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tassilo - das Magazin rund um Weilheim und die Seen - Ausgabe Mai/Juni 2022

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ausreichend sind für eine Aufgabe,<br />

<strong>die</strong> eben auch extrem viel Fingerspitzengefühl<br />

verlangt?<br />

Ganz wichtig ist, <strong>das</strong>s man sich<br />

physisch <strong>und</strong> psychisch stark, ges<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> fähig fühlt, Menschen<br />

in Krisen begleiten zu können.<br />

Insofern selbst mit beiden Beinen<br />

fest im Leben steht <strong>und</strong> mit sich im<br />

Reinen ist. Lebenserfahrung spielt<br />

hierbei eine wesentliche Rolle.<br />

Außerdem muss ich sprach- <strong>und</strong><br />

empathiefähig sein.<br />

Sie haben bislang ausschließlich<br />

über Notfallseelsorge für Privatpersonen<br />

gesprochen. Wer aber<br />

kümmert sich <strong>um</strong> Einsatzkräfte, <strong>die</strong><br />

sicherlich auch schwer zu kämpfen<br />

haben mit der Verarbeitung schlimmer<br />

Erlebnisse?<br />

Letztlich unterscheiden wir ganz<br />

stark zwischen der psychosozialen<br />

Notfallversorgung von Betroffenen<br />

wie Angehörige, Hinterbliebene,<br />

Opfer <strong>und</strong> Zugehörige von plötzlich<br />

Verstorbenen, kurz PSNV-B<br />

genannt. Und zwischen der PSNV-<br />

E – damit ist <strong>die</strong> psychosoziale<br />

Notfallversorgung von Einsatzkräften<br />

gemeint. Bei letzterem funktioniert<br />

es in der Regel so, <strong>das</strong>s zur<br />

Verarbeitung schlimmer Einsätze<br />

Kameraden unter sich sind. Noch<br />

entscheidender aber: Dass wir<br />

Einsatzkräfte präventiv auf Einsätze<br />

mit Potential für tra<strong>um</strong>atische Ereignisse<br />

vorbereiten. Früher sagte<br />

man dazu Stressimpfung, <strong>die</strong><br />

enorm wichtig ist, <strong>um</strong> mit der richtigen<br />

Einstellung, mental wie körperlich,<br />

in einen jeweiligen Einsatz<br />

hineinzugehen. 2006 wurde zu<br />

<strong>die</strong>sem Themenfeld von der LMU<br />

München eine Stu<strong>die</strong> veröffentlicht,<br />

nach deren Ergebnis drei bis<br />

sechs Prozent aller Einsatzkräfte<br />

nachhaltig von einem Einsatz belastet<br />

sind. Seither wird versucht,<br />

<strong>die</strong>ser Gefahr bereits im Rahmen<br />

der jeweiligen Ausbildung von<br />

Einsatz- <strong>und</strong> Rettungskräften präventiv<br />

vorzubeugen. Wobei man<br />

aber nicht vergessen darf, <strong>das</strong>s<br />

<strong>das</strong> Verarbeiten von schlimmen<br />

12 | <strong>tassilo</strong><br />

Erlebnissen natürlich auch immer<br />

von Tagesform, Charakter <strong>und</strong> psychischer<br />

Stabilität der einzelnen<br />

Person abhängt.<br />

Sie selbst sind nicht nur Notfallseelsorger,<br />

sondern auch Gruppenführer<br />

<strong>und</strong> Atemschutzgeräteträger der<br />

Freiwilligen Feuerwehr in Peiting<br />

sowie der Werkfeuerwehr Herzogsägmühle.<br />

Wie gehen Sie selbst<br />

mit schlimmen Erlebnissen <strong>um</strong>?<br />

Auch ich habe natürlich eine Rückfallebene<br />

<strong>und</strong> nehme Supervisionen<br />

– professionelle Beratung zur<br />

Reflexion des eigenen Handelns –<br />

in Anspruch. Ich habe <strong>das</strong> Gebet<br />

zu Gott. Und ein Ritual: Ich nehme<br />

meine Notfallseelsorge-Einsatzkleidung<br />

nie mit in <strong>die</strong> Wohnung.<br />

Ich lege sie im Hauseingang ab.<br />

Das macht deutlich, <strong>das</strong>s all <strong>das</strong>,<br />

was ich erlebt habe, draußen<br />

bleiben soll. Anschließend wasche<br />

ich meine Hände nicht nur aus<br />

hygienischen Gründen – erst dann<br />

können mich meine Frau <strong>und</strong><br />

Kinder ansprechen. Aber natürlich<br />

gibt es auch Einsätze, <strong>die</strong> mir<br />

nachgehen.<br />

Ihr schlimmstes Erlebnis?<br />

Das „schlimmste Erlebnis“ gibt es<br />

nicht. Aber es gibt Situationen,<br />

<strong>die</strong> schwer zu ertragen sind. Das<br />

ist oft nicht <strong>das</strong> Bild eines schwer<br />

verunglückten Menschen an sich,<br />

sondern eher <strong>das</strong> Schicksal der<br />

Menschen, <strong>die</strong> zurückbleiben. In<br />

solchen Situationen gehe ich dann<br />

auch ganz bewusst in <strong>die</strong> Kirche,<br />

<strong>um</strong> mir eine Auszeit zu gönnen,<br />

<strong>um</strong> mit Gott zu sprechen <strong>und</strong><br />

ihm zu sagen, <strong>das</strong>s ich alles getan<br />

habe, was ich tun konnte <strong>und</strong><br />

darauf vertraue, <strong>das</strong>s er bei den<br />

Personen bleibt, <strong>die</strong> ich begleitet<br />

habe.<br />

Oberster Notfallseelsorger für<br />

Bayern, nach wie vor auch Beauftragter<br />

für Südbayern, aktiver<br />

Notfallseelsorger draußen vor Ort,<br />

Feuerwehrmann für zwei Wehren<br />

<strong>und</strong> auch immer noch Pfarrer?<br />

Hoffnungsvoller Blick: Dirk Wollenweber beim Interview im Pfarrhaus.<br />

Der Titel „Pfarrer“ bleibt mir natürlich<br />

erhalten. Und natürlich<br />

werde ich hier in der Evangelisch-<br />

Lutherischen Kirchengemeinde<br />

in Peiting <strong>und</strong> Herzogsägmühle<br />

weiterhin Gottes<strong>die</strong>nste feiern <strong>und</strong><br />

wenn Not am Mann ist auch als<br />

Pfarrer einspringen, meine Frau<br />

sowie Kollegen <strong>und</strong> Kolleginnen<br />

im Dekanat unterstützen. Feste<br />

Termine <strong>und</strong> Aufgaben als klassischer<br />

Pfarrer habe ich aufg<strong>r<strong>und</strong></strong><br />

meiner neuen Funktion jedoch<br />

keine mehr.<br />

Dennoch: Wie bekommen Sie all<br />

<strong>die</strong>se Dinge unter einen Hut?<br />

Das ist eine gute Frage. Die vergangenen<br />

Wochen hat sich natürlich<br />

alles verschärft, hinzu kommen<br />

Dinge wie Corona, Hilfe in der<br />

Ukraine-Krise <strong>und</strong> viele kleine <strong>und</strong><br />

große Projekte. Doch als Mensch,<br />

der in der Krise arbeitet, entwickelt<br />

man auch eine gewisse Gelassenheit.<br />

Was geht, geht, was nicht,<br />

halt nicht.<br />

Eine Work-Life-Balance ist da ganz<br />

wichtig. Die muss ich natürlich<br />

jetzt, so kurz nach Antritt eines<br />

neuen Aufgabengebietes, erstmal<br />

neu austarieren.<br />

Wie sieht ein klassischer Arbeitsalltag<br />

von Ihnen aus?<br />

Es ist wirklich jeder Tag total unterschiedlich,<br />

was im Pfarramt<br />

aber schon immer so war. Du hast<br />

schon zwei, drei feste Termine am<br />

Tag, dazwischen kann aber sehr<br />

viel Unvorhergesehenes passieren.<br />

Umso wichtiger, für sich selbst ein<br />

gutes Zeitmanagement zu entwickeln<br />

<strong>und</strong> dann ganz klar definieren,<br />

wann es gut ist mit der Arbeit.<br />

Wie schwer ist es im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

generell für einen Pfarrer – eine<br />

Zeit, in der sich immer mehr Menschen<br />

von der Kirche abwenden?<br />

Auch hier in der Gemeinde in Peiting<br />

haben wir viele Kirchenaustritte.<br />

Die letzte Stu<strong>die</strong> dazu hat<br />

ergeben, <strong>das</strong>s es überwiegend<br />

Menschen im Alter zwischen 30<br />

<strong>und</strong> 50 Jahren sind, <strong>die</strong> den Bezug<br />

zur Kirche verloren haben. Da<br />

ist <strong>die</strong> Notfallseelsorge wieder<strong>um</strong><br />

eine tolle Sache. Wir kommen,<br />

wenn Menschen in Not sind. Wir<br />

sind einfach da, ohne nach Religion,<br />

Ethnie oder politischer Einstellung<br />

zu fragen. Wir sind da, weil<br />

<strong>die</strong>se Menschen Hilfe brauchen<br />

<strong>und</strong> wir uns als Christen zur Hilfe<br />

am Nächsten berufen fühlen. Für<br />

manche ist <strong>das</strong> ein erster Kontakt<br />

zur Kirche nach vielen Jahren.<br />

Spannend ist, <strong>das</strong>s sich Menschen<br />

in <strong>die</strong>sem Alter für Notfallseelsorge<br />

interessieren. Wenn man nach<br />

deren Motivation fragt, bekommt<br />

man zur Antwort, <strong>das</strong>s es eine<br />

Möglichkeit für sie sei, sein Christ-

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