13.10.2022 Aufrufe

syndicom magazin Nr. 31

Das syndicom-Magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.

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10 Dossier<br />

Woher kommt die Inflation<br />

und wie besiegt man sie?<br />

Dreissig Jahre lang war Inflation kein Thema.<br />

Doch nun bedrohen steigende Preise viele<br />

Menschen mit Verarmung und Not. Europa ist<br />

im Aufruhr. Das wird ein heisser Herbst.<br />

Text: Oliver Fahrni<br />

Bilder: Reto Crameri<br />

Streiks und Proteste zwangen die neue britische Premierministerin<br />

Liz Truss schon am zweiten Tag in die Knie: In<br />

völligem Widerspruch zu ihrem Programm musste sie ein<br />

staatliches 150-Milliarden-Paket aufgleisen, um den drohenden<br />

Aufstand abzuwenden. In Frankreich streiken<br />

Dutzende von Belegschaften für den Teuerungsausgleich.<br />

Die Gewerkschaften mobilisieren und die Linke bläst zum<br />

nationalen Marsch für tiefere Lebenskosten im Oktober.<br />

Deutschlands Koalitionsregierung schaut derweil bang<br />

auf die Teuerungsproteste und hofft, daraus werde keine<br />

Gelbwesten-Bewegung. In Italien drohen 140 000 Unternehmen<br />

wegen der Energiepreise mit Schliessung.<br />

Die Inflation ist zurück. Mit rund 10 Prozent in der EU,<br />

Tendenz steigend. Ein brutaler Schock.<br />

Im Vergleich zur Teuerung in den USA, in Grossbritannien<br />

und in der EU scheint die Inflationsrate in der<br />

Schweiz mit 3,5 Prozent (Stand August) relativ tief. Das<br />

liegt einerseits daran, dass hierzulande manche Preise<br />

«administriert» sind, also einer gewissen Kontrolle der<br />

öffentlichen Hand unterliegen.<br />

Zum Beispiel der Strompreis in der «Grundversorgung».<br />

Zum andern hilft der überbewertete Franken. Die<br />

Schweiz importiert einen starken Teil ihrer Konsumgüter.<br />

Mussten wir für ein Produkt aus Deutschland, das 100<br />

Euro kostet, vor kurzem noch 115 Franken aufwenden,<br />

kostet es heute wegen des besseren Wechselkurses nur<br />

noch 97 Franken. Doch der Vorteil schwindet schnell:<br />

Künftig wird die deutsche Ware wegen der hohen Inflation<br />

beim Nachbarn nicht mehr 100, sondern 115 Euro<br />

kosten.<br />

Handkehrum hat der harte Franken auch entscheidende<br />

Nachteile: Er belastet die Schweizer Exportindustrie<br />

(Maschinen, Uhren, Tourismus etc.), die für mehr als einen<br />

Drittel unseres Wohlstands sorgt.<br />

Die wirkliche Höhe der Inflation<br />

Tatsächlich sollten bei 3,5 Prozent Teuerung alle Alarmglocken<br />

schrillen. Erstens täuscht die Zahl. Auf Haushalte<br />

mit kleinen oder mittleren Einkommen, also auf die überwiegende<br />

Mehrheit, drückt in Wahrheit eine deutlich höhere<br />

Teuerung. Für Löhne bis 4300 Franken beträgt sie<br />

mindestens 4,2, eher an die 5 Prozent (s. Grafiken S. 15).<br />

Warum? Diese Haushalte müssen eben einen höheren<br />

Teil ihres Einkommens für Miete, Energie, Lebensmittel,<br />

Transport, Krankenkasse ausgeben als Gutverdienende<br />

(ab 7000 Franken netto). Also ausgerechnet für jene unverzichtbaren<br />

Dinge, die schockartig teurer geworden sind.<br />

Zweitens steht gerade beim Grundbedarf eine Preisexplosion<br />

an. Die Krankenkasse wird im Schnitt um 6,6 Prozent<br />

teurer. Der Strompreis steigt 2023 um 27 Prozent – in<br />

manchen Bereichen sogar bis 28o Prozent. Was wiederum<br />

viele andere Produkte und Dienstleistungen verteuert.<br />

Weil die Zinsen steigen, werden auch die Mieten teurer.<br />

Bald kommt das schwierige Monats ende schon Mitte<br />

des Monats. Bereits heute sind in der Schweiz 1,3 Millionen<br />

Menschen armutsgefährdet. Ihnen droht der Absturz,<br />

vor allem Alleinerziehenden und Pensionären, aber auch<br />

Familien mit mehr als einem Kind. Dennoch finden viele<br />

bürgerliche Kommentatoren die Forderung des Gewerkschaftsbundes<br />

nach einem Teuerungsausgleich von 4 bis<br />

5 Prozent unverschämt.<br />

In einer Umfrage der KOF-ETH im Frühjahr gaben Unternehmen<br />

an, die Löhne 2022 nur um 1,6 Prozent wachsen<br />

zu lassen. Konkret wäre das ein Lohnraub. Denn sind<br />

die Lohnsteigerungen geringer als die Preissteigerung,<br />

bedeuten sie in Wahrheit eine Senkung der Reallöhne –<br />

die Kaufkraft der Haushalte schwindet.<br />

Was auch volkswirtschaftlich purer Irrsinn wäre, weil<br />

der private Konsum die Wirtschaft trägt. Das Seco rechnet<br />

in der jüngsten Prognose mit einem BIP-Wachstum von<br />

2 Prozent. Das ist optimistisch und baut einerseits auf<br />

die (gefährdeten) Exporte, andererseits auf die Inlandnachfrage.<br />

Der private Konsum soll es mit einem Plus von<br />

4 Prozent reissen. Wird die Teuerung aber nicht mit erhöhten<br />

Löhnen ausgeglichen, ist die Prognose das Papier<br />

nicht wert, auf dem sie steht. Dann droht spätestens 2023<br />

eine Rezession. Also die Vernichtung von Stellen, wachsende<br />

Arbeitslosigkeit, noch stärker sinkende Kaufkraft.<br />

Eine Abwärtsspirale.<br />

Was die Gewerkschaften verlangen, ist also eine Minimalforderung.<br />

Sie gleicht gerade die Inflation aus, vorausgesetzt,<br />

diese steigt nicht noch stärker, was OECD, Weltbank<br />

und EZB durchaus für möglich halten. Die Reallöhne<br />

zu sichern und dafür die Nominallöhne um 4 bis 5 Prozent<br />

zu erhöhen, ist gerecht, ökonomisch sinnvoll und oftmals<br />

gut zu stemmen, wie die satten Gewinne belegen.<br />

Bis in die 1990er-Jahre war in den meisten Gesamtarbeitsverträgen<br />

ein automatischer Teuerungsausgleich<br />

eingebaut (siehe S. 14 «Die grosse Abwesende»). Den hatten<br />

die Gewerkschaften mit hartnäckigen Kämpfen in den<br />

Inflationsjahren nach 1970 durchgesetzt. In anderen kapitalistischen<br />

Ländern waren die Neoliberalen erfolgreicher.<br />

Das zeigt sich an der überall massiv gesunkenen<br />

«Lohnquote», die ausweist, welcher Teil des erwirtschafte-<br />

54 Prozent<br />

der Inflation<br />

sind dem<br />

Profithunger<br />

der Konzerne<br />

geschuldet.

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