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prima! Magazin Ausgabe Jänner 2023

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KOMMENTAR<br />

Glauben & Hoffen<br />

KOMMENTAR<br />

EIN KOMMENTAR VON FERI TSCHANK.<br />

Das Jahr 2022 ist vorüber, aber seien wir<br />

uns ehrlich, es war ohnehin zum Schmeißen.<br />

Es geschah am 24. Februar. Als<br />

Russland die Ukraine überfiel, erwachten<br />

uralte Ängste vor der Atombombe und<br />

einer kaum mehr bekannten Brutalität<br />

auf dem Schlachtfeld. Das Monster Krieg<br />

war nach Europa zurückgekehrt.<br />

Fast ein Jahr danach fragt sich wohl<br />

jeder: Und wozu das Ganze? Darauf kann<br />

man nur mit Adorno antworten: „Wer<br />

Krieg führt, führt Krieg gegen sich<br />

selbst!“ Nur leiden tun wohl alle drunter.<br />

Bis auf die Kriegsgewinner, die für die<br />

Millionen, die sie auf Grund dieses<br />

Krieges verdient haben, in der Hölle<br />

schmoren sollen.<br />

In dem Jahr hab ich irgendwie den<br />

Glauben daran verloren, dass wir jemals<br />

wieder Politiker an der Spitze unseres<br />

Landes haben werden, denen das Wohl<br />

der Allgemeinheit über das ihrer selbst,<br />

ihrer Partei oder ihres Klientels geht. Ich<br />

glaube auch nicht mehr an einen weltweiten<br />

Frieden und daran, dass Europa<br />

verschont bleibt. Ich glaub nicht an die<br />

Vernunft der Menschheit, die dunklen<br />

Propheten und Verschwörungstheoretiker<br />

mehr glaubt als Wissenschaftern,<br />

deren Erkenntnisse auf Forschungen<br />

beruhen und nicht aus bösen Träumen<br />

nach einem zu schweren Abendessen<br />

und schlechten Drogen entstehen. Ich<br />

bezweifle die Merkfähigkeit vieler<br />

Mitbürger und deren politische Bildung,<br />

denn wie sonst können Rattenfänger,<br />

deren Partei noch nie was in trockene<br />

Tücher gebracht hat, plötzlich besorgniserregende<br />

Umfragewerte haben? Ich<br />

glaube auch nicht an ein Überleben der<br />

Menschheit, denn allen Warnungen zum<br />

Trotz passiert weltweit nichts bis viel zu<br />

wenig für Klimaschutz und gegen<br />

Artensterben. 112.000 Tierarten sind<br />

weltweit gefährdet, 32.000 stehen<br />

unmittelbar vor ihrem Aussterben. Drei<br />

Viertel aller globalen Naturräume sind<br />

aus dem Gleichgewicht. Oder bereits<br />

vernichtet.<br />

Ich glaub auch nicht an eine humane<br />

Wirtschaftspolitik und verliere den<br />

Glauben daran, dass Politiker imstande<br />

sind, Krisen zu bewältigen. Nicht, weil sie<br />

es nicht versuchen würden, sondern weil<br />

sie die globalen Zusammenhänge nicht<br />

mehr verstehen und die Macht, die das<br />

Treiben der Weltwirtschaft bestimmt,<br />

längst nicht mehr in deren Händen liegt.<br />

Dass so gut wie alles teurer geworden ist,<br />

hat nicht zuletzt mit unserem Hang zum<br />

Hamstern zu tun. Denn selbst Freunde,<br />

die in ihrem ganzen Leben noch kein<br />

Scheit Holz in ihrem Haus verheizt haben,<br />

bestellen sich so nach dem Motto „sicher<br />

ist sicher“ gleich einmal sieben Meter. Die<br />

Nachfrage bestimmt den Preis. Über<br />

Strom und Gas will ich gar nicht erst<br />

reden. Die Gier ist halt ein Hund und<br />

vielleicht hat ja jemand während der<br />

Weihnachtszeit wieder einmal eine<br />

Version der Weihnachtsgeschichte von<br />

Charles Dickens gesehen. Es gibt auf<br />

dieser Welt leider viel zu viele Scrootches.<br />

Ich glaub, das Einzige, was im letzten Jahr<br />

nicht teurer geworden ist, sind die<br />

Einkaufswagerl.<br />

Aber mit dem Geld ist das so eine Sache.<br />

Man kann es auf viele Arten vermehren<br />

und man gibt sich der Illusion hin, damit<br />

für Sicherheit zu sorgen. Ehrlich gesagt,<br />

ich kenne oder kannte ein paar Leute mit<br />

Geld, viel Geld, und die hatten weit mehr<br />

Angst als ich mit keinem. Die Zeit, meine<br />

lieben Mitmenschen, ist eine viel härtere<br />

Währung als Geld. Wenn die Zeit weg ist,<br />

hilft kein Geld und wenn man sein Leben<br />

lang dem Geld nachgelaufen ist, bleibt<br />

einem am Ende des Tages nur noch Zeit,<br />

es zu zählen. Alleine oder mit ein paar<br />

schmeichlerischen Erben. Sammeln wir<br />

doch lieber schöne Augenblicke, Gespräche<br />

und Treffen mit Freunden, Spaß mit<br />

unseren Kindern und Hilfe für jene, die<br />

weniger als wir haben. Das sind Dinge,<br />

die man am Ende seiner Tage auf dem<br />

Konto haben sollte.<br />

Ich wünsche mir für heuer eine Aufhebung<br />

des Amtsgeheimnisses, denn ich<br />

denk mir immer, wer nichts angestellt hat,<br />

der hat auch nichts zu verbergen. Also<br />

zeigt euer reines Gewissen!<br />

Ein Schulsystem, das nicht von Gewerkschaftern<br />

bestimmt ist, sondern von<br />

Psychologen und Pädagogen. Weniger<br />

Gratiszeitungen, mit einer Ausnahme.<br />

Einen Durchbruch bei Erneuerbarer<br />

Energie und leistbare Systeme für den<br />

„Kleinen Mann“ (Frau). Mehr Gasthäuser<br />

und Vereine, Spiel- und Sportplätze.<br />

Mehr Fußgänger und Radfahrer. Betonier-<br />

und Versiegelungsverbote. Medikamente<br />

„Made in Austria“.<br />

Einen Intelligenztest für alle Abgeordneten<br />

und ein verpflichtendes Ethikseminar,<br />

bevor sie ihre Stimme im Parlament<br />

erheben. Mehr Respekt für diejenigen, die<br />

dafür sorgen, dass wir lebenswert altern<br />

und auch für jene, die den Dreck wegräumen,<br />

den wir alle verursachen. Mehr<br />

Respekt voreinander und weniger Neid<br />

aufeinander. Und ehrlich gesagt, wünsch<br />

ich mir auch ein Ende des Neoliberalismus<br />

und der Globalisierung.<br />

Uns wünsche ich die Einsicht, dass man<br />

auch ohne Auto ein vollwertiger Mensch<br />

sein kann, eine Bewegungsinitiative, eine<br />

Aufwertung des Handwerks und keine<br />

Betonwüsten mehr. Naturparks statt<br />

Businessparks werden auf lange Sicht die<br />

bessere Entscheidung sein.<br />

Ich hoffe, unsere sozialen Errungenschaften<br />

bleiben uns erhalten und ich<br />

wünsche uns allen keine bösen Überraschungen<br />

mit der Jahresstrom- und<br />

Gasabrechnung.<br />

Wir werden auch das alles meistern. In<br />

diesem Sinne: Alles Gute, bleiben Sie<br />

gesund und hoffnungsvoll.<br />

Ihr Feri Tschank<br />

JÄNNER <strong>2023</strong><br />

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