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Andreas Kunz-Lübcke: Dissidenten, Außenseiter und Querulanten (Leseprobe)

In den biblischen Literaturen begegnen zahlreiche Charaktere, die sich durchaus als Gestalten der Weltliteratur charakterisieren lassen. Einer der möglichen Gründe dafür dürfte der Umstand sein, dass diese in extremen Lebenssituationen agieren oder radikale Positionen vertreten, die sie von einer etablierten Normen und Weltsichten abheben. Die Beiträge in diesem Band, der im Rahmen der Tagung »Außenseiter, Dissidenten und Querulanten« der Projektgruppe »Religiöser Radikalismus« entstanden ist, widmen sich Figuren (wie z.B. Jael, Henoch, Jiftach, Choni ha-Me‘aggel, Eliezer ben Hyrkanos oder auch Paulus), die sich durch die Radikalität ihres Handelns und Denkens im Bezug auf ihre individuellen religiösen Systeme oder ihr soziales Umfeld auszeichnen. Im Mittelpunkt stehen dabei Erzählfiguren und Individuen, die sich deutlich von den etablierten Normen abheben und somit eine bleibende Faszination auf die Leserschaft ausüben.

In den biblischen Literaturen begegnen zahlreiche Charaktere, die sich durchaus als Gestalten der Weltliteratur charakterisieren lassen. Einer der möglichen Gründe dafür dürfte der Umstand sein, dass diese in extremen Lebenssituationen agieren oder radikale Positionen vertreten, die sie von einer etablierten Normen und Weltsichten abheben.

Die Beiträge in diesem Band, der im Rahmen der Tagung »Außenseiter, Dissidenten und Querulanten« der Projektgruppe »Religiöser Radikalismus« entstanden ist, widmen sich Figuren (wie z.B. Jael, Henoch, Jiftach, Choni ha-Me‘aggel, Eliezer ben Hyrkanos oder auch Paulus), die sich durch die Radikalität ihres Handelns und Denkens im Bezug auf ihre individuellen religiösen Systeme oder ihr soziales Umfeld auszeichnen. Im Mittelpunkt stehen dabei Erzählfiguren und Individuen, die sich deutlich von den etablierten Normen abheben und somit eine bleibende Faszination auf die Leserschaft ausüben.

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36<br />

Drea Fröchtling<br />

3. Religion: Realitätskonstrukt, Gruppenidentität,<br />

Einstellungs- <strong>und</strong> Handlungsmaxime<br />

Canetti-Nisim beschreibt Religion als »social institution«, die den Glauben an<br />

eine übernatürliche Welt voraussetze. 65 Neben der gesellschaftlichen Ebene ist<br />

dabei auch die individuelle Ebene in Bezug auf Identitätsfragen im Blick zu behalten:<br />

Hier unterscheiden u.a. Heitmeyer, Schröder & Müller drei Ebenen:<br />

a) Die Ebene der individuellen Religiosität: hier gehe es um das Gewinnen<br />

von Sicherheit <strong>und</strong> Gewissheit; Antworten würden gesucht auf die Frage »Wer<br />

bin ich?«<br />

b) Die Ebene der kollektiv-kulturellen Religiosität: zentral sei hier die Zugehörigkeit<br />

zu einer Gemeinschaft; gesucht würde nach Antworten auf die Frage<br />

»Wozu gehöre ich?«<br />

c) Die Ebene der Sinnsuche: diese sehen Heitmeyer, Schröder & Müller<br />

auf der Handlungsebene; hier gehe es um Antwort auf die Frage »Warum ist das,<br />

was ich tue, etwas Sinnvolles?« 66<br />

Der folgende Abschnitt greift Fragen von Religion <strong>und</strong> Identität in Riesebrodts<br />

Theorie von der Rückkehr der Religionen auf <strong>und</strong> erläutert Fragen von<br />

religiöser <strong>und</strong> demokratischer Gr<strong>und</strong>haltung.<br />

3.1 Die Rückkehr der Religionen<br />

In seinem Buch Die Rückkehr der Religionen geht Riesebrodt von drei Handlungslogiken<br />

in religiös-determinierten Kontexten aus, die religiöse Praktiken<br />

von (nicht-religiösem) Handeln unterscheiden: die Annahme <strong>und</strong> Akzeptanz von<br />

außerordentlichen außer- <strong>und</strong> übermenschlichen Mächten, die Kontrolle haben<br />

über »Dimensionen des menschlich-sozialen Lebens, die der direkten eigenmächtigen<br />

Kontrolle normaler sozialer Akteure entzogen sind«. 67<br />

Zu diesen<br />

Mächten kann Kontakt aufgenommen werden, man »kann mit ihnen in Austauschverhältnisse<br />

treten« oder an deren Handlungsmacht partizipieren.<br />

Diese Handlungslogiken, so Riesebrodt, stehen in Bezug zu drei Typen religiöser<br />

Praxis, nämlich interventionistische, diskursive <strong>und</strong> abgeleitete Praktiken.<br />

Bei »interventionistischen Praktiken« 68<br />

geht es, nach Riesebrodt um die<br />

unterschiedlichen Formen des Zugangs <strong>und</strong> der Kontaktaufnahme mit den<br />

Mächten, beispielsweise in Form von Gebeten, Opfern, Orakeln. »Diskursive<br />

Praktiken« beschreiben die Verständigung über Charakter <strong>und</strong> Zugang zu den<br />

Mächten, während »abgeleitete Praktiken« »versuchen, außerreligiöse Alltagshandlungen<br />

religiös zu überformen. Handlungen werden vollzogen oder<br />

65<br />

Canetti-Nisim, Two Religious Meaning Systems, 37.<br />

66<br />

Vgl. Heitmeyer/Schröder/Müller, Verlockender F<strong>und</strong>amentalismus, 41.<br />

67<br />

Riesebrodt, Die Rückkehr der Religionen, 40f.<br />

68<br />

Riesebrodt, Die Rückkehr der Religionen, 41.

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