PIPER Reader Frühjahr 2023
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RICHARD SWAN<br />
INTERVIEW<br />
dass seine Erzählung ziemlich trocken und förmlich<br />
wäre, und da er immer Recht haben will, würde er<br />
wahrscheinlich bestimmte Dinge umdeuten, damit<br />
sie in seine Erzählung passen, oder die Gründe für<br />
sein Handeln bis in die kleinsten Details erklären. In<br />
der Welt der Chroniken von Sova ist Vonvalt ein »großer<br />
Mann der Geschichte«, und ich denke, wenn man<br />
sich auf diese Weise in seinen Kopf hineinversetzen<br />
und all seine Gedanken herauskitzeln und entschlüsseln<br />
würde, wäre das für die Leser:innen am Ende nur<br />
enttäuschend.<br />
Helena bietet uns stattdessen eine viel wechselhaftere<br />
emotionale Linse, durch die wir ihn und seine Handlungen<br />
betrachten können. Sie steht ihm nahe und<br />
kennt ihn besser als die meisten anderen, sodass wir<br />
den »echten« Vonvalt ein wenig kennenlernen können,<br />
aber sie ist auch jung und idealistisch und kann ihm<br />
den Spiegel vorhalten, vor allem, als Vonvalt etwas<br />
weniger prinzipientreu und dafür realpolitischer wird.<br />
Ich liebe die Figur der Helena sehr, und es hat mir<br />
großen Spaß gemacht, ihre und Vonvalts Dynamik<br />
auszuarbeiten, die der Geschichte eine Ebene hinzufügt,<br />
die es sonst nicht gegeben hätte.<br />
Wenn man High Fantasy schreibt, besteht<br />
eine der Aufgaben normalerweise darin, sich<br />
sehr viele Namen auszudenken – nicht nur für<br />
Personen, sondern auch für Orte, die Götterwelt<br />
und dergleichen. In Im Namen des Wolfes<br />
scheinen einige der Bezeichnungen von<br />
deutschen Namen inspiriert zu sein, so gibt es<br />
Figuren namens »Bauer« oder »Vogt«. Können<br />
wir uns das Sovanische Reich oder Teile davon<br />
wie ein mittelalterliches Deutschland vorstellen?<br />
Und welche anderen (historischen) Länder<br />
und/oder Sprachen und Kulturen dienten als<br />
Inspirationsquellen?<br />
Auf jeden Fall. Das Heilige Römische Reich und<br />
die deutschen Staaten sowohl aus der Zeit davor als<br />
auch danach hatten definitiv einen starken Einfluss<br />
auf das Sovanische Reich. Tatsächlich habe ich mir<br />
in der Planungsphase für die Trilogie als eines der<br />
ersten Dinge eine Karte des Rheinbundes angesehen.<br />
Ich besitze einen ganzen Ordner voller Bilder von<br />
Orten wie Burg Eltz oder Heidelberg. Ich habe auch<br />
Elemente aus dem Römischen Reich der Spätantike<br />
übernommen, obwohl ich den Provinzen, die Sova<br />
umgeben und die von den Sovanern erobert wurden,<br />
einen etwas anderen Charakter verleihen wollte. Hier<br />
kommen die eher slawischen Namen ins Spiel. Viele<br />
der Ortsnamen im Reich haben eine deutsche Toponymie<br />
(-berg/-burg, -dorf, -hut); wenn man sich dagegen<br />
die Namen eines Großteils der Menschen ansieht,<br />
sind diese eher slawisch inspiriert – kroatisch,<br />
serbisch usw. In einigen Fällen hat eine Figur sowohl<br />
einen germanischen als auch einen slawischen Namen.<br />
Damit versuche ich zu zeigen, dass das Sovanische<br />
Reich nicht homogen ist, sondern eine Mischung aus<br />
verschiedenen Kulturen darstellt.<br />
Ich wollte den Sovanern aber nicht nur diese eher<br />
kosmetischen kulturellen Eigenschaften mitgeben.<br />
Als Volk wollte ich ihnen etwas geben, was ich für<br />
ziemlich teutonische bzw. angelsächsische Züge<br />
hielt. Sie sind zum Beispiel nach außen hin keine<br />
sonderlich emotionalen Menschen; sie mögen keine<br />
großen Gefühlsausbrüche, ja finden sie sogar vulgär.<br />
Außerdem schätzen sie Eigenschaften wie Pragmatismus,<br />
Effizienz, Gründlichkeit und Erfindungsreichtum,<br />
und sie haben einen Sinn für Ironie und<br />
trockenen Humor.<br />
Wie viel vom Sovanischen Reich wurde dem<br />
Römischen Reich der Spätantike nachempfunden?<br />
Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass es<br />
einige auffällige Parallelen gibt, und wir haben<br />
versucht, dieses Gefühl in die Übersetzung zu<br />
übertragen. Unter anderem dadurch, dass alle<br />
Figuren sich duzen, wie es im Römischen Reich<br />
üblich war, anstatt eine förmlichere An rede wie<br />
»Ihr« zu benutzen, die die Leser:innen eher an<br />
hoch- oder spätmittelalterliche Gesellschaften<br />
erinnern würde, die aber sonst in High-Fantasy-<br />
Romanen sehr verbreitet ist.<br />
Ich bin sehr froh über diese Entscheidung! Das Römische<br />
Reich und sein vorgebliches Fortbestehen<br />
im Heiligen Römischen Reich ist die historische<br />
Analogie, die ich für die Chroniken von Sova gewählt<br />
habe. Ich stelle mir Sova im Wesentlichen wie<br />
eine Mischung aus dem antiken Rom und Münster<br />
vor. Tatsächlich werden die Parallelen im zweiten<br />
Band noch deutlicher, wenn wir einige Zeit in Sova<br />
verbringen.