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Christkatholisch_2022-16

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6 Hintergrund<br />

<strong>Christkatholisch</strong> <strong>16</strong>/<strong>2022</strong><br />

Tyrannenmord gegen unmenschliche Gewalt<br />

«Auch Du, mein Sohn Brutus!»<br />

Wenn ich das Wort «Tyrannenmord»<br />

höre, denke ich an unseren Lateinlehrer.<br />

An jedem 15. März trug er eine<br />

schwarze Krawatte und wir wussten,<br />

es gibt sicher keine Prüfung. Pater<br />

Hermann Schmid hatte damit erreicht,<br />

dass uns allen bis heute im Gedächtnis<br />

geblieben ist, dass an den<br />

Iden des März, am 15. März 44 vor<br />

Christus der römische Staatsmann<br />

Julius Caesar von einigen Senatoren,<br />

auch solchen, die ihm nahestanden,<br />

ermordet wurde. Ebenfalls Brutus gehörte<br />

dazu, dem Caesar väterlich verbunden<br />

war. Daher – so lernten wir –<br />

die Redewendung: «Auch Du, mein<br />

Sohn Brutus»! Und dies bedeutet,<br />

dass auch jemand, der einem nahesteht,<br />

sich gegen uns wenden kann<br />

und uns im Stich lässt.<br />

Tyrannos – ein griechisches<br />

Wort<br />

Bei der Ermordung Caesars geht es<br />

um einen «Tyrannenmord». Zwei<br />

Dinge sind dabei oft nicht klar: Was<br />

ist ein Tyrann und ist ein Mord erlaubt,<br />

wenn man damit vielleicht das<br />

Leben anderer retten könnte? Ein<br />

«Tyrannos» ist im alten Griechenland<br />

nicht allein ein Staatsmann, der seine<br />

Ziele mit Gewalt und als Alleinherrscher<br />

durchsetzen will, sondern das<br />

Besondere am «Tyrannos» ist auch,<br />

dass er sich die Herrschaft oder Teile<br />

der Befugnisse im Staat auf ungesetzlichem<br />

Weg angemasst hat.<br />

Gerechtfertigter Mord?<br />

Könnte ich einen Politiker, der mir<br />

wie ein Tyrann vorkommt, von dem<br />

ich den Eindruck habe, er masse sich<br />

etwas Unmenschliches an, doch einfach<br />

niederknallen! In den letzten<br />

Monaten habe ich mich oft dabei ertappt,<br />

dass ich mir den Tod von all<br />

den Kriegstreibern wünsche. Ist die<br />

Tötung eines Tyrannen aber gerechtfertigt?<br />

Ob ein Herrscher als legitimer<br />

König oder brutaler Usurpator<br />

bezeichnet wird, hängt vom politischen<br />

Erfolg ab. Ob Tyrann oder legitimer<br />

König: Der Erfolgreiche<br />

kann die Geschichtsschreibung bestimmen.<br />

Ein paar Wegstationen entlang der<br />

Geschichte zum Tyrannenmord können<br />

uns darlegen, wie zeitabhängig<br />

und vielschichtig alle Aussagen zum<br />

Tyrannenmord sind. Die Frage ist immer,<br />

auf welcher Seite ich stehe und<br />

wie frei oder wie gebunden ich bin.<br />

Wer würde zur Herrscherzeit von<br />

Adolf Hitler etwas gegen den Diktator<br />

gesagt haben wollen? Es würde<br />

ihn den Kragen gekostet haben.<br />

Im 4. Jahrhundert vor Christus suchten<br />

die griechischen Philosophen nach<br />

Begründungen, ob der Tyrannenmord<br />

ein gerechtfertigtes Mittel zu Befreiung<br />

der Bürger sei. Bei der bis heute<br />

schwierigen ethischen Frage muss man<br />

sich auf eine Abwägung einlassen: Ist<br />

es schwerer zu verantworten, ob die<br />

Bürger Gewalt und Unterdrückung<br />

durch einen Tyrannen erleiden müssen<br />

oder ob die Bürger die Schuld eines<br />

Mordes auf sich laden?<br />

Der Philosoph Aristoteles rechtfertigte<br />

die Tötung eines Tyrannen ohne Wenn<br />

und Aber. Dieses Attentat sei nicht nur<br />

straffrei, sondern auch zu begrüssen.<br />

400 Jahre später widerspricht der lateinische<br />

Kirchenschriftsteller Tertullian<br />

und schliesst den Tyrannenmord in jedem<br />

Fall aus. Weitere 1000 Jahre später,<br />

in der mittelalterlichen Scholastik, äussert<br />

sich der Dominikaner Thomas von<br />

Aquin zum Tyrannenmord. Er musste<br />

eine Hürde überwinden, die lange Zeit<br />

als unantastbar galt: Ein Widerstandsrecht<br />

gegen die Obrigkeit war nicht vorgesehen.<br />

Die christliche Tradition sah<br />

die weltliche Obrigkeit entweder als Geschenk<br />

oder Geissel Gottes an (Römerbrief<br />

13, 1-7 und Erster Petrusbrief 2,<br />

13-17). Der Aquinate hat eine Tür geöffnet,<br />

indem er einen gewaltsamen Widerstand<br />

für erlaubt ansah, wenn die<br />

Tyrannei ein unerträgliches Mass erreicht<br />

hat, keine gewaltfreien Mittel zur<br />

Verfügung stehen oder keine Hilfe einer<br />

höheren Stelle gegeben ist. Derjenige<br />

Herrscher, gegen den Widerstand<br />

eingesetzt werden darf, ist dabei dann<br />

ein Tyrann, wenn er Zwietracht und<br />

Aufruhr ins Volk bringt und das Gemeinwohl<br />

veruntreut. Thomas differenziert<br />

weiter, dass man gegen einen<br />

rechtmässig an die Macht gekommenen<br />

Tyrannen in keinem Fall aus privater<br />

Anmassung, sondern nur durch legitimierte<br />

öffentliche Autorität vorgehen<br />

darf. Ist eine legitimierte öffentliche<br />

Autorität vorhanden, dann darf ein Tyrann<br />

mit allen Mitteln bekämpft und<br />

im Extremfall auch getötet werden.<br />

Thomas legte daraus die Prinzipien des<br />

«gerechten Krieges» dar.<br />

In der Neuzeit setzt sich die rechtsphilosophische<br />

Auffassung durch,<br />

dass es unter gar keinen Umständen<br />

erlaubt sei, einen Tyrannen zu töten.<br />

Der englische Staatstheoretiker Thomas<br />

Hobbes (1588-<strong>16</strong>79) war hier federführend<br />

und er sagte, man müsse<br />

jedes Staatswesen als eine Gemeinschaft<br />

aus Herrschern und Beherrschten<br />

ansehen, in der die Beherrschten<br />

durchaus das Recht haben, das Gebaren<br />

eines Herrschers in Frage zu stellen,<br />

doch nie ihn umzubringen. Vielmehr<br />

müsse der eventuell Fehlbare<br />

einer allgemein akzeptierten Gerichtsbarkeit<br />

zugeführt werden. Dieser<br />

Grundgedanke von Hobbes ist bis<br />

heute gültig geblieben.<br />

Wider-<br />

Doppelschneidiges<br />

standsrecht<br />

Verschiedene Staatstheoretiker setzten<br />

sich in der frühen Neuzeit für ein<br />

Recht des Volkes zum Widerstand<br />

gegen einen zwar legitimen, aber seine<br />

Macht missbrauchenden Herrscher<br />

ein. Immanuel Kant misstraute<br />

dem Widerstandsrecht: Es könne<br />

leicht zum Vorwand Einzelner werden,<br />

sich gegen den Staat zu stellen.<br />

Die Amerikanische und die Französische<br />

Revolution mit all ihren Folgen<br />

mischten die Karten des Tyrannenmordes<br />

neu und gaben Kant<br />

recht. Mord gehörte mehr und mehr<br />

zum politischen Geschäft.<br />

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