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WEGE AUS DEM SCHMERZ

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Zusammenhänge von<br />

Schmerz verstehen<br />

Fast 3,5 Millionen Menschen in Deutschland sind von starken chronischen Schmerzen<br />

betroffen, viele von ihnen wissen nicht, dass es Schmerzspezialisten gibt. Wir haben mit<br />

dem Psychotherapeuten und Preisträger des Deutschen Schmerzpreises 2022, Gideon<br />

Franck, darüber gesprochen, wie man ihnen helfen kann.<br />

Text Miriam Rauh<br />

Herr Franck, Sie sind selbst von chronischen<br />

Schmerzen betroffen. Dürfen wir<br />

fragen, was bei Ihnen der Auslöser für die<br />

chronischen Schmerzen war?<br />

1998 hatte ich einen sehr schweren Autounfall.<br />

Ich wurde mehrfach operiert. Das hat<br />

Spuren hinterlassen und natürlich haben<br />

mir die Schmerzen zu schaffen gemacht.<br />

Zum Glück sind sie im Laufe der Jahre<br />

besser geworden – auch, weil ich selbst das<br />

lebe, was ich mit meinen Patienten übe.<br />

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem<br />

Umgang mit bzw. der Versorgung von<br />

Schmerzen gemacht?<br />

Leider ist das Thema „Schmerzen“ erst seit<br />

ein paar Jahren Teil der medizinischen Ausbildung.<br />

Viele Patienten müssen nicht nur<br />

die Schmerzen aushalten, sondern auch den<br />

Vorwurf, „Simulanten“ zu sein, weil sie nicht<br />

verstanden werden. Das macht wiederum<br />

Stress, aber für den ist niemand da. Man<br />

fühlt sich allein.<br />

Für Schmerzspezialisten, die gut helfen können,<br />

gibt es dann lange Wartezeiten. Leider<br />

wird auch das Wissen, dass Schmerz mehr<br />

ist als die körperliche Empfindung, selten<br />

in Therapien umgesetzt, was zum einen an<br />

fehlenden Kapazitäten, am Gesundheitssystem<br />

an sich, aber auch an der Ausbildung<br />

liegt, zu der das Thema „Schmerzen“ leider<br />

erst seit relativ kurzer Zeit gehört.<br />

Was hat Ihnen im Umgang mit den<br />

Schmerzen geholfen? Gibt es etwas, das<br />

den Schmerz gelindert hat?<br />

Es ist wichtig, die Zusammenhänge zu<br />

kennen. Schmerz an sich ist nicht gefährlich.<br />

Er ist ein Alarmsignal des Körpers, das<br />

uns warnt, wenn z. B. eine Verletzung oder<br />

Erkrankung da ist. Das erleichtert es, ihm<br />

anders zu begegnen. Wichtig zu wissen<br />

ist auch, dass es Überschneidungen des<br />

Schmerzsystems mit dem Stress- und Angstsystem<br />

gibt. Stress und Angst verstärken<br />

Schmerz. Hier kann ich ansetzen und die<br />

Schmerzen annehmen als das, was sie sind:<br />

eine Körperempfindung und mehr erst einmal<br />

nicht. Das zu verstehen und gut für sich<br />

selbst zu sorgen, hilft sehr.<br />

Sie selbst sind Psychotherapeut – welchen<br />

Einfluss hat die Psyche bzw. das<br />

seelische Gleichgewicht auf das Wohlbefinden<br />

von Schmerzpatienten?<br />

Schmerz ist immer ein Mix aus Gedanken,<br />

Gefühlen und körperlichen Empfindungen,<br />

die sich gegenseitig beeinflussen. Er löst<br />

Gefühle aus – von Hilflosigkeit über Angst<br />

bis zu Wut oder Trauer. Das wird oft nicht<br />

verstanden, was Patienten zusätzlich emotional<br />

sehr belastet. Hinzu kommt, dass<br />

Betroffene oft unter chronischem Schlafmangel<br />

leiden, der das Schmerzempfinden<br />

verstärkt.<br />

Gideon Franck<br />

Foto: Schritt ins Leben UG<br />

Sehen Sie auf psychotherapeutischer<br />

Ebene Wege, besser mit<br />

Schmerz umzugehen?<br />

Ja, man kann das Stresssystem im Gehirn<br />

mit verschiedenen Maßnahmen<br />

beruhigen, das wirkt sich oft positiv<br />

auf die Schmerzwahrnehmung aus. Es<br />

wird dann viel einfacher, die Schmerzen<br />

als Teil des Lebens anzunehmen.<br />

Ich vermittele das unter anderem mit<br />

meinem Programm „Schritt ins Leben“.<br />

Was jedoch den wirklichen Unterschied<br />

für die meisten Patienten macht, ist,<br />

dem Leben durch das eigene Handeln<br />

wieder mehr Sinn und Bestimmung zu<br />

geben – trotz der Schmerzen. Durch<br />

das beides zusammen kann man lernen,<br />

seinen Körper wieder als Freund<br />

wahrzunehmen, und z.B. auch wieder<br />

am sozialen Leben teilnehmen.<br />

Sie sind Preisträger des diesjährigen<br />

Deutschen Schmerzpreises. Was<br />

genau ist dieser Preis und wofür haben<br />

Sie die Auszeichnung erhalten?<br />

Der Preis wird für besondere Leistungen<br />

in der Schmerzforschung und Schmerzmedizin<br />

vergeben oder für besonderes<br />

Engagement. Für Letzteres habe ich ihn<br />

wohl bekommen. Ich arbeite seit Jahren<br />

viel mit Schmerz-Selbsthilfegruppen<br />

zusammen; mit dem Programm „Schritt<br />

ins Leben“ möchte ich die Lücke für<br />

die fehlende psychosoziale Hilfe für<br />

Schmerzpatienten schließen.<br />

Welches Feedback bekommen Sie<br />

auf Ihr Programm, von Betroffenen,<br />

aber auch von Ärzten?<br />

Bis jetzt nur positives. Die Teilnehmer<br />

sind zufriedener, nehmen wieder mehr<br />

am Leben teil und fühlen sich stabiler.<br />

Auch die Ärzte freuen sich darüber,<br />

dass es ein solches Angebot gibt.<br />

Haben Sie einen Rat für Patienten<br />

mit chronischen Schmerzen?<br />

Rechtzeitig kleine Pausen einbauen.<br />

Schmerzpatienten verlangen von sich<br />

selbst trotz der chronischen Schmerzen<br />

meistens über die Maßen viel. Es geht<br />

aber in die falsche Richtung, sich erst<br />

erholen zu wollen, wenn einen die<br />

Schmerzen dazu zwingen. Fürsorglich<br />

mit sich selbst umzugehen, halte ich für<br />

eines der wichtigsten Dinge, die wir als<br />

Schmerzpatienten für uns tun können.<br />

Die Deutsche<br />

Gesellschaft für<br />

Schmerzmedizin<br />

e.V. (DGS) verleiht<br />

zusammen mit der<br />

Deutschen Schmerzliga<br />

e.V. (DSL) seit<br />

1986 in regelmäßiger<br />

Folge jährlich den<br />

"deutschen Schmerzpreis".<br />

Mehr erfahren Sie<br />

unter:<br />

www.schrittins-leben.de

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