übertragung’ finden sie sich durchgängig <strong>von</strong> Anfang an (1,6 „moment“;<br />
1,10 „pest“; 1,23 „respekt“, „akzeptieren“). Eine auffällige Massierung<br />
scheint in B. 6 vor<strong>zu</strong>liegen: „salven (Vers 4), bastion, resolutesten, weitergaloppieren,<br />
panik, schlachttrophäen, demoralisiert, akropolis, sanktuarium,<br />
statue, berserker, oval, manischen, bakchen, thyrsos, ein vifer<br />
kerl, szepter, harnisch, kreatur, privilegien, servieren, kolonnade, polierten,<br />
steinquadern, robe, statue, exquisit, roben, dekorierte, sanktua-<br />
75 Als eine Madame Butterfly scheint Briseis auch der Komm. <strong>zu</strong> sehen: „nicht nur,<br />
wie hier, als Beschreibung der Augenform, sondern ebenso als Beschreibung der Augenfarbe<br />
(schwarz) oder des Ausdrucks (leuchtend, lebhaft)“; alle Überset<strong>zu</strong>ngen sind<br />
richtiger („freudigblickend“ Voss/Rupé „flinkäugig“ Schadewaldt; „strahlend“ Hampe;<br />
„mit den hellen Augen“ Latacz).<br />
76 Nicht bei <strong>Homer</strong>; das Tier mit seinem Farbwechsel ist den Griechen seit Aristoteles<br />
und Theophrast bekannt; wie Leopard und Kymindis nur in Anatolien, nicht in Griechenland<br />
vorkommend.<br />
50
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
rium, robe, trakt, residenz, akropolis, deprimiert, charakter, portikus,<br />
wohntrakt, quartiere, panik, residierte, respekt, regiert, orakeln, tragödie,<br />
furor, galoppierend (Vers 511)“. Das letzte führt auf die vielen aus<br />
den lateinischen Infinitiven auf -are, -ere, -ire abgeleiteten Verben auf<br />
-ieren; lassen sie sich auch nicht gänzlich vermeiden, sollten sie aber<br />
nicht in solcher Fülle und Spezialisierung auftreten wie z.B. 10,38-100<br />
(„ausspionieren, inspizieren, instruieren, [adiutant], abkommandieren,<br />
respektieren, [arrogant, instruktion, wachinspektion], inspizieren, biwakieren“)<br />
oder 10,321-327 (4 in 7 Versen: „explorieren, adjudizieren, penetrieren,<br />
deliberieren“). Und wer soll z.B. den „präpotenten laomédon“<br />
(21,443: �γ�νορι, ‚mannhaften’) verstehen? Auch all<strong>zu</strong> spezielle Termini<br />
technici sollten (für Flachland-Bewohner) vermieden werden (z.B. 1,433<br />
„stagen“ [Mast-Taue]; 20,53 „trombe“ [‚Wasser-/Windhose’]; 21,319<br />
„mure voller schutt“ [‚Schutt-/Schlammstrom]).<br />
(21) Austriazismen:<br />
Ähnlich wie sein Grazer Kommentator (s. oben S. 9) streut auch der Tiroler<br />
<strong>Schrott</strong> bedenkenlos Austriazismen ein, z.B. „ident“ (S. XXIII,<br />
‚identisch’); „bettle dich <strong>zu</strong> bleiben“ (1,174); „und jeder sah sich mehr<br />
als genug“ (1,469); „da! schau her“ (1,524); „bist du unter einer decke<br />
gesteckt“ (1,540); „sie am schmäh <strong>zu</strong> führen“ (2,251); „er kam ihnen<br />
nicht mehr aus“ (5,386, ‚entkam’) / „kommt jenem schicksal aus“<br />
(6,488, ‚entkommt’; 13,359); „weiters“ (7,394; 11,245); „du ausgeschamtes<br />
luder“ (8,423); „schrofen“ (8,555, ‚Felsklippen’); „angetrenzt“ (9,490,<br />
‚besudelt’); „zwanzig weiße bossel aus zinn“ (11,34, �µ�αλο�, ‚Buckel’ am<br />
Schild); „wie das ausschaut“ (14,334; vgl. 16,745: „schau schau!“); „hatschen“<br />
(14,457, ‚hinken’); „mit mennig eingefärbelten richtschnur“<br />
(15,410, ‚eingefärbt’); „zornbinkel“ (16,204, über Achill; ‚jähzorniger<br />
Mensch’); „wo er keinen zappler mehr tat“ (16,744); „daß er die zügel<br />
ausließ“ (17,619, χε�ε, ‚fallen ließ’; ähnlich ���ηκεν 21,115; aber 5,97<br />
„zielte kurz auf ihn und ließ aus“ = β�λ', ‚schoss’); „vergessen auf“<br />
(17,759; 24,427; 24,602; vgl. oben Anm. 21); „verräumen“ (18,409,<br />
‚wegräumen’); „untergriffig“ (20,202, ‚beleidigend’); „hing ihr ein grobes<br />
maul an“ (21,393); „(Mischkrug) hielt sechs maß“ (23,741, ‚fasste’);<br />
„kuhklattern“ (23,777, ‚Rindermist’); „ums haxel gehauen“ (23,782,<br />
�βλαψε [...] π�δας, ‚die Füße beschädigt’); „der zausel“ (23,790;<br />
www.duden.de: „unordentlicher Mann“ [„Person mit zerzaustem Haar“]).<br />
– Die Verkaufsstrategie des (deutschen, namentlich Münchener) Verlages<br />
verwundert angesichts des <strong>von</strong> den Bevölkerungszahlen (ca. 8 Millionen<br />
Österreicher, über 80 Millionen Deutsche) nicht ganz unabhängigen<br />
potentiellen Absatzmarktes.<br />
51
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
(22) Mangelnde Grammatizität der deutschen Sprache:<br />
Zum Schluss noch ein Blick auf die grammatische Korrektheit der<br />
deutschen Sprache! Stilhöhe setzt als Grundbedingungen voraus: souveräne<br />
Beherrschung der Muttersprachengrammatik, Nuancensensibilität,<br />
Gespür für das treffende Wort. <strong>Homer</strong> war in alledem Vorbild für die<br />
griechische Literalität. <strong>Schrott</strong> bleibt auch dahinter meilenweit <strong>zu</strong>rück:<br />
Hier finden sich syntaktische Fehler <strong>zu</strong>hauf, z.B. (a) falsch gebildete Finalsätze<br />
(1,414: „wo<strong>zu</strong> gebar ich dich? zog ich dich denn groß um <strong>zu</strong><br />
jammern?“ [‚Wo<strong>zu</strong> nun habe ich dich aufgezogen, nachdem ich dich<br />
„auf schreckliche Weise/als etwas Schreckliches“ geboren hatte?’: so alternativ<br />
BK]; 11,621f.: „während die zwei in der brise standen, die vom<br />
meer her wehte / um ihr gewand vom schweiß <strong>zu</strong> trocknen“ [‚damit sie<br />
ihr Gewand vom Schweiß trockneten’]); (b) Appositionen im falschen<br />
Kasus (Muster: 4,193f.: „schaff mir [...] macháon her / einer <strong>von</strong> asklepios’<br />
söhnen“; 15,516f.: „einen strahlenden sohn / des anténor und einer<br />
der führer der troianischen infanterie“; 16,717f.: „[Asios] war aber<br />
hekábe / seine schwester und die mutter des hektor, <strong>zu</strong> hilfe gekommen“;<br />
20,395f.: „worauf achilleús dem [...] demoléon / einen der söhne<br />
des anténor, seinen speer in die schläfe schoß“); (c) mangelnde Kongruenz<br />
(ab S. XVIII: „Protektion und Zeugenschaft wird garantiert“;<br />
Muster: 5,104f.: „so wahr mich apollon / [...] und sein bogen <strong>von</strong> <strong>zu</strong>hause<br />
hierher führte!“); (d) falsche Deklinationsformen (z.B.: 2,595:<br />
„diesem berühmtem“; 7,446: „gibts denn [...] keinen mensch mehr“;<br />
11,602f.: „achilleús rief <strong>von</strong> oben nach patroklos / seinen waffenbruder“);<br />
(e) häufiges „nachdem“ mit Präsens (ab S. XIII: „Nachdem <strong>zu</strong>erst<br />
Jerusalem erobert wird“); (f) ständiges „brauchen“ ohne „<strong>zu</strong>“ (Muster:<br />
2,358: „er braucht nur hand an sein [...] schiff legen“; einmal richtig:<br />
8,292); (g) falsche Konjunktive ([s. schon oben Anm. 22 <strong>zu</strong> Mauritsch]<br />
„hätte“ statt „habe“; „wäre“ statt „sei“; Umschreibung mit „würde“ [die<br />
Beispiele sind Legion] bzw. infantilem ‚tun’: 6,442f.: „ich würd mich in<br />
grund und boden schämen [... / ...] tät ich mich jetzt drücken“); (h) falsche<br />
Rektion, z.B. „würdig“ mit Dativ statt Genetiv (Muster: 6,92: „ihr<br />
würdig“); „trotz“ mit Dativ (Muster: 6,452: „trotz ihrem heldenhaften<br />
mut“; doch gemäß Duden österr.); (i) Komparation des Partizips Präsens<br />
(Muster: 4,256: „die lobendsten Worte“); (k) aufgeblähte Präpositionalausdrücke<br />
(z.B. 4,161: „in voller gänze“; 6,236: „in etwa“) sowie (l) sonstige<br />
Merkwürdigkeiten (z.B. 4,538: „und der herrscher über eine stadt<br />
in élis - inmitten der toten vieler:“; <strong>Homer</strong>: ‚und viele andere wurden<br />
ringsum getötet’; 5,82f.: „unser aller verhängnis - / der unvermeidliche<br />
Tod - bemächtigte sich purpuren [purpurn?] seiner augen“; 15,362:<br />
„genausoleicht“; 15,692: „die sie [?] am flußufer nach fröschen und fi-<br />
52
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
schen tauchen“; 20,500f.: „<strong>von</strong> dem blut / das die hufe und die radfelgen<br />
an der seite emporspritzte[?]“). – Da<strong>zu</strong> treten (m) sprachlich falsch<br />
gebildete Eigennamen und Patronymika. 77<br />
Nicht nur grammatisch falsches, sondern auch besonders häßliches<br />
Deutsch eines Unbedarften ist das, was man (n) ‚absolute Partizipien im<br />
Nominativ’ nennen könnte, <strong>von</strong>: „der hunger gestillt, kamen die knaben<br />
mit den mischkrügen“ (1,470); „der arm lahm vor schmerz / nahm er<br />
grade den riemen ab“ (5,797f.); „der helm funkelnd / weicht hektor <strong>zu</strong>rück“<br />
(7,263f.; ähnlich 8,160; 8,325; 17,3; 17,188) bis „der grabhügel<br />
errichtet, kehrten sie nach ilios <strong>zu</strong>rück“ (24,801); auch mit der Folge eines<br />
falschen Be<strong>zu</strong>ges (z.B. 11,225f.: „ein mann geworden [scil. Iphidamas]<br />
und voll jugendlicher unternehmungslust / tat kissés alles um ihn<br />
da<strong>zu</strong>halten“. – So schon in „<strong>Homer</strong>s Heimat“, <strong>von</strong> S. 12 („Meine Neugier<br />
geweckt, schob er mir einen Stapel <strong>von</strong> Arbeiten [...] auf den Tisch“; 47<br />
„Diese Basis einmal etabliert, bringt Pijamaradu um 1280 erst Lesbos<br />
[...] in seine Gewalt“) bis S. 338 („<strong>Homer</strong>s Epen in Abschriften präsent,<br />
verwalteten die <strong>Homer</strong>iden auf Chios das Erbe des Dichters“). Dies soll<br />
wohl originell sein; in Wahrheit zeigt es eine hilflose Stilunsicherheit in<br />
der deutschen Sprache an. – Die ungezählten üblichen (o) Druckfehler<br />
runden das Bild ab. 78<br />
Des Rätsels Lösung? Im genannten Interview mit dem Bayerischen<br />
Rundfunk (wie Anm. 44) antwortet <strong>Schrott</strong> auf die Frage „Wie viele<br />
Sprachen sprechen Sie? Wie viele Dialekte beherrschen Sie?“ folgendermaßen:<br />
„Tja, als Tiroler versuche ich ja immer noch das Schriftdeutsche <strong>zu</strong><br />
lernen, obwohl es immer heißt, wir würden kein Hochdeutsch kön-<br />
77 Z.B. „<strong>von</strong> idomeneos“ (6,436; doch s. oben S. 20 <strong>zu</strong>m Nominativ „achilleús); „laertídes“<br />
(9,308; 9,624); „asklepídes“ (14,1); „kapanídes“ (5,319; doch 5,111 richtiges<br />
„kapaneiádes“); vgl. „<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 16: „Aineidengeschlechts“.<br />
78 Z.B. briseís (1,429); „schätz[s]t“ (1,516); „eurýplos“ (6,36); „was gibst <br />
dich mit dem kerl da ab?“ (6,54); „<strong>von</strong> idomeneos“ (6,436; doch s. oben S. 20 <strong>zu</strong>r Aussprache<br />
„Achilleos“); „du zeigest“ (7,289); „bald hier bald dorthin“ (8,107; 11,156,<br />
statt „hier-“); „inden“ (12,175); „gibts du“ (13,230, statt „gibst’s du“); „füllen“ (13,391,<br />
statt „fällen“); „stürz[s]t“ (18,134); „du sagt es“ (20,20); „vom seinem“ (20,62); „zyper[n]gras“<br />
(21,351, s. Anm. 93); „ilias“ (21,446, statt „ilios“); „pyler“ (23,633; doch<br />
„Pylener“ in „<strong>Homer</strong>s Heimat“, z.B. S. 15, 64); falsche/gestörte Interpunktion z.B.<br />
17,293; 24,264; falsche Betonungen: s. Anm. 37; fehlender Genetiv-Apostroph z.B.<br />
1,429 „briseís hüften“; 6,134 „vor lykóorgos geschrei“; 21,142 „akessamenós<br />
älteste tochter“; falscher Genetiv-Apostroph z.B. 6,45 „um menélaos[’] sein knie“. Doch<br />
s. schon S. XII „das die Griechen“, XX: „hellenitischen“, XXVII „beserkerhaften“;<br />
XXX, 4. Z. fehlt Fragezeichen.<br />
53
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
nen [statt ‚wir könnten kein Hochdeutsch’! QED]. [...] Ich bin also<br />
ohne Koketterie immer noch dabei, Deutsch <strong>zu</strong> lernen, d. h. das<br />
ganze Repertoire der Sprache, ihre ganzen Stilregister <strong>zu</strong> beherrschen,<br />
um sie einsetzen <strong>zu</strong> können.“<br />
Das Interview wurde wohl im März 2006 geführt (ausgestrahlt am<br />
13.3.2006, 20.15 Uhr), also <strong>zu</strong> einer Zeit, als <strong>Schrott</strong> an seiner ‚Übertragung’<br />
der <strong>Ilias</strong> saß (erschienen 2008). Tja, dann ... – Was sich hier<br />
herausstellt, stimmt fast schon wieder heiter: Wir haben eine ‚Übertragung’<br />
aus dem <strong>Homer</strong>ischen Altgriechischen ins Neuhochdeutsche vor<br />
uns, deren Verfasser weder das <strong>Homer</strong>ische Altgriechische noch das<br />
Neuhochdeutsche wirklich beherrscht – ein in der neueren Geschichte<br />
der deutschen <strong>Homer</strong>-Überset<strong>zu</strong>ng einzigartiges Kuriosum.<br />
Würde man <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung’ inhaltlich mit den Maßstäben einer<br />
dokumentarischen Überset<strong>zu</strong>ng messen, gäbe es vom Anfang (1,1f.:<br />
„<strong>von</strong> der bitternis sing, göttin - <strong>von</strong> achilleús, dem sohn des peleús /<br />
seinem verfluchten groll“; s. oben S. 14) bis <strong>zu</strong>m Ende (24,801: „der<br />
grabhügel errichtet, kehrten sie nach ilios <strong>zu</strong>rück“: s. unten S. 52 <strong>zu</strong><br />
‚absoluten Partizipien’) nur wenige Verse, die nicht <strong>zu</strong> beanstanden wären;<br />
doch <strong>zu</strong> Bedenken Anlass geben selbst bei einer an Hand <strong>von</strong> Vorlagen<br />
<strong>zu</strong>sammengestückelten ‚Übertragung’ Fälle wie „bei den schiffen<br />
[...] / dann werf ich ihn gleich den hunden und krähen <strong>zu</strong>m fraß vor!“<br />
(2,392f.; <strong>Homer</strong>: ‚bei den Schiffen mit den Krähenschnabel-Bugen<br />
[κορων�σιν; richtig 1,170: „krähenbug meiner schiffe“], / wird es für ihn<br />
darauf nicht / sicher sein, dass er den Hunden und Raubvögeln entflieht’)<br />
bis „so draufgängerisch, so einzelgängerisch wie du bist!“<br />
(21,589; <strong>Homer</strong>: ‚so entsetzlich du bist und ein so kühner Krieger’) oder<br />
„die haare standen ihm <strong>zu</strong> berge und eine gänsehaut / überlief die gichtigen<br />
glieder“ (24,359f.; <strong>Homer</strong>: ‚und aufrecht stellten sich [�σταν] die<br />
Haare an den gelenkigen Gliedern / und er stand [στ�] erstarrt’). Zu<br />
„gänsehaut“ s. oben S. 49!<br />
Die vor allem vulgär- bzw. gossensprachliche, sich bis <strong>zu</strong> den Sprechblasen<br />
des Comic-Stils 79 herablassende Anpassung an heutige Verhältnisse<br />
lässt alles Vergangene nahtlos im Gegenwärtigen aufgehen. Die<br />
Differenz, die Erfahrung der Andersheit (Hölschers ‚nächstes Fremdes’)<br />
80 und damit die Möglichkeit der Horizont-Erweiterung gerade für<br />
79 Z.B. „bäng!“ (21,425); „hü! hott! los im galopp! hopp hopp! beeilt euch doch!<br />
(23,414).<br />
80 „Selbstgespräch über den Humanismus“ (1962/1965), auch in: Uvo Hölscher: Das<br />
nächste Fremde. Von Texten der griechischen Frühzeit und ihrem Reflex in der Mo-<br />
54
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
Schüler und Studenten werden anbiedernd, leichtfertig, verantwortungslos<br />
und in sensationslüsterner Effekthascherei <strong>zu</strong>ungusten höherer<br />
Werte aufgegeben.<br />
*<br />
Wir fassen <strong>zu</strong>sammen: Insgesamt gesehen handelt es sich nicht um eine<br />
Überset<strong>zu</strong>ng oder Übertragung, sondern um eine ‚Freie Nachdichtung<br />
auf der Grundlage vorliegender professioneller Überset<strong>zu</strong>ngen’ (so<br />
hätte der korrekte Titel lauten müssen), für die Kenntnis der Herkunftssprache<br />
gar nicht erforderlich ist. Nach eigenem Eingeständnis<br />
(„Griechisch und Latein hatten wir noch als Freifächer oder gar als<br />
Pflichtfächer am Gymnasium“: so <strong>Schrott</strong> im Interview des Bayerischen<br />
Rundfunks vom 13.3.2006 [wie oben Anm. 44]) kann <strong>Schrott</strong> ja auch<br />
tatsächlich kaum Altgriechisch und demnach erst recht kein <strong>Homer</strong>isches<br />
Griechisch – worin aus der hier vertretenen wissenschaftlichen<br />
Sicht ja denn auch der eigentliche Skandal liegt, nicht nur auf Seiten<br />
des bedenkenlos handelnden Autors, sondern auch auf Seiten des verantwortungslos<br />
agierenden Verlages und dessen williger Vertriebs-Partner,<br />
<strong>von</strong> den Printmedien, Fernseh- und Rundfunksendern, Veranstaltern<br />
<strong>von</strong> Lesungen usw. bis hin <strong>zu</strong>r Wissenschaftlichen Buchgesellschaft<br />
(WBG), die <strong>Schrott</strong>s Bücher ihren Mitgliedern <strong>zu</strong> Sonderkonditionen<br />
andient (hoffentlich, um aus nachträglicher Einsicht die Lagerbestände<br />
schnellstmöglich los<strong>zu</strong>werden). Statt einer aus intimer Vertrautheit<br />
mit der Originalsprache selbst erarbeiteten ‚Übertragung’ (wie sie<br />
der Rezensent für seine eigenen Überset<strong>zu</strong>ngen beansprucht) scheinen<br />
hier vielmehr nach einem in Mode gekommenen amerikanischen Verfahren<br />
eine oder mehrere vorliegende verschiedensprachige Überset<strong>zu</strong>ngen,<br />
81 ohne dass sie in einem Literaturverzeichnis genannt würden, un-<br />
derne, hg. <strong>von</strong> Joachim Latacz und Manfred Kraus, München 1994, S. 278 (s. schon<br />
Titel und S. VII): „Rom und Griechenland sind uns das nächste Fremde, und das vorzüglich<br />
Bildende an ihnen ist nicht sowohl ihre Klassizität und ‚Normalität’, sondern<br />
daß uns das Eigene dort in einer anderen Möglichkeit, ja überhaupt im Stande der<br />
Möglichkeiten begegnet.“<br />
81 Z.B ist auf Stephen Mitchells (* 1943 in Brooklyn) Wikipedia-Seite (s.v. „Biography“)<br />
<strong>zu</strong> lesen: „Languages that he had not translated from, but rather put together interpretive<br />
versions from existing translations into Western languages include Chinese<br />
[...], Sanskrit [...], Akkadian or ancient Babylonian (Gilgamesh [auch <strong>von</strong> <strong>Schrott</strong> ‚übersetzt’:<br />
s. Anm. 31]).“ Mitchell überträgt z.Zt. die <strong>Ilias</strong>. Vgl. ferner Maxine Lewis<br />
(http://bmcr.brynmawr.edu/2009/2009-04-061) über Alan Shapiro (transl.), Euripides:<br />
Trojan Women. Greek Tragedy in New Translations, New York/Oxford 2008: „Shapiro’s<br />
note On the Translation follows, in which he says that he worked from Shirley<br />
Barlow’s prose version. [...] Despite working from a translation, Shapiro’s version is<br />
notable for its closeness to the Greek at many points, and Burian’s notes [vgl. Mauritsch<br />
bei <strong>Schrott</strong>] further tie the English to the original text.“<br />
55
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
ter dem Mantel der ‚Modernisierung’ sprachlich aufgepeppt und <strong>zu</strong> einem<br />
Flickwerk (Cento) vereinigt worden <strong>zu</strong> sein 82 – ein Schlag ins Gesicht<br />
aller seriös arbeitenden Angehörigen der (wenn überhaupt, dann<br />
schlecht bezahlten) Berufsübersetzer-Zunft. Insofern ist die Etikettierung<br />
auf dem Titelblatt „<strong>Übertragen</strong> <strong>von</strong> <strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>“ eine Mogelpackung<br />
bzw. Irreführung des Lesers, ja Hochstapelei und Betrug am<br />
Käufer (leider kann <strong>Homer</strong> selbst sich urheberrechtlich nicht mehr<br />
wehren, aber im Gegensatz <strong>zu</strong> ihm schlafen seine Anwälte keinen Augenblick).<br />
Insofern ist aber die Tätigkeit des Rezensenten – der selbstverständlich<br />
einem „Response“ herzlich gern entgegensähe, wenn er<br />
nicht schon jetzt wüsste, dass ihm mit dem Vorwurf ‚philologischer<br />
Beckmesserei 83 nur hochtrabendes substanzloses Gerede bzw. „Wolkenputzerei“<br />
84 entgegengehalten würde – eigentlich sinnlos, da sie keine<br />
ernst<strong>zu</strong>nehmende Grundlage hat: Es kann im geläufigen Sinne nicht<br />
etwas „Übertragung“ genannt werden, was nicht durch einen intimen<br />
Kenner der Sprache und des kulturellen Kontextes des Originals unter<br />
Wahrung der historischen Bedingtheit dieses Originals mit Geschmack<br />
und Augenmaß <strong>von</strong> seinem Original-Ort an einen anderen ‚getragen’<br />
wurde (‚Translation’). Hier wurde allenfalls <strong>von</strong> jemandem, der weder<br />
über ein Griechisch- noch sonst ein altertumswissenschaftliches Fachstudium<br />
verfügt, allerlei ‚<strong>zu</strong>sammengetragen’ (conferre) und miteinander<br />
‚verglichen’ (comparare, was ja auch der dekuvrierende erste Satz des<br />
Vorwortes <strong>von</strong> „<strong>Homer</strong>s Heimat“ (S. 11; s. schon oben S. 13) „(man) vergleicht<br />
die vielen Überset<strong>zu</strong>ngen anderer“ bestätigt und was somit der<br />
Berufsbezeichnung <strong>Schrott</strong>s als ‚Komparatist’ plötzlich einen ganz anderen,<br />
delikaten (auch <strong>von</strong> seinen seriösen Komparatisten-Kollegen<br />
vermutlich kaum goutierten) Sinn gibt ... Um es ganz klar <strong>zu</strong> sagen: Es<br />
ist exakt dieses Vorspiegeln einer auf dem Urtext basierenden selbst<br />
82 Eine <strong>zu</strong>grundeliegende griechische Ausgabe wird nie aufgeführt (auch nicht in „<strong>Homer</strong>s<br />
Heimat“); Mauritsch S. 527 spricht vom „griechischen Text in einer der herkömmlichen<br />
<strong>Ilias</strong>-Ausgaben“, nennt S. 528 die Überset<strong>zu</strong>ngen <strong>von</strong> Voss/Rupé, Schadewaldt,<br />
Hampe und Ebener (1983).<br />
83 Vgl. Wilamowitz (wie Anm. 1) S. 1: „Wir Philologen, die trocknen Schleicher, die am<br />
Buchstaben haften und grammatischen Haarspaltereien nachhängen, haben nun einmal<br />
auch die Verkehrtheit, daß wir mit ganzem Herzen die Ideale lieben, denen wir<br />
dienen.“<br />
84 „Handbuch der Wolkenputzerei. Gesammelte Essays“ (München 2005) nennt<br />
<strong>Schrott</strong> sehr <strong>zu</strong> Recht eines seiner Bücher (laut Homepage des Carl Hanser Verlags<br />
eine ‚Einführung in das Handwerk des Dichters’); da<strong>zu</strong> <strong>Schrott</strong> selbst im Interview mit<br />
dem Bayerischen Rundfunk (wie Anm. 44) auf die Feststellung des Gesprächspartners<br />
(„Der ‚Wolkenputzer’ ist dann demnach der Lyriker“) mit entwaffnender Selbsterkenntnis<br />
(die er wohl, voll latenter Eitelkeit, für selbstironisch hält): „Nein, die Wolken sind<br />
eher diese Gebilde, die wie Gedichte sind [...] Die Wolkenputzerei ist eher die Kritik,<br />
die Literaturkritik [...] eigentlich könnte man dieses Buch – und das sind ja alles sehr<br />
weit ausholende Essays – auch ‚Gesammelte Klugscheißereien’ nennen.“<br />
56
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
gemachten Überset<strong>zu</strong>ng, was die Fachwissenschaft herausfordert und<br />
eine fachwissenschaftliche Antwort in Form einer notwendig vernichtend<br />
ausfallenden Kritik unumgänglich macht. Niemandem ist es verboten,<br />
auf der Grundlage existierender professioneller Überset<strong>zu</strong>ngen<br />
neue, auch ‚poetische’, Produkte <strong>zu</strong> fabrizieren. Er muss das aber sagen!<br />
<strong>Schrott</strong> dagegen verschweigt es, mehr noch: Er will als erster<br />
deutschsprachiger wissenschaftlicher Übersetzer in der Geschichte des<br />
<strong>Homer</strong>-Übersetzens gelten: „Eine kanonische wissenschaftliche Überset<strong>zu</strong>ng,<br />
die den vollständigen semantischen Gehalt <strong>von</strong> <strong>Homer</strong>s <strong>Ilias</strong><br />
auf deutsch präsentiert, liegt bis heute nicht vor; selbst noch die Übertragung<br />
<strong>von</strong> Schadewaldt beschneidet wahre Texttreue [...]“ usw. (S.<br />
XXXI). Mit anderen Worten: ‚Die erste wissenschaftlich wahre Texttreue<br />
– hier liegt sie vor!’ Diese haarsträubende Selbstüberhebung, die angesichts<br />
des tatsächlich Vorgelegten nahe<strong>zu</strong> als Größenwahn im psychiatrischen<br />
Sinne erscheint, verlangt nach einer klaren Antwort. Dementsprechend<br />
nimmt die Wissenschaft den Wahnwitz probehalber ernst<br />
und antwortet als Wissenschaft! An der Vernichtung seines Produkts ist<br />
also niemals die wissenschaftliche Kritik schuld, sondern allein der Verfasser<br />
dieser ‚Übertragung’ selbst! Wer sich als Fachmann ausgibt,<br />
nimmt in Kauf, dass er <strong>von</strong> Fachmännern beurteilt wird. – Im Übrigen<br />
hätte <strong>Schrott</strong>, wie ich bei anderer Gelegenheit aufdecken konnte, mindestens<br />
einen prominenten Möchtegern-Dichter (der aber im Gegensatz<br />
<strong>zu</strong> ihm richtig abgeschrieben hat, obwohl er vermutlich Griechisch<br />
konnte) als Vorläufer. 85<br />
85 Nämlich in Thassilo <strong>von</strong> Scheffer, der für seine ‚Überset<strong>zu</strong>ng’ des Apollonios Rhodios<br />
(Leipzig 1940), vermutlich ohne Einsehen des Originals, lediglich die ältere Überset<strong>zu</strong>ng<br />
Osianders (Stuttgart 1837) ausgeschrieben hat, s. Apollonios <strong>von</strong> Rhodos: Die<br />
Fahrt der Argonauten. Griechisch/Deutsch. Hg., übers. u. komm. <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong>,<br />
Stuttgart 2002, S. 567; vgl. ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung’ vom 27.2.2003, S. 30. Im<br />
Übrigen hat schon Schiller es so gehalten, dessen Griechisch-Kenntnisse gemäß<br />
Selbsteingeständnis ‚ganz ungenügend, eigentlich gleich Null waren’, vgl. J. Latacz:<br />
Schiller und die griechische Tragödie, in: Tragödie. Idee und Transformation. Hg. <strong>von</strong><br />
H. Flashar, Stuttgart (Colloquium Rauricum; 5), 1997, (S. 235-257) S. 236-238. In der<br />
Tat konnten nur wenige unserer Klassiker wirklich Griechisch (<strong>zu</strong> ihrer Zeit war ja<br />
Griechisch noch die Dienerin der Theologie, sprich: des Neuen Testaments); gerade dadurch<br />
haben sie jedoch die gymnasiale (auch heute noch nicht gänzlich abgetötete)<br />
Griechisch-Konjunktur seit den Humboldtschen Bildungsreformen anfangs des 19.<br />
Jahrhunderts evoziert. Sich heute noch, 200 Jahre weiter, als Rettungsring gerade auf<br />
sie <strong>zu</strong> berufen (was <strong>Schrott</strong> <strong>zu</strong><strong>zu</strong>trauen ist) wäre also ein grobes Missverständnis. Die<br />
gegenwärtige Bildungspolitik legt freilich den Verdacht nahe, dass man es nur <strong>zu</strong> gern<br />
sähe, wenn wir wieder auf den Griechisch-Kenntnisstand vor der Begründung der<br />
Klassischen Philologie durch F. A. Wolf 1787 <strong>zu</strong>rückfielen – <strong>zu</strong>m Besten der herrschenden<br />
bildungsfernen Massen‚kultur’.<br />
57
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
Wenn nicht nur die <strong>von</strong> den Medien (Presse, Radio, Fernsehen) manipulierte<br />
Öffentlichkeit – bis hin <strong>zu</strong>m renommierten Berliner Ensemble –,<br />
sondern auch Fachkollegen an Universitäten (darunter auch vom Rez.<br />
sehr geschätzte) und Gymnasien, ja sogar die angesehene FU Berlin (die<br />
es fertiggebracht hat, sich durch Verleihung einer Gastprofessur an<br />
<strong>Schrott</strong> für das WS 2008/09 international lächerlich <strong>zu</strong> machen) 86 darauf<br />
hereingefallen sind und durch Einladungen <strong>zu</strong> Lesungen sogar in<br />
Schulen weiter auf diesen Schwindel hereinfallen, bedeutet das eine erschütternde<br />
Diagnose für das gegenwärtige deutsche Bildungsniveau<br />
mit verheerenden Wirkungen auf die Sprachkultur künftiger Generationen<br />
– im Übrigen richtig <strong>von</strong> Wilamowitz vorausgesehen. 87<br />
In Anlehnung an August Wilhelm Schlegels Spottvers über Schillers<br />
Überset<strong>zu</strong>ngsbemühungen (s. Anm. 85):<br />
„Ohn’ alles Griechisch hab’ ich ja<br />
verdeutscht die Iphigenia“<br />
könnte man <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung’ in seiner Schreibart kommentieren:<br />
ohn alles griechisch hab ich – gnade! –<br />
verhunzt die schöne iliade.<br />
Oder lassen wir, 200 Jahre später und „ins Heute gebracht“, <strong>Homer</strong><br />
selbst mit der (vom Rezensenten, als er sich im Studium erstmals mit<br />
<strong>Homer</strong> beschäftigte, immer gern gehörten) israelischen Chansonniere<br />
Daliah Lavi (* 1942) fragen:<br />
„Wer hat mein Lied so zerstört?“<br />
86 <strong>Schrott</strong> ist im WS 2008/09 Inhaber der Samuel-Fischer-Gastprofessur am Peter<br />
Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Freien<br />
Universität Berlin, wo auf der Homepage (http://www.geisteswissenschaften.fuberlin.de/lehrende/chronik/2008/schrott_raoul.html<br />
> Vorlesungsverzeichnis) als<br />
erstes Ziel seines Kurses „Weltliteratur und Poetik“ formuliert ist: „Sich nach Lust und<br />
Laune mit der Literatur einer alten [genannt u.a. altgriechischen, lateinischen] und<br />
fremden Kultur wenigstens oberflächlich vertraut <strong>zu</strong> machen – und sie sich durch eigene<br />
Initiative (sprich Literatursuche) <strong>zu</strong> erschließen [meine Kursivierungen].“ Der<br />
Kreis <strong>zu</strong>m einleitenden Wilamowitz-Zitat (S. 1) ist geschlossen.<br />
87 Vgl. Wilamowitz (wie Anm. 1) S. 2: „Und daß den Deutschen die hellenische Poesie<br />
in solchen [<strong>von</strong> Philologen gemachten] Überset<strong>zu</strong>ngen dargeboten wird, ist nur eines<br />
der Mittel, die not tun, um dem sittlichen und geistigen Verfalle <strong>zu</strong> steuern, dem unser<br />
Volk immer rascher entgegen geht“; da<strong>zu</strong> 1925 in Anm. 1 die bis 2008/2009 gültige<br />
Weitsicht: „Das ist 1891 geschrieben; leider habe ich unsere Zukunft richtig beurteilt.“<br />
58
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
Kritischer Anhang: Weiterführende naturkundliche Argumentation<br />
(<strong>zu</strong>r Alternative ‚Troas : Kilikien’) <strong>zu</strong> <strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
[...] wer den Dichter will verstehen,<br />
muß in Dichters Lande gehen.<br />
(Goethe, Noten und Abhandlungen <strong>zu</strong>m Westöstlichen Divan)<br />
Schon oben (S. 35-40), im Zusammenhang mit den im Original (aber<br />
nicht in <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung’) identischen Baum-Gleichnissen des 13.<br />
und 16. <strong>Ilias</strong>-Buches, ist einer der zwölf Punkte, die <strong>Schrott</strong>s Kilikien-<br />
These <strong>zu</strong>grunde liegen und auf denen „die Rekonstruktion eines Dioramas<br />
homerischer Zeitgeschichte auf(baut)“ („<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 15; s.<br />
oben S. 35; vgl. unten S. 63), widerlegt worden: „[4.] Aussagekräftig sind<br />
auch die Landschaftsbeschreibungen der homerischen Gleichnisse. Sie<br />
stimmen in ihren agrarischen und geographischen Spezifika alle mit Kilikien<br />
und kaum je mit der Troas überein“ („<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 13). Die<br />
Widerlegung sei hier auf noch breitere Grundlage gestellt und vertiefend<br />
weitergeführt.<br />
Während alle vom Rez. im Hauptteil S. 35-40 besprochenen botanischen<br />
Beispiele <strong>zu</strong>r Kategorie ‚verborgenes’ oder ‚impliziertes’ Lokalkolorit<br />
gehören, d.h. ohne ausdrückliche topographische Fixierung gebotenes<br />
Lokalkolorit darstellen, das aber für die primären Hörer des Dichters<br />
wie selbstverständlich deutlich war und durch seinen Wiedererkennungswert<br />
goutiert werden konnte, gibt es Dutzende <strong>von</strong> Stellen ‚offenen,<br />
expliziten’, d.h. ausdrücklich mit geographischer Ortsangabe versehenen<br />
Lokalkolorits; sie alle widerlegen gleichfalls <strong>Schrott</strong>s vierten<br />
Punkt. An erster Stelle sei die nicht nur schönste, sondern auch aussagekräftigste<br />
ausgewählt, in der mit der <strong>von</strong> <strong>Schrott</strong> gleichfalls verkannten<br />
Tanne (�λ�τη, s. schon oben S. 37; 39f.) ein weiterer Baum eine<br />
wahrhaft ‚tragende’ Rolle spielt, die ∆ι�ς �π�τη und ihre Vorbereitung,<br />
der Weg Heras <strong>zu</strong>m Schlafgott Hypnos, <strong>Ilias</strong> 14,225-231, 281-293, 347-<br />
352 (Überset<strong>zu</strong>ng des Rez.): 88<br />
88 Siehe Herzhoff, Kymindis (wie Anm. 65); für Unabhängigkeit <strong>Homer</strong>s <strong>von</strong> orientalischen<br />
Quellen jetzt endlich Adrian Kelly: The Babylonian Captivity of <strong>Homer</strong>. The Case<br />
of the ∆ι�ς �π�τη, Rheinisches Museum 151, 2008, (S. 259-304), S. 297f. (ohne Kenntnis<br />
Herzhoffs). Den Weg Heras behandelt als Beispiel für Authentizität <strong>Homer</strong>s jetzt<br />
René Nünlist: The ancient critic at work. Terms and concepts of literary criticism in<br />
Greek scholia, Cambridge [u.a.] 2009, S. 187f. (Kap. 8: „Authentication“, S. 185-193).<br />
59
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
(225) ‚Here aber schwang sich hinab und verließ die Kuppe des<br />
Olympos,<br />
über Pierien hinschreitend und die liebliche Emathie<br />
stürmte sie über der rossepflegenden Thraker beschneite Berge,<br />
die obersten Gipfel, und nicht berührte sie die Erde mit beiden<br />
Füßen.<br />
Vom Athos aber schritt sie auf das Meer, das wogende,<br />
(230) und erreichte Lemnos, die Stadt des göttlichen Thoas.<br />
Dort traf sie mit dem Schlaf <strong>zu</strong>sammen, dem Bruder des Todes.<br />
(281) Beide schritten sie hin, wobei sie die Stadt <strong>von</strong> Lemnos und<br />
Imbros verließen und,<br />
<strong>von</strong> Nebel überzogen, leicht den Weg vollbrachten,<br />
Und sie erreichten die Ida, die quellenreiche, die Mutter der Tiere,<br />
Lekton, wo sie <strong>zu</strong>erst die Salzflut verließen, und über das Festland<br />
(285) schritten beide, und die Spitzen des Waldes erbebten unter<br />
ihren Füßen.<br />
Dort blieb der Schlaf, bevor des Zeus Augen ihn sahen,<br />
auf eine Tanne (�λ�την) gestiegen, eine übergroße, die damals auf<br />
der Ida<br />
als größte gewachsen war und durch die Luft den Äther erreichte.<br />
Dort saß er, dicht gedeckt <strong>von</strong> den Tannen(ε�λατ�νοισιν)zweigen,<br />
(290) einem schrillstimmigen Vogel gleichend, den in den Bergen<br />
Chalkis (Erzvogel) die Götter nennen, die Männer aber<br />
Kymindis (Häherkuckuck, Clamator glandarius L.).<br />
Here aber schritt eilends hinauf <strong>zu</strong>r Gargaron-Spitze<br />
auf der hohen Ida, und es sah sie der wolkensammelnde Zeus.<br />
(347) Und unter ihnen ließ wachsen die göttliche Erde frisch sprießende<br />
Kräuter (πο�ην):<br />
sowohl Scharbockskraut (λωτ�ν), taufrisches, als auch Krokus (κρ�κον)<br />
als auch Sternhyazinthe (��κινθον),<br />
dicht und weich, die sie <strong>von</strong> der Erde in die Höhe hob.<br />
(350) Darauf lagerten sich beide und zogen über sich eine Wolke,<br />
eine schöne, goldene, und herab fielen glänzende Tropfen Tau.<br />
So schlief er ruhig, der Vater, auf der Gargaron-Spitze.<br />
(Man vergleiche damit <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung’!)<br />
Alles in allem eine gerade<strong>zu</strong> feuerwerksartige Konzentration <strong>von</strong> explizitem<br />
Lokalkolorit, angefangen <strong>von</strong> der genauen Beschreibung des Weges<br />
60
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
der Hera: Olympos in Makedonien (Pierien, Emathie) – verschneite Berge<br />
Thrakiens (also Frühjahr! siehe die Blumen) – Athos – Lemnos –<br />
(Umweg über) Imbros – Kap Lekton (heute Baba Kale) – Ida-Wälder –<br />
(kahle) Ida-Höhen/Gargaron-Spitze (Φ�λακραι bei Theophrast, Historia<br />
plantarum 3,17,6), wo Zeus (seit 11,182f.) sitzt und dem Kampfgeschehen<br />
vor Troia <strong>zu</strong>schaut. Der merkwürdige Zickzackkurs Heras mit Umweg<br />
über Lemnos ist längst aus den seefahrerischen Gepflogenheiten<br />
der Zeit erklärt. 89 Hier liegt also topographisches Lokalkolorit vor: Wie<br />
will man das auf Kilikien beziehen? Vgl. „<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 55-63<br />
„Troias Topographie“; S. 56 <strong>zu</strong>r Oreographie der Ida, u.a. <strong>zu</strong> 14,283:<br />
„Und auch der Ida stellt bloß eine einzelne runde Bergkuppe und keine<br />
Bergkette mit einem Gewirr <strong>von</strong> vorgelagerten Hügeln und Tälern und<br />
zahlreichen Gipfeln dar, eine ‚Mutter des Wilds’ [8,47], wie es die <strong>Ilias</strong><br />
wiederholt schildert – all dies beschreibt eher kilikische Gebirge wie den<br />
Taurus und den Amanus“; ähnlich S. 187; s. dagegen Herzhoff, Flußkatalog<br />
(wie Anm. 65) 115 Anm. 49 (<strong>zu</strong> 21,308, Skamander und Simoeis<br />
als Brüder): „Hier wird sichtbar, wie weit der Dichter den Begriff der Ida<br />
faßt: Er bezeichnet so die Gesamtheit der Waldgebirge der troadischen<br />
Halbinsel – als Appellativ bedeutet es ‚Holz, Waldung’ [mit Verweis auf<br />
Frisk GEW I 709]“; <strong>zu</strong> den <strong>von</strong> <strong>Schrott</strong> S. 56-59 (vgl. S. 183-207 „Kilikien“;<br />
vgl. oben S. 5 <strong>zu</strong> „Ort“ S. X) gewaltsam nach Kilikien verlegten<br />
Flüssen der Troas s. dagegen ihre Identifizierung und Lokalisierung bei<br />
Herzhoff, Flußkatalog.<br />
Botanisches Lokalkolorit gilt für die hier bei Kulissenschilderung mit<br />
Ortsangabe versehene Tanne (�λ�τη: 14,287 [<strong>Schrott</strong>: „kiefer“]; 289), die<br />
schon oben im Gleichnis 5,560 (<strong>Schrott</strong>: „kiefern“ 90) unter ‚verborgenem,<br />
implizitem’ Lokalkolorit vorkam. Da<strong>zu</strong> Herzhoff, Flußkatalog S.<br />
108: „namentlich Göttertaten scheinen Anschauungsrealismus mit autoptisch<br />
überprüfbarem Lokalkolorit <strong>zu</strong> evozieren“, mit der ∆ι�ς �π�τη in<br />
Anm. 26 als Beispiel: „Allein schon die Erwähnung der Tanne (�λ�τη) in<br />
diesem Zusammenhang sowie die genauen pflanzengeographischen und<br />
89 Überzeugend Richard Janko <strong>zu</strong>r Stelle, <strong>Ilias</strong>-Komm. IV, Cambridge 1992, 186f., mit<br />
Landkarte S. XXVI, der sich allerdings botanisch nicht festlegt bzw. in die Irre geht:<br />
λωτ�ς stellt er (trotz Kenntnis <strong>von</strong> Herzhoff, Lotos) ins Belieben; �χερω�ς (13,389 =<br />
16,482) ist bei ihm „white poplar“ (S. 97; s. oben Anm. 66), also Populus alba, statt<br />
richtig Espe/Zitterpappel/Populus tremula.<br />
90 Auch in „<strong>Homer</strong>s Heimat“ zeigt <strong>Schrott</strong> trotz seines programmatischen Insistierens<br />
auf „agrarischen und geographischen Spezifika“ (S. 13), wie oberflächlich bzw. in botanicis<br />
bar jedes Wissens er arbeitet: Beim Gleichnis 11,492-495 (δρ�ς, πε�κη) ist S.<br />
193 (mit Anm. 11) <strong>zu</strong>nächst <strong>von</strong> „Eichen- und Kiefernstämmen“ die Rede, in der S.<br />
195 gebotenen ‚Überset<strong>zu</strong>ng’ heißt es aber „Eichen und Fichten“ (in der Gesamt-‚Übertragung’<br />
korrigiert <strong>zu</strong> „trockne eichen und morsche kiefern“).<br />
61
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
ökologischen Angaben Ξ 287-289 – es handelt sich um Abies equi-trojani<br />
Aschers. et Sint., eine in der Troas endemische Art (vgl. dens., Art.<br />
‚Tanne’, in: DNP 12/1, Stuttgart 2002, 10) – ist eine bislang nicht gewürdigte<br />
pflanzengeographische Sensation: Damals wie heute kommen<br />
Tannen in Westanatolien ausschließlich hier an der <strong>von</strong> <strong>Homer</strong> erwähnten<br />
Stelle vor“. 91 – Aus ihrem Holz bestehen nicht nur die Ruder im<br />
Gleichnis 7,5 (‚Tannen’, <strong>Schrott</strong> versimpelnd: „ruderblätter“;<br />
Schadewaldt falsch „Fichtenrudern“), sondern auch die Blockhütte<br />
(24,448 κλισ�η; ‚Zelt’ ist nur eine traditionelle deutsche Überset<strong>zu</strong>ngs-<br />
Konvention) Achills (24,450 [‚Balken der Tanne’, so auch Schadewaldt;<br />
falsch <strong>Schrott</strong>: „fichtenplanken“]) einschließlich ihres Türpflocks<br />
(24,453f. [‚ein einziger Querbalken, / ein tannener’, ähnlich Schadewaldt;<br />
<strong>Schrott</strong> versimpelnd und die Paronomasie zerstörend: „baumstamm“]).<br />
Botanisches Lokalkolorit gilt für die – <strong>zu</strong>vor unter dem Sammelbegriff<br />
πο�η (‚Kräuter’) <strong>zu</strong>sammengefasste Dreiheit der Blumen Scharbockskraut<br />
(Lotos), Krokos und Hyakinthos (14,348f.; <strong>Schrott</strong>: „einen dichten<br />
flor aus grünem klee [! auch 2,776; 12,283] / safran und hyazinthen’;<br />
bei den Dreiheiten der Bäume und Pflanzen 21,3510-352 [<strong>Homer</strong>: ‚Und<br />
es brannten sowohl Ulmen als auch Weiden als auch Tamarisken, /<br />
und es brannte sowohl Scharbockskraut als auch Binse/θρ�ον als auch<br />
Zypergras, / die um die schönen Strömungen des Flusses genugsam<br />
wuchsen’] steht – <strong>zu</strong>dem unter zweimaliger Vertauschung der Reihenfolge<br />
und falscher Identifizierung <strong>von</strong> θρ�ον als „Schilf“ – für λωτ�ς plötzlich<br />
„Schöllkraut“: „wo die ulmen feuer fingen / die tamarisken und weiden,<br />
all das schöllkraut 92 und zyperngras 93 / an seinen üppig grünen<br />
91 Die Nordmanns-Tanne (�λ�τη, Abies nordmanniana), die in den Hochlagen des Pontischen<br />
Gebirges an der Schwarzmeer-Küste wächst, hat mit ihrer Unterart Abies<br />
nordmanniana subspecies equi trojani (bisweilen als eigene Art abies equi trojani angesehen)<br />
in der Ida ihren südwestlichsten Vorposten; die Ida hat viele ausgesprochen<br />
pontische Pflanzenarten, die über den Ulu-Dagi (mysischen Olymp, 2600 Meter hoch)<br />
hierhin ausstrahlen, und ist dadurch floristisch <strong>von</strong> allen mediterranen Küstengebirgen<br />
ganz verschieden.<br />
92 „Schöllkraut“ leitet sich ab <strong>von</strong> ‚Chelidonium’ (‚Schwalbenkraut’) – und so heißt das<br />
Scharbockskraut bei Dioskurides 2,181 (χελιδ�νιον τ� µικρ�ν) und im Mittelalter, offensichtlich<br />
wegen ihrer frühen Blütezeit (Chelidonium minus, s. Herzhoff, Lotos S. 267<br />
Anm. 44, der allerdings „Schöllkraut“ nie nennt); doch beim heutigen Schöllkraut<br />
(Chelidonium maius) handelt es sich um ein gelbblühendes Mohngewächs, das nirgends<br />
<strong>zu</strong>sammen mit Krokos und Hyakinthos blüht. <strong>Schrott</strong>s „schöllkraut“ gestattet<br />
auch hier einen charakteristischen Blick auf seine Arbeitsweise: In Kirk/Richardsons<br />
Komm. <strong>zu</strong> 21,351 steht für λωτ�ς mit Fragezeichen „celandine (?)“ (offensichtlich <strong>von</strong><br />
χελιδ�ν); englisch-deutsche Lexika bieten dafür „Schellkraut; Feigwurz“: <strong>Schrott</strong> wählte<br />
das Erste; das Zweite wäre das Richtige gewesen (Feigwurz = Ranunculus ficaria,<br />
Scharbockskraut).<br />
62
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
ufern gloste und das schilf loderte auf“); <strong>zu</strong> 14,348f. s. Herzhoff, Lotos<br />
S. 264f.: „Die <strong>von</strong> <strong>Homer</strong> genannte Dreiheit hingegen ist nach meinen<br />
Beobachtungen ein charakteristischer Frühjahrsschmuck der küstennahen<br />
ostmediterranen Gebirge wie Athos, Phengari [auf Samothrake],<br />
Ulu Dagi [bei Bursa, südlich des Marmara-Meeres] und eben des trojanischen<br />
Ida“; ebd. S. 268 <strong>zu</strong> <strong>Ilias</strong> 21,350f.: „Bei den drei angegebenen<br />
Gehölzen handelt es sich [...] um Ulmus campestris, Salix alba und Tamarix<br />
parviflora, <strong>von</strong> denen die zwei letzten noch heute die verbreitetsten<br />
Ufergehölze des Skamander sind. In solchen Ufergehölzen ist das<br />
Scharbockskraut (Ranunculus ficaria; Hahnenfußgewächs) nicht selten<br />
<strong>zu</strong> finden und es hat hier den Platz, den wir in Mitteleuropa als seinen<br />
charakteristischen Lebensraum kennen“ – also nicht in Kilikien!<br />
Das gleiche wie für Zeus auf der Ida trifft für seinen Rivalen Poseidon<br />
<strong>zu</strong>, der auf Samothrake auf dem Gipfel des 1611 Meter hohen Saos<br />
(heute Fengari/Phengari) in Gegenposition sitzt, <strong>Ilias</strong> 13,10-14 (Überset<strong>zu</strong>ng<br />
PD):<br />
(10) ‚Doch nicht blind hielt Wacht der Herrscher, der Erderschütterer.<br />
Denn auch er saß und bewunderte Krieg und Kampf,<br />
hoch auf der obersten Spitze der bewaldeten Samos,<br />
der thrakischen; denn <strong>von</strong> dort zeigte sich die ganze Ida,<br />
zeigte sich des Priamos Stadt und die Schiffe der Achaier.’<br />
„Der kühn emporstrebende majestätische Fels <strong>von</strong> Samothrake ist <strong>von</strong><br />
allen Punkten der troischen Ebene sichtbar“ (Ameis/Hentze ad locum),<br />
wie heute jeder Troia-Tourist bestätigen kann; vgl. Janko (wie Anm. 89)<br />
S. 44 ad locum: „The poet who placed the god there had seen it from the<br />
plain of Troy himself; such a detail is hardly traditional“ (s. auch unten<br />
Anm. 96). Auch umgekehrt sieht man bei klarem Wetter <strong>von</strong> Samothrake<br />
aus ohne weiteres das ca. 125 km entfernte Ida-Gebirge (Herzhoff<br />
aus Autopsie; vgl. schon Wilamowitz: <strong>Homer</strong>ische Untersuchungen,<br />
Berlin 1884, S. 386 über Aristarch <strong>von</strong> Samothrake: „<strong>von</strong> den bergen<br />
seiner heimat konnte er hinüber blicken <strong>zu</strong> dem gipfel des Ida“; ebenso<br />
J. Latacz: Troia – Wilios – Wilusa. Drei Namen für ein Territorium, in:<br />
Mauerschau. Festschrift für Manfred Korfmann, Remshalden-Grunbach<br />
93 Richtig ist nur „Zypergras“, das mit Zypern (vgl. oben S. 3 <strong>Schrott</strong>s abseitige Kyprien-These)<br />
nichts <strong>zu</strong> tun hat (allerdings auch bei Schadewaldt „Zyperngras“, noch<br />
schlimmer „zyprische[n] Gräser“ Rupé [Voss: „Riedgras“] und Hampe; aber <strong>Schrott</strong><br />
„vergleicht die vielen Überset<strong>zu</strong>ngen anderer“ (s. oben S. 13; 55).<br />
63
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
2002, [S. 1103-1121] S. 1110; Sonderdruck Basel 2001/2002, S. 9).<br />
Auch hier: Wie will man das auf Kilikien beziehen?<br />
Von den Dutzenden weiterer Stellen expliziten Lokalkolorits, 94 die jeden<br />
Be<strong>zu</strong>g <strong>zu</strong> Kilikien ausdrücklich ausschließen, stehe speciminis causa<br />
noch das Gleichnis <strong>Ilias</strong> 9,4-8 – es sei an die gemäß <strong>Schrott</strong> („<strong>Homer</strong>s<br />
Heimat“ S. 13) Aussagekraft der „Landschaftsbeschreibungen der homerischen<br />
Gleichnisse“ erinnert, die „in ihren agrarischen und geographischen<br />
Spezifika alle mit Kilikien und kaum je mit der Troas“ übereinstimmen<br />
(s. oben S. 35, 57):<br />
Und wie zwei Winde das fischreiche Meer aufrühren,<br />
(5) Boreas (Nord) und Zephyros (West), die beide <strong>von</strong> Thrakien her<br />
wehen,<br />
plötzlich beide aufgekommen, und <strong>zu</strong>gleich helmt sich die Woge<br />
schwarz<br />
auf und ergießt in Menge entlang der Salzflut Seegras (��κος):<br />
So wurde zerrissen der Mut in der Brust der Achaier.’ (PD)<br />
Bei ��κος handelt es sich nicht um Algen oder „Tang“ (Schadewaldt,<br />
Hampe), sondern um „Seegras“ (Voss/Rupé, danach wohl <strong>Schrott</strong>), genauer<br />
die beiden Seegras-Arten Zostera marina und Zostera noltii, die<br />
nur für die Küsten der Nordwest-Türkei (neben Marmara- und Schwarzem<br />
Meer) angegeben werden; 95 für die Küsten der Troas, besonders<br />
nach starken Stürmen, bestätigt es Herzhoff aus Autopsie, nie jedoch<br />
für die türkische Südküste, wo es in der Literatur auch gänzlich fehlt.<br />
Fazit der naturwissenschaftlichen Überprüfung <strong>von</strong> <strong>Schrott</strong>s ‚Übertragung’<br />
– und damit Ende des naturkundlichen, namentlich botanischzoologischen<br />
Exkurses für naturferne Schreibtisch-Philologen (d.h.<br />
Stadtmenschen, die heute vielleicht schon nicht mehr zwischen Buche<br />
und Eiche unterscheiden können): Natürlich liest kein Leser die <strong>Ilias</strong><br />
aus botanischen oder zoologischen Gründen, aber die natürlichen<br />
Grundgegebenheiten der physischen Realität müssen stimmen; und das<br />
gilt gemäß dem oben S. 57 als Motto <strong>von</strong> Goethes „Noten und Abhand-<br />
94 Man kann auch Kategorie I (explizites Lokalkolorit) und II (implizites) kombinieren,<br />
z.B. die �ηγ�ς (Troia-Eiche) am Skaiischen Tor (6,237) und im Bergtal (16,767, s. oben<br />
S. 38); da<strong>zu</strong> gibt es eine Kategorie III: ‚projiziertes Lokalkolorit’, z.B. 22,147-152 (warme<br />
und kalte Skamander-Doppelquelle „in kühner topographischer Projektion an den<br />
Burgberg <strong>von</strong> Troia verlegt“: Herzhoff, Flußkatalog [wie Anm. 65] S. 114f. mit Anm.<br />
47).<br />
95 S. H. Davis: Flora of Turkey and the East Aegean Islands, Band 8, Edinburgh 1984,<br />
S. 33.<br />
64
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
lungen <strong>zu</strong>m Westöstlichen Divan“ vorangestellten Wort nicht nur für<br />
den Dichter, sondern auch für seinen Interpreten (und Übersetzer), <strong>zu</strong>mal<br />
wenn dieser großspurig programmatisch konstatiert: „Aussagekräftig<br />
sind auch die Landschaftsbeschreibungen der homerischen Gleichnisse.<br />
Sie stimmen in ihren agrarischen und geographischen Spezifika<br />
alle mit Kilikien und kaum je mit der Troas überein“ („<strong>Homer</strong>s Heimat“<br />
S. 13). Genau das Gegenteil ist der Fall: Die immer wieder eingeblendeten<br />
Vegetations- und Tierbilder beweisen durch ihre <strong>von</strong> landeskundigen<br />
Botanikern und Zoologen vielfach bestätigte außerordentliche Genauigkeit,<br />
vor allem aber durch ihre auch über Fernbezüge (nichts Ungewöhnliches<br />
für die <strong>Ilias</strong>) fein vernetzte Stimmigkeit, dass <strong>Homer</strong> – und<br />
mit ihm die primären Adressaten derjenigen Fassung der <strong>Ilias</strong>, die uns<br />
erhalten blieb – die Troas aus eigener Anschauung kannte, wenn er und<br />
die Hörer auch nicht direkt aus dieser speziellen Landschaft stammten,<br />
sondern im umfassenderen nordionisch-äolischen Kulturraum <strong>zu</strong> Hause<br />
waren. 96 Oder mit noch weiterer Wirkungsabsicht (Herzhoff, Mohn<br />
[wie Anm. 65] S. 403, Schlusswort):<br />
„Dürfen wir vielleicht den Befund unserer Interpretation in einen<br />
größeren Zusammenhang stellen, der darauf hindeutet, daß das<br />
96 Zu werkimmanenten Spuren der Landeskenntnis <strong>Homer</strong>s und seiner Leser s. auch<br />
Wilamowitz: Die <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong> (1916), Berlin 1966, S. 516, Register s.v. ‚Stoffliches.<br />
Ortskenntnis in der <strong>Ilias</strong>’; Wolfgang Schadewaldt: <strong>Ilias</strong>studien, (Leipzig 1938), Darmstadt<br />
1987, S. 124f. Anm. 2: „Daß der Dichter so angelegentlich die spätere völlige<br />
Vernichtung der Mauer [12,1-33] betont, führt mit Recht auf die Vermutung, daß er in<br />
der Troas lebte und dichtete, wo <strong>zu</strong> seiner und seiner Hörer Zeit keine Spur einer solchen<br />
Mauer war. Auf die gute Bekanntschaft der ganzen [im Original gesperrt] <strong>Ilias</strong><br />
mit der Troas weist, <strong>von</strong> anderem abgesehen, die recht bemerkenswerte Tatsache, daß<br />
die weitaus größte Zahl der <strong>von</strong> Orten abgeleiteten homerischen Eigennamen (38 gegenüber<br />
einem Durchschnitt <strong>von</strong> 4–5) in der Troas wurzeln“ [lies: wurzelt]; Martin L.<br />
West (Studies in the Text and Transmission of the Iliad, München 2001, S. 7, in Anm.<br />
9 mit Berufung auf Schadewaldt): „It is clear from his detailed knowledge of the landscape<br />
around Troy that the poet of the Iliad was well acquainted with the area and<br />
probably composed at least part of the poem there“ [letzteres war die Meinung des fanatischen<br />
Lokalpatrioten Demetrios <strong>von</strong> Skepsis und des auf ihn als Quelle angewiesenen<br />
Strabon, Buch 13; vgl. jetzt Alexandra Trachsel: La Troade: un paysage et son<br />
héritage littéraire. Les commentaires antiques sur la Troade, leur genése et leur influence,<br />
Basel 2007]; Herzhoff, Flußkatalog (wie Anm. 65) S. 131-135; Nünlist (wie Anm.<br />
88); s. auch die in der „Stellungnahme der Ausstellungsleitung“ (wie Anm. 6) <strong>zu</strong>sammengetragenen<br />
Argumente <strong>zu</strong>m ionischen Lebensraum <strong>Homer</strong>s; <strong>zu</strong>m ionischen, auf<br />
die [<strong>zu</strong> enge: s. Anm. 97] Linie Smyrna-Chios, also auf die Grenze Äolisch-Ostionisch<br />
weisenden Dialekt <strong>Homer</strong>s s. Rudolf Wachter: Greek dialects and epic poetry: Did <strong>Homer</strong><br />
have to be an Ionian?, in: ΦΩΝΗΣ ΧΑΡΑΚΤΗΡ ΕΘΝΙΚΟΣ. Actes du Ve Congrès International<br />
de Dialectologie Grecque (Athènes 28-30 septembre 2006). Sous la direction<br />
de M. B. Hatzopoulos avec la collaboration de Vassiliki Psilakakou, Athènes 2007<br />
(MELETHMATA 52), S. 317-328 (S. 317f. Anm. 4: „knowledge of the poet of [minor]<br />
zoological, botanical, and meteorological details“, mit Verweis auf BK [II 2, S. 53; 135 –<br />
so statt „35“ <strong>zu</strong> lesen], allerdings ohne Botanik-Beispiel).<br />
65
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
Werk in der uns vorliegenden Form sich an nordionische 97 Landsleute<br />
richtete, die in friedlicher Zusammenarbeit mit nichtgriechischen,<br />
den Thrakern verwandten Lokalherrschern die Landschaft<br />
zwischen Idagebirge und Hellespont mit ihren reichen Naturschätzen<br />
an Wild, Bauholz und Metallen erschlossen und die da<strong>zu</strong><br />
durch Erinnerung an das Wirken ihrer Vorfahren in derselben<br />
Landschaft ermuntert werden sollten?“<br />
Auf jeden Fall erregte der Dichter, indem er Kenntnis der Pflanzen und<br />
Tiere auch bei diesen Hörern voraussetzt und somit den alten epischen<br />
Stoff durch Einbindung in ihre Welt aktualisierte, das Interesse des<br />
Publikums und zog es in seinen Bann; und die in ihrer Erwartungshaltung<br />
nicht enttäuschten Rezipienten merkten an den (noch heute) verifizierbaren<br />
Hinweisen auf Landmarken, Pflanzen und Tiere (einschließlich<br />
der Avifauna: Vogel Kymindis), dass der Dichter keine ‚Lehnstuhl-<br />
Botanik bzw. -Zoologie’ betreibt, sondern Landeskenner 98 und somit als<br />
῞Οµηρος α�τ�πτης im weitesten Sinne einer der Ihren ist (dessen Wirkungsabsichten<br />
durch topographische Überprüfbarkeit sie qua auktorialer<br />
Hörer-Lenkung unbemerkt erlagen): Wo<strong>zu</strong> hätte er sonst dem Lokalkolorit<br />
so viel Raum gewidmet? Es wäre mehr als ein Wunder, wenn<br />
sich dieses einheitliche Gesamtkonzept eins <strong>zu</strong> eins <strong>von</strong> der Troas auf<br />
Kilikien überstülpen ließe bzw. – so <strong>Schrott</strong>s Hintertür und Ausweichthese<br />
– wenn der in assyrischen Diensten stehende griechische Schreiber<br />
<strong>Homer</strong> ausreichende Ortskenntnisse über die Troas besessen hätte,<br />
99 eine Landschaft, die <strong>zu</strong>dem angeblich Kilikien ähnlich gewesen<br />
sei. 100<br />
97 Viel wichtiger als das immer hier genannte Smyrna (das auch Wachter [wie Anm.<br />
96] S. 318 Anm. 5 Kolophon vorzieht) ist das etwas südlicher der Linie Chios-Smyrna<br />
gelegene, archäologisch kaum erforschte Kolophon (das immerhin mit Mimnermos<br />
und Nikander große Dichter hervorgebracht hat) oder das etwas nördlicher gelegene<br />
Phokaia.<br />
98 Herzhoffs Kritik (Flußkatalog [wie Anm. 65] S. 108 Anm. 26) trifft neben dem BK<br />
somit unausgesprochen auch <strong>Schrott</strong>: „Bis in die neueste Literatur werden homerische<br />
Tier- und Pflanzennamen falsch übersetzt, so daß das Verständnis für die Feinheiten<br />
des Lokalkolorits zerstört und der Blick auf die dichterische Meisterschaft der<br />
Hörerlenkung getrübt wird. So wird etwa in dem neuen Baseler Gesamtkommentar �ηγ�ς<br />
immer noch falsch mit ‚Buche’ übersetzt ([F. Graf in:] Latacz 2000 [Prolegomena],<br />
125 [jetzt richtig „Eiche“ Komm. Bd. 4, 2008, S. 87, <strong>zu</strong> 6,237], vgl. dagegen Herzhoff<br />
1990 [Phegos], 257-272 sowie dens., Art. ‚Eiche’, in: DNP 3, Stuttgart 1997, 904f.).“<br />
Dasselbe gilt u.a. für das Phytonym λωτ�ς (2,776: „Klee“, da<strong>zu</strong> Komm. S. 252, ohne<br />
Kenntnis Herzhoffs: „eine typische Wiesen- und Futterpflanze, wohl eine Art Klee“).<br />
99 Vgl. „<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 55: „Daß <strong>Homer</strong> grundsätzlich über die allgemeine Topographie<br />
der Troas Bescheid gewußt hat, ist unbestreitbar. Die Details seiner Beschreibungen<br />
lassen sich jedoch bloß sehr oberflächlich mit der Landschaft und den Ergebnissen<br />
der Archäologie in Verbindung bringen“; S. 62: „<strong>Homer</strong>s Ortskenntnisse waren<br />
66
<strong>Raoul</strong> <strong>Schrott</strong>: <strong>Homer</strong>, <strong>Ilias</strong> und <strong>Homer</strong>s Heimat<br />
Was im Übrigen die Übertragbarkeit heutiger Naturbedingungen in den<br />
Gebieten Troas und Kilikien auf die dortige Szenerie vor ca. 3000 Jahren<br />
betrifft (und einen möglichen Einwand, damals könne alles ganz<br />
anders ausgesehen haben als jetzt), so gelten für die Beschäftigung mit<br />
literarhistorischer Biogeographie und die Identifikation antiker Pflanzennamen<br />
heute folgende Annahmen: Gemäß der aktuellen Forschung<br />
werden grundlegende Klima-Änderungen in historischer Zeit ausgeschlossen;<br />
namentlich gilt dies für die Zeit seit <strong>Homer</strong>, wie das Ergebnis<br />
der sorgfältigen Untersuchung <strong>von</strong> Simone Riehl zeigt. 101 Eventuelle Vegetations-Änderungen<br />
werden auf menschliche Eingriffe wie Übernut<strong>zu</strong>ng<br />
und Holzeinschlag und die dadurch bedingte Erosion und Änderung<br />
der Hygrographie <strong>zu</strong>rückgeführt. 102 Die Folge ist vor allem Arealreduktion,<br />
103 während der Artbestand der natürlichen potentiellen Vegetation<br />
selbst weitgehend stabil geblieben ist und heute an naturnahen<br />
Reliktstandorten noch weitgehend derselbe ist wie in der Antike; 104<br />
so ist etwa <strong>von</strong> den 29 Gehölzarten, die Theophrast (ca. 371/0 bis ca.<br />
287/6) ausdrücklich für das Troianische Ida-Gebirge nennt, heute nur<br />
eine einzige Art nicht mehr nachweisbar, nämlich die Eibe, Taxus baccata<br />
(vgl. Herzhoff, Rez. 1991 [wie Anm. 65], S. 297f.).<br />
Eine vergleichbare Stabilität scheint ebenso für Kilikien <strong>zu</strong> gelten, auch<br />
wenn dort die literarhistorische Bezeugung naturgemäß weniger dicht<br />
ist. 105 Das Entstehen endemischer Arten wie der genannten Abies cilicica<br />
oder Abies equi-trojani und Crocus gargaricus (<strong>Ilias</strong> 14,348) setzt<br />
lange Zeiträume genetischer Isolation voraus. Dasselbe gilt für die Exi-<br />
immerhin groß genug, dass Calvert und Schliemann aus ihnen diesen historischen<br />
Schauplatz erschließen und entdecken konnten.“<br />
100 „<strong>Homer</strong>s Heimat“ S. 214: „[...] weshalb <strong>Homer</strong> manches schildert, das man auch in<br />
Troia wieder<strong>zu</strong>finden glaubte. Eine Antwort darauf ist, wie gesagt, daß das kilikische<br />
Tiefland der Ebene <strong>von</strong> Troia nicht völlig unähnlich ist“ (doch gegen eine – gemäß Litotes<br />
– ‚große Ähnlichkeit’ sprechen die oben ausführlich dargelegten Vegetationsverhältnisse).<br />
101 Simone Riehl: Bronze Age Environment and Economy in the Troad – The Archeobotany<br />
of Kumtepe and Troy, Diss. Tübingen 1998 (BioArchäologica; 2), S. 4: „After c.<br />
750 BC the climate generally was comparable to the present day.“<br />
102 Siehe Riehl (wie Anm. 101) S. 1-5; Meiggs (wie Anm. 68) 371-403; Herzhoff, Flußkatalog<br />
(wie Anm. 65) S. 128 Anm. 104 mit der neuesten Literatur.<br />
103 Suzanne Amigues: Le témoignage de l’antiquité classique sur des espèces en régression,<br />
Revue forestière Française 43, 1991, S. 47-57.<br />
104 Herzhoff, Lotos (wie Anm. 65) S. 257f.; Phegos S. 261 Anm. 18; Nobert Caspers und<br />
Bernhard Herzhoff: Die Türkei – ein naturhistorischer und biogeographischer Abriß,<br />
in: Natur und Museum 118, 1988, S. 22-28.<br />
105 Vgl. Meiggs (wie Anm. 68) S. 122f.; 133; Wolf-Dieter Hütteroth und Volker Höhfeld:<br />
Wissenschaftliche Länderkunden: Türkei, Darmstadt 2002, S. 95-114; Michael Sommer:<br />
Roms orientalische Steppengrenze: Palmyra, Edessa, Dura-Europos, Hatra, Wiesbaden<br />
2005 (Oriens et Occidens; 9), S. 46.<br />
67
<strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong> <strong>zu</strong>:<br />
stenz <strong>von</strong> Tertiärrelikten wie Quercus trojana und ihre Biozönosen (Lebensgemeinschaften).<br />
106 In etlichen Fällen genauer antiker Standortangaben,<br />
besonders bei seltenen oder auffälligen Arten, finden sich diese<br />
noch heute an den angegebenen Standorten; für das Troianische Ida-<br />
Gebirge (heute Kaz Dagı) gilt dies z.B. für die Angaben Theophrasts <strong>zu</strong>r<br />
Heidelbeere Vaccinium myrtillus und die seltene Art des Mäusedorns<br />
Ruscus hypoglossum (Herzhoff, Rez. 1991 [wie Anm. 65] S. 298). Auch<br />
dies setzt eine mindestens zweieinhalbtausendjährige Stabilität der Lebensgemeinschaften,<br />
in denen solche Arten wachsen, voraus. Zur Frage<br />
der Kompatibilität <strong>von</strong> antiker und moderner Nomenklatur vgl. Herzhoff,<br />
Lotos (wie Anm. 65) S. 257, 260 Anm. 16, 263f., 268; Phegos S.<br />
260 mit Anm. 16 (Artbegriffe wie die <strong>von</strong> Carl <strong>von</strong> Linné geschaffenen<br />
waren der Antike selbstverständlich unbekannt); Herzhoff: Zur Identifikation<br />
antiker Pflanzennamen, in: Vorträge des 1. Symposions des<br />
Bamberger Arbeitskreises „Antike Naturwissenschaften und ihre Rezeption“,<br />
hg. <strong>von</strong> Klaus Döring [u.a.], Wiesbaden 1990, S. 9-32; aufgegriffen<br />
und vertieft <strong>von</strong> Alain Touwaide: L’identification des plantes médicinales<br />
anciennes, Revue d’Histoire de la Pharmacie 293, 1999, S. 229-231. –<br />
Von all diesen Überlegungen findet sich in „<strong>Homer</strong>s Heimat“ kein Wort.<br />
Dr. <strong>Paul</strong> <strong>Dräger</strong><br />
Bahnstraße 12 A<br />
D-54331 Oberbillig/Trier<br />
Haus-Seite: www.paul-draeger.de<br />
E-Mail: paul.draeger@uni-trier.de<br />
106 Vgl. Baki Kasapligil: Past and Present Oaks of Turkey. Part I:, in: Phytologia 49,<br />
1981, S. 95-146.<br />
68