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Seltene Erkrankungen

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EINE UNABHÄNGIGE KAMPAGNE VON MEDIAPLANET<br />

Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />

<strong>Seltene</strong> <strong>Erkrankungen</strong><br />

Die Waisen der Medizin<br />

NICHT VERPASSEN:<br />

Alagille-Syndrom<br />

Wenn das eigene Kind eine<br />

seltene Lebererkrankung hat<br />

Seite 04<br />

Morbus Fabry<br />

Eine Erbschaft mit Folgen<br />

Seite 12<br />

Das Bardet-Biedl-Syndrom<br />

Im Fokus der Forschung steht,<br />

die enorme Last Betroffener<br />

zu mindern<br />

Seite 14<br />

"Ich versuche, meine Erkrankung<br />

ganzheitlich zu sehen und sie in<br />

mein Leben zu integrieren –<br />

ohne mich dabei von ihr<br />

einschüchtern zu lassen."<br />

Stefanie Peheim über ihr Leben<br />

mit Primärer Myelofibrose.


2<br />

Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />

VERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT<br />

IN DIESER AUSGABE FEBRUAR 2023<br />

Miriam Hähnel<br />

Das Thema <strong>Seltene</strong><br />

<strong>Erkrankungen</strong><br />

gehört in die<br />

Öffentlichkeit:<br />

auch über den<br />

Rare Disease Day<br />

hinaus. Denn hinter<br />

jeder und jedem<br />

Betroffenen steht<br />

ein persönliches<br />

Schicksal.<br />

IN DIESER AUSGABE<br />

FOTO: SHUTTERSTOCK_1919214356<br />

facebook.com/MediaplanetStories<br />

@Mediaplanet_germany<br />

Please recycle<br />

06<br />

Wissen bündeln, Situation für<br />

Betroffene verbessern<br />

Kai Pilgermann ist betroffen von GIST<br />

und engagiert sich als Patientenvertreter<br />

der Deutschen Sarkom-Stiftung.<br />

17<br />

Leben ohne Sicht heißt nicht:<br />

aussichtslos!<br />

Linda Meschke hat Retinitis Pigmentosa,<br />

eine seltene Netzhauterkrankung, und<br />

engagiert sich in der Patientenselbsthilfe<br />

der PRO RETINA e. V.<br />

Director Business Development Health: Miriam Hähnel,<br />

Geschäftsführung: Richard Båge (CEO), Philipp Colaço<br />

(Managing Director), Alexandra Lassas (Content and<br />

Production Manager), Henriette Schröder (Sales<br />

Director), Lea Hartmann (Grafik), Cover: Stefanie<br />

Peheim von Melanie Peterseil<br />

Mediaplanet-Kontakt: de.redaktion@mediaplanet.com<br />

Alle Artikel, die mit "in Zusammenarbeit mit"<br />

gekennzeichnet sind, sind keine neutrale Redaktion der<br />

Mediaplanet Verlag Deutschland GmbH.<br />

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die<br />

gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich,<br />

weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche<br />

Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle<br />

Geschlechter.<br />

Eva Luise Köhler<br />

Schirmherrin<br />

der Allianz Chronischer<br />

<strong>Seltene</strong>r<br />

<strong>Erkrankungen</strong> e. V.<br />

Weitere Informationen<br />

finden Sie unter:<br />

www.achse-online.de<br />

Text<br />

Eva Luise Köhler<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

etwa 8000 <strong>Seltene</strong> <strong>Erkrankungen</strong><br />

wurden bisher entdeckt, stetig<br />

kommen neue hinzu. 4 Millionen Menschen<br />

in Deutschland sind betroffen,<br />

darunter besonders viele Kinder. Zum<br />

Tag der <strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong>, der am<br />

letzten Tag im Februar begangen wird<br />

und mittlerweile fest in vielen Kalendern<br />

verankert ist, ist die Aufmerksamkeit für<br />

dieses Thema besonders groß. Redaktionen<br />

erkundigen sich nach den Entwicklungen.<br />

Gerne berichte ich über die Erfolge, auf<br />

die wir mittlerweile blicken können: Da<br />

sind die 35 Zentren für <strong>Seltene</strong> <strong>Erkrankungen</strong><br />

bundesweit, die zudem europäisch<br />

vernetzt und qualitätsgeprüft<br />

ihre wertvolle Arbeit bei der Diagnosefindung<br />

und Behandlung leisten. Das<br />

Nationale Aktionsbündnis für Menschen<br />

mit <strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong> NAMSE<br />

ist nach zehn Jahren immer noch die<br />

Vernetzungsplattform aller relevanten<br />

Akteure, stellt sicher, dass die Maßnahmen<br />

aus dem Nationalen Aktionsplan<br />

weiter vorangetrieben und neue eruiert<br />

werden. Zahlreiche Innovationsfondprojekte<br />

ermöglichen die Erprobung von<br />

Versorgungskonzepten, die dann in die<br />

Regelversorgung übergehen sollen, wie<br />

mit TRANSLATE-NAMSE schon geschehen.<br />

Und: Die <strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong><br />

sind ein Thema – in Politik, Öffentlichkeit,<br />

Gesundheitswesen etc. Dies ist auf<br />

nationaler Ebene vor allem den mittlerweile<br />

130 Selbsthilfeorganisationen zu<br />

verdanken, die sich unter dem Dach der<br />

Allianz Chronischer <strong>Seltene</strong>r <strong>Erkrankungen</strong><br />

(ACHSE) e. V. zusammengeschlossen<br />

haben und die gemeinsam mit ihrem<br />

Netzwerk die wichtigen Anliegen aller<br />

betroffenen Menschen und deren Angehöriger<br />

vorantreiben.<br />

Diese Anliegen wollen wir am Tag der<br />

<strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong> ganz besonders<br />

in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit<br />

rücken. Denn den meisten Betroffenen<br />

läuft die Zeit davon. Es sind die Eltern, die<br />

um ihr kleines Kind bangen, dessen Krankheit<br />

keiner kennt, weil sie nicht erforscht<br />

ist. Betroffene, die immer noch jahrelang<br />

vergeblich auf der Suche nach der<br />

richtigen Diagnose durch unser Gesundheitssystem<br />

irren, um zu erfahren, dass<br />

es weder Medikation, noch eine Therapie<br />

oder gar Heilung gibt. Angehörige, die<br />

mit der Pflege allein gelassen sind, die um<br />

Heil- und Hilfsmittel kämpfen, mit Kassen,<br />

die ihre Erkrankung nicht kennen<br />

und Anträge immer wieder ablehnen. Sie<br />

alle haben keine Zeit zu verlieren.<br />

Schenken Sie den<br />

<strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong><br />

Ihre Aufmerksamkeit und<br />

den Menschen echtes<br />

Interesse. Drücken Sie<br />

Ihre Solidarität mit den<br />

Betroffenen aus und<br />

signalisieren Sie ihnen<br />

Ihre Unterstützung.<br />

Für die nahe Zukunft wünsche ich mir,<br />

dass wir die Kräfte in der Politik, im<br />

Gesundheitswesen, in Wissenschaft und<br />

Forschung noch viel stärker bündeln.<br />

Dass Strukturen geschaffen oder vorhandene<br />

so vernetzt, genutzt und gefördert<br />

werden, dass die vielen betroffenen<br />

Menschen mit <strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong><br />

eine adäquate Versorgung erhalten und<br />

eine Chance auf Heilung. Dafür setze ich<br />

mich ein, als Schirmherrin der ACHSE<br />

und mit der Eva Luise und Horst Köhler<br />

Stiftung. Was können Sie tun? Schenken<br />

Sie den <strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong> Ihre Aufmerksamkeit<br />

und den Menschen echtes<br />

Interesse. Drücken Sie Ihre Solidarität<br />

mit den Betroffenen aus, signalisieren Sie<br />

ihnen Ihre Unterstützung, informieren<br />

und verbreiten Sie das Wissen, dass es<br />

<strong>Seltene</strong> <strong>Erkrankungen</strong> gibt – zum Tag<br />

der <strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong> und darüber<br />

hinaus.<br />

Mehr zum Thema erfahren Sie in dieser<br />

Sonderbeilage, ich wünsche Ihnen eine<br />

erhellende Lektüre.<br />

Ihre Eva Luise Köhler<br />

(Schirmherrin ACHSE e. V.)<br />

Wir danken folgenden Partnern für die Zusammenarbeit.<br />

Albireo Pharma, Inc.<br />

www.albireopharma.com<br />

Amicus Therapeutics GmbH<br />

www.amicusrx.de<br />

BioCryst Pharma Deutschland GmbH<br />

www.biocryst.de<br />

Deciphera Pharmaceuticals Germany GmbH<br />

www.deciphera.com<br />

Dr. Falk Pharma GmbH<br />

www.drfalkpharma.de<br />

GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG<br />

de.gsk.com<br />

Hormosan Pharma GmbH<br />

www.hormosan.com<br />

Janssen-Cilag GmbH<br />

www.janssen.com/germany<br />

Novartis Pharma GmbH<br />

www.novartis.de<br />

Rhythm Pharmaceuticals, Inc.<br />

www.rhythmtx.com<br />

Vertex Pharmaceuticals (Germany) GmbH<br />

www.vrtx.de


Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 3<br />

EoE – daran müssen Sie nicht<br />

schwer zu schlucken haben!<br />

Die Zahl derer, denen die seltene Speiseröhrenerkrankung eosinophile Ösophagitis (EoE) Schluckbeschwerden<br />

macht, steigt nachweislich und vor allem in Industrieländern. Als Ursache werden Allergene in der Nahrung und<br />

der Luft vermutet. Im Interview berichtet Prof. Dr. Ahmed Madisch, Facharzt für Gastroenterologie und<br />

EoE-Spezialist, wie sich die belastende Krankheit gut in Schach halten lässt.<br />

FOTO: SHUTTERSTOCK_133428116<br />

Text<br />

Doreen Brumme<br />

Prof. Dr.<br />

Ahmed Madisch<br />

Centrum Gastroenterologie<br />

Bethanien,<br />

Agaplesion<br />

Krankenhaus<br />

Bethanien<br />

Prof. Dr. Madisch, was passiert bei der<br />

EoE im Körper Betroffener?<br />

Bei EoE-Betroffenen ist die Barrierewirkung<br />

der Schleimhaut der Speiseröhre<br />

gestört. Das macht die Schleimhaut<br />

durchlässig für Allergene, mit denen sie<br />

über Speisen, Getränke und die Luft in Kontakt<br />

kommt. Die Allergene dringen in die Schleimhaut<br />

ein und verursachen lokale Entzündungen,<br />

die mit der Zeit die Gewebestruktur verändern<br />

können, sodass die natürliche Schluckbewegung<br />

beeinträchtigt und auch schmerzhaft ist – insbesondere,<br />

wenn man Gröberes wie Fleisch oder<br />

Trockenes wie Brot isst. Schlimmstenfalls bleiben<br />

Speisebrocken in der Speiseröhre stecken und<br />

müssen in einer Notfallendoskopie entfernt werden.<br />

Wie wird die EoE diagnostiziert und was<br />

erschwert die Diagnose mitunter?<br />

Ein Verdacht auf EoE lässt sich beim Gastroenterologen<br />

mit Gewebeproben der Speiseröhre<br />

schnell und sicher bestätigen. Allerdings kommt<br />

dieser Verdacht nicht sofort auf. Denn Betroffene<br />

passen ihre Ernährungsweise oft lange an, indem<br />

sie auf bestimmtes Essen ganz verzichten, stets<br />

sehr gut kauen und mit viel Flüssigkeit „spülen“.<br />

Und selbst wenn sie mit ihren Beschwerden<br />

zum Arzt gehen, beschreiben sie diese mitunter<br />

ungenau, sodass selbst der Arzt, dem die seltene<br />

Erkrankung EoE ein Begriff ist, nicht sofort an<br />

diese denkt. Verwechslungen mit der Refluxkrankheit<br />

sind nicht selten.<br />

Gibt es den „typischen EoE-Patienten“?<br />

Ja. Am häufigsten bekommen Männer zwischen<br />

30 und 40 Jahren die Diagnose EoE, Frauen sind<br />

eher seltener betroffen. Typisch sind begleitende<br />

Allergien und <strong>Erkrankungen</strong> wie Neurodermitis,<br />

Heuschnupfen und Asthma.<br />

Einmal im<br />

Jahr sollte ein<br />

Gastroenterologe<br />

den Verlauf<br />

checken.<br />

Welche Therapien gibt es für Betroffene und<br />

wie bewerten Sie diese?<br />

Wir behandeln die EoE mit einem lokal wirkenden<br />

Kortison in Tablettenform. Schmelztabletten<br />

mit Brauseeigenschaften werden morgens und<br />

abends in den Mund gelegt, wo sie sich auflösen.<br />

Bei über 90 Prozent der damit Behandelten normalisiert<br />

sich das Entzündungsgeschehen, sodass<br />

sie beschwerdefrei leben können.<br />

Wer auf das Kortison nicht anspricht oder es nicht<br />

verträgt, kann die EoE auch mit einer Eliminationsdiät<br />

gut behandeln. Diese ist aber mit teilweise<br />

erheblichen Einschränkungen im täglichen<br />

Leben verbunden und nur mit sehr viel Disziplin<br />

durchzuhalten. In Kürze kommt zudem eine Antikörpertherapie<br />

auf den Markt, die als Reservetherapie<br />

angewendet werden kann. Die Antikörper<br />

werden einmal pro Woche per Spritze über<br />

die Bauchdecke verabreicht.<br />

Worauf kommt es an, wenn man die EoE<br />

erfolgreich in Schach halten möchte?<br />

Die EoE ist eine sich langsam einschleichende<br />

chronische Erkrankung. Deshalb bleibt nur beschwerdefrei,<br />

wer nach der ersten Akuttherapie<br />

dauerhaft gegenhält. Einmal im Jahr sollte ein<br />

Gastroenterologe den Verlauf checken.<br />

ANZEIGE<br />

Jasmin* - Selbstbewusst<br />

auf einer Therapie bestehen!<br />

FOTO: SHUTTERSTOCK_1390020572<br />

„Es war mir schon länger klar, dass irgendetwas nicht stimmt. Aber es hat lange gedauert,<br />

mir einzugestehen, dass meine Schluckbeschwerden zunehmen und ich zum Arzt muss“,<br />

erzählt Jasmin. Die inzwischen 39-jährige Krankenschwester litt vier Jahre an chronischen<br />

Schluckstörungen, bevor sie einen Arzt aufsuchte.<br />

„Angefangen hat alles in einem chinesischen Restaurant“, berichtet Jasmin. „Ich habe ein<br />

Reisgericht gegessen und urplötzlich ist ein Bissen nicht mehr weitergerutscht und regelrecht<br />

im Hals stecken geblieben“. Es dauerte eine Weile, bis der schmerzhafte Vorfall vorüber<br />

war und der Reis die Speiseröhre passierte. Ein Abend, auf den sie sich gefreut hatte,<br />

wurde zum Alptraum.<br />

Krampfartige Schmerzen und Angst zu ersticken<br />

Die Schluckbeschwerden blieben und wurden häufiger. Die junge Frau versuchte alles, um<br />

das Problem zu kompensieren: Langsames Essen, sorgfältiges Kauen, bestimmte Lebensmittel<br />

wie Reis nur noch mit viel Soße und reichlichem Trinken zu den Mahlzeiten. Wenn sie<br />

gemeinsam mit Freunden oder Bekannten aß, wurde sie oft gefragt, warum sie so oft das<br />

Gesicht verziehe. „Das waren Momente, in denen die Schluckbeschwerden stark waren und<br />

ich krampfartige Schmerzen hatte“, erklärt Jasmin.<br />

Doch ihre Strategien während des Essens halfen nicht. Immer häufiger blieb die Nahrung<br />

im Hals stecken und Jasmin bekam panische Angst, weil sie keine Luft mehr bekam. Vor<br />

allem Reis, Nudeln, Brot und andere Backwaren konnte Jasmin kaum mehr zu sich nehmen.<br />

Eine Untersuchung schafft Klarheit<br />

Jasmin begann im Internet nach Antworten zu suchen. Das schürte ihre Ängste und führte<br />

schließlich dazu, dass Jasmin einen Arzt aufsuchte. Eine Magenspiegelung wurde vorgenommen,<br />

in der die Speiseröhre bis auf einige weißliche Ablagerungen zunächst weitgehend<br />

unauffällig aussah. In der Untersuchung der entnommenen Gewebeproben zeigte<br />

sich jedoch eine ausgeprägte Entzündung und es wurde die Diagnose einer „eosinophilen<br />

Ösophagitis“, kurz EoE, gestellt. Der Arzt verordnete Jasmin ein Medikament, das sie zwölf<br />

Wochen lang einnehmen sollte. Die Schluckbeschwerden bildeten sich rasch zurück und<br />

schon bald konnte die Mutter von zwei kleinen Kindern wieder ganz normal essen.<br />

Die Beschwerden kommen zurück<br />

Nach dem Absetzen des Medikaments war jedoch schnell alles wieder beim Alten. „Mein<br />

Arzt wollte mir das Medikament allerdings nicht weiter verordnen, weil in der Kontrolluntersuchung<br />

zuvor die Magenspiegelung keinen krankhaften Befund mehr gezeigt hatte. Er<br />

motivierte mich vielmehr, eine Auslassdiät zu machen“, so Jasmin. Das aber war ihr durch<br />

ihren unregelmäßigen Tagesrhythmus und die Doppelbelastung als Mutter und Krankenschwester<br />

nicht möglich. Wenn die Schluckbeschwerden besonders stark waren, suchte<br />

sie das WC auf, um den steckengebliebenen Nahrungsbissen zu erbrechen.<br />

Unterstützung durch andere Betroffene<br />

Unterstützung fand sie in einer WhatsApp-Gruppe zur EoE und in anderen sozialen Medien.<br />

In den Gruppen wurden Online-Informationsabende mit EoE-Expert*innen organisiert. „Das<br />

war sehr hilfreich“, sagt Jasmin. In den Gruppen wurde sie von anderen Betroffenen ermuntert,<br />

sich mit den Schluckstörungen nicht abzufinden. Daher erkundigte sich Jasmin<br />

bei ihrem Arbeitgeber nach einem niedergelassenen Gastroenterologen, um eine Zweitmeinung<br />

einzuholen.<br />

Der Gastroenterologe bestätigte die Diagnose EoE und verordnete ihr das Medikament,<br />

das ihr so gut geholfen hatte, zur langfristigen Erhaltungstherapie. Jasmin: „Wenige Tage<br />

später war der Spuk wieder vorbei. Ich nehme das Medikament seither regelmäßig und<br />

kann wieder ganz normal essen. Das ist für mich und auch für meine Familie ein wichtiges<br />

Plus an Lebensqualität!“, berichtet Jasmin abschließend. Anderen Betroffenen rät die<br />

junge Frau, keinesfalls aufzugeben, die Beschwerden ernst zu nehmen, da sie langfristig<br />

zu massiven Veränderungen an der Speiseröhre führen können, sich umfassend über das<br />

Krankheitsbild zu informieren und im Gespräch mit Ärztinnen und Ärzten selbstbewusst<br />

auf eine effektive Therapie zu bestehen.<br />

Informieren Sie sich weiter unter<br />

www.schluckbeschwerden.de


4<br />

Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />

Eine Laune der Natur,<br />

die alles verändert<br />

Emily (19) leidet am Alagille-Syndrom. Im Interview erzählt<br />

uns ihre Mutter, Deyna Dost (44), Emilys Geschichte, die selbst für<br />

eine seltene Erkrankung außergewöhnlich selten ist.<br />

Text Doreen Brumme<br />

studiolh<br />

Deyna, Ihre Tochter leidet am seltenen Alagille-<br />

Syndrom. Wann fiel Ihnen das erste Mal auf,<br />

dass mit Emily etwas nicht stimmt?<br />

Als ich im siebten Monat mit Emily schwanger war, bekam<br />

ich plötzlich vorzeitige Wehen. Und in mir machte<br />

sich das Gefühl breit, dass irgendetwas nicht in Ordnung<br />

ist. Als Emily in der 37. Schwangerschaftswoche per<br />

Kaiserschnitt geholt wurde, wirkte sie ganz normal. Weil<br />

sie zu schwach war zum Stillen und auch durch Flaschennahrung<br />

nicht genug zunahm, wurde sie durch<br />

eine Sonde ernährt. Die Ärztinnen und Ärzte entdeckten<br />

zudem ein unklares Herzgeräusch, beruhigten mich<br />

jedoch damit, dass das bei Neugeborenen nicht ungewöhnlich<br />

sei. Als Emily eine Gelbsucht entwickelte, hieß<br />

es wieder: alles normal. Die Neugeborenengelbsucht<br />

verging, kam allerdings nach zwei Wochen wieder. Das<br />

beunruhigte mich. Unser Kinderarzt schickte uns für<br />

einen Lebercheck zu Spezialisten, da auch der Stuhl des<br />

Babys auffallend hell war.<br />

Wie kam es zur Diagnose?<br />

Wir hatten Riesenglück: In der Uniklinik trafen wir auf<br />

eine Ärztin, die zum Alagille-Syndrom forschte. Nachdem<br />

sie Emilys Untersuchungsergebnisse gelesen und<br />

sich mein Baby angeschaut hatte, äußerte sie ihren Verdacht.<br />

Emily hatte viele der für die seltene Erkrankung<br />

typischen Symptome: eine hohe Stirn, weit auseinanderstehende<br />

Augen, einen Herzfehler. Der Gentest bestätigte<br />

den Verdacht. Wobei Emily ihr Alagille-Syndrom nicht<br />

geerbt, sondern spontan entwickelt hatte – eine Laune<br />

der Natur, die alles veränderte.<br />

Was macht Emilys Geschichte außergewöhnlich?<br />

Emilys Leberwerte waren nicht die besten, lagen aber im<br />

Normbereich. Man schickte uns mit dem Rat nach Hause,<br />

Emily nicht zu fett zu ernähren. Ansonsten gab es keine<br />

Einschränkungen. Sie wirkte gesund, war nur etwas blass.<br />

Mit sechs Monaten fing mein kleines Mädchen plötzlich<br />

an, sich am ganzen Körper zu kratzen. Zu sehen war<br />

nichts, doch der Juckreiz muss unerträglich gewesen sein.<br />

Sie kratzte sich rund um die Uhr. An Schlaf war nicht zu<br />

denken. Unsere Ärztinnen und Ärtze hier konnten nichts<br />

für Emily tun. Schließlich landeten wir in der Uniklinik<br />

in Hamburg und standen schnell vor der Entscheidung<br />

zwischen Leben und Tod: Emily brauchte eine neue<br />

Leber. Die Transplantation fand statt, als sie 22 Monate<br />

alt war. Sie hatte gerade laufen gelernt. Leider verlief<br />

die OP schlecht, sodass Emily im Februar 2005 innerhalb<br />

einer Woche eine neue Leber transplantiert werden<br />

musste. Doch auch diese führte zu vielen Komplikationen.<br />

Ich verbrachte Monate mit Emily im Krankenhaus<br />

in Hamburg, habe mein Leben hintenangestellt, auch<br />

meine Ehe zerbrach. Im August 2005 erhielt Emily zum<br />

dritten Mal eine neue Leber. Die OP verlief zum Glück<br />

wie im Bilderbuch. Mit dieser Leber lebt Emily bis heute.<br />

Sie hat damit keinerlei Einschränkungen zu befürchten,<br />

kann ganz normal leben, beruflich alles machen, Sport<br />

treiben, alt werden.<br />

Wie wirkt sich die Erkrankung auf Emilys Alltag<br />

aus?<br />

Emily musste nach dem langen Krankenhausaufenthalt<br />

neu laufen lernen. Wegen der Medikamente, die sie seit<br />

der Transplantation ununterbrochen nimmt, damit ihr<br />

Körper die fremde Leber nicht abstößt, ist ihr Immunsystem<br />

geschwächt. Sie war bis zu ihrem sechsten Geburtstag<br />

immer wieder im Krankenhaus, weil sie jeden<br />

Infekt mitnahm. Darunter litt ihr soziales Leben. Mit<br />

zwölf Jahren verlor Emily plötzlich alle Haare am Körper<br />

und diese wuchsen drei Jahre lang nicht nach. Niemand<br />

konnte uns erklären, warum, geschweige denn etwas<br />

dagegen tun. Eine Katastrophe für eine Pubertierende.<br />

Emily konnte sich nicht mehr im Spiegel anschauen,<br />

mied Menschen irgendwann ganz und stürzte in ein<br />

Loch, in dem sie noch immer steckt. Sie wurde schwer<br />

depressiv. Die Depression beeinträchtigt sie so sehr, dass<br />

sie bis heute nicht in der Lage ist, ihr Leben auf eigene<br />

Füße zu stellen. Emily würde gerne im medizinischen<br />

Bereich arbeiten, um anderen Menschen in ähnlicher<br />

Situation, wie sie sie erlebt, zu helfen. Doch für depressive<br />

Menschen wie Emily, die große Probleme mit festen<br />

Strukturen im Alltag haben, gibt es leider kaum Chancen<br />

in unserem auf Leistung getrimmten System.<br />

Suchen Sie sich<br />

psychologische<br />

Unterstützung<br />

für Ihr krankes<br />

Kind und für sich<br />

selbst. Sie müssen<br />

das nicht alleine<br />

durchstehen, es<br />

gibt professionelle<br />

Hilfe!<br />

Was möchten Sie anderen Eltern mit auf den Weg<br />

geben, deren Kind die Diagnose Alagille-Syndrom<br />

erhalten hat?<br />

Oh, da habe ich gleich mehrere Punkte:<br />

• 1<br />

• 2<br />

• 3<br />

• 4<br />

• 5<br />

• 6<br />

Fragen Sie den Ärztinnen und Ärzten<br />

ein Loch in den Bauch und fordern Sie<br />

sie auf, Ihnen alles verständlich zu<br />

erklären, was Sie wissen wollen!<br />

Scheuen Sie sich nicht, eine zweite<br />

medizinische Meinung einzuholen!<br />

Wechseln Sie den Arzt, wenn Sie nicht<br />

ernst genommen werden oder dieser<br />

kein Spezialist für Ihren Fall ist.<br />

Gehen Sie in den Austausch mit<br />

anderen betroffenen Eltern und<br />

teilen Sie Ihr Schicksal. Gemeinsam<br />

erträgt es sich leichter.<br />

Suchen Sie sich psychologische<br />

Unterstützung für Ihr krankes Kind<br />

und für sich selbst. Sie müssen das<br />

nicht allein durchstehen, es gibt<br />

professionelle Hilfe!<br />

Fordern Sie die Vereinbarkeit von<br />

Pflege eines kranken Kindes und<br />

Beruf ein.


Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 5<br />

Lebererkrankungen im Kindesalter<br />

Die Leber ist das größte innere Organ des menschlichen Körpers.<br />

Sie besteht aus mehr als 300 Milliarden Zellen, die zusammen jede<br />

Menge Aufgaben lösen müssen.<br />

Die Leber:<br />

• Prüft alle Nahrungsbestandteile und wandelt<br />

sie in brauchbare Substanzen um<br />

• Filtert Schadstoffe und Gifte<br />

• Stellt Proteine her, mit deren Hilfe Kinder<br />

wachsen<br />

• Produziert Vitamin K, das die Blutgerinnung<br />

ermöglicht<br />

• Speichert Zucker, Kupfer, Eisen und Vitamine<br />

und gibt diese Stoffe bei Bedarf ab<br />

• Kontrolliert den Flüssigkeits- und Hormonspiegel<br />

Im Gegensatz zu den anderen inneren Organen<br />

ist die Leber in der Lage, sich zu regenerieren. Sie<br />

übernimmt selbst mit einem kleinen Anteil an gesunden<br />

Zellen ihre Aufgaben über lange Zeit. Die<br />

Leber wächst sogar wieder nach, wenn ein Teil operativ<br />

entfernt wurde. Voraussetzung ist natürlich,<br />

dass die verbliebenen Leberzellen gesund sind. Bei<br />

so vielen Funktionen der Leber ist es nicht verwunderlich,<br />

dass es mehr als 100 verschiedene Lebererkrankungen<br />

bei Kindern gibt.<br />

Die großen Gruppen der Lebererkrankungen sind:<br />

• entzündliche Lebererkrankungen<br />

• Stoffwechselerkrankungen<br />

• angeborene Fehlanlagen der Gallenwege und<br />

andere Gallenwegserkrankungen<br />

Unbehandelt ist den meisten dieser <strong>Erkrankungen</strong><br />

langfristig die Entwicklung einer Leberzirrhose<br />

gemeinsam, eines narbigen Umbaus der Leber mit<br />

Verlust an funktionierenden Leberzellen.<br />

So unterschiedlich die Ursache einer Lebererkrankung<br />

sein kann, so unterschiedlich sind auch die<br />

möglichen Behandlungen. In jedem Fall ist die Betreuung<br />

durch spezialisierte Ärzte oder Kliniken<br />

erforderlich, denn durch die Vielfältigkeit der<br />

Lebererkrankungen und ihre insgesamt geringe<br />

Häufigkeit können nur hier die nötigen Erfahrungen<br />

gesammelt und die geeignete Therapie gefunden<br />

werden.<br />

Quelle: Verein Leberkrankes Kind e. V.<br />

DER VEREIN<br />

LEBERKRANKES KIND E. V.<br />

Seit 1987 gibt es den Verein Leberkrankes Kind e. V. Gegründet<br />

wurde er von Eltern leberkranker Kinder, die das Bedürfnis hatten,<br />

sich mit anderen betroffenen Familien auszutauschen – vor der<br />

Zeit von Internet und Social Media. Wenn ein Kind schwer erkrankt,<br />

steht die gesamte Familie vor großen Herausforderungen im Alltag.<br />

Hier unterstützt der Verein durch Einzelfallhilfen, Informationen,<br />

Beratung und sein großes Netzwerk.<br />

Einmal im Jahr veranstaltet der Verein einen Familientag an einem<br />

der Kinder-Leberzentren und gibt eine Mitgliederzeitschrift heraus.<br />

Zudem lädt er seine Mitglieder zu Regionalgruppen-Treffen ein und<br />

vernetzt so betroffene Familien in der Nähe ihres Wohnortes.<br />

Heute hat der Verein rund 300 Mitglieder. Der Mitgliedsbeitrag<br />

von 65 Euro pro Familie und Jahr kommt direkt den Kinderkliniken<br />

zugute, die auf Lebererkrankungen bei Kindern spezialisiert sind.<br />

Auch Fördermitgliedschaften für Privatpersonen und Unternehmen<br />

sind möglich (ab 40 Euro pro Jahr).<br />

Spendenkonto<br />

Commerzbank Rastatt<br />

IBAN: DE43 660 400 180 250 108 800<br />

BIC: COBADEFFXXX<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.leberkrankes-kind.de<br />

Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit Albireo Pharma entstanden.<br />

Gallenstau: Mögliche Ursache<br />

kann eine seltene Erkrankung sein<br />

Wenn Neugeborene durch eine gelbe Hautfärbung<br />

auffallen, steckt manchmal eine seltene<br />

Erkrankung wie das Alagille-Syndrom dahinter.<br />

Eine frühzeitige Diagnose ist wichtig, um den<br />

Leidensdruck zu verringern. Gentests können<br />

hierbei Licht ins Dunkel bringen.<br />

Text Julia Brandt<br />

“Eine gesunde Hautfarbe haben“ – dieser geflügelte<br />

Begriff hat tatsächlich einen wahren Hintergrund.<br />

Denn oft gibt eine ungewöhnliche Färbung der Haut<br />

Hinweise auf eine mögliche Erkrankung.<br />

So ist es zum Beispiel bei Neugeborenen, die durch<br />

eine gelblich gefärbte Haut auffallen. Eine solche<br />

Neugeborenengelbsucht ist in der Regel harmlos.<br />

Dauert sie länger als zwei Wochen an, werden Ärzte<br />

jedoch hellhörig. Möglicherweise leiden die betroffenen<br />

Babys unter einem angeborenen Gallenstau.<br />

Hierbei fließt die Gallenflüssigkeit nicht richtig,<br />

sondern staut sich in der Leber oder in den Gallengängen.<br />

Dies kann die Leberzellen schädigen – und<br />

viele weitere Organe und Gewebe beeinträchtigen.<br />

Häufige Ursachen einer solchen Gallenstauung sind<br />

Infektionen oder Stoffwechselerkrankungen. Sie kann<br />

bei Neugeborenen aber auch als Folge des sogenannten<br />

Alagille-Syndroms (kurz: ALGS) auftreten.<br />

Die Ursache dieser Krankheit liegt in den Genen: Bei den<br />

Betroffenen ist eine bestimmte Erbinformation so verändert,<br />

dass die Gallengänge in der Leber nicht richtig<br />

gebildet werden.<br />

ALGS ist gekennzeichnet durch unterschiedlichste<br />

Symptome<br />

Das Alagille-Syndrom ist eine angeborene Erkrankung,<br />

die sehr selten auftritt. Schätzungen zufolge kommt in<br />

Deutschland nur etwa eines von 50.000 Neugeborenen<br />

damit zur Welt. Alagille-Patienten, bei denen die Leber<br />

betroffen ist, zeigen Symptome wie Gelbsucht, Wachstumsverzögerungen<br />

sowie Cholesterinablagerungen in<br />

der Haut. Viele leiden zudem unter starkem Juckreiz –<br />

was die Lebensqualität stark beeinträchtigt. Die betroffenen<br />

Kinder und Säuglinge sind durch den ständigen<br />

Juckreiz leicht reizbar, unruhig und schlafen kaum. Eine<br />

Belastung für Eltern und Kinder.<br />

Auch körperliche Merkmale deuten auf das Alagille-<br />

Syndrom hin: Viele Patienten fallen durch Kleinwuchs<br />

sowie charakteristische Gesichtszüge auf: eine große<br />

Stirn sowie weit auseinander- und tiefliegende Augen.<br />

Das typische Aussehen, ist für die Ärzte ein Hinweis,<br />

dass eine Lebererkrankung möglicherweise durch das<br />

Alagille-Syndrom verursacht wird. In den meisten Fällen<br />

verschafft ein Gentest Klarheit, ob diese Erbkrankheit<br />

vorliegt. Da es sich bei dem ALGS um eine seltene Erkrankung<br />

handelt, vergehen in manchen Fällen Monate<br />

oder Jahre, bis die korrekte Diagnose gestellt wird.<br />

Behandlungsoptionen des Alagille Syndroms<br />

Die Symptome des Alagille-Syndroms sind individuell<br />

verschieden ausgeprägt. Bei einigen Patienten schränken<br />

sie den Alltag kaum ein, andere verspüren hingegen<br />

einen starken Leidensdruck. So unterschiedlich wie der<br />

Verlauf der Erkrankung ist auch ihre Behandlung. Viele<br />

Patienten bekommen Medikamente, die Symptome wie<br />

Juckreiz lindern. Vitaminpräparate oder eine spezielle<br />

Ernährung können außerdem dazu beitragen, ALGS-<br />

Folgen abzumildern. Zusätzlich gibt es spezielle Medikamente,<br />

die den Gallefluss verbessern – das schützt<br />

die Leber vor schädigenden Stoffen.<br />

Ist die Leber stark angegriffen oder lassen sich Symptome<br />

wie Juckreiz nicht durch die Behandlung lindern,<br />

kommt möglicherweise eine Lebertransplantation in<br />

Betracht. Hierbei bekommen die kleinen Patienten entweder<br />

die Leber eines Fremden oder einen Teil der Leber<br />

eines Elternteils. Im Anschluss an die Operation müssen<br />

sie lebenslang Medikamente einnehmen, die ihr Immunsystem<br />

unterdrücken, sonst würde ihr Körper das fremde<br />

Organ abstoßen. Die Chancen und Risiken eines solchen<br />

Eingriffs werden daher immer im Einzelfall sorgfältig<br />

abgewogen.<br />

FOTO: SHUTTERSTOCK_2023469570<br />

FREIGABENUMMER: DE-BV-23-00002 | 1/26/2024


6<br />

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Wissen bündeln, Situation<br />

für Betroffene verbessern<br />

Kai Pilgermann, Patientenvertreter<br />

der Deutschen Sarkom-Stiftung,<br />

ist selbst von einem Gastrointestinalen<br />

Stromatumor (GIST) betroffen. Er war<br />

sehr jung, als er die Diagnose bekam.<br />

Im Interview berichtet Kai Pilgermann<br />

über seinen eigenen Weg mit der Erkrankung<br />

und die Stiftung, die Patienten,<br />

Ärzte, Forscher, Angehörige und<br />

Vertreter des Gesundheitswesens<br />

zusammenführt, um die Situation für<br />

Betroffene zu verbessern.<br />

Text Miriam Rauh<br />

FOTO: PRIVAT<br />

Herr Pilgermann, wann bekamen Sie die Diagnose<br />

„Gastrointestinaler Stromatumor“?<br />

Ich war damals erst 27 Jahre alt. Das ist ungewöhnlich,<br />

Betroffene haben meist ein deutlich höheres<br />

Lebensalter. Es war ein Zufallsbefund, der Tumor<br />

wurde im Rahmen einer Blinddarm-OP entdeckt. Die<br />

Operateure haben allerdings nicht mehr geschafft, eine<br />

Gewebeprobe zu entnehmen oder ihn gleich zu entfernen,<br />

weswegen ich für eine weitere Operation in<br />

die Klinik musste. Im Nachgang wurde bei der pathologischen<br />

Untersuchung des entnommenen Gewebes<br />

festgestellt, dass es sich tatsächlich um GIST handelt.<br />

Warum dauert es bei GIST in vielen Fällen so lange<br />

bis zur Diagnose?<br />

Die meisten Gastrointestinalen Stromatumoren wachsen<br />

außerhalb eines Organs oder am Dünndarm und<br />

machen im Bauchraum nach außen hin in der Regel<br />

zunächst wenig Beschwerden. Wenn Beschwerden auftreten,<br />

sind die Tumore häufig schon relativ groß. Hat<br />

man den Tumor aber entdeckt, geht die Diagnose<br />

an sich recht schnell.<br />

Wenn Sie zurückblicken – gab es bei Ihnen Anzeichen<br />

für die Erkrankung? Was berichten andere<br />

Betroffene?<br />

Im Normalfall gehen Betroffene mit Beschwerden des<br />

Verdauungstrakts zum Arzt, aber diese sind diffus und<br />

weisen nicht sofort auf GIST hin. Beschwerden beim<br />

Stuhlgang beispielsweise, Völlegefühl, eine gewisse<br />

Müdigkeit – das alles kann auch andere Ursachen haben.<br />

Sehr eindeutige Symptome gibt es nicht.<br />

Wie ging es nach der Diagnose für Sie weiter? Wie<br />

wurde GIST bei Ihnen therapiert?<br />

Meine Onkologin kannte sich gut mit dem Thema<br />

aus und wusste bereits von dem neuen Medikament,<br />

das damals erst seit zwei Jahren eingeführt war. Sie<br />

hat mich auch direkt damit behandelt. Das war großes<br />

Glück. Insgesamt rate ich Betroffenen, sich wenn mög-<br />

lich in einem auf Sarkome spezialisierten Zentrum<br />

behandeln zu lassen. Als meine Diagnose gestellt wurde,<br />

gab es solche Zentren noch nicht – heute gibt es<br />

sie an mehreren Orten in Deutschland.<br />

Die Erkrankung hat Sie zur Deutschen Sarkom-<br />

Stiftung gebracht. Was sind Ihre Aufgaben als Patientenvertreter?<br />

Es gab eine Vorläuferorganisation, das Lebenshaus, eine<br />

reine Patientenorganisation, in der ich mich bereits engagierte.<br />

Wir haben mit dem Lebenshaus schon einiges<br />

erreicht, wurden auch von Experten unterstützt, diese<br />

waren aber nie Teil der Organisation. Das wollten wir<br />

ändern und haben beschlossen, gemeinsam mit Experten<br />

die Deutsche Sarkom-Stiftung aufzubauen, um sie<br />

fest zu integrieren. Die Deutsche Sarkom-Stiftung ist ein<br />

Zusammenschluss aus Ärzten, Zentren und Patienten,<br />

um die Diagnose-Situation und die Behandlungsqualität<br />

für GIST und Sarkome in Deutschland zu verbessern. Für<br />

Betroffene bieten wir auch Webinare an, derzeit online,<br />

um neueste Erkenntnisse zu GIST zu präsentieren und<br />

einen Rahmen zum Austausch mit Ärzten zu schaffen.<br />

Was empfehlen Sie anderen Betroffenen im Umgang<br />

mit der Erkrankung?<br />

Grundsätzlich ist es sehr wichtig, sich um die Erkrankung<br />

zu kümmern. Es ist gut, sich zu informieren und<br />

Hintergrundwissen anzueignen. Manchmal kann es helfen,<br />

nicht alleine zu Terminen zu gehen, sondern einen<br />

Angehörigen, einen guten Freund oder eine Freundin<br />

mitzunehmen. Und es schadet nicht, im Zweifelsfall<br />

eine Zweitmeinung einzuholen. Wenn man nicht in der<br />

Nähe eines spezialisierten Sarkom-Zentrums wohnt,<br />

kann man vielleicht den Schwerpunkt der Behandlung<br />

bei einem niedergelassenen Onkologen oder einer Onkologin<br />

durchführen lassen, sich für besondere Fragestellungen<br />

aber an ein Sarkom-Zentrum wenden. Bei der<br />

Deutschen Sarkom-Stiftung erhalten Betroffene viele<br />

wertvolle Tipps, finden neueste Studienergebnisse und<br />

viele Informationen. Sie können dort die Zentren und<br />

auch niedergelassene Onkologen finden, die sich gut mit<br />

der Erkrankung auskennen.<br />

Grundsätzlich ist es<br />

sehr wichtig, sich<br />

um die Erkrankung<br />

zu kümmern. Es<br />

ist gut, sich zu<br />

informieren und<br />

Hintergrundwissen<br />

anzueignen.<br />

Weiterführende Informationen<br />

Die Deutsche Sarkom-Stiftung ist eine gemeinsame<br />

Organisation von Patienten und Experten. Die Stiftung setzt<br />

sich dafür ein, die Situation für Sarkom-Patienten in<br />

Deutschland zu verbessern. Dafür engagiert sie sich in<br />

verschiedenen Bereichen: Information, Forschung, Fortbildung,<br />

Versorgungsstrukturen inkl. Etablierung von spezialisierten<br />

Sarkom-Zentren, Diagnose- und Behandlungsqualität wie auch<br />

Patienteninformation und Interessenvertretung.<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.sarkome.de


Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 7<br />

GIST: Immer bessere Prognose<br />

Gastrointestinale Stromatumoren (GIST) sind sehr seltene<br />

Weichteilsarkome, die im Magen-Darm-Trakt entstehen. In Deutschland<br />

erkranken pro Jahr ein bis zwei von 100.000 Menschen, die<br />

meisten sind bei Diagnosestellung 60 Jahre alt oder älter.<br />

PD Dr. med. Reichardt leitet das Sarkomzentrum Berlin-Buch und<br />

erklärt, was die Herausforderungen bei der Diagnose sind und wie<br />

Betroffene heute behandelt werden können.<br />

Text Miriam Rauh<br />

PD Dr. med. Peter Reichardt<br />

Chefarzt der Klinik für Onkologie und<br />

Palliativmedizin am Helios Klinikum<br />

Berlin-Buch und Leiter des Sarkomzentrums<br />

Berlin-Buch<br />

Herr Dr. Reichardt, was sind die<br />

Herausforderungen bei der<br />

Diagnose von GIST und im<br />

Verlauf der Erkrankung?<br />

Die Beschwerden sind in der Regel eher<br />

unspezifisch. Aus diesem Grund wird ein<br />

Gastrointestinaler Stromatumor oft zufällig<br />

entdeckt, bspw. im Rahmen einer<br />

Magenspiegelung, Ultraschalluntersuchung<br />

oder Computertomographie. Wichtig ist,<br />

dass neben der pathologischen Diagnose<br />

auch eine Mutationsanalyse gemacht<br />

wird, da die genaue Kenntnis der zugrundeliegenden<br />

Mutationen für die Therapieplanung<br />

entscheidend ist; zudem hat sie<br />

Einfluss auf die Prognose. Die Feindiagnostik<br />

sollte in einem erfahrenen Referenzzentrum<br />

durchgeführt werden, um<br />

Inkorrektheiten auszuschließen.<br />

Wie ist die Prognose?<br />

Man muss hier zwischen lokalisierter<br />

Erkrankung und fortgeschrittener Erkrankung<br />

unterscheiden. Die Prognose des<br />

fortgeschrittenen, metastasierten GIST<br />

hat sich in den letzten Jahren durch<br />

zunehmende therapeutische Optionen<br />

kontinuierlich verbessert; seit ca. einem<br />

Jahr steht mit Ripretinib eine Viertlinientherapie<br />

zur Verfügung. Mittlerweile können<br />

wir bei einer metastasierten Erkrankung<br />

eine mittlere Lebenserwartung von sechs<br />

oder sieben Jahren erwarten.<br />

Bei einer lokalisierten Erkrankung, die<br />

operativ behandelt wurde, können wir<br />

recht genau vorhersagen, wie groß das<br />

Risiko eines Patienten für Metastasen bzw.<br />

ein Rezidiv ist. Hiervon abhängig ist die<br />

Indikation einer vorbeugenden, adjuvanten<br />

Therapie. Als Richtwert gilt ein Rezidivrisiko<br />

in der Größenordnung über 50<br />

Prozent, sofern der Tumor eine Imatinibsensitive<br />

Mutation aufweist.<br />

Die Prognose des<br />

fortgeschrittenen,<br />

metastasierten GIST hat<br />

sich in den letzten Jahren<br />

durch zunehmende<br />

therapeutische Optionen<br />

kontinuierlich verbessert.<br />

Welche Therapieoptionen gibt es derzeit,<br />

um GIST zu behandeln, und wie ist deren<br />

Stellenwert?<br />

Imatinib stellt nach wie vor den Standard<br />

in der Erstlinientherapie und in der adju-<br />

vanten Therapie dar. Bei einer Imatinib-<br />

Intoleranz oder einem Krankheitsprogress<br />

unter Imatinib ist die Zweitlinientherapie<br />

Sunitinib vorgesehen. Wenn auch diese<br />

nicht mehr wirkt, kommen Regorafenib<br />

und schließlich Ripretinib in der Drittund<br />

Viertlinie zum Einsatz. Für die sehr<br />

seltene D842V-Mutation steht mit Avapritinib<br />

seit einiger Zeit erstmals eine wirksame<br />

Therapie zur Verfügung.<br />

Bei der Therapie spielen für Betroffene<br />

in den verschiedenen Phasen der<br />

Erkrankung neben Wirksamkeit auch<br />

Verträglichkeit und Lebensqualität<br />

eine Rolle. Wie sieht es bei den Behandlungsoptionen<br />

gerade in späteren Stadien<br />

aus?<br />

Die für die Therapie des fortgeschrittenen<br />

GIST etablierten Medikamente sind<br />

unterschiedlich gut verträglich, was angesichts<br />

der häufig langfristigen Einnahme<br />

von besonderer Bedeutung ist. Imatinib,<br />

Standard in der Erstlinientherapie, ist in<br />

der Regel gut verträglich. Sunitinib ist<br />

etwas schlechter verträglich als Imatinib,<br />

was sich in Durchfällen, Abgeschlagenheit,<br />

Müdigkeit oder Hautreizung an Händen<br />

und Füßen bemerkbar machen kann,<br />

auch Blutdruck und Schilddrüsenfunktion<br />

sollten überwacht werden. Regorafenib<br />

ist vom Nebenwirkungsspektrum<br />

dem Sunitinib ähnlich, mit einer häufig<br />

ausgeprägteren Tendenz zu Nebenwirkungen;<br />

eine individuelle Einstellung<br />

ist bei diesen Medikamenten besonders<br />

wichtig.<br />

Das Medikament der Viertlinientherapie,<br />

Ripretinib, ist wiederum in aller Regel<br />

besser verträglich. Dies erhöht auch die<br />

Lebensqualität der Patienten.<br />

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8<br />

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Leben mit PMF –<br />

ein ganzheitlicher Ansatz<br />

Unter Myeloproliferativen Neoplasien (MPN) versteht man eine Gruppe von seltenen <strong>Erkrankungen</strong> des Knochenmarks,<br />

pro Jahr erkranken in Deutschland ein bis zwei Menschen pro 100.000 Einwohner. Charakteristisch für diese Krankheitsbilder ist eine<br />

gesteigerte Produktion von Blutzellen, was sich in einer Vielzahl von Symptomen äußern kann, die das Leben Betroffener zum Teil stark<br />

beeinträchtigen.<br />

Zu den MPN zählt auch die Primäre Myelofibrose (PMF), von der Stefanie Peheim betroffen ist. Sie erzählt uns von ihrem Weg zur<br />

Diagnose und ihrem Leben mit dieser seltenen chronischen Erkrankung.<br />

Text Miriam Rauh<br />

Frau Peheim, Sie sind betroffen von der Primären<br />

Myelofibrose. Können Sie uns erzählen,<br />

wann erstmals Beschwerden aufgetreten<br />

sind und wie diese aussahen?<br />

Etwa ein bis zwei Jahre vor der Diagnose bemerkte ich<br />

erste Beschwerden wie Taubheit in den Fingern, auch<br />

Müdigkeit am Tag, besonders gegen Mittag. Ich habe<br />

sehr viel Schlaf gebraucht, den brauche ich nach wie vor.<br />

MPN sind von Mensch zu Mensch in der Ausprägung<br />

sehr verschieden. Wann wurde die richtige Diagnose<br />

gestellt?<br />

Das war im Jahr 2020, ich war 26 Jahre alt. Ich hatte Blut<br />

gespendet, im Anschluss erhielt ich eine Auswertung<br />

meiner Blutwerte. Weil mein Thrombozytenwert erhöht<br />

war, wurde mir geraten, ihn noch mal beim Hausarzt<br />

kontrollieren zu lassen. Mein Hausarzt empfahl mich<br />

dann weiter an eine Spezialistin, dort erhielt ich einen<br />

Monat später die Diagnose.<br />

Gab es direkt eine passende/individuelle Behandlungsoption<br />

für Sie?<br />

Mir wurde gut erklärt, was es mit der Erkrankung auf sich<br />

hat, wie sie sich auf mein Leben auswirkt und welche<br />

Möglichkeiten es gibt. Da ich keine großen Beschwerden<br />

hatte und auch die Werte nicht dramatisch waren, habe<br />

ich in Rücksprache mit meiner Ärztin anfangs keine<br />

Medikamente genommen, sondern ging nur regelmäßig<br />

zur Kontrolle. Erst mal abzuwarten, war für mich der<br />

richtige Weg. Im Herbst 2022 haben sich die Werte etwas<br />

verschlechtert und ich habe begonnen, Medikamente zu<br />

nehmen. Die Einstellungsphase dauert mindestens drei<br />

bis vier Monate, bei manchen durchaus auch länger. In<br />

dieser Phase muss man sowohl die Blutwerte als auch<br />

mögliche Nebenwirkungen monitoren. Erst nach dieser<br />

Phase kann man beurteilen, wie der Körper die Medikamente<br />

annimmt und welche Therapie die individuell<br />

passende ist. In dieser Phase befinde ich mich.<br />

FOTO: MELANIE PETERSEIL<br />

Zudem wurde mir direkt zu Beginn meiner Therapie von<br />

einer Studie berichtet, an der ich seitdem teilnehme. Vor<br />

allem bei seltenen Krankheiten wie der PMF ist das sehr<br />

wichtig, damit an den Medikamenten geforscht werden<br />

kann und Betroffene direkt in das Forschungsgeschehen<br />

mit einbezogen werden können.<br />

Ich muss gut auf meinen<br />

Körper aufpassen und<br />

dafür sorgen, dass er<br />

bekommt, was er braucht.<br />

Was sind für Sie persönlich die größten Belastungen<br />

und Herausforderungen, die mit der Erkrankung<br />

einhergehen?<br />

Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich realisierte, dass<br />

ich eine Erkrankung habe, anfangs habe ich es verdrängt.<br />

Erst im letzten Jahr wurde mir richtig bewusst,<br />

dass ich auf meinen Körper aufpassen und gut dafür sorgen<br />

muss, dass er bekommt, was er braucht.<br />

Die Müdigkeit ist sehr präsent – auch wenig Energie kenne<br />

ich sonst gar nicht von mir, ich habe immer viel unternommen.<br />

Jetzt muss ich konsequent auf meinen Körper<br />

hören und sehen, wo meine Grenzen sind. Grenzen zu<br />

stecken und genau hinzusehen, was mir guttut, das ist<br />

derzeit die größte Herausforderung für mich. Auch habe<br />

ich häufig mit schweren Beinen zu kämpfen: Bei meiner<br />

Tätigkeit als Konditorin merke ich das oft schon nach<br />

zwei bis drei Stunden, da ich ja viel im Stehen arbeite.<br />

Durch die medikamentöse Behandlung hat sich das aber<br />

bereits gebessert.<br />

Wie wirkt sich die Erkrankung auf Ihr Berufsleben<br />

aus?<br />

Die Diagnose hat mich in meiner Berufswahl einmal<br />

mehr bestätigt. Ich wollte etwas tun, das mir zu 100 Prozent<br />

Freude macht, und bin seit knapp zwei Jahren als<br />

Konditorin selbstständig. Meine Arbeitsstätte ist in der<br />

Nähe, ich bekomme auch sehr viel Unterstützung durch<br />

meine Familie. Anders würde es nicht funktionieren.<br />

Wie gehen Sie mit der Last Ihrer Erkrankung um,<br />

und was hilft Ihnen im Umgang mit der PMF?<br />

Abgesehen davon, dass es mir hilft, meine Zeit und<br />

Energie gut einzuteilen, schätze ich den Austausch mit<br />

anderen Betroffenen sehr. Bis zur Diagnose war ich nie<br />

wirklich krank, ich musste auch nie Medikamente nehmen.<br />

Durch den Austausch bekomme ich einen besseren<br />

Einblick in den Alltag mit der Erkrankung. Wie geht<br />

es anderen Betroffenen damit, was machen sie? Man<br />

unterstützt sich gegenseitig sehr.<br />

Eine solche Erkrankung betrifft auch indirekt die<br />

Angehörigen. Wie geht Ihr Umfeld mit Ihrer Erkrankung<br />

um?<br />

Insgesamt sehr gut, ich bekomme viel Unterstützung.<br />

Bei mir ist die Krankheit aber auch derzeit kein großes<br />

Thema, ich habe wenig Beschwerden.<br />

Welche Rolle spielt für Sie die Vernetzung in der<br />

Selbsthilfegruppe?<br />

Diese Möglichkeit empfinde ich als sehr wertvoll. Die<br />

Krankheit ist noch relativ wenig erforscht, es gibt kein<br />

Patentrezept für den Umgang, vieles muss individuell<br />

betrachtet und angepasst werden. Manchmal haben<br />

andere Betroffene ergänzend zu Ärzten wertvolle Tipps,<br />

einfach aus der Alltagserfahrung heraus – z. B. wann<br />

die beste Tageszeit für die Einnahme der Medikamente<br />

ist. Meine Ärztin hat mich auf eine Selbsthilfegruppe<br />

in Österreich aufmerksam gemacht, dort bin<br />

ich Mitglied. Durch eigene Recherche habe ich auch<br />

Gruppen auf Facebook gefunden, in denen ich aktiv bin.<br />

Was haben Sie aus Ihrer Erfahrung mit der Krankheit<br />

gelernt, was würden Sie an andere Betroffene<br />

weitergeben?<br />

Es ist wichtig, sich nicht einschüchtern zu lassen. Man<br />

sollte nicht ängstlich an das Thema herangehen, sondern<br />

sich an die Situation anpassen und sie ins Leben integrieren.<br />

Ich versuche, die Krankheit ganzheitlich zu sehen.<br />

Nicht nur Medikamente können helfen, eine Erkrankung<br />

hat auch eine psychologische Komponente. Diesen<br />

ganzheitlichen Ansatz würde ich sehr empfehlen.<br />

FOTO: ELISABETH PEHEIM<br />

MPN-NETZWERK –<br />

EIN NETZWERK, DAS TRÄGT<br />

Das MPN-Netzwerk e. V. ist eine Selbsthilfeinitiative für<br />

Menschen mit Myeloproliferativen Neoplasien (MPN) und<br />

ihre Angehörigen. Wir stellen fundierte, allgemein verständliche<br />

Informationen zu MPN-<strong>Erkrankungen</strong> zur Verfügung und<br />

bieten Patient:innen und deren Angehörigen die Möglichkeit, sich<br />

miteinander auszutauschen und zu vernetzen. Zudem arbeiten<br />

wir eng mit einschlägigen Expert:innen für die MPN-<strong>Erkrankungen</strong><br />

zusammen, um die Forschung weiter voranzutreiben.<br />

Weitere Informationen finden Sie unter<br />

www.mpn-netzwerk.de


Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 9<br />

„Patienten tragen heute entscheidend<br />

zu unserem Gesundheitswesen bei.“<br />

Die Myeloproliferativen Neoplasien (MPN) sind eine Gruppe von seltenen <strong>Erkrankungen</strong> des Knochenmarkes,<br />

zu denen auch die Polycythaemia Vera (PV) gehört. Wir sprachen mit Werner Zinkand über die<br />

Last der Erkrankung und die wichtige Rolle der Patientenselbsthilfe.<br />

Text<br />

Hanna Sinnecker<br />

Werner Zinkand<br />

Vorsitzender der<br />

internationalen<br />

MPN-Advocates<br />

Weitere<br />

Informationen<br />

finden Sie unter<br />

www.mpnadvocates.net<br />

Herr Zinkand, Sie sind betroffen von der<br />

seltenen Erkrankung Polycythaemia<br />

Vera. Wie hat sich die Erkrankung bemerkbar<br />

gemacht und wann haben Sie<br />

Ihre Diagnose erhalten?<br />

Im Jahr 2000 war ich zum Gesundheitscheck bei<br />

meiner Hausärztin, da war ich 47 Jahre alt. Meine Ärztin<br />

hatte zu hohe Thrombozyten festgestellt und mir<br />

ASS (einen Blutverdünner) verschrieben, das habe<br />

ich einige Jahre genommen. Aber es kamen mit der<br />

Zeit Sehstörungen dazu: ich habe verschwommen<br />

oder Doppelbilder gesehen, nach einer Minute war<br />

das meist wieder vorbei. Die Ärztin konnte das nicht<br />

einordnen. Schrecklich war auch ein extremer, stechender<br />

Juckreiz, besonders nach Wasserkontakt<br />

nach dem Duschen. Juckreiz ist ein deutliches Symptom<br />

der PV, der die Patienten verrückt machen kann.<br />

Aber mein Dermatologe kam nicht auf PV. Die richtige<br />

Diagnose kam durch Zufall: 2011, zehn Jahre nach den<br />

ersten Beschwerden, bin ich auf die Schulter gestürzt,<br />

es wurde ein MRT gemacht. Dem Radiologe fiel mein<br />

Knochenmark auf, es war marmoriert. Im Knochenmark<br />

bilden sich die Blutzellen. Meine Hausärztin hat<br />

mich dann zum Hämatologen überwiesen, der die<br />

Diagnose Polycythaemia Vera gestellt hat.<br />

Was sind für Sie als Betroffener die größten<br />

Herausforderungen und wie wirkt sich die<br />

Erkrankung auf Ihr Leben aus?<br />

Wegen des Juckreizes kann man nachts nicht schlafen<br />

und ist tagsüber kaputt. Die Diagnose selbst ist ein<br />

Schock: man hat über Nacht, für den Rest des Lebens,<br />

eine unbekannte chronische Krankheit. Wenn man<br />

in der Hämatologie und Onkologie behandelt wird,<br />

bekommt man Angst, wird mit schlimmen Schicksalen<br />

konfrontiert und fragt sich: wie geht es jetzt<br />

weiter? Habe ich jetzt Krebs? Mit der Antwort tun<br />

sich die Ärzte schwer, denn ja, es handelt sich um<br />

eine chronische Blutkrebserkrankung. Chronisch heißt<br />

aber, dass sie in den meisten Fällen langsam voranschreitet.<br />

Die Zellen des Blutes vermehren sich<br />

unkontrolliert, unbehandelt haben wir ein hohes<br />

Thrombose- oder Embolierisiko.<br />

Patienten müssen<br />

gehört werden.<br />

Mittlerweile gibt es Medikamente, mit denen die Beschwerden<br />

gelindert werden können. Ein klassisches<br />

Medikament, eine leichte Chemotherapie, ist seit Jahrzehnten<br />

auf dem Markt. 2012 kam ein sogenannter<br />

Inhibitor dazu, der später eingesetzt wird, wenn man<br />

die Erstlinientherapie nicht verträgt oder sie nicht<br />

mehr reicht. Aktuell werden mehr Medikamente zugelassen,<br />

alle wirken verschieden. Ein erfahrener Hämatologe<br />

kann unsere Beschwerden meist gut kontrollieren<br />

– das ist eine wichtige Information für<br />

Betroffene.<br />

Sie sind sehr engagiert in der nationalen und<br />

internationalen MPN-Patientenselbsthilfe.<br />

Welche Rolle spielt diese aus Ihrer Sicht, wenn es<br />

um die Verbesserung der Lebensqualität Betroffener<br />

geht?<br />

Wissen ist die beste Medizin. Die Selbsthilfe hilft Betroffenen,<br />

sich mit ihrer Erkrankung vertraut zu<br />

machen. Das kann ein Stück weit den Schrecken<br />

nehmen. Man fühlt sich zu Beginn sehr allein,<br />

besonders mit einer seltenen Erkrankung wie der<br />

PV. Ich hatte bald einen anderen Betroffenen kennengelernt,<br />

der eine kleine Selbsthilfegruppe gegründet<br />

hat, wir waren anfangs zu dritt. Der Erfahrungsaustausch<br />

war sehr wichtig für mich, deshalb<br />

engagierte ich mich neun Jahre lang im deutschen<br />

MPN-Netzwerk. Seit zwei Jahren bin ich Vorstand<br />

der internationalen MPN-Advocates, das ermöglicht<br />

mir eine größere Perspektive. Gemeinsam kann man<br />

viele positive Entwicklungen vorantreiben! Erfahrene<br />

Patient:innen sind heute gefragt, mehr denn je.<br />

Für Betroffene, die sich engagieren wollen, gibt es<br />

Schulungen. Wir arbeiten in nationalen und internationalen<br />

Gremien mit, unsere Erfahrungen helfen<br />

auch Pharmafirmen bei der Entwicklung neuer<br />

Medikamente. Heute tragen Patienten entscheidend<br />

zu unserem Gesundheitswesen bei.<br />

Was ist bezüglich der Versorgung Betroffener<br />

wichtig, damit diese ihren Alltag bestmöglich<br />

meistern können?<br />

Man muss zurückfinden ins Leben und lernen,<br />

die Krankheit als Teil des Lebens anzunehmen.<br />

Aber sie sollte in den Hintergrund treten. Neben<br />

der Medizin spielt auch die psychologische Betreuung<br />

eine große Rolle. Sie kann helfen, die<br />

Krankheit zu akzeptieren, ohne dass man die<br />

Hoheit über das eigene Leben verliert. Außerdem<br />

müssen wir Patienten gehört werden. Ärzte<br />

achten oft auf andere Aspekte als wir. Eine Umfrage<br />

ergab, dass Ärzte zuerst auf das Blutbild<br />

schauen, Patienten ist aber die Lebensqualität<br />

wichtiger. Und die korreliert nicht unbedingt mit<br />

guten Blutwerten.<br />

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Leben mit MPN –<br />

Umfassende Hilfe für Betroffene<br />

Das forschende Pharmaunternehmen Novartis denkt Medizin<br />

neu, um besonders auch Menschen mit seltenen <strong>Erkrankungen</strong><br />

mit innovativen Therapien zu mehr Lebensqualität zu verhelfen<br />

und ihnen mit umfangreichen Unterstützungs- und Informationsangeboten<br />

zur Seite zu stehen.<br />

FOTO: NOVARTIS PHARMA GMBH<br />

Speziell für Menschen, die an einer Myeloproliferativen Neoplasie (MPN) wie der Myelofibrose,<br />

der Polycythaemia Vera oder der Chronischen Lymphatischen Leukämie leiden,<br />

hat Novartis für Patient:innen und deren Angehörige umfangreiche Informationsinitiativen<br />

ins Leben gerufen, die Betroffenen und deren Angehörigen wissenschaftlich fundiertes<br />

Wissen zur Erkrankung und zum Umgang damit zur Verfügung stellen.<br />

Symptome erkennen – und richtig in Zusammenhang bringen<br />

Da die verschiedenen Symptome der MPN sehr vielschichtig sind und mit Fortschreiten<br />

der Erkrankung stärker werden, sind fundierte Informationen zu den möglichen Beschwerden<br />

für Patient:innen und deren Angehörige sehr wichtig. Das macht das Beispiel der Polycythaemia<br />

Vera deutlich: denn Beschwerden wie chronische Müdigkeit, Schmerzen im linken<br />

Oberbauch, verstärktes nächtliches Schwitzen, Juckreiz besonders nach Kontakt mit<br />

Wasser und Appetitlosigkeit lassen oft nicht direkt an eine schwere Erkrankung denken.<br />

Gerade Frauen denken oftmals eher an die Wechseljahre und nicht an eine seltene Bluterkrankung.<br />

Auch Seh- und Konzentrationsstörungen, Ohrensausen, trockene Haut werden<br />

eher auf das Alter zurückgeführt und nicht in Kombination betrachtet. Die Folge: der Arztbesuch<br />

bleibt aus, die PV bleibt unentdeckt und somit auch unbehandelt, schwere Komplikationen<br />

können auftreten.<br />

Zunehmende Beschwerden ernst nehmen<br />

Aber auch wenn die Diagnose bereits gestellt wurde, sollten Betroffene die Symptome im<br />

Blick behalten. Gerade wenn die Symptomlast zunimmt oder Nebenwirkungen auftreten,<br />

sollten Betroffene das Gespräch mit dem Behandlungsteam suchen. Manche Begleiterkrankungen<br />

oder Komplikationen können für Betroffene im schlimmsten Fall lebensbedrohlich<br />

werden, weshalb ein schnelles Gegensteuern entscheidend ist. Ist der Betroffene gut<br />

informiert, kann er bei der Wahl und Durchführung der passenden Therapie intensiv mit einbezogen<br />

werden. Die Patient:innen sollten immer ein offenes Ohr finden, wenn Handlungsbedarf<br />

besteht. Das gilt auch für die Angehörigen der Betroffenen, denn sie können eine<br />

große Stütze sein: Auch wenn es darum geht, körperliche und seelische Beschwerden<br />

oder eine Verschlechterung des Zustandes frühzeitig zu erkennen. Sie spielen also eine<br />

tragende Rolle, wenn es darum geht, Betroffene zu unterstützen und ihre Lebensqualität<br />

zu verbessern.<br />

Die einzelnen Initiativen www.leben-mit-myelofibrose.de, www.leben-mit-pv.de<br />

und www.leben-mit-cml.de möchten Betroffene deshalb über alle Facetten der Erkrankung<br />

informieren. Hier finden sich auch Patienten-Erfahrungsberichte und Expertenbeiträge<br />

zu verschiedenen krankheitsrelevanten Schwerpunkten. Zudem finden Patient:innen<br />

ausführliche Checklisten, die ihnen die Gespräche mit dem Behandlungsteam erleichtern<br />

können: denn die Patient:innen selbst spielen eine wesentliche Rolle bei der<br />

Wahl und Durchführung der geeigneten Therapie. Dazu kann auch eine Anpassung der bestehenden<br />

Therapie gehören, wenn die bestehende Behandlung nicht den gewünschten<br />

Erfolg erzielt. Dabei kann auch der MPN-Tracker unter www.mpntracker.com helfen,<br />

der Patient:innen in Form eines Therapietagebuches bei der Dokumentation zur Entwicklung<br />

ihrer Erkrankung unterstützt.<br />

Zusammen stärker<br />

Auch der Austausch mit anderen Betroffenen, Selbsthilfeorganisationen und Fachärzt:innen<br />

stärkt Patient:innen und ihre Angehörigen im Umgang mit der Erkrankung.<br />

Seit 2016 können MPN-Betroffene einen bundesweit etablierten Treffpunkt nutzen:<br />

die MPN-Patient:innentage. Diese finden mehrmals im Jahr an immer anderen Standorten<br />

statt, damit möglichst viele Betroffene teilnehmen können. Seit 2020 ist für einige<br />

der Termine auch eine Online-Teilnahme möglich. Die Teilnahme an den MPN Veranstaltungen<br />

ist kostenlos. Auf www.mpn-patiententage.de findet man die<br />

Anmeldung für den nächsten Patient:innentag sowie weitere Informationen und<br />

einen kleinen Rückblick auf vergangene Veranstaltungen.<br />

Scannen Sie den QR-Code und lesen Sie mehr zu uns<br />

auf unserer Webseite unter https://www.leben-mit-pv.de/sp1


10<br />

Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />

Hereditäres<br />

Angioödem (HAE)<br />

Schwellungsattacken beherrschbar machen –<br />

Lebensqualität Betroffener steigern<br />

Text Hanna Sinnecker<br />

Das Hereditäre Angioödem (kurz<br />

HAE) ist eine seltene vererbbare<br />

Erkrankung, die sich durch wiederkehrende<br />

Schwellungen bemerkbar<br />

macht. Diese Schwellungen verursachen<br />

starke Schmerzen und können<br />

lebensbedrohlich werden, zum Beispiel<br />

wenn sie im Halsbereich auftreten und<br />

Betroffenen buchstäblich die Luft nehmen.<br />

Je früher die Erkrankung diagnostiziert<br />

wird, umso schneller kann eine Behandlung<br />

in die Wege geleitet werden. Denn<br />

mit der richtigen Therapie können Betroffene<br />

ein nahezu normales Leben führen.<br />

Was passiert bei HAE im Körper?<br />

HAE-Betroffene weisen eine Mutation auf<br />

dem Chromosom 11 auf, die einen Defekt<br />

des sogenannten SERPING1-Gens verursacht.<br />

Dieses Gen ist dafür zuständig,<br />

das Protein C1-INH zu produzieren, das<br />

bei HAE-Patienten nicht in ausreichender<br />

Menge oder gar nicht produziert wird.<br />

Das führt zu einer Störung des Enzyms<br />

Plasma-Kallikrein, was wiederum zu einer<br />

zu großen Menge des Gewebshormons<br />

Bradykinin führt. Bradykinin reguliert<br />

u. a. den Blutdruck und erhöht die Durchlässigkeit<br />

der Blutgefäße. Die Folge von<br />

zu viel Bradykinin: Die Blutgefäße werden<br />

durchlässiger für das Blutplasma. Es tritt<br />

aus den Gefäßen aus, lagert sich im Gewebe<br />

ein und führt zu den attackenartigen<br />

Schwellungen.<br />

Wo können Schwellungen auftreten?<br />

Die Schwellungen können nahezu überall<br />

auftreten. Besonders häufig sind Schwellungen<br />

der Haut, vor allem im Gesicht<br />

(Augen, Lippen), an den Händen, Armen,<br />

Füßen und Beinen. Auch an den Schleimhäuten<br />

im Magen-Darm-Trakt können<br />

diese Schwellungen auftreten, wo sie<br />

Bauchschmerzen, kolikartige Krämpfe, Erbrechen<br />

und Durchfall auslösen können.<br />

Auch Kehlkopf, Genitalien, Harnblase,<br />

Muskulatur, Gelenke, Gehirn und Nieren<br />

können betroffen sein. Die Schwellungen<br />

treten meistens attackenartig oder in<br />

Schüben auf. Meist entwickeln sie sich<br />

über einen Zeitraum von 12 bis 36 Stunden<br />

und klingen unbehandelt innerhalb von<br />

2 bis 5 Tagen wieder ab.<br />

Schwellungsattacken kontrollieren –<br />

Lebensqualität steigern<br />

Ist die Erkrankung diagnostiziert, lassen<br />

sich die Schwellungsattacken durch die<br />

verfügbaren Behandlungsoptionen gut<br />

kontrollieren. An spezialisierten Zentren<br />

für seltene <strong>Erkrankungen</strong> oder HAE-<br />

Zentren können der behandelnde Arzt<br />

und der Patient die Behandlungsmöglichkeiten<br />

besprechen, die immer darauf<br />

abzielen, die Erkrankung zu kontrollieren<br />

und im Idealfall Schwellungsattacken<br />

ganz zu vermeiden – immer mit dem Ziel,<br />

Betroffenen ein Leben zu ermöglichen,<br />

das so normal wie möglich verläuft.<br />

Mittlerweile stehen mehrere Medikamente<br />

zur Verfügung, die prophylaktisch<br />

eingesetzt werden, um Schwellungsattacken<br />

gar nicht erst entstehen zu lassen.<br />

Diese Medikamente unterscheiden sich lediglich<br />

in der Art der Anwendung und den<br />

Abständen der Verabreichung.<br />

Da es trotz Prophylaxe dennoch sein kann,<br />

dass plötzlich eine Attacke auftritt, sollten<br />

Menschen mit HAE zusätzlich immer eine<br />

ausreichende Menge Akutmedikamente<br />

für mindestens zwei Attacken dabeihaben.<br />

FOTO: SHUTTERSTOCK_2171232029<br />

Patienteninitiativen machen Mut!<br />

3 Fragen an Franziska von Werder, HAE-Patientin<br />

Text Hanna Sinnecker<br />

Wann haben Sie Ihre Diagnose erhalten?<br />

Meine erste Attacke hatte ich mit 14<br />

Jahren. Da meine Mutter ebenfalls betroffen<br />

ist, war schnell klar, dass ich auch<br />

HAE habe. Dieses „Glück“ hat ja aber<br />

nicht jeder. Ich weiß, dass viele Betroffene<br />

von Arzt zu Arzt laufen und es teilweise<br />

Jahre dauert, bis sie eine Diagnose<br />

erhalten.<br />

Welche Herausforderungen gibt es für<br />

Menschen mit HAE?<br />

Die Attacken machen das Leben weniger<br />

planbar und können theoretisch auch<br />

lebensbedrohlich werden. Persönlich habe<br />

ich mich aber nie wirklich eingeschränkt<br />

gefühlt. Durch meine familiäre Vorbelastung<br />

bin ich früh von Experten betreut<br />

worden, die sich gut mit HAE auskannten.<br />

Ich hatte immer meine Akutmedikation<br />

dabei und konnte ein relativ normales<br />

Leben führen. Aber als ich in eine<br />

andere Stadt gezogen bin, habe ich auch<br />

anderes erlebt. Da musste ich den Ärzten<br />

erklären, was HAE ist und auch, dass<br />

manche Therapievorschläge nicht helfen,<br />

beispielsweise Kortison.<br />

Wenn die<br />

Diagnose einmal<br />

steht, ist die<br />

Herausforderung<br />

eher eine<br />

organisatorische.<br />

Wenn die Diagnose einmal steht, ist<br />

die Herausforderung eher eine organisatorische.<br />

Ich nehme inzwischen regelmäßig<br />

ein Medikament zur Prophylaxe,<br />

habe aber vorsichtshalber auch immer<br />

meine Akutmedikation dabei. Aber davon<br />

abgesehen mache ich alles, was Nichtbetroffene<br />

auch können: Ich habe studiert,<br />

ich arbeite, mache Sport, gehe feiern,<br />

fahre in den Urlaub …<br />

Warum sind Initiativen für Betroffene<br />

und ihre Angehörigen wichtig?<br />

Patienteninitiativen mit Informationen<br />

rund um die Erkrankung und Tipps für<br />

ein Leben mit HAE machen Mut. Das<br />

ist vor allem für Menschen wichtig, die<br />

vielleicht noch gar nicht wissen, was sie<br />

haben, oder für solche, die gerade frisch<br />

diagnostiziert sind und sich fragen, wie<br />

es jetzt weitergehen soll. Ich konnte mich<br />

ja immer mit meiner Mutter austauschen,<br />

aber was machen andere, die sich<br />

ratlos und allein fühlen? Wäre ich damals<br />

bei meiner Diagnose in einer anderen<br />

Situation gewesen, hätte ich nach genau<br />

so etwas gesucht.<br />

Franziska von Werder (27) hat mit 14<br />

Jahren die Diagnose HAE erhalten.<br />

Sie lebt in Wiesbaden.<br />

FOTO: PRIVAT<br />

HAEllo zum Leben sagen – trotz seltener Erkrankung<br />

Menschen mit der seltenen chronischen Erkrankung Hereditäres Angioödem (HAE) leiden unter plötzlich auftretenden Schwellungsattacken,<br />

die den gesamten Körper betreffen können. Insbesondere im Kopf-Halsbereich kann es zu schweren, lebensbedrohlichen Attacken<br />

kommen. Doch Informationen zu dieser seltenen Erkrankung sind häufig schwer zu finden. Nun bietet die Initiative<br />

„HAEllo zum Leben“ umfangreiche Informationen zur Erkrankung, zu ihrem Management sowie Services und Hilfestellung.<br />

ANZEIGE<br />

Das Hereditäre Angioödem (engl. hereditary<br />

angioedema, kurz: HAE) ist eine chronische<br />

genetische Erkrankung, die schon in frühen<br />

Jahren auftreten kann. So wie beispielsweise<br />

bei Franziska, 27, aus Wiesbaden.<br />

Inzwischen hat sie ihr HAE gut im Griff – ihre<br />

Geschichte macht Mut und ist unter<br />

www.haellozumleben.de zu sehen.<br />

Denn mit der Diagnose HAE stellen sich plötzlich<br />

viele Fragen: Welche Auswirkungen hat HAE<br />

auf mein Leben? Wie lässt sich HAE kontrollieren?<br />

Was kann ich selbst tun, um mein Leben<br />

mit HAE zu verbessern? Welche Therapiemöglichkeiten<br />

habe ich? Die Initiative „HAEllo zum<br />

Leben“ von BioCryst Pharma bietet mit einer<br />

Website sowie den Social-Media-Kanälen Facebook<br />

und Instagram Informationen zur Erkrankung und<br />

ihrem Management, wie etwa den Behandlungsempfehlungen<br />

der aktuellen Leitlinie, Aktionswochen oder<br />

digitalen Experten-Sprechstunden sowie Patienten-<br />

Insights und Tipps zum Umgang mit HAE.<br />

Drei Fragen an Waldemar Heiduk, VP & General Manager<br />

DACH bei BioCryst Pharma Deutschland<br />

Die Diagnose HAE ist oft schwierig. Warum?<br />

Die Symptome sind unspezifisch und ähneln<br />

stark anderen <strong>Erkrankungen</strong>. Oft werden sie<br />

als Lebensmittelunverträglichkeit, Allergie oder<br />

Blinddarmentzündung fehlgedeutet. Da HAE so<br />

selten ist, kann es schwierig sein, eine Ärztin<br />

oder einen Arzt zu finden, der oder die Symptome<br />

richtig deutet.<br />

Warum ist eine Initiative wie „HAEllo zum Leben“<br />

wichtig?<br />

Solche Initiativen mit Tipps für ein Leben mit<br />

HAE machen Mut. Das ist vor allem für Menschen<br />

wichtig, die vielleicht noch gar nicht<br />

wissen, was sie haben, oder für solche, die gerade<br />

frisch diagnostiziert sind und sich fragen, wie es jetzt<br />

weitergehen soll.<br />

Was raten Sie Betroffenen?<br />

Wichtig ist, sich bei unklarer Diagnose rechtzeitig<br />

an ein Zentrum für seltene <strong>Erkrankungen</strong> oder ein<br />

HAE-Zentrum überweisen zu lassen. Eine Liste mit<br />

HAE-Behandlungszentren gibt es zum Beispiel bei der<br />

deutschen HAE-Patientenvereinigung unter:<br />

www.hae-online.de/behandlungszentren.<br />

„HAEllo zum Leben" ist eine Initiative von BioCryst<br />

Pharma Deutschland. Weitere Informationen finden<br />

Sie auf unserer Webseite www.haellozumleben.de<br />

und auf Facebook & Instagram @haellozumleben<br />

Approval-Nr. DE.HAE.00084, Stand 12/2022 FOTOS: © BIOCRYST PHARMA


Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 11<br />

Vanessa Rennspieß hat EGPA:<br />

„Es ist ein Kraftakt, wieder am normalen Leben teilzunehmen.“<br />

Rheumatische <strong>Erkrankungen</strong> - Dabei denken viele zunächst an eine Volkskrankheit, die eine<br />

Vielzahl an Menschen betrifft. Dabei gibt es auch eine beträchtliche Anzahl an seltenen rheumatischen<br />

<strong>Erkrankungen</strong>, zu denen auch die sogenannten Vaskulitiden gehören, die durch eine Entzündung der<br />

Blutgefäße charakterisiert sind. Vanessa Rennspieß ist betroffen von der Eosinophilen<br />

Granulomatose mit Polyangiitis (kurz EGPA) und sprach mit uns über Ihr Leben mit dieser<br />

seltenen Erkrankung.<br />

Text Alexandra Lassas<br />

Frau Rennspieß: Welche <strong>Erkrankungen</strong> haben<br />

Sie und wie hat sich diese geäußert?<br />

Ich leide an der Gefäßentzündung EGPA, die<br />

sich vor 26 Jahren durch eine progressive systemische<br />

Sklerose, eine Verhärtung des Gefäß- und Bindegewebes<br />

der Haut geäußert hat. Die Beschwerden kamen<br />

schleichend in mein Leben. Ich hatte schon länger etwas<br />

Heuschnupfen, leichte Allergien und vermehrt taube,<br />

blaue Finger. Durch einen Aufenthalt in einer Rehaklinik<br />

erhielt ich die Diagnose Raynaud-Syndrom und hatte<br />

zu diesem Zeitpunkt schon offene Stellen an meinen<br />

Händen, vermehrt Schmerzen bei den einfachsten Bewegungen<br />

und beim Luftholen. Auch hormonelle Veränderungen<br />

durch die Geburt meiner Tochter verschlimmerten<br />

meine Symptome.<br />

schlimmerten sich meine Luftprobleme, die in vielen<br />

Hustenanfällen endeten. Im März darauf begann ich eine<br />

Chemotherapie, danach musste ich in die Uniklinik und<br />

diese habe ich dann mehrere Monate nicht verlassen.<br />

Eine schwere Panzytopenie und eine Entzündung der<br />

Gallenblase folgten. Mit den verschiedenen Symptomen<br />

startete ein jahrlanger Arztmarathon. Das erfordert gute<br />

Koordination und gutes Zeitmanagement.<br />

Dazu kommen die permanente Ungewissheit und die anhaltenden<br />

Symptome. Spazieren gehen, mein geliebtes<br />

Nordic Walking und überhaut Bewegung und Luft holen<br />

wurden zur Tortur. Zudem wurde die gemeinsame Zeit<br />

mit der Familie knapp. Das hat auch für mein Umfeld<br />

alles verändert. Mein Mann und meine Tochter haben<br />

stark darunter gelitten und sich um mich gesorgt.<br />

Wie geht es Ihnen jetzt unter Therapie?<br />

Ich bekomme einmal im Monat eine Spritze, ein Biologikum<br />

für EGPA. Das hält meine Lunge in Remission.<br />

Weiterhin gehe ich regelmäßig zur Kontrolle ins Uniklinikum.<br />

Aber ich bin nach wie vor krankgeschrieben.<br />

Das Leben ist nicht mehr das Gleiche. Auch jetzt noch<br />

brauche ich viel Kraft, um wieder normal am Leben teilzunehmen.<br />

Gemeinsame Unternehmungen mit meiner<br />

Familie und dem Arbeitsalltag mit Tatendrang gegenüberstehen:<br />

das ist mein Ziel.<br />

Ist ihr Umfeld eine Stütze? Oder haben Sie Hilfe?<br />

Aktuell habe ich die Krankheit einigermaßen im Griff.<br />

Alle Dinge, die ich allein machen kann, versuche ich<br />

zu organisieren und damit mein Umfeld nicht zu belasten.<br />

Auch meine Therapie hat mir geholfen, mit der<br />

Schwere meiner Krankheit umzugehen und nach vorne<br />

zu schauen. Weiterhin helfen mir mein Job und meine<br />

Tiere, die Gedanken auf etwas anderes zu lenken. Durch<br />

die Uniklinik und die Ärzte vor Ort fühle ich mich gut<br />

betreut und biete gerne meine Hilfe an. Ich stelle mich<br />

den forschenden Studenten zur Verfügung, die mein<br />

Blut untersuchen und Informationen zu der Krankheit<br />

sammeln, um so einen Beitrag zur Erforschung der<br />

Krankheit zu leisten.<br />

Weitere Unterstützung finden Betroffene und deren<br />

Angehörige bei dem bundesweit tätigen<br />

Verein Vaskulitis e. V.<br />

Wie lange hat es gedauert, bis nach den ersten Beschwerden<br />

die Diagnose gestellt wurde und was waren<br />

in dieser Zeit die größten Herausforderungen<br />

für Sie?<br />

Die Symptome wurden von Jahr zu Jahr stärker und<br />

ich musste mein Leben komplett einschränken. 2014<br />

war auch meine Lunge betroffen, Kalkablagerungen in<br />

meinem Körper führten zu einer Knie-OP und alles wurde<br />

als Folge der systemischen Sklerose gesehen. 2017 ver-<br />

Gibt es etwas, was Sie sich an Verbesserungen für<br />

Betroffene wünschen würden?<br />

Vor 25 Jahren war die Forschung noch in den Kinderschuhen<br />

und man konnte nicht darauf schließen, dass ich<br />

unter EGPA leide. Mittlerweile gibt es mehrere Medikamente<br />

und Therapien, um die Symptome zu bekämpfen.<br />

Die Koordination der Ärzte und das Zeitmanagement<br />

raubt viel Kraft und Nerven, da brauch es einfach eine<br />

bessere Struktur in unserem Gesundheitssystem.<br />

Hauptstraße 6,<br />

54526 Landscheid/Eifel<br />

Tel.: 06575-9014995<br />

Fax: 06575-903794<br />

Mail: info@vaskulitisverein-rlp.de<br />

Mehr Informationen finden Sie auf unserer Webseite<br />

www.vaskulitisverein-rlp.de<br />

Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG entstanden.<br />

Der Wolf im Asthma-Pelz<br />

Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA)<br />

Gerade in der kalten Jahreszeit leiden Asthma-Patienten häufig unter einer Verschlechterung ihrer<br />

Erkrankung oder treten Asthma-Symptome wie Atemnot mit oder ohne Reizhusten sowie ein Engegefühl<br />

in der Brust das erste Mal auf. Manchmal steckt hinter dem Asthma die Autoimmunerkrankung EGPA,<br />

die im Laufe der Zeit noch weitere Organe des Körpers angreift und bei besonders schweren Fällen tödlich<br />

verlaufen kann. Pro Jahr treten in Deutschland nur etwa 1.000 bis 1.500 neue Fälle von EGPA auf, was sie zu<br />

einer seltenen Erkrankung macht.<br />

FOTO: SHUTTERSTOCK_1139638805<br />

Dr. Sabine<br />

Lampert<br />

Fachärztin für<br />

Innere Medizin und<br />

Pneumologie<br />

(Lungenfachärztin)<br />

und Leiterin der<br />

Lungenpraxis<br />

„Lunge im Zentrum“<br />

Frau Dr. Lampert, wie oft haben Sie<br />

in Ihrer Praxis bereits Patient:innen<br />

erlebt, hinter deren Asthma sich<br />

eine EGPA verbarg, und wie sind Sie<br />

ihr auf die Schliche gekommen?<br />

Tatsächlich habe ich das schon mehrfach erlebt.<br />

Asthma bronchiale ist eine Erkrankung<br />

mit ganz unterschiedlichen Ursachen. Bei einigen<br />

Patient:innen entwickelt es sich langsam<br />

aus einem Heuschnupfen, bei anderen beginnt<br />

es plötzlich z. B. nach einem Infekt. Bei allen<br />

wollen wir mit der Therapie das Asthma unter<br />

Kontrolle bringen, d. h. der/die Erkrankte<br />

nimmt seine Medikamente und spürt sonst<br />

nichts vom Asthma. Wenn das nicht gelingt,<br />

muss man überlegen, warum nicht und dabei<br />

auch an seltene <strong>Erkrankungen</strong> denken. Aber es<br />

gibt auch andere Szenarien, die einen als Arzt/<br />

Ärztin aufhorchen und an eine EGPA denken<br />

lassen sollten. So erzählte mir ein Patient, der<br />

zwar seitens seines Asthmas beschwerdefrei<br />

war, von Herzproblemen und einer Nervenentzündung<br />

im Bein! Bei einer anderen Asthmatikerin<br />

fielen mir bestimmte Blutwerte im bei<br />

uns standardmäßig durchgeführten großen<br />

Blutbild auf. Es zeigte erhöhte Eosinophile, eine<br />

bestimmte Art der weißen Blutkörperchen, die<br />

zu bestimmen grundsätzlich wichtig für die<br />

Asthmatherapie ist und deren starke Erhöhung<br />

auf eine EGPA hinweisen kann.<br />

Wieso wird die EGPA häufig erst so spät<br />

diagnostiziert? Was ist die besondere<br />

Schwierigkeit?<br />

Ich glaube, das grundsätzliche Problem ist, dass<br />

die EGPA so unterschiedliche Beschwerden machen<br />

kann, die völlig unzusammenhängend erscheinen.<br />

Die Schwierigkeit für mich persönlich<br />

ist, unter den vielen Asthmatiker:innen, die ich<br />

jeden Tag sehe, den/diejenige mit EGPA herauszufinden.<br />

Man muss in dieser täglichen Routine<br />

hellhörig sein und genau hinsehen. Nicht nur<br />

das Asthma sehen und behandeln, sondern den<br />

Menschen mit dem Asthma. Das ist zwar eine<br />

Plattitüde, aber nichtsdestotrotz wahr.<br />

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es<br />

heute für die Betroffenen?<br />

Das Asthma wird bei Vorliegen einer EGPA genauso<br />

behandelt, wie andere Asthmaformen<br />

auch. Bei einem unkontrollierbaren, schweren<br />

Verlauf stehen uns moderne Biologika zur Verfügung.<br />

Für die EGPA an sich ist häufig der<br />

Einsatz von Kortison notwendig, eventuell von<br />

weiteren Immunsuppressiva, und auch moderne<br />

zielgerichtete Therapien können eingesetzt<br />

werden. Dafür sind Rheumatologen die Experten<br />

und führen die Therapie. Die gute Zusammenarbeit<br />

mit ihnen ist enorm wichtig und ich<br />

bin sehr froh, dass dies mit meinen rheumatologischen<br />

Kollegen der Fall ist.<br />

NP-DE-MPL-ADVR-230001; 01/2023


12<br />

Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />

Morbus Fabry –<br />

eine Erbschaft mit Folgen<br />

FOTO: PRIVAT<br />

Der Morbus Fabry ist eine erblich bedingte Stoffwechselstörung.<br />

Betroffenen fehlt ein Enzym zum Aufspalten bestimmter<br />

Fette. Die lagern sich infolgedessen in verschiedenen<br />

Organen ab und schädigen sie zunehmend. Judith Roth<br />

bekam die Diagnose Morbus Fabry mit 55. Hier berichtet sie<br />

über ihren Alltag mit der lysosomalen Speicherkrankheit<br />

– einer Erbschaft mit Folgen.<br />

Text Doreen Brumme<br />

Frau Roth, wie zeigte sich Ihr Morbus<br />

Fabry und wann erhielten Sie Ihre<br />

Diagnose?<br />

Ich hatte keinerlei beunruhigende<br />

Symptome. Gegen meinen Bluthochdruck<br />

nahm ich seit Jahren Medikamente.<br />

Bei der regelmäßigen Kontrolle<br />

beim Nephrologen fiel immer mal wieder<br />

zu viel Eiweiß im Urin auf, ich schluckte dann Antibiotika.<br />

Mit Mitte 40 spürte ich, dass ich körperlich nicht<br />

mehr ganz so fit war wie früher, ich wurde schneller<br />

müde, konnte mich mitunter nur schwer konzentrieren.<br />

Das schob ich aber auf die Wechseljahre. Im Jahr 2017<br />

bekam meine Schwester plötzlich Herzprobleme, deren<br />

Ursache lange keiner erklären konnte – bis ein Gentest<br />

ihr schließlich einen Morbus Fabry bescheinigte.<br />

Meine Schwester fand schnell heraus, dass dieser über<br />

das X-Chromosom des Vaters an alle Töchter vererbt<br />

wird, und sprach mich daraufhin an. Ein Gentest brachte<br />

mir meine Diagnose 2018. Bei den anschließenden<br />

Untersuchungen zeigten sich bei mir typische Symptome:<br />

Meine Herzwand war verdickt und der Herzmuskel<br />

vergrößert. Ein aktuelles Kopf-MRT (Magnet-Resonanz-<br />

Tomographie) ergab zudem leichte Ablagerungen im<br />

Gehirn, und neben dem Herz ist auch meine Niere inzwischen<br />

leicht betroffen.<br />

Der Austausch mit<br />

anderen Betroffenen<br />

in der Morbus Fabry<br />

Selbsthilfegruppe ist eine<br />

große Hilfe für mich.<br />

Noch ist ein Morbus Fabry zwar unheilbar – doch<br />

er ist gut behandelbar. Lassen Sie sich therapieren,<br />

und wie geht es Ihnen unter der Therapie?<br />

Ich bin, wie auch mein Sohn, seit drei Jahren in Behandlung,<br />

zuerst bei Spezialisten in Mainz, inzwischen<br />

in Heidelberg. Ich bekomme eine Enzymersatztherapie,<br />

das heißt, dass mir alle 14 Tage ein synthetisches Enzym<br />

in die Blutbahn gegeben wird, anfangs in der Klinik,<br />

mittlerweile zu Hause. Meine Tochter startet demnächst<br />

mit ihrer Therapie.<br />

Die Infusionen vertrage ich gut. Manchmal bin ich danach<br />

etwas erschöpft, aber das hat sicher auch noch andere<br />

alltägliche Ursachen. Vergangenes Jahr hatte ich<br />

plötzlich Herzrhythmusstörungen, was für Menschen<br />

wie mich – mit „Baustelle am Herzen“ – nicht untypisch<br />

ist. Mit einer Kardioversion konnte der zu schnelle Herzrhythmus<br />

wieder normalisiert werden (Sinusrhythmus).<br />

Wirklich beeinträchtigt fühle ich mich von meinem<br />

Morbus Fabry nicht – noch ist er kein Störfaktor. Zum<br />

Glück ist er bislang auch schmerzlos.<br />

Ein Morbus Fabry ist chronisch, er bleibt Ihr Leben<br />

lang. Wie läuft der Alltag damit?<br />

Ich habe mich arrangiert. Es dauerte zwar, bis ich mir<br />

vor zwei Jahren eingestand, dass mir mein Job in der<br />

Augenarztpraxis zu stressig geworden war. Doch heute<br />

arbeite ich im Gemeindebüro einer evangelischen<br />

Kirche in Wiesbaden – und der Wechsel tat mir gut.<br />

Die regelmäßige Heimtherapie ist ein Termin im Kalender<br />

wie jeder andere auch. Mit der Erschöpfung, die<br />

mich begleitet, habe ich umzugehen gelernt. Spüre ich<br />

sie, gebe ich meinem Körper, was er braucht: Ruhe. Ich<br />

lege mich hin und sage auch mal die eine oder andere<br />

geplante Unternehmung ab, gerade in für alle sowieso<br />

stressigen Zeiten wie vor Weihnachten: Da sinkt meine<br />

Belastbarkeit spürbar und ich bin auch psychisch schon<br />

mal etwas angeschlagen. Hilfreich ist für mich dann oft<br />

der Austausch mit anderen Betroffenen in der Morbus-<br />

Fabry-Selbsthilfegruppe.<br />

Morbus Fabry<br />

Selbsthilfegruppe e. V.<br />

In Deutschland sind derzeit etwa 1.200 Morbus Fabry-<br />

Patienten diagnostiziert, wobei eine hohe Dunkelziffer vermutet<br />

wird. Es ist eine Erbkrankheit, die zu Beginn sehr unspezifische<br />

Auswirkungen hat: Schmerzen in den Gelenken, Flecken auf<br />

der Haut oder extreme Müdigkeit. Auch Brennschmerzen in<br />

den Händen und Füßen, die bereits Betroffene im Kindesalter<br />

bemerken, können ein Hinweis auf die Erkrankung sein. So wird<br />

die Krankheit häufig erst festgestellt, wenn sie schon große<br />

Schäden angerichtet hat: starke Nierenschädigung, Schlaganfall<br />

in jungen Jahren oder extreme Vergrößerung des Herzmuskels.<br />

Unbehandelt kann sich die Lebenszeit Betroffener um<br />

bis zu 25 Jahre verkürzen. Seit 20 Jahren gibt es für Patienten<br />

mit Morbus Fabry wirkungsvolle Therapien, die die Erkrankung<br />

stoppen oder verlangsamen. Je früher sie erkannt wird, umso<br />

geringer sind die bleibenden Schäden. Doch gibt es nur wenige<br />

gute Behandlungszentren für diese seltene Erkrankung.<br />

Es ist wichtig, dass wir als Gruppe von betroffenen Patienten<br />

sichtbarer werden, uns gegenseitig mit Informationen über<br />

Kliniken und neue Therapieansätze versorgen – auch im<br />

persönlichen Austausch. Mit mittlerweile 160 Mitgliedern<br />

versucht die Morbus Fabry Selbsthilfegruppe (MFSH) unter<br />

anderem, in der Politik und in der Forschung auf dieses Krankheitsbild<br />

aufmerksam zu machen. Zusammen sind wir stark:<br />

Je mehr Menschen uns als Mitglieder unterstützen, umso mehr<br />

Gehör bekommen wir!<br />

Weitere Informationen unter: www.fabry-shg.org<br />

Was fühlten Sie in dem Moment der Diagnose?<br />

Nach dem ersten Schock sagte ich mir: „Judith. Du hast<br />

55 Jahre ohne große gesundheitliche Probleme gelebt.<br />

Das ist jetzt so. Da musst du künftig eben drauf achten.“<br />

Ich war Arzthelferin bei einem Augenarzt – der „professionelle“<br />

Hintergrund half mir, die Diagnose zu schlucken.<br />

Viel schwerer dagegen fiel es mir, meinen Kindern<br />

davon zu berichten und ihnen zu sagen, dass ich ihnen<br />

den Morbus Fabry vererbt haben könnte: Das Risiko lag<br />

bei 50:50.<br />

Bestätigte sich Ihre Befürchtung?<br />

Leider ja. Sowohl mein Sohn als auch meine Tochter,<br />

heute beide über 30, haben einen Morbus Fabry. Unsere<br />

„familiäre Mutation“ der Erkrankung ist zwar nicht ganz<br />

so gravierend, aber bei meinem Sohn zeigten sich bereits<br />

erste Anzeichen an den Nieren. Es ist krankheitstypisch,<br />

dass Männer meist früher und stärker davon betroffen<br />

sind. Bei meiner Tochter waren die Testbefunde glücklicherweise<br />

bislang negativ.<br />

FOTO: SHUTTERSTOCK_1494978623


Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 13<br />

Auch das <strong>Seltene</strong><br />

im Blick haben<br />

Morbus Fabry ist eine seltene monogenetische Stoffwechselstörung, die zu den lysosomalen<br />

Speichererkrankungen gehört. Was viele Betroffene eint, ist der oftmals lange Leidensweg bis zur Diagnose.<br />

Wir sprachen mit Prof. Dr. Christine Kurschat, Leiterin der Morbus Fabry Spezialambulanz am UK Köln,<br />

über die seltene Erkrankung.<br />

FOTO: SHUTTERSTOCK_1662240391<br />

Text Miriam Rauh<br />

Prof. Dr. Christine<br />

Kurschat<br />

Internistin, Nephrologin,<br />

Transplantationsmedizinerin,<br />

Hypertensiologin<br />

DHL und Leiterin<br />

der Spezialambulanz<br />

Morbus Fabry<br />

am UK Köln<br />

Morbus Fabry wird auch als das<br />

„Chamäleon unter den seltenen<br />

<strong>Erkrankungen</strong>“ bezeichnet.<br />

Warum?<br />

Morbus Fabry kann sehr viele verschiedene<br />

Symptome in unterschiedlichen Bereichen<br />

hervorrufen, zum Beispiel an der Niere,<br />

in den Blutgefäßen oder am Herzen, auch<br />

frühe Schlaganfälle können ein Zeichen sein.<br />

Fabry-Patienten weisen aber nie alle Symptome<br />

auf und auch innerhalb der gleichen<br />

Familie sind die Symptome der einzelnen Betroffenen<br />

oft ganz unterschiedlich.<br />

Was passiert bei der Erkrankung im Körper?<br />

Bei Morbus Fabry kann ein bestimmter Stoff<br />

nicht abgebaut werden, weil das Enzym<br />

Alpha-Galaktosidase fehlt, bzw. nicht richtig<br />

funktioniert. Das führt dazu, dass die Fettstoffe,<br />

Glykosphingolipide, die das Enzym<br />

normalerweise spaltet, sich im Gewebe und in<br />

zahlreichen Organen anreichern, insbesondere<br />

das Globotriaosylceramid, GL-3 oder Gb3.<br />

Diese Anreicherung lässt sich bereits in der<br />

Plazenta nachweisen. Die klinischen Auswir-<br />

kungen zeigen sich erst später, allerdings kann<br />

Morbus Fabry schon im Kindes- und Jugendalter<br />

zu Beschwerden führen, wie brennenden<br />

Schmerzen an Händen und Füßen, die in Wellen<br />

auftreten und durch bestimmte Umstände wie<br />

körperliche Anstrengung oder fiebrige Infekte<br />

ausgelöst werden. Oft wird dies als Wachstumsschmerz<br />

abgetan, aber man sollte bei solchen<br />

Symptomen immer auch daran denken, dass<br />

eine seltene Erkrankung dahinterstecken kann.<br />

Wie lange dauert es durchschnittlich bis zur<br />

Diagnose?<br />

Bis zur Diagnose können durchaus zehn bis<br />

fünfzehn Jahre vergehen, manchmal mehr. Das<br />

liegt daran, dass die Symptome, die sich anfangs<br />

zeigen, meist sehr unspezifisch sind.<br />

Es gibt ca. 8000 verschiedene seltene <strong>Erkrankungen</strong>;<br />

man denkt zunächst an die häufigen,<br />

bis man sich unter den seltenen auf Ursachenforschung<br />

macht. Wenn etwas nicht ins Bild<br />

passt, beispielsweise eine seltsame Hautveränderung,<br />

merkwürdige Einlagerungen in der<br />

Hornhaut oder ein dickeres Herz, ohne dass ein<br />

Bluthochdruck vorliegt, könnte dies auf Morbus<br />

Fabry hinweisen.<br />

Welche Rolle spielt die Familienanamnese?<br />

Da es sich um eine erbliche Erkrankung handelt,<br />

ist sie sehr wichtig. Im Fabry-Zentrum machen<br />

wir bei der Erstvorstellung immer eine ausführliche<br />

Familienanamnese und zeichnen auch den<br />

Stammbaum auf. Wenn ein Betroffener Morbus<br />

Fabry hat, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es<br />

innerhalb der gleichen Familie weitere Betroffene<br />

gibt, die eine Therapie benötigen.<br />

Vor zwanzig Jahren wurde die erste kausale<br />

Therapie für Fabry-Betroffene zugelassen.<br />

Was hat sich seitdem getan?<br />

Es ist gut, dass wir die Therapie haben, die Daten<br />

sind sehr überzeugend. Wir können Krankheitsverläufe<br />

verlangsamen und Lebenszeit verlängern.<br />

Allerdings kann man Morbus Fabry bislang nicht<br />

komplett zum Stillstand bringen. Für den Therapieerfolg<br />

spielt eine Rolle, ob die Erkrankung früh<br />

entdeckt wurde oder ob schon Organe geschädigt<br />

sind. Es müssen nicht alle Betroffenen therapiert<br />

werden.<br />

ANZEIGE<br />

Morbus Fabry in der Familie?<br />

Information für Betroffene und deren Angehörige<br />

Morbus Fabry ist eine genetische Erkrankung, die<br />

über mehrere Generationen einer Familie vererbt<br />

werden kann. Das heißt: Wenn eine Person in einer<br />

Familie die Diagnose Morbus Fabry hat, können andere<br />

Familienangehörige ebenfalls betroffen sein.<br />

Eine ausführliche Analyse des Familienstammbaums<br />

ist daher sehr wichtig für Betroffene und<br />

deren Angehörige.<br />

Ich bin betroffen – Was nun?<br />

Ist die Diagnose Morbus Fabry gestellt, dann ist es<br />

für Betroffene wichtig zu wissen, was die eigene<br />

Diagnose für Familienangehörige bedeuten kann<br />

und wer aufgrund des Vererbungsmusters ein erhöhtes<br />

Risiko für Morbus Fabry hat. Hier kommt<br />

die neue Website www.fabryfamilytree.de ins<br />

Spiel, die Betroffenen umfassende Informationen<br />

und Hilfestellungen an die Hand geben möchte.<br />

Dazu gehören grundlegende Informationen, wie<br />

die Erkrankung vererbt wird und wer in der<br />

Familie ein erhöhtes Risiko hat. Über ein Online<br />

Stammbaum-Tool kann man zusammen mit seinem<br />

behandelnden Arzt seinen individuellen Fabry-<br />

Stammbaum erstellen und für die persönliche Nutzung<br />

herunterladen, um Angehörige mit erhöhtem<br />

Fabry-Risiko gezielt informieren zu können. Die<br />

Daten werden streng vertraulich behandelt. Die<br />

Website gibt professionelle Hilfestellung, wie man<br />

Angehörige mit erhöhtem Risiko dann darauf ansprechen<br />

und sie aufklären kann. Dazu gehört auch<br />

eine Briefvorlage, die man nutzen kann, wenn eine<br />

direkte Ansprache sich schwierig gestalten sollte.<br />

PSYCHOSOZIALE<br />

ASPEKTE<br />

• Depression<br />

• Angstzustände<br />

• Panikattacken<br />

• Isolation<br />

AUGEN<br />

• Wirbelförmiges<br />

Muster auf der<br />

Hornhaut<br />

• Fabry-Katarakt<br />

(eine bestimmte<br />

Form der Linsentrübung)<br />

NIEREN<br />

• Eiweiß im Urin<br />

• Verminderte<br />

Nierenfunktion<br />

• Nierenversagen<br />

HAUT<br />

• Vermindertes Schwitzen<br />

• Kleine dunkelrote Punkte, die als Angiokeratome<br />

bezeichnet werden, vor allem<br />

zwischen Bauchnabel und Knien<br />

NERVENSYSTEM<br />

• Starke Schmerzen, die<br />

Minuten bis Stunden andauern<br />

• Hörverlust, Tinnitus<br />

• Hitze- oder Kälteunverträglichkeit<br />

oder Belastungsintoleranz<br />

• Transitorisch-ischämische<br />

Attacke (TIA) und Schlaganfall<br />

• Brennen der Hände und Füße,<br />

auch als Akroparästhesie bezeichnet<br />

• Schwindel<br />

HERZ<br />

• Unregelmäßiger<br />

Herzschlag (schnell<br />

oder langsam)<br />

• Herzanfall oder<br />

Herzversagen<br />

• Vergrößertes Herz<br />

MAGEN-DARM<br />

• Übelkeit und<br />

Erbrechen<br />

• Durchfall und/oder<br />

Verstopfung<br />

• Bauchschmerzen<br />

• Blähungen<br />

Informationen für Familienangehörige mit<br />

erhöhtem Fabry Risiko<br />

Auf der Website gibt es aber auch für Angehörige<br />

von Morbus Fabry-Patienten detaillierte Informationen,<br />

die dabei helfen sollen, die Erkrankung zu<br />

verstehen und warum sie selbst ein erhöhtes Risiko<br />

haben. Dabei ist eines sehr wichtig: ein erhöhtes<br />

Risiko bedeutet nicht zwangsläufig, dass man<br />

tatsächlich auch betroffen ist.<br />

Daher sollten Angehörige, die laut Stammbaum<br />

ein erhöhtes Risiko haben, unbedingt einen Arzt<br />

ansprechen und weitere Untersuchungen durchführen<br />

lassen. Das kann der eigene Hausarzt oder<br />

aber der Fabry-Spezialist des betroffenen Angehörigen<br />

sein. Der Arzt entscheidet dann, ob ggf.<br />

auch eine genetische Testung sinnvoll ist.<br />

Informationen für das Fachpersonal<br />

Aber auch medizinisches Fachpersonal findet auf<br />

der Website Materialien und Hilfestellungen, wenn<br />

es darum geht, Fabry-Patienten oder deren Angehörige<br />

zu beraten und aufzuklären. Dazu gehört<br />

ebenfalls die Nutzung des Online Stammbaum-<br />

Tools in Zusammenarbeit mit dem Patienten, sowie<br />

weitere Broschüren, die beim Familienscreening<br />

unterstützen sollen.<br />

Informieren Sie sich unter<br />

www.fabryfamilytree.de


14<br />

Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />

Neue Behandlungsansätze für das<br />

Bardet-Biedl-Syndrom: Im Fokus<br />

steht, die große Last der Erkrankung für<br />

Betroffene zu mindern<br />

FOTO: SHUTTERSTOCK_1347452750<br />

Patienten mit dem Bardet-Biedl-Syndrom leiden aufgrund einer genetischen Mutation unter einem<br />

unkontrollierbaren Hungergefühl, das bereits im Kindesalter zu sehr starkem Übergewicht führt.<br />

Betroffene leiden darunter oft sehr und fühlen sich isoliert.<br />

Text<br />

Hanna Sinnecker<br />

Dr. med.<br />

Metin Cetiner<br />

Oberarzt und<br />

Facharzt für Kinderund<br />

Jugendmedizin,<br />

Kindernephrologe,<br />

Transplantationsmediziner,<br />

Pädiatrische<br />

Sonographie<br />

(Universitätsklinikum<br />

Essen)<br />

Weitere<br />

Informationen<br />

zum NEOCYST-<br />

Forschungsprogramm<br />

unter:<br />

www.neocyst.de<br />

Weitere<br />

Informationen zum<br />

Patientenseminar<br />

des Arbeitskreises<br />

Bardet-Biedl-<br />

Syndrom finden<br />

Sie im Veranstaltungskalender<br />

der<br />

PRO RETINA e. V.<br />

unter:<br />

www.pro-retina.de<br />

Das Bardet-Biedl-Syndrom ist eine seltene<br />

genetisch bedingte Erkrankung<br />

und gehört zu den sogenannten Ziliopathien.<br />

Sie wirkt sich als Multisystemerkrankung<br />

auf den gesamten Körper Betroffener<br />

aus. Wir sprachen mit Dr. Metin Cetiner, der<br />

sich unter anderem auf die Behandlung dieser<br />

sehr belastenden Erkrankung spezialisiert hat.<br />

Herr Dr. Cetiner, das Bardet-Biedl-Syndrom<br />

(BBS) ist eine seltene genetisch bedingte<br />

Erkrankung. Was macht die Diagnose für<br />

Mediziner so schwer?<br />

Zunächst natürlich die Seltenheit. In unserem<br />

Register haben wir ca. 170 Betroffene in Deutschland,<br />

wobei die tatsächliche Zahl vermutlich<br />

etwa fünf- bis zehnmal so hoch ist. Zudem gibt<br />

es sechs Leitsymptome, die in verschiedenen Bereichen<br />

des Körpers und auch nicht gleichzeitig<br />

auftreten. Die Herausforderung ist daher, überhaupt<br />

erst einmal den richtigen Verdacht auf<br />

BBS zu haben.<br />

Wie sehen diese Leitsymptome aus, und wie<br />

kann die Diagnose gestellt werden?<br />

Das erste Symptom ist die sog. Polydaktylie<br />

(Mehrfingrigkeit): Manche Betroffene haben<br />

bei Geburt einen ganzen Finger oder Zeh mehr,<br />

manche haben verkürzte oder zusammengewachsene<br />

Finger oder Zehen. Hinzu kommen<br />

Nierenauffälligkeiten wie zu große bzw. zu<br />

kleine Nieren mit veränderter Binnenstruktur<br />

und teilweise Zysten. Etwa ab dem 6. Lebensmonat<br />

zeigt sich zudem eine starke, fortschreitende<br />

Übergewichtigkeit, denn durch eine Genmutation<br />

funktioniert das Sättigungszentrum im<br />

Gehirn nicht, Betroffene kennen also das Gefühl<br />

„Ich bin satt“ nicht und entwickeln ein unkontrolliertes<br />

gesteigertes Essverhalten (sog. Hyperphagie).<br />

Insgesamt zeigt sich bei den Kindern<br />

eine Entwicklungsverzögerung speziell beim<br />

Laufen- und Sprechenlernen. Zudem kommen<br />

betroffene Kinder mit Veränderungen nicht gut<br />

zurecht, sind stark routineliebend und haben<br />

eine niedrige Frustrationsgrenze. Hinzu kommt<br />

der Hypogenitalismus, also eine Unterentwicklung<br />

der Geschlechtsorgane. Männliche Betroffene<br />

haben einen Mikropenis und die Hoden<br />

können in der Leiste verortet sein. Weibliche Betroffene<br />

können Veränderungen an der Vagina,<br />

den Schamlippen oder der Gebärmutter aufweisen,<br />

was aber häufiger übersehen wird, da ein<br />

Ultraschall vonnöten wäre, um diese Veränderungen<br />

zu entdecken. Das Symptom, das am spätesten<br />

auftritt, aber am deutlichsten auf ein BBS<br />

hinweist, ist die Netzhautdegeneration: Betroffene<br />

verlieren zunehmend ihre Sehfähigkeit. Das<br />

zeigt sich schon im Vorschulalter durch Nachtblindheit<br />

(Angst und Orientierungsschwäche im<br />

Dunkeln) und Lichtempfindlichkeit. Deutlich<br />

zeigen sich die Beschwerden dann in der Puber-<br />

tät (typischer Tunnelblick) und verschlechtern<br />

sich recht schnell, sodass Betroffene im Übergang<br />

zum Erwachsenenalter meist nur noch einen<br />

Visus von fünf bis zehn Prozent haben und<br />

somit per definitionem blind sind.<br />

Die Diagnose an sich kann recht unkompliziert<br />

durch einen Gentest gestellt werden. Durch die<br />

Bandbreite der Symptome gibt es aber große<br />

Unterschiede, wann die Diagnose erfolgt. Wird<br />

das BBS nicht im Kindes- oder Jugendalter diagnostiziert,<br />

dann ist die Gefahr sehr hoch, dass die<br />

Betroffenen erst sehr spät oder nie diagnostiziert<br />

werden.<br />

Wie sehen die Behandlungsmöglichkeiten<br />

derzeit aus, und können die verfügbaren<br />

Therapien die Lebensqualität Betroffener<br />

verbessern?<br />

Bisher gibt es keine Therapie gegen das gesamte<br />

Symptomspektrum des BBS, aber es wird intensiv<br />

an einer möglichen Gentherapie geforscht.<br />

Bezüglich der Netzhautdegeneration kann man<br />

nur begleitende Maßnahmen in die Wege leiten,<br />

aufhalten kann man den Sehverlust bisher leider<br />

nicht. Auch die starke Übergewichtigkeit bedeutet<br />

eine enorme Last für die Betroffenen und ihre<br />

Familien. Eltern versuchen, das unter Kontrolle<br />

zu halten, sperren das Essen weg und schließen<br />

teils sogar den Kühlschrank ab, das Thema (zu<br />

viel) Essen ist allgegenwärtig. Betroffene Kinder<br />

ziehen sich zurück und leiden sehr stark<br />

unter ihrem Anderssein. Denn wir sprechen von<br />

schwerstem Übergewicht, das die Kinder und<br />

jungen Erwachsenen besonders in Kombination<br />

mit den anderen Symptomen vom normalen<br />

Leben ausschließt.<br />

Ein weiteres Symptom, das auf das Bardet-Biedl- Syndrom<br />

hinweisen kann, sind überzählige Finger oder<br />

Zehen. Diese werden aber oft direkt nach der Geburt<br />

operativ entfernt, ohne dass an diese Erkrankung als<br />

Ursache gedacht wird.<br />

FOTO: SHUTTERSTOCK_1407840644<br />

Hier wurde kürzlich ein neues Medikament<br />

zugelassen, das die erste und einzige kausale<br />

Therapie gegen den spezifischen Gendefekt darstellt,<br />

der das Sättigungszentrum außer Kraft<br />

setzt. Dieses Medikament kompensiert den Gendefekt<br />

durch einen MC4R-Rezeptor-Agonisten,<br />

der das Sättigungszentrum wieder aktiviert,<br />

wodurch es laut aktueller Studienlage bei vielen<br />

Patientinnen und Patienten zu einem deutlich<br />

reduzierten Hungergefühl und infolgedessen zu<br />

einer starken Gewichtsreduktion kommt. Auf<br />

dieses Medikament setzen viele Betroffene sehr<br />

viel Hoffnung.<br />

Die größte<br />

Unterstützung können<br />

sich Betroffene und<br />

Angehörige gegenseitig<br />

geben.<br />

Betroffene und deren Familien/Angehörige<br />

erleben durch die Erkrankung eine starke<br />

Belastungssituation, die die Lebensqualität<br />

stark einschränken kann. Wo erfahren Betroffene<br />

Unterstützung?<br />

Die größte Unterstützung können sich Betroffene<br />

und deren Angehörige gegenseitig geben. In der<br />

Patientenvereinigung PRO RETINA e. V. gibt es<br />

einen Arbeitskreis zum Bardet-Biedl-Syndrom,<br />

in dem Betroffene und Eltern betroffener Kinder<br />

erfahren: Wir sind nicht allein! Vom 12. bis 14.<br />

Mai 2023 wird es in Bonn ein Patientenseminar<br />

der PRO RETINA geben, das eine tolle Möglichkeit<br />

der Vernetzung darstellt.<br />

Sie sind Ansprechpartner für das NEOCYST-<br />

Forschungsprogramm, das sich u.a. auf die<br />

Erforschung des BBS fokussiert. Welche Vorteile<br />

hat ein Patient, der sich an diesem Programm<br />

beteiligt?<br />

Wir vernetzen die behandelnden Ärzte und die<br />

Grundlagenforscher mit der BBS-Community,<br />

um die Erkrankung besser zu verstehen und im<br />

Idealfall neue Behandlungsansätze entwickeln<br />

zu können, die den Betroffenen zugutekommen.<br />

Dieser transparente Austausch schafft eine Win-<br />

Win-Win-Situation und erhöht die Motivation<br />

auf allen Seiten! Zudem ist das BBS in vielerlei<br />

Hinsicht eine Modellerkrankung, denn die<br />

Forschung an dieser Erkrankung hat uns schon<br />

viele Erkenntnisse beschert, die auch auf andere<br />

<strong>Erkrankungen</strong> anwendbar sind. Teilnehmende<br />

Betroffene werden also aktiver Teil der Forschergemeinschaft!


Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 15<br />

Adipös, seheingeschränkt, entwicklungsverzögert –<br />

Wie das Bardet-Biedl-Syndrom das Leben Betroffener zu<br />

einer besonderen Herausforderung macht<br />

Das Bardet-Biedl-Syndrom (kurz BBS) ist eine seltene genetisch bedingte Erkrankung,<br />

die das Leben Betroffener extrem beeinträchtigt. Besonders der Verlust der Sehfähigkeit, die<br />

zum Teil stark eingeschränkte Nierenfunktion, vielfältige Entwicklungsverzögerungen und das starke,<br />

genetisch bedingte Übergewicht sind extrem belastend und schränken den Alltag in vielen Bereichen<br />

ein. Hinzu kommt die Stigmatisierung von außen, denn die Symptome können sie zur Zielscheibe<br />

ihrer Mitmenschen machen. Wir sprachen mit Maximilian Kerber (BBS-Patient) und Andrea Kierek<br />

(Mutter von zwei betroffenen Kindern) über die extreme Last der Erkrankung und die große Hoffnung<br />

auf zielgerichtete Therapien.<br />

Interviewpartner: Maximilian Kerber (Betroffener und Leiter des Arbeitskreises Bardet-Biedl-Syndrom<br />

der PRO RETINA e. V.) und Andrea Kierek (Mutter von zwei betroffenen Kindern)<br />

Text Hanna Sinnecker<br />

Herr Kerber, sie sind betroffen vom Bardet-<br />

Biedl-Syndrom (BBS). Wie und wann hat<br />

sich die Erkrankung bei Ihnen bemerkbar<br />

gemacht?<br />

Meine Mutter hat schon früh gemerkt, dass etwas nicht<br />

stimmt, und ist mit mir von Arzt zu Arzt gelaufen. Ich<br />

war immer ein wenig tollpatschig, da meine Grob- und<br />

Feinmotorik nicht richtig funktioniert. Zudem hatte ich<br />

bei meiner Geburt einen sechsten Zeh, der operativ entfernt<br />

wurde. Im Grundschulalter kamen der Sehverlust<br />

und das starke Übergewicht hinzu. Meine Eltern haben<br />

daher immer auf genügend Bewegung und eine ausgewogene<br />

Ernährung geachtet, damit das Übergewicht<br />

nicht überhandnimmt.<br />

Als ich sechs oder sieben war, hat erstmals ein Humangenetiker<br />

den Verdacht BBS geäußert. Damals, Anfang<br />

der 2000er, wurden meine Werte in die USA geschickt,<br />

wo dann auch die Diagnose gestellt wurde. Heute können<br />

bereits mehr als 20 verschiedene BBS-Gene ganz<br />

einfach erkannt werden. Da hat sich in den letzten Jahren<br />

vieles weiterentwickelt. Ab diesem Zeitpunkt wurde<br />

ich in einer Kinderklinik betreut. Später kam dann noch<br />

eine Entwicklungsverzögerung hinzu, meine Pubertät<br />

musste daher hormonell eingeleitet werden.<br />

Herr Kerber, wie sieht Ihr Alltag mit der Erkrankung<br />

aus und was sind die größten Herausforderungen?<br />

Das Thema der ausreichenden Bewegung, in Kombination<br />

mit dem Sehverlust und meiner gestörten Motorik,<br />

ist nicht immer einfach zu bewältigen, da man zusätzlich<br />

eingeschränkt und gehemmt ist. Die Gewichtskontrolle<br />

ist daher ein wichtiges Thema. Auch die Frage,<br />

welches Schulsystem für mich das richtige ist, war nicht<br />

leicht zu lösen. Ich habe das normale Regelschulsystem<br />

durchlaufen und mein Schulalltag war in bestimmten<br />

Bereichen auf mich angepasst, wo es notwendig war: Ich<br />

wurde z. B. beim Sportunterricht nicht nach Leistung beurteilt,<br />

oder ich habe Aufgabenstellungen aufgrund meiner<br />

Seheinschränkung größer ausgedruckt bekommen.<br />

Aber das Unverständnis seitens meiner Mitschüler hat<br />

mich durchgehend in der weiterführenden Schule begleitet.<br />

Später habe ich trotz der Erkrankung studiert und bin<br />

in den Beruf eingestiegen, was für viele Betroffene nicht<br />

oder nur zum Teil möglich ist. Was mich ständig begleitet,<br />

sind die massiven Einschränkungen durch den<br />

Sehverlust. Hier wird einem tagtäglich bewusst, dass<br />

man zu einem gewissen Teil eingeschränkt ist. Auch begleiten<br />

mich oft die Gedanken, wie es mit meiner noch<br />

gesunden Niere weitergehen wird, da dies auch ein häufiges<br />

Symptom der Erkrankung ist und auch erst zu einem<br />

späteren Zeitpunkt auftreten kann. Wie stark die Erkrankung<br />

im Zusammenspiel der Symptome mich im<br />

Alltag einschränkt, ist mir aber tatsächlich erst in den<br />

letzten Jahren bewusst geworden. Für Außenstehende<br />

war z. B. nicht nachvollziehbar, dass ich aufgrund der<br />

Seheinschränkung gewisse Dinge nicht wahrnehme oder<br />

Menschen ungewollt anremple. Da stößt man auf Unverständnis<br />

und verärgerte Mitmenschen. Seit zwei Jahren<br />

habe ich einen Blindenstock, der auch als eine Art „Erkennungszeichen“<br />

fungiert: Seitdem treffe ich auf viel<br />

größeres Verständnis und mehr Hilfsbereitschaft.<br />

Frau Kierek, Sie sind Mutter von zwei betroffenen<br />

Kindern. Was macht eine solche Diagnose mit den<br />

Eltern?<br />

Meine Kinder waren 11 und 14 bei der Diagnose, bis dahin<br />

hatten auch wir viele Ärzte und Kliniken gesehen.<br />

Zu erfahren, dass meine Kinder blind werden: Das war<br />

ein Schock. Da fragt man sich, wie die Kinder und man<br />

selbst das bewältigen soll. Auf der anderen Seite war es<br />

mit der Diagnose leichter, ihre Symptome zu erklären.<br />

Ich dachte schon immer, dass etwas <strong>Seltene</strong>s dahinterstecken<br />

könnte. Meine Tochter war wegen organischer<br />

Beschwerden, u.a. einer Nierentransplantation, oft im<br />

Krankenhaus. Dadurch war ihre Entwicklungsverzögerung<br />

leichter nachvollziehbar. Bei meinem Sohn war<br />

es schwieriger: Er hat autistische Züge und eine extreme<br />

Sprachbeeinträchtigung, das war komplizierter zu erklären.<br />

Und natürlich war auch das Übergewicht ein Problem,<br />

da es den Alltag sehr prägt und rund ums Essen<br />

viel Konfliktpotenzial bietet. In der Beziehung war die<br />

Diagnose schon eine gewisse Erleichterung, da wir nun<br />

wussten, was hinter den Beschwerden steckt, und etwas<br />

gelassener damit umgehen konnten.<br />

Oftmals sind die direkten Angehörigen diejenigen,<br />

die sensibler für den Gesundheitszustand Betroffener<br />

sind. Ist das auch bei Ihnen der Fall, und wie<br />

gehen Sie damit um?<br />

Kierek: Wir versuchen, unseren Kindern nicht all unsere<br />

Sorgen und Befürchtungen mitzuteilen, aber sprechen<br />

natürlich mit ihnen über die besonderen Herausforderungen,<br />

die sie haben. Wir versuchen, sie zu motivieren,<br />

dranzubleiben, auch wenn sie schon viele Dinge ausprobiert<br />

haben. Generell benötigen unsere Kinder aber sehr<br />

viel Betreuung und werden diese auch ihr Leben lang<br />

benötigen. Sie sind inzwischen 19 und 22 Jahre alt und<br />

werden nie so selbstständig sein wie Herr Kerber, der<br />

verheiratet ist, seiner Arbeit nachgeht und sein Leben<br />

selbstständig lebt. Von daher muss ich oft Entscheidungen<br />

für meine Kinder treffen.<br />

FOTO: SHUTTERSTOCK_1798021732<br />

Hatten Ihre Kinder auch mit Unverständnis im Umfeld<br />

zu kämpfen?<br />

Mein Sohn ist generell eher zurückhaltend und hat sich<br />

mit seiner besonderen Rolle irgendwie arrangiert, er<br />

würde solche Punkte nie von sich aus ansprechen. Meine<br />

Tochter ist sehr kontaktfreudig und hatte stärker damit<br />

zu kämpfen, in der Schule wurde sie oft sehr gemobbt.<br />

Sie hat zwar immer irgendwie ihren Weg gefunden und<br />

auch viele einfühlsame und verständnisvolle Menschen<br />

getroffen. Aber da kommt man als Mutter schon an seine<br />

Grenzen, wenn die eigenen Kinder derartigen psychischen<br />

Belastungen ausgesetzt sind. Man versucht dann,<br />

die positiven Erlebnisse zu verstärken und das abzufedern.<br />

Sie sind beide aktiv im Arbeitskreis Bardet-Biedl-<br />

Syndrom in der PRO RETINA. Welche Rolle spielt für<br />

Sie beide die Vernetzung mit anderen Betroffenen,<br />

und was wünschen Sie sich hinsichtlich der Versorgung<br />

von Betroffenen?<br />

Kierek: Für mich war das erste BBS-Patientenseminar<br />

der PRO RETINA ein beeindruckendes Erlebnis. Bei der<br />

PRO RETINA hatte ich zum ersten Mal das Gefühl: Die<br />

wissen, wovon ich spreche und wie es uns geht. Jetzt,<br />

wo ich aktiv im Arbeitskreis tätig bin, ist es toll zu sehen,<br />

was an Forschung geschieht, wie gefragt die Patientinnen<br />

und Patienten diesbezüglich sind und was im Miteinander<br />

erreichbar ist.<br />

Kerber: Wir haben mit unserer Patientengruppe eine<br />

ganz tolle Gemeinschaft von Betroffenen, ihren Angehörigen<br />

und Forschern, die uns sehr unterstützen. Man ist<br />

nicht mehr allein und kann zudem die Forschung aktiv<br />

mitgestalten, wie zum Beispiel auch bei der ersten Therapie<br />

gegen die genetisch bedingte Adipositas in Zusammenhang<br />

mit dem BBS.<br />

Da waren wir von Anfang an eng eingebunden, damit<br />

das patientennah geschieht und wir unsere Eindrücke<br />

und Aspekte mit einbringen können.<br />

Deswegen ist die Finanzierung der Forschungsprojekte<br />

für mich ein ganz wichtiger Punkt. Es ist vieles auf den<br />

richtigen Weg gebracht, aber ich wünsche mir, dass es<br />

einfacher wird, Fördermittel zur Erforschung und Behandlung<br />

<strong>Seltene</strong>r <strong>Erkrankungen</strong> zu bekommen.<br />

Der größte Wunsch von ganz vielen Betroffenen ist aber<br />

sicher die Entwicklung von Therapien. Die neue Therapie<br />

gegen die Adipositas ist für uns ein erster Schritt in<br />

die richtige Richtung zur Behandlung des Bardet-Biedl-<br />

Syndroms. Wenn es dann noch gelingt, eine Therapie<br />

gegen den fortschreitenden Sehverlust zu entwickeln,<br />

wäre das ein riesiger Erfolg für die Betroffenen!<br />

Arbeitskreis Bardet-Biedl-Syndrom<br />

(BBS) der PRO RETINA<br />

Im Arbeitskreis Bardet-Biedl-Syndrom (BBS) haben sich Betroffene<br />

mit dieser Erkrankung und deren Angehörige zusammengeschlossen.<br />

Vielleicht haben Sie Fragen oder möchten gern<br />

Ihre Erfahrungen mit anderen Betroffenen austauschen. Der<br />

Erfahrungsaustausch in der PRO RETINA kann Eltern und Betroffenen<br />

helfen, diese Erkrankung anzunehmen, zu akzeptieren<br />

und zu meistern.<br />

Für weitere Informationen zum Bardet-Biedl-Syndrom scannen<br />

Sie den QR-Code, oder melden Sie sich per E-Mail unter:<br />

bbs@pro-retina.de<br />

Der Rare Diseases Run 2023:<br />

RUN FOR RARE!<br />

Der Rare Diseases Run ist ein virtueller inklusiver Charity-Lauf, an<br />

dem jeder teilnehmen kann! Ein großer Teil der Teilnahmegebühr<br />

geht automatisch an verschiedene Organisationen, die sich mit<br />

seltenen <strong>Erkrankungen</strong> befassen, darunter auch die<br />

Bardet-Biedl-Patientengruppe.<br />

Weitere Informationen zum Wettbewerb sowie Tickets<br />

finden Sie unter: www.laufenmachtgluecklich.de


16<br />

Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />

Zielgerichtete Therapien bei Mukovoszidose:<br />

Die konsequente Durchführung der Behandlung soll Betroffenen ein<br />

normales und beschwerdefreies Leben ermöglichen<br />

Mukoviszidose, auch zystische Fibrose (CF) genannt, ist eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, die unbehandelt tödlich verläuft.<br />

Warum eine frühe Diagnose und eine kontinuierliche Behandlung so wichtig sind, erklärt Prof. Dr. med. Marcus A. Mall im Interview.<br />

Text Alexandra Lassas<br />

Herr Prof. Mall, die Mukoviszidose ist<br />

eine seltene Multiorganerkrankung<br />

und eine der wenigen seltenen <strong>Erkrankungen</strong>,<br />

die im Neugeborenen-Screening<br />

abgebildet ist. Warum ist es so wichtig, die Erkrankung<br />

möglichst früh zu diagnostizieren?<br />

Das Organ, das bei den meisten Patienten die<br />

stärksten Beschwerden verursacht, ist die Lunge.<br />

Dort entsteht aufgrund des Gendefektes, der<br />

der Mukoviszidose zugrunde liegt, ein besonders<br />

zäher Schleim, welcher die Atemwege verstopft.<br />

Das ist ein idealer Nährboden für Bakterien und<br />

führt bereits bei kleinen Kindern zu einer chronischen<br />

Infektion und Entzündung der Atemwege.<br />

Diese chronische Entzündung zerstört fortschreitend<br />

die Lunge. Unbehandelt erreichen<br />

betroffene Kinder kaum das Schulalter. Durch<br />

das Neugeborenen-Screening gibt es die Möglichkeit,<br />

die Erkrankung frühzeitig zu diagnostizieren<br />

und eine Therapie in die Wege zu leiten.<br />

Ein früher Therapiebeginn hat das Potenzial, die<br />

Entstehung von irreversiblen Organschäden, vor<br />

allem an der Lunge, zu verzögern oder gar zu vermeiden.<br />

Mit welchen Beschwerden haben Betroffene<br />

zu kämpfen?<br />

Neben der Lunge sind eine Reihe von weiteren<br />

Organsystemen betroffen: dazu gehören die<br />

Bauchspeicheldrüse, der Darm und die Leber.<br />

Etwa 85% der Betroffenen haben aufgrund angeborener<br />

Probleme mit der Bauchspeicheldrüse<br />

eine Verdauungsstörung, die sich durch Bauchschmerzen<br />

und chronische Durchfälle äußert.<br />

Hierdurch kommt es bereits bei kleinen Kindern<br />

zu einer Gedeihstörung, d.h. die Kinder nehmen<br />

nicht ausreichend an Gewicht zu. Weiterhin leiden<br />

sie durch die Schädigung der Lunge unter<br />

chronischem Husten und häufigen Infekten der<br />

Atemwege, bis hin zu Lungenentzündungen.<br />

Durch die Beeinträchtigung der Bauchspeicheldrüse<br />

kann zudem im weiteren Verlauf der Erkrankung<br />

ein Diabetes hinzukommen. Außerdem<br />

kann es zu Leberproblemen im Sinne einer<br />

Leberzirrhose kommen.<br />

Wie sehen die derzeitigen Therapieoptionen<br />

aus?<br />

Über lange Zeit konnten wir ausschließlich die<br />

Symptome der Erkrankung behandeln, das aber<br />

durchaus mit gutem Erfolg: denn so konnten<br />

wir die Lebenserwartung für Betroffene bereits<br />

auf über 40 Jahre steigern. Symptomorientiert<br />

bedeutet z. B. für die Verdauungsstörungen, dass<br />

die fehlenden Verdauungs-Enzyme der Bauchspeicheldrüse<br />

ersetzt werden, um damit die<br />

Durchfälle und Gedeihstörung zu behandeln.<br />

Für die Lunge bedeutet das eine lebenslange,<br />

schleimlösende Therapie: diese besteht zum<br />

einen aus einer schleimlösenden Inhalationstherapie<br />

unter Einsatz verschiedener schleimlösender<br />

Medikamente, und zum anderen aus<br />

Physiotherapie, um den Schleim aus der Lunge<br />

abzutransportieren. Die Atemwegsinfektionen<br />

werden mittels Inhalationen oder einer systematische<br />

Antibiotikagabe behandelt. Alle Inhalationen<br />

müssen mehrmals am Tag durchgeführt<br />

werden und beschäftigen die Betroffenen oft<br />

mehrere Stunden am Tag. Seit einigen Jahren<br />

gibt es einen kausalen Therapieansatz, der ein<br />

wahrer Durchbruch für Betroffene war, weil das<br />

eigentliche Problem an der Wurzel angepackt<br />

wird. Diese sogenannten CFTR-Modulatoren<br />

greifen an dem durch den Gendefekt fehlgefaltetem<br />

Protein an und setzen somit am Basisdefekt<br />

der Erkrankung an.<br />

Das Ziel ist, dass Betroffene<br />

möglichst lange ein<br />

normales, gesundes Leben<br />

führen können, ohne dass<br />

die Erkrankung das Steuer<br />

übernimmt.<br />

Seit einigen Jahren können wir so bis zu 90%<br />

der Betroffenen behandeln. Betroffene müssen<br />

dafür zweimal täglich Tabletten einnehmen,<br />

was gegenüber der rein symptomorientierten<br />

Behandlung einfach umzusetzen und viel weniger<br />

zeitintensiv ist.<br />

Zudem hat die systemische Verabreichung in<br />

Form einer Tablette den Vorteil, dass jedes<br />

betroffene Organ erreicht wird. Das ist ein echter<br />

Fortschritt, der zu einer enormen Verbesserung<br />

der Lebensqualität und voraussichtlich auch<br />

der Lebenserwartung führt. Dadurch kann eine<br />

potenziell tödliche Erkrankung zu einer behandelbaren,<br />

chronischen Erkrankung werden.<br />

Da es bisher noch keine Heilung für die Erkrankung<br />

gibt, müssen Betroffene ein Leben<br />

lang behandelt werden. Wie können Betroffene<br />

motiviert bleiben, an der Therapie dranzubleiben?<br />

Der langfristige Behandlungserfolg hängt wesentlich<br />

von einer lebenslangen und regelmäßig<br />

durchgeführten Therapie ab. Durch den Fortschritt<br />

der angesprochenen Kausaltherapie werden<br />

die Beschwerden deutlich weniger, was aber<br />

nicht zum Vergessen oder Auslassen der Einnahme<br />

führen darf. Daher ist vor allem auch bei<br />

Kindern und Jugendlichen auf eine regelmäßige<br />

Therapie zu achten. Die Betroffenen und ihre<br />

Familien müssen daher auch in Zukunft engmaschig<br />

betreut werden. Die Herangehensweise<br />

sollte sein, dass man mit einem frühen Therapiebeginn<br />

vor Auftreten der Beschwerden präventiv<br />

tätig wird, anstatt wie früher den Problemen<br />

hinterherzulaufen.<br />

Der Schlüssel ist zudem, sowohl die Kinder als<br />

auch ihre Familien in Schulungsprogrammen zu<br />

erklären, was im Körper von Betroffenen passiert,<br />

weshalb sie die Therapie durchführen, und was<br />

passieren kann, wenn sie hier nachlässig werden.<br />

Denn das Ziel ist ja, dass sie lange ein möglichst<br />

normales, gesundes Leben führen können, ohne<br />

dass die Erkrankung das Steuer übernimmt.<br />

Prof. Dr.<br />

Marcus A. Mall<br />

Professor und<br />

Direktor der Klinik<br />

für Pädiatrie m.<br />

S. Pneumologie,<br />

Immunologie und<br />

Intensivmedizin,<br />

Ärztlicher Centrumsleiter<br />

des<br />

CharitéCentrum 17<br />

für Frauen-, Kinder<br />

und Jugendmedizin<br />

mit Perinatalzentrum<br />

und<br />

Humangenetik,<br />

Charité - Universitätsmedizin<br />

Berlin<br />

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Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 17<br />

Leben ohne Sicht heißt nicht: aussichtslos!<br />

Linda Meschke (36) leidet an der erblichen Netzhauterkrankung Retinitis Pigmentosa.<br />

Sie sprach mit uns über ihren Weg bis zur Diagnose, über derzeitige Behandlungsmöglichkeiten<br />

und ihren Alltag mit dieser seltenen Augenerkrankung.<br />

Text Doreen Brumme<br />

FOTO: SHUTTERSTOCK_1653925696<br />

L<br />

inda, wann traten Ihre Augenprobleme auf und wie kam es zur Diagnose<br />

Retinitis Pigmentosa?<br />

Ich konnte schon als Kind nicht gut sehen, trug in der Schule eine Brille. Regelmäßige<br />

Besuche beim Augenarzt waren angesagt, irgendwann entdeckte dieser<br />

Verknöcherungen auf meiner Netzhaut und meinte, dass ich damit im Dunkeln ja gar<br />

nichts sehen müsste, was ich bejahte – für mich war das ein Normalzustand. Zudem hatte<br />

ich von Anfang an auf beiden Augen einen grauen Star, also eine Eintrübung meiner<br />

Augenlinsen, was mir mit 18 auch diagnostiziert wurde. Mit 27 wurde ich deshalb in der<br />

Uniklinik Dresden operiert, da ich im Alltag schlecht zurechtkam. In den Entlassungspapieren<br />

las ich zum ersten Mal die Diagnose: Retinitis Pigmentosa. Die gab ich bei<br />

Google ein und ließ mir erklären, was es damit auf sich hat. Nach der Recherche wusste<br />

ich zwei Dinge: Ich werde erblinden. Und es gibt nichts, was man dagegen tun kann.<br />

Erst zwei, drei Jahre später ließ ich einen Gentest machen, der die Diagnose bestätigte.<br />

Ihre Netzhautzellen sterben nach und nach ab und mindern Ihre Sehfähigkeit<br />

zunehmend. Wie verändert das Ihren Alltag?<br />

Die Veränderung von sehend zu blind verläuft in kleinen Schüben. Ich sehe die Welt<br />

inzwischen mit einem Tunnelblick. Das heißt, bei guter Beleuchtung erkenne ich Dinge<br />

in der Ferne noch sehr gut. Wobei die Betonung auf der guten Beleuchtung liegt, die<br />

selten herrscht. Auch die Nahsicht ist noch gut: Ich kann lesen und meinen Bürojob<br />

machen. Doch mein Sichtfeld ist mit 10 bis 15 Grad mittlerweile deutlich kleiner als das<br />

eines Augengesunden (180 Grad). Ich bin im Alltag deshalb oft auf Hilfe angewiesen,<br />

insbesondere dort, wo ich mich nicht auskenne oder wo viel los ist. Kaufe ich zum Beispiel<br />

ein, erschrecke ich, wenn plötzlich jemand von links oder rechts in meinen „Sichttunnel“<br />

tritt, denn ich habe ihn nicht kommen sehen. Meine buchstäblich schwindende<br />

Aussicht lässt mich langsam das Vertrauen in mich selbst verlieren.<br />

Die Retinitis Pigmentosa ist genetisch bedingt. Gab es in Ihrer Familie bereits<br />

vor Ihnen bestätigte Fälle oder Familienangehörige, die entsprechende Symptome<br />

gezeigt haben?<br />

Mein Vater zeigt seit Langem zunehmende Symptome, hat das aber nie abklären lassen,<br />

sondern verdrängt.<br />

Warum engagieren Sie sich in der Patientenselbsthilfe der PRO RETINA?<br />

Die Gewissheit, zu erblinden, stellte mein Leben auf den Kopf. Zumal der individuelle<br />

Verlauf ungewiss ist. Bis zu der Erkenntnis, dass das Leben auch mit schlechter oder<br />

ohne Sicht nicht aussichtslos ist, war es für mich ein langer Weg mit so manchem tiefen<br />

Loch, in das ich fiel. Davor würde ich gerne andere Betroffene bewahren.<br />

PRO RETINA e. V.<br />

Der Selbsthilfeverein PRO RETINA Deutschland e. V. ist bundesweit die größte und<br />

älteste Patientenvereinigung von und für Menschen mit Netzhauterkrankungen und<br />

deren Angehörige. PRO RETINA unterstützt Betroffene und ihre Angehörigen nach dem<br />

Leitsatz „Forschung fördern, Krankheit bewältigen, selbstbestimmt leben“, fungiert als<br />

Bindeglied zwischen Patient und Arzt und unterstützt die Forschungsförderung, damit<br />

neue Therapien entwickelt werden. Für seine Arbeit ist der gemeinnützige Verein auf die<br />

Unterstützung von Spendern und Sponsoren angewiesen.<br />

Weitere Informationen unter: www.pro-retina.de<br />

Perspektiven für Menschen mit seltenen <strong>Erkrankungen</strong><br />

Für die meisten der bisher bekannten rund 8.000 seltenen Krankheitsbilder gibt es aktuell noch keine Therapieoption. Das<br />

Pharmaunternehmen Janssen hat den Anspruch, durch kontinuierliche Forschung einen Beitrag zu leisten, um Menschen<br />

mit seltenen Krankheiten eine Perspektive bieten zu können.<br />

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FOTO: ©JANSSEN-CILAG GMBH<br />

Mit freundlicher Unterstützung der<br />

Janssen-Cilag GmbH<br />

„Wir forschen in den Bereichen, in denen der medizinische Bedarf hoch<br />

ist – unabhängig davon, wie häufig eine Krankheit ist“, erklärt<br />

Dr. med. Ursula Kleine-Voßbeck, medizinische Direktorin im Bereich<br />

Lungenhochdruck bei Janssen Deutschland. „Unser Ziel ist, da anzusetzen,<br />

wo wir einen entscheidenden Unterschied machen können.“ Für einige<br />

seltene Krankheitsbilder konnte Janssen bereits erfolgreich Therapien<br />

entwickeln, unter anderem im Bereich der Hämatologie, z. B. für<br />

Menschen mit Amyloidose und Morbus Waldenström sowie für Lungenhochdruck.<br />

Lunge unter Druck<br />

Eine spezielle Form des Lungenhochdrucks ist die pulmonal arterielle<br />

Hypertonie (kurz PAH). Bei dieser Krankheit stehen die Blutgefäße, die<br />

vom Herz zur Lunge führen, unter einem zu hohen Druck. In der Folge<br />

muss die rechte Herzhälfte immer stärker gegen diesen erhöhten Druck<br />

arbeiten. Auf Dauer kann das Herz diese Leistung nicht erbringen. Bleibt<br />

die Erkrankung unbehandelt, kann es zum Herzversagen kommen.<br />

Besonders tückisch ist, dass die Leitsymptome der PAH zu Beginn sehr<br />

unspezifisch sind (z. B. Atemnot, Druck auf der Brust, Erschöpfung) und<br />

Verwechslungsgefahr mit häufigeren Krankheiten wie Asthma oder<br />

COPD besteht.<br />

Auch wenn eine PAH grundsätzlich jeden treffen kann, gibt es Risikogruppen:<br />

Ein erhöhtes PAH-Risiko haben beispielsweise Menschen<br />

mit einem angeborenen Herzfehler. Schätzungsweise entwickeln bis<br />

zu zehn Prozent der Betroffenen eine PAH – selbst Jahrzehnte nach<br />

erfolgreicher Korrektur des Herzfehlers. Außerdem sind chronische<br />

Bindegewebserkrankungen wie die systemische Sklerose mit einem<br />

erhöhten Erkrankungsrisiko verbunden. Für diese Risikogruppen ist<br />

daher ein regelmäßiger Check in spezialisierten Zentren zu empfehlen.<br />

Je frühzeitiger im Verlauf die PAH erkannt wird, desto besser. Die Krankheit<br />

ist aktuell nicht heilbar, aber es gibt mittlerweile gute Behandlungsmöglichkeiten.<br />

Retinitis Pigmentosa: Gentest bringt Licht ins Dunkel<br />

Janssen forscht zudem an Therapieoptionen für 16 weitere seltene<br />

Krankheitsbilder, unter ihnen die seltene X-chromosomale Retinitis Pigmentosa.<br />

Bei dieser erblich bedingten Netzhautdegeneration werden<br />

die Photorezeptoren allmählich zerstört. Das erste Anzeichen ist eine<br />

stärker werdende Nachtblindheit, die Betroffene oft bereits vor dem<br />

10. Lebensjahr bemerken können. Aufgrund des progressiven Verlaufs<br />

grenzt sich das Sichtfeld immer stärker ein, was bis zur Erblindung führen<br />

kann. Der Großteil der Betroffenen ist männlich. Frauen haben meist<br />

keine oder nur leichte Symptome, können aber Trägerin des mutierten<br />

Gens sein und die Retinitis Pigmentosa an ihre Kinder weitergeben.<br />

Ein Gentest ist für die Diagnose entscheidend: Denn nahezu 100<br />

verschiedene Mutationen kommen als Auslöser der Retinitis Pigmentosa<br />

in Betracht. Erst wenn der Gentest die Diagnose sichert bzw. eingrenzt,<br />

kann über mögliche Behandlungsoptionen gesprochen werden. Selbst<br />

wenn es für die vorliegende Genmutation heute noch keine Therapiemöglichkeit<br />

gibt, ist die Testung sinnvoll. Betroffene können sich in ein<br />

Register eintragen und für spätere Behandlungsoptionen vormerken<br />

lassen. Außerdem bietet sich eventuell die Chance, an klinischen Studien<br />

für aufkommende Therapieoptionen teilzunehmen.<br />

Unter www.janssenwithme.de/erkrankungen<br />

erhalten Sie umfangreiche Fakten und Hintergründe<br />

sowohl zur PAH als auch zur Retinitis Pigmentosa.<br />

Zudem finden Sie auf dem YouTube-Kanal von Janssen<br />

Deutschland in der Playlist „Pulmonale Hypertonie“<br />

zahlreiche Videos, die über Lungenhochdruck sowie<br />

den Umgang mit der Erkrankung informieren.<br />

EM-121536


18<br />

Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />

NDM: Leben im<br />

eigenen Tempo<br />

Nicht-dystrophe Myotonien<br />

sind seltene, genetisch bedingte<br />

neuromuskuläre <strong>Erkrankungen</strong>.<br />

Das charakteristische Merkmal:<br />

Betroffene sind aufgrund der<br />

Krankheit nicht fähig, die der<br />

körperlichen Bewegung dienenden<br />

Muskeln (Skelettmuskulatur)<br />

nach der Kontraktion sofort wieder<br />

zu entspannen. Das kann die<br />

Lebensqualität Betroffener stark<br />

beeinträchtigen und sogar<br />

lebensgefährlich werden.<br />

Text Miriam Rauh<br />

Caro, du bist betroffen von einer nicht-dystrophen<br />

Myotonie, kurz NDM. Wann hast<br />

du gemerkt, dass etwas gesundheitlich<br />

nicht stimmt, und welche Beschwerden<br />

hattest du?<br />

Bei mir war früh zu sehen, dass etwas nicht stimmt. Ich<br />

fing erst mit zwei Jahren an zu laufen, humpelte, wenn<br />

ich nach längerem Sitzen wieder aufstand, und lief insgesamt<br />

oft steif. Die Myotonie ist zwar eine Erkrankung,<br />

die die Muskulatur des ganzen Körpers betrifft, aber bei<br />

mir waren die Symptome in den Beinen am offensichtlichsten.<br />

Meine Eltern gingen von Kinderarzt zu Kinderarzt,<br />

immer hieß es, ich sei einfach zu faul oder das sei<br />

normal und würde sich mit dem Wachstum ändern. Es<br />

folgte die Fehldiagnose, es sei etwas mit meiner Hüfte.<br />

Ich erhielt mehrere Jahre Physiotherapie. Erst als ich<br />

neun war, äußerte ein Arzt Zweifel an der Hüft-These,<br />

als er meine Röntgenbilder sah. Es folgten weitere<br />

Untersuchungen und Tests und schließlich kam die<br />

Diagnose: NDM.<br />

Carolina ist betroffen von einer nicht-dystrophen Myotonie. Um andere Betroffene zu unterstützen,<br />

engagiert sie sich im Patientenverein “Mensch & Myotonie e. V.“<br />

FOTO: PRIVAT<br />

Durch die genetische Mutation kann ich meine Muskeln<br />

problemlos anspannen, aber nicht sofort entspannen.<br />

Ich bin auch sehr wetterempfindlich, bei Wärme geht<br />

es mir viel besser als bei Kälte. Die Krankheit kann sich<br />

natürlich auch auf die Psyche auswirken – wenn es mir<br />

gut geht, meine ich, ich könnte einen Marathon rennen,<br />

wenn es mir schlecht geht, geht fast nichts.<br />

Wenn es mir gut<br />

geht, meine ich,<br />

ich könnte einen<br />

Marathon rennen,<br />

wenn es mir<br />

schlecht geht, geht<br />

fast nichts.<br />

Was waren/sind die größten Herausforderungen im<br />

Zusammenhang mit der Erkrankung für dich?<br />

Während ich noch im Wachstum war, wurde mir gesagt,<br />

dass die Krankheit entweder besser oder schlechter<br />

werden kann. Ich kenne mein Leben nicht ohne die<br />

Erkrankung, ich weiß nicht, wie es anders ist. Natürlich<br />

ist sie immer wieder anstrengend für mich, psychisch<br />

und physisch, auch weil sich die Krankheit bei<br />

mir verschlechtert hat. Als ich Kind war, spürte ich die<br />

NDM nur in den Beinen, im Wachstum wurden auch<br />

meine Hände langsam steif, dann meine Arme, mein<br />

Rücken und auch die Zunge. Bevor ich die Medikamente<br />

nahm, musste ich mich immer aufwärmen, wenn ich<br />

z. B. telefonieren wollte. An diese Verschlechterungen<br />

und Veränderungen musste ich mich gewöhnen, aber<br />

insgesamt habe ich es schnell und gut gemeistert. Zum<br />

Glück hatte ich auch die Unterstützung meiner Familie.<br />

Wesentlich schwieriger war und ist für mich der<br />

Umgang mit gesunden Menschen. Es ist nicht leicht,<br />

Außenstehenden zu vermitteln, wie sich diese Myotonie<br />

äußert. Ich gehe noch zur Schule, derzeit in die<br />

11. Klasse. In diesem Jahr wurde vereinbart, dass ich in<br />

Sport keine Noten bekomme, mich aber trotzdem beteilige.<br />

Ich habe die Schule gewechselt, weil ich in der<br />

vorherigen stark gemobbt wurde.<br />

Ich habe meinen neuen Klassenkameraden nichts<br />

von meiner Krankheit erzählt, weil ich die Erfahrung<br />

gemacht habe, dass mein Umfeld nicht versteht, was<br />

Myotonie ist. Mir würde es sehr weiterhelfen und mich<br />

auch entspannen, dass andere respektieren, wenn ich<br />

sage, dass ich etwas nicht machen kann, auch wenn<br />

ich fünf Minuten später losrenne, als wäre nichts. Das<br />

ist für Außenstehende schwer nachvollziehbar, aber so<br />

ist die Myotonie. Wenn ich aufgewärmt bin, kann ich<br />

einiges, was sonst nicht geht.<br />

Wie wird deine Erkrankung behandelt und wie<br />

wirkt sich das auf deinen Alltag bzw. deine Lebensqualität<br />

aus?<br />

Zurzeit bekomme ich Medikamente und werde durch<br />

ein Krankenhaus in Rom betreut. Hier in Deutschland<br />

hatte ich persönlich leider in der Vergangenheit nicht<br />

sehr viel Glück mit den Ärzten.<br />

Meine Mutter ist Italienerin, in Italien ging es sehr viel<br />

schneller. Ich nehme Medikamente, seitdem ich zwölf<br />

bin, und sie haben meine Lebensqualität stark verbessert.<br />

Es gibt bessere und schlechtere Tage, aber ich habe<br />

keine Schmerzen mehr.


Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de 19<br />

Ist es für dich wichtig, dich mit anderen Betroffenen<br />

über ihre Erfahrungen mit der Erkrankung auszutauschen?<br />

Ich bin Mitglied im Verein „Mensch & Myotonie“. Es war<br />

eine lebensverändernde Erfahrung für mich, anderen<br />

Menschen zu begegnen, die das gleiche Schicksal haben<br />

wie ich. Wenn man sein Leben lang behandelt wurde, als<br />

würde man sich die Symptome ausdenken, fühlt es sich<br />

wunderbar an, Menschen zu treffen, die dasselbe durchmachen.<br />

Auch wenn die Erkrankung bei jedem anders<br />

ist, erzählen alle über ihre Erfahrungen recht ähnliche<br />

Geschichten und können gute Tipps geben.<br />

Wenn man sein<br />

Leben lang<br />

behandelt wurde,<br />

als würde man<br />

sich die Symptome<br />

ausdenken, fühlt<br />

es sich wunderbar<br />

an, Menschen zu<br />

treffen, die dasselbe<br />

durchmachen.<br />

Informationen zur Patientenorganisation<br />

„Mensch & Myotonie gem. e. V.“<br />

Eine Mitgliedschaft in der ehrenamtlich von einer Myotonie -Betroffenen geführten Patientenorganisation<br />

„Mensch & Myotonie gem. e. V.“ ist komplett kostenlos. Jeder zusätzliche Beitritt stärkt uns, unsere Interessen<br />

in der Öffentlichkeit und bei Institutionen wahrzunehmen. Zusätzlich zu den „NDM“ engagieren wir uns auch für<br />

Betroffene von „Periodischen Paralysen“ sowie von „Neuromyotonien“.<br />

Machen Sie mit – in Ihrem und unserem Interesse!<br />

Weitere Informationen finden Sie unter:<br />

www.menschundmyotonie.de<br />

Kontakt<br />

Mensch & Myotonie e. V.<br />

Postfach 16 03 30<br />

44333 Dortmund<br />

1. Vorsitzender: Volker Kowalski<br />

E-Mail: vokiko@online.de<br />

Tel.: 0231-803290 (ab 12 Uhr)<br />

officialmyotonia.orga<br />

www.instagram.com/officialmyotonia.orga/<br />

myotonia.org<br />

www.tiktok.com/@myotonia.org<br />

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Ständig unter Strom, und doch blockiert<br />

Ich bin sehr muskulös,<br />

habe aber keine Kraft. Mein<br />

Nachbar hält mich für einen<br />

Macho, weil meine Frau die<br />

Getränkekisten trägt….<br />

Die Musik ist mein<br />

Leben: die erste Geige<br />

im Orchester spielen<br />

– ein Traum, der<br />

mit einer wirksamen<br />

Therapie Realität<br />

werden könnte.<br />

Als ich<br />

die Hand meines<br />

neuen Chefs nicht<br />

loslassen konnte, wäre<br />

ich am liebsten im Boden<br />

versunken. Ihm nicht<br />

die Hand zu geben war<br />

keine Option!<br />

Kälte verstärkt<br />

meine Symptome.<br />

Wintersport –<br />

ohne wirksame<br />

Therapie ist das<br />

undenkbar!<br />

Meine Eltern<br />

hielten mich für bockig,<br />

weil ich vor der Treppe<br />

stehen blieb und nicht<br />

hochgehen konnte.<br />

DE-NAM-2111-00005<br />

Die Unfähigkeit, einen Muskel nach Anspannung schnell wieder zu entspannen, beeinträchtigt unser Leben in vielerlei Hinsicht. Alltägliche Dinge wie Händeschütteln,<br />

Treppensteigen, nach dem Bus Rennen, sogar Aufstehen und einfach Loslaufen stellen enorme Herausforderungen dar und bedeuten emotionalen Stress für uns.<br />

Äußerlich wirken wir gesund, teilweise sogar athletisch, was oft Unverständnis bei Außenstehenden hervorruft und uns zusätzlich belastet.<br />

Wir lassen Sie nicht allein!


ERDBEBEN<br />

TÜRKEI UND SYRIEN<br />

© picture alliance / AA, Ozan Efeoglu<br />

Jetzt spenden!<br />

Starke Erdbeben haben in der Türkei und Syrien ein unvorstellbares Ausmaß der Zerstörung<br />

hinterlassen. Viele Menschen sind tot und Tausende verletzt. Aktion Deutschland Hilft<br />

leistet Nothilfe. Mit Nahrungsmitteln, Trinkwasser und medizinischer Hilfe.<br />

Helfen Sie jetzt – mit Ihrer Spende!<br />

Spendenkonto: DE62 3702 0500 0000 1020 30<br />

Jetzt spenden: www.Aktion-Deutschland-Hilft.de

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