Leseprobe: Richard Bisig: Graph versus Graf

Fünfzehn
Graf sitzt entspannt an seinem Swimmingpool auf einem bequemen
Stuhl an einem leicht zu tiefen Tisch. Ist er Briefmarkensammler?
Was macht er denn sonst mit einer Pinzette? Offenbar hat er alle
Zeitungen gelesen, denn das Aussehen der auf dem Tisch liegenden
Zeitungsstapel lässt keinen anderen Schluss zu.
Der heimliche Beobachter hinter dem Zielfernrohr nimmt Graf ins
Fadenkreuz … und dessen Lebensgeschichte läuft vor seinem geistigen
Auge flimmernd wie ein Streifen aus den Filmanfängen ab.
Amadeus Graf studierte Jurisprudenz. Der hohe Ausländeranteil an
der Gesamtbevölkerung störte ihn und so gründete er schon während
der Studienzeit mit Gleichgesinnten die ausländerfeindliche
Partei JIZ (Jetzt Ist Zuviel) mit dem Ziel, die Zahl der nach seiner
Lesart zumeist ungebildeten Ausländer zu reduzieren. Schon kurz
nach Studienabschluss wurde er in den Grossrat und einige Jahre
später in den Nationalrat gewählt. Er war ein glühender Anhänger
des Faschismus und verherrlichte den italienischen Diktator Mussolini
und den spanischen Diktator Franco. Doch nicht nur als Fremdenhasser
mit faschistischer Gesinnung machte er sich einen
Namen, sondern auch als Wortführer gegen eine Vermögens- und
Erbschaftssteuer. Als Patrizier, der nie Geld verdienen musste und
ein sorgenfreies Leben als Berufspolitiker führte, tritt er gegen alles
an, was seiner Meinung nach auch nur den Anschein eines Linksanstrichs
hat. Für ihn sind alle Linken potentielle Subversive.
Neben seinen zumeist schamlosen und ignoranten Voten als Parlamentarier,
die oft jenseits mitteleuropäischer Anstandsnormen
liegen, offenbart sich auch seine destruktive Einstellung gegenüber
asylsuchenden Migranten, die er auch schon als Parasiten bezeichnete.
Er ist auch Mitglied einer Gruppe, die subtil zu Hass und Gewalt
gegen missliebige Politiker aufruft und ein hohes Aggressionspotential
aufweist. Aus dieser Gruppe erhält Amadeus Graf häufig
17