46 LINUS GESCHKE WERKSTATTBERICHT Wenn Phrogger bei ihrem Tun erwischt werden – was übrigens äußerst selten geschieht –, drohen ihnen Anzeigen wegen Einbruchs und Diebstahls. Strafen, die die meisten Phrogger billigend in Kauf nehmen und die nichts gegen die Traumata sind, die sie bei ihren »Gastgeberfamilien« auslösen können. Für die meisten Menschen ist alleine schon die Vorstellung, ein Fremder könnte in den Bereich eindringen, in dem sie sich am sichersten fühlen, erschreckend. Das Wissen, dass sich dieser Eindringling dort dann auch noch tagelang aufgehalten hat, muss unerträglich sein. Das sind die bekannten Fakten, der Hintergrund quasi. Der Rest der Handlung in »Die Verborgenen« ist reine Fiktion. Wie sie meiner Vita entnehmen können, bin ich kein Asiate und auch kein US-Amerikaner, also habe ich die Handlung einfach dorthin verlegt, wo ich mich auskenne: nach Deutschland. Ein einsamer Hof in Bayern hätte sich als Setting angeboten, ein abgelegenes Haus im Osten oder Norden der Republik. Nach reiflicher Überlegung habe ich mich dann für die Nordseeküste als Kulisse entschieden; einfach, weil bislang noch kein Buch von mir dort spielt. Das grobe Thema und das Setting des Thrillers standen somit, der nächste Schritt war die Erschaffung des Personals. Serienkiller ermüden mich, ebenso klassische Heldenfiguren mit fast übermenschlichen Kräften. Was ich für meine Bücher brauche, sind ganz normale Menschen, und mit den Bewohnern des Hauses fing ich an. Darf ich vorstellen: die Hoffmanns! Der zweiundvierzigjährige Sven Hoffmann arbeitet als Journalist bei einem Bremer Fernsehsender, seine Frau Franziska als Teilzeitkraft in einem Tourismusbüro. Gemeinsam haben die beiden eine siebzehnjährige Tochter, Tabea, die kurz vor dem Abitur steht. Das Mädchen ist der Auslöser für alles, der heimliche Star der Geschichte. Nur wegen ihr geschieht, was geschieht. Sagte ich gerade, Tabea sei der Star der Geschichte? Vergessen Sie‘s, das stimmt so nicht. Eigentlich sind es die Phrogger, und auch für sie musste eine glaubhafte Hintergrundgeschichte her. Das ist mir wichtig. Erst die Vergangenheit macht das Handeln eines Menschen begreifbar; ohne sie bleiben die Bösen in Büchern nur ein eindimensionales Abziehbild. Am liebsten würde ich Ihnen jetzt noch viel mehr über die Phrogger erzählen, aber das geht nicht, es würde der Story die Spannung rauben. Um herauszufinden, was hinter dem Tun der Eindringlinge steckt, müssen Sie sie schon durch die Buchseiten begleiten. Sie müssen dabei sein, wenn sie nachts durch die Flure der Hoffmanns schleichen, die Schränke öffnen, die Truhen durchwühlen. Sie müssen ihnen über die Schultern schauen, wenn sie die feinen Risse in der Ehe der Hoffmanns vergrößern, sie zu tiefen Gräben werden lassen. Es ist ein ausgesprochen perfides Tun, das kann ich Ihnen versprechen. Ein ungleicher Kampf zwischen den Bewohnern und den Eindringlingen, weil die einen nicht einmal wissen, dass es die anderen überhaupt gibt. In »Die Verborgenen« geht es also nicht um einen sinnlosen Akt der Gewalt; es geht um ein Spiel mit den Ängsten, die wir alle in uns tragen. Sollte dieser Umstand in Ihnen jetzt ein unwohles Gefühl auslösen, kann ich Sie beruhigen: Bis zum jetzigen Zeitpunkt ist in Deutschland noch kein einziger Fall von Phrogging bekannt geworden. Alles, was zwischen den Buchdeckeln in »Die Verborgenen« passiert, ist lediglich (und hier zitiere ich meine Frau) »meiner kranken Fantasie entsprungen«. Sie, liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler, liebe Leserinnen und Leser, können somit ganz unbesorgt sein. Machen Sie sich bitte keine Sorgen, wenn Sie im Kellerstaub Fußabdrücke finden oder verdächtige Geräusche vom Dachboden hören. Wenn das Vanilleeis im Gefrierfach plötzlich leer ist, wird nur Ihr minderjähriges Kind davon genascht haben, und wenn Sie persönliche Gegenstände vermissen, haben Sie diese garantiert nur verlegt. Niemand wird nachts regungslos neben ihrem Bett stehen und Sie im Schlaf beobachten, und niemand wird ihre kleinen, schmutzigen Geheimnisse aufdecken, weil jemand so Nettes wie Sie doch sicherlich gar keine hat. Oder etwa doch? Gibt es auch bei Ihnen etwas, was sie lieber vor anderen verbergen möchten? In diesem Fall wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an den Piper Verlag oder an mich, gerne auch anonym, und erzählen Sie davon. Sie wissen doch: Von Inspiration kann ich gar nicht genug bekommen! Liebe Grüße aus dem Keller, Linus Geschke
ERSCHEINT AM: 01-06- 23 352 SEITEN 17, 00 € | D 17, 50 € | A LINUS GESCHKE DIE VERBORGENEN Klappenbroschur ISBN 978-3-492-06479-8 Bestellen Sie Ihr digitales Leseexemplar zum Erscheinungstermin auf piper.de/leseexemplare oder schreiben Sie eine E-Mail an: sales_reader@piper.de (BuchhändlerInnen) press_reader@piper.de (Presse)