Gesundsitzen Ausgabe 2014/2015
Das Schweizer Magazin für Ergonomie, Gesundheit und Wohlbefinden. Ausgabe 2014/2015
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Stühle und Stühle<br />
Es gibt solche und solche. Stühle, die aussehen, als seien sie welche, bis<br />
man sich draufsetzt. Und solche, die zwar so heissen, aber keine sind.<br />
Text Kurt Mürset, Basel / Bild zvg<br />
Keine Ahnung, was Sie so treiben, in<br />
den Ferien, auf Ausflügen, Städtetrips oder<br />
auf dem Sonntagsbummel. Ich sehe mir<br />
gerne die eine oder andere Kirche an. Zum<br />
einen ist das sehr erholsam, wenn plötzlich<br />
der ganze Lärm der Fussgängerzonen und<br />
Einkaufsstrassen von dicken alten Mauern<br />
weggefiltert wird, zum anderen sind es<br />
meist Gebäude, die schon von ihrer<br />
Architektur her zum genaueren Hinsehen<br />
verleiten, und schliesslich sind es Orte des<br />
Glaubens, die von einer Vielzahl von<br />
Menschen auf unterschiedliche Weise<br />
genutzt wurden und werden. Natürlich<br />
gibt es da Unterschiede. Protestantische<br />
Kirchen bleiben wochentags meist geschlossen,<br />
katholische sind durchgehend<br />
Glosse<br />
6<br />
geöffnet. Über die Gründe dafür könnten<br />
wir jetzt eine grössere Abhandlung<br />
schreiben, müssten Fachleute beider Konfessionen<br />
zu Rate ziehen und die Öffentlichkeit<br />
nach ihrer Meinung befragen. Aber<br />
eigentlich geht es uns ja ums Sitzen!<br />
Also zurück in die Kirche. Und zwar in<br />
eine katholische Kirche. Weil die über<br />
Beichtstühle verfügt. Und schon tauchen<br />
die ersten Fragen auf. Warum heisst es<br />
Beicht-«Stuhl»? Wo es sich doch eigentlich<br />
um ein Kabäuschen handelt, in dem auf<br />
der einen Seite der Beichtvater sitzt und<br />
auf der andern der Sünder. So er denn<br />
nicht kniet! Aber auch wenn er sitzt, dann<br />
weniger auf einem Stuhl als vielmehr auf<br />
einem Bänklein. Je genauer wir da<br />
hinsehen, desto deutlicher tritt uns vor<br />
Augen, dass es sich hier nicht ums gesunde<br />
Sitzen handelt, um Ergonomie und einen<br />
schmerzfreien Rücken, sondern um einen<br />
Sitzplatz für kürzere Verweildauer, während<br />
der man durchaus auch körperlich<br />
daran erinnert wird, wozu man da sitzt:<br />
um Sünden zu bekennen und Busse zu tun.<br />
Was die kürzere Verweildauer angeht,<br />
so gilt sie unbedingt auch für den Stuhl,<br />
der vor dem Sekretär meiner Grossmutter<br />
stand. Der Sekretär war ein besonders für<br />
Kinder faszinierendes Möbelstück. Er<br />
stand auf schlanken Beinen, hatte eine<br />
schön geschwungene Schublade unter der<br />
Tischplatte und endete oben mit dem<br />
Aufsatz von zwei eleganten Schubladenstöcklein.<br />
Der Schlüssel passte in alle<br />
Schub laden, und da konnte man – während<br />
man vorgab Hausaufgaben zu machen –<br />
auf Schatzsuche gehen. Einzig der Stuhl,<br />
auf dem man zu sitzen hatte, vergällte<br />
einem die länger dauernde Beschäftigung<br />
mit Omas Nippsachen, alten Postkarten,<br />
eingetrockneten Tintenfedern, längst<br />
bezahlten Rechnungen und den Sackmessern<br />
und abgelegten Uhren vom Grossvater.<br />
Dieser Stuhl – ein Louis-Philippe,<br />
passend zum Sekretär – hat sich mir bis<br />
heute ins Gedächtnis eingegraben, wie damals<br />
die Lehne in den Rücken! Steif, hart<br />
und unangenehm war dieser Stuhl. Und<br />
immer wenn man versuchte, durch<br />
Herumrutschen eine etwas bequemere<br />
Position zu finden, spürte man die Sprungfedern<br />
durchs Sitzpolster hindurch und<br />
wechselte blitzschnell wieder zurück in die<br />
Ausgangsposition. Lieber ein gemarterter<br />
Rücken als ein wundes Hinterteil war die<br />
Devise. Aber auch bei diesem Stuhl bleibt<br />
anzumerken, dass man da nicht Stunden<br />
drauf verbrachte und der Aufenthalt erst<br />
noch freiwillig war.<br />
Ganz im Gegenteil zu einem Stuhl, dessen<br />
Geschichte ich Ihnen nicht vorenthalten<br />
möchte. So unglaublich sie auch<br />
scheint, wahr ist sie allemal. Da gab es<br />
einmal eine Firma, deren Daseinsberechtigung<br />
in der fehlenden Schweizer<br />
Kartellgesetzgebung zu suchen war und<br />
deren Zweck im Umverteilen von Steuergeldern<br />
bestand. Angesiedelt war sie<br />
irgendwo am Rande der Marktwirtschaft,<br />
dort wo diese in amtliche Zahlstellen<br />
übergeht und alles nach Plan verläuft. Ich<br />
erwähne das nur, um Ihnen zu verdeutlichen,<br />
woher jemand, der dort als Chef zu<br />
Stuhle sass, sich die Zeit nehmen konnte,