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Detmolder Kurier 250

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<strong>Detmolder</strong> <strong>Kurier</strong> Nr. <strong>250</strong> 10. Dezember 2022 Seite 26<br />

Zu Besuch bei Christian Merwitz (54), Dipl.-Ingenieur, Architekt, Detmold-Pivitsheide, Ukrainehilfe Lions Club Detmold-Residenz<br />

„Das Leid der Menschen geht mir zu Herzen“<br />

Angesicht der Mangellage im Kriegsgebiet haben Christian Merwitz<br />

(Detmold-Pivitsheide) als Organisator und sein Freund Peter Müller<br />

(Berlin) als Initiator im Oktober eine größere Menge an Hilfsgütern<br />

in die zentralukrainische Stadt Poltawa transportiert. Dort sind sie<br />

unter Mithilfe von Freunden Müllers vor Ort einem Krankenhaus und<br />

Kinderheim übergeben worden. Beraten wurden die Helfer von Vera<br />

Voronjuk (Horn-Bad Meinberg), die auch als Übersetzerin half. Die<br />

in Fissenknick wohnende Leiterin einer Betreuungswohngemeinschaft<br />

unterhält über das Hilfswerk Aquila e.V. schon länger Kontakte in die<br />

Ukraine und engagiert sich dort zugunsten eines Frauenhauses. Unser<br />

Redakteur Arnold Pöhlker hat die Geschichte aufgeschrieben.<br />

Vom Leo-Club Detmold<br />

„Ein Teil mehr“<br />

Zunächst führte es wohl zu einer Art<br />

Schockstarre bei Christian Merwitz,<br />

was alles an dramatisch-schlimmen<br />

Meldungen aus der vom Krieg gebeutelten<br />

Ukraine herüberschwappte.<br />

Doch bald schon entstand bei ihm<br />

das Bedürfnis, etwas zu tun. „Einer<br />

muss es doch machen“, erklärte er im<br />

Gespräch. Eine Initiative ging auch<br />

vom Leo-Club Detmold der „Lions“<br />

mit deren Aktion „Ein Teil mehr“<br />

aus. Die Jugendorganisation hatte<br />

bereits haltbare Lebensmittel und<br />

Hygiene-Artikel für ein ukrainisches<br />

Kinderheim in Poltawa gesammelt.<br />

Merwitz wurde gefragt, ob er den<br />

Transport organisieren könne. Der<br />

bekannte <strong>Detmolder</strong> Architekt, von<br />

seinem Naturell her sehr rührig, dazu<br />

privat und geschäftlich gut vernetzt,<br />

willigte ein – aber nicht nur er allein.<br />

Sein Freund Peter Müller, Mitarbeiter<br />

und enger Vertrauter der Familie<br />

Dres. Brigitte und Arend Oetker<br />

aus Berlin, erklärte sich ebenfalls<br />

bereit, den Hilfstransport zu begleiten.<br />

„Wenn du fährst, dann machen<br />

wir das auch zusammen“, betonte<br />

Merwitz gegenüber Müller.<br />

Uneigennützig, selbstlos<br />

= Nächstenliebe<br />

Seine Motivation begründete der<br />

<strong>Detmolder</strong>, wie er betont, mit „christlicher<br />

Nächstenliebe gegenüber den<br />

Menschen, die gerade ihre Heimat<br />

verlieren“. Geld, Zeit und tatkräftige<br />

Hände sind für ihn die eine Sache,<br />

die es braucht, um zu helfen. Was<br />

ebenso zählt ist die uneigennützige,<br />

selbstlose menschliche Zuwendung.<br />

„Es tut mir im Herzen weh, wenn ich<br />

an die Zehntausende von Toten auf<br />

beiden Seiten denke, die in diesem<br />

verdammten Angriffskrieg umkommen.<br />

Welche Trauer und welches<br />

Leid müssen Familien, Kinder und<br />

alte Menschen derzeit ertragen. Darunter<br />

Mütter und Frauen, die ihre<br />

Kinder und Männer verlieren. Das<br />

ist doch schrecklich“. Deshalb habe<br />

er die Hilfslieferung über den „Lions<br />

Club Detmold-Residenz“ mit Unterstützung<br />

von Freunden organisiert.<br />

Schließlich gründe die Lions-Idee<br />

auf der Hilfe für Notleidende und<br />

der Völkerverständigung.<br />

Medizinische Hilfsmittel<br />

Neben den Spenden des Leo-Clubs<br />

besorgte Peter Müller über die „Internationale<br />

Nothilfe“ in Bitterfeld<br />

für ein Krankenhaus in Poltawa noch<br />

gebrauchte medizinische Geräte<br />

und Hilfsmittel: Ultraschallgerät,<br />

Sauerstoffkonzentrator, 150 Operationsscheren,<br />

200 Klemmen, Desinfektionslösungen,<br />

Verbandsmaterial<br />

sowie Medikamente. Außerdem<br />

sammelte er für die Kinder eines<br />

Heimes Kindernahrung, warme<br />

Kleidung, Decken, Windeln, Kinderwagen<br />

– und „süße Trostpflaster“.<br />

Christian Merwitz: „Die Heimkinder<br />

haben ohnehin kein leichtes Leben;<br />

sie können rein gar nichts für diesen<br />

schrecklichen Krieg, aber sie leiden<br />

sehr darunter.“<br />

Risiken ja, aber<br />

kalkulierbar<br />

Mit einer WhatsApp-Gruppe teilten<br />

die Helfer ihre Reiseerlebnisse.<br />

Deren Anteilnahme während der<br />

Fahrt sei richtig anrührend und auch<br />

mutmachend gewesen, so Merwitz.<br />

Mut gehörte dazu, einen solchen<br />

Hilfstransport durch militärisch umkämpfte<br />

Gebiete zu steuern – auch<br />

wenn Christian Merwitz die Risiken<br />

als ehemaliger Bundeswehroffizier<br />

der Panzertruppe einzuschätzen<br />

vermochte. Auf ihrer rund 6000-Kilometer-Tour<br />

mit Umwegen von<br />

Lippe über Berlin, Warschau, Kiew<br />

bis nach Poltawa und später zurück<br />

kamen Müller/Merwitz bis auf 140<br />

Kilometer an Charkiw heran. Zum<br />

Zeitpunkt ihres Aufenthaltes in der<br />

Ukraine (14. bis 18. Oktober) tobte<br />

in der Region Charkiw gerade eine<br />

militärische Schlacht. Kilometerweit<br />

waren Artilleriefeuer, Einschläge von<br />

Raketen und Drohnen sowie Sirenen<br />

zu hören – übrigens auf der Hinfahrt<br />

auch in Kiew. Dort gab es zwei Raketentreffer<br />

mit 70 getöteten Zivilisten.<br />

Deshalb musste das Helferteam die<br />

Millionenstadt auf einem westlichen<br />

Kurs umfahren, um nicht in Gefahr<br />

zu geraten. „Dabei durchfuhren wir<br />

Open Range – weites Land bis zum<br />

Horizont, eine traumhaft schöne<br />

Naturlandschaft“, erklärte Merwitz.<br />

Ansehnlicher<br />

Hilfstransport<br />

Mit Hilfe von Geld- und Sachspenden<br />

ist es gelungen, den Transporter<br />

von „Ingenhaag“ bis unters Dach<br />

mit Hilfsgütern voll zu bekommen.<br />

Der Wert lag bei etwa 80.000<br />

Euro. Da Mietfahrzeuge nicht in<br />

Kriegsgebiete fahren dürfen, hatte<br />

Christian Merwitz „für das Auto<br />

unterschrieben“, sprich die Haftung<br />

übernommen. Außerdem trug er die<br />

Hälfte der Logis- und Benzinkosten<br />

für die gesamte Reise. Die andere<br />

Hälfte steuerten Peter Müller und<br />

Familie Oetker bei. Um die zivile<br />

Hilfsaktion des Transportes sichtbar<br />

zu machen, klebte Merwitz ein Logo<br />

mit der Aufschrift „Humanitarian<br />

Aid (Humanitäre Hilfe) Detmold-<br />

Poltawa“ an die Seitenwand des<br />

Transporters. Das sichtbare Zeichen<br />

hielt polnische Zöllner nicht davon<br />

ab, zunächst einen Zugangsstopp<br />

auszusprechen. Mit viel Raffinesse<br />

gelang es Merwitz/Müller und Vera<br />

Voronjuk, die Genehmigung zur Weiterfahrt<br />

zu erhalten. Bürokratische<br />

Hürden mussten von den Helfern<br />

aber auch schon bei der Vorbereitung<br />

des Transportes überwunden werden.<br />

Ukrainehelfer on tour: Christian Merwitz und Peter Müller (v.l.).<br />

Große Dankbarkeit der<br />

Menschen<br />

Umarmung, Herzlichkeit und anrührende<br />

ehrliche Dankbarkeit für<br />

die Hilfe wurden Christian Merwitz<br />

und Peter Müller in Poltawa entgegengebracht.<br />

„Die Ukrainehilfe war<br />

für mich ein Freundschaftsdienst“,<br />

betont Merwitz. Er appelliert an<br />

alle Mitmenschen: „Bitte geht nicht<br />

gleichgültig, oberflächlich und egoistisch<br />

durch die Welt. Verschwendet<br />

euer Leben nicht mit unnötigem<br />

Stress. Schaut auf das Leid und<br />

helft dort, wo ihr könnt. Jeder kann<br />

das!“ Bei diesen Worten erinnert er<br />

sich an die großen Portraitfotos von<br />

gefallenen Söhnen der Ukraine, die<br />

an Kirchen aufgestellt waren. Ein<br />

trauernder Junge zeigte das Foto<br />

seines getöteten Vaters – Bilder, die<br />

kein warmherziger Mensch vergessen<br />

wird.<br />

Voll bepackt geht‘s auf Strecke.<br />

Ukraine News: Der Krieg und seine Folgen<br />

Am 24. Februar dieses Jahres begann Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine.<br />

Genaue Opferzahlen sind unbekannt, sie gehen auf beiden Seiten aber in die<br />

Zehntausende. Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer sind seither auf der Flucht.<br />

Was bleibt ihnen auch anderes, als die nackte Haut zu retten? Sie fliehen in sichere<br />

Regionen ihres Heimatlandes. Oder sie flüchten in Nachbarstaaten, hier sind es zumeist<br />

Mütter und ihre Kinder. Die humanitäre Lage in der Ukraine ist unübersichtlich.<br />

Viele Menschen leben in Notunterkünften. Strom-, Wasser- und Gasversorgung sind<br />

durch Luftangriffe beeinträchtigt. Stark beschädigte Straßen, Brücken, Bahngleise u.a.<br />

erschweren Hilfstransporte. Die Angst vor dem Winter wächst wegen der zerstörten<br />

Energie-Infrastruktur. Als dramatisch wird die eingeschränkte medizinische Versorgung<br />

von Kranken, Verletzten, Alten und Kindern beurteilt. Wegen unzureichender<br />

hygienischer Bedingungen wächst die Gefahr von Infektionen. In manchen Gebieten<br />

ist die Nahrungsmittelversorgung unterbrochen oder erschwert. Es fehlt an medizinischem<br />

Gerät, Medikamenten, haltbaren Lebensmitteln, warmer Kleidung und Decken,<br />

Hygieneartikeln und vieles andere an Lebensnotwendigem.<br />

Portraits von gefallenen Söhnen der Ukraine an der Kirche in Poltawa, darunter ein Junge, der um seinen Vater trauert.<br />

Mit großer Freude und Dankbarkeit nehmen Mitarbeitende des Krankenhauses Poltawa die medizinischen<br />

Geräte und Medikamente entgegen.<br />

Bis unters Dach vollgepackt: Hilfsgüter für Poltawa (Ukraine) – sicher gestapelt von Peter Müller und<br />

Vera Voronjuk aus Horn-Bad Meinberg-Fissenknick. Firmen und Unternehmen förderten die Hilfe und<br />

bewiesen große Sozialkompetenz.

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