Seltene Erkrankungen
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EINE UNABHÄNGIGE KAMPAGNE VON MEDIAPLANET<br />
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />
<strong>Seltene</strong> <strong>Erkrankungen</strong><br />
Die Waisen der Medizin<br />
NICHT VERPASSEN:<br />
Alagille-Syndrom<br />
Wenn das eigene Kind eine<br />
seltene Lebererkrankung hat<br />
Seite 04<br />
Morbus Fabry<br />
Eine Erbschaft mit Folgen<br />
Seite 12<br />
Das Bardet-Biedl-Syndrom<br />
Im Fokus der Forschung steht,<br />
die enorme Last Betroffener<br />
zu mindern<br />
Seite 14<br />
"Ich versuche, meine Erkrankung<br />
ganzheitlich zu sehen und sie in<br />
mein Leben zu integrieren –<br />
ohne mich dabei von ihr<br />
einschüchtern zu lassen."<br />
Stefanie Peheim über ihr Leben<br />
mit Primärer Myelofibrose.
2<br />
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />
VERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT<br />
IN DIESER AUSGABE FEBRUAR 2023<br />
Miriam Hähnel<br />
Das Thema <strong>Seltene</strong><br />
<strong>Erkrankungen</strong><br />
gehört in die<br />
Öffentlichkeit:<br />
auch über den<br />
Rare Disease Day<br />
hinaus. Denn hinter<br />
jeder und jedem<br />
Betroffenen steht<br />
ein persönliches<br />
Schicksal.<br />
IN DIESER AUSGABE<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK_1919214356<br />
facebook.com/MediaplanetStories<br />
@Mediaplanet_germany<br />
Please recycle<br />
06<br />
Wissen bündeln, Situation für<br />
Betroffene verbessern<br />
Kai Pilgermann ist betroffen von GIST<br />
und engagiert sich als Patientenvertreter<br />
der Deutschen Sarkom-Stiftung.<br />
17<br />
Leben ohne Sicht heißt nicht:<br />
aussichtslos!<br />
Linda Meschke hat Retinitis Pigmentosa,<br />
eine seltene Netzhauterkrankung, und<br />
engagiert sich in der Patientenselbsthilfe<br />
der PRO RETINA e. V.<br />
Director Business Development Health: Miriam Hähnel,<br />
Geschäftsführung: Richard Båge (CEO), Philipp Colaço<br />
(Managing Director), Alexandra Lassas (Content and<br />
Production Manager), Henriette Schröder (Sales<br />
Director), Lea Hartmann (Grafik), Cover: Stefanie<br />
Peheim von Melanie Peterseil<br />
Mediaplanet-Kontakt: de.redaktion@mediaplanet.com<br />
Alle Artikel, die mit "in Zusammenarbeit mit"<br />
gekennzeichnet sind, sind keine neutrale Redaktion der<br />
Mediaplanet Verlag Deutschland GmbH.<br />
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die<br />
gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich,<br />
weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche<br />
Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle<br />
Geschlechter.<br />
Eva Luise Köhler<br />
Schirmherrin<br />
der Allianz Chronischer<br />
<strong>Seltene</strong>r<br />
<strong>Erkrankungen</strong> e. V.<br />
Weitere Informationen<br />
finden Sie unter:<br />
www.achse-online.de<br />
Text<br />
Eva Luise Köhler<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
etwa 8000 <strong>Seltene</strong> <strong>Erkrankungen</strong><br />
wurden bisher entdeckt, stetig<br />
kommen neue hinzu. 4 Millionen Menschen<br />
in Deutschland sind betroffen,<br />
darunter besonders viele Kinder. Zum<br />
Tag der <strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong>, der am<br />
letzten Tag im Februar begangen wird<br />
und mittlerweile fest in vielen Kalendern<br />
verankert ist, ist die Aufmerksamkeit für<br />
dieses Thema besonders groß. Redaktionen<br />
erkundigen sich nach den Entwicklungen.<br />
Gerne berichte ich über die Erfolge, auf<br />
die wir mittlerweile blicken können: Da<br />
sind die 35 Zentren für <strong>Seltene</strong> <strong>Erkrankungen</strong><br />
bundesweit, die zudem europäisch<br />
vernetzt und qualitätsgeprüft<br />
ihre wertvolle Arbeit bei der Diagnosefindung<br />
und Behandlung leisten. Das<br />
Nationale Aktionsbündnis für Menschen<br />
mit <strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong> NAMSE<br />
ist nach zehn Jahren immer noch die<br />
Vernetzungsplattform aller relevanten<br />
Akteure, stellt sicher, dass die Maßnahmen<br />
aus dem Nationalen Aktionsplan<br />
weiter vorangetrieben und neue eruiert<br />
werden. Zahlreiche Innovationsfondprojekte<br />
ermöglichen die Erprobung von<br />
Versorgungskonzepten, die dann in die<br />
Regelversorgung übergehen sollen, wie<br />
mit TRANSLATE-NAMSE schon geschehen.<br />
Und: Die <strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong><br />
sind ein Thema – in Politik, Öffentlichkeit,<br />
Gesundheitswesen etc. Dies ist auf<br />
nationaler Ebene vor allem den mittlerweile<br />
130 Selbsthilfeorganisationen zu<br />
verdanken, die sich unter dem Dach der<br />
Allianz Chronischer <strong>Seltene</strong>r <strong>Erkrankungen</strong><br />
(ACHSE) e. V. zusammengeschlossen<br />
haben und die gemeinsam mit ihrem<br />
Netzwerk die wichtigen Anliegen aller<br />
betroffenen Menschen und deren Angehöriger<br />
vorantreiben.<br />
Diese Anliegen wollen wir am Tag der<br />
<strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong> ganz besonders<br />
in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit<br />
rücken. Denn den meisten Betroffenen<br />
läuft die Zeit davon. Es sind die Eltern, die<br />
um ihr kleines Kind bangen, dessen Krankheit<br />
keiner kennt, weil sie nicht erforscht<br />
ist. Betroffene, die immer noch jahrelang<br />
vergeblich auf der Suche nach der<br />
richtigen Diagnose durch unser Gesundheitssystem<br />
irren, um zu erfahren, dass<br />
es weder Medikation, noch eine Therapie<br />
oder gar Heilung gibt. Angehörige, die<br />
mit der Pflege allein gelassen sind, die um<br />
Heil- und Hilfsmittel kämpfen, mit Kassen,<br />
die ihre Erkrankung nicht kennen<br />
und Anträge immer wieder ablehnen. Sie<br />
alle haben keine Zeit zu verlieren.<br />
Schenken Sie den<br />
<strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong><br />
Ihre Aufmerksamkeit und<br />
den Menschen echtes<br />
Interesse. Drücken Sie<br />
Ihre Solidarität mit den<br />
Betroffenen aus und<br />
signalisieren Sie ihnen<br />
Ihre Unterstützung.<br />
Für die nahe Zukunft wünsche ich mir,<br />
dass wir die Kräfte in der Politik, im<br />
Gesundheitswesen, in Wissenschaft und<br />
Forschung noch viel stärker bündeln.<br />
Dass Strukturen geschaffen oder vorhandene<br />
so vernetzt, genutzt und gefördert<br />
werden, dass die vielen betroffenen<br />
Menschen mit <strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong><br />
eine adäquate Versorgung erhalten und<br />
eine Chance auf Heilung. Dafür setze ich<br />
mich ein, als Schirmherrin der ACHSE<br />
und mit der Eva Luise und Horst Köhler<br />
Stiftung. Was können Sie tun? Schenken<br />
Sie den <strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong> Ihre Aufmerksamkeit<br />
und den Menschen echtes<br />
Interesse. Drücken Sie Ihre Solidarität<br />
mit den Betroffenen aus, signalisieren Sie<br />
ihnen Ihre Unterstützung, informieren<br />
und verbreiten Sie das Wissen, dass es<br />
<strong>Seltene</strong> <strong>Erkrankungen</strong> gibt – zum Tag<br />
der <strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong> und darüber<br />
hinaus.<br />
Mehr zum Thema erfahren Sie in dieser<br />
Sonderbeilage, ich wünsche Ihnen eine<br />
erhellende Lektüre.<br />
Ihre Eva Luise Köhler<br />
(Schirmherrin ACHSE e. V.)<br />
Wir danken folgenden Partnern für die Zusammenarbeit.<br />
Albireo Pharma, Inc.<br />
www.albireopharma.com<br />
Amicus Therapeutics GmbH<br />
www.amicusrx.de<br />
BioCryst Pharma Deutschland GmbH<br />
www.biocryst.de<br />
Deciphera Pharmaceuticals Germany GmbH<br />
www.deciphera.com<br />
Dr. Falk Pharma GmbH<br />
www.drfalkpharma.de<br />
GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG<br />
de.gsk.com<br />
Hormosan Pharma GmbH<br />
www.hormosan.com<br />
Janssen-Cilag GmbH<br />
www.janssen.com/germany<br />
Novartis Pharma GmbH<br />
www.novartis.de<br />
Rhythm Pharmaceuticals, Inc.<br />
www.rhythmtx.com<br />
Vertex Pharmaceuticals (Germany) GmbH<br />
www.vrtx.de
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 3<br />
EoE – daran müssen Sie nicht<br />
schwer zu schlucken haben!<br />
Die Zahl derer, denen die seltene Speiseröhrenerkrankung eosinophile Ösophagitis (EoE) Schluckbeschwerden<br />
macht, steigt nachweislich und vor allem in Industrieländern. Als Ursache werden Allergene in der Nahrung und<br />
der Luft vermutet. Im Interview berichtet Prof. Dr. Ahmed Madisch, Facharzt für Gastroenterologie und<br />
EoE-Spezialist, wie sich die belastende Krankheit gut in Schach halten lässt.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK_133428116<br />
Text<br />
Doreen Brumme<br />
Prof. Dr.<br />
Ahmed Madisch<br />
Centrum Gastroenterologie<br />
Bethanien,<br />
Agaplesion<br />
Krankenhaus<br />
Bethanien<br />
Prof. Dr. Madisch, was passiert bei der<br />
EoE im Körper Betroffener?<br />
Bei EoE-Betroffenen ist die Barrierewirkung<br />
der Schleimhaut der Speiseröhre<br />
gestört. Das macht die Schleimhaut<br />
durchlässig für Allergene, mit denen sie<br />
über Speisen, Getränke und die Luft in Kontakt<br />
kommt. Die Allergene dringen in die Schleimhaut<br />
ein und verursachen lokale Entzündungen,<br />
die mit der Zeit die Gewebestruktur verändern<br />
können, sodass die natürliche Schluckbewegung<br />
beeinträchtigt und auch schmerzhaft ist – insbesondere,<br />
wenn man Gröberes wie Fleisch oder<br />
Trockenes wie Brot isst. Schlimmstenfalls bleiben<br />
Speisebrocken in der Speiseröhre stecken und<br />
müssen in einer Notfallendoskopie entfernt werden.<br />
Wie wird die EoE diagnostiziert und was<br />
erschwert die Diagnose mitunter?<br />
Ein Verdacht auf EoE lässt sich beim Gastroenterologen<br />
mit Gewebeproben der Speiseröhre<br />
schnell und sicher bestätigen. Allerdings kommt<br />
dieser Verdacht nicht sofort auf. Denn Betroffene<br />
passen ihre Ernährungsweise oft lange an, indem<br />
sie auf bestimmtes Essen ganz verzichten, stets<br />
sehr gut kauen und mit viel Flüssigkeit „spülen“.<br />
Und selbst wenn sie mit ihren Beschwerden<br />
zum Arzt gehen, beschreiben sie diese mitunter<br />
ungenau, sodass selbst der Arzt, dem die seltene<br />
Erkrankung EoE ein Begriff ist, nicht sofort an<br />
diese denkt. Verwechslungen mit der Refluxkrankheit<br />
sind nicht selten.<br />
Gibt es den „typischen EoE-Patienten“?<br />
Ja. Am häufigsten bekommen Männer zwischen<br />
30 und 40 Jahren die Diagnose EoE, Frauen sind<br />
eher seltener betroffen. Typisch sind begleitende<br />
Allergien und <strong>Erkrankungen</strong> wie Neurodermitis,<br />
Heuschnupfen und Asthma.<br />
Einmal im<br />
Jahr sollte ein<br />
Gastroenterologe<br />
den Verlauf<br />
checken.<br />
Welche Therapien gibt es für Betroffene und<br />
wie bewerten Sie diese?<br />
Wir behandeln die EoE mit einem lokal wirkenden<br />
Kortison in Tablettenform. Schmelztabletten<br />
mit Brauseeigenschaften werden morgens und<br />
abends in den Mund gelegt, wo sie sich auflösen.<br />
Bei über 90 Prozent der damit Behandelten normalisiert<br />
sich das Entzündungsgeschehen, sodass<br />
sie beschwerdefrei leben können.<br />
Wer auf das Kortison nicht anspricht oder es nicht<br />
verträgt, kann die EoE auch mit einer Eliminationsdiät<br />
gut behandeln. Diese ist aber mit teilweise<br />
erheblichen Einschränkungen im täglichen<br />
Leben verbunden und nur mit sehr viel Disziplin<br />
durchzuhalten. In Kürze kommt zudem eine Antikörpertherapie<br />
auf den Markt, die als Reservetherapie<br />
angewendet werden kann. Die Antikörper<br />
werden einmal pro Woche per Spritze über<br />
die Bauchdecke verabreicht.<br />
Worauf kommt es an, wenn man die EoE<br />
erfolgreich in Schach halten möchte?<br />
Die EoE ist eine sich langsam einschleichende<br />
chronische Erkrankung. Deshalb bleibt nur beschwerdefrei,<br />
wer nach der ersten Akuttherapie<br />
dauerhaft gegenhält. Einmal im Jahr sollte ein<br />
Gastroenterologe den Verlauf checken.<br />
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Jasmin* - Selbstbewusst<br />
auf einer Therapie bestehen!<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK_1390020572<br />
„Es war mir schon länger klar, dass irgendetwas nicht stimmt. Aber es hat lange gedauert,<br />
mir einzugestehen, dass meine Schluckbeschwerden zunehmen und ich zum Arzt muss“,<br />
erzählt Jasmin. Die inzwischen 39-jährige Krankenschwester litt vier Jahre an chronischen<br />
Schluckstörungen, bevor sie einen Arzt aufsuchte.<br />
„Angefangen hat alles in einem chinesischen Restaurant“, berichtet Jasmin. „Ich habe ein<br />
Reisgericht gegessen und urplötzlich ist ein Bissen nicht mehr weitergerutscht und regelrecht<br />
im Hals stecken geblieben“. Es dauerte eine Weile, bis der schmerzhafte Vorfall vorüber<br />
war und der Reis die Speiseröhre passierte. Ein Abend, auf den sie sich gefreut hatte,<br />
wurde zum Alptraum.<br />
Krampfartige Schmerzen und Angst zu ersticken<br />
Die Schluckbeschwerden blieben und wurden häufiger. Die junge Frau versuchte alles, um<br />
das Problem zu kompensieren: Langsames Essen, sorgfältiges Kauen, bestimmte Lebensmittel<br />
wie Reis nur noch mit viel Soße und reichlichem Trinken zu den Mahlzeiten. Wenn sie<br />
gemeinsam mit Freunden oder Bekannten aß, wurde sie oft gefragt, warum sie so oft das<br />
Gesicht verziehe. „Das waren Momente, in denen die Schluckbeschwerden stark waren und<br />
ich krampfartige Schmerzen hatte“, erklärt Jasmin.<br />
Doch ihre Strategien während des Essens halfen nicht. Immer häufiger blieb die Nahrung<br />
im Hals stecken und Jasmin bekam panische Angst, weil sie keine Luft mehr bekam. Vor<br />
allem Reis, Nudeln, Brot und andere Backwaren konnte Jasmin kaum mehr zu sich nehmen.<br />
Eine Untersuchung schafft Klarheit<br />
Jasmin begann im Internet nach Antworten zu suchen. Das schürte ihre Ängste und führte<br />
schließlich dazu, dass Jasmin einen Arzt aufsuchte. Eine Magenspiegelung wurde vorgenommen,<br />
in der die Speiseröhre bis auf einige weißliche Ablagerungen zunächst weitgehend<br />
unauffällig aussah. In der Untersuchung der entnommenen Gewebeproben zeigte<br />
sich jedoch eine ausgeprägte Entzündung und es wurde die Diagnose einer „eosinophilen<br />
Ösophagitis“, kurz EoE, gestellt. Der Arzt verordnete Jasmin ein Medikament, das sie zwölf<br />
Wochen lang einnehmen sollte. Die Schluckbeschwerden bildeten sich rasch zurück und<br />
schon bald konnte die Mutter von zwei kleinen Kindern wieder ganz normal essen.<br />
Die Beschwerden kommen zurück<br />
Nach dem Absetzen des Medikaments war jedoch schnell alles wieder beim Alten. „Mein<br />
Arzt wollte mir das Medikament allerdings nicht weiter verordnen, weil in der Kontrolluntersuchung<br />
zuvor die Magenspiegelung keinen krankhaften Befund mehr gezeigt hatte. Er<br />
motivierte mich vielmehr, eine Auslassdiät zu machen“, so Jasmin. Das aber war ihr durch<br />
ihren unregelmäßigen Tagesrhythmus und die Doppelbelastung als Mutter und Krankenschwester<br />
nicht möglich. Wenn die Schluckbeschwerden besonders stark waren, suchte<br />
sie das WC auf, um den steckengebliebenen Nahrungsbissen zu erbrechen.<br />
Unterstützung durch andere Betroffene<br />
Unterstützung fand sie in einer WhatsApp-Gruppe zur EoE und in anderen sozialen Medien.<br />
In den Gruppen wurden Online-Informationsabende mit EoE-Expert*innen organisiert. „Das<br />
war sehr hilfreich“, sagt Jasmin. In den Gruppen wurde sie von anderen Betroffenen ermuntert,<br />
sich mit den Schluckstörungen nicht abzufinden. Daher erkundigte sich Jasmin<br />
bei ihrem Arbeitgeber nach einem niedergelassenen Gastroenterologen, um eine Zweitmeinung<br />
einzuholen.<br />
Der Gastroenterologe bestätigte die Diagnose EoE und verordnete ihr das Medikament,<br />
das ihr so gut geholfen hatte, zur langfristigen Erhaltungstherapie. Jasmin: „Wenige Tage<br />
später war der Spuk wieder vorbei. Ich nehme das Medikament seither regelmäßig und<br />
kann wieder ganz normal essen. Das ist für mich und auch für meine Familie ein wichtiges<br />
Plus an Lebensqualität!“, berichtet Jasmin abschließend. Anderen Betroffenen rät die<br />
junge Frau, keinesfalls aufzugeben, die Beschwerden ernst zu nehmen, da sie langfristig<br />
zu massiven Veränderungen an der Speiseröhre führen können, sich umfassend über das<br />
Krankheitsbild zu informieren und im Gespräch mit Ärztinnen und Ärzten selbstbewusst<br />
auf eine effektive Therapie zu bestehen.<br />
Informieren Sie sich weiter unter<br />
www.schluckbeschwerden.de
4<br />
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />
Eine Laune der Natur,<br />
die alles verändert<br />
Emily (19) leidet am Alagille-Syndrom. Im Interview erzählt<br />
uns ihre Mutter, Deyna Dost (44), Emilys Geschichte, die selbst für<br />
eine seltene Erkrankung außergewöhnlich selten ist.<br />
Text Doreen Brumme<br />
studiolh<br />
Deyna, Ihre Tochter leidet am seltenen Alagille-<br />
Syndrom. Wann fiel Ihnen das erste Mal auf,<br />
dass mit Emily etwas nicht stimmt?<br />
Als ich im siebten Monat mit Emily schwanger war, bekam<br />
ich plötzlich vorzeitige Wehen. Und in mir machte<br />
sich das Gefühl breit, dass irgendetwas nicht in Ordnung<br />
ist. Als Emily in der 37. Schwangerschaftswoche per<br />
Kaiserschnitt geholt wurde, wirkte sie ganz normal. Weil<br />
sie zu schwach war zum Stillen und auch durch Flaschennahrung<br />
nicht genug zunahm, wurde sie durch<br />
eine Sonde ernährt. Die Ärztinnen und Ärzte entdeckten<br />
zudem ein unklares Herzgeräusch, beruhigten mich<br />
jedoch damit, dass das bei Neugeborenen nicht ungewöhnlich<br />
sei. Als Emily eine Gelbsucht entwickelte, hieß<br />
es wieder: alles normal. Die Neugeborenengelbsucht<br />
verging, kam allerdings nach zwei Wochen wieder. Das<br />
beunruhigte mich. Unser Kinderarzt schickte uns für<br />
einen Lebercheck zu Spezialisten, da auch der Stuhl des<br />
Babys auffallend hell war.<br />
Wie kam es zur Diagnose?<br />
Wir hatten Riesenglück: In der Uniklinik trafen wir auf<br />
eine Ärztin, die zum Alagille-Syndrom forschte. Nachdem<br />
sie Emilys Untersuchungsergebnisse gelesen und<br />
sich mein Baby angeschaut hatte, äußerte sie ihren Verdacht.<br />
Emily hatte viele der für die seltene Erkrankung<br />
typischen Symptome: eine hohe Stirn, weit auseinanderstehende<br />
Augen, einen Herzfehler. Der Gentest bestätigte<br />
den Verdacht. Wobei Emily ihr Alagille-Syndrom nicht<br />
geerbt, sondern spontan entwickelt hatte – eine Laune<br />
der Natur, die alles veränderte.<br />
Was macht Emilys Geschichte außergewöhnlich?<br />
Emilys Leberwerte waren nicht die besten, lagen aber im<br />
Normbereich. Man schickte uns mit dem Rat nach Hause,<br />
Emily nicht zu fett zu ernähren. Ansonsten gab es keine<br />
Einschränkungen. Sie wirkte gesund, war nur etwas blass.<br />
Mit sechs Monaten fing mein kleines Mädchen plötzlich<br />
an, sich am ganzen Körper zu kratzen. Zu sehen war<br />
nichts, doch der Juckreiz muss unerträglich gewesen sein.<br />
Sie kratzte sich rund um die Uhr. An Schlaf war nicht zu<br />
denken. Unsere Ärztinnen und Ärtze hier konnten nichts<br />
für Emily tun. Schließlich landeten wir in der Uniklinik<br />
in Hamburg und standen schnell vor der Entscheidung<br />
zwischen Leben und Tod: Emily brauchte eine neue<br />
Leber. Die Transplantation fand statt, als sie 22 Monate<br />
alt war. Sie hatte gerade laufen gelernt. Leider verlief<br />
die OP schlecht, sodass Emily im Februar 2005 innerhalb<br />
einer Woche eine neue Leber transplantiert werden<br />
musste. Doch auch diese führte zu vielen Komplikationen.<br />
Ich verbrachte Monate mit Emily im Krankenhaus<br />
in Hamburg, habe mein Leben hintenangestellt, auch<br />
meine Ehe zerbrach. Im August 2005 erhielt Emily zum<br />
dritten Mal eine neue Leber. Die OP verlief zum Glück<br />
wie im Bilderbuch. Mit dieser Leber lebt Emily bis heute.<br />
Sie hat damit keinerlei Einschränkungen zu befürchten,<br />
kann ganz normal leben, beruflich alles machen, Sport<br />
treiben, alt werden.<br />
Wie wirkt sich die Erkrankung auf Emilys Alltag<br />
aus?<br />
Emily musste nach dem langen Krankenhausaufenthalt<br />
neu laufen lernen. Wegen der Medikamente, die sie seit<br />
der Transplantation ununterbrochen nimmt, damit ihr<br />
Körper die fremde Leber nicht abstößt, ist ihr Immunsystem<br />
geschwächt. Sie war bis zu ihrem sechsten Geburtstag<br />
immer wieder im Krankenhaus, weil sie jeden<br />
Infekt mitnahm. Darunter litt ihr soziales Leben. Mit<br />
zwölf Jahren verlor Emily plötzlich alle Haare am Körper<br />
und diese wuchsen drei Jahre lang nicht nach. Niemand<br />
konnte uns erklären, warum, geschweige denn etwas<br />
dagegen tun. Eine Katastrophe für eine Pubertierende.<br />
Emily konnte sich nicht mehr im Spiegel anschauen,<br />
mied Menschen irgendwann ganz und stürzte in ein<br />
Loch, in dem sie noch immer steckt. Sie wurde schwer<br />
depressiv. Die Depression beeinträchtigt sie so sehr, dass<br />
sie bis heute nicht in der Lage ist, ihr Leben auf eigene<br />
Füße zu stellen. Emily würde gerne im medizinischen<br />
Bereich arbeiten, um anderen Menschen in ähnlicher<br />
Situation, wie sie sie erlebt, zu helfen. Doch für depressive<br />
Menschen wie Emily, die große Probleme mit festen<br />
Strukturen im Alltag haben, gibt es leider kaum Chancen<br />
in unserem auf Leistung getrimmten System.<br />
Suchen Sie sich<br />
psychologische<br />
Unterstützung<br />
für Ihr krankes<br />
Kind und für sich<br />
selbst. Sie müssen<br />
das nicht alleine<br />
durchstehen, es<br />
gibt professionelle<br />
Hilfe!<br />
Was möchten Sie anderen Eltern mit auf den Weg<br />
geben, deren Kind die Diagnose Alagille-Syndrom<br />
erhalten hat?<br />
Oh, da habe ich gleich mehrere Punkte:<br />
• 1<br />
• 2<br />
• 3<br />
• 4<br />
• 5<br />
• 6<br />
Fragen Sie den Ärztinnen und Ärzten<br />
ein Loch in den Bauch und fordern Sie<br />
sie auf, Ihnen alles verständlich zu<br />
erklären, was Sie wissen wollen!<br />
Scheuen Sie sich nicht, eine zweite<br />
medizinische Meinung einzuholen!<br />
Wechseln Sie den Arzt, wenn Sie nicht<br />
ernst genommen werden oder dieser<br />
kein Spezialist für Ihren Fall ist.<br />
Gehen Sie in den Austausch mit<br />
anderen betroffenen Eltern und<br />
teilen Sie Ihr Schicksal. Gemeinsam<br />
erträgt es sich leichter.<br />
Suchen Sie sich psychologische<br />
Unterstützung für Ihr krankes Kind<br />
und für sich selbst. Sie müssen das<br />
nicht allein durchstehen, es gibt<br />
professionelle Hilfe!<br />
Fordern Sie die Vereinbarkeit von<br />
Pflege eines kranken Kindes und<br />
Beruf ein.
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 5<br />
Lebererkrankungen im Kindesalter<br />
Die Leber ist das größte innere Organ des menschlichen Körpers.<br />
Sie besteht aus mehr als 300 Milliarden Zellen, die zusammen jede<br />
Menge Aufgaben lösen müssen.<br />
Die Leber:<br />
• Prüft alle Nahrungsbestandteile und wandelt<br />
sie in brauchbare Substanzen um<br />
• Filtert Schadstoffe und Gifte<br />
• Stellt Proteine her, mit deren Hilfe Kinder<br />
wachsen<br />
• Produziert Vitamin K, das die Blutgerinnung<br />
ermöglicht<br />
• Speichert Zucker, Kupfer, Eisen und Vitamine<br />
und gibt diese Stoffe bei Bedarf ab<br />
• Kontrolliert den Flüssigkeits- und Hormonspiegel<br />
Im Gegensatz zu den anderen inneren Organen<br />
ist die Leber in der Lage, sich zu regenerieren. Sie<br />
übernimmt selbst mit einem kleinen Anteil an gesunden<br />
Zellen ihre Aufgaben über lange Zeit. Die<br />
Leber wächst sogar wieder nach, wenn ein Teil operativ<br />
entfernt wurde. Voraussetzung ist natürlich,<br />
dass die verbliebenen Leberzellen gesund sind. Bei<br />
so vielen Funktionen der Leber ist es nicht verwunderlich,<br />
dass es mehr als 100 verschiedene Lebererkrankungen<br />
bei Kindern gibt.<br />
Die großen Gruppen der Lebererkrankungen sind:<br />
• entzündliche Lebererkrankungen<br />
• Stoffwechselerkrankungen<br />
• angeborene Fehlanlagen der Gallenwege und<br />
andere Gallenwegserkrankungen<br />
Unbehandelt ist den meisten dieser <strong>Erkrankungen</strong><br />
langfristig die Entwicklung einer Leberzirrhose<br />
gemeinsam, eines narbigen Umbaus der Leber mit<br />
Verlust an funktionierenden Leberzellen.<br />
So unterschiedlich die Ursache einer Lebererkrankung<br />
sein kann, so unterschiedlich sind auch die<br />
möglichen Behandlungen. In jedem Fall ist die Betreuung<br />
durch spezialisierte Ärzte oder Kliniken<br />
erforderlich, denn durch die Vielfältigkeit der<br />
Lebererkrankungen und ihre insgesamt geringe<br />
Häufigkeit können nur hier die nötigen Erfahrungen<br />
gesammelt und die geeignete Therapie gefunden<br />
werden.<br />
Quelle: Verein Leberkrankes Kind e. V.<br />
DER VEREIN<br />
LEBERKRANKES KIND E. V.<br />
Seit 1987 gibt es den Verein Leberkrankes Kind e. V. Gegründet<br />
wurde er von Eltern leberkranker Kinder, die das Bedürfnis hatten,<br />
sich mit anderen betroffenen Familien auszutauschen – vor der<br />
Zeit von Internet und Social Media. Wenn ein Kind schwer erkrankt,<br />
steht die gesamte Familie vor großen Herausforderungen im Alltag.<br />
Hier unterstützt der Verein durch Einzelfallhilfen, Informationen,<br />
Beratung und sein großes Netzwerk.<br />
Einmal im Jahr veranstaltet der Verein einen Familientag an einem<br />
der Kinder-Leberzentren und gibt eine Mitgliederzeitschrift heraus.<br />
Zudem lädt er seine Mitglieder zu Regionalgruppen-Treffen ein und<br />
vernetzt so betroffene Familien in der Nähe ihres Wohnortes.<br />
Heute hat der Verein rund 300 Mitglieder. Der Mitgliedsbeitrag<br />
von 65 Euro pro Familie und Jahr kommt direkt den Kinderkliniken<br />
zugute, die auf Lebererkrankungen bei Kindern spezialisiert sind.<br />
Auch Fördermitgliedschaften für Privatpersonen und Unternehmen<br />
sind möglich (ab 40 Euro pro Jahr).<br />
Spendenkonto<br />
Commerzbank Rastatt<br />
IBAN: DE43 660 400 180 250 108 800<br />
BIC: COBADEFFXXX<br />
Weitere Informationen unter:<br />
www.leberkrankes-kind.de<br />
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit Albireo Pharma entstanden.<br />
Gallenstau: Mögliche Ursache<br />
kann eine seltene Erkrankung sein<br />
Wenn Neugeborene durch eine gelbe Hautfärbung<br />
auffallen, steckt manchmal eine seltene<br />
Erkrankung wie das Alagille-Syndrom dahinter.<br />
Eine frühzeitige Diagnose ist wichtig, um den<br />
Leidensdruck zu verringern. Gentests können<br />
hierbei Licht ins Dunkel bringen.<br />
Text Julia Brandt<br />
“Eine gesunde Hautfarbe haben“ – dieser geflügelte<br />
Begriff hat tatsächlich einen wahren Hintergrund.<br />
Denn oft gibt eine ungewöhnliche Färbung der Haut<br />
Hinweise auf eine mögliche Erkrankung.<br />
So ist es zum Beispiel bei Neugeborenen, die durch<br />
eine gelblich gefärbte Haut auffallen. Eine solche<br />
Neugeborenengelbsucht ist in der Regel harmlos.<br />
Dauert sie länger als zwei Wochen an, werden Ärzte<br />
jedoch hellhörig. Möglicherweise leiden die betroffenen<br />
Babys unter einem angeborenen Gallenstau.<br />
Hierbei fließt die Gallenflüssigkeit nicht richtig,<br />
sondern staut sich in der Leber oder in den Gallengängen.<br />
Dies kann die Leberzellen schädigen – und<br />
viele weitere Organe und Gewebe beeinträchtigen.<br />
Häufige Ursachen einer solchen Gallenstauung sind<br />
Infektionen oder Stoffwechselerkrankungen. Sie kann<br />
bei Neugeborenen aber auch als Folge des sogenannten<br />
Alagille-Syndroms (kurz: ALGS) auftreten.<br />
Die Ursache dieser Krankheit liegt in den Genen: Bei den<br />
Betroffenen ist eine bestimmte Erbinformation so verändert,<br />
dass die Gallengänge in der Leber nicht richtig<br />
gebildet werden.<br />
ALGS ist gekennzeichnet durch unterschiedlichste<br />
Symptome<br />
Das Alagille-Syndrom ist eine angeborene Erkrankung,<br />
die sehr selten auftritt. Schätzungen zufolge kommt in<br />
Deutschland nur etwa eines von 50.000 Neugeborenen<br />
damit zur Welt. Alagille-Patienten, bei denen die Leber<br />
betroffen ist, zeigen Symptome wie Gelbsucht, Wachstumsverzögerungen<br />
sowie Cholesterinablagerungen in<br />
der Haut. Viele leiden zudem unter starkem Juckreiz –<br />
was die Lebensqualität stark beeinträchtigt. Die betroffenen<br />
Kinder und Säuglinge sind durch den ständigen<br />
Juckreiz leicht reizbar, unruhig und schlafen kaum. Eine<br />
Belastung für Eltern und Kinder.<br />
Auch körperliche Merkmale deuten auf das Alagille-<br />
Syndrom hin: Viele Patienten fallen durch Kleinwuchs<br />
sowie charakteristische Gesichtszüge auf: eine große<br />
Stirn sowie weit auseinander- und tiefliegende Augen.<br />
Das typische Aussehen, ist für die Ärzte ein Hinweis,<br />
dass eine Lebererkrankung möglicherweise durch das<br />
Alagille-Syndrom verursacht wird. In den meisten Fällen<br />
verschafft ein Gentest Klarheit, ob diese Erbkrankheit<br />
vorliegt. Da es sich bei dem ALGS um eine seltene Erkrankung<br />
handelt, vergehen in manchen Fällen Monate<br />
oder Jahre, bis die korrekte Diagnose gestellt wird.<br />
Behandlungsoptionen des Alagille Syndroms<br />
Die Symptome des Alagille-Syndroms sind individuell<br />
verschieden ausgeprägt. Bei einigen Patienten schränken<br />
sie den Alltag kaum ein, andere verspüren hingegen<br />
einen starken Leidensdruck. So unterschiedlich wie der<br />
Verlauf der Erkrankung ist auch ihre Behandlung. Viele<br />
Patienten bekommen Medikamente, die Symptome wie<br />
Juckreiz lindern. Vitaminpräparate oder eine spezielle<br />
Ernährung können außerdem dazu beitragen, ALGS-<br />
Folgen abzumildern. Zusätzlich gibt es spezielle Medikamente,<br />
die den Gallefluss verbessern – das schützt<br />
die Leber vor schädigenden Stoffen.<br />
Ist die Leber stark angegriffen oder lassen sich Symptome<br />
wie Juckreiz nicht durch die Behandlung lindern,<br />
kommt möglicherweise eine Lebertransplantation in<br />
Betracht. Hierbei bekommen die kleinen Patienten entweder<br />
die Leber eines Fremden oder einen Teil der Leber<br />
eines Elternteils. Im Anschluss an die Operation müssen<br />
sie lebenslang Medikamente einnehmen, die ihr Immunsystem<br />
unterdrücken, sonst würde ihr Körper das fremde<br />
Organ abstoßen. Die Chancen und Risiken eines solchen<br />
Eingriffs werden daher immer im Einzelfall sorgfältig<br />
abgewogen.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK_2023469570<br />
FREIGABENUMMER: DE-BV-23-00002 | 1/26/2024
6<br />
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Wissen bündeln, Situation<br />
für Betroffene verbessern<br />
Kai Pilgermann, Patientenvertreter<br />
der Deutschen Sarkom-Stiftung,<br />
ist selbst von einem Gastrointestinalen<br />
Stromatumor (GIST) betroffen. Er war<br />
sehr jung, als er die Diagnose bekam.<br />
Im Interview berichtet Kai Pilgermann<br />
über seinen eigenen Weg mit der Erkrankung<br />
und die Stiftung, die Patienten,<br />
Ärzte, Forscher, Angehörige und<br />
Vertreter des Gesundheitswesens<br />
zusammenführt, um die Situation für<br />
Betroffene zu verbessern.<br />
Text Miriam Rauh<br />
FOTO: PRIVAT<br />
Herr Pilgermann, wann bekamen Sie die Diagnose<br />
„Gastrointestinaler Stromatumor“?<br />
Ich war damals erst 27 Jahre alt. Das ist ungewöhnlich,<br />
Betroffene haben meist ein deutlich höheres<br />
Lebensalter. Es war ein Zufallsbefund, der Tumor<br />
wurde im Rahmen einer Blinddarm-OP entdeckt. Die<br />
Operateure haben allerdings nicht mehr geschafft, eine<br />
Gewebeprobe zu entnehmen oder ihn gleich zu entfernen,<br />
weswegen ich für eine weitere Operation in<br />
die Klinik musste. Im Nachgang wurde bei der pathologischen<br />
Untersuchung des entnommenen Gewebes<br />
festgestellt, dass es sich tatsächlich um GIST handelt.<br />
Warum dauert es bei GIST in vielen Fällen so lange<br />
bis zur Diagnose?<br />
Die meisten Gastrointestinalen Stromatumoren wachsen<br />
außerhalb eines Organs oder am Dünndarm und<br />
machen im Bauchraum nach außen hin in der Regel<br />
zunächst wenig Beschwerden. Wenn Beschwerden auftreten,<br />
sind die Tumore häufig schon relativ groß. Hat<br />
man den Tumor aber entdeckt, geht die Diagnose<br />
an sich recht schnell.<br />
Wenn Sie zurückblicken – gab es bei Ihnen Anzeichen<br />
für die Erkrankung? Was berichten andere<br />
Betroffene?<br />
Im Normalfall gehen Betroffene mit Beschwerden des<br />
Verdauungstrakts zum Arzt, aber diese sind diffus und<br />
weisen nicht sofort auf GIST hin. Beschwerden beim<br />
Stuhlgang beispielsweise, Völlegefühl, eine gewisse<br />
Müdigkeit – das alles kann auch andere Ursachen haben.<br />
Sehr eindeutige Symptome gibt es nicht.<br />
Wie ging es nach der Diagnose für Sie weiter? Wie<br />
wurde GIST bei Ihnen therapiert?<br />
Meine Onkologin kannte sich gut mit dem Thema<br />
aus und wusste bereits von dem neuen Medikament,<br />
das damals erst seit zwei Jahren eingeführt war. Sie<br />
hat mich auch direkt damit behandelt. Das war großes<br />
Glück. Insgesamt rate ich Betroffenen, sich wenn mög-<br />
lich in einem auf Sarkome spezialisierten Zentrum<br />
behandeln zu lassen. Als meine Diagnose gestellt wurde,<br />
gab es solche Zentren noch nicht – heute gibt es<br />
sie an mehreren Orten in Deutschland.<br />
Die Erkrankung hat Sie zur Deutschen Sarkom-<br />
Stiftung gebracht. Was sind Ihre Aufgaben als Patientenvertreter?<br />
Es gab eine Vorläuferorganisation, das Lebenshaus, eine<br />
reine Patientenorganisation, in der ich mich bereits engagierte.<br />
Wir haben mit dem Lebenshaus schon einiges<br />
erreicht, wurden auch von Experten unterstützt, diese<br />
waren aber nie Teil der Organisation. Das wollten wir<br />
ändern und haben beschlossen, gemeinsam mit Experten<br />
die Deutsche Sarkom-Stiftung aufzubauen, um sie<br />
fest zu integrieren. Die Deutsche Sarkom-Stiftung ist ein<br />
Zusammenschluss aus Ärzten, Zentren und Patienten,<br />
um die Diagnose-Situation und die Behandlungsqualität<br />
für GIST und Sarkome in Deutschland zu verbessern. Für<br />
Betroffene bieten wir auch Webinare an, derzeit online,<br />
um neueste Erkenntnisse zu GIST zu präsentieren und<br />
einen Rahmen zum Austausch mit Ärzten zu schaffen.<br />
Was empfehlen Sie anderen Betroffenen im Umgang<br />
mit der Erkrankung?<br />
Grundsätzlich ist es sehr wichtig, sich um die Erkrankung<br />
zu kümmern. Es ist gut, sich zu informieren und<br />
Hintergrundwissen anzueignen. Manchmal kann es helfen,<br />
nicht alleine zu Terminen zu gehen, sondern einen<br />
Angehörigen, einen guten Freund oder eine Freundin<br />
mitzunehmen. Und es schadet nicht, im Zweifelsfall<br />
eine Zweitmeinung einzuholen. Wenn man nicht in der<br />
Nähe eines spezialisierten Sarkom-Zentrums wohnt,<br />
kann man vielleicht den Schwerpunkt der Behandlung<br />
bei einem niedergelassenen Onkologen oder einer Onkologin<br />
durchführen lassen, sich für besondere Fragestellungen<br />
aber an ein Sarkom-Zentrum wenden. Bei der<br />
Deutschen Sarkom-Stiftung erhalten Betroffene viele<br />
wertvolle Tipps, finden neueste Studienergebnisse und<br />
viele Informationen. Sie können dort die Zentren und<br />
auch niedergelassene Onkologen finden, die sich gut mit<br />
der Erkrankung auskennen.<br />
Grundsätzlich ist es<br />
sehr wichtig, sich<br />
um die Erkrankung<br />
zu kümmern. Es<br />
ist gut, sich zu<br />
informieren und<br />
Hintergrundwissen<br />
anzueignen.<br />
Weiterführende Informationen<br />
Die Deutsche Sarkom-Stiftung ist eine gemeinsame<br />
Organisation von Patienten und Experten. Die Stiftung setzt<br />
sich dafür ein, die Situation für Sarkom-Patienten in<br />
Deutschland zu verbessern. Dafür engagiert sie sich in<br />
verschiedenen Bereichen: Information, Forschung, Fortbildung,<br />
Versorgungsstrukturen inkl. Etablierung von spezialisierten<br />
Sarkom-Zentren, Diagnose- und Behandlungsqualität wie auch<br />
Patienteninformation und Interessenvertretung.<br />
Weitere Informationen unter:<br />
www.sarkome.de
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 7<br />
GIST: Immer bessere Prognose<br />
Gastrointestinale Stromatumoren (GIST) sind sehr seltene<br />
Weichteilsarkome, die im Magen-Darm-Trakt entstehen. In Deutschland<br />
erkranken pro Jahr ein bis zwei von 100.000 Menschen, die<br />
meisten sind bei Diagnosestellung 60 Jahre alt oder älter.<br />
PD Dr. med. Reichardt leitet das Sarkomzentrum Berlin-Buch und<br />
erklärt, was die Herausforderungen bei der Diagnose sind und wie<br />
Betroffene heute behandelt werden können.<br />
Text Miriam Rauh<br />
PD Dr. med. Peter Reichardt<br />
Chefarzt der Klinik für Onkologie und<br />
Palliativmedizin am Helios Klinikum<br />
Berlin-Buch und Leiter des Sarkomzentrums<br />
Berlin-Buch<br />
Herr Dr. Reichardt, was sind die<br />
Herausforderungen bei der<br />
Diagnose von GIST und im<br />
Verlauf der Erkrankung?<br />
Die Beschwerden sind in der Regel eher<br />
unspezifisch. Aus diesem Grund wird ein<br />
Gastrointestinaler Stromatumor oft zufällig<br />
entdeckt, bspw. im Rahmen einer<br />
Magenspiegelung, Ultraschalluntersuchung<br />
oder Computertomographie. Wichtig ist,<br />
dass neben der pathologischen Diagnose<br />
auch eine Mutationsanalyse gemacht<br />
wird, da die genaue Kenntnis der zugrundeliegenden<br />
Mutationen für die Therapieplanung<br />
entscheidend ist; zudem hat sie<br />
Einfluss auf die Prognose. Die Feindiagnostik<br />
sollte in einem erfahrenen Referenzzentrum<br />
durchgeführt werden, um<br />
Inkorrektheiten auszuschließen.<br />
Wie ist die Prognose?<br />
Man muss hier zwischen lokalisierter<br />
Erkrankung und fortgeschrittener Erkrankung<br />
unterscheiden. Die Prognose des<br />
fortgeschrittenen, metastasierten GIST<br />
hat sich in den letzten Jahren durch<br />
zunehmende therapeutische Optionen<br />
kontinuierlich verbessert; seit ca. einem<br />
Jahr steht mit Ripretinib eine Viertlinientherapie<br />
zur Verfügung. Mittlerweile können<br />
wir bei einer metastasierten Erkrankung<br />
eine mittlere Lebenserwartung von sechs<br />
oder sieben Jahren erwarten.<br />
Bei einer lokalisierten Erkrankung, die<br />
operativ behandelt wurde, können wir<br />
recht genau vorhersagen, wie groß das<br />
Risiko eines Patienten für Metastasen bzw.<br />
ein Rezidiv ist. Hiervon abhängig ist die<br />
Indikation einer vorbeugenden, adjuvanten<br />
Therapie. Als Richtwert gilt ein Rezidivrisiko<br />
in der Größenordnung über 50<br />
Prozent, sofern der Tumor eine Imatinibsensitive<br />
Mutation aufweist.<br />
Die Prognose des<br />
fortgeschrittenen,<br />
metastasierten GIST hat<br />
sich in den letzten Jahren<br />
durch zunehmende<br />
therapeutische Optionen<br />
kontinuierlich verbessert.<br />
Welche Therapieoptionen gibt es derzeit,<br />
um GIST zu behandeln, und wie ist deren<br />
Stellenwert?<br />
Imatinib stellt nach wie vor den Standard<br />
in der Erstlinientherapie und in der adju-<br />
vanten Therapie dar. Bei einer Imatinib-<br />
Intoleranz oder einem Krankheitsprogress<br />
unter Imatinib ist die Zweitlinientherapie<br />
Sunitinib vorgesehen. Wenn auch diese<br />
nicht mehr wirkt, kommen Regorafenib<br />
und schließlich Ripretinib in der Drittund<br />
Viertlinie zum Einsatz. Für die sehr<br />
seltene D842V-Mutation steht mit Avapritinib<br />
seit einiger Zeit erstmals eine wirksame<br />
Therapie zur Verfügung.<br />
Bei der Therapie spielen für Betroffene<br />
in den verschiedenen Phasen der<br />
Erkrankung neben Wirksamkeit auch<br />
Verträglichkeit und Lebensqualität<br />
eine Rolle. Wie sieht es bei den Behandlungsoptionen<br />
gerade in späteren Stadien<br />
aus?<br />
Die für die Therapie des fortgeschrittenen<br />
GIST etablierten Medikamente sind<br />
unterschiedlich gut verträglich, was angesichts<br />
der häufig langfristigen Einnahme<br />
von besonderer Bedeutung ist. Imatinib,<br />
Standard in der Erstlinientherapie, ist in<br />
der Regel gut verträglich. Sunitinib ist<br />
etwas schlechter verträglich als Imatinib,<br />
was sich in Durchfällen, Abgeschlagenheit,<br />
Müdigkeit oder Hautreizung an Händen<br />
und Füßen bemerkbar machen kann,<br />
auch Blutdruck und Schilddrüsenfunktion<br />
sollten überwacht werden. Regorafenib<br />
ist vom Nebenwirkungsspektrum<br />
dem Sunitinib ähnlich, mit einer häufig<br />
ausgeprägteren Tendenz zu Nebenwirkungen;<br />
eine individuelle Einstellung<br />
ist bei diesen Medikamenten besonders<br />
wichtig.<br />
Das Medikament der Viertlinientherapie,<br />
Ripretinib, ist wiederum in aller Regel<br />
besser verträglich. Dies erhöht auch die<br />
Lebensqualität der Patienten.<br />
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8<br />
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Leben mit PMF –<br />
ein ganzheitlicher Ansatz<br />
Unter Myeloproliferativen Neoplasien (MPN) versteht man eine Gruppe von seltenen <strong>Erkrankungen</strong> des Knochenmarks,<br />
pro Jahr erkranken in Deutschland ein bis zwei Menschen pro 100.000 Einwohner. Charakteristisch für diese Krankheitsbilder ist eine<br />
gesteigerte Produktion von Blutzellen, was sich in einer Vielzahl von Symptomen äußern kann, die das Leben Betroffener zum Teil stark<br />
beeinträchtigen.<br />
Zu den MPN zählt auch die Primäre Myelofibrose (PMF), von der Stefanie Peheim betroffen ist. Sie erzählt uns von ihrem Weg zur<br />
Diagnose und ihrem Leben mit dieser seltenen chronischen Erkrankung.<br />
Text Miriam Rauh<br />
Frau Peheim, Sie sind betroffen von der Primären<br />
Myelofibrose. Können Sie uns erzählen,<br />
wann erstmals Beschwerden aufgetreten<br />
sind und wie diese aussahen?<br />
Etwa ein bis zwei Jahre vor der Diagnose bemerkte ich<br />
erste Beschwerden wie Taubheit in den Fingern, auch<br />
Müdigkeit am Tag, besonders gegen Mittag. Ich habe<br />
sehr viel Schlaf gebraucht, den brauche ich nach wie vor.<br />
MPN sind von Mensch zu Mensch in der Ausprägung<br />
sehr verschieden. Wann wurde die richtige Diagnose<br />
gestellt?<br />
Das war im Jahr 2020, ich war 26 Jahre alt. Ich hatte Blut<br />
gespendet, im Anschluss erhielt ich eine Auswertung<br />
meiner Blutwerte. Weil mein Thrombozytenwert erhöht<br />
war, wurde mir geraten, ihn noch mal beim Hausarzt<br />
kontrollieren zu lassen. Mein Hausarzt empfahl mich<br />
dann weiter an eine Spezialistin, dort erhielt ich einen<br />
Monat später die Diagnose.<br />
Gab es direkt eine passende/individuelle Behandlungsoption<br />
für Sie?<br />
Mir wurde gut erklärt, was es mit der Erkrankung auf sich<br />
hat, wie sie sich auf mein Leben auswirkt und welche<br />
Möglichkeiten es gibt. Da ich keine großen Beschwerden<br />
hatte und auch die Werte nicht dramatisch waren, habe<br />
ich in Rücksprache mit meiner Ärztin anfangs keine<br />
Medikamente genommen, sondern ging nur regelmäßig<br />
zur Kontrolle. Erst mal abzuwarten, war für mich der<br />
richtige Weg. Im Herbst 2022 haben sich die Werte etwas<br />
verschlechtert und ich habe begonnen, Medikamente zu<br />
nehmen. Die Einstellungsphase dauert mindestens drei<br />
bis vier Monate, bei manchen durchaus auch länger. In<br />
dieser Phase muss man sowohl die Blutwerte als auch<br />
mögliche Nebenwirkungen monitoren. Erst nach dieser<br />
Phase kann man beurteilen, wie der Körper die Medikamente<br />
annimmt und welche Therapie die individuell<br />
passende ist. In dieser Phase befinde ich mich.<br />
FOTO: MELANIE PETERSEIL<br />
Zudem wurde mir direkt zu Beginn meiner Therapie von<br />
einer Studie berichtet, an der ich seitdem teilnehme. Vor<br />
allem bei seltenen Krankheiten wie der PMF ist das sehr<br />
wichtig, damit an den Medikamenten geforscht werden<br />
kann und Betroffene direkt in das Forschungsgeschehen<br />
mit einbezogen werden können.<br />
Ich muss gut auf meinen<br />
Körper aufpassen und<br />
dafür sorgen, dass er<br />
bekommt, was er braucht.<br />
Was sind für Sie persönlich die größten Belastungen<br />
und Herausforderungen, die mit der Erkrankung<br />
einhergehen?<br />
Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich realisierte, dass<br />
ich eine Erkrankung habe, anfangs habe ich es verdrängt.<br />
Erst im letzten Jahr wurde mir richtig bewusst,<br />
dass ich auf meinen Körper aufpassen und gut dafür sorgen<br />
muss, dass er bekommt, was er braucht.<br />
Die Müdigkeit ist sehr präsent – auch wenig Energie kenne<br />
ich sonst gar nicht von mir, ich habe immer viel unternommen.<br />
Jetzt muss ich konsequent auf meinen Körper<br />
hören und sehen, wo meine Grenzen sind. Grenzen zu<br />
stecken und genau hinzusehen, was mir guttut, das ist<br />
derzeit die größte Herausforderung für mich. Auch habe<br />
ich häufig mit schweren Beinen zu kämpfen: Bei meiner<br />
Tätigkeit als Konditorin merke ich das oft schon nach<br />
zwei bis drei Stunden, da ich ja viel im Stehen arbeite.<br />
Durch die medikamentöse Behandlung hat sich das aber<br />
bereits gebessert.<br />
Wie wirkt sich die Erkrankung auf Ihr Berufsleben<br />
aus?<br />
Die Diagnose hat mich in meiner Berufswahl einmal<br />
mehr bestätigt. Ich wollte etwas tun, das mir zu 100 Prozent<br />
Freude macht, und bin seit knapp zwei Jahren als<br />
Konditorin selbstständig. Meine Arbeitsstätte ist in der<br />
Nähe, ich bekomme auch sehr viel Unterstützung durch<br />
meine Familie. Anders würde es nicht funktionieren.<br />
Wie gehen Sie mit der Last Ihrer Erkrankung um,<br />
und was hilft Ihnen im Umgang mit der PMF?<br />
Abgesehen davon, dass es mir hilft, meine Zeit und<br />
Energie gut einzuteilen, schätze ich den Austausch mit<br />
anderen Betroffenen sehr. Bis zur Diagnose war ich nie<br />
wirklich krank, ich musste auch nie Medikamente nehmen.<br />
Durch den Austausch bekomme ich einen besseren<br />
Einblick in den Alltag mit der Erkrankung. Wie geht<br />
es anderen Betroffenen damit, was machen sie? Man<br />
unterstützt sich gegenseitig sehr.<br />
Eine solche Erkrankung betrifft auch indirekt die<br />
Angehörigen. Wie geht Ihr Umfeld mit Ihrer Erkrankung<br />
um?<br />
Insgesamt sehr gut, ich bekomme viel Unterstützung.<br />
Bei mir ist die Krankheit aber auch derzeit kein großes<br />
Thema, ich habe wenig Beschwerden.<br />
Welche Rolle spielt für Sie die Vernetzung in der<br />
Selbsthilfegruppe?<br />
Diese Möglichkeit empfinde ich als sehr wertvoll. Die<br />
Krankheit ist noch relativ wenig erforscht, es gibt kein<br />
Patentrezept für den Umgang, vieles muss individuell<br />
betrachtet und angepasst werden. Manchmal haben<br />
andere Betroffene ergänzend zu Ärzten wertvolle Tipps,<br />
einfach aus der Alltagserfahrung heraus – z. B. wann<br />
die beste Tageszeit für die Einnahme der Medikamente<br />
ist. Meine Ärztin hat mich auf eine Selbsthilfegruppe<br />
in Österreich aufmerksam gemacht, dort bin<br />
ich Mitglied. Durch eigene Recherche habe ich auch<br />
Gruppen auf Facebook gefunden, in denen ich aktiv bin.<br />
Was haben Sie aus Ihrer Erfahrung mit der Krankheit<br />
gelernt, was würden Sie an andere Betroffene<br />
weitergeben?<br />
Es ist wichtig, sich nicht einschüchtern zu lassen. Man<br />
sollte nicht ängstlich an das Thema herangehen, sondern<br />
sich an die Situation anpassen und sie ins Leben integrieren.<br />
Ich versuche, die Krankheit ganzheitlich zu sehen.<br />
Nicht nur Medikamente können helfen, eine Erkrankung<br />
hat auch eine psychologische Komponente. Diesen<br />
ganzheitlichen Ansatz würde ich sehr empfehlen.<br />
FOTO: ELISABETH PEHEIM<br />
MPN-NETZWERK –<br />
EIN NETZWERK, DAS TRÄGT<br />
Das MPN-Netzwerk e. V. ist eine Selbsthilfeinitiative für<br />
Menschen mit Myeloproliferativen Neoplasien (MPN) und<br />
ihre Angehörigen. Wir stellen fundierte, allgemein verständliche<br />
Informationen zu MPN-<strong>Erkrankungen</strong> zur Verfügung und<br />
bieten Patient:innen und deren Angehörigen die Möglichkeit, sich<br />
miteinander auszutauschen und zu vernetzen. Zudem arbeiten<br />
wir eng mit einschlägigen Expert:innen für die MPN-<strong>Erkrankungen</strong><br />
zusammen, um die Forschung weiter voranzutreiben.<br />
Weitere Informationen finden Sie unter<br />
www.mpn-netzwerk.de
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 9<br />
„Patienten tragen heute entscheidend<br />
zu unserem Gesundheitswesen bei.“<br />
Die Myeloproliferativen Neoplasien (MPN) sind eine Gruppe von seltenen <strong>Erkrankungen</strong> des Knochenmarkes,<br />
zu denen auch die Polycythaemia Vera (PV) gehört. Wir sprachen mit Werner Zinkand über die<br />
Last der Erkrankung und die wichtige Rolle der Patientenselbsthilfe.<br />
Text<br />
Hanna Sinnecker<br />
Werner Zinkand<br />
Vorsitzender der<br />
internationalen<br />
MPN-Advocates<br />
Weitere<br />
Informationen<br />
finden Sie unter<br />
www.mpnadvocates.net<br />
Herr Zinkand, Sie sind betroffen von der<br />
seltenen Erkrankung Polycythaemia<br />
Vera. Wie hat sich die Erkrankung bemerkbar<br />
gemacht und wann haben Sie<br />
Ihre Diagnose erhalten?<br />
Im Jahr 2000 war ich zum Gesundheitscheck bei<br />
meiner Hausärztin, da war ich 47 Jahre alt. Meine Ärztin<br />
hatte zu hohe Thrombozyten festgestellt und mir<br />
ASS (einen Blutverdünner) verschrieben, das habe<br />
ich einige Jahre genommen. Aber es kamen mit der<br />
Zeit Sehstörungen dazu: ich habe verschwommen<br />
oder Doppelbilder gesehen, nach einer Minute war<br />
das meist wieder vorbei. Die Ärztin konnte das nicht<br />
einordnen. Schrecklich war auch ein extremer, stechender<br />
Juckreiz, besonders nach Wasserkontakt<br />
nach dem Duschen. Juckreiz ist ein deutliches Symptom<br />
der PV, der die Patienten verrückt machen kann.<br />
Aber mein Dermatologe kam nicht auf PV. Die richtige<br />
Diagnose kam durch Zufall: 2011, zehn Jahre nach den<br />
ersten Beschwerden, bin ich auf die Schulter gestürzt,<br />
es wurde ein MRT gemacht. Dem Radiologe fiel mein<br />
Knochenmark auf, es war marmoriert. Im Knochenmark<br />
bilden sich die Blutzellen. Meine Hausärztin hat<br />
mich dann zum Hämatologen überwiesen, der die<br />
Diagnose Polycythaemia Vera gestellt hat.<br />
Was sind für Sie als Betroffener die größten<br />
Herausforderungen und wie wirkt sich die<br />
Erkrankung auf Ihr Leben aus?<br />
Wegen des Juckreizes kann man nachts nicht schlafen<br />
und ist tagsüber kaputt. Die Diagnose selbst ist ein<br />
Schock: man hat über Nacht, für den Rest des Lebens,<br />
eine unbekannte chronische Krankheit. Wenn man<br />
in der Hämatologie und Onkologie behandelt wird,<br />
bekommt man Angst, wird mit schlimmen Schicksalen<br />
konfrontiert und fragt sich: wie geht es jetzt<br />
weiter? Habe ich jetzt Krebs? Mit der Antwort tun<br />
sich die Ärzte schwer, denn ja, es handelt sich um<br />
eine chronische Blutkrebserkrankung. Chronisch heißt<br />
aber, dass sie in den meisten Fällen langsam voranschreitet.<br />
Die Zellen des Blutes vermehren sich<br />
unkontrolliert, unbehandelt haben wir ein hohes<br />
Thrombose- oder Embolierisiko.<br />
Patienten müssen<br />
gehört werden.<br />
Mittlerweile gibt es Medikamente, mit denen die Beschwerden<br />
gelindert werden können. Ein klassisches<br />
Medikament, eine leichte Chemotherapie, ist seit Jahrzehnten<br />
auf dem Markt. 2012 kam ein sogenannter<br />
Inhibitor dazu, der später eingesetzt wird, wenn man<br />
die Erstlinientherapie nicht verträgt oder sie nicht<br />
mehr reicht. Aktuell werden mehr Medikamente zugelassen,<br />
alle wirken verschieden. Ein erfahrener Hämatologe<br />
kann unsere Beschwerden meist gut kontrollieren<br />
– das ist eine wichtige Information für<br />
Betroffene.<br />
Sie sind sehr engagiert in der nationalen und<br />
internationalen MPN-Patientenselbsthilfe.<br />
Welche Rolle spielt diese aus Ihrer Sicht, wenn es<br />
um die Verbesserung der Lebensqualität Betroffener<br />
geht?<br />
Wissen ist die beste Medizin. Die Selbsthilfe hilft Betroffenen,<br />
sich mit ihrer Erkrankung vertraut zu<br />
machen. Das kann ein Stück weit den Schrecken<br />
nehmen. Man fühlt sich zu Beginn sehr allein,<br />
besonders mit einer seltenen Erkrankung wie der<br />
PV. Ich hatte bald einen anderen Betroffenen kennengelernt,<br />
der eine kleine Selbsthilfegruppe gegründet<br />
hat, wir waren anfangs zu dritt. Der Erfahrungsaustausch<br />
war sehr wichtig für mich, deshalb<br />
engagierte ich mich neun Jahre lang im deutschen<br />
MPN-Netzwerk. Seit zwei Jahren bin ich Vorstand<br />
der internationalen MPN-Advocates, das ermöglicht<br />
mir eine größere Perspektive. Gemeinsam kann man<br />
viele positive Entwicklungen vorantreiben! Erfahrene<br />
Patient:innen sind heute gefragt, mehr denn je.<br />
Für Betroffene, die sich engagieren wollen, gibt es<br />
Schulungen. Wir arbeiten in nationalen und internationalen<br />
Gremien mit, unsere Erfahrungen helfen<br />
auch Pharmafirmen bei der Entwicklung neuer<br />
Medikamente. Heute tragen Patienten entscheidend<br />
zu unserem Gesundheitswesen bei.<br />
Was ist bezüglich der Versorgung Betroffener<br />
wichtig, damit diese ihren Alltag bestmöglich<br />
meistern können?<br />
Man muss zurückfinden ins Leben und lernen,<br />
die Krankheit als Teil des Lebens anzunehmen.<br />
Aber sie sollte in den Hintergrund treten. Neben<br />
der Medizin spielt auch die psychologische Betreuung<br />
eine große Rolle. Sie kann helfen, die<br />
Krankheit zu akzeptieren, ohne dass man die<br />
Hoheit über das eigene Leben verliert. Außerdem<br />
müssen wir Patienten gehört werden. Ärzte<br />
achten oft auf andere Aspekte als wir. Eine Umfrage<br />
ergab, dass Ärzte zuerst auf das Blutbild<br />
schauen, Patienten ist aber die Lebensqualität<br />
wichtiger. Und die korreliert nicht unbedingt mit<br />
guten Blutwerten.<br />
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Leben mit MPN –<br />
Umfassende Hilfe für Betroffene<br />
Das forschende Pharmaunternehmen Novartis denkt Medizin<br />
neu, um besonders auch Menschen mit seltenen <strong>Erkrankungen</strong><br />
mit innovativen Therapien zu mehr Lebensqualität zu verhelfen<br />
und ihnen mit umfangreichen Unterstützungs- und Informationsangeboten<br />
zur Seite zu stehen.<br />
FOTO: NOVARTIS PHARMA GMBH<br />
Speziell für Menschen, die an einer Myeloproliferativen Neoplasie (MPN) wie der Myelofibrose,<br />
der Polycythaemia Vera oder der Chronischen Lymphatischen Leukämie leiden,<br />
hat Novartis für Patient:innen und deren Angehörige umfangreiche Informationsinitiativen<br />
ins Leben gerufen, die Betroffenen und deren Angehörigen wissenschaftlich fundiertes<br />
Wissen zur Erkrankung und zum Umgang damit zur Verfügung stellen.<br />
Symptome erkennen – und richtig in Zusammenhang bringen<br />
Da die verschiedenen Symptome der MPN sehr vielschichtig sind und mit Fortschreiten<br />
der Erkrankung stärker werden, sind fundierte Informationen zu den möglichen Beschwerden<br />
für Patient:innen und deren Angehörige sehr wichtig. Das macht das Beispiel der Polycythaemia<br />
Vera deutlich: denn Beschwerden wie chronische Müdigkeit, Schmerzen im linken<br />
Oberbauch, verstärktes nächtliches Schwitzen, Juckreiz besonders nach Kontakt mit<br />
Wasser und Appetitlosigkeit lassen oft nicht direkt an eine schwere Erkrankung denken.<br />
Gerade Frauen denken oftmals eher an die Wechseljahre und nicht an eine seltene Bluterkrankung.<br />
Auch Seh- und Konzentrationsstörungen, Ohrensausen, trockene Haut werden<br />
eher auf das Alter zurückgeführt und nicht in Kombination betrachtet. Die Folge: der Arztbesuch<br />
bleibt aus, die PV bleibt unentdeckt und somit auch unbehandelt, schwere Komplikationen<br />
können auftreten.<br />
Zunehmende Beschwerden ernst nehmen<br />
Aber auch wenn die Diagnose bereits gestellt wurde, sollten Betroffene die Symptome im<br />
Blick behalten. Gerade wenn die Symptomlast zunimmt oder Nebenwirkungen auftreten,<br />
sollten Betroffene das Gespräch mit dem Behandlungsteam suchen. Manche Begleiterkrankungen<br />
oder Komplikationen können für Betroffene im schlimmsten Fall lebensbedrohlich<br />
werden, weshalb ein schnelles Gegensteuern entscheidend ist. Ist der Betroffene gut<br />
informiert, kann er bei der Wahl und Durchführung der passenden Therapie intensiv mit einbezogen<br />
werden. Die Patient:innen sollten immer ein offenes Ohr finden, wenn Handlungsbedarf<br />
besteht. Das gilt auch für die Angehörigen der Betroffenen, denn sie können eine<br />
große Stütze sein: Auch wenn es darum geht, körperliche und seelische Beschwerden<br />
oder eine Verschlechterung des Zustandes frühzeitig zu erkennen. Sie spielen also eine<br />
tragende Rolle, wenn es darum geht, Betroffene zu unterstützen und ihre Lebensqualität<br />
zu verbessern.<br />
Die einzelnen Initiativen www.leben-mit-myelofibrose.de, www.leben-mit-pv.de<br />
und www.leben-mit-cml.de möchten Betroffene deshalb über alle Facetten der Erkrankung<br />
informieren. Hier finden sich auch Patienten-Erfahrungsberichte und Expertenbeiträge<br />
zu verschiedenen krankheitsrelevanten Schwerpunkten. Zudem finden Patient:innen<br />
ausführliche Checklisten, die ihnen die Gespräche mit dem Behandlungsteam erleichtern<br />
können: denn die Patient:innen selbst spielen eine wesentliche Rolle bei der<br />
Wahl und Durchführung der geeigneten Therapie. Dazu kann auch eine Anpassung der bestehenden<br />
Therapie gehören, wenn die bestehende Behandlung nicht den gewünschten<br />
Erfolg erzielt. Dabei kann auch der MPN-Tracker unter www.mpntracker.com helfen,<br />
der Patient:innen in Form eines Therapietagebuches bei der Dokumentation zur Entwicklung<br />
ihrer Erkrankung unterstützt.<br />
Zusammen stärker<br />
Auch der Austausch mit anderen Betroffenen, Selbsthilfeorganisationen und Fachärzt:innen<br />
stärkt Patient:innen und ihre Angehörigen im Umgang mit der Erkrankung.<br />
Seit 2016 können MPN-Betroffene einen bundesweit etablierten Treffpunkt nutzen:<br />
die MPN-Patient:innentage. Diese finden mehrmals im Jahr an immer anderen Standorten<br />
statt, damit möglichst viele Betroffene teilnehmen können. Seit 2020 ist für einige<br />
der Termine auch eine Online-Teilnahme möglich. Die Teilnahme an den MPN Veranstaltungen<br />
ist kostenlos. Auf www.mpn-patiententage.de findet man die<br />
Anmeldung für den nächsten Patient:innentag sowie weitere Informationen und<br />
einen kleinen Rückblick auf vergangene Veranstaltungen.<br />
Scannen Sie den QR-Code und lesen Sie mehr zu uns<br />
auf unserer Webseite unter https://www.leben-mit-pv.de/sp1
10<br />
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />
Hereditäres<br />
Angioödem (HAE)<br />
Schwellungsattacken beherrschbar machen –<br />
Lebensqualität Betroffener steigern<br />
Text Hanna Sinnecker<br />
Das Hereditäre Angioödem (kurz<br />
HAE) ist eine seltene vererbbare<br />
Erkrankung, die sich durch wiederkehrende<br />
Schwellungen bemerkbar<br />
macht. Diese Schwellungen verursachen<br />
starke Schmerzen und können<br />
lebensbedrohlich werden, zum Beispiel<br />
wenn sie im Halsbereich auftreten und<br />
Betroffenen buchstäblich die Luft nehmen.<br />
Je früher die Erkrankung diagnostiziert<br />
wird, umso schneller kann eine Behandlung<br />
in die Wege geleitet werden. Denn<br />
mit der richtigen Therapie können Betroffene<br />
ein nahezu normales Leben führen.<br />
Was passiert bei HAE im Körper?<br />
HAE-Betroffene weisen eine Mutation auf<br />
dem Chromosom 11 auf, die einen Defekt<br />
des sogenannten SERPING1-Gens verursacht.<br />
Dieses Gen ist dafür zuständig,<br />
das Protein C1-INH zu produzieren, das<br />
bei HAE-Patienten nicht in ausreichender<br />
Menge oder gar nicht produziert wird.<br />
Das führt zu einer Störung des Enzyms<br />
Plasma-Kallikrein, was wiederum zu einer<br />
zu großen Menge des Gewebshormons<br />
Bradykinin führt. Bradykinin reguliert<br />
u. a. den Blutdruck und erhöht die Durchlässigkeit<br />
der Blutgefäße. Die Folge von<br />
zu viel Bradykinin: Die Blutgefäße werden<br />
durchlässiger für das Blutplasma. Es tritt<br />
aus den Gefäßen aus, lagert sich im Gewebe<br />
ein und führt zu den attackenartigen<br />
Schwellungen.<br />
Wo können Schwellungen auftreten?<br />
Die Schwellungen können nahezu überall<br />
auftreten. Besonders häufig sind Schwellungen<br />
der Haut, vor allem im Gesicht<br />
(Augen, Lippen), an den Händen, Armen,<br />
Füßen und Beinen. Auch an den Schleimhäuten<br />
im Magen-Darm-Trakt können<br />
diese Schwellungen auftreten, wo sie<br />
Bauchschmerzen, kolikartige Krämpfe, Erbrechen<br />
und Durchfall auslösen können.<br />
Auch Kehlkopf, Genitalien, Harnblase,<br />
Muskulatur, Gelenke, Gehirn und Nieren<br />
können betroffen sein. Die Schwellungen<br />
treten meistens attackenartig oder in<br />
Schüben auf. Meist entwickeln sie sich<br />
über einen Zeitraum von 12 bis 36 Stunden<br />
und klingen unbehandelt innerhalb von<br />
2 bis 5 Tagen wieder ab.<br />
Schwellungsattacken kontrollieren –<br />
Lebensqualität steigern<br />
Ist die Erkrankung diagnostiziert, lassen<br />
sich die Schwellungsattacken durch die<br />
verfügbaren Behandlungsoptionen gut<br />
kontrollieren. An spezialisierten Zentren<br />
für seltene <strong>Erkrankungen</strong> oder HAE-<br />
Zentren können der behandelnde Arzt<br />
und der Patient die Behandlungsmöglichkeiten<br />
besprechen, die immer darauf<br />
abzielen, die Erkrankung zu kontrollieren<br />
und im Idealfall Schwellungsattacken<br />
ganz zu vermeiden – immer mit dem Ziel,<br />
Betroffenen ein Leben zu ermöglichen,<br />
das so normal wie möglich verläuft.<br />
Mittlerweile stehen mehrere Medikamente<br />
zur Verfügung, die prophylaktisch<br />
eingesetzt werden, um Schwellungsattacken<br />
gar nicht erst entstehen zu lassen.<br />
Diese Medikamente unterscheiden sich lediglich<br />
in der Art der Anwendung und den<br />
Abständen der Verabreichung.<br />
Da es trotz Prophylaxe dennoch sein kann,<br />
dass plötzlich eine Attacke auftritt, sollten<br />
Menschen mit HAE zusätzlich immer eine<br />
ausreichende Menge Akutmedikamente<br />
für mindestens zwei Attacken dabeihaben.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK_2171232029<br />
Patienteninitiativen machen Mut!<br />
3 Fragen an Franziska von Werder, HAE-Patientin<br />
Text Hanna Sinnecker<br />
Wann haben Sie Ihre Diagnose erhalten?<br />
Meine erste Attacke hatte ich mit 14<br />
Jahren. Da meine Mutter ebenfalls betroffen<br />
ist, war schnell klar, dass ich auch<br />
HAE habe. Dieses „Glück“ hat ja aber<br />
nicht jeder. Ich weiß, dass viele Betroffene<br />
von Arzt zu Arzt laufen und es teilweise<br />
Jahre dauert, bis sie eine Diagnose<br />
erhalten.<br />
Welche Herausforderungen gibt es für<br />
Menschen mit HAE?<br />
Die Attacken machen das Leben weniger<br />
planbar und können theoretisch auch<br />
lebensbedrohlich werden. Persönlich habe<br />
ich mich aber nie wirklich eingeschränkt<br />
gefühlt. Durch meine familiäre Vorbelastung<br />
bin ich früh von Experten betreut<br />
worden, die sich gut mit HAE auskannten.<br />
Ich hatte immer meine Akutmedikation<br />
dabei und konnte ein relativ normales<br />
Leben führen. Aber als ich in eine<br />
andere Stadt gezogen bin, habe ich auch<br />
anderes erlebt. Da musste ich den Ärzten<br />
erklären, was HAE ist und auch, dass<br />
manche Therapievorschläge nicht helfen,<br />
beispielsweise Kortison.<br />
Wenn die<br />
Diagnose einmal<br />
steht, ist die<br />
Herausforderung<br />
eher eine<br />
organisatorische.<br />
Wenn die Diagnose einmal steht, ist<br />
die Herausforderung eher eine organisatorische.<br />
Ich nehme inzwischen regelmäßig<br />
ein Medikament zur Prophylaxe,<br />
habe aber vorsichtshalber auch immer<br />
meine Akutmedikation dabei. Aber davon<br />
abgesehen mache ich alles, was Nichtbetroffene<br />
auch können: Ich habe studiert,<br />
ich arbeite, mache Sport, gehe feiern,<br />
fahre in den Urlaub …<br />
Warum sind Initiativen für Betroffene<br />
und ihre Angehörigen wichtig?<br />
Patienteninitiativen mit Informationen<br />
rund um die Erkrankung und Tipps für<br />
ein Leben mit HAE machen Mut. Das<br />
ist vor allem für Menschen wichtig, die<br />
vielleicht noch gar nicht wissen, was sie<br />
haben, oder für solche, die gerade frisch<br />
diagnostiziert sind und sich fragen, wie<br />
es jetzt weitergehen soll. Ich konnte mich<br />
ja immer mit meiner Mutter austauschen,<br />
aber was machen andere, die sich<br />
ratlos und allein fühlen? Wäre ich damals<br />
bei meiner Diagnose in einer anderen<br />
Situation gewesen, hätte ich nach genau<br />
so etwas gesucht.<br />
Franziska von Werder (27) hat mit 14<br />
Jahren die Diagnose HAE erhalten.<br />
Sie lebt in Wiesbaden.<br />
FOTO: PRIVAT<br />
HAEllo zum Leben sagen – trotz seltener Erkrankung<br />
Menschen mit der seltenen chronischen Erkrankung Hereditäres Angioödem (HAE) leiden unter plötzlich auftretenden Schwellungsattacken,<br />
die den gesamten Körper betreffen können. Insbesondere im Kopf-Halsbereich kann es zu schweren, lebensbedrohlichen Attacken<br />
kommen. Doch Informationen zu dieser seltenen Erkrankung sind häufig schwer zu finden. Nun bietet die Initiative<br />
„HAEllo zum Leben“ umfangreiche Informationen zur Erkrankung, zu ihrem Management sowie Services und Hilfestellung.<br />
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Das Hereditäre Angioödem (engl. hereditary<br />
angioedema, kurz: HAE) ist eine chronische<br />
genetische Erkrankung, die schon in frühen<br />
Jahren auftreten kann. So wie beispielsweise<br />
bei Franziska, 27, aus Wiesbaden.<br />
Inzwischen hat sie ihr HAE gut im Griff – ihre<br />
Geschichte macht Mut und ist unter<br />
www.haellozumleben.de zu sehen.<br />
Denn mit der Diagnose HAE stellen sich plötzlich<br />
viele Fragen: Welche Auswirkungen hat HAE<br />
auf mein Leben? Wie lässt sich HAE kontrollieren?<br />
Was kann ich selbst tun, um mein Leben<br />
mit HAE zu verbessern? Welche Therapiemöglichkeiten<br />
habe ich? Die Initiative „HAEllo zum<br />
Leben“ von BioCryst Pharma bietet mit einer<br />
Website sowie den Social-Media-Kanälen Facebook<br />
und Instagram Informationen zur Erkrankung und<br />
ihrem Management, wie etwa den Behandlungsempfehlungen<br />
der aktuellen Leitlinie, Aktionswochen oder<br />
digitalen Experten-Sprechstunden sowie Patienten-<br />
Insights und Tipps zum Umgang mit HAE.<br />
Drei Fragen an Waldemar Heiduk, VP & General Manager<br />
DACH bei BioCryst Pharma Deutschland<br />
Die Diagnose HAE ist oft schwierig. Warum?<br />
Die Symptome sind unspezifisch und ähneln<br />
stark anderen <strong>Erkrankungen</strong>. Oft werden sie<br />
als Lebensmittelunverträglichkeit, Allergie oder<br />
Blinddarmentzündung fehlgedeutet. Da HAE so<br />
selten ist, kann es schwierig sein, eine Ärztin<br />
oder einen Arzt zu finden, der oder die Symptome<br />
richtig deutet.<br />
Warum ist eine Initiative wie „HAEllo zum Leben“<br />
wichtig?<br />
Solche Initiativen mit Tipps für ein Leben mit<br />
HAE machen Mut. Das ist vor allem für Menschen<br />
wichtig, die vielleicht noch gar nicht<br />
wissen, was sie haben, oder für solche, die gerade<br />
frisch diagnostiziert sind und sich fragen, wie es jetzt<br />
weitergehen soll.<br />
Was raten Sie Betroffenen?<br />
Wichtig ist, sich bei unklarer Diagnose rechtzeitig<br />
an ein Zentrum für seltene <strong>Erkrankungen</strong> oder ein<br />
HAE-Zentrum überweisen zu lassen. Eine Liste mit<br />
HAE-Behandlungszentren gibt es zum Beispiel bei der<br />
deutschen HAE-Patientenvereinigung unter:<br />
www.hae-online.de/behandlungszentren.<br />
„HAEllo zum Leben" ist eine Initiative von BioCryst<br />
Pharma Deutschland. Weitere Informationen finden<br />
Sie auf unserer Webseite www.haellozumleben.de<br />
und auf Facebook & Instagram @haellozumleben<br />
Approval-Nr. DE.HAE.00084, Stand 12/2022 FOTOS: © BIOCRYST PHARMA
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 11<br />
Vanessa Rennspieß hat EGPA:<br />
„Es ist ein Kraftakt, wieder am normalen Leben teilzunehmen.“<br />
Rheumatische <strong>Erkrankungen</strong> - Dabei denken viele zunächst an eine Volkskrankheit, die eine<br />
Vielzahl an Menschen betrifft. Dabei gibt es auch eine beträchtliche Anzahl an seltenen rheumatischen<br />
<strong>Erkrankungen</strong>, zu denen auch die sogenannten Vaskulitiden gehören, die durch eine Entzündung der<br />
Blutgefäße charakterisiert sind. Vanessa Rennspieß ist betroffen von der Eosinophilen<br />
Granulomatose mit Polyangiitis (kurz EGPA) und sprach mit uns über Ihr Leben mit dieser<br />
seltenen Erkrankung.<br />
Text Alexandra Lassas<br />
Frau Rennspieß: Welche <strong>Erkrankungen</strong> haben<br />
Sie und wie hat sich diese geäußert?<br />
Ich leide an der Gefäßentzündung EGPA, die<br />
sich vor 26 Jahren durch eine progressive systemische<br />
Sklerose, eine Verhärtung des Gefäß- und Bindegewebes<br />
der Haut geäußert hat. Die Beschwerden kamen<br />
schleichend in mein Leben. Ich hatte schon länger etwas<br />
Heuschnupfen, leichte Allergien und vermehrt taube,<br />
blaue Finger. Durch einen Aufenthalt in einer Rehaklinik<br />
erhielt ich die Diagnose Raynaud-Syndrom und hatte<br />
zu diesem Zeitpunkt schon offene Stellen an meinen<br />
Händen, vermehrt Schmerzen bei den einfachsten Bewegungen<br />
und beim Luftholen. Auch hormonelle Veränderungen<br />
durch die Geburt meiner Tochter verschlimmerten<br />
meine Symptome.<br />
schlimmerten sich meine Luftprobleme, die in vielen<br />
Hustenanfällen endeten. Im März darauf begann ich eine<br />
Chemotherapie, danach musste ich in die Uniklinik und<br />
diese habe ich dann mehrere Monate nicht verlassen.<br />
Eine schwere Panzytopenie und eine Entzündung der<br />
Gallenblase folgten. Mit den verschiedenen Symptomen<br />
startete ein jahrlanger Arztmarathon. Das erfordert gute<br />
Koordination und gutes Zeitmanagement.<br />
Dazu kommen die permanente Ungewissheit und die anhaltenden<br />
Symptome. Spazieren gehen, mein geliebtes<br />
Nordic Walking und überhaut Bewegung und Luft holen<br />
wurden zur Tortur. Zudem wurde die gemeinsame Zeit<br />
mit der Familie knapp. Das hat auch für mein Umfeld<br />
alles verändert. Mein Mann und meine Tochter haben<br />
stark darunter gelitten und sich um mich gesorgt.<br />
Wie geht es Ihnen jetzt unter Therapie?<br />
Ich bekomme einmal im Monat eine Spritze, ein Biologikum<br />
für EGPA. Das hält meine Lunge in Remission.<br />
Weiterhin gehe ich regelmäßig zur Kontrolle ins Uniklinikum.<br />
Aber ich bin nach wie vor krankgeschrieben.<br />
Das Leben ist nicht mehr das Gleiche. Auch jetzt noch<br />
brauche ich viel Kraft, um wieder normal am Leben teilzunehmen.<br />
Gemeinsame Unternehmungen mit meiner<br />
Familie und dem Arbeitsalltag mit Tatendrang gegenüberstehen:<br />
das ist mein Ziel.<br />
Ist ihr Umfeld eine Stütze? Oder haben Sie Hilfe?<br />
Aktuell habe ich die Krankheit einigermaßen im Griff.<br />
Alle Dinge, die ich allein machen kann, versuche ich<br />
zu organisieren und damit mein Umfeld nicht zu belasten.<br />
Auch meine Therapie hat mir geholfen, mit der<br />
Schwere meiner Krankheit umzugehen und nach vorne<br />
zu schauen. Weiterhin helfen mir mein Job und meine<br />
Tiere, die Gedanken auf etwas anderes zu lenken. Durch<br />
die Uniklinik und die Ärzte vor Ort fühle ich mich gut<br />
betreut und biete gerne meine Hilfe an. Ich stelle mich<br />
den forschenden Studenten zur Verfügung, die mein<br />
Blut untersuchen und Informationen zu der Krankheit<br />
sammeln, um so einen Beitrag zur Erforschung der<br />
Krankheit zu leisten.<br />
Weitere Unterstützung finden Betroffene und deren<br />
Angehörige bei dem bundesweit tätigen<br />
Verein Vaskulitis e. V.<br />
Wie lange hat es gedauert, bis nach den ersten Beschwerden<br />
die Diagnose gestellt wurde und was waren<br />
in dieser Zeit die größten Herausforderungen<br />
für Sie?<br />
Die Symptome wurden von Jahr zu Jahr stärker und<br />
ich musste mein Leben komplett einschränken. 2014<br />
war auch meine Lunge betroffen, Kalkablagerungen in<br />
meinem Körper führten zu einer Knie-OP und alles wurde<br />
als Folge der systemischen Sklerose gesehen. 2017 ver-<br />
Gibt es etwas, was Sie sich an Verbesserungen für<br />
Betroffene wünschen würden?<br />
Vor 25 Jahren war die Forschung noch in den Kinderschuhen<br />
und man konnte nicht darauf schließen, dass ich<br />
unter EGPA leide. Mittlerweile gibt es mehrere Medikamente<br />
und Therapien, um die Symptome zu bekämpfen.<br />
Die Koordination der Ärzte und das Zeitmanagement<br />
raubt viel Kraft und Nerven, da brauch es einfach eine<br />
bessere Struktur in unserem Gesundheitssystem.<br />
Hauptstraße 6,<br />
54526 Landscheid/Eifel<br />
Tel.: 06575-9014995<br />
Fax: 06575-903794<br />
Mail: info@vaskulitisverein-rlp.de<br />
Mehr Informationen finden Sie auf unserer Webseite<br />
www.vaskulitisverein-rlp.de<br />
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG entstanden.<br />
Der Wolf im Asthma-Pelz<br />
Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA)<br />
Gerade in der kalten Jahreszeit leiden Asthma-Patienten häufig unter einer Verschlechterung ihrer<br />
Erkrankung oder treten Asthma-Symptome wie Atemnot mit oder ohne Reizhusten sowie ein Engegefühl<br />
in der Brust das erste Mal auf. Manchmal steckt hinter dem Asthma die Autoimmunerkrankung EGPA,<br />
die im Laufe der Zeit noch weitere Organe des Körpers angreift und bei besonders schweren Fällen tödlich<br />
verlaufen kann. Pro Jahr treten in Deutschland nur etwa 1.000 bis 1.500 neue Fälle von EGPA auf, was sie zu<br />
einer seltenen Erkrankung macht.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK_1139638805<br />
Dr. Sabine<br />
Lampert<br />
Fachärztin für<br />
Innere Medizin und<br />
Pneumologie<br />
(Lungenfachärztin)<br />
und Leiterin der<br />
Lungenpraxis<br />
„Lunge im Zentrum“<br />
Frau Dr. Lampert, wie oft haben Sie<br />
in Ihrer Praxis bereits Patient:innen<br />
erlebt, hinter deren Asthma sich<br />
eine EGPA verbarg, und wie sind Sie<br />
ihr auf die Schliche gekommen?<br />
Tatsächlich habe ich das schon mehrfach erlebt.<br />
Asthma bronchiale ist eine Erkrankung<br />
mit ganz unterschiedlichen Ursachen. Bei einigen<br />
Patient:innen entwickelt es sich langsam<br />
aus einem Heuschnupfen, bei anderen beginnt<br />
es plötzlich z. B. nach einem Infekt. Bei allen<br />
wollen wir mit der Therapie das Asthma unter<br />
Kontrolle bringen, d. h. der/die Erkrankte<br />
nimmt seine Medikamente und spürt sonst<br />
nichts vom Asthma. Wenn das nicht gelingt,<br />
muss man überlegen, warum nicht und dabei<br />
auch an seltene <strong>Erkrankungen</strong> denken. Aber es<br />
gibt auch andere Szenarien, die einen als Arzt/<br />
Ärztin aufhorchen und an eine EGPA denken<br />
lassen sollten. So erzählte mir ein Patient, der<br />
zwar seitens seines Asthmas beschwerdefrei<br />
war, von Herzproblemen und einer Nervenentzündung<br />
im Bein! Bei einer anderen Asthmatikerin<br />
fielen mir bestimmte Blutwerte im bei<br />
uns standardmäßig durchgeführten großen<br />
Blutbild auf. Es zeigte erhöhte Eosinophile, eine<br />
bestimmte Art der weißen Blutkörperchen, die<br />
zu bestimmen grundsätzlich wichtig für die<br />
Asthmatherapie ist und deren starke Erhöhung<br />
auf eine EGPA hinweisen kann.<br />
Wieso wird die EGPA häufig erst so spät<br />
diagnostiziert? Was ist die besondere<br />
Schwierigkeit?<br />
Ich glaube, das grundsätzliche Problem ist, dass<br />
die EGPA so unterschiedliche Beschwerden machen<br />
kann, die völlig unzusammenhängend erscheinen.<br />
Die Schwierigkeit für mich persönlich<br />
ist, unter den vielen Asthmatiker:innen, die ich<br />
jeden Tag sehe, den/diejenige mit EGPA herauszufinden.<br />
Man muss in dieser täglichen Routine<br />
hellhörig sein und genau hinsehen. Nicht nur<br />
das Asthma sehen und behandeln, sondern den<br />
Menschen mit dem Asthma. Das ist zwar eine<br />
Plattitüde, aber nichtsdestotrotz wahr.<br />
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es<br />
heute für die Betroffenen?<br />
Das Asthma wird bei Vorliegen einer EGPA genauso<br />
behandelt, wie andere Asthmaformen<br />
auch. Bei einem unkontrollierbaren, schweren<br />
Verlauf stehen uns moderne Biologika zur Verfügung.<br />
Für die EGPA an sich ist häufig der<br />
Einsatz von Kortison notwendig, eventuell von<br />
weiteren Immunsuppressiva, und auch moderne<br />
zielgerichtete Therapien können eingesetzt<br />
werden. Dafür sind Rheumatologen die Experten<br />
und führen die Therapie. Die gute Zusammenarbeit<br />
mit ihnen ist enorm wichtig und ich<br />
bin sehr froh, dass dies mit meinen rheumatologischen<br />
Kollegen der Fall ist.<br />
NP-DE-MPL-ADVR-230001; 01/2023
12<br />
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />
Morbus Fabry –<br />
eine Erbschaft mit Folgen<br />
FOTO: PRIVAT<br />
Der Morbus Fabry ist eine erblich bedingte Stoffwechselstörung.<br />
Betroffenen fehlt ein Enzym zum Aufspalten bestimmter<br />
Fette. Die lagern sich infolgedessen in verschiedenen<br />
Organen ab und schädigen sie zunehmend. Judith Roth<br />
bekam die Diagnose Morbus Fabry mit 55. Hier berichtet sie<br />
über ihren Alltag mit der lysosomalen Speicherkrankheit<br />
– einer Erbschaft mit Folgen.<br />
Text Doreen Brumme<br />
Frau Roth, wie zeigte sich Ihr Morbus<br />
Fabry und wann erhielten Sie Ihre<br />
Diagnose?<br />
Ich hatte keinerlei beunruhigende<br />
Symptome. Gegen meinen Bluthochdruck<br />
nahm ich seit Jahren Medikamente.<br />
Bei der regelmäßigen Kontrolle<br />
beim Nephrologen fiel immer mal wieder<br />
zu viel Eiweiß im Urin auf, ich schluckte dann Antibiotika.<br />
Mit Mitte 40 spürte ich, dass ich körperlich nicht<br />
mehr ganz so fit war wie früher, ich wurde schneller<br />
müde, konnte mich mitunter nur schwer konzentrieren.<br />
Das schob ich aber auf die Wechseljahre. Im Jahr 2017<br />
bekam meine Schwester plötzlich Herzprobleme, deren<br />
Ursache lange keiner erklären konnte – bis ein Gentest<br />
ihr schließlich einen Morbus Fabry bescheinigte.<br />
Meine Schwester fand schnell heraus, dass dieser über<br />
das X-Chromosom des Vaters an alle Töchter vererbt<br />
wird, und sprach mich daraufhin an. Ein Gentest brachte<br />
mir meine Diagnose 2018. Bei den anschließenden<br />
Untersuchungen zeigten sich bei mir typische Symptome:<br />
Meine Herzwand war verdickt und der Herzmuskel<br />
vergrößert. Ein aktuelles Kopf-MRT (Magnet-Resonanz-<br />
Tomographie) ergab zudem leichte Ablagerungen im<br />
Gehirn, und neben dem Herz ist auch meine Niere inzwischen<br />
leicht betroffen.<br />
Der Austausch mit<br />
anderen Betroffenen<br />
in der Morbus Fabry<br />
Selbsthilfegruppe ist eine<br />
große Hilfe für mich.<br />
Noch ist ein Morbus Fabry zwar unheilbar – doch<br />
er ist gut behandelbar. Lassen Sie sich therapieren,<br />
und wie geht es Ihnen unter der Therapie?<br />
Ich bin, wie auch mein Sohn, seit drei Jahren in Behandlung,<br />
zuerst bei Spezialisten in Mainz, inzwischen<br />
in Heidelberg. Ich bekomme eine Enzymersatztherapie,<br />
das heißt, dass mir alle 14 Tage ein synthetisches Enzym<br />
in die Blutbahn gegeben wird, anfangs in der Klinik,<br />
mittlerweile zu Hause. Meine Tochter startet demnächst<br />
mit ihrer Therapie.<br />
Die Infusionen vertrage ich gut. Manchmal bin ich danach<br />
etwas erschöpft, aber das hat sicher auch noch andere<br />
alltägliche Ursachen. Vergangenes Jahr hatte ich<br />
plötzlich Herzrhythmusstörungen, was für Menschen<br />
wie mich – mit „Baustelle am Herzen“ – nicht untypisch<br />
ist. Mit einer Kardioversion konnte der zu schnelle Herzrhythmus<br />
wieder normalisiert werden (Sinusrhythmus).<br />
Wirklich beeinträchtigt fühle ich mich von meinem<br />
Morbus Fabry nicht – noch ist er kein Störfaktor. Zum<br />
Glück ist er bislang auch schmerzlos.<br />
Ein Morbus Fabry ist chronisch, er bleibt Ihr Leben<br />
lang. Wie läuft der Alltag damit?<br />
Ich habe mich arrangiert. Es dauerte zwar, bis ich mir<br />
vor zwei Jahren eingestand, dass mir mein Job in der<br />
Augenarztpraxis zu stressig geworden war. Doch heute<br />
arbeite ich im Gemeindebüro einer evangelischen<br />
Kirche in Wiesbaden – und der Wechsel tat mir gut.<br />
Die regelmäßige Heimtherapie ist ein Termin im Kalender<br />
wie jeder andere auch. Mit der Erschöpfung, die<br />
mich begleitet, habe ich umzugehen gelernt. Spüre ich<br />
sie, gebe ich meinem Körper, was er braucht: Ruhe. Ich<br />
lege mich hin und sage auch mal die eine oder andere<br />
geplante Unternehmung ab, gerade in für alle sowieso<br />
stressigen Zeiten wie vor Weihnachten: Da sinkt meine<br />
Belastbarkeit spürbar und ich bin auch psychisch schon<br />
mal etwas angeschlagen. Hilfreich ist für mich dann oft<br />
der Austausch mit anderen Betroffenen in der Morbus-<br />
Fabry-Selbsthilfegruppe.<br />
Morbus Fabry<br />
Selbsthilfegruppe e. V.<br />
In Deutschland sind derzeit etwa 1.200 Morbus Fabry-<br />
Patienten diagnostiziert, wobei eine hohe Dunkelziffer vermutet<br />
wird. Es ist eine Erbkrankheit, die zu Beginn sehr unspezifische<br />
Auswirkungen hat: Schmerzen in den Gelenken, Flecken auf<br />
der Haut oder extreme Müdigkeit. Auch Brennschmerzen in<br />
den Händen und Füßen, die bereits Betroffene im Kindesalter<br />
bemerken, können ein Hinweis auf die Erkrankung sein. So wird<br />
die Krankheit häufig erst festgestellt, wenn sie schon große<br />
Schäden angerichtet hat: starke Nierenschädigung, Schlaganfall<br />
in jungen Jahren oder extreme Vergrößerung des Herzmuskels.<br />
Unbehandelt kann sich die Lebenszeit Betroffener um<br />
bis zu 25 Jahre verkürzen. Seit 20 Jahren gibt es für Patienten<br />
mit Morbus Fabry wirkungsvolle Therapien, die die Erkrankung<br />
stoppen oder verlangsamen. Je früher sie erkannt wird, umso<br />
geringer sind die bleibenden Schäden. Doch gibt es nur wenige<br />
gute Behandlungszentren für diese seltene Erkrankung.<br />
Es ist wichtig, dass wir als Gruppe von betroffenen Patienten<br />
sichtbarer werden, uns gegenseitig mit Informationen über<br />
Kliniken und neue Therapieansätze versorgen – auch im<br />
persönlichen Austausch. Mit mittlerweile 160 Mitgliedern<br />
versucht die Morbus Fabry Selbsthilfegruppe (MFSH) unter<br />
anderem, in der Politik und in der Forschung auf dieses Krankheitsbild<br />
aufmerksam zu machen. Zusammen sind wir stark:<br />
Je mehr Menschen uns als Mitglieder unterstützen, umso mehr<br />
Gehör bekommen wir!<br />
Weitere Informationen unter: www.fabry-shg.org<br />
Was fühlten Sie in dem Moment der Diagnose?<br />
Nach dem ersten Schock sagte ich mir: „Judith. Du hast<br />
55 Jahre ohne große gesundheitliche Probleme gelebt.<br />
Das ist jetzt so. Da musst du künftig eben drauf achten.“<br />
Ich war Arzthelferin bei einem Augenarzt – der „professionelle“<br />
Hintergrund half mir, die Diagnose zu schlucken.<br />
Viel schwerer dagegen fiel es mir, meinen Kindern<br />
davon zu berichten und ihnen zu sagen, dass ich ihnen<br />
den Morbus Fabry vererbt haben könnte: Das Risiko lag<br />
bei 50:50.<br />
Bestätigte sich Ihre Befürchtung?<br />
Leider ja. Sowohl mein Sohn als auch meine Tochter,<br />
heute beide über 30, haben einen Morbus Fabry. Unsere<br />
„familiäre Mutation“ der Erkrankung ist zwar nicht ganz<br />
so gravierend, aber bei meinem Sohn zeigten sich bereits<br />
erste Anzeichen an den Nieren. Es ist krankheitstypisch,<br />
dass Männer meist früher und stärker davon betroffen<br />
sind. Bei meiner Tochter waren die Testbefunde glücklicherweise<br />
bislang negativ.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK_1494978623
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 13<br />
Auch das <strong>Seltene</strong><br />
im Blick haben<br />
Morbus Fabry ist eine seltene monogenetische Stoffwechselstörung, die zu den lysosomalen<br />
Speichererkrankungen gehört. Was viele Betroffene eint, ist der oftmals lange Leidensweg bis zur Diagnose.<br />
Wir sprachen mit Prof. Dr. Christine Kurschat, Leiterin der Morbus Fabry Spezialambulanz am UK Köln,<br />
über die seltene Erkrankung.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK_1662240391<br />
Text Miriam Rauh<br />
Prof. Dr. Christine<br />
Kurschat<br />
Internistin, Nephrologin,<br />
Transplantationsmedizinerin,<br />
Hypertensiologin<br />
DHL und Leiterin<br />
der Spezialambulanz<br />
Morbus Fabry<br />
am UK Köln<br />
Morbus Fabry wird auch als das<br />
„Chamäleon unter den seltenen<br />
<strong>Erkrankungen</strong>“ bezeichnet.<br />
Warum?<br />
Morbus Fabry kann sehr viele verschiedene<br />
Symptome in unterschiedlichen Bereichen<br />
hervorrufen, zum Beispiel an der Niere,<br />
in den Blutgefäßen oder am Herzen, auch<br />
frühe Schlaganfälle können ein Zeichen sein.<br />
Fabry-Patienten weisen aber nie alle Symptome<br />
auf und auch innerhalb der gleichen<br />
Familie sind die Symptome der einzelnen Betroffenen<br />
oft ganz unterschiedlich.<br />
Was passiert bei der Erkrankung im Körper?<br />
Bei Morbus Fabry kann ein bestimmter Stoff<br />
nicht abgebaut werden, weil das Enzym<br />
Alpha-Galaktosidase fehlt, bzw. nicht richtig<br />
funktioniert. Das führt dazu, dass die Fettstoffe,<br />
Glykosphingolipide, die das Enzym<br />
normalerweise spaltet, sich im Gewebe und in<br />
zahlreichen Organen anreichern, insbesondere<br />
das Globotriaosylceramid, GL-3 oder Gb3.<br />
Diese Anreicherung lässt sich bereits in der<br />
Plazenta nachweisen. Die klinischen Auswir-<br />
kungen zeigen sich erst später, allerdings kann<br />
Morbus Fabry schon im Kindes- und Jugendalter<br />
zu Beschwerden führen, wie brennenden<br />
Schmerzen an Händen und Füßen, die in Wellen<br />
auftreten und durch bestimmte Umstände wie<br />
körperliche Anstrengung oder fiebrige Infekte<br />
ausgelöst werden. Oft wird dies als Wachstumsschmerz<br />
abgetan, aber man sollte bei solchen<br />
Symptomen immer auch daran denken, dass<br />
eine seltene Erkrankung dahinterstecken kann.<br />
Wie lange dauert es durchschnittlich bis zur<br />
Diagnose?<br />
Bis zur Diagnose können durchaus zehn bis<br />
fünfzehn Jahre vergehen, manchmal mehr. Das<br />
liegt daran, dass die Symptome, die sich anfangs<br />
zeigen, meist sehr unspezifisch sind.<br />
Es gibt ca. 8000 verschiedene seltene <strong>Erkrankungen</strong>;<br />
man denkt zunächst an die häufigen,<br />
bis man sich unter den seltenen auf Ursachenforschung<br />
macht. Wenn etwas nicht ins Bild<br />
passt, beispielsweise eine seltsame Hautveränderung,<br />
merkwürdige Einlagerungen in der<br />
Hornhaut oder ein dickeres Herz, ohne dass ein<br />
Bluthochdruck vorliegt, könnte dies auf Morbus<br />
Fabry hinweisen.<br />
Welche Rolle spielt die Familienanamnese?<br />
Da es sich um eine erbliche Erkrankung handelt,<br />
ist sie sehr wichtig. Im Fabry-Zentrum machen<br />
wir bei der Erstvorstellung immer eine ausführliche<br />
Familienanamnese und zeichnen auch den<br />
Stammbaum auf. Wenn ein Betroffener Morbus<br />
Fabry hat, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es<br />
innerhalb der gleichen Familie weitere Betroffene<br />
gibt, die eine Therapie benötigen.<br />
Vor zwanzig Jahren wurde die erste kausale<br />
Therapie für Fabry-Betroffene zugelassen.<br />
Was hat sich seitdem getan?<br />
Es ist gut, dass wir die Therapie haben, die Daten<br />
sind sehr überzeugend. Wir können Krankheitsverläufe<br />
verlangsamen und Lebenszeit verlängern.<br />
Allerdings kann man Morbus Fabry bislang nicht<br />
komplett zum Stillstand bringen. Für den Therapieerfolg<br />
spielt eine Rolle, ob die Erkrankung früh<br />
entdeckt wurde oder ob schon Organe geschädigt<br />
sind. Es müssen nicht alle Betroffenen therapiert<br />
werden.<br />
ANZEIGE<br />
Morbus Fabry in der Familie?<br />
Information für Betroffene und deren Angehörige<br />
Morbus Fabry ist eine genetische Erkrankung, die<br />
über mehrere Generationen einer Familie vererbt<br />
werden kann. Das heißt: Wenn eine Person in einer<br />
Familie die Diagnose Morbus Fabry hat, können andere<br />
Familienangehörige ebenfalls betroffen sein.<br />
Eine ausführliche Analyse des Familienstammbaums<br />
ist daher sehr wichtig für Betroffene und<br />
deren Angehörige.<br />
Ich bin betroffen – Was nun?<br />
Ist die Diagnose Morbus Fabry gestellt, dann ist es<br />
für Betroffene wichtig zu wissen, was die eigene<br />
Diagnose für Familienangehörige bedeuten kann<br />
und wer aufgrund des Vererbungsmusters ein erhöhtes<br />
Risiko für Morbus Fabry hat. Hier kommt<br />
die neue Website www.fabryfamilytree.de ins<br />
Spiel, die Betroffenen umfassende Informationen<br />
und Hilfestellungen an die Hand geben möchte.<br />
Dazu gehören grundlegende Informationen, wie<br />
die Erkrankung vererbt wird und wer in der<br />
Familie ein erhöhtes Risiko hat. Über ein Online<br />
Stammbaum-Tool kann man zusammen mit seinem<br />
behandelnden Arzt seinen individuellen Fabry-<br />
Stammbaum erstellen und für die persönliche Nutzung<br />
herunterladen, um Angehörige mit erhöhtem<br />
Fabry-Risiko gezielt informieren zu können. Die<br />
Daten werden streng vertraulich behandelt. Die<br />
Website gibt professionelle Hilfestellung, wie man<br />
Angehörige mit erhöhtem Risiko dann darauf ansprechen<br />
und sie aufklären kann. Dazu gehört auch<br />
eine Briefvorlage, die man nutzen kann, wenn eine<br />
direkte Ansprache sich schwierig gestalten sollte.<br />
PSYCHOSOZIALE<br />
ASPEKTE<br />
• Depression<br />
• Angstzustände<br />
• Panikattacken<br />
• Isolation<br />
AUGEN<br />
• Wirbelförmiges<br />
Muster auf der<br />
Hornhaut<br />
• Fabry-Katarakt<br />
(eine bestimmte<br />
Form der Linsentrübung)<br />
NIEREN<br />
• Eiweiß im Urin<br />
• Verminderte<br />
Nierenfunktion<br />
• Nierenversagen<br />
HAUT<br />
• Vermindertes Schwitzen<br />
• Kleine dunkelrote Punkte, die als Angiokeratome<br />
bezeichnet werden, vor allem<br />
zwischen Bauchnabel und Knien<br />
NERVENSYSTEM<br />
• Starke Schmerzen, die<br />
Minuten bis Stunden andauern<br />
• Hörverlust, Tinnitus<br />
• Hitze- oder Kälteunverträglichkeit<br />
oder Belastungsintoleranz<br />
• Transitorisch-ischämische<br />
Attacke (TIA) und Schlaganfall<br />
• Brennen der Hände und Füße,<br />
auch als Akroparästhesie bezeichnet<br />
• Schwindel<br />
HERZ<br />
• Unregelmäßiger<br />
Herzschlag (schnell<br />
oder langsam)<br />
• Herzanfall oder<br />
Herzversagen<br />
• Vergrößertes Herz<br />
MAGEN-DARM<br />
• Übelkeit und<br />
Erbrechen<br />
• Durchfall und/oder<br />
Verstopfung<br />
• Bauchschmerzen<br />
• Blähungen<br />
Informationen für Familienangehörige mit<br />
erhöhtem Fabry Risiko<br />
Auf der Website gibt es aber auch für Angehörige<br />
von Morbus Fabry-Patienten detaillierte Informationen,<br />
die dabei helfen sollen, die Erkrankung zu<br />
verstehen und warum sie selbst ein erhöhtes Risiko<br />
haben. Dabei ist eines sehr wichtig: ein erhöhtes<br />
Risiko bedeutet nicht zwangsläufig, dass man<br />
tatsächlich auch betroffen ist.<br />
Daher sollten Angehörige, die laut Stammbaum<br />
ein erhöhtes Risiko haben, unbedingt einen Arzt<br />
ansprechen und weitere Untersuchungen durchführen<br />
lassen. Das kann der eigene Hausarzt oder<br />
aber der Fabry-Spezialist des betroffenen Angehörigen<br />
sein. Der Arzt entscheidet dann, ob ggf.<br />
auch eine genetische Testung sinnvoll ist.<br />
Informationen für das Fachpersonal<br />
Aber auch medizinisches Fachpersonal findet auf<br />
der Website Materialien und Hilfestellungen, wenn<br />
es darum geht, Fabry-Patienten oder deren Angehörige<br />
zu beraten und aufzuklären. Dazu gehört<br />
ebenfalls die Nutzung des Online Stammbaum-<br />
Tools in Zusammenarbeit mit dem Patienten, sowie<br />
weitere Broschüren, die beim Familienscreening<br />
unterstützen sollen.<br />
Informieren Sie sich unter<br />
www.fabryfamilytree.de
14<br />
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />
Neue Behandlungsansätze für das<br />
Bardet-Biedl-Syndrom: Im Fokus<br />
steht, die große Last der Erkrankung für<br />
Betroffene zu mindern<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK_1347452750<br />
Patienten mit dem Bardet-Biedl-Syndrom leiden aufgrund einer genetischen Mutation unter einem<br />
unkontrollierbaren Hungergefühl, das bereits im Kindesalter zu sehr starkem Übergewicht führt.<br />
Betroffene leiden darunter oft sehr und fühlen sich isoliert.<br />
Text<br />
Hanna Sinnecker<br />
Dr. med.<br />
Metin Cetiner<br />
Oberarzt und<br />
Facharzt für Kinderund<br />
Jugendmedizin,<br />
Kindernephrologe,<br />
Transplantationsmediziner,<br />
Pädiatrische<br />
Sonographie<br />
(Universitätsklinikum<br />
Essen)<br />
Weitere<br />
Informationen<br />
zum NEOCYST-<br />
Forschungsprogramm<br />
unter:<br />
www.neocyst.de<br />
Weitere<br />
Informationen zum<br />
Patientenseminar<br />
des Arbeitskreises<br />
Bardet-Biedl-<br />
Syndrom finden<br />
Sie im Veranstaltungskalender<br />
der<br />
PRO RETINA e. V.<br />
unter:<br />
www.pro-retina.de<br />
Das Bardet-Biedl-Syndrom ist eine seltene<br />
genetisch bedingte Erkrankung<br />
und gehört zu den sogenannten Ziliopathien.<br />
Sie wirkt sich als Multisystemerkrankung<br />
auf den gesamten Körper Betroffener<br />
aus. Wir sprachen mit Dr. Metin Cetiner, der<br />
sich unter anderem auf die Behandlung dieser<br />
sehr belastenden Erkrankung spezialisiert hat.<br />
Herr Dr. Cetiner, das Bardet-Biedl-Syndrom<br />
(BBS) ist eine seltene genetisch bedingte<br />
Erkrankung. Was macht die Diagnose für<br />
Mediziner so schwer?<br />
Zunächst natürlich die Seltenheit. In unserem<br />
Register haben wir ca. 170 Betroffene in Deutschland,<br />
wobei die tatsächliche Zahl vermutlich<br />
etwa fünf- bis zehnmal so hoch ist. Zudem gibt<br />
es sechs Leitsymptome, die in verschiedenen Bereichen<br />
des Körpers und auch nicht gleichzeitig<br />
auftreten. Die Herausforderung ist daher, überhaupt<br />
erst einmal den richtigen Verdacht auf<br />
BBS zu haben.<br />
Wie sehen diese Leitsymptome aus, und wie<br />
kann die Diagnose gestellt werden?<br />
Das erste Symptom ist die sog. Polydaktylie<br />
(Mehrfingrigkeit): Manche Betroffene haben<br />
bei Geburt einen ganzen Finger oder Zeh mehr,<br />
manche haben verkürzte oder zusammengewachsene<br />
Finger oder Zehen. Hinzu kommen<br />
Nierenauffälligkeiten wie zu große bzw. zu<br />
kleine Nieren mit veränderter Binnenstruktur<br />
und teilweise Zysten. Etwa ab dem 6. Lebensmonat<br />
zeigt sich zudem eine starke, fortschreitende<br />
Übergewichtigkeit, denn durch eine Genmutation<br />
funktioniert das Sättigungszentrum im<br />
Gehirn nicht, Betroffene kennen also das Gefühl<br />
„Ich bin satt“ nicht und entwickeln ein unkontrolliertes<br />
gesteigertes Essverhalten (sog. Hyperphagie).<br />
Insgesamt zeigt sich bei den Kindern<br />
eine Entwicklungsverzögerung speziell beim<br />
Laufen- und Sprechenlernen. Zudem kommen<br />
betroffene Kinder mit Veränderungen nicht gut<br />
zurecht, sind stark routineliebend und haben<br />
eine niedrige Frustrationsgrenze. Hinzu kommt<br />
der Hypogenitalismus, also eine Unterentwicklung<br />
der Geschlechtsorgane. Männliche Betroffene<br />
haben einen Mikropenis und die Hoden<br />
können in der Leiste verortet sein. Weibliche Betroffene<br />
können Veränderungen an der Vagina,<br />
den Schamlippen oder der Gebärmutter aufweisen,<br />
was aber häufiger übersehen wird, da ein<br />
Ultraschall vonnöten wäre, um diese Veränderungen<br />
zu entdecken. Das Symptom, das am spätesten<br />
auftritt, aber am deutlichsten auf ein BBS<br />
hinweist, ist die Netzhautdegeneration: Betroffene<br />
verlieren zunehmend ihre Sehfähigkeit. Das<br />
zeigt sich schon im Vorschulalter durch Nachtblindheit<br />
(Angst und Orientierungsschwäche im<br />
Dunkeln) und Lichtempfindlichkeit. Deutlich<br />
zeigen sich die Beschwerden dann in der Puber-<br />
tät (typischer Tunnelblick) und verschlechtern<br />
sich recht schnell, sodass Betroffene im Übergang<br />
zum Erwachsenenalter meist nur noch einen<br />
Visus von fünf bis zehn Prozent haben und<br />
somit per definitionem blind sind.<br />
Die Diagnose an sich kann recht unkompliziert<br />
durch einen Gentest gestellt werden. Durch die<br />
Bandbreite der Symptome gibt es aber große<br />
Unterschiede, wann die Diagnose erfolgt. Wird<br />
das BBS nicht im Kindes- oder Jugendalter diagnostiziert,<br />
dann ist die Gefahr sehr hoch, dass die<br />
Betroffenen erst sehr spät oder nie diagnostiziert<br />
werden.<br />
Wie sehen die Behandlungsmöglichkeiten<br />
derzeit aus, und können die verfügbaren<br />
Therapien die Lebensqualität Betroffener<br />
verbessern?<br />
Bisher gibt es keine Therapie gegen das gesamte<br />
Symptomspektrum des BBS, aber es wird intensiv<br />
an einer möglichen Gentherapie geforscht.<br />
Bezüglich der Netzhautdegeneration kann man<br />
nur begleitende Maßnahmen in die Wege leiten,<br />
aufhalten kann man den Sehverlust bisher leider<br />
nicht. Auch die starke Übergewichtigkeit bedeutet<br />
eine enorme Last für die Betroffenen und ihre<br />
Familien. Eltern versuchen, das unter Kontrolle<br />
zu halten, sperren das Essen weg und schließen<br />
teils sogar den Kühlschrank ab, das Thema (zu<br />
viel) Essen ist allgegenwärtig. Betroffene Kinder<br />
ziehen sich zurück und leiden sehr stark<br />
unter ihrem Anderssein. Denn wir sprechen von<br />
schwerstem Übergewicht, das die Kinder und<br />
jungen Erwachsenen besonders in Kombination<br />
mit den anderen Symptomen vom normalen<br />
Leben ausschließt.<br />
Ein weiteres Symptom, das auf das Bardet-Biedl- Syndrom<br />
hinweisen kann, sind überzählige Finger oder<br />
Zehen. Diese werden aber oft direkt nach der Geburt<br />
operativ entfernt, ohne dass an diese Erkrankung als<br />
Ursache gedacht wird.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK_1407840644<br />
Hier wurde kürzlich ein neues Medikament<br />
zugelassen, das die erste und einzige kausale<br />
Therapie gegen den spezifischen Gendefekt darstellt,<br />
der das Sättigungszentrum außer Kraft<br />
setzt. Dieses Medikament kompensiert den Gendefekt<br />
durch einen MC4R-Rezeptor-Agonisten,<br />
der das Sättigungszentrum wieder aktiviert,<br />
wodurch es laut aktueller Studienlage bei vielen<br />
Patientinnen und Patienten zu einem deutlich<br />
reduzierten Hungergefühl und infolgedessen zu<br />
einer starken Gewichtsreduktion kommt. Auf<br />
dieses Medikament setzen viele Betroffene sehr<br />
viel Hoffnung.<br />
Die größte<br />
Unterstützung können<br />
sich Betroffene und<br />
Angehörige gegenseitig<br />
geben.<br />
Betroffene und deren Familien/Angehörige<br />
erleben durch die Erkrankung eine starke<br />
Belastungssituation, die die Lebensqualität<br />
stark einschränken kann. Wo erfahren Betroffene<br />
Unterstützung?<br />
Die größte Unterstützung können sich Betroffene<br />
und deren Angehörige gegenseitig geben. In der<br />
Patientenvereinigung PRO RETINA e. V. gibt es<br />
einen Arbeitskreis zum Bardet-Biedl-Syndrom,<br />
in dem Betroffene und Eltern betroffener Kinder<br />
erfahren: Wir sind nicht allein! Vom 12. bis 14.<br />
Mai 2023 wird es in Bonn ein Patientenseminar<br />
der PRO RETINA geben, das eine tolle Möglichkeit<br />
der Vernetzung darstellt.<br />
Sie sind Ansprechpartner für das NEOCYST-<br />
Forschungsprogramm, das sich u.a. auf die<br />
Erforschung des BBS fokussiert. Welche Vorteile<br />
hat ein Patient, der sich an diesem Programm<br />
beteiligt?<br />
Wir vernetzen die behandelnden Ärzte und die<br />
Grundlagenforscher mit der BBS-Community,<br />
um die Erkrankung besser zu verstehen und im<br />
Idealfall neue Behandlungsansätze entwickeln<br />
zu können, die den Betroffenen zugutekommen.<br />
Dieser transparente Austausch schafft eine Win-<br />
Win-Win-Situation und erhöht die Motivation<br />
auf allen Seiten! Zudem ist das BBS in vielerlei<br />
Hinsicht eine Modellerkrankung, denn die<br />
Forschung an dieser Erkrankung hat uns schon<br />
viele Erkenntnisse beschert, die auch auf andere<br />
<strong>Erkrankungen</strong> anwendbar sind. Teilnehmende<br />
Betroffene werden also aktiver Teil der Forschergemeinschaft!
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 15<br />
Adipös, seheingeschränkt, entwicklungsverzögert –<br />
Wie das Bardet-Biedl-Syndrom das Leben Betroffener zu<br />
einer besonderen Herausforderung macht<br />
Das Bardet-Biedl-Syndrom (kurz BBS) ist eine seltene genetisch bedingte Erkrankung,<br />
die das Leben Betroffener extrem beeinträchtigt. Besonders der Verlust der Sehfähigkeit, die<br />
zum Teil stark eingeschränkte Nierenfunktion, vielfältige Entwicklungsverzögerungen und das starke,<br />
genetisch bedingte Übergewicht sind extrem belastend und schränken den Alltag in vielen Bereichen<br />
ein. Hinzu kommt die Stigmatisierung von außen, denn die Symptome können sie zur Zielscheibe<br />
ihrer Mitmenschen machen. Wir sprachen mit Maximilian Kerber (BBS-Patient) und Andrea Kierek<br />
(Mutter von zwei betroffenen Kindern) über die extreme Last der Erkrankung und die große Hoffnung<br />
auf zielgerichtete Therapien.<br />
Interviewpartner: Maximilian Kerber (Betroffener und Leiter des Arbeitskreises Bardet-Biedl-Syndrom<br />
der PRO RETINA e. V.) und Andrea Kierek (Mutter von zwei betroffenen Kindern)<br />
Text Hanna Sinnecker<br />
Herr Kerber, sie sind betroffen vom Bardet-<br />
Biedl-Syndrom (BBS). Wie und wann hat<br />
sich die Erkrankung bei Ihnen bemerkbar<br />
gemacht?<br />
Meine Mutter hat schon früh gemerkt, dass etwas nicht<br />
stimmt, und ist mit mir von Arzt zu Arzt gelaufen. Ich<br />
war immer ein wenig tollpatschig, da meine Grob- und<br />
Feinmotorik nicht richtig funktioniert. Zudem hatte ich<br />
bei meiner Geburt einen sechsten Zeh, der operativ entfernt<br />
wurde. Im Grundschulalter kamen der Sehverlust<br />
und das starke Übergewicht hinzu. Meine Eltern haben<br />
daher immer auf genügend Bewegung und eine ausgewogene<br />
Ernährung geachtet, damit das Übergewicht<br />
nicht überhandnimmt.<br />
Als ich sechs oder sieben war, hat erstmals ein Humangenetiker<br />
den Verdacht BBS geäußert. Damals, Anfang<br />
der 2000er, wurden meine Werte in die USA geschickt,<br />
wo dann auch die Diagnose gestellt wurde. Heute können<br />
bereits mehr als 20 verschiedene BBS-Gene ganz<br />
einfach erkannt werden. Da hat sich in den letzten Jahren<br />
vieles weiterentwickelt. Ab diesem Zeitpunkt wurde<br />
ich in einer Kinderklinik betreut. Später kam dann noch<br />
eine Entwicklungsverzögerung hinzu, meine Pubertät<br />
musste daher hormonell eingeleitet werden.<br />
Herr Kerber, wie sieht Ihr Alltag mit der Erkrankung<br />
aus und was sind die größten Herausforderungen?<br />
Das Thema der ausreichenden Bewegung, in Kombination<br />
mit dem Sehverlust und meiner gestörten Motorik,<br />
ist nicht immer einfach zu bewältigen, da man zusätzlich<br />
eingeschränkt und gehemmt ist. Die Gewichtskontrolle<br />
ist daher ein wichtiges Thema. Auch die Frage,<br />
welches Schulsystem für mich das richtige ist, war nicht<br />
leicht zu lösen. Ich habe das normale Regelschulsystem<br />
durchlaufen und mein Schulalltag war in bestimmten<br />
Bereichen auf mich angepasst, wo es notwendig war: Ich<br />
wurde z. B. beim Sportunterricht nicht nach Leistung beurteilt,<br />
oder ich habe Aufgabenstellungen aufgrund meiner<br />
Seheinschränkung größer ausgedruckt bekommen.<br />
Aber das Unverständnis seitens meiner Mitschüler hat<br />
mich durchgehend in der weiterführenden Schule begleitet.<br />
Später habe ich trotz der Erkrankung studiert und bin<br />
in den Beruf eingestiegen, was für viele Betroffene nicht<br />
oder nur zum Teil möglich ist. Was mich ständig begleitet,<br />
sind die massiven Einschränkungen durch den<br />
Sehverlust. Hier wird einem tagtäglich bewusst, dass<br />
man zu einem gewissen Teil eingeschränkt ist. Auch begleiten<br />
mich oft die Gedanken, wie es mit meiner noch<br />
gesunden Niere weitergehen wird, da dies auch ein häufiges<br />
Symptom der Erkrankung ist und auch erst zu einem<br />
späteren Zeitpunkt auftreten kann. Wie stark die Erkrankung<br />
im Zusammenspiel der Symptome mich im<br />
Alltag einschränkt, ist mir aber tatsächlich erst in den<br />
letzten Jahren bewusst geworden. Für Außenstehende<br />
war z. B. nicht nachvollziehbar, dass ich aufgrund der<br />
Seheinschränkung gewisse Dinge nicht wahrnehme oder<br />
Menschen ungewollt anremple. Da stößt man auf Unverständnis<br />
und verärgerte Mitmenschen. Seit zwei Jahren<br />
habe ich einen Blindenstock, der auch als eine Art „Erkennungszeichen“<br />
fungiert: Seitdem treffe ich auf viel<br />
größeres Verständnis und mehr Hilfsbereitschaft.<br />
Frau Kierek, Sie sind Mutter von zwei betroffenen<br />
Kindern. Was macht eine solche Diagnose mit den<br />
Eltern?<br />
Meine Kinder waren 11 und 14 bei der Diagnose, bis dahin<br />
hatten auch wir viele Ärzte und Kliniken gesehen.<br />
Zu erfahren, dass meine Kinder blind werden: Das war<br />
ein Schock. Da fragt man sich, wie die Kinder und man<br />
selbst das bewältigen soll. Auf der anderen Seite war es<br />
mit der Diagnose leichter, ihre Symptome zu erklären.<br />
Ich dachte schon immer, dass etwas <strong>Seltene</strong>s dahinterstecken<br />
könnte. Meine Tochter war wegen organischer<br />
Beschwerden, u.a. einer Nierentransplantation, oft im<br />
Krankenhaus. Dadurch war ihre Entwicklungsverzögerung<br />
leichter nachvollziehbar. Bei meinem Sohn war<br />
es schwieriger: Er hat autistische Züge und eine extreme<br />
Sprachbeeinträchtigung, das war komplizierter zu erklären.<br />
Und natürlich war auch das Übergewicht ein Problem,<br />
da es den Alltag sehr prägt und rund ums Essen<br />
viel Konfliktpotenzial bietet. In der Beziehung war die<br />
Diagnose schon eine gewisse Erleichterung, da wir nun<br />
wussten, was hinter den Beschwerden steckt, und etwas<br />
gelassener damit umgehen konnten.<br />
Oftmals sind die direkten Angehörigen diejenigen,<br />
die sensibler für den Gesundheitszustand Betroffener<br />
sind. Ist das auch bei Ihnen der Fall, und wie<br />
gehen Sie damit um?<br />
Kierek: Wir versuchen, unseren Kindern nicht all unsere<br />
Sorgen und Befürchtungen mitzuteilen, aber sprechen<br />
natürlich mit ihnen über die besonderen Herausforderungen,<br />
die sie haben. Wir versuchen, sie zu motivieren,<br />
dranzubleiben, auch wenn sie schon viele Dinge ausprobiert<br />
haben. Generell benötigen unsere Kinder aber sehr<br />
viel Betreuung und werden diese auch ihr Leben lang<br />
benötigen. Sie sind inzwischen 19 und 22 Jahre alt und<br />
werden nie so selbstständig sein wie Herr Kerber, der<br />
verheiratet ist, seiner Arbeit nachgeht und sein Leben<br />
selbstständig lebt. Von daher muss ich oft Entscheidungen<br />
für meine Kinder treffen.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK_1798021732<br />
Hatten Ihre Kinder auch mit Unverständnis im Umfeld<br />
zu kämpfen?<br />
Mein Sohn ist generell eher zurückhaltend und hat sich<br />
mit seiner besonderen Rolle irgendwie arrangiert, er<br />
würde solche Punkte nie von sich aus ansprechen. Meine<br />
Tochter ist sehr kontaktfreudig und hatte stärker damit<br />
zu kämpfen, in der Schule wurde sie oft sehr gemobbt.<br />
Sie hat zwar immer irgendwie ihren Weg gefunden und<br />
auch viele einfühlsame und verständnisvolle Menschen<br />
getroffen. Aber da kommt man als Mutter schon an seine<br />
Grenzen, wenn die eigenen Kinder derartigen psychischen<br />
Belastungen ausgesetzt sind. Man versucht dann,<br />
die positiven Erlebnisse zu verstärken und das abzufedern.<br />
Sie sind beide aktiv im Arbeitskreis Bardet-Biedl-<br />
Syndrom in der PRO RETINA. Welche Rolle spielt für<br />
Sie beide die Vernetzung mit anderen Betroffenen,<br />
und was wünschen Sie sich hinsichtlich der Versorgung<br />
von Betroffenen?<br />
Kierek: Für mich war das erste BBS-Patientenseminar<br />
der PRO RETINA ein beeindruckendes Erlebnis. Bei der<br />
PRO RETINA hatte ich zum ersten Mal das Gefühl: Die<br />
wissen, wovon ich spreche und wie es uns geht. Jetzt,<br />
wo ich aktiv im Arbeitskreis tätig bin, ist es toll zu sehen,<br />
was an Forschung geschieht, wie gefragt die Patientinnen<br />
und Patienten diesbezüglich sind und was im Miteinander<br />
erreichbar ist.<br />
Kerber: Wir haben mit unserer Patientengruppe eine<br />
ganz tolle Gemeinschaft von Betroffenen, ihren Angehörigen<br />
und Forschern, die uns sehr unterstützen. Man ist<br />
nicht mehr allein und kann zudem die Forschung aktiv<br />
mitgestalten, wie zum Beispiel auch bei der ersten Therapie<br />
gegen die genetisch bedingte Adipositas in Zusammenhang<br />
mit dem BBS.<br />
Da waren wir von Anfang an eng eingebunden, damit<br />
das patientennah geschieht und wir unsere Eindrücke<br />
und Aspekte mit einbringen können.<br />
Deswegen ist die Finanzierung der Forschungsprojekte<br />
für mich ein ganz wichtiger Punkt. Es ist vieles auf den<br />
richtigen Weg gebracht, aber ich wünsche mir, dass es<br />
einfacher wird, Fördermittel zur Erforschung und Behandlung<br />
<strong>Seltene</strong>r <strong>Erkrankungen</strong> zu bekommen.<br />
Der größte Wunsch von ganz vielen Betroffenen ist aber<br />
sicher die Entwicklung von Therapien. Die neue Therapie<br />
gegen die Adipositas ist für uns ein erster Schritt in<br />
die richtige Richtung zur Behandlung des Bardet-Biedl-<br />
Syndroms. Wenn es dann noch gelingt, eine Therapie<br />
gegen den fortschreitenden Sehverlust zu entwickeln,<br />
wäre das ein riesiger Erfolg für die Betroffenen!<br />
Arbeitskreis Bardet-Biedl-Syndrom<br />
(BBS) der PRO RETINA<br />
Im Arbeitskreis Bardet-Biedl-Syndrom (BBS) haben sich Betroffene<br />
mit dieser Erkrankung und deren Angehörige zusammengeschlossen.<br />
Vielleicht haben Sie Fragen oder möchten gern<br />
Ihre Erfahrungen mit anderen Betroffenen austauschen. Der<br />
Erfahrungsaustausch in der PRO RETINA kann Eltern und Betroffenen<br />
helfen, diese Erkrankung anzunehmen, zu akzeptieren<br />
und zu meistern.<br />
Für weitere Informationen zum Bardet-Biedl-Syndrom scannen<br />
Sie den QR-Code, oder melden Sie sich per E-Mail unter:<br />
bbs@pro-retina.de<br />
Der Rare Diseases Run 2023:<br />
RUN FOR RARE!<br />
Der Rare Diseases Run ist ein virtueller inklusiver Charity-Lauf, an<br />
dem jeder teilnehmen kann! Ein großer Teil der Teilnahmegebühr<br />
geht automatisch an verschiedene Organisationen, die sich mit<br />
seltenen <strong>Erkrankungen</strong> befassen, darunter auch die<br />
Bardet-Biedl-Patientengruppe.<br />
Weitere Informationen zum Wettbewerb sowie Tickets<br />
finden Sie unter: www.laufenmachtgluecklich.de
16<br />
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />
Zielgerichtete Therapien bei Mukovoszidose:<br />
Die konsequente Durchführung der Behandlung soll Betroffenen ein<br />
normales und beschwerdefreies Leben ermöglichen<br />
Mukoviszidose, auch zystische Fibrose (CF) genannt, ist eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, die unbehandelt tödlich verläuft.<br />
Warum eine frühe Diagnose und eine kontinuierliche Behandlung so wichtig sind, erklärt Prof. Dr. med. Marcus A. Mall im Interview.<br />
Text Alexandra Lassas<br />
Herr Prof. Mall, die Mukoviszidose ist<br />
eine seltene Multiorganerkrankung<br />
und eine der wenigen seltenen <strong>Erkrankungen</strong>,<br />
die im Neugeborenen-Screening<br />
abgebildet ist. Warum ist es so wichtig, die Erkrankung<br />
möglichst früh zu diagnostizieren?<br />
Das Organ, das bei den meisten Patienten die<br />
stärksten Beschwerden verursacht, ist die Lunge.<br />
Dort entsteht aufgrund des Gendefektes, der<br />
der Mukoviszidose zugrunde liegt, ein besonders<br />
zäher Schleim, welcher die Atemwege verstopft.<br />
Das ist ein idealer Nährboden für Bakterien und<br />
führt bereits bei kleinen Kindern zu einer chronischen<br />
Infektion und Entzündung der Atemwege.<br />
Diese chronische Entzündung zerstört fortschreitend<br />
die Lunge. Unbehandelt erreichen<br />
betroffene Kinder kaum das Schulalter. Durch<br />
das Neugeborenen-Screening gibt es die Möglichkeit,<br />
die Erkrankung frühzeitig zu diagnostizieren<br />
und eine Therapie in die Wege zu leiten.<br />
Ein früher Therapiebeginn hat das Potenzial, die<br />
Entstehung von irreversiblen Organschäden, vor<br />
allem an der Lunge, zu verzögern oder gar zu vermeiden.<br />
Mit welchen Beschwerden haben Betroffene<br />
zu kämpfen?<br />
Neben der Lunge sind eine Reihe von weiteren<br />
Organsystemen betroffen: dazu gehören die<br />
Bauchspeicheldrüse, der Darm und die Leber.<br />
Etwa 85% der Betroffenen haben aufgrund angeborener<br />
Probleme mit der Bauchspeicheldrüse<br />
eine Verdauungsstörung, die sich durch Bauchschmerzen<br />
und chronische Durchfälle äußert.<br />
Hierdurch kommt es bereits bei kleinen Kindern<br />
zu einer Gedeihstörung, d.h. die Kinder nehmen<br />
nicht ausreichend an Gewicht zu. Weiterhin leiden<br />
sie durch die Schädigung der Lunge unter<br />
chronischem Husten und häufigen Infekten der<br />
Atemwege, bis hin zu Lungenentzündungen.<br />
Durch die Beeinträchtigung der Bauchspeicheldrüse<br />
kann zudem im weiteren Verlauf der Erkrankung<br />
ein Diabetes hinzukommen. Außerdem<br />
kann es zu Leberproblemen im Sinne einer<br />
Leberzirrhose kommen.<br />
Wie sehen die derzeitigen Therapieoptionen<br />
aus?<br />
Über lange Zeit konnten wir ausschließlich die<br />
Symptome der Erkrankung behandeln, das aber<br />
durchaus mit gutem Erfolg: denn so konnten<br />
wir die Lebenserwartung für Betroffene bereits<br />
auf über 40 Jahre steigern. Symptomorientiert<br />
bedeutet z. B. für die Verdauungsstörungen, dass<br />
die fehlenden Verdauungs-Enzyme der Bauchspeicheldrüse<br />
ersetzt werden, um damit die<br />
Durchfälle und Gedeihstörung zu behandeln.<br />
Für die Lunge bedeutet das eine lebenslange,<br />
schleimlösende Therapie: diese besteht zum<br />
einen aus einer schleimlösenden Inhalationstherapie<br />
unter Einsatz verschiedener schleimlösender<br />
Medikamente, und zum anderen aus<br />
Physiotherapie, um den Schleim aus der Lunge<br />
abzutransportieren. Die Atemwegsinfektionen<br />
werden mittels Inhalationen oder einer systematische<br />
Antibiotikagabe behandelt. Alle Inhalationen<br />
müssen mehrmals am Tag durchgeführt<br />
werden und beschäftigen die Betroffenen oft<br />
mehrere Stunden am Tag. Seit einigen Jahren<br />
gibt es einen kausalen Therapieansatz, der ein<br />
wahrer Durchbruch für Betroffene war, weil das<br />
eigentliche Problem an der Wurzel angepackt<br />
wird. Diese sogenannten CFTR-Modulatoren<br />
greifen an dem durch den Gendefekt fehlgefaltetem<br />
Protein an und setzen somit am Basisdefekt<br />
der Erkrankung an.<br />
Das Ziel ist, dass Betroffene<br />
möglichst lange ein<br />
normales, gesundes Leben<br />
führen können, ohne dass<br />
die Erkrankung das Steuer<br />
übernimmt.<br />
Seit einigen Jahren können wir so bis zu 90%<br />
der Betroffenen behandeln. Betroffene müssen<br />
dafür zweimal täglich Tabletten einnehmen,<br />
was gegenüber der rein symptomorientierten<br />
Behandlung einfach umzusetzen und viel weniger<br />
zeitintensiv ist.<br />
Zudem hat die systemische Verabreichung in<br />
Form einer Tablette den Vorteil, dass jedes<br />
betroffene Organ erreicht wird. Das ist ein echter<br />
Fortschritt, der zu einer enormen Verbesserung<br />
der Lebensqualität und voraussichtlich auch<br />
der Lebenserwartung führt. Dadurch kann eine<br />
potenziell tödliche Erkrankung zu einer behandelbaren,<br />
chronischen Erkrankung werden.<br />
Da es bisher noch keine Heilung für die Erkrankung<br />
gibt, müssen Betroffene ein Leben<br />
lang behandelt werden. Wie können Betroffene<br />
motiviert bleiben, an der Therapie dranzubleiben?<br />
Der langfristige Behandlungserfolg hängt wesentlich<br />
von einer lebenslangen und regelmäßig<br />
durchgeführten Therapie ab. Durch den Fortschritt<br />
der angesprochenen Kausaltherapie werden<br />
die Beschwerden deutlich weniger, was aber<br />
nicht zum Vergessen oder Auslassen der Einnahme<br />
führen darf. Daher ist vor allem auch bei<br />
Kindern und Jugendlichen auf eine regelmäßige<br />
Therapie zu achten. Die Betroffenen und ihre<br />
Familien müssen daher auch in Zukunft engmaschig<br />
betreut werden. Die Herangehensweise<br />
sollte sein, dass man mit einem frühen Therapiebeginn<br />
vor Auftreten der Beschwerden präventiv<br />
tätig wird, anstatt wie früher den Problemen<br />
hinterherzulaufen.<br />
Der Schlüssel ist zudem, sowohl die Kinder als<br />
auch ihre Familien in Schulungsprogrammen zu<br />
erklären, was im Körper von Betroffenen passiert,<br />
weshalb sie die Therapie durchführen, und was<br />
passieren kann, wenn sie hier nachlässig werden.<br />
Denn das Ziel ist ja, dass sie lange ein möglichst<br />
normales, gesundes Leben führen können, ohne<br />
dass die Erkrankung das Steuer übernimmt.<br />
Prof. Dr.<br />
Marcus A. Mall<br />
Professor und<br />
Direktor der Klinik<br />
für Pädiatrie m.<br />
S. Pneumologie,<br />
Immunologie und<br />
Intensivmedizin,<br />
Ärztlicher Centrumsleiter<br />
des<br />
CharitéCentrum 17<br />
für Frauen-, Kinder<br />
und Jugendmedizin<br />
mit Perinatalzentrum<br />
und<br />
Humangenetik,<br />
Charité - Universitätsmedizin<br />
Berlin<br />
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www.CFSource.de<br />
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Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 17<br />
Leben ohne Sicht heißt nicht: aussichtslos!<br />
Linda Meschke (36) leidet an der erblichen Netzhauterkrankung Retinitis Pigmentosa.<br />
Sie sprach mit uns über ihren Weg bis zur Diagnose, über derzeitige Behandlungsmöglichkeiten<br />
und ihren Alltag mit dieser seltenen Augenerkrankung.<br />
Text Doreen Brumme<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK_1653925696<br />
L<br />
inda, wann traten Ihre Augenprobleme auf und wie kam es zur Diagnose<br />
Retinitis Pigmentosa?<br />
Ich konnte schon als Kind nicht gut sehen, trug in der Schule eine Brille. Regelmäßige<br />
Besuche beim Augenarzt waren angesagt, irgendwann entdeckte dieser<br />
Verknöcherungen auf meiner Netzhaut und meinte, dass ich damit im Dunkeln ja gar<br />
nichts sehen müsste, was ich bejahte – für mich war das ein Normalzustand. Zudem hatte<br />
ich von Anfang an auf beiden Augen einen grauen Star, also eine Eintrübung meiner<br />
Augenlinsen, was mir mit 18 auch diagnostiziert wurde. Mit 27 wurde ich deshalb in der<br />
Uniklinik Dresden operiert, da ich im Alltag schlecht zurechtkam. In den Entlassungspapieren<br />
las ich zum ersten Mal die Diagnose: Retinitis Pigmentosa. Die gab ich bei<br />
Google ein und ließ mir erklären, was es damit auf sich hat. Nach der Recherche wusste<br />
ich zwei Dinge: Ich werde erblinden. Und es gibt nichts, was man dagegen tun kann.<br />
Erst zwei, drei Jahre später ließ ich einen Gentest machen, der die Diagnose bestätigte.<br />
Ihre Netzhautzellen sterben nach und nach ab und mindern Ihre Sehfähigkeit<br />
zunehmend. Wie verändert das Ihren Alltag?<br />
Die Veränderung von sehend zu blind verläuft in kleinen Schüben. Ich sehe die Welt<br />
inzwischen mit einem Tunnelblick. Das heißt, bei guter Beleuchtung erkenne ich Dinge<br />
in der Ferne noch sehr gut. Wobei die Betonung auf der guten Beleuchtung liegt, die<br />
selten herrscht. Auch die Nahsicht ist noch gut: Ich kann lesen und meinen Bürojob<br />
machen. Doch mein Sichtfeld ist mit 10 bis 15 Grad mittlerweile deutlich kleiner als das<br />
eines Augengesunden (180 Grad). Ich bin im Alltag deshalb oft auf Hilfe angewiesen,<br />
insbesondere dort, wo ich mich nicht auskenne oder wo viel los ist. Kaufe ich zum Beispiel<br />
ein, erschrecke ich, wenn plötzlich jemand von links oder rechts in meinen „Sichttunnel“<br />
tritt, denn ich habe ihn nicht kommen sehen. Meine buchstäblich schwindende<br />
Aussicht lässt mich langsam das Vertrauen in mich selbst verlieren.<br />
Die Retinitis Pigmentosa ist genetisch bedingt. Gab es in Ihrer Familie bereits<br />
vor Ihnen bestätigte Fälle oder Familienangehörige, die entsprechende Symptome<br />
gezeigt haben?<br />
Mein Vater zeigt seit Langem zunehmende Symptome, hat das aber nie abklären lassen,<br />
sondern verdrängt.<br />
Warum engagieren Sie sich in der Patientenselbsthilfe der PRO RETINA?<br />
Die Gewissheit, zu erblinden, stellte mein Leben auf den Kopf. Zumal der individuelle<br />
Verlauf ungewiss ist. Bis zu der Erkenntnis, dass das Leben auch mit schlechter oder<br />
ohne Sicht nicht aussichtslos ist, war es für mich ein langer Weg mit so manchem tiefen<br />
Loch, in das ich fiel. Davor würde ich gerne andere Betroffene bewahren.<br />
PRO RETINA e. V.<br />
Der Selbsthilfeverein PRO RETINA Deutschland e. V. ist bundesweit die größte und<br />
älteste Patientenvereinigung von und für Menschen mit Netzhauterkrankungen und<br />
deren Angehörige. PRO RETINA unterstützt Betroffene und ihre Angehörigen nach dem<br />
Leitsatz „Forschung fördern, Krankheit bewältigen, selbstbestimmt leben“, fungiert als<br />
Bindeglied zwischen Patient und Arzt und unterstützt die Forschungsförderung, damit<br />
neue Therapien entwickelt werden. Für seine Arbeit ist der gemeinnützige Verein auf die<br />
Unterstützung von Spendern und Sponsoren angewiesen.<br />
Weitere Informationen unter: www.pro-retina.de<br />
Perspektiven für Menschen mit seltenen <strong>Erkrankungen</strong><br />
Für die meisten der bisher bekannten rund 8.000 seltenen Krankheitsbilder gibt es aktuell noch keine Therapieoption. Das<br />
Pharmaunternehmen Janssen hat den Anspruch, durch kontinuierliche Forschung einen Beitrag zu leisten, um Menschen<br />
mit seltenen Krankheiten eine Perspektive bieten zu können.<br />
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FOTO: ©JANSSEN-CILAG GMBH<br />
Mit freundlicher Unterstützung der<br />
Janssen-Cilag GmbH<br />
„Wir forschen in den Bereichen, in denen der medizinische Bedarf hoch<br />
ist – unabhängig davon, wie häufig eine Krankheit ist“, erklärt<br />
Dr. med. Ursula Kleine-Voßbeck, medizinische Direktorin im Bereich<br />
Lungenhochdruck bei Janssen Deutschland. „Unser Ziel ist, da anzusetzen,<br />
wo wir einen entscheidenden Unterschied machen können.“ Für einige<br />
seltene Krankheitsbilder konnte Janssen bereits erfolgreich Therapien<br />
entwickeln, unter anderem im Bereich der Hämatologie, z. B. für<br />
Menschen mit Amyloidose und Morbus Waldenström sowie für Lungenhochdruck.<br />
Lunge unter Druck<br />
Eine spezielle Form des Lungenhochdrucks ist die pulmonal arterielle<br />
Hypertonie (kurz PAH). Bei dieser Krankheit stehen die Blutgefäße, die<br />
vom Herz zur Lunge führen, unter einem zu hohen Druck. In der Folge<br />
muss die rechte Herzhälfte immer stärker gegen diesen erhöhten Druck<br />
arbeiten. Auf Dauer kann das Herz diese Leistung nicht erbringen. Bleibt<br />
die Erkrankung unbehandelt, kann es zum Herzversagen kommen.<br />
Besonders tückisch ist, dass die Leitsymptome der PAH zu Beginn sehr<br />
unspezifisch sind (z. B. Atemnot, Druck auf der Brust, Erschöpfung) und<br />
Verwechslungsgefahr mit häufigeren Krankheiten wie Asthma oder<br />
COPD besteht.<br />
Auch wenn eine PAH grundsätzlich jeden treffen kann, gibt es Risikogruppen:<br />
Ein erhöhtes PAH-Risiko haben beispielsweise Menschen<br />
mit einem angeborenen Herzfehler. Schätzungsweise entwickeln bis<br />
zu zehn Prozent der Betroffenen eine PAH – selbst Jahrzehnte nach<br />
erfolgreicher Korrektur des Herzfehlers. Außerdem sind chronische<br />
Bindegewebserkrankungen wie die systemische Sklerose mit einem<br />
erhöhten Erkrankungsrisiko verbunden. Für diese Risikogruppen ist<br />
daher ein regelmäßiger Check in spezialisierten Zentren zu empfehlen.<br />
Je frühzeitiger im Verlauf die PAH erkannt wird, desto besser. Die Krankheit<br />
ist aktuell nicht heilbar, aber es gibt mittlerweile gute Behandlungsmöglichkeiten.<br />
Retinitis Pigmentosa: Gentest bringt Licht ins Dunkel<br />
Janssen forscht zudem an Therapieoptionen für 16 weitere seltene<br />
Krankheitsbilder, unter ihnen die seltene X-chromosomale Retinitis Pigmentosa.<br />
Bei dieser erblich bedingten Netzhautdegeneration werden<br />
die Photorezeptoren allmählich zerstört. Das erste Anzeichen ist eine<br />
stärker werdende Nachtblindheit, die Betroffene oft bereits vor dem<br />
10. Lebensjahr bemerken können. Aufgrund des progressiven Verlaufs<br />
grenzt sich das Sichtfeld immer stärker ein, was bis zur Erblindung führen<br />
kann. Der Großteil der Betroffenen ist männlich. Frauen haben meist<br />
keine oder nur leichte Symptome, können aber Trägerin des mutierten<br />
Gens sein und die Retinitis Pigmentosa an ihre Kinder weitergeben.<br />
Ein Gentest ist für die Diagnose entscheidend: Denn nahezu 100<br />
verschiedene Mutationen kommen als Auslöser der Retinitis Pigmentosa<br />
in Betracht. Erst wenn der Gentest die Diagnose sichert bzw. eingrenzt,<br />
kann über mögliche Behandlungsoptionen gesprochen werden. Selbst<br />
wenn es für die vorliegende Genmutation heute noch keine Therapiemöglichkeit<br />
gibt, ist die Testung sinnvoll. Betroffene können sich in ein<br />
Register eintragen und für spätere Behandlungsoptionen vormerken<br />
lassen. Außerdem bietet sich eventuell die Chance, an klinischen Studien<br />
für aufkommende Therapieoptionen teilzunehmen.<br />
Unter www.janssenwithme.de/erkrankungen<br />
erhalten Sie umfangreiche Fakten und Hintergründe<br />
sowohl zur PAH als auch zur Retinitis Pigmentosa.<br />
Zudem finden Sie auf dem YouTube-Kanal von Janssen<br />
Deutschland in der Playlist „Pulmonale Hypertonie“<br />
zahlreiche Videos, die über Lungenhochdruck sowie<br />
den Umgang mit der Erkrankung informieren.<br />
EM-121536
18<br />
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />
NDM: Leben im<br />
eigenen Tempo<br />
Nicht-dystrophe Myotonien<br />
sind seltene, genetisch bedingte<br />
neuromuskuläre <strong>Erkrankungen</strong>.<br />
Das charakteristische Merkmal:<br />
Betroffene sind aufgrund der<br />
Krankheit nicht fähig, die der<br />
körperlichen Bewegung dienenden<br />
Muskeln (Skelettmuskulatur)<br />
nach der Kontraktion sofort wieder<br />
zu entspannen. Das kann die<br />
Lebensqualität Betroffener stark<br />
beeinträchtigen und sogar<br />
lebensgefährlich werden.<br />
Text Miriam Rauh<br />
Caro, du bist betroffen von einer nicht-dystrophen<br />
Myotonie, kurz NDM. Wann hast<br />
du gemerkt, dass etwas gesundheitlich<br />
nicht stimmt, und welche Beschwerden<br />
hattest du?<br />
Bei mir war früh zu sehen, dass etwas nicht stimmt. Ich<br />
fing erst mit zwei Jahren an zu laufen, humpelte, wenn<br />
ich nach längerem Sitzen wieder aufstand, und lief insgesamt<br />
oft steif. Die Myotonie ist zwar eine Erkrankung,<br />
die die Muskulatur des ganzen Körpers betrifft, aber bei<br />
mir waren die Symptome in den Beinen am offensichtlichsten.<br />
Meine Eltern gingen von Kinderarzt zu Kinderarzt,<br />
immer hieß es, ich sei einfach zu faul oder das sei<br />
normal und würde sich mit dem Wachstum ändern. Es<br />
folgte die Fehldiagnose, es sei etwas mit meiner Hüfte.<br />
Ich erhielt mehrere Jahre Physiotherapie. Erst als ich<br />
neun war, äußerte ein Arzt Zweifel an der Hüft-These,<br />
als er meine Röntgenbilder sah. Es folgten weitere<br />
Untersuchungen und Tests und schließlich kam die<br />
Diagnose: NDM.<br />
Carolina ist betroffen von einer nicht-dystrophen Myotonie. Um andere Betroffene zu unterstützen,<br />
engagiert sie sich im Patientenverein “Mensch & Myotonie e. V.“<br />
FOTO: PRIVAT<br />
Durch die genetische Mutation kann ich meine Muskeln<br />
problemlos anspannen, aber nicht sofort entspannen.<br />
Ich bin auch sehr wetterempfindlich, bei Wärme geht<br />
es mir viel besser als bei Kälte. Die Krankheit kann sich<br />
natürlich auch auf die Psyche auswirken – wenn es mir<br />
gut geht, meine ich, ich könnte einen Marathon rennen,<br />
wenn es mir schlecht geht, geht fast nichts.<br />
Wenn es mir gut<br />
geht, meine ich,<br />
ich könnte einen<br />
Marathon rennen,<br />
wenn es mir<br />
schlecht geht, geht<br />
fast nichts.<br />
Was waren/sind die größten Herausforderungen im<br />
Zusammenhang mit der Erkrankung für dich?<br />
Während ich noch im Wachstum war, wurde mir gesagt,<br />
dass die Krankheit entweder besser oder schlechter<br />
werden kann. Ich kenne mein Leben nicht ohne die<br />
Erkrankung, ich weiß nicht, wie es anders ist. Natürlich<br />
ist sie immer wieder anstrengend für mich, psychisch<br />
und physisch, auch weil sich die Krankheit bei<br />
mir verschlechtert hat. Als ich Kind war, spürte ich die<br />
NDM nur in den Beinen, im Wachstum wurden auch<br />
meine Hände langsam steif, dann meine Arme, mein<br />
Rücken und auch die Zunge. Bevor ich die Medikamente<br />
nahm, musste ich mich immer aufwärmen, wenn ich<br />
z. B. telefonieren wollte. An diese Verschlechterungen<br />
und Veränderungen musste ich mich gewöhnen, aber<br />
insgesamt habe ich es schnell und gut gemeistert. Zum<br />
Glück hatte ich auch die Unterstützung meiner Familie.<br />
Wesentlich schwieriger war und ist für mich der<br />
Umgang mit gesunden Menschen. Es ist nicht leicht,<br />
Außenstehenden zu vermitteln, wie sich diese Myotonie<br />
äußert. Ich gehe noch zur Schule, derzeit in die<br />
11. Klasse. In diesem Jahr wurde vereinbart, dass ich in<br />
Sport keine Noten bekomme, mich aber trotzdem beteilige.<br />
Ich habe die Schule gewechselt, weil ich in der<br />
vorherigen stark gemobbt wurde.<br />
Ich habe meinen neuen Klassenkameraden nichts<br />
von meiner Krankheit erzählt, weil ich die Erfahrung<br />
gemacht habe, dass mein Umfeld nicht versteht, was<br />
Myotonie ist. Mir würde es sehr weiterhelfen und mich<br />
auch entspannen, dass andere respektieren, wenn ich<br />
sage, dass ich etwas nicht machen kann, auch wenn<br />
ich fünf Minuten später losrenne, als wäre nichts. Das<br />
ist für Außenstehende schwer nachvollziehbar, aber so<br />
ist die Myotonie. Wenn ich aufgewärmt bin, kann ich<br />
einiges, was sonst nicht geht.<br />
Wie wird deine Erkrankung behandelt und wie<br />
wirkt sich das auf deinen Alltag bzw. deine Lebensqualität<br />
aus?<br />
Zurzeit bekomme ich Medikamente und werde durch<br />
ein Krankenhaus in Rom betreut. Hier in Deutschland<br />
hatte ich persönlich leider in der Vergangenheit nicht<br />
sehr viel Glück mit den Ärzten.<br />
Meine Mutter ist Italienerin, in Italien ging es sehr viel<br />
schneller. Ich nehme Medikamente, seitdem ich zwölf<br />
bin, und sie haben meine Lebensqualität stark verbessert.<br />
Es gibt bessere und schlechtere Tage, aber ich habe<br />
keine Schmerzen mehr.
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 19<br />
Ist es für dich wichtig, dich mit anderen Betroffenen<br />
über ihre Erfahrungen mit der Erkrankung auszutauschen?<br />
Ich bin Mitglied im Verein „Mensch & Myotonie“. Es war<br />
eine lebensverändernde Erfahrung für mich, anderen<br />
Menschen zu begegnen, die das gleiche Schicksal haben<br />
wie ich. Wenn man sein Leben lang behandelt wurde, als<br />
würde man sich die Symptome ausdenken, fühlt es sich<br />
wunderbar an, Menschen zu treffen, die dasselbe durchmachen.<br />
Auch wenn die Erkrankung bei jedem anders<br />
ist, erzählen alle über ihre Erfahrungen recht ähnliche<br />
Geschichten und können gute Tipps geben.<br />
Wenn man sein<br />
Leben lang<br />
behandelt wurde,<br />
als würde man<br />
sich die Symptome<br />
ausdenken, fühlt<br />
es sich wunderbar<br />
an, Menschen zu<br />
treffen, die dasselbe<br />
durchmachen.<br />
Informationen zur Patientenorganisation<br />
„Mensch & Myotonie gem. e. V.“<br />
Eine Mitgliedschaft in der ehrenamtlich von einer Myotonie -Betroffenen geführten Patientenorganisation<br />
„Mensch & Myotonie gem. e. V.“ ist komplett kostenlos. Jeder zusätzliche Beitritt stärkt uns, unsere Interessen<br />
in der Öffentlichkeit und bei Institutionen wahrzunehmen. Zusätzlich zu den „NDM“ engagieren wir uns auch für<br />
Betroffene von „Periodischen Paralysen“ sowie von „Neuromyotonien“.<br />
Machen Sie mit – in Ihrem und unserem Interesse!<br />
Weitere Informationen finden Sie unter:<br />
www.menschundmyotonie.de<br />
Kontakt<br />
Mensch & Myotonie e. V.<br />
Postfach 16 03 30<br />
44333 Dortmund<br />
1. Vorsitzender: Volker Kowalski<br />
E-Mail: vokiko@online.de<br />
Tel.: 0231-803290 (ab 12 Uhr)<br />
officialmyotonia.orga<br />
www.instagram.com/officialmyotonia.orga/<br />
myotonia.org<br />
www.tiktok.com/@myotonia.org<br />
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Ständig unter Strom, und doch blockiert<br />
Ich bin sehr muskulös,<br />
habe aber keine Kraft. Mein<br />
Nachbar hält mich für einen<br />
Macho, weil meine Frau die<br />
Getränkekisten trägt….<br />
Die Musik ist mein<br />
Leben: die erste Geige<br />
im Orchester spielen<br />
– ein Traum, der<br />
mit einer wirksamen<br />
Therapie Realität<br />
werden könnte.<br />
Als ich<br />
die Hand meines<br />
neuen Chefs nicht<br />
loslassen konnte, wäre<br />
ich am liebsten im Boden<br />
versunken. Ihm nicht<br />
die Hand zu geben war<br />
keine Option!<br />
Kälte verstärkt<br />
meine Symptome.<br />
Wintersport –<br />
ohne wirksame<br />
Therapie ist das<br />
undenkbar!<br />
Meine Eltern<br />
hielten mich für bockig,<br />
weil ich vor der Treppe<br />
stehen blieb und nicht<br />
hochgehen konnte.<br />
DE-NAM-2111-00005<br />
Die Unfähigkeit, einen Muskel nach Anspannung schnell wieder zu entspannen, beeinträchtigt unser Leben in vielerlei Hinsicht. Alltägliche Dinge wie Händeschütteln,<br />
Treppensteigen, nach dem Bus Rennen, sogar Aufstehen und einfach Loslaufen stellen enorme Herausforderungen dar und bedeuten emotionalen Stress für uns.<br />
Äußerlich wirken wir gesund, teilweise sogar athletisch, was oft Unverständnis bei Außenstehenden hervorruft und uns zusätzlich belastet.<br />
Wir lassen Sie nicht allein!
ERDBEBEN<br />
TÜRKEI UND SYRIEN<br />
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Starke Erdbeben haben in der Türkei und Syrien ein unvorstellbares Ausmaß der Zerstörung<br />
hinterlassen. Viele Menschen sind tot und Tausende verletzt. Aktion Deutschland Hilft<br />
leistet Nothilfe. Mit Nahrungsmitteln, Trinkwasser und medizinischer Hilfe.<br />
Helfen Sie jetzt – mit Ihrer Spende!<br />
Spendenkonto: DE62 3702 0500 0000 1020 30<br />
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