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Andreas Kunz-Lübcke: Dissidenten, Außenseiter und Querulanten (Leseprobe)

In den biblischen Literaturen begegnen zahlreiche Charaktere, die sich durchaus als Gestalten der Weltliteratur charakterisieren lassen. Einer der möglichen Gründe dafür dürfte der Umstand sein, dass diese in extremen Lebenssituationen agieren oder radikale Positionen vertreten, die sie von einer etablierten Normen und Weltsichten abheben. Die Beiträge in diesem Band, der im Rahmen der Tagung »Außenseiter, Dissidenten und Querulanten« der Projektgruppe »Religiöser Radikalismus« entstanden ist, widmen sich Figuren (wie z.B. Jael, Henoch, Jiftach, Choni ha-Me‘aggel, Eliezer ben Hyrkanos oder auch Paulus), die sich durch die Radikalität ihres Handelns und Denkens im Bezug auf ihre individuellen religiösen Systeme oder ihr soziales Umfeld auszeichnen. Im Mittelpunkt stehen dabei Erzählfiguren und Individuen, die sich deutlich von den etablierten Normen abheben und somit eine bleibende Faszination auf die Leserschaft ausüben.

In den biblischen Literaturen begegnen zahlreiche Charaktere, die sich durchaus als Gestalten der Weltliteratur charakterisieren lassen. Einer der möglichen Gründe dafür dürfte der Umstand sein, dass diese in extremen Lebenssituationen agieren oder radikale Positionen vertreten, die sie von einer etablierten Normen und Weltsichten abheben.

Die Beiträge in diesem Band, der im Rahmen der Tagung »Außenseiter, Dissidenten und Querulanten« der Projektgruppe »Religiöser Radikalismus« entstanden ist, widmen sich Figuren (wie z.B. Jael, Henoch, Jiftach, Choni ha-Me‘aggel, Eliezer ben Hyrkanos oder auch Paulus), die sich durch die Radikalität ihres Handelns und Denkens im Bezug auf ihre individuellen religiösen Systeme oder ihr soziales Umfeld auszeichnen. Im Mittelpunkt stehen dabei Erzählfiguren und Individuen, die sich deutlich von den etablierten Normen abheben und somit eine bleibende Faszination auf die Leserschaft ausüben.

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<strong>Andreas</strong> <strong>Kunz</strong>-<strong>Lübcke</strong><br />

Diskurse aus den religiösen Systemen selbst, die sich von ihren radikalen Erscheinungsformen<br />

abzugrenzen versuchten.<br />

Mit diesen wenigen Beispielen sollte deutlich gemacht werden, dass Menschen,<br />

die entweder von der Gesellschaft zu <strong>Außenseiter</strong>n gemacht werden oder<br />

die sich freiwillig in diesen Status hineinbegeben, die sich als Widerständler,<br />

Oppositionelle oder <strong>Dissidenten</strong> gegen die herrschenden Zustände auflehnen<br />

oder querulierend gegen Systeme oder Mächte ankämpfen, denen aber letztlich<br />

nicht beikommen können, bleibende Figuren des menschlichen Erzählens sind.<br />

Die hier versammelten Beiträge widmen sich insbesondere der Frage, ob sich<br />

diese Stereotypen des Erzählens auch in den narrativen Diskursen in Israel, im<br />

frühen Christentum <strong>und</strong> anderen verwandten Gebieten aufspüren lassen.<br />

Der Sammelband beginnt mit einem allgemein-soziologischen Beitrag zu<br />

F<strong>und</strong>amentalismus <strong>und</strong> Radikalisierung, (Gruppen-)Phänomene, die durch identitäre<br />

Diskurse <strong>und</strong> Praktiken oft gewaltsam ein »innen« <strong>und</strong> »außen«, einen In-<br />

Sider <strong>und</strong> eine <strong>Außenseiter</strong>in konstruieren. Drea Fröchtling hat sich F<strong>und</strong>amentalismus<br />

<strong>und</strong> Radikalisierung aus allgemein soziologischer, aus religionssoziologischer<br />

<strong>und</strong> aus identitäts(politischer) Perspektive angenähert. Religiös motivierter<br />

Radikalismus war das leitende Thema des gesamten Projekts. Der Beitrag<br />

gibt einen Überblick über die bisher unterbreiteten Vorschläge, das Phänomen<br />

Radikalismus zu kategorisieren <strong>und</strong> zu analysieren. Er bietet damit auch einen<br />

geschärften Rückblick auf die bisherigen Diskussionen <strong>und</strong> Erkenntnisse des<br />

Forschungsprojekts.<br />

F<strong>und</strong>amentalismus <strong>und</strong> Radikalisierung werden als komplementäre <strong>und</strong> zugleich<br />

differenzierte Phänomene verstanden. Die Abhandlung führt zunächst in<br />

die Begriffsgeschichte des F<strong>und</strong>amentalismus <strong>und</strong> in die Ansätze, die zu einer<br />

Ausdifferenzierung des Begriffs geführt haben, ein, bevor Radikalisierungsprozesse<br />

unter Identitätsperspektiven in den Blick genommen werden.<br />

Der Beitrag bietet unterschiedliche Begründungsansätze für Radikalisierungsprozesse<br />

<strong>und</strong> schließt mit dem Ausblick, dass die häufige Beschränkung<br />

des Begriffs auf salafistische Strömung zu eng gefasst sei <strong>und</strong> dieser vielmehr<br />

auf alle anderen Religionen ausgeweitet werden müsse, um »die Rolle von<br />

Religion, Identität, Hermeneutik, Dogma <strong>und</strong> Handlungsmaximen« (47) zu<br />

durchleuchten.<br />

Als »Dissidenzphänomen« (72) versteht Manuel Vogel die frühe Jesusbewegung<br />

<strong>und</strong> das mit ihr verb<strong>und</strong>ene Konzept der βασιλεία τοῦ θεοῦ. Im Rückblick<br />

habe die neutestamentliche Theologie vor der Herausforderung gestanden, das<br />

Ausbleiben des insbesondere von den Synoptikern angekündigten Reiches Gottes<br />

zu erklären <strong>und</strong> zu begründen. Allerdings greife ein Erklärungsmuster, nach<br />

dem der Glaube ersatzweise an die Stelle einer politischen Heilserwartung getreten<br />

sei, zu kurz. Entfaltet wird das Problem am Beispiel von Mk 9,1.2–9. Entgegen<br />

der verbreiteten Auffassung, dass die Ankündigung Jesu in Mk 9,1 eine<br />

»terminierte Naherwartung Jesu« (67) belege, eine Erwartung, die sich allerdings<br />

nicht erfüllt habe, erlaubt die angefügte Erzählung von der Verklärung<br />

Jesu in Mk 9,2–9 die Deutung, dass die Verklärung gewissermaßen als Ersatz

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